Öffentliches Recht im Überblick

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c) Verwaltungsrecht (Kap. 4 und 5)

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Der dritte Block des Buches gilt dem Verwaltungsrecht, das zwei Kapitel umfasst. Damit wird die Grundstruktur des Verwaltungsrechts aufgegriffen, die sich in allgemeines und besonderes Verwaltungsrecht einteilen lässt. Zum allgemeinen Verwaltungsrecht, das den Gegenstand von Kapitel 4 bildet, gehören alle verwaltungsrechtlichen Grundregeln und -prinzipien, die (zumindest grundsätzlich)[3] unabhängig von der konkreten Verwaltungsmaterie – also „allgemein“ – gelten. Man kann das allgemeine Verwaltungsrecht auch als die „vor die Klammer gezogenen“ Regeln begreifen, während in der Klammer dann die einzelnen Gebiete des besonderen Verwaltungsrechts stehen. Zu diesen allgemeinen Regeln vor der Klammer gehören Grundfragen des Verwaltungsaufbaus und der Verwaltungsorganisation, die Verwaltungsprinzipien, das Verwaltungsinstrumentarium, die dafür geltenden Verfahrensregeln und – last but not least – das Verwaltungsprozessrecht.

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Das „innerhalb der Klammer“ stehende besondere Verwaltungsrecht umfasst demgegenüber nun die schier unübersehbare Fülle der verschiedenen Sonderregeln für die einzelnen Fachgebiete, auf denen Verwaltungshandeln stattfindet. Zu diesen Gebieten des besonderen Verwaltungsrechts gehören beispielsweise das Baurecht, das Beamtenrecht, das Eisenbahnrecht, das Luftverkehrsrecht, das Naturschutzrecht, das Polizeirecht, das Raumordnungsrecht, das Schulrecht, das Steuerrecht, das Straßenverkehrsrecht, das Wasserrecht, das Wehrrecht, usw. Es liegt auf der Hand, dass auch nur eine überblicksmäßige Darstellung aller Gebiete des besonderen Verwaltungsrechts jedes Buch – erst recht dieses hier – sprengen würde. Deshalb behandelt Kapitel 5 exemplarisch nur einige wenige Fachverwaltungsgebiete. Die Auswahl dieser Gebiete erfolgte anhand der Themenschwerpunkte juristischer Vorlesungen in Bachelor-Studiengängen: Wirtschaftsrecht für die Studierenden wirtschaftswissenschaftlicher Fächer, Planungsrecht für Studierende umwelt- und planungswissenschaftlicher Disziplinen sowie Kommunalrecht für Studierende mit politik-, verwaltungs- und sozialwissenschaftlicher Ausrichtung.

II. Standort des Öffentlichen Rechts

1. Jura ist überall!

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Eine besondere Faszination des Rechts besteht in seiner Allgegenwärtigkeit in allen Bereichen unseres Lebens. Von der Wiege bis zur Bahre, im Berufsleben wie im Privatleben, in Deutschland wie an jedem anderen Ort der Welt, stehen wir in Rechtsbeziehungen und nehmen viele rechtlich erhebliche Handlungen vor, ohne dass wir uns dessen bewusst wären. Natürlich weiß jeder, dass es etwas mit dem Recht zu tun hat, wenn man z.B. ein Bußgeld wegen überhöhter Geschwindigkeit bezahlen muss, eine Körperverletzung begangen hat, heiratet, ein Auto kauft, eine Arbeitsstelle antritt, in den Genuss einer Erbschaft gelangt, BAföG bekommt oder eine Gaststättenkonzession erhält.

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Doch noch viele andere Dinge sind rechtlich erheblich und geregelt, so z.B. wenn man getauft wird (Begründung der Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft, u.U. mit der späteren Folge einer Kirchensteuerpflicht), in die Schule kommt (Beaufsichtigungsvertrag, Erfüllung der Schulpflicht) und dort Zensuren erhält (behördliche Vorbereitungsmaßnahmen für einen Verwaltungsakt, nämlich die Versetzung bzw. Nichtversetzung), eine Zeitung am Kiosk kauft (drei Verträge: ein Kaufvertrag und jeweils ein Übereignungsvertrag für die Zeitung und das Geld), mit der Straßenbahn fährt (Beförderungsvertrag bzw. Erschleichen von Leistungen gem. § 265a StGB), als Autofahrer den befreundeten Fußgänger mit einer Hupe grüßt (Ordnungswidrigkeit) oder seine Schreibtischlampe brennen lässt (Höhe des Entgeltanspruchs des Elektrizitätswerks). Auch Ihre Arbeit mit diesem Buch hat vermutlich eine rechtliche Grundlage: Entweder haben Sie es gekauft (drei Verträge, s.o.), ausgeliehen (Leihvertrag) oder für Ihre persönliche Nutzung kopiert (urheberrechtlich relevante Vervielfältigung, die als Privatkopie gem. § 53 UrhG ausnahmsweise erlaubt ist).

2. Struktur der Gesamtrechtsordnung

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Mit dieser Allgegenwärtigkeit des Rechts ist natürlich eine nicht mehr zu überschauende Anzahl an Normen verbunden. Um dennoch sich einen gewissen Überblick über das System verschaffen zu können, werden die Normen in Rechtsgebieten systematisch gebündelt und damit in einer Gesamtstruktur erfasst. Eine mögliche Darstellung dieser Struktur sieht wie folgt aus:[4]

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Abbildung 2:

Struktur der Gesamtrechtsordnung


[Bild vergrößern]

a) Abgrenzung zwischen Zivilrecht und Öffentlichem Recht

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Die Kernunterscheidung der juristischen Teildisziplinen erfolgt zwischen dem Zivilrecht und dem Öffentlichen Recht. Das Zivilrecht erfasst die Rechtsnormen, die für die Rechtsverhältnisse zwischen Privatpersonen gelten; der Staat – jedenfalls in seiner Sonderrolle als Hoheitsträger – spielt hier keine Rolle. Deshalb könnte man in diesem Sinn das zentrale Gesetz des Zivilrechts, das BGB, auch mit „Bürger gegen Bürger“ übersetzen.[5] Der weit verstandene Begriff des Öffentlichen Rechts (i.w.S.) hingegen gilt für die Rechtsnormen, bei denen der Staat als Hoheitsträger ins Spiel kommt – sei es „unter sich“ (z.B. ein Konflikt von Staatsorganen), sei es im Verhältnis zum Bürger. In einer weiteren Begriffsdifferenzierung unterscheidet man zwischen dem Strafrecht, in dem der Staat besonders massiv in die Rechtssphäre des Bürgers eingreift (weshalb man hier das zentrale Gesetz, das StGB, funktional mit „Staat gegen Bürger“ übersetzen kann), und dem Öffentlichen Recht im engeren Sinn. Dieses engere Begriffsverständnis bezeichnet im allgemeinen Sprachgebrauch unter Juristen das Öffentliche Recht, weshalb auch in diesem Buch unter „Öffentlichem Recht“ stets das im engeren Sinn verstanden wird.

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Zur Abgrenzung von Zivilrecht und Öffentlichem Recht hat die Rechtswissenschaft verschiedene Theorien entwickelt.


Nach der Subordinationstheorie liegt öffentliches Recht vor, wenn das maßgebliche Rechtsverhältnis durch ein Über-/Unterordnungsverhältnis (statt einer Gleichordnung auf Augenhöhe) geprägt ist. Das ist der Fall, wenn eine Seite – z.B. eine Behörde – einseitig entscheidet.
Nach der Interessentheorie liegt öffentliches Recht vor, wenn der fragliche Sachverhalt im Allgemeinwohlinteresse (anstelle des Individualinteresses) liegt.
Und die Sonderrechtstheorie gelangt zum öffentlichen Recht, wenn auf mindestens einer Seite des Rechtsverhältnisses ein Hoheitsträger steht, der auf Grund eines Sonderrechtes handelt. Ein Sonderrecht ist eine Norm, die nicht jedermann, sondern nur Hoheitsträger zu einem bestimmten Handeln ermächtigt.

Die Abgrenzung ist immer nach allen drei Theorien vorzunehmen, weil nicht selten die einzelnen Theorien zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen.

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Beispiel:


So agieren zwei Gemeinden bei einem Vertragsschluss zum gemeinsamen Betrieb einer Kläranlage zwar auf Augenhöhe, also ohne Über-/Unterordnung. Aber zum einen liegt die Abwasserentsorgung im Allgemeininteresse und zum anderen nehmen die Gemeinden hier die hoheitliche Aufgabe der Abwasserentsorgung als Sonderrecht wahr, weshalb ihr Vertrag öffentlich-rechtlicher Natur ist.

b) Zwischen- und überstaatliche Ebene

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Sowohl dem Zivilrecht als auch dem Öffentlichen Recht (i.e.S.) lassen sich Rechtsgebiete auf zwischen- und übernationaler Ebene einerseits und auf nationaler Ebene andererseits zuordnen. So gibt es im Zivilrecht das „Internationale Privatrecht (IPR)“. Dabei handelt es sich um Normen des internationalen oder – anders als die etwas unglückliche Bezeichnung vermuten lässt – des nationalen Rechts, mit denen in grenzüberschreitenden Fällen geklärt werden kann, welches nationale Recht anzuwenden ist. Streitet sich z.B. eine deutsche mit einer österreichischen Schifffahrtsgesellschaft vor einem deutschen Gericht darüber, wer Eigentümerin eines kleinen Passagierschiffs ist, dessen Heimathafen in Romanshorn (CH) am Bodensee ist, gilt für diesen Rechtsstreit schweizerisches Recht. Denn Art. 45 I Nr. 2 EGBGB erklärt dafür das Recht des Heimathafens für maßgeblich.[7]

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Im Öffentlichen Recht gibt es auf der internationalen Ebene zum einen das Völkerrecht. Dieses umfasst die Rechtsnormen, die für die Rechtsverhältnisse unter den souveränen Staaten und Staatenverbindungen maßgeblich sind. Dazu gehören sowohl multilaterale Verträge wie die Charta der Vereinten Nationen, als auch bi- oder trilaterale Verträge von zwei oder drei Staaten wie z.B. Doppelbesteuerungs- oder Auslieferungsabkommen. In diesen Fällen gehen souveräne Staaten ohne Souveränitätsverzichte freiwillige Rechtsbindungen gegenüber anderen Staaten ein. Zum anderen gibt es das bereits angesprochene Europarecht, das wegen der Souveränitätsverzichte der EU-Mitgliedstaaten in den verschiedenen Europäischen Verträgen eine überstaatliche Rechtsbindung gegenüber den Mitgliedstaaten entfaltet (hierzu näher nachfolgend Kapitel 1).

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Das Strafrecht kennt als Normen des internationalen Rechts das Völkerstrafrecht, das jedoch nur einen sehr engen Anwendungsbereich hat. Denn dieses erfasst nur die „schwersten Verbrechen […], welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren“, also Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression (Art. 5 I IStGH-Statut). Für sonstige Strafdelikte gibt es keine unmittelbar geltenden Normen internationalen Rechts. Zwar existieren internationale Abkommen wie z.B. das Cybercrime-Abkommen,[8] die aber keine Strafbarkeitsnormen enthalten, sondern nur Verpflichtungen der Unterzeichnerstaaten, bestimmte Strafbarkeitsnormen zu erlassen. Auch ein internationales Kollisionsrecht gibt es im Strafrecht nicht. Vielmehr bestimmt jeder Staat seinen Strafanspruch durch seine nationale Strafrechtsordnung selbst. Das kann im Extremfall sogar zur Folge haben, dass ein Täter wegen derselben Tat in verschiedenen Ländern mehrfach bestraft werden kann (was innerstaatlich wegen Art. 103 III GG ausgeschlossen ist, sog. „ne bis in idem“).

c) Nationale Ebene

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Auf nationaler Ebene ist das Zivilrecht unstreitig das größte und praktisch wichtigste Teilrechtsgebiet. Grund dafür ist, dass nahezu alle Menschen fast täglich privatrechtlich aktiv sind (und sei es nur beim morgendlichen Kauf eines Pappbechers mit Kaffee oder beim Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel), was im Öffentlichen Recht und – gottseidank – erst recht im Strafrecht wesentlich weniger der Fall ist.

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Zum Zivilrecht gehört im deutschen Recht zunächst das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) mit seinen fünf Büchern, die die allgemeine Rechtsgeschäftslehre, Grundsätze des Vertragsrechts und einzelne Vertragstypen wie z.B. Kauf-, Miet-, Dienst- oder Werkvertrag, sachenrechtliche Kategorien wie Eigentum und Besitz, familienrechtliche Fragen wie Verwandtschaft, Ehe und Scheidung sowie das Erbrecht regeln. Hinzu kommen zahlreiche Nebengesetze, von denen nur wenige beispielhaft zu nennen sind: das Handelsgesetzbuch (HGB), das für den kaufmännischen Bereich besonders wichtig ist, das Urheberrechtsgesetz (UrhG), das Markengesetz (MarkenG), das Wohnungseigentumsgesetz (WEG) oder die Insolvenzordnung (InsO). Auch das Arbeitsrecht wird dem Zivilrecht zugeordnet.

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Das Öffentliche Recht umfasst auf nationaler Ebene im Schwerpunkt das Staats- und Verwaltungsrecht, wie das bereits im Zusammenhang mit dem Aufbau des Buches näher erläutert wurde (s.o., Rn. 8–11).

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Zum deutschen Strafrecht gehört vorrangig das als Kernstrafrecht bezeichnete Strafgesetzbuch (StGB), das (ähnlich wie im Verwaltungsrecht) einen allgemeinen und einen besonderen Teil kennt. Der allgemeine Teil regelt generelle, deliktsunabhängige Strafrechtskategorien wie die Versuchsstrafbarkeit, Formen der Täterschaft und der Teilnahme (Mittäterschaft, mittelbare Täterschaft, Anstiftung und Beihilfe), Notwehr und Notstand oder die Verjährungsvorschriften. Im besonderen Teil sind demgegenüber die einzelnen Strafdelikte in verschiedenen Deliktsgruppen jeweils näher beschrieben und mit Strafandrohungen versehen. So umfassen beispielsweise die „Straftaten gegen das Leben“ unter anderem den Mord, den Totschlag, die Tötung auf Verlangen, den Schwangerschaftsabbruch, die Aussetzung und die fahrlässige Tötung (§§ 211–222 StGB).

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Daneben gibt es noch zahlreiche Einzeldelikte, die nicht im StGB, sondern in verschiedenen Fachgesetzen enthalten sind. Hierzu zählen etwa die im Urheberrechtsgesetz geregelte strafbare Urheberrechtsverletzung (§§ 106–111 UrhG) oder die in der Abgabenordnung unter Strafe gestellte Steuerhinterziehung (§ 370 AO). Diese fachgesetzlich normierten Strafdelikte bezeichnet man zusammenfassend als Nebenstrafrecht, für das aber der allgemeine Teil des Kernstrafrechts ebenso gilt.

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Trotz zahlreicher dogmatischer Unterschiede[9] gehört zu einem weiteren Strafrechtsbegriff im Sinne eines Sanktionsrechts schließlich noch das Ordnungswidrigkeitenrecht, das vor allem im Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) geregelt ist. Vereinfacht gesagt betrifft dies die kleineren Regelverstöße, die der Staat zwar sanktioniert (hauptsächlich mit Geldbußen), ohne aber damit einen „sozialethischen Tadel“ mit Eintragung im Führungszeugnis zu verbinden – etwa wenn jemand das Auto falsch parkt oder zu schnell fährt.

d) Normenhierarchie

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Die große Vielfalt an Normen und Normgebern schlägt sich in einer fein ziselierten Rangordnung nieder, wobei eine höherrangige Norm eine niederrangige im Regelfall verdrängt (s.u., Rn. 210 f.) oder sogar unwirksam werden lässt.

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Die zentrale Abfolge der Hierarchiestufen orientiert sich daran, von welcher Ebene das Recht gesetzt wird: Ganz oben steht das dem nationalen Recht übergeordnete Recht der Europäischen Union als supranationalem Staatenverbund (weshalb dieses Buch auch mit diesem Rechtsgebiet beginnt). Darunter kommt das nationale Bundesrecht, das seinerseits dem Landesrecht (zumindest im Normalfall)[10] übergeordnet ist (vgl. Art. 31 GG: „Bundesrecht bricht Landesrecht“). Ganz unten steht schließlich das autonome Recht, das von Selbstverwaltungsträgern wie Kommunen, Universitäten oder Kammern im Rahmen ihres Selbstverwaltungsbereichs in Satzungsform erlassen wird. Hierzu zählen z.B. kommunale Bebauungspläne (§ 10 I BauGB) oder Hochschulprüfungsordnungen (§ 32 III LHG BW).

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Innerhalb des Unionsrechts, des Bundesrechts und des Landesrechts ist zusätzlich jeweils eine dreistufige Binnenhierarchie zu beachten.


Ganz oben steht dabei in allen drei Fällen das Verfassungsrecht, das in der EU „Primärrecht“ (s.u., Rn. 170 ff.) genannt wird. Auf Bundesebene handelt es sich um das Grundgesetz und in den Ländern um die jeweilige Landesverfassung.

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Auf der zweiten Stufe folgt das von den Gesetzgebungsorganen im dafür vorgesehenen Verfahren erlassene Gesetzesrecht. Im Unionsrecht nennt man dieses Recht „Sekundärrecht“ (s.u., Rn. 191 ff.), das durch die im Primärrecht geschaffenen und mit Kompetenzen ausgestatteten Gesetzgebungsorgane der EU erlassen wird und v.a. Richtlinien und Verordnungen umfasst. Im Bundes- und Landesrecht spricht man vom „formellen Gesetzesrecht“ oder – weil es von den Parlamenten verabschiedet wird – auch von „Parlamentsgesetzen“ (s.u., Rn. 498 ff.). Eine Besonderheit stellen im Bundesrecht die „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ dar, die als Bestandteil des Bundesrechts angesehen werden und im Rang den formellen Bundesgesetzen vorgehen (Art. 25 GG).

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Darunter folgt das von der Exekutive erlassene Aus- und Durchführungsrecht. Auf EU-Ebene handelt es sich um das Tertiärrecht (s.u., Rn. 205 ff.), das die EU-Kommission nach näheren Vorgaben des Sekundärrechts in Kraft setzt (Art. 290 AEUV). Auf Bundes- und Landesebene spricht man von Rechtsverordnungen, die ebenfalls einer formell-gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedürfen. Darin müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß für die Rechtsverordnung vorgegeben werden, wodurch der formelle Gesetzgeber den Verordnungsgeber an einer „kurzen Leine“ hält (Art. 80 I 2 GG, 61 I 2 LV BW). Auf Bundesebene können auf diesem Weg die Bundesregierung, einzelne Bundesministerien und die Landesregierungen ermächtigt werden (Art. 80 I 1 GG), während auf Landesebene neben der Landesregierung und den einzelnen Landesministerien auch untergeordnete Behörden (z.B. Regierungspräsidien, Landratsämter, Kommunen) mit dem Erlass einer Rechtsverordnung betraut werden können (z.B. Art. 61 I LV BW). In allen Fällen ist damit eine (begrenzte) Durchbrechung des Gewaltenteilungsgrundsatzes verbunden, weil danach eigentlich nur die Legislative für die Rechtssetzung zuständig wäre. Dies rechtfertigt sich dadurch, dass nachgeordnete Details aufgrund tatsächlicher Veränderungen häufig auch rechtlich kurzfristig geändert werden müssen, wofür das formelle Gesetzgebungsverfahren zu schwerfällig und zeitraubend wäre. Außerdem dient das Delegationsinstrument der Entlastung der Gesetzgebungsorgane von weniger bedeutender Detailarbeit, damit sie sich auf die wesentlichen Fragen konzentrieren können.

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Die unterste Stufe bildet schließlich das autonome Recht. Dabei handelt es sich um Normen rechtlich eigenständiger, dem Staat aber unter- und eingeordneter Rechtsträger wie v.a. die Kommunen, aber auch Hochschulen oder Industrie- und Handelskammern. Diese Vorschriften werden als Satzungsrecht erlassen und umfassen beispielsweise Bebauungspläne oder Prüfungsordnungen.

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Folgende Grafik soll diese insgesamt elf Rangstufen des Normenhierarchiesystems zusammenfassen und verdeutlichen:

Abbildung 3:

Normenhierarchie


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Anmerkungen

[1]

Ich weiß, es gibt natürlich auch Jura-Anfängerinnen und Nichtjuristinnen. Dennoch hoffe ich auf Nachsicht und Verständnis bei meinen Leserinnen dafür, dass ich keine uneingeschränkt „gegenderte“ Sprache verwende. Wo es sinnvoll möglich ist, versuche ich geschlechtsneutrale Begriffe („Studierende“, „Person“) zu verwenden. Ansonsten aber hänge ich noch der alten Schule an, wonach das „generische Maskulinum“ beide Geschlechter meint. Die Alternative der sogenannten „Paarformeln“, also die Nennung sowohl der männlichen als auch der weiblichen Form, macht die fachlich schon genug anspruchsvollen Texte nur noch unübersichtlicher und schwerer lesbar. Leider setzt sich diese sprachliche Verkomplizierung auch in der Gesetzgebung zunehmend durch, so z.B. bei Art. 34 der schleswig-holsteinischen Landesverfassung, der das Ende der Amtszeit von Regierungsmitgliedern regelt:

 

(1) Das Amt der Ministerpräsidentin oder des Ministerpräsidenten und der Landesministerinnen und Landesminister endet mit dem Zusammentritt eines neuen Landtages, das Amt der Landesministerinnen und Landesminister auch mit dem Rücktritt oder jeder anderen Erledigung des Amtes der Ministerpräsidentin oder des Ministerpräsidenten.

(2) Endet das Amt der Ministerpräsidentin oder des Ministerpräsidenten, so sind sie oder er und mit ihr oder ihm die anderen Mitglieder der Landesregierung verpflichtet, die Geschäfte bis zum Amtsantritt der Nachfolgerinnen oder der Nachfolger weiterzuführen. Auf Ersuchen der Ministerpräsidentin oder des Ministerpräsidenten hat eine Landesministerin oder ein Landesminister die Geschäfte bis zur Ernennung einer Nachfolgerin oder eines Nachfolgers weiterzuführen.

[2]

Beispielsweise durch die große Schuldrechtsreform von 2002, die ganz wesentlich auf die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie (RL 1999/44/EG) zurückgeht, oder durch diverse Verbraucherschutzrichtlinien (z.B. RL 2011/83/EU).

[3]

Achtung! Wenn ein Jurist das Wort „grundsätzlich“ verwendet, ist nicht gemeint, dass etwas besonders wichtig oder bedeutsam ist. Im Gegenteil: Das juristische „grundsätzlich“ stellt eine erhebliche sprachliche Abschwächung der damit verbundenen Aussage dar, weil es so viel bedeutet wie „in der Regel“ oder „im Normalfall“ und damit Raum für Ausnahmen eröffnet. Bei manchen Grundsätzen besteht gar mehr Anwendungsraum für Ausnahmen als für den Grundsatz selbst. Im hier verwendeten Kontext möchte ich mit der Einschränkung „grundsätzlich“ andeuten, dass es durchaus eine Reihe von (besonderen) fachverwaltungsrechtlichen Normen gibt, mit denen Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts für dieses Fachverwaltungs-Rechtsgebiet modifiziert werden. Ein besonders trauriges Beispiel dafür bildet das Planfeststellungsrecht, das in §§ 72 ff. VwVfG eigentlich allgemein geregelt und zugleich in vielen Fachplanungsrechtsgebieten in geänderter Form enthalten ist (z.B. §§ 43a ff. EnWG, 17a ff. FStrG, 18a ff. AEG). Als offizielles Argument wird regelmäßig auf angebliche fachspezifische Sonderkonstellationen verwiesen. Wesentlich wahrscheinlicher ist aber, dass die verschiedenen Fachverwaltungen hier – zumindest zu einem wesentlichen Teil – auch ihre Fachegoismen ausleben und ihr „eigenes“ Planfeststellungsrecht haben wollen. Denn für das allgemeine Planfeststellungsrecht sind mit der Innenverwaltung in der Regel andere Behörden zuständig, als etwa in der Umwelt- oder Verkehrsverwaltung.

[4]

Natürlich gibt es auch andere Modelle für die Darstellung der Gesamtrechtsordnung, vgl. etwa Katz/Sander, Staatsrecht, Rn. 17/Schaubild 2.

[5]

Was natürlich nicht wirklich korrekt ist; das BGB ist das Bürgerliche Gesetzbuch.

[6]

Ausführliche Erläuterungen und Beispiele zu den Abgrenzungstheorien zwischen Zivilrecht und Öffentlichem Recht finden Sie bei Haug, Fallbearbeitung, Rn. 12 ff.

[7]

Das in Deutschland geltende IPR findet sich im EGBGB, in einzelnen völkerrechtlichen Übereinkommen und immer häufiger in EU-Verordnungen.

[8]

Das „Übereinkommen über Computerkriminalität“, das am 23.11.2001 in Budapest verabschiedet wurde, findet man z.B. unter <http://conventions.coe.int/treaty/ger/treaties/html/185.htm> (3.11.2020) oder in BR-Drs. 666/07; Erläuterungen hierzu gibt es auch bei Haug, Internetrecht, Rn. 308 ff.

[9]

Besonders auffällig ist der Unterschied in der Bearbeitungszuständigkeit: Während für Straftaten die Strafjustiz mit Staatsanwaltschaft und Strafrichter zuständig sind, werden bei Ordnungswidrigkeiten „nur“ Verwaltungsbehörden (in der Regel kommunale Ordnungsämter) tätig.

[10]

Seit der Föderalismusreform I von 2006 gibt es eine bedeutende Ausnahme von diesem Prinzip, nämlich die sog. „Abweichungsgesetzgebung“ gem. Art. 72 III GG; danach dürfen die Länder in einigen Themenfeldern vom Bundesrecht abweichen, so dass dann dort das Landesrecht dem Bundesrecht zumindest solange vorgeht, bis der Bund seinerseits wieder eine neue Regelung schafft (s.u., Rn. 490).