Tasuta

Othello

Tekst
Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Der Major las: "Der Graf v. Z. ist verheiratet; seine Gemahlin lebt in Avignon; drei kleine Kinder weinen um ihren Vater.—Sollte eine erlauchte Dame so wenig Ehrgefühl, so wenig Mitleid besitzen, ihn diesen Banden noch länger zu entziehen?"

Es war dieselbe Handschrift, dasselbe Siegel wie jenes Billets, das er selbst bekommen hatte. Er sah noch immer in diese Zeilen; er wagte nicht, aufzuschauen, er wußte nicht zu antworten; denn seine strengen Begriffe von Wahrheit erlaubten ihm nicht, gegen seine Überzeugung zu sprechen; das tiefe Mitleid mit ihrem Schmerz ließ ihn ihre Hoffnung nicht so grausam niederschlagen.

"Sehen Sie", fuhr sie fort, als er noch immer schwieg "wie ich dieses Briefchen arglos, neugierig erbrach, so überraschten mich jene schrecklichen Worte Gatte, Vater wie eine Stimme des Gerichtes. Die Sinne schwanden mir; ich wurde recht krank und elend; aber so oft ich nur eine Stunde mich leichter fühle, steigt meine Hoffnung wieder; ich glaube, Zronievsky kann doch nicht so gar schlecht gewesen sein, er kann mich nicht so schrecklich betrogen haben. Lächeln Sie doch, Major, seien Sie freundlich.

–Ich erlaube Ihnen, Sie dürfen mich verspotten, weil ich mich durch diese Zeilen so ganz außer Fassung bringen ließ—aber nicht wahr, Sie meinen selbst, es ist eine Lüge, es ist Verleumdung?"

Der Major war außer sich; was sollte er ihr sagen? Sie hing so erwartungsvoll an seinen Lippen, es war, als sollte ein Wort von ihm sie ins Leben rufen ihr Auge strahlte wieder, jenes holde Lächeln erschien wieder auf ihren lieblichen Zügen—sie lauschte wie auf die Botschaft eines guten Engels.

Er antwortete nicht, er sah finster auf den Boden; da verschwand allmählich die frohe Hoffnung aus ihren Zügen, das Auge senkte sich, der kleine Mund preßte sich schmerzlich zusammen, das zarte Rot, das noch einmal ihre Wangen gefärbt hatte, floh; sie senkte ihre Stirne in die schöne Hand, sie verbarg ihre weinenden Augen.

"Ich sehe", sagte sie, "Sie sind zu edel, mir mit Hoffnungen zu schmeicheln, die nach wenigen Tagen wieder verschwinden müßten. Ich danke Ihnen, auch für diese schreckliche Gewißheit. Sie ist immer besser als das ungewisse Schweben zwischen Schmerz und Freude; und nun, mein Freund, nehmen Sie dort das Kästchen, suchen Sie es ihm zuzustellen, es enthält manches, was mir teuer war—doch nein, lassen Sie es mir noch einige Tage, ich schicke es Ihnen, wenn ich es nicht mehr brauche.

Es ist mir, als werde ich nicht mehr lange leben", fuhr sie nach einigen Augenblicken fort; "ich bin gewiß nicht abergläubisch, aber warum muß ich gerade nach diesem fatalen 'Othello' krank werden?"

"Ich hätte nicht gedacht, daß dieser Gedanke nur einen Augenblick Ew. Durchlaucht Sorge machen könnte!" sagte der Major.

"Sie haben recht, es ist töricht von mir; aber in der Nacht, als man mich krank aus der Oper brachte, träumte mir, ich werde sterben. Eine ernste, finstere junge Dame kam mit einem Plumeau von roter Seide auf mich zu, deckte ihn über mich her und preßte ihn immer stärker auf mich, daß ich beinahe erstickte. Dann kam plötzlich mein Großoheim, der Herzog Nepomuk, geradeso, wie er gemalt in der Galerie hängt, und befreite mich von dem beengenden Druck, und das Sonderbarste ist—"

"Nun?" fragte der Baron lächelnd, "was fing denn der gemalte Herzog mit Desdemona an;"

Die Prinzessin staunte. "Woher wissen Sie denn, daß die Dame Desdemona ist? Ich beschwöre Sie, woher wissen Sie dies?"

Der Major schwieg einen Augenblick verlegen. "Was ist natürlicher", antwortete er dann, "als daß Sie von Desdemona träumen? Sie hatten sie ja am Abende zuvor in einem roten Bette verscheiden sehen."

"Sonderbar, daß Sie auch gleich auf den Gedanken kamen. Das Sonderbarste aber ist, ich wachte auf, als der Herzog mich befreite, ich wachte in der Tat auf und sah—wie jene Dame mit dem Plumeau unter dem Arm langsam zur Türe hinausging. Seit dieser Nacht träume ich immer dasselbe, immer beengender wird ihr Druck, immer später kommt mir der Herzog zu Hilfe, aber immer sehe ich sie deutlich aus dem Zimmer schweben Und als ich gestern abend mir die Harfe bringen ließ und mein liebes Desdemona-Liedchen spielte, da—spotten Sie immer über mich! da ging die Türe auf und jene Dame sah ins Zimmer und nickte mir zu."

Sie hatte dieses halb scherzend, halb in Ernst erzählt; sie wurde ernster; "nicht wahr, Major", sagte sie, "wenn ich sterbe, gedenken Sie auch meiner? Das Andenken eines solchen Mannes ist mir wert." "Prinzessin!" rief der Major, indem er vergebens seine Wehmut zu bezwingen suchte, "entfernen Sie doch diese Gedanken, die unmöglich zu Ihrer Genesung heilsam sein können!"

Die Oberhofmeisterin erschien in der Türe und gab ein Zeichen, daß die Audienz zu Ende sein müsse. Sophie reichte dem Major die Hand zum Kusse, er hat nie mit tieferen Empfindungen von Schmerz, Liebe und Ehrfurcht die Hand eines Mädchens geküßt. Er erhob sein Auge noch einmal zu ihr auf, er begegnete ihren Blicken, die voll Wehmut auf ihm ruhten. Die Oberhofmeisterin trat mit einer Amtsmiene näher; der Major stand auf; wie schwer wurde es ihm, mit kalten gesellschaftlichen Formen sich von einem Wesen zu trennen, das ihm in wenigen Minuten so teuer geworden war.

"Ich hoffe", sagte er, "Euer Durchlaucht bei der nächsten Cour ganz hergestellt wiederzusehen."

"Sie hoffen, Major?" entgegnete sie schmerzlich lächelnd; "leben Sie wohl, ich habe zu hoffen aufgehört."

10

Die Residenz war einige Tage mit nichts anderem als der Krankheit der geliebten Prinzessin beschäftigt; man sagte sie bald sehr krank, bald gab man wieder Hoffnung; ein Schwanken, das für alle, die sie näher kannten, schrecklich war. An einem Morgen, sehr frühe, brachte ein Diener dem Major ein Kästchen. Ein Blick auf dieses wohlbekannte Behältnis und auf die Trauerkleider des Dieners überzeugten ihn, daß die Prinzessin nicht mehr sei. Es war ihm, als sei dieses liebliche Wesen ihm, ihm allein gestorben. Er hatte viel verloren auf der Erde, und doch hatte kein Verlust so empfindlich, so tief seine Seele berührt als dieser. Es war ihm, als habe er nur noch ein Geschäft auf der Erde, das Vermächtnis der Verstorbenen an seinen Ort zu befördern; er würde diese Stadt, die so drückende Erinnerungen für ihn hatte, sogleich verlassen haben, hätte ihn nicht das Verlangen zurückgehalten, ihre sterblichen Reste beisetzen zu sehen. Als die feierlichen Klänge aller Glocken, als die Trauertöne der Musik und die langen Reihen der Fackelträger verkündeten, daß Sophie zu der Gruft ihrer Ahnen geführt werde, da verließ er zum erstenmal wieder sein Haus und schloß sich dem Zuge an. Er hörte nicht auf das Geflüster der Menschen, die sich über die Ursachen ihrer Krankheit, ihres Todes besprachen; er hatte nur einen Gedanken, nur jener Augenblick, wo ihr Auge noch einmal auf ihm geruht hatte, wo seine Lippen ihre Hand berührten, stand vor seiner Seele. Man nahm die Insignien ihrer hohen Geburt von der Bahre, man senkte sie langsam hinab zum Staub ihrer Ahnen. Die Menge verlor sich, die Begleiter löschten ihre Fackeln aus und verließen die Halle; der Major warf noch einen Blick nach der Stelle, wo sie verschwunden war, und ging.

Vor ihm ging mit unsicheren, schleppenden Schritten ein alter Mann, der heftig weinte.—Als der Major an seiner Seite war, sah jener sich um, es war der Regisseur der Oper. Der Alte trat näher zu ihm, sah ihn lange an, schien sich auf etwas zu besinnen und sprach dann: "Möchten Sie nicht, Herr Baron, wir hätten nur geträumt, und jenes liebliche Kind, das man begraben hat, wäre noch am Leben?"

"Warum mahnen Sie mich!" rief der Major mit unwillkürlichem Grauen; "ja, bei Gott, es ist so, wie Sie träumten; sie ist begraben, und wir beide gehen nebeneinander von ihrem Grab."

"Drum soll der Mensch nie mit dem Schicksal scherzen", sagte der Alte mit trübem Ernst. "Ist es heute nicht elf Tage, daß wir 'Othello' gaben? Am achten ist sie gestorben."

"Zufall, Zufall!" rief der Major. "Wollen Sie Ihren Wahnsinn auch jetzt noch fortsetzen? weiß ich nicht nur zu gut, an was sie starb? Wohl hat ein Dolch ihre Seele, wie Desdemonas Brust, durchstoßen; ein Elender, schwärzer als Ihr Othello, hat ihr Herz gebrochen; aber dennoch ist es Aberglauben, Wahnsinn, wenn Sie diesen Tod und Ihre Oper zusammenreimen!"

"Unser Streit macht sie nicht wieder lebendig", sagte der Alte mit Tränen. "Glauben Sie, was Sie wollen, Verehrter! ich werde es, wie ich es weiß, in meiner Opernchronik notifizieren. Es hat so kommen müssen!"

"Nein!" erwiderte der Major beinahe wütend, "nein, hat nicht so kommen müssen; ein Wort von mir hätte sie vielleicht gerettet. Bringen Sie mir um Gottes willen Ihren 'Othello' nicht ins Spiel; es ist Zufall, Alter; ich will es haben, es ist Zufall!"

"Es gibt, mit Ihrer Erlaubnis, keinen Zufall; es gibt nur Schickung. Doch ich habe die Ehre, mich zu empfehlen, denn hier ist meine Behausung. Glauben Sie übrigens, was Sie wollen", setzte der Alte hinzu, indem er die kalte Hand des Majors in der seinigen preßte, "das Faktum ist da, sie starb—acht Tage nach 'Othello'."