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»Ich ein Römer,« begann er, »komme von Rom, gegen das der Eroberer mit der Waffe des Hungers Krieg führt, um die Stadt, ihre Bewohner ihre Paläste und Schätze in die Hände Alarich’s des Gothen zu liefern.«

Der König schrak auf, sah den Redner einen Augenblick an und wendete sich dann mit Unmuth und Verachtung von ihm ab.

»Ich lüge nicht!« fuhr der Enthusiast mit einer ruhigen Würde fort, welche selbst auf den abgehärteten Charakter des gothischen Heiden einen gewissen Eindruck übte.

»Betrachte mich wieder! konnte ich, so verhungert, zusammengeschrumpft, verwelkt, von irgend einem Orte als Rom kommen? – Seit ich die Stadt verlassen habe, ist, kaum eine Stunde vergangen und auf dem Wege, über welchen ich aus ihr gekommen bin, können sie die Streitkräfte der Gothen noch diese Nacht betreten.«

»Die Güte der Ernte beruht auf der Menge des Korns, nichts auf der Zunge des Ackermannes – zeige mir Deine offenen Thore und ich werde glauben, daß Du die Wahrheit gesprochen hast,« erwiderte der König mit rauhem Lachen.

»Ich verrathe die Stadt!« fuhr Jener finster fort, »aber nur unter einer Bedingung, wenn Du sie mir bewilligst – so —«

»Ich will Dir Dein Leben bewilligen,« unterbrach ihn Alarich hochfahrend.

»Mein Leben!«, rief der Römer, und seine zusammengeschrumpfte Gestalt schien sich auszudehnen und seine zitternde Stimme in der Bitterkeit seiner Verachtung fest und bestimmt zu werden als er sprach: »Mein, Leben! ich verlange es nicht von Deiner Macht. Die Trümmer, meines Körpers besitzen kaum Kraft genug, um mir es einen einzigen Tag zu bewahren. Ich habe keine Heimath, keine Geliebten, keine Freunde, keine Güter! – Ich lebe in Rom allein, in der Mitte der Menge, als Heide in eine Stadt von Abtrünnigen. Was ist das Leben für mich? Ich liebe es nur um des Dienstes der Götter willen, zu deren Rachewerkzeugen gegen das Volk, welches, sie verleugnete, ich Dich und Deine Heerschaaren machen möchte. Wenn Du mich tödtest, so ist es mir ein Zeichen von ihnen, daß ich für ihre Sache werthlos bin, und ich werde zufrieden sterben.«

Er schwieg. Das Benehmen des Königs verlor allmälig die Sorglosigkeit, welche es bisher charakterisirt hatte, und nahm eine Aufmerksamkeit und einen Ernst an, wie sie seinem hohen Stande und seiner wichtigen Verantwortlichkeit eher geziemten. Er begann den Fremden nicht als einen gewöhnlichen Renegaten, einen gemeinen Spion, einen geringfügigen Betrüger zu betrachten, der geringschätzig aus seinem Zelte getrieben werden kann, sondern als einen Mann, der wichtig genug war, um Gehör zu verdienen, und ehrgeizig genug, um Mißtrauen zu erregen. Er ließ sich daher wieder auf den Kasten, von welchem er sich während des Gesprächs erhoben hatte, nieder und forderte ruhig seinen neuen Verbündeten auf, die Bedingung zu erklären, von deren Zugeständniß sein versprochener Verrath Rom’s abhinge.

Die schmerzgefurchten, muthlosen Züge des Heiden belebten sich mit triumphirender Gluth, als er die plötzliche Milde und Mäßigung der Frage des Königs hörte. Er erhob stolz den Kopf und that einige Schritte vorwärts, indem er laut und kurz abgebrochen fortfuhr:

»Sichere mir den Umsturz der christlichen Kirche, die Ausrottung der christlichen Priester und die allgemeine Wiederbelebung der Verehrung der Götter zu, und noch diese Nacht soll Dich zum Herrn der Hauptstadt des Reiches machen, welches zu stürzen Du Dich bemühst.«

Die Kühnheit, die Umfänglichkeit, die wahnsinnige Gottlosigleit eines solchen Vorschlages aus solcher Quelle setzte Alarich in solches Erstaunen, daß er für den Augenblick nicht zu sprechen vermochte. Ulpius brach, als er seine vorübergehende Unfähigkeit, ihm zu antworten, bemerkte, das jetzt eingetretene Schweigen und fuhr fort:

»Ist meine? Bedingung eine schwere? Ein Eroberer ist allmächtigt er kann die Religion eines Volkes umstürzen, wie die Regierung desselben. Was kümmert es Dich, welche Gottheiten das Volk anbetet, so lange die Herrschaft, der Ruhm und die Schätze desselben Dir gehören? Ist es ein hoher Preis für eine leichte Eroberung, eine Veränderung zu bewirken, die weder Deine Macht, Deinen Ruhm noch Deinen Reichthum bedroht? Wundert es Dich, daß ich eine solche Revolution von Dir verlange? Ich bin für die Götter geboren, in ihrem Dienste habe ich Rang und Ruf und Berühmtheit erlangt, für ihre Sache habe ich Herabwürdigung und Schmerz erlitten, für ihre Wiederherstellung will ich Pläne schmieden, kämpfen, sterben! Versichere mir also eidlich, daß Du mit der neuen Regierung die alte Religion einführen willst, und ich werde durch meinen geheimen Zugang Gothen genug in die Stadt bringen, um mit Sicherheit die Wachen an den Thoren zu, tödten und Rom Deiner ganzen Armee zu öffnen. Verachte nicht die Hülfe eines schutzlosem unbekannten Mannes. Die Bürger werden sich Deiner Blockade nie ergeben, Du zagst vor den Gefahren eines Sturmes! Es heißt, daß die Legionen von Ravenna nach Rom unterwegs sind – so einzeln ich auch dastehe, sage ich Dir doch hier inmitten Deines Lagers, daß die schnellste Gewißheit des Erfolges für Dich auf meiner Entdeckung und, mir beruht.«

Der König sprang plötzlich von seinem Sitze auf.

»Welcher Narr oder Wahnsinnige!«« rief er, seine Augen mit zorniger Verachtung und Entrüstung auf das Gesicht des Fremden heftend, »schwatzt mir da von den Legionen von Ravenna und den Gefahren eines Sturmes! Denkst Du, Renegat, daß Deine Stadt mir hätte widerstehen können, wenn ich sie am ersten Tage, wo ich mein Lager vor ihr aufschlug, stürmen gewollth hätte? Weißt Du, daß Eure verweichlichten Soldaten die Rüstungen Eurer Vorfahren deshalb abgelegt haben, weil ihre schwächlichen Körper zu schwach sind, um die Last derselben zu tragen, und daß die Hälfte meines Heeres hier die ganze Anzahl der Besatzung von Rom um das Dreifache aufwiegt! jetzt, während. Du, hier stehst, brauche ich bloß einen Befehl zu geben und die Stadt wird mit Feuer und Schwert vernichtet, ohne daß mich dabei einer von der Verrätherbande unterstützt, welche im Schutze ihrer schlechtvertheidigten Mauern liegt!«

Bei diesen Worten Alarich’s schien eine unsichtbare Macht den Elenden, welchen er anredete, an Körper und Geist zu erdrücken. Das Entsetzen über die Antwort welche er jetzt hörte, schien ihn blödsinnig zu machen, wie sein Blitzstrahl Denjenigen, welchen er trifft, blind macht. Er betrachtete den König, mit verblüfftem, stierem Blicke, bewegte zitternd seine Hand vor seinem Gesichte hin und her, wie um eine eingebildete Dunkelheit von seinen Augen hinwegzuwischen und dann sank sein Arm hülflos an seiner Seite nieder, der Kopf fiel ihm auf die Brust und er stöhnte mit leisem, bedeutungsvollem Tone:

»Die Wiederherstellung der Götter – das ist die Bedingung der Einnahme – die Wiederherstellung der Götter!«

»Ich bin nicht hierher gekommen, um das Werkzeug einer rasenden, vergessenen Priesterschaft zu werden,« rief Alarich geringschätzig. »Wo ich Deine verfluchten Götzen treffe, werde ich sie zu Rüstungen für meine Krieger und Hufeisen für meine Pferde zusammenschmelzen. Ich werde Eure Tempel in Magazine verwandeln und Deine hölzernen Bildsäulen zu Klötzen für die Wachtfeuer meines Heeres zerhacken lassen.«

»Tödte mich, aber schweige»stöhnte der Heide, an die Wand des Zeltes zurückschwankend und unter den erbarmungslosen Worten des Gothen zusammenzuckend, wie ein Sklave unter der Peitsche.

»Ich überlasse das Vergießen solchen Blutes, wie das Deine, Deinen römischen Genossen,« antwortete der König; »sie allein sind der That würdig.«

Den Lippen des Fremden entrang sich keine Silbe und nach einer stummen Pause fuhr Alarich in Tönen, die ihrer frühem zornigen Aufregung entkleidet und mit einem feierlichen Ernst erfüllt waren, welcher jedem seiner Worte unwiderstehliche Würde und Kraft verlieh, fort:

»Sieh die dort eingegrabenen Zeichen,« sagte er, auf den Schild deutend; »sie verkünden den Fluch, welchen Odin gegen die große Unterdrückerin Rom ausgesprochen hat. Einst bildeten diese Worte einen Theil der Religion unserer Väter. Die Religion ist längst schon geschwunden, aber die Worte sind geblieben; sie besiegeln den ewigen Haß des Nordländers gegen den Bewohner des Südens, sie enthalten den Geist des großen Schicksals, welches mich vor die Mauern von Rom geführt hat. Bürger eines stürzenden Reiches, das Maß Eurer Verbrechen ist voll! Die Stimme eines neuen Volkes fordert durch mich die Freiheit der Erde, die für die Menschen und nicht bloß für die Römer geschaffen ist! Die Herrschaft, welche Deine Väter durch Kraft erlangten, sollen ihre Nachkommen nicht durch Betrug behaupten. Zweihundert Jahre lang haben unhaltbare, hohle Waffenstillstände zwischen Deinem Volke und dem meinen mit langen, blutigen Kriegen abgewechselt.In der Erinnerung daran, in der Erinnerung an das, den Gothen in ihren thracischen Niederlassungen wiederfahrene Unrecht, an die Ermordung der gothischen Jünglinge in den Städten Asiens, an die Niedermetzelung der gothischen Geißeln in Aquileja komme ich, von den übernatürlichen Rathschlüssen des Himmels erwählt, um die Freiheit meines Volkes zu sichern und seinen Zorn zu beschwichtigen, indem ich die Macht des tyrannischen Rom zu seinen Füßen demüthige. Nicht um des Kampfes und Blutvergießens willen bin ich hier vor jenen Mauern gelagert, sondern um durch Hungersnoth und Leiden den Stolz Deines Volkes und den Muth Deiner Herrscher zur Erde zu drücken, um Euch Euern versteckten Reichthum zu entreißen und Euch der Ehre, womit Ihr prahlt, zu entkleiden, um durch Bedrückung die Bedrücker der Welt zu stürzen, Euch den Ruhm des Widerstands zu versagen und Euch die Schande der Unterwerfung aufzuerlegen. Dazu enthalte ich mich jetzt des Sturmes auf Eure Stadt und umgehe sie mit einer undurchdringlichen Blockade.«

Während sich die Erklärung seiner großen Sendung so von den Lippen des gothischen Königs drängte, schien sich der Geist seines hohen Ehrgeizes über seine äußere Form zu verbreiten. Seine edle Gestalt, seine schönen Verhältnisse, seine gebietenden Züge bekleideten sich mit einer einfachen, ursprünglichen Größe. In seinem jetzigen Kontrast mit der zusammengesunkenen Figur des entmuthigten Fremden sah er fast erhaben aus.

 

Ein lang anhaltender Schauder zuckte durch den Körper des Heiden, aber dieser sprach weder, noch weinte er. Die nutzlose Vertheidigung des Serapistempels, die vereitelte Revolution in Alexandrien und die mißlungene Intrigue mit Vetranio stiegen jetzt in seiner Erinnerung auf, um das Entsetzen seiner gegenwärtigen schlimmsten Niederlage zu erhöhen. Jeder Umstand seines verzweifelten Durchbruches der Mauerspalte stellte sich mit furchtbarer Lebendigkeit vor seinen Geist. Er erinnerte sich an alle Empfindungen seiner ersten nächtlichen Arbeit in der Finsterniß, an alles Elend der Qualen seiner zweiten Nacht unter dem gestürzten Mauerwerk, an alle Schmerzen, Gefahren und Muthlosigkeiten, die seine späteren Arbeiten begleitet hatten, und denen zum Trotz er bei allen Hemmnissen eines hungergeschwächten Körpers und hülflosen Armes in seinen Bemühungen verharrt hatte, bis er im trügerischen Triumph das letzte Hinderniß des mühsamen Durchbruches überwunden. Diese verbannten Erinnerungen kehrten eine nach der andern in sein Gedächtniß zurück, während er Alarich’s tadelnden Worten lauschte, rissen alte Wunden von Neuem auf, belebten frühere Gebrechen, zerfleischten ihn von Neuem. Außer dem Schauder, welcher immer noch seinen Körper durchschüttelte, verrieth aber kein äußeres Zeichen die ihn bestürmenden inneren Qualen. Es war für menschliche Worte zu stark, für menschliches Mitgefühl zu entsetzlich. Er erlitt es in dumpfem Schweigen. So monströs auch sein Plan sein mochte, war doch die moralische Strafe seiner versuchten Ausführung schwer genug, um des beabsichtigten Verbrechens werth zu sein.

Nachdem Alarich den Mann noch einige Minuten lang mit einem Blicke mitleidloser Geringschätzung beobachtet hatte, rief er einen von den dienstthuenden Kriegern herbei; trug ihm auf, den Wachen den Durchlaß des Fremden durch das Lager zu gebieten, und wendete sich dann zum letzten Male zu ihm:

»Kehre durch das Loch, aus dem Du wie eine Schlange gekrochen bist, nach Rom zurück und nähre Deine verhungernden Mitbürger mit den Worten, die Du im Zelte des Barbaren gehört hast!«

Der Herbeigerufene näherte sich, führte ihn vom Könige hinweg, gab den Wachen die nöthigen Weisungen und überließ ihn sich selbst. Einmal erhob er die Augen verzweifelnd zum Himmel, welcher über seinem Haupte drohte, aber es entfloh ihm kein Wort, keine Thräne, kein Seufzer. Er schritt langsam durch die dichte Finsterniß, wendete der Stadt den Rücken und betrat, gleich gültig, wohin er gerathen möchte, die Straßen der öden, entvölkerten Vorstädte.

Kapitel III
Liebeszusammenkünfte

Wer hat nicht, wenn er zu einem drohenden, stürmischen Himmel aufblickte, Freude darüber gefühlt, wenn er unerwartet noch eine kleine heiter blaue Stelle unter den Gewitterwolken entdeckte. Je unlieber das Auge über das düstere Gewölbe des übrigen Firmaments gewandert ist, desto freudiger ruht es endlich auf der kleinen Oase des Lichtes, das seinen müden Blicken begegnet und, wenn es über den ganzen Himmel ausgebreitet gewesen, vielleicht nur nachlässig und vorübergehend betrachtet worden wäre.

Durch den Kontrast mit den dunkeln traurigen Farben rund umher nimmt selbst diese kleine blaue Stelle allmälig die Kraft an, die weitere, trübere Aussicht mit einem gewissen Interesse und Leben zu bekleiden, welches sie vorher nicht besaß, bis der Geist in der sie umgebenden Sturmatmosphäre einen Gegenstand erblickt, welcher der Aussicht Abwechselung gewährt, ein Schauspiel, dessen Traurigkeit eben so gut Antheil erwecken, wie zurückstoßen kann.

Mit solchen Empfindungen – nur daß wir sie direkt auf den Geist, statt auf das Auge anwendeten, schrieben wir die wenigen Seiten nieder, welche das Schlußknpitel des ersten Buches beenden. Das dort beschriebene Glück schien den stürmischen Fortgang unserer Erzählung zu durchstrahlen, wie die blaue Stelle die Dunkelheit der sich zusammenziehenden Wolken. Es erhob sich gleich einem Garten der Ruhe hinter der Wüste wilder Aufregungen, die uns auf den vorhergehenden Seiten umgeben hatten. Es ermuthigte uns zum Betreten des Feldes von düsterem Interesse, welches ihm, wie wir wußten, folgen mußte, und uns so, durch seine Abwechselung als Kontrast mit dem Vorhergegangenen, einladen, statt uns durch eine Eintönigkeit des Schmerzes traurig stimmen würde.

Erinnert sich der Leser der Scene in dem Bauernhause jenseits der Vorstädte mit solchen Empfindungen? Wenn sie ihn so berührt hat, so wird er uns jetzt nicht eine kurze Abschweifung von Ulpius und der von Hungersnoth gequälten Stadt zu Antoninen und dem stillen, einsamen Lande versagen.

Während der Zeit, welche, seit wir sie verließen, verstrichen ist, hat Antonina sicher in ihrer Einsamkeit, glücklich in ihrem gutgewählten Versteck gewohnt. Die wenigen, umherschweifenden Gothen, welche in seltenen Zwischenräumen die Nachbarschaft ihres Heiligthums besuchtem drängten sich nie in dessen friedlichen Bezirk ein. Der Anblick der verheerten Felder und geleerten Scheunen, des verlassenen kleinen Gutes genügte stets, um ihre raubsüchtigen Schritte einer andern Richtung zuzuwenden. Ein Tag nach dem andern verstrich ruhig und schnell für die liebliche Bewohnerin des verlassenen Hauses, die enge Runde seiner Gärten und schützenden Haine Umfaßte für sie den ganzen Kreis der Freuden und Beschäftigungen ihres neuen Lebens.

Die einfachen, im Hause zurückgebliebenen Vorräte die Früchte und Gemüse welche sie im Garten einsammelte, waren für ihren Unterhalt vollkommen hinreichend. Die unschuldige Einsamkeit des Ortes besaß einen ruhigen, träumerischen Zauber, eine Neuheit, einen nieermüdenden Reiz nach der strengen Einsamkeit, welcher ihre frühere Existenz in Rom unterworfen gewesen war. Und wenn der Abend kam und die Sonne die Wipfel der westlichen Bäume zu vergolden begann, dann stellte sich nach den ruhigen Empfindungen des einsam verlebten Tages die Stunde sie gänzlich in Anspruch nehmender Sorgen und froher Erwartungen ein, die stets die gleichen, aber stets gleich entzückend und neu waren. Dann wurden die rohen Fensterläden sorgfältig geschlossen, die offene Thür verriegelt, das kleine, jetzt der äußern Welt unsichtbare Licht freudig angezündet und dann ergab sich die Herrin und Urheberin aller dieser Vorbereitungen mit froher Aengstlichkeit in die Erwartung des Gastes, zu dessen Bewilllommnung dieselben bestimmt waren.

Und nie erwartete sie das Kommen jenes ersehnten Gefährten vergebens. Hermanrich erinnerte sich seines Versprechens, fortwährend nach dem Bauernhause zu kommen, und erfüllte es mit aller Veständigkeit der Liebe und allem Enthusiasmus der Jugend. Wenn die Wachen unter seinem Befehl für die Nacht ausgestellt waren und das Vertrauen, welches ihm seine Vorgesetzten schenkten, seine Handlungen während der Stunde der Finsterniß von Beaufsichtigung befreiten, so verließ er das Lager, eilte durch die verödete Vorstadt nach dem Gebäude, wo ihn die junge Römerin erwarteth und kehrte von dort vor Tagesanbruch zurück, um die Mittheilungen entgegen zu nehmen, die ihm zu dieser Stunde regelmäßig der zunächst unter ihm Befehlende machte.

So suchte er, seiner Nation untreu, aber treu gegen die neue Egeria seiner Gedanken und Handlungen – ein Verräther gegen die Pflichten der Rache und des Krieges, aber doch den Interessen der Ruhe und Liebe gehorsam, allabendlich Antonina’s Gegenwart auf. Seine Leidenschaft brachte, wiewohl sie ihm seine Kriegerpflichten unmöglich machte, doch keine herabwürdigende Veränderung in seinem Charakter hervor. Alles, was sie in ihm veränderte, veredelte sie. Sie brachte Abwechselung in seine rohen Empfindungen und erhob dieselben, denn sie wurde nicht blos von der Schönheit und Jugend, die er sah, eingeflößt, sondern von den reinen Gedanken der unschuldigen Beredtsamkeit, die er hörte, belebt. Und sie, die verstoßene Tochter, die Quelle, aus welcher der nordische Krieger jene neueren, höheren Gefühle schöpfte, die ihn jetzt zum ersten Male belebten – betrachtete ihren Beschützer, ihren ersten Freund und Gefährten, wie ihre erste Liebe mit einer Hingebung, welche sich der Geist in ihrem gemischten enthusiastischen Wesen vorstellen, die aber die Feder nur unvollkommen niederzeichnen kann. Es war eine von Unschuld und Dankbarkeit, Freude und Schmerz, Besorgniß und Hoffnung erzeugte Ergebenheit, sie war zu frisch, hatte zu wenig mit der Welt gemein, um Vorwürfe anerzogener Scham oder künstlichen Anstandes zu kennen. Sie glich in ihrem Wesen, wenn auch nicht in ihrer Anwendung, der Hingebung der ersten Töchter der Menschen für ihre Mitherren der Schöpfung.

Was würde es aber nützen, wenn wir noch länger bei solchen Beschreibungen verweilten? Die höheren Leidenschaften in ihrer vollen Kraft und Thätigkeit sprechen zu der menschlichen Phantasie und verschmähen die gemeine Verdollmetschung durch menschliche Worte. Das Maß des Guten und Bösen in der Liebe Hermanrichs und Antoninens wird das Herz des Lesers besser abwägen, als die Feder des Schriftstellers. Er möge ihr Alter, ihre Lage und ihre Gelegenheiten bedenken und seine Phantasie dann innerhalb der Grenzen der breiten Umrisse, die wir bereits gegeben haben, spielen lassen, sie mit der bunten Gluth der leidenschaftlichen Worte des Liebhabers färben, mit den glänzenden Lichtern ihrer Augenblicke entzückter Seligkeit erleuchten, mit den sanften Schatten ihrer Stunden üppiger Ruhe abdunkeln. So werden die Liebesscenen in dem Bauernhause den Erwartungen Aller entsprechen und – ein noch glücklicheres Schicksal – die Vorurtheile, Keines beleidigen!

Was uns betrifft, so ist es jetzt Zeit, zu dem Gange unserer Erzählung zurückzukehren, wiewohl es, ehe wir wieder in die rüstige, bewegte Gegenwart treten, noch auf einen Augenblick nöthig sein wird, nach einer andern Seite hin auf die ereignißreiche Vergangenheit zurückzuschauen. Aber nicht auf Frieden, Schönheit und Freude, heftet sich jetzt unser Blick, wir wenden uns zu Zorn Krankheit und Verbrechen, zu der unversöhnlichem unweiblichen Goiswintha.

Seit dem Tage, wo die Gewaltsamkeit der in ihr kämpfenden Gefühle sie des Bewußtseins beraubt hatte, in dem Augenblicke ihres entscheidenden Triumphs über die Bedenklichkeiten Hermanrich’s und das Schicksal Autoninens, war ihr von einem hitzigen Fieber ein Theil der bittern Leiden zugefügt worden, welche sie gern Andern auferlegt hätte, bald lag sie in einem rasenden Delirium, bald in hülfloser Erschöpfung da. Welche Form aber auch ihre Krankheit annehmen mochte, so vergaß sie doch nie den grausamen Zweck, bei dessen Verfolgung sie sich dieselbe zugezogen hatte. Langsam und ungewiß kehrte endlich ihre Kraft zurück und zugleich mit ihr verstärkte sich und wuchs die grimmige Rachsucht, welche selbst ihre leisesten Gedanken erfüllte und ihre gleichgültigsten Handlungen beherrschten.

Das Gerücht theilte ihr die neue Stellung in der Blockadelinie mit, in welcher sich Hermanrich befand, und zählte als Gefährten seines dortigen Aufenthalts nur die unter seinem Befehle stehenden Krieger auf. Wenn aber auch so von der Trennung Antoninens und des Gothen überzeugt, nagte doch ihre Unwissenheit über das Schicksal des Mädchens ununterbrochen an ihrem wilden Herzen. Im Zweifel, ob sie Hermanrich auf die Dauer für die Interessen der Rache und des Blutvergießens gewonnen, im unbestimmten Argwohn, daß er sich während ihrer Abwesenheit mit Antoninens Zufluchtsort bekannt gemacht habe, fortwährend entschlossen auf den Tod ihres Opfers sinnend, wohin sich dasselbe auch begeben haben würde, erwartete sie mit zitternder Begier den Tag der Wiedererlangung ihrer Kräfte, welche sie in den Stand setzen würde, ihren Einfluß auf den Gothen wieder zu erlangen und ihre Ränke gegen das geflüchtete Mädchen fortzusetzen. Ihre lange erhoffte völlige Genesung war an dem Tage vor der bereits beschriebenen stürmischen Nacht eingetreten, und der erste Gebrauch, welchen sie von ihrer erneuten Thatkraft machte, bestand darin, daß sie dem jungen Gothen ihre Absicht mittheilen ließ, ihn vor Einbruch des Abends ans seinem Posten zu besuchen.

Diese Mittheilung war es, welche die zu Anfang des vorigen Kapitels erwähnte Unruhe Hermanrich’s verursacht hatte. Der dort geschilderte Abend war der erste, welcher ihn durch den angedrohten Besuch Goiswinthens der Aussicht beraubt hatte, wie er gewohnt war, unter dem Schutze der Nacht zu Antonina zu gehen, da er sich durch die Mißachtung der ominösen Botschaft seiner Verwandten der verderblichsten Entdeckung ausgesetzt haben würde. Im Vertrauen auf die trügerische Sicherheit, welche ihm ihre Krankheit gewährte, hatte er bis jetzt die unwillkommene Erinnerung an ihre Existenz aus seinen Gedanken verbannt, jetzt aber, wo sie erneuter Thätigkeit und Verbrechen fähig war, fühlte er, daß er, um das Geheimniß des Verstecks Antoninens und das Leben seiner Geliebten zu bewahren, dableiben und wenn ihn Goiswintha auf seinem Posten besuchte, Gewalt gegen Gewalt und List gegen List anwenden müsse, selbst auf die Gefahr hin, durch sein Ausbleiben dem einsamen Mädchen alle Qualen der Angst und Besorgniß aufzuerlegen.

 

In solche Gedanken versunken, sich nach der Entfernung sehnend, aber doch zum Bleiben entschlossen, erwartete er ungeduldig Goiswinthens Erscheinen, bis das Aufsteigen des Gewitters, mit seiner räthselhaften, ihn völlig in Anspruch nehmenden Reihe von Ereignissen, seine Gedanken und Handlungen in ein neues Bett leitete. Sobald jedoch seine Gespräche mit dem Fremden und dem gothischen Könige vorüber und er dem erhaltenen Befehle gemäß auf seinen Posten zurückgekehrt war, nahmen seine auf eine Zeitlang vertriebenen aber nicht völlig vernichteten alten Besorgnisse wieder ihren Einfluß auf ihn an. Er fragte seine Kameraden begierig, ob Goiswintha in seiner Abwesenheit gekommen sei und erhielt von Allen die gleiche verneinende Antwort.

Während er jetzt auf das Pfeifen des Windes, den immer lauter werdenden Donner und das schrille Geschrei der fernen Nachtvögel, welche ihren Zufluchtsorten zueilten, lauschte, nahmen trübe, traurige Empfindungen von seinem Herzen Besitz. Er wunderte sich jetzt, daß irgend ein Ereigniß, wie unerwartet es auch kommen und wie ungewöhnlich es auch sein mochte, die Gewalt besitzen konnte, seinen Geist auf einen Augenblick von den traurigen Gedanken abzulenken, welche ihn am Schlusse des Tages erfüllt hatten. Er dachte an die einsame, hülflose Antonina, die erschreckt in den Sturm hinaushorchte und vergebens auf sein lange hinausgeschobenes Nahen wartete. Seine Phantasie stellte vor ihm ein Heer von Gefahren, Complotten und Verbrechen, die mit allen entsetzlichen Mißgestalten eines Traumes bekleidet waren, vor ihm auf. Selbst das schnelle eintönige Tröpfeln des Regens vor dem Hause erweckte in ihm dunkle, unerklärliche Ahnungen von Unheil. Die Leidenschaft, welche ihm bis jetzt neue Freuden geschaffen. hatte, erfüllte jetzt die andere Hälfte ihrer irdischen Sendung, und verursachte ihm neue Schmerzen.

In dem Maße, wie der Sturm zunahm, wie die langsamen Augenblicke schwer und trübe vorüberschlichen, wie die Finsterniß tiefer und immer tiefer wurde, wuchs auch seine Unruhe, bis sie endlich den letzten schwachen Widerstand seiner schwankenden Kraft besiegte. Er überredete sich, daß Goiswintha, nachdem sie so lange gezögert, sich jetzt enthalten würde, ihn vor dem Morgen zu besuchen, und daß alle Mittheilungen von Alarich, wenn deren abgesendet worden wären, ihm längst schon hätten zugekommen sein müssen, unfähig, länger seine Besorgnisse wegen Antoninens Sicherheit zu bekämpfen, entschlossen, es lieber aus die schlimmsten Möglichkeiten ankommen zu lassen, als zu einer solchen Zeit des Sturmes und der Gefahr von dem Hause seiner Geliebten fern zu bleiben, machte er einen letzten Besuch auf den Standpunkten der wachsamen Posten und verließ das Lager.