Karpfenkrieg

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„Hm“, murmelte Gerald Fuchs, „interessant“, und richtete seinen Blick auf die Tochter des Hauses. „Und Sie, was haben Sie am Samstagabend gemacht?“

Chantal Hammer biss sich auf die Unterlippe und sah ihren Vater ganz kurz von der Seite an. „Ich war mit meinem Freund weg.“

„Ich hab dir doch scho so oft gsacht“, brach es aus Johann Hammer heraus, „dass du mit dem Kümmltürkn …“

„Herr Hammer!“, unterbrach ihn der Kommissar scharf und wandte sich wieder an Chantal. „Dürfen wir fragen, wie Ihr Freund heißt, und wo und von wann bis wann Sie mit ihm unterwegs waren?“

Wieder dieser kurze Blick zu ihrem Vater. „Mein Freund heißt Jlkan Hawleri und studiert an der Uni in Erlangen Medizin. Jlkan hat mich Punkt siebzehn Uhr an der Bushaltestelle, gleich um die Ecke, abgeholt.“

„Macht er das immer so?“, fragte die Polizistin nach. „An der Bushaltestelle?“

„Na ja“, druckste Chantal Hammer herum, „mein Vater …“, und erntete einen wütenden Blick.

„Verstehe“, bestätigte die Beamtin. „Und dann?“

„Dann sind wir nach Erlangen gefahren und ins Kino gegangen.“

„Aha, welcher Film lief denn?“

„Monsieur Claude und seine Töchter, im Cine-Star“, kam die Antwort, kurz und präzise.

„Und dann? Am besten erzählen Sie, was Sie mit Ihrem Freund den Abend über gemacht haben. Dann brauchen wir nicht ständig nachzufragen“, schlug Sandra Millberger vor.

„Also“, überlegte Chantal und kratzte sich an ihrer kleinen Stubsnase, „der Film war so circa um zwanzig Uhr zu Ende. Dann hat mich Jlkan zum Sushi-Essen nach Nürnberg eingeladen. Danach, es war gerade halb elf vorbei, sind wir zu seiner Schwester und ihrem Mann nach Fürth gefahren und haben uns dort verquatscht Wir waren so gut drauf und haben gar nicht bemerkt, wie die Zeit verflogen ist. Als Jlkan auf die Uhr gesehen hat, rief er auf einmal: Schon gleich halb drei! Jedenfalls sind wir dann kurz danach aufgebrochen und Jlkan hat mich nach Hause gefahren.“

„Zur Bushaltestelle?“

Chantal nickte.

„Wie spät war es, als Sie das Haus betreten haben, und was ist Ihnen dabei möglicherweise aufgefallen“, übernahm nun der Kommissar wieder das Gespräch.

„Es war viertel nach drei“, antwortete Chantal Hammer ohne zu zögern.

„Haben Sie auf die Uhr geguckt?“

„Das nicht“, antwortete sie, „aber als ich den Schlüssel ins Schloss steckte, hat die Kirchenglocke viertel nach geschlagen.“

„Haben Sie Horst Jäschke noch gesehen?“

„Nein, der muss schon weg gewesen sein. Jedenfalls haben Papa und der Bertl, der Gisbert Holzmichl, lautstark in unserer Gartenlaube gesungen. Ich müsste eher sagen, gegrölt. Atemlos durch die Nacht, aber mit einem anderen Text. Die zwei müssen ganz schön besoffen gewesen sein. Ich bin dann jedenfalls gleich ins Bett.“

„Was machen Sie eigentlich so?“, wollte die Polizistin noch wissen.

„So?“

„Na ja, ich meine, gehen Sie noch zur Schule, arbeiten Sie schon? Sie sind jetzt neunzehn, richtig?“

„Ach so, das wollen Sie wissen. Genau. Ich bin neunzehn und habe im Juni dieses Jahres mein Abi abgeschlossen. Im Moment genieße ich noch den Abstand von der Schule, ich meine die freie Zeit, denn im Oktober beginne ich mit meinem Studium an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen.“

„Fein, und was werden Sie studieren?“

„Sinologie“

„Pah“, staunte die Beamtin, „da haben Sie sich aber was vorgenommen. Waren Sie schon mal in China?“

„Das nicht, aber mich interessiert alles, was mit China zu tun hat. Die Leute, das Land, die Kultur, eben alles.“

„Na gut“, unterbrach Kommissar Fuchs die Unterhaltung. „Wir wollen Sie nicht länger stören. Wir“, und dabei sah er Johann Hammer an, „haben uns ja schon ausgiebig unterhalten. Dennoch gehe ich davon aus, dass es nicht das letzte Mal war. Sind Sie die nächste Zeit im Lande?“

„Ganz sicher, was glaubn denn Sie? Die Karpfensaison geht bald los. Was mana Sie, was des für Ärwert is. Do haßts zupackn.“

*

„Eine pfiffige junge Frau, die Chantal“, meinte Sandra Millberger, als die beiden Polizisten wieder im Auto saßen.

„Aber ihre Mutter …“, entgegnete ihr Chef, „ein lebendes Wrack.“

„Schau dir doch ihren Mann an“, warf Sandra ärgerlich ein, „gefühllos, aufbrausend, selbstherrlich und ein Fremdenhasser. Verbietet seiner neunzehnjährigen Tochter den Umgang mit einem in Deutschland geborenen Türken. Mittelalter. Apropos Türke“, sinnierte die Beamtin, „wollen wir diesen Jlkan auch befragen, ob die Angaben, die Chantal gemacht hat, stimmen?“

„Können wir später noch nachholen“, meinte ihr Chef, „oder glaubst du, dass die den Horst Jäschke umgebracht hat? Fragen wir zuerst Thomas Rusche. Vielleicht hat der schon ein Ergebnis und kennt zwischenzeitlich die genaue Todesursache des Opfers. Kann ja sein, dass es sich bei der Leiche gar nicht um den Teichwirt aus Neuhaus handelt.“

„Wenn du meinst.“

*

„Es war ein direkter Stich ins Herz, von hinten ausgeführt“, erklärte ihnen der Rechtsmediziner. „Übrigens, bei dem Toten handelt es sich tatsächlich um Horst Jäschke. Die Überprüfung der DNA ist eindeutig.“

„Und das Feuer?“

„Wurde anschließend gelegt. Das Opfer wurde mit Benzin übergossen und angezündet.“

„Was macht das für einen Sinn?“, überlegte Sandra laut.

„Keine Ahnung, liebe Kollegin“, zuckte Thomas Rusche mit den Schulterblättern, „das müssen Sie beide herausfinden. Sie sind die Ermittler. Ich kann mir nur vorstellen, dass der Täter die Identität des Toten vertuschen wollte. Aber fragen Sie mich nicht warum.“

„So ein Stich direkt ins Herz, führt der eigentlich einen schnellen Tod herbei, Herr Rusche?“, wollte der Kommissar wissen.

„Schon“, bestätigte der Forensiker. „Sehen Sie, bei der Tatwaffe muss es sich um eine zweiseitig geschliffene Stichwaffe handeln, mit einer Klinge von mindestens fünfzehn Zentimetern. Die Dinger sind übrigens in Deutschland verboten. Wenn nun so ein scharfer und spitziger Gegenstand ins Herz eindringt und wieder herausgezogen wird, dann kommt es zu einem Druckausgleich mit der Außenluft, woraufhin die Lungenflügel zusammenfallen. Bei unserem Opfer spricht man von einem Tod durch eine Herzbeuteltamponade. Ich erkläre es Ihnen. Durch die Verletzung entsteht eine Flüssigkeitsansammlung im Herzbeutel. Bereits geringe Mengen von Blut können zu einer Behinderung der Ventrikelfüllung führen, das heißt, zu einem verminderten Schlagvolumen und somit zu einer lebensbedrohlichen Funktionsstörung des Herzens. Der Blutfluss in den Koronararterien wird vermindert und der Herzmuskel wird nur noch ungenügend mit Sauerstoff versorgt. Eine Herzinsuffienz entsteht. Das Herz ist nicht mehr in der Lage, die vom Körper benötigte Blutmenge ohne Druckanstieg in den Herzvorhöfen zu fördern. Es kommt zum Pumpversagen. Aus. Exitus.“

„Na, Prost Mahlzeit“, kommentierte der Kommissar, griff in seine Jackentasche und zog einen kleinen Plastikbeutel heraus. „Wir kommen gerade aus Röttenbach und haben eine Zahnbürste von Johann Hammer mitgebracht. Das ist der Mann, dessen beige Jeansjacke und Hut das Mordopfer vermutlich trug. Ich lasse Ihnen für den DNA-Abgleich den Beutel samt Inhalt hier. Wie Sie sicherlich bereits vermuten, wäre es mal wieder sehr eilig zu wissen, ob die Jacke und der Hut des Toten tatsächlich Johann Hammer gehörten.“

„Wie haben Sie denn den Mann so schnell gefunden?“

„Wir haben eben auch unsere Agenten an allen Stellen“, antwortete Sandra Millberger mit einem spitzbübischen Lächeln. „Vor allem in Röttenbach.“

Ihr Chef konnte darüber gar nicht lachen.

Am Abend rief Sandra Millberger Kunigunde Holzmann an, und erzählte ihr von den Gesprächen mit der Familie Hammer. „Die Jana is a arme Sau“, kommentierte die Kunni, „ihr Mo, der Hundsfregger, besucht scho seit Jahrn a Nuttn in Büchenbach. Die Jana rennt bloß nu in die Kergn und betet zum Heiland. Ich glab, ich hätt den Kreizdunnerwetterhund scho längst umbracht. Aber Sandra, bevor ich des vergess, da fällt mer nu was andres ei. Sacht dir der Knöllchen-Horst was?“

„Der wer? Knöllchen-Horst?“

„Genau.“

„Nein, keinen blassen Schimmer, wer oder was das sein soll.“

„Pass auf, besorg dir amol einen Zeitungsbericht vom 16. August, vo die Nordbayrischn Nachrichtn. Ihr junga Leit find doch sowas ganz bestimmt im Internet.“

„Und was für einen?“

„Schwere Alkoholfahrt – Ampel umgefahren.“

„Und was soll da drinstehen?“

„Da liest du vo an Unfall und aner Autofahrt im Vollrausch, und dass die Polizei an anonyma Anruf kricht hat, bevor sie den Bsoffnen gestellt hat. Der Anrufer war der Knöllchen-Horst, und der Knöllchen-Horst war der Horst Jäschke aus Neuhaus, die verbrennte Leich aus Röttenbach.“

7

Sissi Lohmeier ist ausgebildete Fleischfachverkäuferin, keineswegs ihr Traumberuf. Aber damals, vor vielen Jahren in der Schule, war sie einfach ein faules Stück. Null Bock auf nichts. Trotzig, widerspenstig, faul und frech. Als sie nach etlichen Abmahnungen zuerst das Gymnasium und dann auch die Realschule verlassen musste, blieb ihr keine große Auswahl an sogenannten Traumberufen mehr. Ob sie allerdings wirklich jemals an einen Traumberuf dachte, darf bezweifelt werden. Dass sie überhaupt die Chance auf irgendeine abgeschlossene Berufsausbildung erhielt, hatte sie ausschließlich ihrer Mutter zu verdanken, die seit Jahren in einer großen Erlanger Metzgerei putzt. Mit vierundzwanzig Jahren konnte Sissi kein Hackfleisch, keine Schnitzel und keinen Schweinebraten mehr sehen. Sie schmiss ihren Job hin. Von dem verdienten Geld, welches sie noch nicht ausgegeben hatte, richtete sie sich eine Zweizimmerwohnung ein – zur Miete selbstverständlich. Sie sattelte um und wurde Prostituierte. Ihr erster Freier wurde der Sparkassenmitarbeiter in der Kreditabteilung, dem sie ein Darlehen in Höhe von zehntausend Euro abschwatzen konnte – der mit der starken Akne im Gesicht und den vielen Schuppen im Haar. Sissi brauchte noch etwas Geld für ein rundes Lotterbett und eine große Badewanne mit Whirlpoolmassage. Außerdem musste sie noch in feine Dessous und das eine und andere Sexspielzeug investieren. Sie war davon überzeugt, dass die heutigen Kunden experimentierfreudiger und verspielter sind als noch vor zwanzig Jahren. Dann inserierte sie. Das Geschäft lief gut an, denn attraktiv ist Sissi allemal. Es kann ihr keiner nachsagen, dass dem nicht so sei. Jetzt, mit neunundzwanzig Jahren, konnte sie nicht behaupten, dass ihr der Job Spaß machen würde, aber sie fand, es war dennoch leicht verdientes Geld, was ihr ihre Kunden da hinterließen. Mehr als zehn Jahre plante sie diesem Gewerbe allerdings nicht mehr nachzugehen. Mit vierzig, so stellte sie sich vor, hätte sie genug Geld auf der hohen Kante angesammelt, um für den Rest ihres Lebens ausgesorgt zu haben. Eine gewaltig naive Vorstellung, aber Sissi glaubte daran. Sie hatte nur ein riesiges Problem: Irgendwann müsste sie damit beginnen, Geld zu sparen. Es gab natürlich auch noch andere Möglichkeiten. Vielleicht würde sie doch noch einen attraktiven, reichen, netten jungen Mann kennenlernen, der sie auf Händen tragen würde. Einen Millionär vielleicht, mit Yacht und so. Sie hatte zwischenzeitlich zwar viele Stammkunden, aber ein Millionär war leider nicht darunter. Noch nicht. Dafür aber Hanni der Hammer. Nett und reich war er nicht. Im Gegenteil, er stank meistens nach Fisch. Doch daran hatte sie sich bereits gewöhnt. Hanni besuchte sie regelmäßig und zahlte auch immer ganz ordentlich. Er war wirklich ein guter Kunde, aber neben den bereits erwähnten Widrigkeiten nicht ganz normal, fand sie. Er liebte Rollenspiele über alles. Erst nachdem sie ihm nach einem seltsamen, langwierigen Ritual bestätigte, dass er der größte, beste und erfolgreichste Teichwirt im ganzen Aischgrund ist, war er zu sexuellen Leistungen fähig. Ein komischer Kauz, aber solange die Kasse klingelte, war ihr das egal. Morgen wollte er wieder vorbeikommen. Sollte sie das Karpfen- oder das Koikostüm bereitlegen? Er kannte beide noch nicht. Eine Überraschung, welche sie in ihrer Buchhaltung unter dem Titel Customer Satisfaction verbuchte. Sie entschied sich für den Karpfen.

 

*

Am Montag, den 25. August, hatte Jupp Hornauer sehr unangenehmen Besuch im Haus. Er konnte sich gar nicht vorstellen, was die Mordkommission überhaupt von ihm wollte. Zuerst befürchtete er, dass ihn schon wieder jemand verraten hatte. Dabei war er doch so vorsichtig gewesen, als er mit dem Wagen seiner Frau unterwegs war. Aber dass deswegen die Mordkommission bei ihm auftauchte? Nein, das konnte er sich doch nicht so richtig vorstellen. Dennoch, sie hatten anfänglich so komische Fragen gestellt. Er musste auf der Hut sein. „Herr Hornauer, besitzen Sie eigentlich einen Benzin-Reservekanister?“. „Herr Hornauer, können Sie uns sagen, wo Sie in der Nacht vom sechzehnten auf den siebzehnten August waren?“. Er musste nachdenken. Das Herz sackte ihm fast bis in die Magengrube. 16., 17. August? War er nicht an irgendeinem Tag in dem Dreh mit dem Opel seiner Frau drüben in Willersdorf beim Rittmayer gewesen? Er schwitzte Blut und Wasser. Das konnte er diesen Deppen doch nicht auf die Nase binden, auch wenn er nur vier Bierchen und zwei kleine Schnäpse zu sich genommen hatte. Quasi eine Lappalie an Alkoholkonsum. Er hatte ja vorher das XXL-Schnitzel bestellt. Das gab doch eine kräftige Unterlage im Magen. Er konnte sich nicht mehr genau erinnern, wann genau er beim Rittmayer war. Freitag? Samstag? Sonntag? Oder war er gar nicht in Willersdorf? Aber dann, nach diesem blöden Vorgeplänkel, kamen diese zwei Affen doch noch auf den Punkt.

„Herr Hornauer“, ließ dieser Hornochse von Kommissar die Katze aus dem Sack, „Sie hatten ja erst kürzlich diese leidige Alkoholfahrt. Ich weiß, dass das Verfahren gegen Sie eingeleitet ist und Ihnen daraus noch sehr unangenehme Konsequenzen erwachsen werden. In diesem Zusammenhang möchte ich gerne von Ihnen wissen, ob Sie den Neuhauser Teichwirt Horst Jäschke kennen?“

„Was soll denn etz des“, gab der Befragte von sich, „was hat denn der Jäschke mit dera Sach zu tun? Ja freilich kenn ich den Jäschkes Horst, oder ich muss ja besser sogn, ich hab ihn gekannt. A traurige Gschicht, die Sache mit dem Mord. Ich man, die bestn Freind warn wir ja grod net, was unsere Ansichtn über die Karpfenzüchterei angeht, aber suwas wünscht mer ja seim ärgstn Feind net.“

„Was meinen Sie denn damit, wenn Sie davon sprechen, dass Sie nicht die besten Freunde waren?“, hakte Sandra Millberger ein.

Was mischtn sich etz die Schnepfn a nu ei, ging es dem Jupp durch den Kopf, die sollt besser schaua, dass ihr Maul hält, die blede Dolln. „Na ja“, meinte er, „der Jäschkes Horst hat halt scho unterschiedliche Ansichtn ghabt, was die Aufzucht der Aischgründer Spiegelkarpfen angeht. Vo artgerechter Fischhaltung wollt der nix wissen. Profit, schneller Profit, des hat ihn halt umtriebn. Und auf den Kormoran, den Vogel des Jahres 2010, hat der a gschimpft wie ein Rohrspatz. Der frisst ihm die ganzn Fisch weg, hat er immer gsacht. Mich täts ja net wundern, wenn der Horst die Vögl net a innerhalb der Schonzeit gjacht hätt.“

„Ich muss vorerst bei Ihrer Alkoholfahrt bleiben, Herr Hornauer“, insistierte der Kommissar. „Sagt Ihnen der Spitzname Knöllchen-Horst etwas?“

„Ja freilich, des is doch, … war doch der Jäschkes Horst, der Lackaff. Der hat sich doch dauernd an Spaß draus gmacht, indem er Falschparker der Polizei gmeld hat.“

„Hat er Sie auch schon mal an die Polizei verraten?“, hakte jetzt Sandra Millberger nach. „Miech? Mich doch net. Mich hat der niemals erwischt, des Orschgsicht. Da hätt der scho viel früher aufsteh müssn.“

„Vielleicht täuschen Sie sich ja, Herr Hornauer. Vielleicht hat das Mordopfer Sie ja dabei beobachtet, als Sie frühmorgens, am vierzehnten August, in Uehlfeld besoffen aus der Brauerei Zwanzger getorkelt sind. Und vielleicht war ja er es, der die Polizei informiert hat?“

„Also Sie, etz beherrschen Sie sich aber fei in Ihrer Wortwahl. Getorkelt. Wer sacht denn, dass ich torkelt bin? Dann hätt ich ja nimmer Autofahrn kenna! Aber die Vermutung, die Sie da anstelln, trau ich dem Jäschke, dem Kreizkrüpplhund, scho zu.“

„Das ist keine Vermutung, Herr Hornauer“, wurde der Kommissar nun deutlicher, „das ist so. Das ist Tatsache, und das wissen Sie auch. Und, geben Sie es zu, das wurmt Sie immer noch gewaltig. Und da Sie ein emotionaler und nachtragender Mensch sind, der auch zu Gewalttaten neigt, kann ich mir gut vorstellen, dass Sie dem Horst Jäschke eins auswischen wollten. Sie beobachten ihn und finden irgendwie heraus, dass er am 16. August bei Johann Hammer eingeladen ist. Sie wissen auch, dass er absolut keinen Alkohol trinkt, wenn er am Steuer sitzt. Da unterscheidet er sich schon wieder von Ihnen. Also nehmen Sie an, dass er sich zu Fuß auf den Heimweg nach Neuhaus macht. Womit Sie nicht gerechnet haben, ist, dass es so spät werden würde. Sie lauern ihm seit Stunden auf und stellen ihn zur Rede. Ein Wort gibt das andere. Er verhöhnt Sie in seinem Suff, lacht Sie aus. Sie werden immer wütender, können sich nicht mehr in Zaum halten. Sie greifen zum Messer und stechen ihn von hinten nieder. Dann nehmen Sie erst richtig wahr, was Sie da angestellt haben. Sie geraten in Panik und zünden die Leiche an.“

Jupp Hornauer wurde blasser und blasser. Er rang nach Luft. Die Schilderungen des Kommissars und der Verdacht, den dieser gerade ausgesprochen hatte, nahmen ihm den Atem.

„Geben Sie zu, dass Sie das Opfer auf dem Gewissen haben“, setzte der Polizist das Tüpfelchen auf das i.

„Wie hätt ich denn nach Röttenbach kumma solln, Herr Kommissar, ich hab ja kan Führerschein mehr? Immer wenn ich etz wo hin muss, muss mich mei Frau foahrn. Des geht der etz scho aufn Wecker. Und außerdem, dass ich zu Gewalttaten neig, des ham Sie sich ganz schee aus Ihre Finger gsaugt. Eine Beleidigung meiner Charaktereigenschaften. A Baby im Alter vo zwa Monat is a Terrorist gegen mich.“

„So, ein Terrorist? Im Vergleich zu Ihnen? Dann frage ich Sie: Wer hat letztes Jahr unserem früheren Landrat, dem Eberhard Bierlinger, die Reifen aufgeschlitzt, nur weil er sich, wie Sie meinten, nicht ausreichend für Ihre Teichgenossenschaft eingesetzt hat? Wer wurde gerade noch rechtzeitig erwischt, bevor er dem Teichwirt Gisbert Holzmichl eintausendfünfhundert Liter Jauche in seinen Fischteich ablassen wollte? Und schließlich, um ein weiteres Beispiel zu nennen, wer hat gedroht, eine ganze Kolonie Kormorane an den Weihern vom Johann Hammer anzusiedeln?“

Jupp Hornauer lächelte süffisant. „Lauter klane Späßli, Herr Kommissar. Nix als Späßli.“

„Herr Hornauer, wollen Sie mich verarschen? Soll ich deutlich werden? Der Wagen Ihrer Frau steht doch vor der Haustür. Von Krausenbechhofen nach Röttenbach ist es auch nur ein kurzer Sprung, und Feldwege abseits der öffentlichen Straßen gibt es genügend.“

„Ich red nur noch über mein Anwalt“, meinte Jupp Hornauer innerlich völlig aufgewühlt, lehnte sich in seinem Sessel zurück, und betrachtete das Gespräch als beendet. „Und etz wärs ganz schee, wenn Sie geh tätn“, forderte er die beiden Beamten auf.

„Wir kommen wieder, Herr Hornauer“, kündigte der Kommissar an, „und dann kann es ganz ungemütlich für Sie werden.“

*

Jeder in Röttenbach, besser gesagt, jeder Einheimische in Röttenbach, kennt den Jupp Hochleitner. Der Jupp ist quasi das Röttenbacher Original. Als Rentner hat er nie Geld, ist notorisch knapp bei Kasse und ein Schmarotzer sondergleichen ist er auch. Überall, wo gerade etwas los ist, ist Jupp Hochleitner präsent. Egal ob es sich um eine Vereinsfeier handelt (er ist passives Mitglied in fünfundzwanzig Vereinen), eine lokale Wahlveranstaltung der örtlichen Parteien, eine Beerdigung oder ein Schafkopfrennen – Jupp Hochleitner ist immer dabei. Gerne ergattert er ein Freibier, ein Schnäpschen oder fungiert als Brunzkartler. Nun widerfuhr dem Jupp nach zwanzig Jahren Lottospiel eine große Glückssträhne. Fünftausenddreihundertsechsundsiebzig Euro und fünfundzwanzig Cent ergab die Quote für eine Fünf ohne Zusatzzahl. Jupp Hochleitner war auf dem Weg zu Josef Habermann in die Eggartenstraße. Der lag ihm schon lange in den Ohren wegen dieser nichtigen Angelegenheit. Heute passe es gerade. Der Jupp hatte Zeit, war gut drauf und das Wetter lud ebenfalls zu einem kurzen Spaziergang ein. Die Sonne schien von einem tiefblauen Röttenbacher Himmel, und überhaupt freute sich der Jupp immer noch über den unerwarteten Geldsegen.

Josef Habermann wartete unterdessen im Adamskostüm darauf, dass seine Frau, die Gabi, endlich die Dusche frei machte. „Hast ganz sche lang braucht“, beschwerte er sich. Gabi, hatte sich gerade abgetrocknet, ihre Haare ausgekämmt und ihren Luxuskörper eingecremt, als die Haustürglocke anschlug. „Ich geh schnell runter“, rief sie ihrem Mann zu, den in der Duschkabine bereits das brausende, warme Wasser umtoste. Flugs wickelte sie sich das große blaue Badetuch um, hielt es über ihren drallen Brüsten zusammen, stieg in ihre Badelatschen und tippelte die Treppe in das Erdgeschoss hinunter. Es klingelte schon wieder. „Ja, ja“, rief sie, „ich komm ja scho.“ Wenige Augenblicke später öffnete sie die Haustüre. Es war nicht, wie vermutet, der Postbote. Draußen stand Jupp Hochleitner vor dem Hauseingang. „Jupp du bist es? So eine Überraschung. Mit dir hätt ich etz net grechnet. Was kann ich denn für dich tun?“

Jupp hatte die Situation sofort erfasst und stierte mit Interesse auf Gabi Habermann in ihrem blauen Badetuch. Sie verströmte einen herrlich frischen Fliederduft. Er genoss den Anblick. Nur das blaue Badetuch empfand er als störend.

„Der Sepp net do?“, drang seine Stimme krächzend an Gabis Ohr.

„Der steht grad unter der Dusche“, erhielt er zur Antwort. „Kummst halt später noch amol.“

Die junge Frau wollte gerade die Tür wieder schließen, als der Jupp seinen ganzen Mut zusammennahm. Er spürte Gefühle. „Du Gabi, hübsch schaust aus. Wenn du dei Badetuch falln lassen tätest, tätst du vo mir fünfhundert Euro kriegn.“

Gabi Habermann wusste im ersten Moment nicht, wie ihr geschah. Dieser alte Bock. Sollte sie einfach nur laut hinauslachen und Jupp ordentlich die Meinung sagen, oder sollte sie richtig böse mit ihm werden? Aber dann, schneller als sie ihre Gedanken sortieren konnte, griff Jupp in seine Hosentasche und holte fünf grüne Scheine hervor. Er rieb die fünf Hunderter zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her. Die fünf Scheine waren nagelneu und knisterten verlockend. Meinte es der Jupp wirklich ehrlich? „Fünfhundert Euro“, wiederholte er. „Bloß kurz schaua“, meinte er und bekam dabei rote Ohren, „dann ghert des Geld dir.“ Gabi Habermann war verunsichert und kämpfte mit sich. Sie sah sich kurz um. Dann ließ sie mit einem Ruck ihr Badetuch auf den Boden gleiten. Jupp Hochleitner sprangen fast die Pupillen aus den Augen. Er klotzte sie von oben bis unten an, dann reichte er ihr die fünfhundert Euro, drehte sich um und schlich sich mit einem breiten Grinsen auf den Lippen davon. Schnell nahm Gabi ihr Badetuch wieder auf und verhüllte züchtig ihren nackten Luxuskörper. Was sie mit fünfhundert Euro alles machen konnte, überlegte sie sich auf dem Weg nach oben ins Badezimmer. Ihr Mann stand fertig geduscht vor dem Badezimmerspiegel und bürstete seine Haare. „Wer war es denn?“, fragte er neugierig.

 

„War bloß der alte Jupp Hochleitner, der Schlack. Wollte mit dir redn. Ich denk, der kummt später nochmals vorbei“, meinte Gabi.

„Der Sauhund“, regte sich Josef Habermann sichtlich auf, „und von den fünfhundert Euro, die er mir no schuldet, hat der Hundskrüppel überhaupt nix gsacht?“

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