Monstermauern, Mumien und Mysterien Band 3

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Einige kurze, kritische Anmerkungen seien gestattet: Ob aus Sicht der Chachapoyas der Unterschied zwischen Grabräubern und Wissenschaftlern wirklich so eklatant ist, wie wir uns das einreden? Die Toten wurden von wagemutigen Kletterkünstlern oftmals unter Lebensgefahr an möglichst unzugänglichen Steilwänden in Felsspalten zur letzten Ruhe gebettet: in Sarkophagen in Menschengestalt, manchmal auch in Holzsärgen. Bis zu ihrer Wiedergeburt sollten die Toten in Ruhe gelassen werden. Ohne Zweifel sind Grabräuber aus Sicht der Chachapoyas böse Frevler, denen nichts heilig ist. Ich glaube nicht, dass die Chachapoyas einen Unterschied zwischen Dieben und Wissenschaftlern gemacht hätten. Für sie waren sie alle Plünderer: jene, die wertvolle Schätze finden und verkaufen wollen und jene, die die Mumien aus wissenschaftlicher Neugier und mit Pedanterie sezieren. Dabei dürfte es keine Rolle spielen, dass Archäologen meinen, sorgsamer mit den Toten umzugehen. Die Ausstellung eines Verstorbenen im wohl klimatisierten Museum in einer gläsernen Vitrine entspricht mit Sicherheit nicht der Vorstellung der Chachapoyas vom würdevollen Umgang mit Verstorbenen. Und die »Zwischenlagerung« der Toten in einem klimatisierten Depot hätte die Chachapoyas sicher entsetzt.

Einst standen Särge in Menschengestalt in Felsenklippen, stolz, aber auch irgendwie drohend. In ihrem Leib lagen Mumien, oft in Embryohaltung, als warteten sie darauf, erneut in die Welt der Lebenden geboren zu werden.

3. Der unheimlichste Friedhof der Welt

Auf dem Friedhof von Chauchilla sollen, so hörte ich immer wieder, Zombies ihr Unwesen treiben. Für mich ist er der Unheimlichste seiner Art. Hier könnte die eine oder andere Folge von Horror-Serien wie »Ash vs. Evil Dead« gedreht werden. Besonders abends oder nachts sollten Ängstliche den wirklich unheimlichen Ort meiden.

Einst war die mysteriöse Hochebene von Nazca nur eine trostlose Einöde, in die sich Touristen so gut wie nie verirrten. Die gewaltigen, in den Erdboden gescharrten Zeichnungen und »Landebahnen« interessierten allenfalls einige wenige Experten.

Maria Reiche (geboren am 15. Mai 1903 in Dresden, verstorben am 8. Juni 1998) hat einen Großteil ihres Lebens in Nazca verbracht. Sie kämpfte wie eine Löwin für die Bewahrung der uralten Riesenbilder in der Wüste. Ihr ist es zu verdanken, dass sie nicht schon längst unwiderruflich zerstört worden sind, etwa von »Sportlern«, die in der Wüste von Nazca Autorennen veranstalteten und in zwei Jahren größere Schäden anrichteten als die Unbilden der Natur in zwei Jahrtausenden.

Auch Maria Reiche lenkte nicht die Aufmerksamkeit der Welt auf das Mysterium von Nazca. Das änderte sich aber anno 1968 schlagartig! Damals erschien das erste Buch eines Schweizers, der zum erfolgreichsten Sachbuchautor der Welt wurde! Seit Erich von Dänikens Weltbestseller »Erinnerungen an die Zukunft« ist die riesige Ebene von Nazca zu einer Touristenattraktion geworden. Unzählige Menschen strömen in das winzige Wüstendorf. Es gibt Hotels, sogar einen kleinen Flugplatz. In kleinen Propellermaschinen kann man das Wunder von Nazca wirklich erleben: aus der Luft! Mit Begeisterung fliegt man über eines der größten Geheimnisse, die unsere Erde zu bieten hat.

Nur aus der Vogelperspektive sind gewaltige Scharrzeichnungen auszumachen. Da gibt es welche von Tieren unvorstellbaren Ausmaßes. Selbst kleinste anatomische Einzelheiten sind zu erkennen, wie etwa bei einer wirklichen »Riesenspinne«. Selbst aus Weltraumstationen machten Astronauten die imposanten »Bahnen« aus, die im Nichts beginnen und sich kilometerweit erstrecken. Sie laufen schnurgerade durch die Wüste laufen und enden ebenso abrupt wie sie begonnen haben.

Wer schon einmal das Geheimnis von Nazca vom Flugzeug aus studiert hat, der kommt nicht umhin zuzugeben, dass Däniken mit seiner Hypothese Recht haben könnte. Vielleicht sollten Linien und Tierbilder tatsächlich die fliegenden Götter der Vorzeit zur Rückkehr zur Erde bewegen.


Gruselig …

Doch während heute zur Freude der Einheimischen zahlreiche Touristen von den Riesenbildern angelockt nach Nazca kommen, gibt es ein anderes, ein düsteres Geheimnis, über das viele Menschen vor Ort allenfalls nur zu flüstern wagen! Nur wenige Kilometer von Nazca entfernt soll es Zombies gegeben haben. Untote sollen die Lebenden in Angst und Schrecken versetzt haben! Wer das Vertrauen alteingesessener Menschen gewinnt, so schwer das auch ist, dem erzählen sie hinter vorgehaltener Hand Geschichten über den »Ort des Schreckens«. Heute sind es nur noch sehr wenige Wissende, die die alten Überlieferungen kennen. Ich glaube, es sind weit mehr Menschen in das Mysterium eingeweiht. Die meisten schweigen wie das sprichwörtliche Grab.

Morgen oder übermorgen werden die gruseligen Überlieferungen in Vergessenheit geraten sein. Schließlich leben wir doch in einer »aufgeklärten« Zeit. Für alten Aberglauben haben wir doch keine Zeit mehr. Oder verdrängen wir lediglich einen Teil der Wirklichkeit, nur weil wir manches nicht zu erklären vermögen? Bilden wir uns nur ein, »alles« zu wissen und leugnen penetrant eine fremdartige Realität?

Dabei ist der unheimliche Friedhof sehr einfach zu finden. Er liegt nicht verborgen irgendwo im Urwald, sondern offen in der Wüste! Man fährt vom Städtchen Nazca auf der legendären Panamericana Richtung Lima. Vier Kilometer hinter Nazca geht ein Weg ab. Folgt man ihm, dann erreicht man nach knapp fünfzehn Kilometern den »Cementario von Chauchilla«, den »Friedhof von Chauchilla«. Die Bezeichnung »Friedhof« ist allerdings für Europäer und Amerikaner höchst irreführend. Bei einem »Friedhof« erwartet man Gräber mit steinerner Umrandung und massivem Grabstein. Die Namen der Toten, Geburts- und Sterbedaten sind verzeichnet. Zu Ehren der Toten werden Blumen und Kränze niedergelegt. Dergleichen gibt es in Chauchilla aber nicht.

Wie groß mag das Areal von Chauchilla ursprünglich gewesen sein? Wir wissen es nicht. Die Wüste hat im Laufe der Jahrtausende die Bestattungsfelder wieder verschlungen. Einst wurden hier auf einigen Quadratkilometern Tausende, wahrscheinlich sogar Zehntausende begraben. Wer waren die Toten? Mit Sicherheit vermag das heute niemand mehr zu sagen. Einig sind sich die Archäologen freilich in der Datierung. Sie kamen zu verblüffenden Ergebnissen! Die ersten Toten wurden vor »mehreren Jahrtausenden« beerdigt. Sie wurden also lange vor der Inka-Zeit bestattet. Welcher Kultur gehörten sie an? Wurde die uralte Zivilisation bereits von Vorgängern der Inkas vernichtet? Oder gab es sie noch zu den Zeiten der Inkas?

Hier sollen hier auf dem Friedhof von Chauchilla Zombies ihr Unwesen treiben. Zombies? Der Glaube an aus dem Reich der Toten zurückkehrende Wesen war einst in Südamerika weit verbreitet. Der österreichische Gelehrte Prof. Hans Schindler: »Mit der Christianisierung wurden Zombieüberlieferungen weitestgehend verdrängt und durch die neue Glaubenslehre ersetzt. Im Christentum ist kein Platz für solche Kreaturen der Nacht! Offiziell kennt keiner mehr die Furcht einflößenden Überlieferungen.« Im Volksglauben haben sie sich freilich bis in unsere Tage erhalten. Nicht nur unter Grabräubern. Auch unter Grabwächtern. Nicht nur in Chile, sondern auch in Peru!

Auch hier waren und sind bis in unsere Tage Grabräuber aktiv. Hunderte Ruhestätten wurden nach und nach entdeckt und mit pietätloser Gewalt geöffnet und geplündert. Höchst pietätlos ging man mit den ausgebleichten Gebeinen um. Man warf sie auf der Suche nach Grabbeigaben aus den Gräbern, wo sie oft liegen blieben. Grabräuber mit etwas mehr Taktgefühl begruben die sterblichen Überreste wieder.


… die Toten …

Wer heute über den staubigen Friedhof geht, stellt schaudernd fest, dass überall Knochen und Knochensplitter herumliegen, von Menschen, die hier einmal lange vor der Zeit der Inka zur letzten Ruhe gebettet worden waren. Immer noch werden Gräber entdeckt, die den schatzsuchenden Plünderern entgangen waren. Einige davon hat man geöffnet und nicht wieder zugeschüttet. In hockender Stellung kauern die Toten darin. Ihre Leiber – wohl nur noch Skelette - sind in einfache Gewänder gehüllt. Manche sehen wie gefesselt aus. Ihre Totenschädel liegen, manchmal seltsam schief, auf den Schultern. Am besten sind die Haare erhalten.

Prof. Hans Schindler zum Verfasser: »Früher wurde der Friedhof von Chauchilla bewacht, weil sich die Menschen vor Zombies fürchteten. Sie nahmen an, dass die Toten in die Welt der Lebenden zurückkehren, als lebende Leichen nur von Rachegefühlen beseelt!« Sie suchten angeblich, so Prof. Hans Schindler, jene auf, die sie für ihren Tod verantwortlich machten. Oder die Nachkommen ihrer Mörder. Oder solche Menschen, die ihre Ruhe gestört hatten.

Jahrelang erforschte Prof. Hans Schindler archäologische Stätten in Südamerika. Er gewann er das Vertrauen auch von Menschen, die sonst niemandem ihr Wissen über die Kreaturen der Nacht anvertrauten. Sie erzählen ängstlich um sich blickend leise flüsternd über Zombies. Besonders häufig sollen diese Furcht einflößenden Geschöpfe direkt beim Friedhof des Schreckens aufgetreten sein. Noch 1992 wurden dem Verfasser unheimliche Stories bestätigt, die als Vorlagen für einen Horrorfilm bestens geeignet wären.

Im September des Jahres 1913 waren wiederholt einige Jugendliche nachts auf den Cementario geschlichen, um Gräber zu öffnen und zu plündern. Sie hofften weniger auf Keramiken als auf Gold. Mehrfach hatten sie vergeblich nach wertvollem Schmuck gesucht, als eine gespenstische Erscheinung die jungen Männer so sehr in Angst und Schrecken versetzte, dass sie sich bis ans Ende ihrer Tage nie mehr auch nur in die Nähe des antiken Friedhofs wagten. Sie waren überzeugt, von Zombies vertrieben worden zu sein. Die Toten seien in die Welt der Lebenden zurückgekehrt, um die Menschen daran zu hindern, weiterhin die uralten Grabstätten zu schänden.

 

Die drei jungen Burschen hatten begonnen, ein Loch auszuheben. Sie hatten eine Stelle ausgewählt, in deren Nähe sie schon mehrere Gräber entdeckt hatten. Bislang hatten sie allerdings die erhofften Schätze nicht gefunden, nur gut erhaltene Skelette in morsches Leinen gehüllt und einige Keramiken. Ihr Loch war schon mehr als mannstief, da vernahmen sie ein undefinierbares Geräusch. Sofort hörten die jungen Männer auf zu graben. Als sie aus dem Loch lugten, machten sie in einiger Entfernung so etwas wie ein Licht aus. War man ihnen auf die Schliche gekommen? Das Licht, zunächst mehrere hundert Meter entfernt, kam immer näher. Die Gestalt war in einen langen Umhang gehüllt und trug eine flackernde Laterne. Als sich der Wind drehte, meinten die Grabräuber den Geruch von Moder wahrzunehmen und das Klappern von Knochen zu hören. Schließlich schien das Wesen sie entdeckt zu haben und kam auf ihre Grube zu. Es ächzte und stöhnte dabei.

Vor Angst wie gelähmt beteten die drei Burschen um himmlischen Beistand. Die Kreatur blieb stehen. Im Mondlicht war nun zu erkennen, dass sie nicht das Gesicht eines lebenden Menschen hatte, sondern die grinsende Fratze eines Totenschädels. Langsam hob der Zombie einen Arm und deutete mit seiner Knochenhand in Richtung der zitternden Schatzsucher. Der Zombie - und nichts anderes konnte das Wesen nach Ansicht der Männer in der Grube sein – drehte sich um und gab einen heulenden Laut von sich. Da erhoben sich in einiger Entfernung zwei, drei ähnliche Gestalten und wankten zielstrebig in Richtung der Grabräuber. Hatte ihr letztes Stündlein geschlagen? Die Gestalten näherten sich ihnen. Waren sie den Zombies hilflos ausgeliefert? Konnten sie mit ihren einfachen Werkzeugen die Kreaturen der Nacht abwehren? Plötzlich wich die von Angst verursachte Starre von ihnen. Sie sahen nur eine Chance: Flucht vor den Unheimlichen. In Rekordgeschwindigkeit verließen die jungen Männer das Erdloch und rannten so schnell wie noch nie im Leben davon. Ihre Werkzeuge ließen sie zurück.

Einer von ihnen blickte aus sicherer Entfernung noch einmal zurück. Vier Zombies starrten in das Loch, das die Burschen ausgehoben hatten. Hinter ihnen stand der Vollmond tief am Himmel, hinter den unheimlichen Wesen. Für Sekunden meinte der entsetzte junge Mann erkennen zu können, dass es lebende Leichen waren, wandelnde Skelette, an deren Knochen Reste von mumifiziertem Fleisch hingen: Untote aus dem Zwischenreich.

Der kompetente Prof. Hans Schindler zum Verfasser: »Für viele Menschen aus Chauchilla waren die jugendlichen Grabräuber von Zombies vertrieben. Als moderner Wissenschaftler darf ich an eine solche Erklärung nicht glauben. Gibt es eine bessere, eine natürliche?«

Tatsächlich liegt eine realistischere Lösung auf der Hand. Aber entspricht sie auch der Wahrheit, oder nur modernem Wunschdenken, das Mysteriös-Unheimliches nicht zulassen mag? Der Friedhof von Chauchilla wird schon seit Jahrzehnten von professionellen Grabräubern heimgesucht, die mit den Archäologen eine Art Wettkampf austragen. Waren vielleicht die »Zombies« nichts anderes als Grabräuber, die sich unliebsame Konkurrenz vom Leibe halten wollten? Das wäre eine auch für moderne Menschen der Jetztzeit akzeptable Lösung.

Tatsächlich sind auch heute noch Grabräuber im dem weiten Areal aktiv. Es fehlt an finanziellen Mitteln für archäologische Ausgrabungen. Eine Rund-um-die-Uhr-Bewachung des weitläufigen Geländes mitten in der Wüste ist nicht finanzierbar. Außerdem schrecken viele Einheimische davor zurück, nachts auch nur in die Nähe des mysteriösen Friedhofs zu gehen. Dann werden die Grabräuber aktiv. Man kann sie auch am Tage antreffen. Auf den ersten und zweiten Blick sind sie nicht von Archäologen zu unterscheiden. Sie hoffen auf Grabbeigaben und graben systematisch nach weiteren Mumien, die vor Jahrtausenden der Wüste anvertraut wurden.

Wer heute das Gräberfeld von Chauchilla aufsucht, fühlt sich in eine andere, höchst fremdartige Welt versetzt. Absolute Windstille und scharfe Windböen wechseln einander ab. Der Boden blitzt weißlich auf – im gleißenden Sonnenlicht ebenso wie nachts bei Vollmond. Unzählige Gräber sind geöffnet. Ihre »Bewohner« hocken, mit eng an den Leib gezogenen Beinen, tief unten in den Gruben. Schaut man näher hin, dann erkennt man, dass die Körper in sackartigen Gewändern stecken. Manchmal halten schmale zusätzliche Stoffbahnen die »Bekleidung« der Mumien zusammen, manchmal sind es sauber gearbeitete Seile.


… von Chauchilla

Je nach Stand des Toten ist der Stoff grob oder fein. Auch die Toten unterscheiden sich. Arm und Reich wurden aber offenbar nebeneinander beigesetzt. Wahrscheinlich wurden unzählige Arme einfach im trockenen Wüstenboden verscharrt. Reicheren gewährte man »Grabkammern« aus getrockneten Ziegeln. Es gab aber offenbar keine separaten Friedhöfe für Arme und Reiche.

Die Totenschädel wurden nicht in Stoff gehüllt, sondern auf die Knochensäcke gesetzt. War das schon immer so? Oder haben die Ausgräber die Schädel aus den Leichensäcken geholt? Archäologen, die ich befragte, verneinten das. Die Gebeine sollten durch die sackartige Umhüllung zusammengehalten werden. Kein Knochen sollte verloren gehen. So und nur so konnte es ein Leben nach dem Tode geben. Die Schädel aber mit dem prachtvollen Haar wollte man nicht zu den übrigen Knochen in die Säcke stecken. Die Toten sollten in stolzer Haltung die Reise von unserer in die andere Welt antreten.

Die Mumien von Chauchilla wurden, wie die von Chile, nicht präpariert wie ägyptische. Man hat auch nicht ihre Innereien entfernt. Vielmehr trockneten die Körper im heißen Wüstensand aus.

Erstaunlich gut erhalten sind diese uralten Stoffe. Auch die groben sind manchmal mit besonderer Sorgfalt gewebt. Es kommt mir so vor, als hätten Arme ihren Verstorbenen besonders liebevoll gewebte Stoffe umgelegt. Wenn sie schon teure Ware nicht leisten konnten, so sollten doch die »groben» Stoffe so sorgsam wie nur möglich gearbeitet sein.


Uralte Stoffe aus Gräbern

Wirklich krass ist der Kontrast zwischen den ausgebleichten Schädeln und dem Haaren, die wie dichte Perücken auf den Häuptern der Toten sitzen. Zu Lebzeiten müssen die Menschen prachtvolle Mähnen gehabt haben. Es sind die echten Haare der Toten, die zum Teil Jahrtausende im Wüstenboden auf ihre Auferstehung gewartet haben. Die Rückkehr ins Reich der Lebenden dürften sie sich vollkommen anders vorgestellt haben, als von Grabräubern oder Archäologen ans Tageslicht gezerrt zu werden.

Kilometerweit liegen heute auf dem riesigen Areal von Chauchillo Knochensplitter unterschiedlichster Größe verstreut, zu Hunderttausenden, nein zu Millionen.

Wie alt mögen die Knochen sein? Mir wurde glaubhaft versichert, dass noch vor wenigen Jahrzehnten Tote auf dem Friedhof von Chauchilla beigesetzt wurden. Was will man den Toten wünschen, ob sie vor einigen Jahrzehnten oder einigen Jahrtausenden beigesetzt wurden? Endet unsere Pietät nach einiger Zeit?

4. Warum ich von »Zombies« träumte

Die aschfahle Scheibe des mitternächtlichen Vollmonds steht tief über der gespenstischen Wüstenlandschaft Chiles. Der pechschwarze Himmel lässt unzählige Sterne heller erscheinen als sonst wo auf der Welt. Kein Baum ist zu sehen, kein Strauch unterbricht die Monotonie. Mit etwas Phantasie kann man sich auf den Mond versetzt fühlen.

Der weißgelbliche Staub macht mir das Gehen schwer. Die kalte Luft beißt in den Lungen. Längst habe ich die Orientierung verloren. Liegt die Straße jetzt rechts von mir oder hinter mir? Immer wieder stolpere ich über scharfkantige Felsbrocken. Ein-, zweimal stürze ich in den festgebackenen Wüstensand, irgendwo im Niemandsland zwischen Iquique und Patillos.

Die Strahlenfinger unserer Taschenlampen tasten sich durch die Dunkelheit. Sie springen umher. Sie tasten sich ruckartig durch die Schwärze der Nacht. Von irgendwo ertönt so etwas wie ein anhaltendes grelles Hupen. Oder ist es eine Polizeisirene? Wir schalten wie auf Kommando unsere Taschenlampen gleichzeitig aus. Pedro lacht. »Wenn man dich hier erwischt, wirst du sicher nach einigen Wochen oder Monaten abgeschoben.«, hatte mir vor einigen Stunden Pedro im Auto erklärt. »Aber bis es so weit ist, sitzt du in Untersuchungshaft. Und unsere Gefängnisse hier sind wirklich keine Hotels!« Ich habe erst gar nicht versucht, mir ein Bild von den Zuständen in den örtlichen Haftanstalten zu machen. »Die meisten Polizisten gehen mit Grabräubern eher nachsichtig um. Weil die meisten von ihnen den einen oder den anderen Verwandten haben, der auf diese illegale Weise sein Geld verdient. Und manche Polizisten sind selbst im Gewerbe. Aber auf Gringos, die unsere Erde durchwühlen, reagieren sie oft allergisch.«

Pedro, der Anführer, bleibt plötzlich unvermutet stehen. In Spanisch raunt er seinen vier Gehilfen Befehle zu. Pedro bückt sich sucht nach einem Zeichen. Er findet es. Ein »Späher« hat es am Tag in einen Stein geritzt. Hier müsste etwas zu finden sein, glaubt man dem Späher. Der arbeitet nur am Tag, wird prozentual an den Dollars beteiligt, die Funde bei reichen Sammlern einbringen.

Wortlos fangen sie an zu arbeiten. Die Routine von professionellen Grabräubern ist ihnen anzumerken. Stählerne Pickel fressen sich verbissen durch im Laufe von Jahrtausenden von der gnadenlosen Sonne zu einem zementharten Panzer verbackenen Wüstenboden. Die Kruste knirscht, bricht, platzt auf. Schnell ist sie aufgebrochen. Die Pickel werden zur Seite gelegt. Ruhig greifen die Männer zu Schaufeln. So bedächtig und gleichmäßig sie arbeiten, so schnell kommen sie doch voran.

Ich setze mich ein wenig abseits des Geschehens auf einen größeren Felsbrocken. Langsam fange ich an zu frieren. Wenn ich doch fotografieren dürfte. Das würde mich ablenken. Aber »No fotos!« hat es geheißen. An das mit strenger Stimme immer wieder vorgebrachte Verbot halte ich mich natürlich. Mir ist kalt. Und ich muss zugeben: Angst habe ich auch. Gesetzt den Fall, die Herren Grabräuber würden mir mit einem ihrer Werkzeuge den Schädel einschlagen und meinen Leichnam irgendwo verscharren? Wer weiß, ob man meine Gebeine je finden würde?


Sammler kaufen Grabbeigaben aller Art

Pedro gesellt sich zu mir. In erstaunlich gutem Deutsch erzählt er mir, dass er als Hausdiener bei einer reichen Familie in Santiago arbeitet. »Bei den Herrschaften habe ich die Sprache der Germans erlernt!« Er setzt sich neben mich, bietet mir einen Schluck Pisco aus einem metallenen Flachmann an. Das hochprozentige Getränk wärmt und vertreibt die Angst. Es scheint sich aber auch schmerzhaft durch die Magenwände fressen zu wollen. Ich atme die kalte Luft hastig ein. Der brennende Schmerz lässt nach. Die Kälte kehrt zurück.

Etwa gegen zwei Uhr morgens macht sich Aufregung bei den Grabräubern bemerkbar. Nervös, mit fahrigen Händen, zündet sich Pedro eine Zigarette an. »Hörst du, der Klang der Schaufeln hat sich geändert! Meine Freunde werden gleich auf einen Hohlraum stoßen! Das höre ich ganz deutlich!« Ob sich Pedro nur wichtigmachen möchte?

Tatsächlich bricht nach einigen Minuten verhaltener Jubel aus. Pedro und ich nähern uns hastig dem Loch. Schwarze Leere lässt fast ein wenig schaudern. Mir ist, als stünde ich vor einem gefährlichen Schlund. Wie tief mag er sein? Zwei Meter? Oder sind es drei? Die Männer können in der kurzen Zeit nicht so viel gegraben haben. Sie sind offenbar auf einen unterirdischen Hohlraum nah an der Oberfläche der Wüste gestoßen. »So etwas erkennt unser Späher an der Verfärbung im Sand!« erklärt mir später Pedro.

Pedro ist im Moment nicht nach sprechen zumute. Auch wenn er es zu verbergen versucht: Er ist vom Fieber des Grabräubers befallen, von der Hoffnung auf kostbare Grabbeigaben. Pedro klettert an einer Strickleiter in das schmale Loch. Eine Taschenlampe leuchtet auf. Das Szenario ist mehr als gespenstisch. Pedro lädt mich ein. Ich soll, darf ihm zu folgen. Wenige Augenblicke später beuge ich mich über eine bleiche Mumie.

 

Das Gesicht des Toten erinnert an einen Horrorfilm unserer Tage. Es ist hinter einer schwarzen Maske verborgen. Der Mund ist zu einem Schmerzensschrei geöffnet. »Damit die Seele wieder in ihre alte Behausung zurückkehren kann!« erklärt mir Pedro. »Wir berauben die Gräber! Aber wir haben den Respekt vor den Toten nicht verloren!« Er zischt fast etwas gehässig: »Ob die gelehrten Archäologen auch so respektvoll sind?« Er schüttelt energisch den Kopf. »Wir belassen die Toten in den Gräbern! Die Archäologen holen sie heraus und stecken sie in Museumsvitrinen, wo sie von Neugierigen begafft werden!«

Pedro deutet auf die lederartigen Hände des Leichnams. Sie sind offensichtlich mit einem sehr scharfen Instrument glatt abgeschnitten worden. Dann hat man sie mit einfachen Schnüren wieder an den Armstümpfen befestigt. Pedro zieht bedächtig den wirklich sehr gut erhaltenen Stoff zur Seite. Der Körper des Toten kommt zum Vorschein. Sein Leib wirkt fremdartig, ja irgendwie unnatürlich. Pedro erklärt leise: »Es gab vor Jahrtausenden einen einheitlichen Bestattungsritus. Bevor die Verstorbenen der Erde übergeben wurden, verfuhr man mit ihnen nach genau vorgeschriebenen Zeremonien! Man hat zunächst das Gehirn entfernt. Es wurde durch ein Gemisch aus Asche und Stroh ersetzt. Sämtliche Innereien wurden dem Leib genommen. Damit der Körper seine natürliche Form behielt, wurde er wieder gefüllt: mit einem Brei aus Gras, Asche und Fischleim. Manchmal mengte man auch Tierblut bei!« Mir wird etwas unwohl. Ich klettere aus dem Loch. Der Weg nach oben über die Strickleiter fällt mir schwerer.

Pedro und seine Gehilfen sind etwas enttäuscht. Wieder gab es nicht den ersehnten Goldschatz. Und doch sind sie mehr als zufrieden. Der Tote war mit mehreren kunstvoll gestalteten Tongefäßen bestattet worden. Besonders erfreut sind die Männer über einige kleine Tonfiguren. »Das sind die Diener, die dem Verstorbenen im Jenseits zur Hand gehen sollen!« erfahre ich. Sorgsam werden die archäologischen Kostbarkeiten in Säcken verstaut. Kein Wissenschaftler wird sie je zu sehen bekommen. Sie werden in privaten Sammlungen reicher Nordamerikaner oder Europäer verschwinden. »Dieser Fund bringt jedem von uns mehr Dollars ein als wir in einem ganzen Monat mit anderer Arbeit verdienen können! Und die Gringos wollen nun einmal archäologische Schätze besitzen! Wenn wir sie nicht beliefern, dann tun es andere!«

Bevor das so schnell ausgehobene Loch wieder geschlossen wird, steigt Pedro noch ein letztes Mal die Strickleiter hinab. Was hat er vor? Warum hat er ein Beil mit hinab genommen? Ein Krachen und Splittern ist zu vernehmen. Das Geräusch geht durch Mark und Bein. Pedro erklärt mir auf dem Rückweg: »Wir berauben die Toten! Wir ziehen uns ihren Zorn zu! Wir fürchten ihre Rache! Dabei gehen wir doch respektvoll mit ihnen um. Bevor wir ihnen die Knochen zerschlagen, entschuldigen wir uns bei den Toten!«


Grabräuber haben kein Interesse an Knochen

Ob denn Gefahr von totem Gebein ausgeht, will ich wissen. Pedro bleibt kurz stehen. Herablassend lächelt er mich an. Er murmelt etwas von »ahnungslosen Gringos!« Im Weitergehen doziert er: »Es ist zu befürchten, dass der Geist eines Toten in seinen Körper zurückkehrt. Als Zombie kann er dann in die Welt der Lebenden zurückkommen und sich den Menschen rächen, die ihn bestohlen haben!« Ich möchte wissen, ob Pedro jetzt vielleicht Angst hat. »Nein!« antwortet er etwas barsch. »Dieser Tote wird nicht mehr aus seinem Grab herauskriechen! Ich habe ihm die Beinknochen zerschlagen. Und das Rückgrat!« Sehr respektvoll ist dieser Umgang mit Toten aber nicht, denke ich. Meine Überlegungen behalte ich aber für mich. Ich will nicht richten über die Grabräuber. Schließlich war ich mit ihnen unterwegs, also auch an der Störung der Totenruhe beteiligt.

Von albtraumartigen Träumen in den folgenden Nächten, in denen Zombies eine nicht unerhebliche Rolle spielen, will ich lieber schweigen!