Wenn wir 1918 ...

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Die Stunde eurer Befreiung hat noch nicht geschlagen. Der Siegestaumel, der in euren Ländern herrscht, hat auch weite Kreise des Proletariats erfasst. Die vom Siegesjubel erfüllten Gehirne werden erst allmählich zu der Erkenntnis gelangen, dass es nicht nur darauf ankommt, den deutschen Kapitalismus zu schlagen, sondern dass man den Kapitalismus international beseitigen muss. Die Zeit wird kommen, wo diese Notwendigkeit von den Werktätigen aller Länder klar erkannt wird. Noch ist es nicht so weit. Vorläufig erwarten wir nur eins von euch, Kameraden: Schießt nicht auf eure deutschen Brüder!

Der Seekrieg beginnt

Die deutsche Ostseeflotte hat sich auf der Höhe von Danzig mit der russischen Ostseeflotte vereinigt. Die Nordseeflotte hat den Nord-Ostsee-Kanal passiert und wird heute abend den Kieler Hafen verlassen. Die englisch-französische Nordseeflotte hat bei ihrem Vorgehen in der Helgoländer Bucht 3 deutsche Minenschiffe, 2 Torpedo- und 2 Unterseeboote zerstört, aber selbst schwere Verluste durch Minen erlitten. Ein englisches Linienschiff wurde von einem deutschen Unterseeboot torpediert und sank. Die Engländer scheinen eine Landung in Cuxhaven und Brunsbüttelkoog zu planen. Truppentransportschiffe wurden bei Helgoland gesichtet. Die englische Flotte versucht in die Ostsee einzudringen. Sie erleidet schwere Verluste durch Unterseeboote, Flugzeuge und Minen. Wird die deutsche Flotte aktionsfähig sein, obwohl mehr als die Hälfte der Offiziere fehlt? Nur drei Schiffskommandeure von größeren Einheiten haben sich mit der Mannschaft solidarisch erklärt und die Führung behalten. Auf den kleineren Schiffen ist die Zahl der uns ergebenen Offiziere glücklicherweise bedeutend höher. Die Möglichkeit einer offenen Seeschlacht hat eine ganze Anzahl höherer Marineoffiziere in letzter Minute veranlasst, ihre Dienste wieder zur Verfügung zu stellen. Aus Sicherheitsgründen hat der Zentralmatrosenrat jedoch nur in geringem Umfange von diesem Angebot Gebrauch gemacht und die ausgewählten Offiziere unbeschadet ihres Dienstranges nur mit der Führung kleinerer Schiffseinheiten betraut. Wird der revolutionäre Elan der Matrosen imstande sein, den Mangel an militärischer Führung wettzumachen? Werden die englischen Matrosen bedingungslos den Befehlen ihrer Führer Folge leisten? Die nächsten Tage werden Antwort bringen.

Vorwärts - 29. November 1918

Lenin in Berlin

Die Ankunft. Schon am frühen Morgen war ganz Berlin auf den Beinen. Trotz der schwierigen Verkehrslage waren Zehntausende von Menschen nach Berlin geströmt, um Zeuge zu sein bei der Grundsteinlegung der neuen Gesellschaft. Der ganze lange Weg vom Flugplatz bis zum Reichstagsgebäude, das nun wirklich dem deutschen Volke und dem internationalen Proletariat gehört, war dicht von Menschen umsäumt. Acht Reihen tief standen auf einer Straßenseite die Mitglieder der bewaffneten roten Macht, die Angehörigen der Roten Armee und der Roten Arbeiterwehr Berlins. Auf der anderen Seite die Mitglieder des Roten Frauenbundes zur Verteidigung der Revolution und -kilometerweit, ebenfalls zu Hunderttausenden — unsere Jugend, die kommende Generation, der die Erfolge unseres Kampfes zugute kommen sollen. Spannung, Begeisterung, Kampfbereitschaft auf allen Gesichtern. Heut kommt kein Potentat, kein degenerierter Spross eines Fürstenhauses. Heut kommen die Männer von morgen, die Führer der Revolution. Ungeheurer Jubel bricht aus, als die Führer der deutschen Revolution vorbeifahren, Karl Liebknecht, Ledebour, Rosa Luxemburg, Levine.

Immer stärker schwillt der Sturm der Begeisterung an: die ausländischen Revolutionäre fahren vorbei, die Vertreter der Länder, in denen die Revolution bereits siegreich war, und auch der Länder, deren Herren noch bemüht sind, die internationale Revolution mit Waffengewalt niederzuschlagen. Niederzuschlagen? Wenn ihr bisher noch Furcht gehabt habt um das Schicksal der Revolution, heute nicht mehr! Seht sie euch an, die Hunderttausende auf der rechten Straßenseite, die hungernden und schlechtgekleideten Männer mit dem Gewehr über der Schulter, seht ihre abgehärmten, aber entschlossenen Gesichter! Seht ihre leuchtenden Augen! Auf diese Männer könnt ihr euch verlassen, ihr ausländischen Genossen. Nehmt diese Zuversicht mit in eure Länder!

Die Begeisterung wächst ins ungemessene, wie die französischen und englischen Sozialisten kommen, die sich unter Lebensgefahr in das rote Berlin durchgeschlagen haben. Und plötzlich wird der Sturm zum Orkan, reißt alles hoch in einem einzigen ungeheuren Wirbel. Hunderttausend Willen werden zusammengeschweißt zu einem einzigen Willen, hunderttausend Kehlen verschmelzen, vereinigen sich zu einem einzigen Ruf

Lenin!!! Lenin!!! Lenin!!!

Kilometerweit rollt der Wagenzug dahin durch ein Meer Von schreienden, schwitzenden, begeisterten Menschen. Endlich wird die Fahrt langsamer. Im Tiergarten, vor dem Brandenburger Tor, stehen Glied an Glied die bewaffneten Ehrengäste der deutschen Revolution. An der Spitze ein rotes russisches Regiment, das den ganzen Bürgerkrieg in Russland mitgemacht hat und nun auf die neugebildeten Kriegsgefangenenformationen verteilt werden soll. Und dann Kompanien, Bataillone, Regimenter, Brigaden, Divisionen, eine ganze Armee, eine große Armee in voller Ausrüstung mit Tausenden von Geschützen: die roten russischen Regimenter, die in den deutschen Kriegsgefangenenlagern gebildet worden sind. Danach kleinere Abteilungen: ein österreichisches und ein ungarisches Regiment, ein polnisches, rumänisches und griechisches Bataillon. Berittene Kirgisen. Eine gemischte Formation aus Chinesen, Japanern und Koreanern. In ihrer Heimat haben sie auf Befehl ihrer Pierren gegeneinander marschieren müssen. Hier kämpfen sie, — nach jahrelanger Internierung — Seite an Seite für die Revolution, die eines Tages auch ihre Revolution sein wird. Neben ihnen kleine Gruppen von Partisanen, Flüchtlinge aus Serbien und Bulgarien, wo jetzt nach Niederwerfung des Aufstandes, unter dem Schutz der Ententetruppen, der weiße Terror herrscht. Eine freiwillige nordische Kompanie : Dänen, Schweden, Norweger. Früher konnten sie (oder waren es nur ihre Fürsten?) sich nicht vertragen, waren nicht unter einen Hut zu bringen. In Zukunft, in der großen sozialistischen Republik, werden sie es lernen.

Auf dem Platz der Revolution, vor dem Reichstagsgebäude stehen die Exoten: Neger, Zuaven, Marokkaner. Inder usw., in tiefgestaffelten Kolonnen, in Bataillonen und Regimenter formiert. Ihr farbigen Brüder! Man hat euch hineingezerrt in den Krieg der Weißen, in dem ihr nichts zu suchen hattet. War es euch nicht einerlei, ob ihr von deutschen, französischen, englischen oder belgischen Kapitalisten beherrscht wurdet? War euch viel daran gelegen, welche Sprache der weiße Mann sprach, der gegen euch die Peitsche schwang, der euch eure Frau raubte und euren Boden, der eure Hütte anzündete, wenn ihr nicht zur Zwangsarbeit erschient? Nein Genossen, ihr habt wahrhaftig kein Interesse daran gehabt, dass gerade eure Beherrscher den Krieg gewannen. Ihr habt nur ein Interesse, einen großen, brennenden, dringenden Wunsch: frei zu werden. Deshalb hat die Agitation im Kriegsgefangenenlager gerade in euren Reihen so großen Erfolg gehabt. Deshalb habt ihr euch so gefreut, als die Ententeoffiziere, die im Lager erschienen waren, um euch zurück in die Knechtschaft, in die Hände eurer Sklavenhalter zu treiben, von roten Soldaten verhaftet wurden. Die sozialistische Revolution macht nicht halt vor Landesgrenzen, auch nicht vor Sprachgrenzen und ebenso wenig vor einer anderen Hautfarbe. Die sozialistische Revolution wird allen Völkern, allen Rassen die Freiheit bringen. Auch ihr habt eure Delegierten ins Reichstagsgebäude gesandt, und was da drüben heute beschlossen wird, soll auch für euch Gültigkeit haben. Deshalb steht ihr hier, auf dem Platz der Revolution.

Links und rechts vom Reichstagsgebäude aber steht je ein rotes Regiment aus englischen, französischen, belgischen und italienischen Kriegsgefangenen. Sie können nie mehr in ihre Heimat zurückkehren, wenn nicht auch bei ihnen die Revolution siegt. Trotzdem sind sie bereit, in unsern Reihen zu kämpfen. Bravo, Genossen! Im Portal des Reichstages steht, mit roter Armbinde, ein amerikanischer Genosse. Ein einziger. Er ist sichtlich betrübt darüber, dass er allein ist und sozusagen als sein eigener Abgeordneter fungiert. Er hatte vergeblich versucht, unter den amerikanischen Kriegsgefangenen Freiwillige für die Rote Armee zu werben.

Ein Volksbeauftragter spricht: „Für euch, Genossen aus Frankreich, ist dieser Tag besonders bedeutungsvoll. Erinnert euch an das prophetische Wort Victor Hugos, der uns, den Deutschen, dankte, weil wir Frankreich von seinem Kaiser befreit hatten, und uns versprach, dass Frankreich auch Deutschland von seinem Kaiser befreien werde. Das habt ihr nun getan, französische Genossen. Aber wir, wir haben noch ein weiteres getan. Wir haben uns von einem noch schlimmeren Feinde, von der kapitalistischen Herrschaft befreit, und unseren Dank werden wir euch, französische Genossen, bezeugen, indem wir helfen, auch euer Land von der Herrschaft des Kapitalismus zu befreien."

Lenin spricht

(10 Uhr vormittags.)... aber das ist nicht die Hauptsache, dass der Rätebund ungefähr 400 Millionen Einwohner hat. Auch das ist noch nicht das Typische, dass viele Nationen, viele Sprachen und fast alle Rassen in unseren Grenzen vereinigt sind. Auch das zaristische Russland umschloss fast 200 verschiedene Nationen. Aber sie wurden unterdrückt, geknutet, russifiziert. Der Bund der Sozialistischen Rätestaaten kennt jedoch keine Unterdrückung. Jede Nation, und sei sie noch so klein, und jede versprengte Minderheit in anderssprachigen Gebieten hat völlige kulturelle und nationale Freiheit, kann eigene Schulen und Universitäten errichten, kann alle Angelegenheiten in eigener Sprache regeln, auch den Verkehr mit Behörden und Zentralstellen. Alle Nationen haben ebenso wie alle Personen gleiche Rechte, aber auch gleiche Pflichten. Die eine Hauptpflicht vor allen anderen: mitzuarbeiten am sozialistischen Aufbau der Welt. Personen, die sich diese Aufgabe nicht zu eigen machen, die nicht ihre ganze Kraft, nicht all ihr Wissen und Können in den Dienst dieser großen Aufgabe stellen, haben bei uns keine Rechte. Es mag für den ersten Augenblick hart erscheinen, wenn wir den Angehörigen der früher herrschenden Klasse nicht nur ihre früheren Vorrechte nehmen, sondern ihnen auch die Rechte vorenthalten, die jeder Werktätige besitzt. Es ist ein Akt der Notwehr, eine Forderung der Selbsterhaltung. Erst nachdem der Sozialismus in der Welt die vorherrschende Wirtschaftsform geworden ist, können wir großzügiger sein. Wenn sich also unsere früheren Kapitalisten beklagen, so antworten wir ihnen: Es liegt an euch selbst. Helft mit am sozialistischen Aufbau. Helft mit bei der Bekämpfung der Konterrevolution innerhalb und außerhalb unserer Grenzen! Je eher die Entscheidungsschlacht im Weltmaßstabe gewonnen wird, um so eher können wir die Sperre, die wir über euch als über asoziale Elemente verhängen mussten, aufheben.

 

Der sozialistische Aufbau wird auf Jahre hinaus all unsere Kräfte in Anspruch nehmen, wird von jedem einzelnen ein Höchstmaß von Wollen und Können verlangen. Aber vorläufig haben wir noch eine dringendere Aufgabe. An allen Grenzen steht der Feind, der Kapitalismus. Wir müssen uns seiner erwehren. Wir müssen dabei im Auge behalten, dass dieser Kampf eine ganz andere Form annehmen wird als im imperialistischen Kriege. Wir müssen eine wahrhaft revolutionäre Strategie entwickeln. Wir werden unseren Feldzugsplan aufstellen, hier, sofort, in aller Öffentlichkeit. Wenn früher die Feldherren bemüht waren, ihren Feldzugsplan möglichst geheim zu halten, wenn früher die Geheimhaltung geradezu eine Vorbedingung für das Gelingen einer Schlacht war, so ist dies bei uns völlig anders. Wir haben das stärkste Interesse daran, dass unser Feldzugsplan (natürlich nicht etwa jeder taktische Einzelzug, sondern das politische Ganze) möglichst überall bekannt wird. Wir rechnen sehr stark mit der Tapferkeit unserer Genossen in den Roten Armeen. Wir erwarten sehr viel von ihnen. Wir rechnen aber ebenso stark mit den Genossen auf der anderen Seite der Front. Wir setzen die Armeen der kapitalistischen Westmächte in unsere Berechnungen ein, bis zu einer gewissen Grenze als Passivum, von dieser Grenze ab als Aktivum. Vorläufig gehorcht die Mehrzahl der Soldaten in den Ententearmeen noch den Befehlen ihrer Offiziere. Aber das wird nicht ewig so weiter gehen. Je mehr ihnen zugemutet wird, je länger sie gezwungen werden, einen Krieg gegen ihre Brüder, gegen ihre eigenen Interessen fortzusetzen, desto stärker wird die Neigung werden, unserm Beispiel zu folgen. Mit diesen Tatsachen dürfen und müssen wir rechnen. Keine übertriebenen Hoffnungen, aber auch kein übertriebener Pessimismus! Beides wäre in gleichem Maße schädlich.

Wir müssen heute unser eigener Generalstab sein. Beginnen wir mit der Arbeit. Hängt die Karte auf, Genossen! Nord front. Die finnische und nordrussische rote Armee werden einem gemeinsamen Kommando unterstellt. Die deutschen Truppen sind wieder in die Kampffront eingereiht. Die ostfinnischen Bahnen sind bis zur Endstation, die westfinnische ist bis Uleaborg in unserer Hand. Bei Uleaborg ist ein Kampf mit schwedischen Interventionstruppen im Gange. Archangelsk ist eingenommen. Die Besatzung, zaristische Offiziere und Ententetruppen, ist gefangen genommen. Um Murmansk wird augenblicklich gekämpft. Dort wird es wohl den Ententetruppen gelingen, auf dem Seewege zu entweichen.

Nach Einnahme von Murmansk wird die Nordarmee unsere Brüder in Schweden und Norwegen unterstützen, die den Kampf mit den Weißen aufgenommen haben. Ostfront. Nachdem die tschechoslowakischen Legionen zu uns übergegangen waren, ist die weißrussische Front im Kaukasus und in Sibirien völlig zusammengebrochen. Omsk ist von der roten Armee besetzt. In Tomsk und Krasnojarsk war ein Arbeiteraufstand erfolgreich. Beide Städte werden von zurückflutenden weißen Truppen hart bedrängt. Die Konterrevolution wird aber in diesen Gebieten bald liquidiert sein. Irkutsk ist fest in der Hand des neugebildeten Sowjets. Wladimir-Ulinsk und Nertschinsk sind von Partisanenabteilungen eingenommen worden. Der Rückzug nach dem Osten ist den Weißen abgeschnitten. Auch im fernen Osten machen unsere Partisanenabteilungen Fortschritte. Ein Arbeiteraufstand in Wladiwostok ist von den englischen, französischen, italienischen und japanischen Interventionstruppen niedergeschlagen worden. Es gelang jedoch einem Teil der roten Arbeiterwehr, sich zu den Partisanen nach Sutschan durchzuschlagen. Sobald die Transsibirische Bahn fest in unserer Hand ist, werden wir den Angriff auf Wladiwostok vorbereiten. Starke rote Kräfte wurden bereits von der Uralfront nach dem Fernen Osten dirigiert, wo schwere Kämpfe zu erwarten sind, wenn wir Wladiwostock nicht sofort einnehmen. Die in Sibirien befindlichen Kriegsgefangenen der ehemaligen deutschen, türkischen und österreichisch-ungarischen Armee, mit Ausnahme der Tschechoslowaken, werden gleichfalls in die Kampffront eingereiht und nach Wladiwostok entsandt. Alle übrigen Truppen der roten Armee an der Uralfront werden zur ersten Südarmee, nach Turkestan, in Marsch gesetzt. Die an der Wolgafront freigewordenen deutschen und russischen Truppen marschieren durch den Kaukasus über Tiflis nach Erzerum und bilden dort mit den Resten der deutschen Kaukasusarmee die zweite Südarmee. Marschrichtung: Mossul-Bagdad-Koweit.

Schwarzmeerfront. Alle deutschen und russischen Truppen, die in der Krim, in der Ukraine und in Bessarabien freigeworden sind, haben sich süd- und westwärts bewegt. Eine vereinigte rote Armee, bestehend aus Deutschen, Russen und Rumänen, hat die Donau bei Tschernowoda überschritten und die Schwarze Meer-Festung Constanza eingenommen. Bei der Einnahme von Constanza wurde unerwarteterweise fast kein Widerstand geleistet. Die französischen Interventionstruppen, die sich nach ihrer Niederlage vor Odessa in Constanza festgesetzt hatten, wurden kurz vor Eintreffen der Unsern Hals über Kopf eingeschifft. Etwa hundert französische Soldaten sind desertiert und zur roten Armee übergegangen. Nach dem Verlassen des Hafens begann ein französischer Panzerkreuzer die Stadt zu bombardieren. Die anderen Schiffe beteiligten sich jedoch nicht am Bombardement. Darauf wurde das Feuer gänzlich eingestellt. Es ist anzunehmen, dass an Bord eine Meuterei ausbrach, oder wenigstens, dass sich die französischen Matrosen weigerten, die Stadt zu bombardieren.

Die Schwarze Meer-Armee hat Befehl erhalten, sich südwärts in Marsch zu setzen und in der Linie der drei Festungen Rustschuk, Schumala, Warna Stellung zu beziehen. Alle übrigen in Südwestrussland und in Rumänien freigewordenen oder neu zu formierenden Truppenteile sind sofort zur Ost-Donauarmee in Marsch zu setzen. Die Ost-Donauarmee erhält den Auftrag, die Donaulinie bis zum Eisernen Tor unter allen Umständen zu halten gegen Angriffe, die von den Ententetruppen in Bulgarien zu erwarten sind. Die Enteritetruppen in Bulgarien sind nicht allzu stark. Die Auf Standsbewegung, die zuerst unterdrückt wurde, nimmt wieder zu.

Im Gebiet von Widdin-Turnu-Magurele wird eine rote Reiterarmee aufgestellt. Aus Konstantinopel liegen noch keine Nachrichten vor. Es sind Kämpfe im Gange, deren Ausgang noch ungewiss ist. Genossen!

An den Fronten, die wir bisher besprochen haben, sind nach Lage der Dinge, nach der Klassenschichtung und nach dem Verhältnis der auf beiden Seiten zur Verfügung stehenden Truppen in den nächsten Tagen und Wochen Siege zu erwarten. Die Hauptsache ist zunächst, dass wir unsere Macht im Osten stabilisieren und mit den Weißen so schnell wie möglich aufräumen.

Wir müssen Kräfte freibekommen, um sie für den Kampf im Westen umgruppieren zu können. Erst wenn uns das gelungen ist, werden wir imstande sein, dem Vormarsch des Feindes auch im Westen wirksam zu begegnen. Die Lage im Süden ist noch reichlich ungeklärt. Das Hauptgewicht müssen wir darauf legen, die Linie Mur—Drau— Donau als Aufnahmestellung auszubauen und gegen alle Angriffe zu halten. Das können wir, Genossen, dazu sind wir stark genug. Alle in Ungarn und in den Karpatenländern neugebildeten Formationen der Roten Armee sind angewiesen, in dieser Linie aufzumarschieren und sich dem Kommando des Stabes der West-Donauarmee zu unterstellen.

Die Wiener Volksarmee übernimmt die Verteidigung des Frontabschnittes Linz bis nördlich Marburg. Auf die roten Truppenteile in Polen und in Tschechien können wir zunächst bei der Verteidigung unserer Außenfronten noch nicht rechnen. Sie müssen sich erst konsolidieren und im Lande bleiben, um die immer wieder aufflackernden weißen Aufstände zu unterdrücken. Wir kommen nun zu der am meisten gefährdeten Stelle, zur Westfront. Hier sind wir auf die Rheinlinie zurückgegangen. Wir werden dem Gegner den Rheinübergang so schwer wie möglich machen. Wir dürfen uns aber nicht der Illusion hingeben, dass wir die Rheinlinie lange halten können.

Aus zwei Gründen.

Erstens: Die Westarmee hat im Weltkriege Entsetzliches erduldet. Ihre Bestände wurden in den letzten Monaten des Weltkrieges furchtbar dezimiert. Die Truppen sind erschöpft. Zu einem Teil sind sogar die Kampfverbände völlig aufgelöst. Trotzdem haben sich die Mannschaften der Nachhut in den letzten Tagen nach dem Bruch des Waffenstillstandsabkommens bewundernswert geschlagen. Wir dürfen uns aber dadurch nicht täuschen lassen. Wir müssen die Widerstandsfähigkeit und die Kampfkraft der Westarmee richtig einschätzen und uns die besonderen Gründe der letzten Erfolge vor Augen halten. Welche Wirkung die Revolution auf die Kampfkraft der Truppen gehabt hat, können wir noch nicht feststellen. Wir dürfen diese Wirkung aber nicht zu hoch einschätzen. Die Truppen standen vor der Alternative: Gefangennahme oder Kampf. Etwas anderes gab es nicht. Auch eine Flucht hätte unweigerlich mit der Gefangennahme geendet. Der Rückzug über den Rhein ist nur möglich, wenn der Übergang militärisch gesichert wird. Außerdem herrschte starke Erbitterung über den Abbruch des Waffenstillstandes und über die Beschießung kampflos abmarschierender Truppen. Hinzu kam, dass die am Kampf beteiligten Vorhuttruppen der Entente den deutschen Nachhuttruppen nicht sehr überlegen waren. Schwere Artillerie war fast gar nicht am Kampf beteiligt. Auch unter den Ententetruppen herrschte starke Empörung über den Abbruch des Waffenstillstandes und über den Befehl, auf friedlich abmarschierende Truppen zu schießen. Außerdem waren sie auf Widerstand nicht gefasst. Ihre Angriffe waren lau und energielos. Das Feuer schwach. Die Truppen scheinen sich teilweise am Feuergefecht überhaupt nicht beteiligt zu haben. Unsere Proklamationen sind offenbar nicht ganz ohne Wirkung geblieben. Zur offenen Meuterei ist es allerdings, soviel bekannt wurde, noch nirgends gekommen.

Das ist der zweite Grund. Die Ententetruppen sind noch nicht genügend demoralisiert. Solange sie auf dem linken Rheinufer stehen, werden sie ihren Offizieren noch gehorchen. Solange aber das technisch gewaltig überlegene, vorzüglich proviantierte Heer der Entente seinen Kampfgeist nicht eingebüßt hat, von unserer Propaganda noch nicht zersetzt ist, werden wir zwar vorübergehende Erfolge erzielen, uns aber auf die Dauer nicht behaupten können.

Ich gebe nun einem Delegierten der Westfront das Wort zu einem eingehenden Bericht über die Kampflage."

Der Delegierte der Westfront:

Genossen! Nachdem die Gefahr der Umzingelung für den Nordflügel der Westarmee abgewehrt war, erwiderten wir das Feuer der Ententetruppen zunächst an keiner Stelle mehr. Plötzlich stießen die Ententetruppen auf energischen Widerstand in der Linie Aachen, Fluss Kyll, Kaiserslautern, Kehl. Diese Linie hatten wir zur Deckung des Rückzuges ausgesucht. In zweitägigen Kämpfen gelang es den Ententetruppen nicht, diese Linie zu durchbrechen. Trotzdem setzten wir den Rückzug fort. Der Gegner rückte zuerst zögernd nach, stieß aber dann auf starken Widerstand in der Linie Aachen — Bonn, wo wir uns bis gestern trotz immer wieder verstärkten Angriffen gehalten haben. Die Eisenbahnanlagen von Trier sind von unseren Truppen beim Rückzuge gesprengt worden. Die im Moseltal vorrückenden Ententetruppen begegneten zuerst bei Berncastel vorübergehendem Widerstand und wurden dann vor Cochem ganz aufgehalten. Wir hatten den großen Eisenbahntunnel bei Cochem an mehreren Stellen gesprengt. Zugleich wurden im Vorort Sehl bei Cochem an günstigen Stellen die rechts und links der Mosel laufenden Moselstraßen durch Bergsprengung ungefähr 30 Meter hoch verschüttet. Durch diese Maßnahmen und durch die strategisch gute Lage gelang es einer einzigen deutschen Division, Cochem gegen eine zuletzt mindestens zehnfache Übermacht bis heute nacht zu verteidigen. Wegen Umzingelungsgefahr ist diese Division jedoch aufgefordert worden, sich unter Vornahme weiterer Sprengungen auf Koblenz zurückzuziehen. Auf der Strecke Bonn —Bingen ist der Rheinübergang fast überall vollzogen. In der Linie Bingen—Kreuznach—Kehl ist es uns gelungen, den Gegner solange aufzuhalten, bis das Gros der deutschen Truppen den Rhein überschritten hatte. Der Rückzug wurde zuerst vom Gegner nicht bemerkt, der mit Rücksicht auf seine schweren Verluste schon begonnen hatte, sich einzugraben, und unsere verlassenen Stellungen noch mehrere Stunden lang mit Trommelfeuer belegte. Von morgen früh ab ist der Rhein die Grenze zwischen den beiden Armeen. Jeder Versuch der Gegner, den Rhein zu überschreiten, wird von uns hartnäckig bekämpft werden. Alle Versuche der Franzosen, vom Elsass aus in Baden einzudringen, sind bisher abgeschlagen worden. Anders ist die Lage im Norden.

 

Nachdem alle Versuche, die Front Aachen—Bonn zu durchbrechen, scheiterten, hat die Entente die holländische Neutralität gebrochen und ist uns nach Durchquerung des Maastrichtzipfels in den Rücken gefallen. Es gelang der gegnerischen Vorhut, in München-Gladbach einzudringen, das aber von zwei deutschen Divisionen, die bei Wesel den Rhein überschreiten sollten, sofort wieder genommen wurde.

Wir haben daraufhin Aachen gestern morgen aufgegeben. Die Front wird jetzt ungefähr in folgender Linie gehalten: Deutsche Grenze, Kanal München-Gladbach—Rheydt, Düren, Bonn. Die Gefahr einer großen Umzingelung scheint abgewendet zu sein. Wenn der im Gang befindliche Angriff auf Rheydt und München-Gladbach Erfolg haben und zum Durchbruch führen sollte, ist damit zu rechnen, dass 4 bis 5 deutsche Divisionen abgeschnitten und gefangen genommen werden. In ungefähr 48 Stunden wird der Rheinübergang auch im Norden überall vollzogen sein. Der Zentralrat der Roten Arbeiterwehren im Ruhrgebiet hat beschlossen, die Rheinlinie unter allen Umständen zu verteidigen. Zusammenfassend glaube ich sagen zu können, dass wir stark genug sind, die Rheinlinie von der holländischen Grenze bis Basel gegen alle Angriffe zu verteidigen. Da die niederländische Neutralität jedoch kampflos aufgegeben worden ist, besteht die Gefahr, dass unser rechter Flügel nördlich des Rheins umgangen wird. Die Verteidigung der langen ungeschützten Nordgrenze vom Rhein bis zur Nordsee würde uns sehr schwer fallen. Wir haben deshalb sofort eine Note an die niederländische Regierung gerichtet und sie ersucht, den Schutz der holländischen Neutralität selbst aufzunehmen, da wir uns sonst gezwungen sähen, auch in Holland einzumarschieren. Als Verteidigungsstellung in Holland käme die wegen ihrer Kürze wertvolle Linie Wageringen—Zuidersee oder eine Stellung entlang der Yssel in Frage."

Lenin: „Nach diesem Bericht könnten wir annehmen, dass wir imstande seien, die Rheinlinie zu halten. Ich teile diesen Optimismus nicht. Ich bestehe vielmehr darauf, dass unverzüglich alle Maßnahmen getroffen werden, damit ein vielleicht notwendig werdender Rückzug sich nicht zur Katastrophe auswächst. Es handelt sich um folgende Maßnahmen:

1. Eine neue Verteidigungslinie muss festgelegt und ausgebaut werden.

2. Das eventuell zu räumende Gebiet ist von jeglichem rollenden und Kriegsmaterial zu entblößen. Die Zerstörung aller Anlagen, die den einrückenden Gegnern von Nutzen sein können, ist vorzubereiten.

3. Alle Ersatztruppenteile und neugebildeten roten Formationen müssen marschbereit gehalten werden, um jederzeit zurückgenommen werden zu können.

4. Es müssen alle Vorbereitungen zur illegalen Zersetzungsarbeit im Rücken des Gegners getroffen werden. Flugblätter zur Verbreitung unter die Truppen der Kapitalisten sind jetzt schon zu drucken. Es sind zuverlässige Genossen zu bestimmen, die zwecks Durchführung dieser höchst verantwortungsvollen und wichtigen Aufgabe zurückbleiben. Gleichzeitig schlage ich vor, den Westmächten nochmals ein Waffenstillstandsangebot zu unterbreiten. Diesem Angebot werden wir Nachdruck verleihen durch eine Proklamation an die Ententetruppen, in der wir die Gründung des Bundes der Sozialistischen Rätestaaten bekannt geben und worin wir sie auffordern, sich unserer Bewegung anzuschließen. Wir werden ihnen mitteilen, dass wir nochmals um Waffenstillstand ersucht haben. Wir werden sie auffordern, sich jeder Beschießung friedlicher deutscher Städte zu widersetzen. An die Inder, Marokkaner und Neger in den Reihen der Ententetruppen ergehen besondere Aufrufe. Bevor ich die Aussprache über diesen Punkt eröffne, verlese ich einige inzwischen eingelaufene Telegramme. Murmansk heute nacht, Uleaborg in frühen Morgenstunden eingenommen. Rote Nordtruppen begrüßen Zentralrat des B.d.S.R.S. Es lebe die proletarische Revolution.

Soldatenrat Nordfront

Wir protestieren gegen Ententeeinmarsch und gegen kampflose Aufgabe der Neutralität. Unsere Sympathie gehört der roten Staatenunion.

Opposition der Sozialdemokratischen Partei Hollands Englische Truppen in Eiderstedt gelandet. Marschieren eideraufwärts. Arbeiterrat Husum

Rote Arbeiterwehr von Hamburg-Altona-Wandsbek und Harburg ist mit roten Soldaten und Matrosen ausgerückt, um von Engländern besetzte Schleuse in Brunsbüttelkoog wieder zu erobern. Zentralrat Hamburg

Und nun eine gute, eine unerwartet gute Nachricht!

Hört, Genossen:

Als die Niederlage der französischen Landungstruppen in Russland und Rumänien bekannt wurde, proklamierte der Arbeiter- und Soldatenrat von Konstantinopel vorgestern abend die Räterepublik. Deutsche, türkische und einzelne französische und englische Deserteure, sowie türkische Arbeiter und Bauern bildeten eine Rote Garde. Ganz Konstantinopel jubelte. Ententetruppen verhielten sich zunächst neutral. Dann erhielten sie Befehl, gegen die Revolution vorzugehen. Ein Teil meuterte sofort, ein Teil wurde gefangen genommen, der Rest auf die Schiffe zurückgetrieben. An Bord der Schiffe meuterten die Matrosen. Die Offiziere wurden gefangen genommen. Die roten Soldaten und Matrosen kamen wieder an Land. Gestern abend erschien die französische Schwarzmeerflotte vor dem Bosporus und verlangte freie Durchfahrt. Wurde verweigert. Darauf zog sich die Flotte wieder zurück. Heute früh ist sie wiedergekommen und unter roten Fahnen im Hafen von Konstantinopel eingelaufen. Die Genossen Marty und Badina, die Vertreter der roten Matrosen und Offiziere, sprechen augenblicklich in einer Massenversammlung über die Ereignisse an Bord. Es lebe der Bund der Sozialistischen Rätestaaten!

Der internationale Soldatenrat von Konstantinopel (Minutenlang stürmischer Beifall.)

Genossen, wir freuen uns über diese gute Nachricht. Aber wir müssen uns hüten, uns allzu großen Illusionen hinzugeben. Wir werden den Sieg erringen, aber wir werden ihn erringen müssen unter ungeheuren Opfern und Anstrengungen. Im Osten werden wir unaufhaltsam fortschreiten. Im Westen aber haben wir noch manche Nuss zu knacken. Die Genossen der französischen Schwarzmeerflotte haben den ersten Schritt getan: sie haben sich geweigert, gegen die Revolution zu kämpfen. Sie müssen jetzt auch den zweiten Schritt tun: sie müssen lernen, für die Revolution zu kämpfen. Wir beglückwünschen die Genossen in Konstantinopel zu ihren Erfolgen und fordern sie auf, den Kampf sofort weiterzutragen. Adrianopel und die Halbinsel Gallipoli sind sofort zu besetzen. Die Dardanellen müssen gegen alle Angriffe verteidigt werden. Es ist schnellstens eine rote Armee zu bilden, die auf Sliven Burgas vorstoßen soll, mit dem Ziel, sich mit unserer Schwarzmeer- und Donauarmee zu vereinigen. Nach eben eingelaufenen Telegrammen sind die Orte Köln, Koblenz und Karlsruhe von feindlichen Fliegern mit Bomben belegt worden. Fliegerangriffe auf Düsseldorf, Mainz, Frankfurt und Mannheim sind von unseren Fliegerstaffeln abgewehrt worden. Unsere Fluggeschwader haben im Kampf gegen die Übermacht große Verluste erlitten, aber auch beachtenswerte Erfolge erzielt. Außer den abgeschossenen gegnerischen Flugzeugen sind 34 französische Flugzeuge gezwungen worden, auf rechtsrheinischem Gebiet niederzugehen. 13 französische und englische Flieger sind freiwillig rechts des Rheins gelandet, weil sie die Fortsetzung des Kampfes unter den obwaltenden Umständen nicht gutheißen. Einige haben sich sogar bereit erklärt, aktiv auf Seite der Revolution weiterzukämpfen.