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Kapitel IV
Die Hunnen

Mehr als eine Stunde, nachdem Hermanrich das Lager verlassen hatte, trat eiligen Schrittes ein Mann in das von dem jungen Häuptling bewohnte Haus. Er machte keinen Versuch ein Licht oder Feuer anzuzünden, sondern setzte sich in dem Hauptgemache nieder und flüsterte von Zeit zu Zeit Worte einer fremden barbarischen Sprache vor sich hin.

Er war erst kurze Zeit in Besitz seiner unbehaglichen Einsamkeit gewesen, als ein Troßknecht mit einer kleinen Lampe und dicht hinter ihm ein Weib eintrat, das sich, als er aufsprang, und ihr entgegenging, als Hermanrich’s Schwester zu erkennen gab und begierig den Gothen zu sprechen verlangte.

So hager und bleich es auch durch lange Leiden und Aufregung geworden war, erschien doch das Gesicht Goiswinthens, denn diese war es, geradezu anziehend, wenn man es jetzt im Lampenscheine mit dem Gesichte und der Gestalt des von ihr angeredeten Individuums verglich. Eine platte Nase, eine schwärzlichbraune Haut, lange, straffe, verworrene Locken von kohlschwarzem Haar, ein bartloses, zurückweichendes Kinn und kleine, wilde, tiefliegende Augen verliehen der Physiognomie des Mannes fast etwas Thierisches. Seine breiten, musculösen Schultern hingen über einer Gestalt, die von eben so geringer Höhe, wie athletischer Bauart war, wenn man ihn anblickte, so sah man die Muskeln eines Riesen in den Körper eines Zwerges gespannt. Und doch war dieser ungestaltete Herkules kein einzelnes Versehen der Natur, keine ungewöhnliche Ausnahme von seinen Nebenmenschen, sondern der Typus einer ganzen eben so verwachsenen und zurückstoßenden Race wie er, er war ein Hunne.

Dieses wilde Volk, welches selbst der Schrecken seiner barbarischen Nachbarn war und ohne Regierung, Gesetze oder Religion lebte, besaß mit dem Menschengeschlechte nur ein Gefühl in Gemeinschaft, den Instinkt des Krieges. Seine historische Laufbahn begann mit seinen frühesten Eroberungen in China und nahm ihren Fortgang mit seinen ersten Siegen über die Gothen, welche die hunnischen Krieger als Dämonen betrachteten sind bei ihrer Annäherung flohen. Die so begonnenen Feindseligkeiten zwischen den beiden Völkern gingen endlich durch die zeitweilige Verbindung des besiegten Volkes mit dem römischen Reiche in einen Waffenstillstand über und hörten später bei der allmäligen Verschmelzung der Interessen Beider zu einem gemeinschaftlichen Gefühle – dem Abscheu gegen Rom – gänzlich auf.

Durch dieses Verbrüderungsband wurden die Gothen und Hunnen öffentlich verknüpft, blieben aber insgeheim in Feindschaft mit einander, – denn die eine Nation erinnerte sich eben so lebhaft an ihre frühern Niederlagen, wie die andere an ihre frühem Siege. In einem Wechsel von Niederlagen, Uneinigkeiten und Siegen, verfolgten sie ihre Laufbahn des Kampfes und der Plünderung, bald getrennt, bald zusammen, bis zur Zeit unserer Erzählung, wo Alarich’s Belagerungsheer unter den Reihen seiner barbarischen Hülfstruppen auch eine Abtheilung von Hunnen zählte, die, nur widerstrebend mit dem Titel von Verbündeten der Gothen beehrt, in untergeordneten Stellungen im Heere verstreut waren und unter denen das obenbeschriebene Individuum einer von denjenigen war, welche man verächtlich durch Beförderung zu einer niedern Befehlshaberstelle unter Hermanrich, als einem gothischen Anführer begünstigt hatte.

Ein Ausdruck der Abneigung aber nicht des Schreckens zog über Goiswinthens abgemagertes Gesicht, als sie sich dem Barbaren näherte und wiederholt den Wunsch aussprach, vor Hermanrich geführt zu werden. Auch auf das zweite Mal gab der Mann ihr jedoch keine Antwort; er brach in ein kreischendes, kurzes Lachen aus und zuckte seine ungeheuern Achseln mit ungeschicktem Spott. Das Gesicht des Weibes röthete sich auf einen Augenblick und nahm dann wieder eine gelbliche Blässe an, als sie fortfuhr:

»Ich bin nicht hierhergekommen, um von einem Barbaren verspottet, sondern um von einem Gotten bewillkommnet zu werden. Ich frage Dich nochmals, wo ist mein Bruder, Hermanrich!«

»Fort!« – rief der Hunne, und sein Gelächter wurde noch wilder und mißtöniger.

Goiswinthens Kövper durchzuckte eins plötzliches Beben, als sie das Benehmen des Barbaren bemerkte und, seine Antwort hörte. Sie unterdrückte mit Schwierigkeit ihren Zorn und ihre Aufregung und fuhr mit besorgten Blicken und bittenden Tönen fort.

»Wohin ist er gegangen? Weshalb hat er sich entfernt? – Ich weiß, daß die Stunde, welche ich für unsere Besprechung hier bestimmt hatte, längst vorüber ist, aber ich habe viele Wochen lang krank darnieder gelegen, und als ich mich diesen Abend; zum Fortgehen anschickte, schienen plötzlich meine verschwundenen Leiden zurückzukehren. Ich wurde in mein Bett getragen, wiewohl aber die Weiber, welche mir Beistand leisteten, sagten, daß ich dableiben und ausruhen solle, so fand ich doch in der Nacht Kraft genug, um ihnen zu entrinnen und durch Stimm- und Finsterniß allein hierher zu kommen, – denn ich war entschlossen, wenn ich auch dafür umkommen sollte, Hermanrich aufzusuchen, wie ich es durch meine Boten versprochen hatte. Du, der Du der Gefährte seiner Wache bist, mußt wissen wohin er sich begeben hat. Geh zu ihm und berichte ihm, was ich gesagt habe, ich werde hier aus seine Rückkehr warten.«

»Sein Geschäft ist geheim! spöttelte der Hunne, »er hat sich entfernt, aber ohne mir zu sagen, wohin, woher sollte ich Barbar den Aufenthaltsort eines vornehmen Gothen kennen? Mir geziemt es nicht, seine Handlungen zu wissen, sondern seinen Worten zu gehorchen.«

»Spotte nicht über Deinen Gehorsam,« entgegnete Goiswintha mit athemlosem Eifer; »ich sage Dir nochmals, Du weißt, wohin er gegangen ist und mußt mir sagen, zu welchem Zwecke er sich entfernt hat. Du gehorchst ihm – da ist Geld, um Dich zum Gehorsam gegen mich zu bewegen.«

»Als ich sagte, daß sein Geschäft geheim sei, habe ich nicht gelogen,« antwortete der Hunne, indem er gierig die Münzen, welche sie ihm zuwarf, aufhob, »aber er hat es nicbt vor mir geheim gehalten! Die Hunnen sind schlau! häßlich und schlau!

Der Argwohn ihres sündigen Herzens war in diesem Augenblicke schon halb genügend, um Goiswinthen die Nachricht, welche sie noch erhalten sollte, errathen zu lassen. Es entfloh ihr jedoch kein Wort, während sie dem Barbaren ein Zeichen gab, weiter zu sprechen.

»Er ist nach einem Bauernhause im Freien jenseits der Vorstadt hinter uns gegangen. Er wird erst mit Tagesanbruch zurückkommen!« fuhr der Hunne fort, indem er das Geld in seinen großen hornigen Händen klappern ließ.

»Hast Du ihn gehen sehen?« stöhnte das Weib.

»Ich habe ihn bis zu dem Hause verfolgt,« erwiederte der Barbar »Viele Nächte lang habe ich ihn beobachtet und in Verdacht gehabt; diese Nacht habe ich ihn fortgehen sehen. Erst seit kurzen bin ich wieder zurück. Die Finsterniß hat mich nicht getäuscht, der Ort ist an der Landstraße von den Vorstädten aus – der erste Nebenweg nach Westen führt an das Gartenthor – ich weiß es, ich habe sein Geheimniß entdeckt! ich bin schlauer als er.!«

»Zu welchem Zwecke hat er das Bauernhaus bei Nacht besucht?« fragte Goiswintha nach einiger Zeit, während welcher sie, wie es schien, stumm die letzten Worte des Mannes in ihr Gedächtniß geheftet hatte. »Bist Du schlau genug, um mir das zu sagen.«

»Wozu wagen die Männer ihre Sicherheit und ihr Leben, ihr Geld und ihren Ruhm?« lachte der Barbar, »für die Weiber! In dem Bauernhause befindet sich ein Mädchen. Ich sah es an der Thür als der Häuptling hineinging.«

Er schwieg. Goiswintha antwortete aber nicht.

Wir erinnern uns, daß sie von einem Frauengeschlecht abstammte, welches seine verwundeten Gatten, Söhne und Brüder mit eigenen Händen erschlug, wenn es dieselben durch eine Niederlage entehrt nach der Schlacht aufsuchte; wir erinnern uns, daß das Feuer der alten Wildheit dieser Vorfahren noch in ihrem Herzen glühte, wir erinnern uns aller Hoffnungen, die sie auf Hermanrich gesetzt, alles Hasses, welchen sie gegen Antonina gehegt, und sind, den Eindruck der jetzt erhaltenen Nachricht nach seiner vollen Stärke ermessend, eben so abgeneigt wie unfähig, ihre Empfindungen in diesem Augenblicke zu beschreiben. Auf einige Zeit wurde die Stille des Zimmers durch keinen Ton unterbrochen, als das Rollen des Donners draußen, das schnelle convulsivische Athmen Goiswinthens und das Klimpern des Geldes, welches der Hunne mechanisch aus einer Hand in die andere zu werfen fortfuhr.

»Ich werde nach dem Werke der heutigen Nacht eine gute Ernte von Gold und Silber erhalten,« fuhr der Barbar fort, indem er plötzlich die Stille unterbrach, »Du hast mir Geld gegeben um zu sprechen, wenn der Häuptling nach Hause kommt und hört, daß ich ihn entdeckt habe, so wird er mir Geld geben, damit ich schweige. Ich werde morgen, wenn ich auch ein Hunne bin, doch mit dem besten im Heere um die Wette trinken können.«

Er kehrte mit diesen Worten»auf seinen Sitz zurück und begann den Refrain eines beliebten Trinkliedes im eintönigen Takte mit einem seiner Geldstücke auf der Klinge seines Schwertes zu klopfen, während Goiswintha bleich und athemlos an der Thür des Gemaches stand und mit unverwandten, aber ausdruckslosen Augen auf ihn stierte. Endlich rang sich ein tiefer Seufzer aus ihrer Brust. ihre Hände ballten sich unwillkürlich, ihre Lippen bewegten sich mit einem bittern Lächeln und darauf verließ sie, ohne weiter ein Wort an den Hunnen zu richten, leise das Zimmer.

Sobald sie sich entfernt hatte, trat eine plötzliche Veränderung im Benehmen des Barbaren ein. Er sprang auf, ein Ausdruck wilden Hasses und Jubels zeigte sich auf seinem häßlichen Gesicht und er schritt im Zimmer auf und ab, wie ein wildes Thier in seinem Käfig.

»Endlich werde ich ihn vom Gipfel seiner Gewalt herabreißen!« flüsterte er ingrimmig vor sich hin, »wegen dessen, was ich ihr jetzt erzählt habe, wird ihn seine Schwester hassen – ich wußte es, während sie sprach! Für das Verlassen seines Postens kann ihn Alarich entehren, ihn verbannen, ihn hängen! Sein Schicksal liegt in meiner Hand, ich werde mich trefflich von ihm und seinen Befehlen frei machen! Ich hasse diesen Gothen ärger, als sein ganzes übriges Volk! Ich will dabei sein, wenn sie ihn an den Baum schleppen und ihm seine Schande vorwerfen, wie er mir meine Mißgestalt vorgeworfen hat.« Hier lachte er in selbstgefälliger Billigung seines Projekts, schritt schneller hin und her und erging sich schon im Voraus in der barbarischen Freude seines Triumphes.

 

Seine geheimen Betrachtungen hatten ihn so noch einige Zeit beschäftigt, als Schritte vor der Thür vernehmlich wurden. Er erkannte den Tritt augenblicklich und rief der sich vor der Thür befindenden Person leise zu, sich zu nähern. Auf seinen Ruf trat ein Mann ein, der weniger athletisch als er, aber an Ungestalt sein wahres Spiegelbild war. Jetzt begann folgendes Gespräch zwischen den beiden Hunnen:

»Bist Du ihm bis an die Thür gefolgt?« fragte der Neuangekommene.

»Bis an die Schwelle. Dann ist sein Sturz sicher. Ich habe Alarich gesehen.«

»Wir werden ihn unter unsere Füße treten! Den Knaben, der über uns, die wir älter sind als er, gesetzt worden ist, weil er ein Gothe ist und wir Hunnen sind! Aber was sagt Alarich? Wie hast Du bei ihm Gehör erlangt?«

»Die Gothen um sein Zelt verspotteten mich als Wilden und schworen, daß ich von einem Dämon und einer Hexe gezeugt sei, aber ich gedachte der Zeit, wo die Prahler aus ihren Niederlassungen flohen, wenn unsere Stämme ihre schwarzen Rosse bestiegen und sie wie wilde Thiere jagten. Damals waren ihre Lippen blaß von Furcht.«

»Rede von Alarich – unsere Zeit ist kurz!« unterbrach ihn Jener zornig.

»Ich antwortete keine Silbe auf ihren Spott,« fuhr sein Genosse fort, »sondern rief laut, daß ich ein gothischer Verbündeter sei, daß ich Nachrichten für Alarich überbringe und das Recht der Audienz so gut habe, wie Andere. Meine Stimme drang zu den Ohren des Königs, er blickte aus seinem Zelte und winkte mir, herein zu kommen. Ich sah seinen Haß gegen unser Volk in seinem Auge glühen, als wir uns einander anblickten, aber ich sprach unterwürfig und mit sanfter Stimme. Ich erzählte ihm, daß der Anführer, den er über uns gesetzt, insgeheim seinen Posten verlasse, ich erzählte ihm, daß wir seinen begünstigten Krieger seit vielen Nächten nach den Vorstädten gehen gesehen hätten, daß er sich auch diese Nacht, wie viele andere, aus dem Lager gestohlen habe und daß Du ihm nachgegangen seiest, um ihn bis zu seinem Versteck zu verfolgen.«

»War der Tyrann zornig?«

»Sein Gesicht röthete sich und seine Augen blitzten und seine Finger zitterten an der Scheide seines Schwertes, während ich sprach? Als ich zu Ende war, sagte er, daß ich lüge und verfluchte mich als einen ungläubigen Hund, der einen christlichen Häuptling verleumdet habe. Er drohte mir mit dem Hängen. Ich rief, daß er Boten nach unserem Quartiere senden möge, um die Wahrheit zu erforschen, ehe er mich tödte. Er befahl einem Krieger, hierher mit mir zurückzukehren. Als wir herkamen, war der allerchristlichste Anführer nirgends zu sehen – kein Mensch wußte, wohin er gegangen sei. Wir gingen wieder nach dem Zelte des Königs zurück, sein Soldat, den er ehrte, sprach zu ihm dieselben Worte, wie der Hunne, den er verachtete, da erhob sich Alarich grimmig. – Noch diese Nacht, rief er, gebot ich ihm mit meinen eignen Lippen, meine Befehle mit Wachsmkeit an seinem angewiesenen Posten zu erwarten. Ich würde solchen Ungehorsam an meinem eignen Sohne bestrafen. Geh, nimm Andere von Deiner Schaar mit, – Dein Kamerad, der ihm gefolgt ist, wird Euch zu seinem Versteck führen – bringe ihn gefangen in mein Zelt! – Dies waren seine Worte. Unsere Kameraden warten draußen auf uns – laß uns ohne Säumen ausbrechen, damit er uns nicht entgehe.«

»Und wenn er uns Widerstand leisten sollte!« rief der Andere, indem er eilig auf die Thüre zuschritt, »was sagte der König, wenn er uns Widerstand leisten sollte?«

»Erschlagt ihn mit Euern eignen Händen!«

Kapitel V
Das Bauernhaus

Je weiter die Nacht vorrückte, desto stärker wurde der Sturm. Im Freien war seine Heftigkeit am deutlichsten erkennbar. Hier drangen keine lebenden Stimmen mit dem Grollen der Elemente, keine Fackelflammen kämpften mit der tiefen Finsterniß oder ahmten die grellen Blitze nach. Der Donner spielte ununterbrochen seine Sturmsymphonie und die Windsbraut begleitete ihn zu wilder Harmonie anschwellend, wenn sie durch die Bäume brauste, als ob sie in deren rauschenden Zweigen die Saiten einer mächtigen Harfe anschlüge.

In dem kleinen Zimmer des Bauernhauses saßen Hermanrich und Antonina beisammen und lauschten in sprachloser Aufmerksamkeit dem zunehmenden Aufruhr des Sturmes.

Das Zimmer und die darin Befindlichen wurden nur halb durch die Flamme eines glimmenden Holzfeuers erleuchtet. Die kleine irdene Lampe hing an ihrem gewöhnlichen Platze von der Decke herab, aber ihr Oel war erschöpft und ihr Licht erloschen. Eine Schüssel mit Obst lag zerbrochen neben dem Tische, von welchem sie unbeachtet auf den Boden herabgestürzt war. Sonst waren in dem Zimmer keine weiteren Verzierungen oder Hausrathgegenstände zu sehen. Hermanrichs niedergeschlagenen Augen und trüben Züge verriethen die düstere Zerstreuung, in welche er versunken war. Mit der einen Hand die seine umfassend und die andere mit ihrem Kopfe auf seine Schulter gelegt, lauschte Antonina aufmerksam dem abwechselnden Steigen und Fallen des Windes. Ihre Schönheit war während ihres Aufenthaltes in dem Bauernhause frischer und frauenhafter geworden. Heiterkeit und Hoffnung schienen endlich den vollen Antheil an ihrem Wesen erlangt zu haben, welchen ihnen bei ihrer Geburt die Natur angewiesen hatte.

Selbst in diesem Augenblicke des Sturmes und der Finsterniß lag in ihrem Ausdruck mehr Verwunderung und Ehrfurcht, als Aufregung und Schreckem während sie mit erröthender Wange und leuchtendem Auge auf die Fortschritte des Sturmes lauschte.

So von ihren Gedanken erfüllt, saßen Hermanrich und Antonina in ihrem kleinem Gemache schweigend beisammen, bis die Träumereien Beider plötzlich durch das Zerbrechen des hölzernen Riegels unterbrochen wurden, welcher die Thür des Zimmers verschloß und deren Drängen in den wiederholten Windstößen das vermoderte Holz nicht mehr zu ertragen vermochte. Es lag etwas unaussprechlich Trauriges in der Fluth von Regen, Wind und Finsterniß, welche sich augenblicklich durch die offene Thür zu ergießen schien, als dieselbe heftig in ihren morschen Angeln zurückflog.

Antonina erbleichte und zitterte unwillkürlich, als Hermanrich hastig aufstand und die Thür wieder schloß, indem er die Klinke aus der Schlinge losmachte, welche sie hielt, wenn sie nicht benutzt wurde. Er sah sich hierbei im Zimmer um, ob er nicht einen Ersatz für den zerbrochenen Riegel finden könne, aber sein Auge begegnete keinem zu diesem Zwecke geeigneten Gegenstande und er murmelte unmuthig, auf seinen Sitz zurückkehrend:

»So lange wir hier sind, um sie zu beobachten, reicht die Klinke aus, sie ist neu und fest.«

Er schien wieder in seinen frühern Trübsinn versinken zu wollen, als die Stimme Antoninens seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm und ihn für den Augenblick aus seinen Gedanken erweckte.

»Steht es in der Macht des Sturmes, Dich, einen Krieger aus einem Heldengeschlecht, so betrübt und traurig zu machen?« fragte sie mit Tönen sanften Vorwurfs, »selbst ich kann, wenn ich auf diese Wände blicke, die mein Glück so beredt verkünden. und neben Dir sitze, dessen Gegenwart dieses Glück bildet, dem brausenden Sturme lauschen, ohne mein Herz bedrückt zu fühlen. Was liegt in dem Sturme für Dich oder mich, daß er uns mit Trübsinn belasten sollte, kommt nicht der Donner der Winternacht von demselben Himmel, wie der Sonnenschein des Sommertages? Du bist so jung, so großmüthig, so tapfer, Du hast mich geliebt und bemitleidet und mir beigestanden – warum sollte also die nächtliche Sprache des Himmels solche Trauer und solches Schweigen über Dich werfen?«

»Ich bin nicht aus Trübsinn schweigsam,« antwortete Hermanrich mit erzwungenem Lächeln, »sondern aus Ermüdung vom vielen Arbeiten im Lager.« Er erstickte bei diesen Worten einen Seufzer. Sein Kopf kehrte in seine alte gesenkte Lage zurück. Der Kampf zwischen seiner angenommenen Sorglosigkeit und seiner wahren Unruhe war offenbar ein ungleicher. Das Mädchen blickte ihn fest mit dem wachsamen Auge der Liebe an und ihr Gesicht trübte sich mit dem seinen. Sie schmiegte sich enger an seine Seite und sprach mit ängstlichen, bittenden Tönen weiter:

»Ist es vielleicht der Kampf zwischen unsern beiden Nationen, der uns bereits getrennt hat und uns wieder trennen kann, welcher Dich so bedrückt?«. sagte sie; »aber denke, wie ich, an den Frieden, welcher kommen muß, und nicht an den Krieg, der jetzt vorhanden ist. Denke an die Freuden unserer frühern Tage und das Glück unserer gegenwärtigen Augenblicke, wo wir so vereint und liebend, so für einander lebend und hoffend, und Du wirst dann, gleich mir, nicht mehr an der sich für uns Beide vorbereitenden Zukunft zweifeln.

Die Zeit der Ruhe kehrt vielleicht mit dem Frühling zurück. Der heitere Himmel wird dann auf ein ruhiges Land und ein glückliches Volk herableuchten und wird es dann in jenen Tagen des Sonnenscheins und Friedens unter dem ganzen frohen Volke freudigere Herzen geben, als die unseren?«

Sie schwieg einen Augenblick. Ein plötzlicher Gedanke oder eine in ihr aufsteigende Erinnerung ließ sie erröthen und zaudern, ehe sie weiter sprach. Endlich wollte sie fortfahren, als ein lauterer Donnerschlag als alle ihm vorhergegangenen, drohend über dem Hause dahinrollte und die ersten Töne ihrer Stimme erstickte. Der Wind ächzte laut, der Regen plätscherte gegen die Thüre, die Klinke klapperte lange und scharf in ihrer Befestigung. Hermanrich stand wieder auf, trat an das Feuer und legte ein frisches Scheit auf die verglimmenden Kohlen. Seine Niedergeschlagenheit schien sich jetzt Antoninen mitgetheilt zu haben und als er sich von Neuem neben ihr hinsetzte, redete sie ihn nicht wieder an.

Im Geiste des Gothen erhoben sich traurigere und schmerzlichere Gedanken als alle die ihn noch beschäftigt hatten. Seine Unruhe in dem Vorstadtquartiere war im Vergleich mit der Düsterheit, welche ihn jetzt bedrückte, die Ruhe selbst. Alle Pflichten seiner Nation, seiner Familie und seines Berufes, denen er ausgewichen war, alle unterdrückten Erinnerungen an die kriegerischen Beschäftigungen, die er gering geschätzt, und die kriegerische Feindseligkeit, welcher er entsagt hatte, belebten sich jetzt rächend in seinem Gedächtnisse von Neuem. So lebhaft aber auch diese Erinnerungen waren, schwächten sie doch keines von den Gefühlen leidenschaftlicher Hingebung gegen Antoninen, durch welche ihr Einfluß in seinem Innern bisher unterdrückt worden war. Sie existirten neben ihnen – die alten Erinnerungen neben den neuen Empfindungen – der strenge Tadel, der Natur des Kriegers mit den besorgten Ahnungen des Herzens des Liebenden. Und jetzt begann seine räthselhafte Begegnung mit Ulpius, Goiswinthens unerwartete Genesung und das dumpfe Aufsteigen und der wüthende Ausbruch des nächtlichen Sturmes auf seinen abergläubischen Geist den Eindruck einer Reihe ungewöhnlicher, bedeutsamer Vorfälle zu machen, die dazu bestimmt waren, die Unglück weissagende Rückkehr des Einflusses seiner Verwandten auf seine Handlungen und Antoninens Schicksal zu bezeichnen.

Mit bis in’s Einzelnste gehender Ausführlichkeit belebte sein Gedächtniß von Neuem jeden Umstand, der seine verschiedenen Zusammenkünfte mit dem römischen Mädchen begleitet hatte, von der ersten Nacht, wo sie sich in sein Zelt verirrt, bis zu dem letzten glücklichen Abend, den er mit ihr in dem verlassenen Bauernhause zugebracht hatte. Hierauf verfolgte er den Lauf seiner Existenz weiter rückwärts und stellte sich sein Zusammentreffen mit Goiswinthen in den italienischen Alpen, seine Anwesenheit bei dem Tode ihres letzten Kindes und sein feierliches Versprechen vor, sie mit seinen eignen Händen an den Römern zu rächen, nachdem sie ihm das Blutbad von Aquileja erzählt hatte. Durch diese einander entgegengesetzten Bilder der Vergangenheit erweckt, bevölkerte seine Phantasie die Zukunft mit Vorstellungen von neuen Gefahren, Bekümmernissen und Verstoßungen Antoninens, mit Visionen von dem ungeduldigen Heere, welches endlich, zu wilder Thätigleit angespornt, das römische Volk gänzlich niedermetzelte und ihn auf ewig wieder in seine rächenden Reihen zurückzukehren zwang. Er konnte weder zu einem Entschlusse des Widerstandes, noch zur Ergebung in die Flucht gelangen, Ungewißheit, Verzweiflung und Besorgniß übten eine ungehinderte Herrschaft auf seine leicht erregbaren, aber trägen Geisteskräfte. Die Nacht selbst war, als er in sie hinausblickte, nicht finstern; der wilde Donner, welchen er hörte, nicht grausiger, der Name Goiswinthens, wenn er an sie dachte, nicht Unheil verkündender, als die finstern Visionen, welche jetzt seine Phantasie durchzogen und seinen müden Geist bedrückten.

 

In der Lage Hermanrichs und Antoninens, wie sie so als die einzigen Glieder ihrer Nationen, welche in Liebe und Frieden verbunden waren, in dem einsamen Bauernhause dasaßen, lag etwas unbeschreiblich Einsames, Rührendes und Beredetes. Beide Hände des Mädchens waren auf Hermanrichs Schulter gefaltet und ihr Kozpf ruhte auf ihnen, von der Thür des Zimmers gewendet, und ließ so ihr volles, schwarzes Haar in aller seiner Ueppigkeit erblicken. Der Kopf des Gothen war immer noch auf seine Brust: gesunken, als ob er in tiefen Schlaf gehüllt sei, und seine Hände ruhten nachlässig neben einander auf der Scheide seines auf seinen Knieen liegenden Schwertes. Das Feuer flackerte nur in Zwischenräumen in die Höhe, da der frische Klotz, welchen er darauf gelegt hatte, noch nicht vollkommen angebrannt war. Zuweilen spielte das Licht auf dem glänzenden Harnisch Hermanrichs, den dieser abgenommen und neben sich auf den Boden gelegt hatte, zuweilen auf seinem Schwerte und den darauf ruhenden Händen, aber es war nicht kräftig oder dauernd genug, um das Zimmer zu erhellen, dessen Wände und Ecken es in fast völliger Finsterniß ließ.

Der Donner rollte immer noch, aber Regen und Wind hatten sich theilweise gelegt. Die Stunden der Nacht waren schneller vorwärts gegangen, als unsere Erzählung von den dieselben ausfüllenden Ereignissen.

Es war jetzt Mitternacht.

Aus dem Zimmer drang kein Ton zu Antoninens Ohren, als das scharfe Klappern der Thürklinke, welche von dem Winde in ihrer Befestigung erschüttert wurde. Sie ließ ihre klirrenden Töne so regelmäßig vernehmen, als würde sie von den fortschreitenden Augenblicken bewegt, und hielts mit ihnen Schritt. Allmälig bemerkte das Mädchen, daß sie auf diesen scharfen, mißtönigen Klang mit aller Aufmerksamkeit horchte, welche sie zu andern Zeiten dem Rieseln eines fernen Wassers oder den beschwichtigenden Harmonieen einer Laute geschenkt haben würde; plötzlich aber, gerade als es sich ihren Sinnen am ruhigsten zu fügen schien, hörte es auf und im nächsten Augenblicke wehte ihr ein Windstoß, gleich demjenigen, welcher durch die offene Thür gekommen war, als der morsche Riegel derselben brach, das Haar über ihr Gesicht weg und bewegte die Falten ihres leichten, lockeren Kleides. Sie erhob den Kopf und flüsterte Hermanrich bebend zu:

»Die Thür ist wieder offen – der Riegel ist gewichen!«

Der Gothe schrak aus seinen Träumen auf und blickte hastig in die Höhe. In diesem Augenblicke begann das Klappern der Klinke eben so plötzlich wieder, als es aufgehört hatte, und die Luft des Zimmers nahm ihre frühere Stille wieder an.

»Beruhige Dich, Geliebte,« sagte Hermanrich sanft; »Deine Phantasie hat Dich getäuscht – die Thür ist wohl verwahrt.«

Er strich ihr bei diesen Worten liebkosend das Haar aus dem Gesichte. Unfähig, das geringste von seinen Lippen fallende Wort zu bezweifeln, und keinen verdächtigen und ungewöhnlichen Ton im Zimmer vernehmend, machte sie keinen Versuch, ihren Verdacht zu rechtfertigen. Als sie wieder die Hand auf seine Schulter legte, beängstigte eine unbestimmte Befürchtung ihr Herz und entlockte ihr einen unwillkürlichen Seufzer, aber sie verlieh ihrer Besorgniß keinen Ausdruck in Worten. Nachdem der Gothe noch einen Augenblick gelauscht hatte, um sich zu überzeugen, daß die Klinke wirklich gehörig verwahrt sei, nahm er unmerklich wieder die Betrachtungen auf, aus welchen er gestört worden war, von Neuem senkte sich sein Kopf, von Neuem kehrten seine Hände mechanisch in ihre frühere, gleichgültige Lage neben einander auf der Scheide seines Schwertes zurück.

Die schwache, flackernde Flamme stieg und sank immer noch, die Klinke klapperte scharf in ihrer Dille, der Donner ließ immer noch sein mürrisches Rollen vernehmen, aber der Wind legte sich jetzt zu schwächeren Stößen und der Regen begann leiser und immer leiser an die Fensterläden zu schlagen. Für die in dem Bauernhause Wachenden hatte sich, was das Auge betras, nichts, und was das Ohr anlangte, nur wenig verändert. Verderbliche Sicherheit!

Die letzten wenigen Minuten hatten ihr künftiges Geschick verderblich bestimmt, – sie waren in ihrem geliebten Zufluchtsorte jetzt nicht mehr allein.

Sie hörten keinen leisen Schritt um ihre Wohnung schleichen, sie sahen kein blitzendes Auge durch eine Ritze der Fensterläden in das Innere des Zimmers spähen, sie bemerkten keine dunkle, durch die leise und schnell geöffnete Thür in den finstersten Winkel des Zimmers gleitende Gestalt. Während sie jetzt neben einander saßen und ihre jungen, traurigen Herzen stumm mit einander verkehrten, stand jedoch die drohende Gestalt Goiswinthens, in ihre Verwandte Finsterniß gehüllt, unter ihrem schützenden Dache und in ihrem geliebten Dache, still und stumm fast dicht neben ihnen.

Wiewohl die Gluth ihres Fiebers wieder in ihren Adern gewüthet, wiewohl erschreckende Visionen der Mordthaten von Aquileja blitzähnlich vor ihren Augen gezuckt hatten, war sie doch durch die Vorstädte und auf der Landstraße und den schmalen Pfad zur Thür des Bauernhauses hinab, ohne sich nur ein einziges Mal zu verirren oder zu zaudern, geeilt. Achtlos gegen die Finsterniß und den Sturm war sie um das Haus geschlichen, hatte die Klinke erhoben, auf einen lauten Donnerschlag gewartet, ehe sie durch die Thür trat und sich gespenstergleich in den dunkelsten Winkel des Zimmers geschlichen, wobei sie eine Geduld und Entschlossenheit entwickelte, die sich durch nichts stören ließ. Und jetzt, wo sie am Ziele ihrer schlimmsten Wünsche stand, selbst jetzt, wo sie auf die beiden Wesen hinabblickte, die ihre Absichten vereitelt und sie betrogen hatten, verließ sie ihre wilde Fassung nicht, ihre Lippen bebten über ihren verbissenen Zähnen, ihr Busen pochte über ihren durchnäßten Gewändern, aber sie ließ sich weder Seufzer noch Flüche, noch selbst ein Lächeln des Triumphes oder eine Bewegung des Zornes entschlüpfen.

Sie warf keinen Blick auf Antonina. Ihre Augen schweiften keinen Moment von Hermanrich’s Gestalt hinweg. Dem vorübergehendsten, schwächsten Feuerscheine, welcher auf demselben spielte, folgte ihr begieriger Blick eben so schnell, wie jener selbst. Bald heftete sich ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf seine über der Scheide seines Schwertes liegenden Hände und dann erhob sich langsam und dunkel ein neuer verderbenschwangerer Entschluß in ihrem Innern. Die sich auf ihrem Gesichte abzeichnendem verschiedenartigen Bewegungen lösten sich in einen boshaften Ausdruck auf, und ohne die Augen von dem Gothen zu verwenden, zog sie langsam aus den Busenfalten ihres Gewandes, ein langes, scharfes Messer.

Das Feuer zitterte abwechselnd hell auf und versank wieder in Dunkelheit wie anfänglich. Hermanrich und Antonina verharrten von ihren Gedanken und sich selbst erfüllt, in ihrer frühern Lage und Goiswintha blieb unbeweglich mit dem Messer in der Hand wachsam, fest, stumm wie bisher stehen.

Aber unter der Hülle ihrer äußerlichen Ruhe wüthete ein Kampf, in dem sich ihr Geist verdunkelte und ihr Herz zuckte. Zweimal brachte sie das Messer in seinen frühern Versteck zurück und zweimal zog sie es wieder hervor. Ihre Wangen wurden bleicher und bleicher, sie preßte ihre geballte Hand convulsivisch auf ihren Busen und lehnte sich matt an die Wand hinter ihr.