Wenn wir 1918 ...

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Der deutsche Rat der Volksbeauftragten hat in einem Funkspruch an das Interalliierte Hauptquartier und in einem Aufruf an die Ententetruppen folgende Erklärung abgegeben : Wir haben uns freiwillig verpflichtet, die im imperialistischen Kriege zerstörten nordfranzösischen und belgischen Gebiete wieder aufzubauen. Wir sehen uns aber außerstande, dieses Versprechen weiter aufrechtzuerhalten, wenn in völlig sinnloser Weise deutsche Städte zerstört und ihre friedlichen Bewohner getötet werden. Wir sind nach wie vor bereit, Frieden zu schließen, verlangen aber sofortige Einstellung aller Kampfhandlungen."

Das Wort erhält der Delegierte Frankreichs.

„Genossen, ich stehe vor euch in einer sehr schweren Situation. Ihr dürft nichts Unmögliches von uns verlangen. Wir sind noch nicht so weit, um zum bewaffneten Aufstand schreiten zu können. Aber wir bereiten ihn vor. Die Regierung hat gedroht, die ,Humanite' zu verbieten und die Parteileitung in den Anklagezustand zu versetzen, wenn wir unsere Friedenspropaganda nicht einstellen. Wir haben eine Adresse folgenden Inhalts an die republikanische Regierung gerichtet:

Die französischen Sozialisten haben sich während des ganzen Krieges restlos für die Landesverteidigung eingesetzt. Frankreich ist jetzt frei vom Feinde. Der Friede ist gesichert, der Kaiser geflohen. Weshalb wird jetzt der Krieg wieder aufgenommen? Wir sind bereit, aus Sicherheitsgründen auch noch die Besetzung des linken Rheinufers gutzuheißen. Wir sind aber nicht bereit, den Krieg weiter zu unterstützen, wenn er auch in rechtsrheinisches Gebiet vorgetragen werden soll. Wir fordern die Kameraden in der Armee auf, sich an Angriffen gegen das rechtsrheinische Ufer auf keinen Fall zu beteiligen. Genossen! Soeben wird mir folgende Meldung übergeben: Starke französische Truppenmassen überschritten nach heftiger Feuervorbereitung den Rhein bei Straßburg. Die deutschen Truppen ziehen sich kämpfend auf den Schwarzwald zurück. Ein Angriff auf Kehl ist abgeschlagen worden. Von Karlsruhe und Rastatt aus ist ein Vorstoß in die linke Flanke der französischen Truppen im Gange.

Roter Soldatenrat der 28. Inf.-Div.

Das ist schlimm, Genossen, aber das bedeutet: Bürgerkrieg in Frankreich. Er wird damit enden, dass auch Frankreich sich dem Bunde der Sozialistischen Rätestaaten anschließt. Vorläufig ist es noch nicht so weit, Genossen. Ich bin dafür, dass ihr den Plan des Genossen Lenin annehmt. Je tiefer die französischen Truppen in Deutschland eindringen, je mehr sie mit der revolutionären Bevölkerung in Fühlung kommen, desto eher werden sie einsehen, dass sie nicht mehr für Frankreich, sondern für den Kapitalismus kämpfen. Desto eher wird unsere Arbeit von Erfolg gekrönt sein." Lenin (8 Uhr abends): Es ist beschlossen worden, folgende Hauptverteidigungslinie auszubauen: Nordsee, Weser, Werra, Böhmerwald, Linz, Graz, Mur, Drau, Donau. Die Rheinlinie wird noch 10 Tage gehalten. In der Zwischenzeit wird das ganze Gebiet westlich unserer Hauptverteidigungslinie geräumt von allen Truppen, von allem rollenden Eisenbahn- und Beförderungsmaterial, von allem Kriegsmaterial, unter Mitnahme von möglichst großen Proviantvorräten.

In Holland rücken die Ententetruppen in Eilmärschen nordwärts vor und haben die Maas überschritten. Die in Nordholland einrückenden ersten Abteilungen der Roten Armee stießen zuerst auf Widerstand, der aber rasch zusammenbrach. In einigen Fällen weigerte sich holländisches Militär, gegen Rotarmisten zu kämpfen, mit der Begründung, dass die Regierung ihre Neutralität auch gegen die Ententetruppen nicht verteidige.

Vom Interalliierten Hauptquartier ist folgende Antwort auf unser Waffenstillstandsangebot eingelaufen: Alle Geschütze, Gewehre und alle Munition sowie alle Flugzeuge und Kriegsschiffe sind sofort abzuliefern. Alle Truppen, die sich am Kampf in der Linie Aachen—Bonn beteiligt haben, sind auf linksrheinischem Gebiet zu internieren. An Beförderungsmaterial ist das Doppelte der im ersten Waffenstillstandsabkommen festgesetzten Mengen abzuliefern. Wenn diese Forderungen nicht innerhalb 24 Stunden angenommen werden, erkennen wir den Rat der Volksbeauftragten nicht mehr als rechtmäßige deutsche Regierung an. Wir verhandeln dann nur noch mit der in Holland gebildeten neuen deutschen Regierung, die sich bereits zur Annahme dieser Bedingungen bereit erklärt hat. Genossen! Es ist natürlich gar nicht daran zu denken, dass wir diese Bedingungen annehmen. Mag die Entente die neue Regierung in Amerongen anerkennen! Das kann uns nur recht sein. Der frühere Kronprinz hat, aus Wieringen zurückgeholt, den Vorsitz übernommen. Die eigentlichen Manager dieser Regierung sind die Herren Stinnes, Thyssen und Klöckner. Eine Regierung ohne Land, eine Regierung ohne Anhänger, wenn man nicht gerade die Ententetruppen als ihre Anhänger betrachten will. Die erste Tat dieser neuen Regierung ist glatter Landesverrat. Durch englische und französische Flieger ließ sie Flugblätter über unseren Reihen abwerfen. Unsere Kameraden und vor allem die Offiziere werden aufgefordert, der Revolutionsregierung die Gefolgschaft zu versagen. Die Waffen sollen niedergelegt und an die Entente ausgeliefert werden. Die neuen Waffenstillstandsbedingungen sind von dieser angeblichen „Volksregierung" ohne weiteres angenommen worden. Was denkt ihr, Genossen, wie wird die Front auf diese Flugblätter reagieren?"

Der Delegierte des Zentralsoldatenrats der Westfront erhält das Wort:

„Genossen! Dieser Aufruf wird vielleicht Erfolg haben bei den Etappenoffizieren, bei den Offizieren, die das Ende des Krieges in der Heimat abgewartet haben. Er wird aber wenig Erfolg haben bei den Offizieren der Westarmee. Die letzten Monate in Frankreich und Belgien sind eine gute Vorschule für die Revolution gewesen. Die tiefe Kluft, die fast während des ganzen Stellungskrieges zwischen Mannschaften und Offizieren bestand, ist in den letzten Monaten fast ganz verschwunden. Es gab keine besonderen Offiziersunterstände, kein besonderes Offiziersessen mehr. Es gab nur Rückzug, harten Kampf gegen den nachrückenden Gegner. Verluste, viele Verluste. In elenden, schnell ausgeworfenen Erdlöchern, verschmutzt und verdreckt, bei kärglicher, schnell verschlungener Nahrung. So haben wir die letzten Monate zusammen gelebt, gekämpft und gelitten. Unter diesen Umständen sind sich Mannschaften und Offiziere viel näher gekommen als jemals zuvor während des ganzen Krieges. Die Mehrzahl der wirklichen Frontoffiziere wird daher ihre Mannschaften auch jetzt nicht verlassen. Sie werden aus dem jung erwachsenen Kameradschaftsgefühl bei uns bleiben. Vielleicht wäre das alles anders, wenn die Revolution weiter nichts gewesen wäre als Defaitismus.

Jetzt aber wissen wir, wofür wir weiterkämpfen. Jetzt erhalten auch die Kämpfe, die wir hinter uns haben, die Millionen von Todesopfern, noch nachträglich einen Sinn. Jetzt kennen wir die große, herrliche Aufgabe, die wir zu lösen haben. Und wir werden diese Aufgabe lösen, Genossen. Natürlich wird der Klassenunterschied sich bemerkbar machen, darum müssen die Frontoffiziere in unsern Reihen sorgsam überwacht werden. Alle Elemente, die sich weigern, mit uns zu kämpfen, werden als Kriegsgefangene behandelt."

Das Wort erhält der englische Genosse Smith:

„Genossen! Ich war Telegraphist im Interalliierten Hauptquartier. Ich hätte der Revolution auf diesem Posten unschätzbare Dienste leisten können. Wenn ich ihn trotzdem verlassen habe, dann könnt ihr daraus erkennen, dass es eine sehr wichtige Sache ist, die mich hierher trieb. Es gelang mir, die Maas noch kurz vor den Ententetruppen zu überschreiten. Von Wesel aus bin ich in einem Flugzeug des Arbeiterrates hierher geeilt, um euch die ungeheuerlichen Pläne der Ententestaaten mitzuteilen. Ein interalliierter Kriegsrat hat sich mit der Lage befasst und beschlossen, an allen Fronten sofort sämtliche Machtmittel einzusetzen.

Im Fernen Osten sollen alle verfügbaren Seestreitkräfte gegen Wladiwostok konzentriert werden, dessen Verlust in den nächsten Tagen man befürchtet. China soll in den Kampf gegen die russische Revolution eingereiht werden. Japan war bereit, seine ganze Armee nach Sibirien zu werfen. Auf den Einspruch Amerikas ist aber beschlossen worden, dass immer eine gleich starke Zahl von Amerikanern und Japanern eingesetzt wird.

Afghanistan soll sofort von englischen Truppen besetzt werden, um den russisch-deutschen Vorstoß auf Indien abzuwehren. Alle französischen, englischen und italienischen

Schiffe im Mittelmeer sollen sofort im Schwarzen Meer eingesetzt werden und nötigenfalls den Durchgang durch die Dardanellen erzwingen. Die Franzosen, die vorher die stärksten Befürworter dieses Plans gewesen sind, hatten plötzlich Bedenken, als die ersten Nachrichten über die Meuterei in der Schwarzmeerflotte eintrafen. Jetzt bestanden aber die Engländer darauf, ohne Rücksicht auf Verluste alle Seestreitkräfte einzusetzen. Das Kräfteverhältnis der Flotten hat sich durch den furchtbaren Aderlass der englischen Nordseeflotte grundlegend geändert. Der unerwartet starke Widerstand in Schleswig-Holstein macht es wahrscheinlich, dass die im Kanal eingeschlossenen Teile der englischen Flotte verloren gehen, wenn nicht zu ihrem Entsatz außerordentliche Anstrengungen gemacht werden. Die Vertreter Frankreichs weigerten sich zunächst, diese Desperadopolitik mitzumachen. England drohte daraufhin, all seine Truppen von der Rheinlinie zurückzuziehen, Frankreich gab nach und musste sich sogar bereit erklären, seine Flotten dem englischen Kommando zu unterstellen. Wilson hat sich geweigert, diese Politik, die seinem Programm völlig widerspreche, mitzumachen. Die amerikanische Generalität hat jedoch, gestützt auf die einflussreichsten Finanz-und Industriekreise der Vereinigten Staaten, den Präsidenten unter Androhung von Gewaltmaßnahmen gefügig gemacht. Alle in englischen und französischen Häfen liegenden Schiffe werden in fieberhafter Eile für den Truppentransport vorbereitet. In einzelnen Häfen streiken die Hafenarbeiter. Um die furchtbaren Verluste durch Minen, vor allem durch Treibminen zu vermindern, werden Tausende von Klein- und Fischereifahrzeugen in den Minensuchdienst eingereiht. Alle amerikanischen Truppen sollen in Schleswig-Holstein eingesetzt werden, wohin bis jetzt schon über 200000 Mann geschickt worden sind. Allerdings dürfte nur die Hälfte davon den festen Boden erreicht haben. Es kommen aber noch mehr, viel mehr! Sie sollen alle in

 

Schleswig-Holstein und an der Ostseefront, die man bis nach Petrograd auszudehnen hofft, eingesetzt werden. Der Kapitalismus macht gewaltige Anstrengungen, um die junge Revolution zu unterdrücken. Aber es sind seine letzten Anstrengungen, Genossen. Sie setzen alles auf eine Karte, aber es ist die einzige Karte, die letzte Karte, die sie noch haben. Sie wissen es, genau so gut wie ihr, dass ihre Stunde geschlagen hat. Wenn die Welt zur Ruhe kommt, wenn ihr einige Jahre oder Jahrzehnte Zeit habt, am Aufbau der sozialistischen Gesellschaft zu arbeiten, und wenn auch nur in dem Rahmen eures jetzigen Machtbereichs, dann ist der Siegeszug des Sozialismus nicht mehr aufzuhalten. Wenn Russland und Deutschland, die Donauländer, der Balkan und die Türkei zusammenhalten, so sind sie in einigen Jahren unüberwindlich. Die Anziehungskraft eines so großen Reiches mit sozialistischer Zielsetzung auf die unterdrückten Völker in Asien und Afrika wird gewaltig sein. Dazu darf es nicht kommen, sagen sich meine kapitalistischen Landsleute. Deshalb wollen sie jetzt gleich, solange sie noch Millionenarmeen unter den Waffen haben, die Revolution niederschlagen oder wenigstens auf das östliche Europa und das asiatische Russland zurückwerfen, deshalb wollen sie alle Industriegebiete vom Herd der Revolution abriegeln. Russland allein, so glauben sie, mit seiner schwach entwickelten Industrie und mit seiner rückständigen, mittelalterlichen Landwirtschaft wird nicht imstande sein, ohne fremde Hilfe den Sozialismus zu verwirklichen. Es geht um Sein oder Nichtsein des Kapitalismus, deshalb werfen sie all ihre Kräfte in den Kampf. Deshalb schrecken sie vor keiner Gemeinheit, vor keinem Neutralitätsbruch zurück. Die holländische, schwedische und norwegische Neutralität brachen sie bereits. Mit kapitalistischen Kreisen der Schweiz und Dänemarks sind Verhandlungen im Gange. Ihr seht, Genossen, dass große Anstrengungen gemacht werden, euch zu vernichten. Das sieht schlimm aus, aber nur für den ersten Augenblick. Denn gerade diese Tatsache berechtigt uns auf lange Sicht zu den größten Hoffnungen. Je mehr Anstrengungen gemacht werden, euch zu vernichten, je stärker die Entente alle Kräfte anspannen muss, um so leichter wird es möglich sein, den englischen, französischen und amerikanischen Genossen und Soldaten für die Revolution zu gewinnen. Der Kampf, der jetzt begonnen hat, entscheidet nicht nur über das Schicksal Mittel- und Osteuropas, er entscheidet jetzt auch über das Schicksal Westeuropas. Es handelt sich nach diesem Frontalangriff des Kapitalismus bereits nicht mehr um die Frage: sozialistisches Osteuropa neben einem kapitalistischen Westeuropa? Die Frage lautet jetzt: sozialistische oder kapitalistische Welt? Wir aber, Genossen, werden für die sozialistische Welt kämpfen."

(Langanhaltender Beifall.)

Lenin spricht (2 Uhr nachts): „Genossen, wir wollen uns jetzt von unseren asiatischen und afrikanischen Brüdern verabschieden. Auf Flugzeugen, Luftschiffen und Unterseebooten wollen sie versuchen, ihre Heimat zu erreichen. Sie verlassen uns jetzt, um sich bald ganz mit uns vereinigen zu können. Sie werden in ihren Ländern überall den Aufstand vorbereiten. Sie kämpfen dort für uns, so wie wir hier für sie kämpfen. Gegen den Feind der unterdrückten Klassen und der unterdrückten Völker, gegen den Kapitalismus. Sozialer und nationaler Befreiungskampf gehen Hand in Hand. Geht nun hin, Genossen, in eure Länder und bereitet den Aufstand vor!

Ihr chinesischen Genossen, grüßt von uns die chinesische Revolution! Wir werden euch helfen, sie zu vollenden, so wie ihr uns jetzt helft, das Joch des Kapitalismus abzuschütteln. Grüßt Sun Yat-sen. Dankt ihm für sein Telegramm. Ihr Inder, sagt euren Landsleuten, dass die Stunde der Befreiung näher rückt! In den nächsten Wochen wird der Entscheidungskampf an eurer Grenze entbrennen. Seht nicht untätig zu! Helft mit!

Ihr Afrikaner, sorgt dafür, dass kein farbiger Soldat mehr Afrika verlässt! Nehmt den Kampf auf der ganzen Front auf! Vereinigt euch mit den Kräften Abd el Krims. Nie war die Gelegenheit so günstig wie jetzt. Bald werden wir euch vom Osten aus zu Hilfe kommen. Lebt wohl, Genossen, wir sind überzeugt, dass ihr eure Aufgabe erfüllen werdet.

Genosse Harrington erhält jetzt das Wort, um uns über die Situation in den U.S.A. zu berichten."

Harrington: „Genossen! In den Vereinigten Staaten ist im Augenblick an eine proletarische Erhebung noch nicht zu denken. Trotzdem dürfen wir die revolutionären Möglichkeiten, die gerade jetzt und vielleicht nur jetzt bestehen, nicht zu gering einschätzen. Ihr müsst euch vergegenwärtigen, dass Amerika eine pazifistische, antimilitaristische Tradition besitzt. Diese Tradition wurzelt zu einem Teil in der Religion verschiedener Sekten und Bekenntnisse. Zu einem anderen Teil in den Überlieferungen aus der Gründungszeit und in der Mentalität der Einwanderer. Die wichtigsten Gründe dieser Tradition aber sind die besonderen Bedingungen und Notwendigkeiten während der Epoche des kolonialen Frühkapitalismus. Diese Epoche ist jetzt abgeschlossen. Amerika ist schon vor dem Kriege in die Reihen der imperialistischen Staaten eingetreten. Dem würde eine neue Ideologie, eine neue Mentalität entsprechen. Vorläufig aber lebt noch die alte Ideologie, die alte Mentalität, die alte Tradition. Sie herrscht noch in den Köpfen der Proletarier, sie wurzelt auch noch fest, viel fester als es in der jetzigen Zeit der gewaltsamen Unterdrückung scheint, in weiten Kreisen des Bürgertums, ja sogar in den Köpfen vieler führender Funktionäre des Bürgertums, vielleicht sogar im Kopfe des Präsidenten. Wir müssen diese Tatsache geschickt ausnützen.

Wir müssen dafür sorgen, dass diese Denkweise in den Köpfen der Proletarier rascher zu einer proletarischen Ideologie wird als die Ideologie des Bürgertums zu einer rein imperialistischen. Wir werden, an die amerikanische Tradition anknüpfend, mit typisch bürgerlichen pazifistischen Argumenten gegen die Fortsetzung des Krieges operieren. Dabei können wir uns stützen auf die besonderen Eigenarten des jugendkräftigen amerikanischen Kapitalismus und Imperialismus, der in vielen Fällen eine ganz andere Zielrichtung hat als die europäischen Imperialismen. Wir werden den amerikanischen Kleinbürgern klarmachen, dass das in Europa angelegte Geld verloren ist, wenn der Krieg bis zur gänzlichen Zerstörung Europas fortgesetzt wird. Wir werden sie darauf hinweisen, dass die Weststaaten nicht nur gewinnen, sondern auch verlieren und der Revolution anheim fallen können.

Wir müssen ferner folgendes berücksichtigen: Der amerinische Arbeiter und Soldat ist nicht, wie man bisher geglaubt hat, immun gegen sozialistische Einflüsse. Amerikanische Soldaten haben in Archangelsk und Wladiwostok gemeutert, als sie gegen die Revolution kämpfen sollten. Wenn erst einmal die Revolution in Europa gesiegt hat und in Amerika eine gewisse Kerntruppe vorhanden ist, so sind die Aussichten für einen bewaffneten Aufstand bei uns lange nicht so ungünstig, wie allgemein angenommen wird, viel günstiger jedenfalls als für die von den Reformisten gepriesene „Machteroberung auf demokratischem Wege". Demokratisch ist dem amerikanischen Kapitalismus noch viel weniger beizukommen als dem europäischen. Dazu ist er zu stark, zu robust, zu selbstsicher. Dazu sind vor allem die beiden Parteien zu stark und finanzkräftig, die im entscheidenden Augenblick über das ganze amerikanische Kapital und über die ganze Presse verfügen. Selbst wenn der kapitalistische Terror, wenn die organisierten Überfälle auf Arbeiterhäuser und Arbeitereinrichtungen und auf unsere Zeitungen und Vereinshäuser aufhören sollten, selbst wenn der Ku Kux Klan wirklich aufgelöst werden sollte, selbst wenn die Lynchjustiz und die bürgerliche Klassenjustiz ihre Schreckensherrschaft einstellen sollten, selbst wenn alle diese Voraussetzungen, an die im Ernst natürlich gar nicht zu denken ist, einmal gegeben wären, selbst dann würden wir nicht imstande sein, dem mächtigen Apparat der Demokraten und Republikaner etwas auch nur annähernd Gleichwertiges entgegenzusetzen.

Die Arbeiteraristokratie ist bei uns reformistisch und bürgerlich verseucht. Die anderen Proletarierschichten sind entweder vorläufig, d. h. in normalen Zeiten, noch unorganisierbar (die Bewohner der Slums), oder sie sind von dem typisch amerikanischen Glauben an die große Chance besessen, der sich noch aus der Zeit des Frühkapitalismus, des Pioniertums in Amerika, erhalten hat und durch den Krieg mit seinen vielen Verdienstmöglichkeiten, mit seiner rasend aufgeblähten und vollbeschäftigten Industrie, mit seinen hohen Löhnen wieder neue Nahrung erhalten hat. Der amerikanische Arbeiter hat bisher alle Vorzüge eines jungen, kräftig sich entwickelnden, seine Konkurrenten überflügelnden und sich auf günstigem Gebiet ausdehnenden Kapitalismus kennen gelernt. Wie aber wird es werden, wenn er jetzt einmal seine Schattenseiten richtig kennen lernt, wenn er für diesen Kapitalismus, der ihm dann auf einmal nicht mehr so liebenswert erscheinen wird, längere Zeit kämpfen, leiden und entbehren muss? Wie wird es werden, wenn sich erst einmal eine Kerntruppe der Revolution gebildet hat, wenn nicht nur Arbeiterversammlungen, sondern auch kapitalistische Klubs überfallen werden? Wie wird es werden, wenn sich den amerikanischen Parias, den Millionen Negern, Mexikanern usw. endlich die Bruderhand des weißen Proletariers entgegenstreckt? Deshalb sage ich euch, Genossen: Wenn der Präsident seine Ansicht durchsetzt und die amerikanischen Truppen aus Europa zurückzieht, dann kann ich euch für die nächsten zehn Jahre nicht viel versprechen. Wenn aber der Krieg gegen die europäische Revolution in größerem Ausmaß mit amerikanischen Truppen fortgesetzt wird und unter großen Verlusten monate- oder gar jahrelang dauert, dann, Genossen, kann ich euch versprechen, dass in Amerika Bundesgenossen erstehen, auf die ihr euch verlassen könnt."

Wieder durchtobt stürmischer Beifall das Haus, das noch immer voll besetzt ist, obwohl bereits der Morgen naht. Rote Matrosen der deutschen und russischen Flotte und Delegierte der havarierten und in deutsche Häfen eingelaufenen Schiffe der englischen Flotte nehmen vor der Rednertribüne Platz.

Ein Telegramm wird verlesen: „In Potsdam Offiziersaufstand ausgebrochen. Truppen treugeblieben. Post und Rathaus von den Aufständischen besetzt. Eisenbahn in unseren Händen. Sendet sofort Verstärkungen." (Inzwischen liquidiert! D. Red.) Die Sitzung des Generalrats wurde für 24 Stunden vertagt.

Vorwärts - 30. November 1918

Der Kampf um die Ostsee

Vordringen der englischen Flotte im Nordostseekanal

Brunsbüttelkoog wieder zurückerobert Eutentetruppenlandungen in Jütland und Nordseeland

Ultimatum an Norwegen Erfolge der Revolution in Schweden

Die Lage in Schleswig-Holstein

Die englische Flotte kämpfte sich, allerdings mit großen Verlusten, durch den Minengürtel der Nordsee durch. Der Angriff auf Wilhelmshaven wurde abgeschlagen, obwohl wir außer den Küstenabwehrgeschützen nur noch über Kanonen, Torpedo- und Unterseeboote in der Nordsee verfügten. Cuxhaven ist gefallen. Landungstruppen in Stärke von ungefähr 50000 Mann marschierten auf dem linken Eibufer vorwärts bis vor Brunsbüttelkoog. Darauf wurde Brunsbüttelkoog vom Wasser her eingenommen. Starke Landungstruppen begannen sofort an beiden Seiten des Kanals vorzumarschieren. Die Engländer trafen zuerst nur auf Widerstand von Partisanengruppen, den sie leicht überwanden. Erst in der Linie Albersdorf—Hademarschen wurden sie aufgehalten. Den rechten Flügel bedrängten starke rote Truppen, die aus dem Lockstedter Lager, Hamburg, Neumünster und Lübeck kamen. Ein Teil der auf dem rechten Ufer marschierenden englischen Truppen wurde gefangen genommen oder lief über. Der größte Teil aber konnte sich auf das linke Ufer retten. Inzwischen war das englische Geschwader im Kanal herangekommen, das zehn Stunden durch die Beschädigung der Schleusen in Brunsbüttelkoog aufgehalten worden war. Jetzt änderte sich die Situation vollständig zugunsten der Engländer. Die dritte englische Landungsarmee hatte die ersten Angriffe der roten Hamburger Arbeiterwehr abgewehrt und den Vormarsch über Glückstadt—Elmshorn angetreten. Die Eisenbahnverbindung nach dem Norden war unterbrochen. Gleichzeitig landete die vierte englische Armee in Eiderstedt und fesselte die Kräfte der Rendsburger Garnison durch den Vormarsch auf dem rechten Eiderufer. Unter dem Schutz ihrer Schiffskanonen gelang es den Engländern, ungefähr 10 km beinahe kampflos vorzudringen. Gestern nahmen sie nach hartem Kampf Rendsburg ein. Dadurch erhielt die englische Kriegsflotte wieder Bewegungsfreiheit und konnte 10 km weit östlich von Rendsburg vorstoßen. Gegenwärtig wird um die starke und günstig gelegene Verteidigungsstellung am Flemhuder See heftig gekämpft. Aber auch wenn diese Stellung durchbrochen werden sollte, kann die englische Flotte nicht mehr vordringen. Zwei Kilometer westlich der Levensauer Hochbrücke ist der ganze Kanal zugeschüttet. Über 40000 Mann mit Tausenden von Fahrzeugen arbeiten fieberhaft Tag und Nacht daran, zwei je 30 m breite Erd- und Betonbarrieren durch den Kanal zu bauen. Selbst wenn Kiel eingenommen werden sollte, wird es wochenlang dauern, bis dieses Hindernis beseitigt ist.

 

Die roten Verteidiger der Kieler Festung sind zuversichtlich.

Die Landung einer großen englisch-amerikanischen Armee in Westjütland und das Vordringen der vierten englischamerikanischen Armee rechts der Eider hat nun aber doch eine starke Bedrohung unserer Stellung in Schleswig-Holstein hervorgerufen.

Wir waren auf diesen Angriff zuerst überhaupt nicht vorbereitet und haben ihm dann zu wenig Bedeutung beigemessen. Wir haben nicht im entferntesten damit gerechnet, dass so gewaltige Truppenmassen in Schleswig-Holstein eingesetzt würden. Nach den ersten Berichten über die starken englischen Verluste im Minengürtel der Nordsee haben wir angenommen, dass die Gefahr vorüber sei. Nördlich des Kanals kämpft eine einzige, kaum friedensstarke rote Division gegen einen zwanzigfach überlegenen Gegner. Sie hat eine erstklassige Verteidigungsstellung in den holsteinischen Knicks (mehrere Meter breite baum- und buschbewachsene Erdwälle, von denen alle höhergelegenen Koppeln umrahmt sind) und verstärkt diese vorzügliche Deckung dauernd durch Erdarbeiten. Der Gegner versucht unter ungeheuren Opfern, bisher vergeblich, das vor dieser natürlichen Verteidigungsstellung liegende 3 km breite Sumpf- und Moor - und Wiesengebiet zu durchqueren. In den Sümpfen und Mooren vor Tetenhusen versackten die ersten Angriffe. Der weiter ostwärts immer wieder vorgetriebene Angriff brach unter dem Feuer unsrer Maschinengewehre in dem kilometerweiten gräbendurchzogenen und überschwemmten Wiesengürtel zusammen. Jetzt aber ist Rendsburg in der Hand der Gegenrevolution. Wird es unsern von Süden heranrückenden Truppen rechtzeitig gelingen, Rendsburg wieder einzunehmen? Alle im nördlichen Deutschland von der Westfront zurückflutenden Truppen mit Verstärkungen aus Berlin und Hannover werden nach dem Norden geworfen. Die ersten roten Regimenter aus Russland haben Neumünster erreicht. Hoffentlich kommen sie rechtzeitig!

Letzte Nachrichten und Telegramme

Der englische Vormarsch auf dem Unken Eibufer ist zum Stehen gekommen. Brunsbüttelkoog und Rendsburg sind von starken roten Kräften zurückerobert worden. Die englisch-amerikanischen Landungsarmeen aus Eiderstedt und Jütland haben sich vereinigt. Flensburg ist von den Engländern eingenommen worden und wird von der vereinigten deutsch-russischen Flotte beschossen, die alle Versuche zur Forcierung der Ostseeinfahrt abgeschlagen hat. Unsere Verteidigungsstellung verläuft jetzt: Schlei—Schleswig— Rendsburg—Schleswiger Landstraße bis Sorgbrück, Sorgeniederung—Eider.

Hinter dieser Stellung befinden sich noch zwei englische Nester, die aber in den nächsten Tagen erledigt sein dürften; westlich zwischen Heide und Albersdorf schwache zersprengte Truppen; im Osten die jetzt hoffnungslos eingeschlossene englische Kanalflotte mit den dezimierten und abgekämpften englischen Landtruppen. Alle Angriffe auf Kiel wurden abgeschlagen. Vor der zugeschütteten Kanalstellung schwelen deutsche Brander, die jedes weitere Vordringen unmöglich machen. Die Verbindung der englischen Kanalflotte nach rückwärts ist abgeschnitten. Bei Schacht—Audorf hat die rote Arbeiterwehr des Walzwerkes mehrere schwer beladene Schiffe von Werft Nobiskrug versenkt. Sie greift jetzt mit der roten Arbeiterwehr der Büdelsdorfer Karlshütte und den aus dem Süden kommenden roten Truppen die englische Kanalflotte von rückwärts an. Die schwachen deutschen Verteidigungstruppen rechts der Eider haben lange vergeblich auf Verstärkungen aus Rendsburg gewartet und dann wegen Umzingelungsgefahr ihre fast unüberwindliche Verteidigungsstellung aufgegeben, nicht ohne den im Überschwemmungsgebiet anrückenden englisch-amerikanischen Truppen außerordentlich starke Verluste beigebracht zu haben. Die Unsern zogen sich 2 km zurück und verteidigen jetzt die Südseite der ebenfalls überschwemmten Sorgeniederung.

Das Rheintal von der Schweizer Grenze bis Rastatt ist von uns geräumt worden. Die französischen Truppen erlitten starke Verluste beim Angriff auf den Schwarzwald. Wegen der durch Aufgabe der Schweizer Neutralität veränderten Lage wird ganz Süddeutschland beschleunigt geräumt. Die italienischen Truppen erlitten bei ihrem Vordringen in schwierigem Gelände schwere Verluste.

Telegramm aus Konstantinopel

Zweiter Dardanellenangriff mit schweren Verlusten abgewiesen. Verbindung mit Schwarzmeerarmee hergestellt. Vormarsch aufgenommen, auf dem Balkan in westlicher, in Kleinasien in östlicher Richtung.

Internationaler Zentralsoldatenrat

Telegramm aus Bukarest

Donau in breiter Front südwärts überschritten.

Oberkommando Rote Ostdonauarmee

Telegramm aus Moskau

Wladiwostok zum dritten Mal an Japaner und Amerikaner verloren. In der Provinz Sutschan treffen ständig neue rote Partisanengruppen aus dem Westen ein.

Vorwärts - 15. Dezember 1918

Sieg im Osten! Rückzug im Westen!

Aus Lenins Rede in der Sitzung des Generalrates des B.d.S.R.S.

Lenin: „Genossen, die Lage im Osten ist bekannt. Die transsibirische Bahn und die Verkehrswege in der Mongolei und Mandschurei sind in unserer Hand. In China macht die Revolution, unterstützt durch unsere Flugzeuge und Eisenbahntruppen, weitere Fortschritte. In Persien, Afghanistan, Mesopotamien und Palästina werden die englischen Truppen zurückgedrängt. Der Angriff auf Ägypten und Indien und die revolutionäre Bewegung in beiden Ländern schreiten gut fort. Die Angriffe der Entente auf die Dardanellen sind endgültig abgeschlagen. Alle englisch-italienisch-französischen Seestreitkräfte im Mittelmeer, soweit sie nicht vernichtet, kampfunfähig geworden oder zu uns übergegangen sind, werden im Suezkanal zur Verteidigung Ägyptens konzentriert. Dorthin konzentrieren die Kapitalisten auch alle anderen Seestreitkräfte aus den pazifischen und indischen Gewässern. In Nordafrika schreiten die Kämpfe gegen Italiener, Franzosen und Spanier erfolgreich fort. Der größte Teil von Schweden, Norwegen und die meisten dänischen Inseln sind fest in unserer Hand. Die Kieler Festung hält sich. Angesichts dieser Tatsachen dürfen wir im Westen die Ruhe nicht verlieren. Wir müssen heute noch mit der Räumung von Berlin beginnen, wenn sich an der Eiblinie herausstellen sollte, dass die Aufklärung der Ententetruppen noch nicht so weit vorgeschritten ist, dass sie auch in größeren Formationen sich weigern, auf dichtbevölkerte Städte zu schießen. Wir haben in dieser Beziehung bereits große Erfolge zu verzeichnen. Durch unser rechtzeitiges Zurückweichen haben wir immer wieder Gelegenheit zu erfolgreichen Gegenstößen gehabt, und zwar in Gegenden, die wir uns ausgesucht haben, Genossen. Der Gegner ist ängstlich geworden und wird täglich schwächer, obwohl er alles erfassbare Menschenmaterial in den Kampf geworfen hat. Die asiatischen und afrikanischen Truppen aber hat er endgültig aus der Kampffront herausnehmen müssen. Sie werden nur noch als Besatzungstruppen verwandt. Vorläufig! Wenn erst überall im Rücken der Entente bewaffnete Partisanenkämpfe und Aufstände ausbrechen, dann wird es keine Etappe mehr geben. Dann wird die Stunde zum Generalangriff gekommen sein. Bis dahin dürft ihr die Nerven nicht verlieren, deutsche Genossen. Deutschland ist nicht die Welt. Wir werden die Sowjetmacht in ganz Deutschland aufrichten, schneller als ihr denkt, Genossen! Vorläufig aber müssen wir noch weiter zurück. Die nächste Sitzung des Generalrates findet in Warschau statt. Die neue Hauptverteidigungslinie, die wir unter allen Umständen halten, soll verlaufen: Laaland—Falster—Rügen—Usedom— 20 km westlich und südlich Stettin — Oderlauf bis Neißemündung — Neißelauf—Sudeten—March—Donau bis Belgrad—Serajewo— Spalato—Ägäisches Meer. Daran schließt sich unsere südliche Angriffsfront, auf deren dauernde Verstärkung wir das größte Gewicht gelegt haben. Unsere Angriffsziele sind dort Kreta und Alexandria.