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Er blickte mit einem Schauder ans seinen verwundeten, unbeweglichen Arm herab, dann hefteten sich seine Augen auf die Mauer. Nachdem er sie mit mißtrauischem, spähendem Blicke überschaute, bewegte er langsam mit seinem Fuße das Reißig gegen die kleine Höhlung in ihrer äußern Fläche.

»Tage vergehen, Wunden heilen, Aussichten verändern sich!« murmelte der alte Mann, als er sich mit langsamen, unsichern Schritten von der einsamen Stelle entfernte. »In den Bergwerken habe ich ohne Murren Streiche erlitten – ich habe meine Ketten, mit jedem Tage die Geschwüre, welche ihre eisernen Zähne in mein Fleisch genagt hatten, erweitern sehen und doch habe ich es erlebt, meine Fesseln zu lösen und meine Geschwüre zu schließen! Soll diese neue Pein eine größere Gewalt haben, mich zu besiegen, als die andern, welche vergangen sind? Ich werde noch zurückkehren, um den Widerstand der Mauer zu besiegen! Mein Arm ist zerrissen, aber mein Vorsatz ist unerschüttert!«

Kapitel VI
Das Haus in der Vorstadt

Wir schreiten um einige Stunden zurück und wenden uns von der gespaltenen Mauer nach der Vorstadt und der Gegend, welche man von ihren Zinnen überschaut. Wir verlassen den verwundetem mit seinen finstern Plänen beschäftigten Ulpius und unsere Aufmerksamkeit heftet sich jetzt auf die Schicksale Hermanrich’s und Antoninens.

Wiewohl der Abend kaum eingebrochen war, hatte der Gothe doch den Kriegern unter seinem Befehl bereits ihre Nachtstationen in der einsamen Vorstadt angewiesen. Nach Erfüllung dieser Pflicht blieb er der ununterbroehenen Einsamkeit des Gebäudes überlassen, welches ihm jetzt zur vorübergehenden Wohnung diente.

Das Haus, in welchem er sich befand, war das letzte der breiten, unregelmäßigen Straße, zu welcher es gehörte, und es ging nach der Mauer unterhalb des Monte Pineio, von welcher es durch einen, etwa eine Viertelstunde im Umfange haltenden öffentlichen Garten getrennt war. Dieser einst von Menschen erfüllte Vergnügungsort war jetzt gänzlich unbetreten. Seine dunkeln Haine wurden durch keine Menschengestalt erhellt, die bunten Sommerhäuser darin waren finster und öde, die Buden seiner Obst- Fund Blumenhändler standen leer auf den einsamen Rasenplätzen da. Traurig und verlassen erstreckte er sich als eine furchtbare Einöde bis unter die Mauern einer Meschenerfüllten Stadt.

Und doch lag ein unaussprechlich ernster und beschwichtigender Zauber in dem einsamen Anblick, welchen er gewährte, als sich seine Blumenbeete und Bäume jetzt allmälig in den Schatten der vorrückenden Nacht verdunkelten. Er gewann in seiner jetzigen Verschönerung, was er an seiner frühern Heiterkeit verloren hatte. Er hatte noch seine eigne einfache Anziehungskraft, obgleich er nicht mehr in seinen gewohnten Illuminationen funkelte, nicht mehr dem Ohre durch die Musik und das Gelächter, welche sich in Friedenszeiten daraus erhoben, gefiel. Als er von der Terrasse seiner neuen Wohnung darauf hinblickte, verschwand die Erinnerung an seine vergangenen, geschäftigen Stunden aus dem Geiste des jungen Gothen und seine Geisteskräfte bewillkommneten die Gedanken, welche die Nacht allmälig zu wecken und zu erzeugen begann.

Wohin konnten sich unter solchen Verhältnissen die Gedanken Hermanrich’s am Natürlichsten verirren?

Von dem Mondlichte an, welches bereits die höchsten zitternden Blätter der Baume des Gartens zu färben; begann, bis zu den zarten, jetzt schattenartigen Blumen, die. sich an den Pfeilern der verlassenen Terrasse, auf welcher er stand, emporschlangen, verband sich jeder Gegenstand, den er erblickte, für seine lebhafte ungebildete Phantasie mit dem einen Wesen, dessen beredter, passender Typus ihm alles Schöne in der Natur zu sein schien. Er dachte an Antoninen, die er einst beschützt, an Antoninen, die er nachher verlassen, an Antoninen, die er jetzt verloren hatte.

Mit starker Einbildungskraft und schwacher Fähigkeit des Denkens, mit starker moralischer Empfänglichkeit und geringer moralischer Festigkeit begabt, zu leicht zu lenken und zu schwer zu einem Entschlusse zu bringen, hatte Hermanrich das Mädchen eher aus Charakterschwäche als aus Entschlossenheit des Willens aufgegeben. Als jetzt daher die Beschäftigungen des Tages seine Aufmerksamkeit auszufüllen aufgehört hatten, als jetzt die Stille und Einsamkeit sein Gedächtniß zu dem Verlassen seines hülflosen Schützlings zurückführte, flößte ihm diese That verderblichen Unmuths und unverantwortlicher Unentschlossenheit Kummer und Reue ein. Wenn Antonina während ihres Aufenthaltes unter seiner Obhut einen unmerklichen Einfluß aus sein Herz geübt hatte, so erfüllte jetzt ihr Bild, wo er über seinen verbrecherischen Antheil an ihrer Trennung nachdachte, alle seine Gedanken und betrübte und beschämte ihn zugleich, wenn er sich ihrer Verbannung aus dem Schutze seines Zeltes erinnerte.

Jedes Gefühl, welches seine Gedanken an Antoninen in der vorigen Nacht beseelt hatte, gewann doppelte Stärke, als er sich jetzt ihrer erinnerte. Er entsann sich von Neuem ihrer beredten Worte und des Zaubers ihres milden, unschuldigen Wesens; von Neuem verweilten seine Gedanken ans den Schönheiten ihrer äußern Form. Jeder warme Ausdruck, jeder wechselnde Ton der Stimme, welcher ihre Bitte ums Rettung und Anschluß an. sie begleitet hatte, jeder Ueberredungsgrund dessen sie sich bedient, um ihn zu erweichen, lebte jetzt wieder in seinem Gedächtnisse auf, und nahm in seinem Herzen an Einfluß und Gewalt zu. Alle unvollkommenen Bilder des Glückes, welche sie so hastig ausgemalt hatte, um ihn zu verlocken, färbten sich jetzt heller und sein Geist begann sich in Visionen zu ergehen, die bisher von keinen andern Bildern, als denen des Wetteifers, der Gewaltthat und des Kampfes erfüllt gewesen waren, Scenen, die selbst Antoninens leichtesten und hastigsten Ausdrücke heraufbeschworen hatten, erhoben sich jetzt schattenhaft und unbestimmt vor seinem brütenden Geiste. Liebliche Stellen der Erde, die er besucht und wieder vergessen hatte, kehrten jetzt, wo er an sie dachte, idealisirt und veredelt zurück. Sie erschien seinem Geiste in jedem Reize der Bewegung, wie sie alle Pflichten erfüllte und alle Freuden genoß, welche sie ihm versprochen hatte. Er stellte sie sich vor, wie sie glücklich und von Gesundheit erfüllt, mit rosiger Wange und elastischem Schritte heiter am frischen Morgen neben ihm hinschritt. Er stellte sich vor, wie sie ihn in der milden Stille des Abends durch ihre versprochenen Lieder entzückte, durch ihre beredten Worte erheiterte. Er stellte sich vor, wie sie sanft und warm und still in seinen schützenden Armen schlief, stets glücklich und stets mild, an Jahren ein Kind, an Verstand ein Weib, zugleich eine Geliebte und eine Gefährtin, eine Lehrerin und Schülerin, eine Geleitete und eine Führerin.

Das hätte sie ihm werden können! Was war sie jetzt?

Sank sie unter ihrer Einsamkeit danieder, ging sie in Kälte und Ermattung unter, von Hinterlistigen bedroht, von Grausamen zurückgestoßen, von Gedankenlosen verspottet! Allen diesen Gefahren, diesem ganzen Elend hatte er sie ausgesetzt und zu welchem Zwecke? Um die ungewisses Gunst, die unwillkommene Freundschaft eines Weibes zu bewahren, das selbst die gewöhnlichsten, instinktmäßigsten Tugenden ihres Geschlechts verlassen hatten, dessen rasender Rachedurst Gerechtigkeit mit Verrätherei, Unschuld mit Verbrechen, Hülflosigkeit mit Tyrannei verwechseln, dessen Ansprüche auf Nationalität und Verwandtschaft seiner Schätzung nach, durch die offen gestandene Tücke ihrer Absichten, in dem verderbenschwangern Augenblicke hätten verwirkt sein sollen, wo sie ihm dieselben in aller ihrer Schändlichkeit vor den Mauern Rom’s anvertraut hatte. Er stöhnte in Verzweiflung, als er dieser seiner unwürdigsten aller Nothwendigkeiten gedachte, denen das verlassene Mädchen geopfert worden Wär.

Bald jedoch wendete sich sein Geist von diesen Gedanken ab und seinen Pflichten und seinem Kriegsruhme zu und hier erleichterte siche seiue Reue theilweise, wie wohl sein Schmerz unverändert blieb. So wunderbar auch der Einfluß der Gegenwart und der Worte Antoninens auf den Gothen gewesen war, so hatten sie doch noch nicht Macht genug erlangt, um in ihm gänzlich die kriegerischen Instinkte seines Geschlechts und Volkes zu ersticken, oder die kräftigen, feindseligen Eingebungen der Erziehung und der Gewohnheit zu besiegen. Sie hatte ihn mit neuen Empfindungen begabt und zu neuen Gedanken erweckt, sie hatte alle schlummernde Sanftmuth seines Charakters zum Kampfe gegen die rohe Gleichgültigkeit, die rücksichtslose Energie aufgerufen, welche Lehre und Beispiel bisher seinem Herzen zur zweiten Natur gemacht hatten. Sie hatte sich einen Weg in seinen Geist gebahnt, die dunkeln Stellen desselben erleuchtet, seine engen Raume erweitert, seine unpolirten Schätze verschönert. Sie hatte während der kurzen Stunden des Verkehrs mit ihm geschaffen und veredelt, aber seine Neigung noch nicht gänzlich von seinen alten Gewohnheiten und Anhänglichkeiten abgelenkt; sie hatte den barbarischen Kampf noch nicht seines falschen Schimmers, den kriegerischen Ruhm noch nicht seines Pomp’s entkleidet; sie hatte die Niedrigerstehenden, Intellectuellen noch nicht zu der Hohe der erhabeneren, moralischen Fähigkeiten seines Charakters heraufgezogen. Fast unparteiisch der abwechselnden streitenden Herrschaft der beiden Herren, Liebe und Pflicht, ausgesetzt, bedauerte er zugleich Antonina und hielt sich doch mechanisch an seinen alten Gehorsam gegen jene tyrannischen Forderungen der Nationalität und, des Namens fest, welche ihren Verlust herbeigeführt-hatten.

Von diesen wechselnden Bewegungen bedrückt, und eben so rath- wie trostlos, machte ihn die Untätigkeit seiner gegenwärtigen Lage äußerst niedergeschlagen. Er stand ungeduldig auf, legte seine Waffen an und suchte seinen Gedanken zu entgehen, indem er den Ort verließ, unterdessen Einflusse sie sich erhoben hatten. Der Stadt den Rücken wendend, lenkte er seine Schritte planlos durch das verwickelte Straßenlabyrinth, welches die verlassene Vorstadt bildete.

 

Nachdem er durch die im Besitz der gothischen Linien befindlichen Gebäude gegangen war und diejenigen erreicht hatte, welche den verödeten Feldern näher lagen, wurde der Anblick der Dinge um ihn her eindrucksvoll genug, um die Aufmerksamkeit eines Jeden, der nicht gänzlich mit anderen, wichtigeren Gegenständen der Betrachtungen angefüllt war, zu erregen.

Die Einsamkeit, welche er jetzt auf allen Seiten erblickte, war nicht die Einsamkeit des Verfalls – die Gebäude um ihn her befanden sich in vollkommen baulichem Zustande – es war nicht die Einsamkeit der Pest – auf den unbetretenen Straßen lagen keine Leichen; es war nicht die Einsamkeit der Absperrung – nirgends waren vergitterte Fenster, und nur an seltenen Stellen verschlossene Thüren zu sehen; es war die Einsamkeit der menschlichen Vernichtung. Die offenen Hallen der Theater standen leer, den Säulengängen der Kirchen näherte sich Niemand, die Bänke vor den Weinläden waren unbesetzt, auf den Verkaufstischen der Straßenbuden standen immer noch bunte Ueberbleibsel von Hausrath, die von Keinem bewacht, von Keinem gekauft wurden, Brod- und Fleischstücke – Schätze, die bald höheren Werth für das belagerte Rom erlangen sollten, als Gold und Silber – verfaulten hier im Freien, wie Unrath auf Düngerhaufen. Kinderspielzeug Frauenzierathen, Börsen, Geld, Liebespfänder, kostbare Manuskripte lagen auf den Wegen verstreut, von ihren verschiedenen Besitzern in der Eile ihrer plötzlichen, allgemeinen Flucht fallen gelassen und nicht weiter berücksichtigt. Jede verödete Straße verkündete verzweifelt aufgegebene Lieblingspläne, kläglich verlassene, kostbare Arbeiten, unwiederbringlich verlorene, entzückende Genüsse; selbst die Hausthiere, die Penaten der Reichen und Armen, waren fortgezogen. Sie waren entweder ihren Besitzern in die Stadt gefolgt, oder hatten sich ungehindert und unbewacht im Lande verlaufen. Palast, Bad und Circus entwickelten umsonst ihre bunte Pracht und ihre üppige Bequemlichkeit, in der Nähe ihrer leeren Hallen war nicht einmal ein umherschweifender Gothe zu sehen, denn das Heer hatte in einer Aussicht, wie es die Unterjochung Rom’s war, den Enthusiasmus seines Anführers für dessen hohe Aufgabe angenommen und gehorchte gern seinen Geboten, die Plünderung der Vorstädte zu verschieben, indem es die im Vergleich werthlosen Schätze, von denen es umgeben war und die es jederzeit erlangen konnte, verschmähte, da es fühlte, daß die reichen Besitzthümer Rom’s selbst sich jetzt ihren begierigen Händen aufthaten. Stumm und geräuschlos, unbevölkert und unverheert lagen die weitberühmten Vorstädte der größten Stadt der Welt eben so in die Nacht der Natur, wie in die Nacht des Glückes und die des Ruhmes versunken da!

So traurig und eindrucksvoll auch der sich so den Augen des jungen Gothen bietende Anblick trat, vermochte er doch nicht den mächtigen Einfluß zu schwächen, welchen die Gedanken des Abends noch auf seinen Geist übten. Wie während der vergangenen Stunden das Bild des verlassenen Mädchens die Erinnerung an die erfüllten Pflichten vermischt und sich, der Betrachtung der noch auszuführenden Gebote entgegengesetzt hatte, so verweigerte es jetzt seinen Geisteskräften jeden Eindruck von der sich um ihn her ausbreitenden einsamen Scene, welche er erblickte, ohne sie zu berücksichtigen. Während er durch die düstern Straßen schritt, beherrschten ihn immer noch seine vergeblichen Kümmernisse und Selbstanklagen, seine natürlichen Neigungen und angeeigneten Anhänglichkeiten und stritten in ihm eben so eifrig und unablässig, wie in den ersten Augenblicken, wo sie sich mit dem Abend während seines Verweilens auf der Terrasse des einsamen Hauses erhoben hatten.

Er war jetzt zur äußersten Grenze der Gebäude in den Vorstädten gelangt, vor ihm lag ine ununterbrochene Aussicht auf ebene, schimmernde Felder und weiche, nebelige, undurchdringliche Wälder. Auf der einen Seite befanden sich Weinberge und zu Häusern gehörende Gärten, auf der andern ein einzelnes Haus, das äußerste von Allen in seiner unmittelbaren Nähe. So finster und verödet es auch aussah, betrachtete er es doch eine Zeitlang mit der mechanischen Aufmerksamkeit eines Mannes, der mehr mit seinen Gedanken als seinen Beobachtungen zu thun hat – er näherte sich ihm allmälig in der brütenden Zerstreuung seiner Reflexionen und blieb, ohne es selbst zu bemerken, vor der niedrigen Reihe unregelmäßiger Stufen, welche zur Eingangsthür hinaufführten, stehen.

Durch die plötzliche Nähe an dem Gegenstande, zu welchem er unwissentlich herangekommen war, aus seinem Sinnen aufgeschreckt, betrachtete er jetzt zum ersten Male die menschenleere Wohnung vor sich mit wirklicher Aufmerksamkeit.

Das Haus besaß nichts Bemerkenswerthes, außer der ungemeinen Verödung, deren Gepräge es trug, was zum Theil seiner einzelnen Lage, theilweise aber auch dem ungewöhnlichen Mangel an allen Zierathen auf der Straßenseite zu entspringen schien. Es war zu umfangreich, um die Wohnung eines Armen sein zu können, zu sehr von Prunk und Zierathen entblößt, um der Palast eines Reichen zu sein. Vielleicht hatte es einein Bürger der Mittelklasse gehört – vielleicht auch einem mürrischen Nordländer, einem einsam lebenden Egypter, einem ränkesüchtigen Juden. Obgleich es aber an sich keinen auffallenden oder entschiedenen Charakter besaß, fühlte doch der Gothe eine räthselhafte fast unwiderstehliche Neugier, sein Inneres zu untersuchen. Er konnte sich keinen Grund für die Sache angeben, keinen Vorwand für die Handlung der Sinne, als er die vor ihm liegenden Stufen hinaufstieg. Wenn Alarich selbst plötzlich seine Rückkehr geboten, wenn Beweise unleugbarer Verrätherei um das einsame Gebäude sichtbar gewesen wären, als er die unverriegelte Thür desselben aufstieß, hätte er doch, wie er fühlte, seinen Weg fortsetzen müssen.

Im nächsten Augenblicke hatte er das Haus betreten. Das Licht fiel durch die offene Thür in den düstern Hausgang, der Abendwind eilte seiner Spur nach, pfiff schrill und traurig zwischen den steinernen Säulen und in den verborgenen Ritzen und unbewohnten Gemächern im ersten Stock. Es war kein Lebenszeichen zu erblicken, man vernahm keinen Schritt, kein Gegenstand des Hausrathes war zu sehen. Außerhalb lagen die verlassenen Vorstädte wie eine Wüste und dieses leere Haus glich im Innern einem Grabmal denn es war zwar leichenleer, sprach aber doch mit beredter Stimme vom Tode.

Diese gruftartige einsame Halle besaß einen unerklärlichen Zauber für die Augen des Gothen. Er blieb bewegungslos am Eingange stehen und blickte träumerisch in die düstere, leere Räumlichkeit vor ihm, bis ein heftiger Windstoß plötzlich die äußere Thür weiter zurückwarf und zu gleicher Zeit einen stärkeren Lichtstrom einließ.

Das Haus war nicht leer. In einer Ecke des Hausgangs, die bisher in Dunkelheit versunken gewesen war, kauerte eine schattenartige Gestalt. Sie war in ein dunkles Gewand gehüllt und zu einer unerklärlichen und ungewöhnlichen Form zusammengesunken. Das Einzige an ihr, was verrieth, daß es ein menschliches Wesen war, bestand in einer weißen Hand, welche die schwarze Draperie zusammenhielt und im kalten Mondlichte fast einen gespenstischen Kontrast mit derselben bildete.

Unbestimmte Erinnerungen an den Aberglauben der alten Religion seines Volkes zogen beim ersten Anblicke des gespensterartigen Bewohners der Halle durch die Erinnerung des jungen Gothen. Als er in gefesselter Aufmerksamkeit vor der bewegungslosen Gestalt stand, begann sie bald denselben seltsamen Einfluß auf seinen Willen zu üben, welchen schon das einsame Haus gehabt hatte. Er schritt langsam auf die niedergekauerte Gestalt zu.

Das räthselhafte Wesen machte bei dem Geräusch seines Näherkommens keine Bewegung, die blasse Hand hielt immer noch mit derselben starren Unbeweglichkeit den Mantel über der zusammengesunkenen Gestalt, so tapfer er auch war, schauderte Hermanrich doch, als er sich niederbeugte und die blutleeren, eisigen Finger berührte. Bei dieser Berührung sprang die Gestalt, wie von einem elektrischen Funken getroffen, plötzlich auf.

Als die Falten des dunkeln Mantels zurücksanken, zeigte sich ein Gesicht, dessen Farbe eben so bleich war, wie die der steinernen Säulen ringsumher und die Stimme des einsamen Wesens wurde hörbar und sprach in leisen, eintönigen Klängen die Worte:

»Er hat mich vergessen und verlassen! – tödte mich, wenn Du willst! – ich bin zum Sterben bereit!«

So gebrochen und tonlos sie auch war, ließ sich doch in dieser Stimme noch eine Spur von ihrem alten Wohllaut erkennen, strahlte in jenem ausdruckslosen, matten Auge doch noch etwas von der ihm innewohnenden Milde. Mit einem plötzlichen Rufe des Mitleids und der Ueberraschung that der Gothe einen Schritt vorwärts, richtete die zitternde Ausgestoßene in seinen Armen auf, verließ das einsame Gebäude, stand im nächsten Augenblicke im Freien unter dem Sternenhimmel und war wieder mit dem Schützling, welchen er verlassen, mit Antoninen, die er verloren hatte, vereinigt.

Er redete ihr zu, liebkoste sie, flehte sie um Verzeihung an, versicherte sie seiner künftigen Fürsorge, aber sie antwortete weder, noch erkannte sie ihn. Sie blickte kein einziges Mal in sein Gesicht aus, bewegte sich nicht in seinen Armen, bat nicht um Gnade. Sie gab kein Zeichen von Leben oder Besinnung, außer daß sie in regelmäßigen Zwischenräumen mit stöhnender Stimme rief:

»Er hat mich vergessen und verlassen!« als ob dieser eine Ausruf für sie zugleich das Geständniß der Nutzlosigkeit ihres Lebens und ihre Wehklage um ihren erwarteten Tod umfasse.

Das Gesicht des Gothen erbleichte bis an seine Lippen. Er begann zu fürchten, daß ihre Geisteskräfte so vielen Prüfungen unterlegen seien. Er eilte mit zitternden, ungewissen Schritten mit ihr dem Freien zu, denn er hegte eine träumerische, instinktmäßige Hoffnung, daß der Anblick jener Wälder und Felder und Berge, welche sie ihm bei ihren frühern Bitten um Schutz gepriesen hatte, jetzt durch ihren Anblick das Bewußtsein des Mädchens wiederherstellen könnten.

Er lief vorwärts, bis er die Vorstadt wenigstens eine Viertelstunde weit hinter sich und eine Anhöhe erreicht hatte, die auf beiden Seiten durch hohe beraste Abhänge und Baumgruppen begrenzt war und eine schmale, aber doch wechselvolle Aussicht auf das Thalgelände unterhalb und die jenseits desselben ausgebreiteten fruchtbaren Ebenen gestatten.

Hier hielt der Krieger mit seiner Bürde an, setzte sich auf den Rasen und versuchte von Neuem die fortdauernde Verwirrung und Furcht des Mädchens zu beseitigen. Er dachte nicht an seine Wachen, die er verlassen hatte – an seine Abwesenheit von den Vorstädten, die durch einen unerwarteten Besuch seiner Vorgesetzten im Lager in seinem verlassenen Quartiere wahrgenommen und bestraft werden könne. Der sociale Einfluß, welcher die Welt beherrscht, das Götterbild, an dessen Altar der Stolz sich beugen und die Gefühllosigkeit empfinden lernt, der milde, liebliche Einfluß, der natürlichen, ewigen Regel – der Einfluß des Weibes, die Quelle der Tugenden, wie der Verbrechen, der irdischen Herrlichkeit, wie des irdischen Unglückes, hatte in diesem Augenblicke der Pein und Erwartung in ihm die Stimme der Pflicht zum Schweigen gebracht und alle aus seinen selbstsüchtigen Gedanken hervorgehenden Hindernisse überwunden. Er sprach jetzt zu Antoninen so lockend, wie ein Weib, so sanft, wie ein Kind. Er liebkoste sie so warm, wie ein Liebhaber, so heiter, wie ein Bruder, so gütig, wie ein Vater – er, der rauhe, nordische Krieger, der nur zu den Waffen erzogen worden war und dessen jugendliche Bestrebungen man aus Kampf und Blutvergießen und Ruhm gelenkt hatte, selbst er war jetzt mit der zarten Beredtsamkeit des Mitleids und der Liebe, mit geschickter, Alles berücksichtigender Fürsorge – mit ruhiger, ausdauernder Geduld begabt! Sanft und unablässig fuhr er in seiner beschwichtigenden Aufgabe fort und bald erblickte er zu seiner Freude und seinem Triumph die nahe Belohnung seiner Versuche in der langsamen Veränderung, welche allmälig im Gesicht und Wesen des Mädchens wahrnehmbar wurde. Sie richtete sich in seinen Armen auf, blickte fest, aber ohne ihn zu kennen, in sein Gesicht und dann um sich auf die helle, stille Landschaft, dann wieder aufmerksamer auf ihren Gefährten und flüsterte endlich, heftig erhebend, leise, zu mehreren Malen den Namen des jungen Gothen, indem sie ihn ängstlich und furchtsam aufschaute, als ob sie ihn fürchte und an ihm zweifle, während sie ihn wieder erkannte.«

»Du führst mich zu meinem Tode,« rief sie plötzlich, »Du, der mich einst beschützt – Du, der mich verlassen hat – Du verlockst mich in die Gewalt des Weibes, welches nach meinem Blute dürstet, – o es ist entsetzlich – entsetzlich!«

Sie schwieg, wendete ihr Gesicht ab, schauderte heftig und machte sich aus seinen Armen los; nach einer Pause fuhr sie fort:

 

»Den langen Tag hindurch und den kalten Abend habe ich an dem einen einsamen Orte, auf den mir bevorstehenden Tod gewartet! Ich habe meine Stunden der Erwartung ohne Klage erlitten, ich habe mit geringer Furcht und ohne Schmerz auf das Nahen meiner Feindin gelauscht, die geschworen hat, mein Blut zu vergießen! Ich habe Keinen, der mich liebt, bin ein Fremdling im Lande meines eignen Volkes und besitze nichts, wofür ich leben möchte! Aber es ist ein bitterer Schmerz für mich, in Dir den Vollstrecker meines Urtheils zu erblicken, durch die Hand Hermanrich’s dem Erbtheil des Lebens entrissen zu werden, welches zu bewahren ich so lange gerungen habe.«

Ihre Stimme hatte beim Aussprechen dieser Worte eine eindrucksvolle Schwäche und Wehmuth des Tones angenommen, ihre ruhigen, trüben Klänge verkündeten fast göttliche Resignation und Betrübniß, sie schienen zu einer geheimnißvollem unerklärlichen Harmonie mit der wehmüthigen Stille der Nachtlandschaft gestimmt zu sein. Als sie jetzt dastand und mit blassem, ruhigem Gesicht und sanften, thränenlosen Augen in den Himmel aufblickte, dessen Mondstrahlen weich ihre Gestalt beschienen, konnte kaum die das Nahen ihres Engelsboten erwartende heilige Jungfrau mit einer reineren, einfacheren Schönheit geschmückt gewesen sein, als diejenige, welche jetzt auf den Zügen des von Numerian verstoßenen Kindes thronte.

Seiner Bewegung nicht länger Herr, mit Ehrfurcht, Schmerz und Verzweiflung erfüllt, als er auf das Opfer seines herzlosen Unmuths blickte, beugte sich Hermanrich zu den Füßen des Mädchens nieder und flehte mit den leidenschaftlichen Tönen echter Reue um Verzeihung, indem er sie seines Schutzes und seiner Liebe versicherte. Alles, was der Leser bereits erfahren hat, die bittern Selbstvorwürfe des Abends, die bekümmerten Wanderungen der Nacht, die geheimnißvolle Anziehungskraft, welche ihn zu dem einsamen Hause geführt hatte, seine Freude, als er wieder seinen verlorenen Schützling – entdeckte, alle diese Belenntnisse schüttete er jetzt in der ungeschminkten Beredtsamkeit tief innerlicher Bewegung und wahrer Bekümmerniß aus.

Allmälig erwachte Antonina beim Vernehmen seiner Worte überrascht aus ihrer Zerstreuung. Der Ausdruck seines Gesichts und das Innige seines Wesens wirkte, mit dem instinktmäßigen Scharfsinn ihres Geschlechts und ihrer Lage betrachtet, mit freundlichem, heilendem Einflusse auf ihren Geist. Sie schrak plötzlich auf, eine helle Röthe flog über ihre farblosen Wangen, sie beugte sich nieder und blickte ernst und forschend in das Gesicht des Gothen. Ihre Lippen bewegten sich, aber ihre schnellen, convulsivischen Athemzüge erstickten die Worte, welche sie vergebens zu bilden versuchte.

»Ja,« fuhr Hermanrich, aufstehend und sie wieder an sich ziehend, fort, »Du sollst nie wieder trauern, nie wieder fürchten, nie wieder weinen! Obgleich Du Deinen Vater verloren hast und die Leute Deines Volkes Dir fremd geworden sind, obgleich Du bedroht und verstoßen worden bist, sollst Du doch schön, doch glücklich bleiben, denn ich werde über Dir wachen und Dir soll nie ein Leides widerfahren. Ich werde für Dich arbeiten und Du sollst nie Mangel haben. Ich will Volk und Verwandte, Ruhm und Pflicht verlassen, um Dir das Verlorene wieder zu ersetzen.«

Die jugendliche Frische und Hoffnung kehrte in das Herz des Mädchens zurück, wie Wasser in die lange versiegte Quelle, als der junge Krieger innehielt. Die Thränen standen in ihren Augen, aber sie seufzte weder, noch sprach sie. Ihr ganzer Körper bebte im Uebermaß ihres Erstaunens und Entzückens, während sie ihn anblickte und zu lauschen fortfuhr, als er weiter sprach:

»Fürchte also nichts mehr für Deine Sicherheit. Goiswintha, vor der Du Dich entsetzest, ist fern von uns. Sie weiß nicht, daß wir hier sind, sie kann jetzt unsere Schritte nicht mehr verfolgen, um Dir zu drohen oder weh zu thun. Denke nicht mehr daran, wie Du gelitten hast und ich gesündigt habe! Denke nur, wie bitter ich die Trennung des Morgens bereuet und wie freudig ich die Begegnung des Abends bewilllommne. O Antonina, Du bist mit wunderbarer Lieblichkeit bekleidet, Du besitzest eine vervollkommnete Jugend, die nichts vom Kinde an sich hat. Deine Worte sinken mit dem Wohlklange eines Liedes aus alter Zeit in meine Ohren, es ist wie ein Traum von den Geistern, die meine Väter anbeteten, wenn ich aufblicke und Dich an meiner Seite sehe.«

Ein aus Verwirrung, Freude und Ueberraschung gemischter Ausdruck zog über das halbabgewendete Gesicht des Mädchens, während es dem Gothen zuhörte. Autonina erhob sich mit einem Lächeln unnennbarer Dankbarkeit und Entzückung und deutete auf die vor ihnen liegende Aussicht, während sie leise entgegnete:

»Laß uns etwas weiter gehen, bis dahin, wo der Mond unten die Wiese bescheint. Das Herz will mir an diesem schattigen Orte zerspringen. Laß uns das Licht dort aufsuchen es scheint glücklich zu sein wie ich.«

Sie schritten weiter und unterwegs erzählte sie ihm wieder von den Kümmernissen des vergangenen Tages, von ihrem einsamen und verzweifelten Wege von seinem Zelte nachdem alleinstehenden Hause, wo er sie am Abend gefunden, und wo sie sich von Anfang an darein ergeben hatte, einen Tod zu erwarten, der zu der Zeit wenig Schreckliches für sie besaß. In dieser Erneuerung ihrer traurigen Geschichte lag keine Spur von Vorwurf oder von Klage. Es geschah nur um sich von Neuem an den entzückenden Ausdrücken der Reue und Hingebung zu erquicken, welche dieselbe, wie sie wußte, von Hermanrich’s Lippen locken würde, daß sie jetzt daran dachte, nochmals die Geschichte ihrer Schmerzen an ihn zu richten.

Während sie immer weiter gingen, während das Mädchen der rauhen, glühenden Beredtsamkeit der Sprache des Gothen lauschte, während es auf die stille Landschaft und den milden, durchsichtigen Nachthimmel blickte, gewann ihr Geist, der selbst unter dem Drucke der heftigsten Gefühle stets elastisch, stets bereit gewesen war, seine gewohnte gesunde Stimmung und Hoffnung wieder zu erlangen, von Neuem seine frühere Spannkraft und nahm sein gewohntes Gleichgewicht wieder an.

Von Neuem begann sich ihr Gedächtniß mit seinen geliebten Erinnerungen zu erfüllen, und ihr Herz sich seiner unschuldigen Wünsche und visionären Gedanken zu erfreuen. Trotz aller ihrer Befürchtungen und Leiden schritt sie jetzt dahin mit einem Charakter gesegnet, den der Schmerz nicht lange verdunkeln und die Vernachlässigung nicht zu verzerren vermochte, immer noch so glücklich in sich selbst, auch jetzt so vergeßlich für ihre Vergangenheit, so hoffnungsvoll für ihre Zukunft, wie an jenem ersten Abende, wo wir sie in ihres Vaters Garten zu den Klängen ihrer Laute singen hörten. Unmerklich, wie sie vorwärts gingen, waren sie vom Wege abgeschweift, hatten einen Nebenpfad betreten und standen jetzt vor einem Thore, das zu einem kleinen von Gärten und Weinbergen umgebenen Bauernhause führte, welches gleich den Vorstädten, aus denen sie so eben kamen, beim Herannahen der Gothen von seinen Bewohnern verlassen worden mir. Sie schritten durch das Thor, gelangten auf den Rasenplatz vor dem Hause und blieben einen Augenblick stehen um sich umzuschauen.

Die Gothen hatten bereits die Wiesen ihres Grases und die jungen Bäume ihrer Aeste beraubt, um ihre Pferde damit zu füttern, hierauf aber hatte sich die Zerstörung des kleinen Gutes beschränkt. Das Haus mit seinem netten Strohdache und seinen Fensterläden von buntem Holze, der Garten mit seinem kleinen Vorrathe von Obst und seinen sorgfältig gepflegten Beeten seltener Blumen, die wahrscheinlich dazu bestimmt gewesen waren, die festliche Tafel eines Adeligen oder die Statue eines Märtyrers zu zieren, hatten für den rohen Geschmack der Soldaten Alarich’s keine Lockung geboten.