Der 7. Lehrling

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Für junge Magiergesellen auf der Wanderung gab es klare Regeln. „Zaubere niemals, wenn ein erwachsener Mensch dabei ist“, lautete eine davon. Erwachsene waren sehr misstrauisch. Angeblich fürchteten sie sich sogar vor Magiern. Und wenn man den älteren Hexen und Zauberern glauben durfte, waren schon etliche unter Stockschlägen und Steinwürfen aus Ortschaften vertrieben worden – dabei hatten sie nur helfen wollen.

Bei Kindern musste man da nicht so vorsichtig sein. Wenn Kinder erzählten, dass jemand gezaubert hätte, ging den Erwachsenen normalerweise nur ein Lächeln über das Gesicht. Wahrscheinlich erinnerten sie sich dabei an ihre eigene Kindheit und die Geschichten, die sie selbst damals erfunden hatten.

Eine andere Regel lautete: „Finde neue Lehrlinge.“ Das war leichter gesagt als getan! Schließlich lief niemand mit einem großen Schild durch die Gegend, auf dem stand: „Ich kann so merkwürdige Sachen, und die anderen Kinder wollen nicht mehr mit mir spielen. Helft mir!“

Die meisten Magier waren unter den Menschen aufgewachsen und kannten sich nur zu gut damit aus, anders als die anderen Kinder zu sein. Geärgert und verspottet zu werden. Und oft auch: von zuhause weggeschickt zu werden. Wenn nicht rechtzeitig eine fremde Frau oder ein Mann des Weges kam und unter einem geschickt vorgetragenen Vorwand das Kind mit sich nahm.

Auch Meara war auf diese Weise gerade noch vor der Vertreibung gerettet worden. Die anderen Kinder und auch die Erwachsenen hatten bereits begonnen, sie komisch anzusehen. Fast keines der Kinder durfte noch mit ihr spielen. Ihre Eltern machten sich die größten Sorgen. Da kam eines Tages ein wandernder Händler durch das Dorf. Er stützte sich schwer auf seinen Wanderstab. Ein alter Esel zog den kleinen klapprigen Karren, auf dem sich seine Waren befanden.

Meara fühlte auf unerklärliche Weise sofort, dass sie dem Mann vertrauen konnte. Sie setzte sich zu ihm, als er am Brunnen eine Pause machte. Es dauerte nicht lange, da hatte sie ihm ihre Probleme mit den anderen Kindern anvertraut.

Irgendwann hatte der alte Mann sie dann um den bunten Anhänger gebeten, den sie an einem Lederband um den Hals trug. Meara wusste noch ganz genau, wie sprachlos sie gewesen war, als der Mann den Anhänger in die Hand nahm, kurz die Augen schloss und ihr dann erzählte, woher der Anhänger kam, dass es ein Geschenk ihrer Mutter zu ihrem fünften Geburtstag war und dass sie von ihrem Vater ein dazu passendes Lederband geschenkt bekommen hatte. Dass sie den Anhänger eigentlich nie ablegte, auch nicht, wenn sie zu Bett ging. Das hatte Meara noch nie erlebt! Es gab außer ihr noch jemanden, dem Gegenstände Geschichten erzählten!

Dann ging alles sehr schnell. Der alte Mann hatte mit ihren Eltern gesprochen, ihnen gesagt, dass ihm die Arbeit immer schwerer falle und er immer dringender jemanden zur Unterstützung brauchte. Schließlich hatte er das Kind als seine Gehilfin mit auf die Reise genommen. Meara der Abschied unendlich schwer gefallen, aber sie hatte das untrügliche Gefühl, dass eine spannende Zeit vor ihr lag.

So war es dann auch gekommen. Der alte Mann ging mit ihr geradewegs nach Filitosa und übergab sie ihrem späteren Lehrmeister Samuel.

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Meara riss sich aus ihren Träumen. Irgendwann würde sie bestimmt selbst einen Kandidaten finden, da war sie sich sicher. Ihr „ziviler“ Beruf sorgte dafür, dass sie immer ein paar Tage oder Wochen an einem Ort blieb, bevor sie weiterzog. Und da große Baustellen immer auch Kinder anziehen, konnte sie diese zwischendurch gut beobachten.

Bislang war sie nicht erfolgreich gewesen. Sie wusste, wie wichtig es Korbinian war, dass die Gesellen auf ihrer Wanderschaft neue Lehrlinge fanden. Die Versammlung der alten Hexen und Zauberer hielt allerdings nichts davon. Die Gesellen seien alle Grünschnäbel, viel zu unerfahren, hätten nicht den richtigen Blick, den würde man nämlich nur mit viel Erfahrung bekommen, und so weiter und so fort.

Das war aber für die wandernden jungen Hexen und Zauberer nur noch mehr Ansporn, neue Lehrlinge zu finden! Sie würde schon die Augen aufhalten. Und wer weiß, vielleicht stand sogar in der nächsten Stadt schon jemand in der Menge …

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Korbinian ließ es sich richtig schmecken. Erst nachdem er fünf verschiedene Brötchensorten durchprobiert hatte – immer nur die Deckelhälfte, weil da die leckeren Körner drauf waren –, legte er das Messer zur Seite. Er lehnte sich mit seiner Tasse Kaffee in der Hand zurück und sah die Zwillinge an: „Es war sehr, sehr gut! Ganz ausgezeichnet! Aber genug geschlemmt! Erzählt, was gibt es bei euch denn Neues?“

Amina und Adina erzählten ein wenig von ihren Geschäften, von der Handwerkslehre und auch von ihrer Hexenlehre. Bei einer weiteren Tasse Kaffee kamen sie dann auf aktuelle Ereignisse.

„Ist es eigentlich richtig, dass noch nicht alle Lehrlingsplätze besetzt sind?“, fragte Adina. Offenbar hatte sich die schlechte Nachricht wie ein Lauffeuer verbreitet. Korbinian nickte, sagte aber nichts weiter. „Oh je, es bleiben aber nur noch knappe zwei Monate! Wie sieht denn Euer Plan aus?“ Amina knuffte ihre Schwester in die Seite: „Sei nicht so vorlaut, Adina! Es steht Dir nicht zu, solche Fragen zu stellen!“

„Nein, nein, ist schon gut“, beruhigte Korbinian die beiden. „Wir sind in der Versammlung noch zu keinem Ergebnis gekommen. Die Beratung wird nachher fortgesetzt. Aber …“ Korbinian rieb sich nachdenklich über die Augen, „ich glaube nicht, dass wir zu einer schnellen Lösung finden werden. Alle Hexen und Zauberer, die in der Versammlung sind, haben das ganze Jahr über gesucht. In allen Teilen des Landes. Es ist ja nicht so, dass sie alle nur vor dem Kamin gesessen hätten! Sie haben gesucht, wirklich gesucht! Aber die Anzahl derer, die zu uns und nicht zu den Menschen gehören, wird entweder geringer, oder wir erkennen sie nicht mehr so gut wie früher. Ich weiß es wirklich nicht.“ Korbinian seufzte und trank einen Schluck Kaffee.

„Aber wenn nicht sieben neue Lehrlinge gefunden werden, dann wäre das ja ganz furchtbar!“, rief Amina. „Alle Schutzzauber ...“

Korbinian nickte. „... würden zusammenbrechen, wenn die sieben mal sieben Lehrlinge nicht mehr vollzählig sind. Ja, die Lage ist ernst.“ Sie versanken in nachdenkliches Schweigen.

So saßen sie eine Weile da und starrten in ihre Kaffeetassen. Plötzlich hob Adina den Kopf: „Aber wenn …“ Korbinians Blick war zuerst ein wenig belustigt, aber dann immer aufmerksamer, während Adina die Idee vorstellte, die ihr gerade durch den Kopf geschossen war.

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Quentin kam über einen Hügel und konnte deshalb weit in jede Richtung schauen. In der Ferne sah er die ersten Häuser einer größeren Ansiedelung. Es war jetzt bald Mittag. Quentin war klar, dass er es am heutigen Tag nicht mehr bis dorthin schaffen würde. Aber das machte ihm nichts aus. Er hatte noch fünf Streichhölzer und außerdem unterwegs eine Menge Pflaumen gesammelt. Und die Champignons, die er auf einer Wiese gefunden hatte, würden ein leckeres Abendessen geben.

Mittlerweile wanderte Quentin auf einem breiteren Fahrweg. Von Zeit zu Zeit begegnete er anderen Wanderern, allesamt mit Waren beladen und auf dem Weg zur Stadt. Da Quentin nichts Schweres zu tragen hatte, überholte er die meisten ziemlich schnell. Die Gespräche waren nur kurz und nicht besonders aufschlussreich. Wenigstens hatte er den Namen der Stadt am Horizont herausgefunden: Balsberg.

Quentin setzte sich am Wegesrand unter einen Baum und blickte auf die Stadt. Während er genüsslich ein paar Pflaumen aß, dachte er nach. In Balsberg würde er bestimmt eine Arbeit finden. Vielleicht kam er sogar in einer Schänke unter, so wie Simon. Dann wäre auch die Essensfrage gelöst. Quentin war schon richtig gespannt! Eine so große Siedlung hatte er noch nie gesehen!

Nach einer kleinen Weile und mindestens einem Dutzend Pflaumen machte er sich wieder auf den Weg. Auf halber Strecke zur Stadt hatte er eine Baumreihe gesehen, da war sicher ein Bach. Dort würde Quentin sein Nachtlager aufschlagen.

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Den Rückweg zum Haupthaus der Magier musste Korbinian eilig zurücklegen, wenn er noch pünktlich sein wollte. Unterwegs arbeitete sein Gehirn fieberhaft. Er dachte über Adinas Idee nach. Drehte sie hin und her, besah sie von allen Seiten. Prüfte sie auf Fehler, aber er konnte keinen Mangel entdecken. Natürlich würde es unglaublich anstrengend werden. Die wandernden Gesellen mussten außerdem gegen die Tradition verstoßen, derzufolge sie vor Ablauf von drei Jahren und einem Tag nicht nach Filitosa zurückkehren durften. Aber in Anbetracht ihrer Notlage sollte das alles doch trotzdem machbar sein. Außergewöhnliche Situationen erfordern eben manchmal außergewöhnliche Maßnahmen.

Er überlegte, wie die Versammlung wohl reagieren würde – Begeisterung würde sicher nicht ausbrechen. Er legte sich einen Plan zurecht. Ja, so könnte es gehen, dachte er schließlich bei sich, als er die letzte Treppe zum Convenium hinaufeilte.

Alle Hexen und Zauberer waren bereits anwesend. Korbinian ließ sich nichts anmerken. Er betrat den Saal so frisch, als wenn er nicht eben noch durch das halbe Dorf geeilt wäre, sondern gerade von einem erbaulichen Spaziergang im Garten zurückkäme.

Zuerst begrüßte er alle Magier persönlich, dann nahm er auf seinem Stuhl am Kopfende des Tisches Platz. Alle anderen setzten sich ebenfalls.

„Nun, ehrwürdige Brüder und Schwestern, ich sehe euch ausgeruht und gestärkt vor mir, gewappnet für die Suche nach der Lösung. Lasst uns beginnen.“

In den folgenden Stunden wurden viele Ideen besprochen, abgewägt, verworfen, verändert, nochmals diskutiert, wieder verworfen. Zwischendurch trugen Lehrlinge einen Mittagsimbiss auf, der aber unbeachtet auf den Seitentischen stehen blieb, so sehr waren die Magier in die Diskussion vertieft. Gegen zwei Uhr nachmittags verordnete Korbinian eine einstündige Pause. Dafür waren die Hexen und Zauberer sehr dankbar: Allen rauchte der Kopf vor lauter Nachdenken und Diskutieren.

 

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Korbinian eröffnete die Sitzung erneut. Sie waren noch kein Stück weitergekommen. Alle bisherigen Vorschläge waren an irgendetwas gescheitert. Es war langsam an der Zeit, Adinas Idee zu präsentieren. Aber zuerst sollten sie noch ein wenig ihre Köpfe anstrengen! Der Vorschlag, den Korbinian ihnen unterbreiten wollte, hatte erst dann Aussicht auf Erfolg, wenn die Zauberer und Hexen völlig ratlos waren.

Was nun kam, war zermürbend. Zauberer um Zauberer, Hexe um Hexe gingen die Ideen aus. Alle Vorschläge hatten irgendeinen Haken. Korbinian achtete sorgsam darauf, dass er nicht zu oft derjenige war, der diesen Haken fand. Er brachte das eine oder andere Argument für und gegen die Entwürfe und ging dabei so geschickt vor, dass an irgendeinem Punkt der Diskussion eine Hexe oder ein Zauberer wie von ganz allein auf die Schwachstelle kam, sich erhob und sagte: „Aber …“. Damit war dann auch diese Idee erledigt.

Nicht, dass Korbinian dies auch bei guten Vorschlägen gemacht hätte. Wäre wirklich etwas dabei gewesen, was auch nur einigermaßen Erfolg versprechend gewesen wäre, dann hätte er sich dieser Lösung angeschlossen. Aber es kam nichts.

Als wiederum zwei quälende Stunden ohne Ergebnis vorüber waren und der Nachmittag sich langsam dem Ende neigte, erhob sich Korbinian von seinem Stuhl.

„Ehrwürdige Brüder und Schwestern. Es ist zu Recht diesem erfahrenen Gremium vorbehalten, die richtigen Wege zu finden und zu bestimmen. Bislang haben wir das auch immer geschafft.“ Zustimmendes, erschöpftes Nicken in der Versammlung.

„Aber wie ich feststellen muss, sind keine weiteren Vorschläge mehr da, und auch ich bin mit meinen eigenen Ideen längst am Ende angelangt. Wir haben heute zum ersten Mal versagt.“ Die Betroffenheit und das stille Eingeständnis, keine einzige Idee mehr zu haben, waren aus jedem Gesicht deutlich herauszulesen.

„Aber vielleicht gibt es doch noch eine kleine Hoffnung.“ Müde, zweifelnde Augenpaare wandten sich ihm entgegen, hier und da blitzte ein kleiner Schimmer Zuversicht auf.

„Als ich heute Morgen durch das Dorf spazierte, traf ich eine erstaunliche junge Hexenschülerin mit einer noch erstaunlicheren Idee.“ Sofort schlug die Stimmung um. Korbinian wollte ihnen offensichtlich schon wieder irgendwelche grünschnäbeligen Pläne auftischen. Das hatte jetzt gerade noch gefehlt! Nicht genug damit, dass er erst vor Kurzem den Wandergesellen einen schier unglaublichen Auftrag verschafft hatte, jetzt kam er sogar mit der Idee einer Schülerin um die Ecke! Korbinian musste den Verstand verloren haben! Mehrere Magier sprangen auf und machten ihrem Unmut mit deutlichen Worten Luft. Die Versammlung drohte aus den Fugen zu geraten.

Da schlug Korbinian so fest mit der Faust auf den Tisch, dass es laut durch den ganzen Saal krachte. Er donnerte die Versammelten an: „So! Ihr haltet das für Unfug, was? Ihr, die ihr seit Stunden hier sitzt und keine einzige brauchbare Idee präsentieren könnt! Ihr, die ihr in diesem Jahr nur vier von sechs Lehrlingen gefunden habt, obwohl ihr alle wusstet, dass wir sieben brauchen? Ihr, die ihr mit Euren Einfällen genauso wie ich völlig am Ende seid? Ihr besitzt tatsächlich die Überheblichkeit, Euch diesen Vorschlag noch nicht einmal anhören zu wollen? Wenn aus unseren Überlegungen auch nur eine einzige brauchbare Lösung hervorgegangen wäre, glaubt mir, ich hätte nicht einmal im Traum daran gedacht, euch diesen Vorschlag zu unterbreiten. Aber so wie ich die Situation sehe, können wir weder wählerisch sein, noch uns einbilden, immer die einzig guten Lösungen für alles zu haben. Also setzt euch gefälligst wieder hin und hört euch erst einmal an, was ich zu sagen habe!“

Korbinians Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Diejenigen, die gerade noch laut schimpfend herumgestanden hatten, setzten sich wieder und schwiegen. Eingebildet zu sein, wollte sich keine Hexe und kein Zauberer unterstellen lassen. Und irgendwie hatte Korbinian ja auch recht: Es konnte nicht schaden, sich die Idee anzuhören. Vermutlich war der Vorschlag sowieso nicht besser als das, was sie bisher diskutiert hatten. Er würde genauso scheitern wie alle anderen bisherigen Versuche. Vielleicht sah Korbinian dann endlich ein, dass es Zeitverschwendung war, sich die unausgegorenen Fantasien von jungen Lehrlingen anzuhören.

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Quentin schlief tief und fest. Er hatte einen schönen Lagerplatz an einem Bach gefunden. Eine uralte Trauerweide streckte ihre mächtige Krone zur einen Hälfte über das Wasser und zur anderen Hälfte über das Ufer. Mit ihren lang herabhängenden Ästen hatte sie auf diese Weise einen kreisrunden Platz geschaffen, der gegen Wind, Regen und insbesondere neugierige Blicke gut schützte. Man brauchte das Versteck noch nicht einmal zu verlassen, um frisches Wasser zu holen, schließlich floss der Bach geradewegs an der Weide vorbei. Die Zweige waren so dicht, dass sogar der Schein eines kleinen Feuers von außen kaum zu sehen war, während im Inneren ein sehr behaglicher und warmer Raum entstand. Quentin hatte sich ein Feuer gemacht und seinen kleinen Topf daraufgestellt. Dann hatte er mit seinem Taschenmesser die Champignons geputzt und zusammen mit etwas klein geschnittenem Speck und wildem Lauch gebraten. Was für ein Festmahl! Nach dem Essen hatte er noch eine Weile ins Lagerfeuer geschaut und war irgendwann eingeschlafen.

Quentin träumte von der Stadt Balsberg und malte sich in den buntesten Farben aus, was er alles erleben würde. So lag er friedlich schlummernd am langsam niederbrennenden Feuer, während am Himmel über der alten Trauerweide die Sterne ihre Bahn zogen.

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Korbinian hatte den Hexen und Zauberern Adinas Plan dargelegt. Bevor jedoch darüber diskutiert wurde, unterbrach er die Versammlung für das Abendessen.

Der Speisesaal war riesig. Lange Tische und Bänke standen unter hohen Kreuzgewölben, deren Bögen auf gewaltigen siebeneckigen Pfeilern ruhten. Pentagramme, geheimnisvolle Schriftzeichen und Reliefs schmückten die Schlusssteine jedes einzelnen Gewölbes. Die langen Wände waren mit Bildern verziert, die Geschichten aus dem Leben der Magier vor einigen hundert Jahren erzählten. An jedem Pfeiler waren sieben Fackeln angebracht, die ein helles, unruhiges Licht in den Saal warfen und die Figuren auf den Wandgemälden scheinbar zum Leben erweckten.

Alle Magier waren gern in diesem Saal. Sie fanden ihn sehr gemütlich, und oft kam es vor, dass sich ein Abendessen bis tief in die Nacht erstreckte.

Während alle im großen Speisesaal saßen und hungrig über den leckeren Braten, die Kartoffelklöße und das Gemüse herfielen, wurde natürlich über Adinas Vorschlag geredet. Und hier, abseits der eher strengen Versammlungsregeln, geschah etwas Unerwartetes: Es gelang den Befürwortern der Idee, die Zweifler langsam, aber sicher auf ihre Seite zu ziehen. Korbinian merkte dies und beendete das Essen daher bei Weitem nicht so schnell, wie er eigentlich beabsichtigt hatte. Er musste schmunzeln: Er hätte nicht gedacht, dass bereits einige andere – und ihre Zahl war nicht gering – auf seiner Seite waren.

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Es war ein eindeutiges Abstimmungsergebnis für Adinas Vorschlag. Korbinian war unendlich erleichtert – wenn Adina das erst hören würde!

Den Versammelten war die Erleichterung ebenfalls deutlich ins Gesicht geschrieben. Nach der Rückkehr ins Convenium hatte die Beratung nicht mehr lange gedauert. Die unverhofften Helfer hatten gute Vorarbeit für Korbinian geleistet. Eigentlich ging es nur noch um die Art und Weise, wie der Plan umgesetzt werden sollte, und nicht mehr wirklich darum, ob er überhaupt von der Versammlung angenommen würde. Aber es gab ja auch keine Alternative.

Korbinian ließ einen alten Rotwein ausschenken, dann stießen sie auf das Gelingen ihres Plans an. Und der sah so aus:

Es gab ein Netz aus Beobachtern, das das ganze Land überspannte, alles erfahrene Hexen und Zauberer. Das waren natürlich die anwesenden Teilnehmer der Ratsversammlung. Sie waren alle zu ihrer jährlichen Sitzung angereist, auf der eigentlich die neuen Lehrlinge ausgewählt werden sollten.

Außerdem gab es die wandernden Gesellen. Sie waren ebenfalls über das ganze Land verstreut und auf der Suche nach Arbeit, Erfahrung und – neuen Lehrlingen.

Schließlich gab es noch etliche Magier, die ohne besondere Aufgabe über das Land verstreut oder in Filitosa wohnten, und die Lehrlinge, die in Filitosa ihre Ausbildung absolvierten. Die Versammlung hatte sich geeinigt, alle Lehrlinge ab dem dritten Ausbildungsjahr bei der Suche mit einzusetzen.

Und all diese Hexen, Zauberer, Gesellen und Lehrlinge würden gemeinsam nach dem einen Lehrling suchen, den sie um jeden Preis bis zum übernächsten Vollmond gefunden haben mussten.

Filitosa lag etwa in der Mitte des Landes. Das bedeutete, dass man vom Dorf aus gesehen die Suche so durchführen konnte, wie sich die Zeiger einer Uhr drehten. Auf diese Weise würde kein Dorf, keine Stadt, kein Flecken ausgelassen.

Es sollten drei Ketten gebildet werden. Eine Kette würde bei 12, eine bei 4 und eine bei 8 Uhr mit der Suche beginnen und im Uhrzeigersinn vorwärts gehen. Jede Kette würde in einer festgelegten Reihenfolge zusammengestellt sein: immer zuerst ein älterer Zauberer oder eine Hexe, dann ein Geselle, dann wieder ein Magier, ein Lehrling, dann wieder von vorn. Auf diese Weise war immer rechts und links von einem Lehrling ein erfahrener Nachbar. Der Rest der Magier würde sich in Filitosa um die notwendigen Vorräte und die Vorbereitungen für die feierliche Aufnahme der neuen Lehrlinge kümmern.

Die Versammlung hatte sich eine Woche Zeit gegeben, um alle Magier zusammenzurufen. Daran sollten sich sieben Wochen Suche anschließen. Die neunte und letzte Woche vor dem übernächsten Vollmond war für die Reise des Lehrlings nach Filitosa vorgesehen.

Je länger die Magier über den Plan nachdachten, umso besser gefiel er ihnen. Korbinian hob die Versammlung auf und bat alle, in den Speisesaal zu gehen, denn diese Entscheidung musste gebührend gefeiert werden!

Aber bevor er selbst zur Feier gehen konnte, mussten noch ein paar Dinge erledigt werden.