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Eben als sie dorthin blickte, überzog die untergehende Sonne zwischen zweien von den äußeren Säulen, die den Tempel umgaben, hereinfallend, die glatten Fließen vor dem Eingange mit einem hellen Glanze. In dem warmen milden Lichte flog müde ein Schwarm von Insekten umher und ihr schwaches, eintötnges Summen ließ das über allen äußeren Dingen ruhende vollkommene Schweigen eher noch tiefer erscheinen, als daß es dasselbe nnterbrochen hätte. Bald aber sollte eine Veränderung in der Ruhe des stillen Ortes eintreten, es war während Antonina noch hinschaute, kaum eine Minute vergangen, als sie über das sonnige Pflaster einen dunkeln Schatten herangleiten sah, denselben Schatten, den sie erblickt hatte, als sie auf ihrer Flucht stehen geblieben war, um sich in der leeren Straße umzusehen. Zuerst wurde er langsam länger und immer länger, dann blieb er stehen, dann entfernte er sich und verschwand eben so allmälig, wie er herangekommen war, und dann war es dem Mädchen als höre sie einen schwachen Ton von Schritten, die sich in dem seitlichen Säulengange, nach dem den Fluß überschauenden Theile des Gebäudes, zurückzogen.

Ein leiser Schreckensschrei rang sich von ihren Lippen, als sie gegen ihren Vater hin zurücksank, aber er blieb unbeachtet. Die Stimme des Heiden hatte in der Zwischenzeit ihren hohlen lauten Ton wieder angenommen, er hatte Numerian vom Boden erhoben, sein starker, kalter Griff, der bis in das Herz des Greises zu dringen schien und ihn wie mit einem bösen Zauber hülf- und bewegungslos festhielt, war an seinem Arme —

»Hört es! »Hört es!« rief der Wahnsinnige, indem er seine freie Hand ausstreckte, als rede er eine große Menschenmenge an. »Ich befördere diesen Mann zu einem Diener des Hohenpriesters! Er ist aus einem fernen Lande nach dem Heiligthume gekommen, er ist vor dem Altare der Götter gelehrig und gehorsam, das Los seines künftigen Lebens ist geworfen, seine Wohnung soll bis zum Tage seines Todes im Tempel sein. Er soll vor mir in weißen Gewändern dienen und das dampfende Rauchfaß schwingen und das Opfer zu meinen Füßen tödten.«

Er hielt inne. Ein düsterer, entsetzlicher Ausdruck trat in seine Augen, als das Wort Opfer über seine Lippen ging. Er murmelte zweifelnd vor sich hin:

»Das Opfer! ist die Stunde des Opfers schon gekommen?« und sah sich nach der Eingangsthüre um.

Die Sonne schien noch hell auf das äußere Steinpflaster, die Insekten kreisten noch langsam in dem milden Lichte, kein Schatten war jetzt sichtbar, man hörte keine fernen Schritte, man vernahm nichts als die frohe Musik des rieselnden Wassers und der läutenden Silberglöckchen. Einige Augenblicke lang schaute der Heide ängstlich nach der Straße hinaus, ohne ein Wort zu sprechen oder einen Muskel zu bewegen. Die Tobwuth war nahe daran, sich seiner wieder zu bemächtigen als der Gedanke an das Opfer durch seinen verdunkelten Geist zuckte, aber das Eintreten derselben verzögerte sich abermals. Er wendete langsam den Kopf nach dem Innern des Tempels.

»Noch scheint die Sonne hell in den äußeren Höfen,« murmelte er leise; »noch ist die Stunde des Opfers nicht erschienen! komm!« fuhr er lauter fort, indem er Numerians Arm schüttelte; »es ist Zeit, daß der Diener des Tempels die Opferstätte erblickt und vor Sonnenuntergang das Opfermesser schärft! Steh auf Sklave und folge mir!«

Bis jetzt hatte Numerian weder gesprochen noch einen Fluchtversuch gemacht. Die bisherigen Ereignisse waren, wiewohl es eine Zeitlang gedauert hat, sie zu beschreiben, in einer so kurzen Periode vorübergegangen, daß er sich noch nicht von dem ersten betäubenden Schrecken der Begegnung mit dem Heiden hatte erholen können. Jetzt aber fühlte er trotz seiner Verschüchterung, daß der Augenblick des Ringens um Freiheit gekommen war.

»Laß mich los! Wir wollen gehen! – zwischen uns kann keine Gemeinschaft mehr existiren!« rief er mit dem rücksichtslosen Muthe der Verzweiflung, indem er Antoninens Hand ergriff und sich von dem Wahnsinnigen loszumachen rang. Die Anstrengung war aber vergeblich – Ulpius hielt ihn nur um so fester und lachte triumphirend.

»Was!« rief er, »der Diener des Tempels ist vor dem Hohenpriester in Schrecken! und fürchtet sich an der Opferstätte zu wandeln? Fürchte nichts, Sklav!

Der Mächtige, der über Leben und Tod und Zeit und Zukunft herrscht, ist freundlich gegen den Diener seiner Wahl! Vorwärts! vorwärts! nach dem Orte der Finsterniß und des Todes, wo ich allein allmächtig bin und alle anderen Geschöpfe, die zittern und gehorchen! An Deine Aufgabe Schüler! Mit Sonnenuntergang muß das Opfer gekrönt sein!«

Er blickte auf Numeriam als er sich anschickte ihn vorwärts zu ziehen und ihre Augen begegneten einander. In seiner stolz gebietenden Geberde und dem wilden Triumph seines Blickes sah der Vater nur in noch phantastischerer Form denselben Ausdruck und dieselbe Stellung wiederholt, welche er am Morgen, wo er sein Kind verloren, an dem Heiden erblickt hatte. Alle Umstände jener Unglücksstunde, das leere Schlafgemach, die verbannte Tochter, – der Triumph des Verräthers – die Qual des Verrathenen stürmten auf seinen Geist herein und erhoben sich vor seinen Augen mit den lebhaften Farben eines Gemäldes; er rang nicht weiter, seine geistigen und körperlichen Widerstandskräfte waren gleich zermalmt. Er machte einen Versuch Antoninen von sich zu stoßen, als wollte er, des verborgenen Feindes außerhalb vergessend, sie zur Flucht durch die offene Thür anspornen, so lange noch die Aufmerksamkeit des Wahnsinnigen nicht auf sie gelenkt war. Außer dieser letzten Anstrengung des starken Instinktes der Vaterliebe schien aber jeder andere Gedanke in ihm erstorben zu sein.

Umsonst hatte er sich bemüht, das Kind von dem Schicksale zu befreien. welches dem Vater bevorstehen mochte – für sie war die Furcht vor dem dunkeln Schatten auf dem Pflaster stärker als alle übrigen Besorgnisse. Sie schmiegte sich jetzt noch dichter an ihren Vater und hielt seine Hand noch fester. Als der Heide also in das Innere des Tempels schritt, war es nicht blos Numerian, der ihm nach der Opferstätte folgte, sondern anch Antonina.

Sie begaben sich hinter die aufgehäuften Götterbilder. Auf der Rückseite der Masse zeigte sich eine hohe Zwischenwand von vergoldetem und eingelegtem Holze, die bis zur Decke hinaufreichte und den äußern Raum des Tempels von dem innern trennte. Eine niedrige Oeffnung, die durch geschnitzte Thüren gleich denen auf der Vorderseite des Gebäudes geschützt wurde, war in der Abtheilungswand angebracht, durch diese trat jetzt Ulpins mit seinem Gefangenen in den Raum jenseits derselben.

Dieses Gemach war bedeutend kleiner als die erste Halle des Tempels, welche sie so eben verlassen hatten. Die Decke wie der Boden gingen schief hinab und hier war das Rieseln der Tiberwellen ihnen deutlicher hörbar als in der äußeren Abtheilung des Gebäudes. In dem Augenblicke, wo sie hineintraten, war der Ort sehr finster, der Haufen von Götterbildern fing sogar das wenige Licht auf, welches durch den schmalen Eingang hätte fallen können, aber die dichte Finsterniß wurde bald zerstreut. Ulpins zog Numerian hinter sich nach der linken Seite der Abtheilung, er warf eine Art von hölzernen Laden zurück und augenblicklich strömte ein blendender Lichtstrahl durch eine kleine in diesem Theile des Tempels angebrachte kreisförmige Oeffnung.

Jetzt wurde am untern Ende des Gemachs eine weit aufklaffende Höhlung in der Mauer sichtbar, die hoch genug war, um einen Menschen aufrecht einzulassen, die aber fast perpendikular zu einer unteren Räumlichkeit hinabführte, welche man nicht zu sehen vermochte, da kein Licht von diesem steilen, künstlichen Abgrund heraufkam, in dessen Dunkelheit sich das Auge verlor, nachdem es auf einige Fuß von der Oeffnung eingedrungen war.

Am Fuße des so sichtbar gewordenen Raumes sah man den Anfang einer Treppe, welche offenbar tief in die Höhlung hinabführte. Auf den steil abfallenden Wänden, die sie von allen Seiten umgrenzten, waren in den glänzenden Farben der alten Fresken Darstellungen der Gottheiten der Mythologie gemalt. Sie befanden sich alle in Stellungen, als ob sie in die Höhlung hinabstiegen und Allen folgten Nymphengestalten mit Blumenguirlanden in den Händen, schöne Vögel und andere ähnliche Bestandtheile der Opferceremonien des Heidenthums. Der abstoßende Contrast zwischen den glänzenden und graziösen Gestalten der Fresken und dem gefährlichen, düstern Aussehen der Höhle, welche sie zierten, erhöhte die entsetzliche Bedeutsamkeit des Charakters des ganzen Gebäudes auf das Merkwürdigste. Seine frühere sündige Anwendung schien unverlöschlich auf jedem Theile davon eingeschrieben zu sein, wie vergangene Verbrechen und Qualen unverwischbar auf dem menschlichen Antlitz verzeichnet bleiben, der Geist sog davon Schrecken erregende Ideen von tödtlichem Verrath, von geheimen Abscheulichkeiten, von furchtbaren Verfeinerungen der Tortur, die kein uneingeweihtes Auge je erblickt hatte und denen Widerstand zu leisten, keine menschliche Entschlossenheit je kräftig genug gewesen war.

Aber die so empfangenen Eindrücke wurden nicht blos durch das, was man in der Höhle und um dieselbe erblickte, sondern auch durch das, was die Ohren dort vernahmen, hervorgebracht. Der Wind drang in einiger Entfernung und durch eine Oeffnung, welche nicht zu sehen war, herein und wurde, wie es schien auf seinem Wege aufgefangen, denn er pfiff in schrillen langgezogenen Tönen nach dem Eingange des Schlundes herauf, zuweilen brachte er aber auch einen andern und noch näheren Ton hervor, der dem Klirren von einer Menge kleiner, heftig gegen einander schlagender, metallischer Substanzen glich. Das Geräusch des Windes, sowie das Rauschen des Tiber schienen aus einer größern Entfernung zu kommen, als mit dem geringen Umfange des hintern Tempeltheiles und der Nähe des Flusses an seinen niedrigen Grundmauern verträglich war. Offenbar erreichte die Höhlung erst dann ihren Ausgang, nachdem sie rückwärts unter dem Gebäude in seltsam verwickelten Gängen oder Kellerlabyrinthen hingegangen war, die in alten Zeiten als Kerker für Lebende- oder Gräber für Tode erbaut sein mochten.

 

»Die Opferstätte – aha! die Opferstätte! rief der Heide trinmphirend, als er Numerian an den Eingang der Höhle zog und feierlich in das Dunkel hinab deutete.

Der Vater blickte in den finstern Schlund hinab, ohne sich jetzt weiter zu Antoninen umzuwenden, ohne sich zu bewegen, um den Freiheitskampf zu erneuern. Die irdischen Neigungen und Hoffnungen beginnen in seinem Herzen zu verbleichen – er betete. Die feierlichen Worte der christlichen Gottesanrufung fielen in leisen murmelnden Tönen am Orte des Götzendienstes und Blutvergießens von seinen Lippen und mischten sich mit den unzusammenhängenden Ausrufungen des Wahnsinnigen, der ihn gefangen hielt und jetzt seine glimmenden Augen auf die Höhlung heftete und in dem düstern fesselndem Zauber, welchen sie selbst auf ihn übte, beinahe die Gefangenen, die er noch an ihrer Mündung festhielt, vergaß.

Der einzige Lichtstrahl, den die kreisförmige Oeffnung in der Mauer hereinließ, fiel wild und phantastisch auf die sehr verschiedenen Gestalten der Drei, als dieselben so vereint vor dem unter ihnen aufgähnenden Abgrunde standen. Rund um sie her lag Alles im Schatten. An dem Orte des Unheils herrschte kein Licht, als der eine helle Strahl, welcher auf die gespenstische Gestalt des Ulpius, der noch in die Dunkelheit hinabdeutete, auf die starren Züge Numerian’s der in der Bitterkeit der Todeserwartung betete, und über die zarte jugendliche Gestalt Antoninens hereinströmte die sich zitternd an ihren Vater schmiegte. Es war ein feierliches Schauspiel, an welchem die Erde keinen Theil zu haben schien.

Unterdessen zeigte sich der Schatten, welchen das Mädchen auf dem Pflaster vor der Tempelthür bemerkt hatte, dort wieder von Neuem, aber nicht um sich zurückzuziehen, wie das erste Mal, denn im Augenblicke darauf trat Goiswintha leise in das äußere Gemach des Gebäudes, welches die ersten Eingetretenen verlassen hatten. Sie schlich um die Aufhäufung von Götzens bildern, blickte in den innern Raum des Tempels und sah die drei Gestalten dort in dem Lichtstrahle düster und bewegungslos vor der Mündung des Abgrundes stehen. Ihr erster Blick heftete sich auf den Heiden, dem sie instinkmäßig mißtraute und ihn fürchtete und dessen Zweck bei der Gefangenhaltung des Vaters und der Tochter sie nicht zu errathen vermochte. Der zweite fiel auf Antoninen.

Die Stellung des Mädchens war eine geschützte. Noch immer ihres Vaters Hand haltend, war sie theilweise durch seinen Körper gedeckt und stand, ohne es zu bemerken, unter dem Arme des Heiden, den derselbe erhoben hatte, um Numerians Schulter zu erfassen. Goiswintha bemerkte dies, erinnerte sich daran, daß Antonina ihr schon zweimal entgangen war, sie zauderte einen Augenblick und begann darauf mit vorsichtigem Schritte und gerunzelter Stirn wieder nach der Eingangsthür des Tempels sich zurückzuziehen.

»Noch nicht – die Zeit ist noch nicht gekommen!« murmelte sie, als sie sich wieder in ihren frühem Versteck begab, »sie stehen, wo das Licht auf ihnen ruht – das Mädchen ist bewacht und geschützt – die beiden Männer sind noch neben ihr. Der Augenblick der That ist noch nicht gekommen – der Streich des Messers muß sicher und fest sein! Fest, denn diesmal muß sie von meiner Hand sterben! – sicher, denn ich habe außer der Rache an ihr noch andere zu üben! Ich, die ich seit der Nacht, wo ich von Aquileja entrann, geduldig und schlau gewesen bin, will geduldig und schlau bleiben. Wenn sie über die Schwelle tritt, so tödte ich sie im Herausgehen, wenn sie im Tempel bleibt —«

Bei dem letzten Worte hielt Goiswintha inne und blickte nach oben. – Die untergehende Sonne warf ihren feurigen Glanz auf ihr hageres Gesicht und ihr Auge strahlte wild in dem vollen Lichte.

»Die Dunkelheit ist nahe!« fuhr sie fort, »in den finstern Hallen des Tempels wird die Nacht dicht und schwarz sein, ich werde sie sehen, während sie mich nicht erblicken soll! – Die Dunkelheit naht, die Rache ist sicher! Sie preßte die Lippen auf einander, hüllte sieh enger in ihr Gewand und fuhr fort zu wachen und zu warten, wie sie bisher entschlossen gewacht und gewartet hatte.

Der Römer und die Gothin, die Gegensätze im Geschlecht, in der Nation und dem Schicksal – der Wahnsinnige, der im Tempel von dem blutigen Aberglauben des Heidenthums träumte, und die Mörderin, die außerhalb über den Aussichten auf Blutvergießen brüte, waren jetzt zu einer von Beiden umgekehrten, geheimnißvollen Gleichheit der Erwartung verbunden – die Stunde, wo die Sonne vom Himmel verschwand, war für Beide die Stunde des Opfers.

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Im Gange der Ereignisse ist jetzt eine momentane Pause eingetreten. Später zu erzählende Vorfälle machen es nöthig, den Zwischenraum zu benutzen, um den Leser mit der eigentlichen Natur und dem Zwecke der Höhlung in der Tempelwand, deren äußeres Aussehen wir bereits beschrieben haben, bekannt zu machen.

Die bezeichnende Eigenthümlichkeit im Gebäude der heidnischen Religion läßt sich am Passendsten mit der bezeichnenden Eigenthümlichkeit mit dem Bau der heidnischen Tempel bezeichnen. Beide waren dazu bestimmt, das Auge nur durch den äußern Effekt anzuziehen, welcher bei beiden die falsche, trügerische Abspiegelung des innern Wesens war. Im Tempel ließ man dem Volke, wenn es unter dem langen Säulengange anbetete, oder von der Straße aus die hohen Vorhallen erblickte, sich die entsprechende Majestät und Symmetrie des Innern des Gebäudes denken, und gestattet es ihm nicht, zu entdecken, wie sehr es die glänzenden Erwartungen täuschte, welche das Aeußere einzuflößen so sehr geeignet war, wie wenig die dunkeln engen Hallen der Idole die geheimen Gewölbe und düstern Raume im Stillen die Versprechungen der hohen Treppen, des breiten Pflaster, der massiven, im Sonnenglanze leuchtenden Säulen des Aeußern erfüllte. So wurde auch in der Religion der Andächtige durch den Glanz von Prozessionen, die Pracht der Augurien, die Poesie des Glaubens angelockt, welcher seine heimathlichen Wälder mit scherzenden Dryaden und die Quellen, aus denen er trank, mit ihren schützenden Najaden bevölkern, der dem Berge und See, der Sonne, dem Monde und den Sternen, allen Dingen um und über ihm ihre phantastische Allegorie oder ihre anmuthige Legende von Schönheit und Liebe verlieh. Ueber dies hinaus ließ man aber seine erste Bekanntschaft mit seiner Religion nicht gehen, hiermit endete seine Einweihung. Man ließ ihn in Unwissenheit über die dunkeln, gefahrvollen Tiefen, welche unter der glatten anziehenden Oberfläche lauerten; man ließ ihn glauben, daß das, was gezeigt wurde, nur das Vorspiel der künftigen Entdeckung der Schönheit, die in den Gebräuchen des Heidenthums verborgen lag, sei; man ließ ihm nicht die erbärmlichen Betrügerein, die abscheulichen Orgien, die widerlichen Beschwörungen, die blutigen, insgeheim ausgeführten Menschenopfer erblicken, die das wahre Wesen der schönen äußern Gestalt bildeten. Der erste Anblick des Tempels täuschte sein Auge nicht weniger, als sein erster Eindruck von der Religion seinen Geist verblendete.

Mit den verborgenen, schuldbefleckter Mysterien des Heidenthums stand die Höhlung, vor welcher sich jetzt Ulpius mit seinen Gefangenen befand, in genauer Verbindung.

Die Menschenopfer, welche bei den Römern gebracht wurden, waren von zwei Arten, öffentliche und geheime. Die ersteren kamen in den frühen Jahren der Republik jährlich vor, wurden später verboten, von Augustus, der seine Kriegsgefangenen am Altare des Julius Cäsar opferte, wieder belebt und dann – wiewohl unter nachfolgenden Regierungen zu besonderen Zwecken zuweilen erneuert, in der letzten Periode des Kaiserreichs als Theile der Ceremonien des Heidenthums gänzlich aufgegeben.

Die geheimen Opfer, welche mit den Mysterien der Mythologie in Verbindung standen und vor der beaufsichtigenden Regierung verborgen gehalten wurden, blieben weit länger im Gebrauche und dauerten wahrscheinlich bis zum allgemeinen Erlöschen des Heidenthums in Italien und den Provinzen. Es waren eine, Menge von den verschiedenartigsten Behältnissen zur Darbringung menschlicher Opfer in den verschiedenen Theilen des Reiches vorhanden, in den menschenerfüllten Stadien so gut wie in seinen einsamen Wäldern – und eines von den merkwürdigsten und am längsten bewahrten war die große Höhlung in der Mauer des Tempels, welche Ulpius zu seinem Versteck in Rom gewählt hatte.

Das kellerartige Gewölbe war nicht blos als versteckter Ort für die Handlung des Opfers und die Leiche des Geopferten erbaut worden. Die Art seiner Konstruktion war durch einen blutigen Kunstgriff verwickelter gemacht worden, indem man in der Höhlung selbst das Werkzeug der Opferung anbrachte, indem man es so zu sagen nicht blos zum Behälter, sondern auch zum Verschlingen seiner menschlichen Beute machte. Am Fuße der hinableitenden Treppe – von welcher, wie wir bereits erwähnt haben, nur der obere Theil von dem Eingange im Tempelgemach aus sichtbar war, hatte man die eherne Gestalt eines Drachen angebracht.

Der Körper des Ungeheuers, der der Treppe gegenüber fast im rechten Winkel aus der Mauer hervorragte, wurde nach allen Richtungen hin durch stählerne Federn bewegt, welche mit einer der untern Stufen und mit einem im Rachen der Gestalt angebrachten Schwerte, welches die Zunge des Drachen darstellte, in Verbindung standen. Die Wände rückten um die Stufen, wenn man sich dem Drachen näherte, so zusammen, daß sie kaum einen menschlichen Körper hindurch ließen. Beim leisesten Drucke auf die Stufe, mit welcher die Feder zusammenhing, schoß der Körper des Ungeheuers vorwärts und das Schwert drang aus seinem Rachen augenblicklich in einer solchen Höhe über den Stufen hervor, daß es die hinabsteigende Person an einer tödtlichen Stelle durchbohren mußte. Die hierauf durch ihre eigene Schwere vom Schwerte herabfallende Leiche stürzte durch eine, röhrenartige Oeffnung unter dem Drachen, die in den Stufen oberhalb entgegengesetzter Richtung hinlief, hinab und gelangte an ein von den Wellen des Tiber, der unter den gewölbten Grundlagen des Tempels hinströmte, bespültes Eisengitter. Zu diesem Gitter gelangte man durch einen geheimen, von der Vorderseite des Gebäudes hinabführenden unterirdischen Gang, in welchem der Opferpriester sich der Leiche bemächtigen, Gewichte daran beseitigen, das Gitter öffnen und sie in den Fluß stürzen konnte, wo sie nie wieder von menschlichen Augen erblickt wurde.

In den Tagen, wo dieses Zerstörungswerkzeug zu dem Zwecke diente, wofür der furchtbare Scharfsinn ihrer Erfinder sie erbaut hatte, waren ihre hauptsächlichsten Opfer junge Mädchen. Mit Blumen bekränzt und in weiße Gewänder gekleidet, wurden sie dadurch verlockt, daß man sie mit reichen Opfergaben versah und ihnen sagte, daß der einzige Zweck, weshalb man sie die Stufen hinabsende der sei, die die Wände zierenden Bilder, welche wir einige Seiten weiter oben beschrieben haben, zu verwirklichen, indem sie ihre Gaben am Altare des Gottes unten, darbrächten.

Zur Zeit, von welcher wir schreiben, war der Drache schon seit vielen Jahren – seit dem ersten Verbote des Heidenthums nicht mehr mit seiner gewohnten Beute genährt worden. Die seinen Körper bildenden Schuppen verrosteten allmählig und wurden von der Feuchtigkeit locker gemacht und brachten, wenn sie von dem Winde bewegt wurden, der von unten zu ihnen heraufdrang, das klirrende Geräusch hervor, welches, wie wir bereits erwähnt haben, von Zeit zu Zeit am Munde der Höhlung hörbar wurde. Da aber die Federn, welche die tödtliche Wirkung der ganzen Maschine verursachten innerhalb derselben und bedeckt angebracht waren, so hatten sie der langsamen Einwirkung der Zeit und Vernachlässigung widerstanden und waren immer noch eben so vollkommen wie sonst geeignet, den tödtlichen Zweck, für welchen sie bestimmt waren, zu erfüllen.

Das endliche Schicksal des ehernen Drachen war das Schicksal der Religion, deren blutigsten Aberglauben er verkörperte, er fiel vor den unwiderstehlichen Fortschritten des Christenthums.

Kurz nach der Zeit unserer Erzählung wurde, da das Innere des Gebäudes, in welchem er sich befand, durch einen später zu erzählenden Vorfall gelitten hatte, das Aeußere abgetragen, um in seinen Säulen Materialien für eine Kirche zu liefern. Die Höhlung in der Mauer wurde von einem Mönche untersucht, der beider Zerstörung anderer heidnischer Tempel zugegen gewesen war und sich erboten hatte, ihren Inhalt zu entdecken. Mit einer Fackel in der einen Hand und einer eisernen Stange in der andern, stieg er die Treppe hinab und sondirte unterwegs die Wände und Stufen vor sich her. Zum ersten und letzten Male drang das Schwert unschädlich aus dem Rachen des Ungeheuers, als der Mönch mit seiner Eisenstange die verderbliche Stufe berührte, ehe er auf dieselbe trat. An demselben Tage noch wurde die Maschine zerschlagen und in den Tiber geschleudert, wohin ihre Opfer in früherer, Zeit geworfen worden waren.

 
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Es sind einige Minuten vergangen, seit wir den Vater und die Tochter neben dem Heiden vor dem Eingange der Höhlung verlassen haben und bis jetzt scheint noch keine Veränderung in der Lage der Drei eingetreten zu sein. Schon aber wird, während Ulpius in die Höhlung zu seinen Füßen hinabblickt, seine Stimme lauter und seine Worte werden vernehmlicher. Grausige Erinnerungen, die mit dem Orte in Verbindung stehen, beginnen sein träges Gedächtnis aufzuregen, die Finsterniß des Vergessens von seinen Gedanken zu heben.

»Sie gehen hier hinab, tief hinab!« rief er, in die Tiefen der Höhlung deutend, »und steigen nie wieder zum Lichte über der Erde auf. Unten wacht der große Vernichter und erblickt ihr Nahen in der Finstersniß! Horch, das Zischen seines Athems gleicht dem Klirren von Waffen in einem tödtlichen Kampfe!«

In diesem Augenblicke bewegte der Wind die lockeren Schuppen des Drachen. Auf einen Moment blieb Ulpius stumm und lauschte dem von ihnen hervorgebrachten Geräusche. Zum ersten Male zeigte sich auf seinem Gesicht ein Ausdruck des Schreckens. Sein Gedächtniß belebte von Neuem dunkel die Umstände seiner Entdeckung der tödtlichen Maschinerie in dem Gewölbe, als er seinen einsamen Aufenthalt im Tempel genommen, als er mit der verworrenen Erinnerung an die mysteriösen Gebrauche und Beschwörungen, die geheimen Opfer, die er in Alexandrien mit angesehen und ausgeführt hatte, erfüllt, den unterirdischen Gang, welcher zu dem eisernen Gitter unterhalb des Drachen führte, gefunden und verfolgt hatte.

Als sich der Wind wieder legte und damit das Klirren des Metalls aufhörte, begann er diesen Erinnerungen in Worten Ausdruck zu verleihen und sie in langsamen feierlichen Tönen vor sich hin zu erzählen.

»Ich habe den Vernichter gesehen. Der Unsichtbare hat sich mir offenbart,« murmelte er. »Ich stand an den eisernen Gittern, die ruhelosen Wellen rangen und kämpften unter meinen Füßen, als ich hinauf in den Ort der, Finsterniß blickte. Eine Stimme rief mir zu: – Nimm Licht und siehe mich von oben! Nimm Licht! nimm Licht! Sonne, Mond und Sterne gaben dort kein Licht! aber in der Stadt brannten Lampen in den Häusern der Todten, als ich bei nächtlicher Weile an ihnen vorüberging, und die Lampe gab Licht, als Sonne, Mond und Sterne keines gaben!

Von den obersten Stufen blickte ich hinab und sah den Gewaltigen in seinem goldenen Glanze und näherte mich nicht, sondern schaute und lauschte in Furcht. Dann ertönte wieder die Stimme! – ich vernahm wieder die Worte: Opfere mir insgeheim, wie Deine Brüder opfern! Gib mir die Lebenden, wo die Lebenden sind, und die Todten, wo die Todten! Die Luft kam kalt herauf und die Stimme schwieg, und die Lampe glich Sonne, Mond und Sternen, sie gab kein Licht in der Stätte der Finsterniß.«

Während er noch sprach, klirrten wiedes die metallenen Schuppen in der Höhlung, denn der Wind war mit dem vorrückenden Abend stärker geworden.

»Horch! Das Zeichen zum Opfer« rief der Heide plötzlich, gegen Numerian gewendet, »Horch, Sklave, die Lebenden und die Todten sind in unserm Bereich. Der Athem des Unsichtbaren trifft sie auf der Straße und im Hause – sie schwanken auf den Wegen und fallen auf den Tempelstufen nieder. Wenn die Stunde kommt, so wollen wir hinausgehen und sie suchen. Unter meiner Hand gehen sie in das Gewölbe hinab, gleichviel, ob todt oder lebend, sie fallen hindurch auf das eiserne Gitter, wo das Wasser springt und sich freut, sie zu empfangen. Es ist mein Amt, sie oben zu opfern, und das Deine, sie unten zu erwarten, das Gitter aufzuheben und sie dem Flusse zum Verschlingen zu geben. Die Todten fallen zuerst, die Lebenden, die von dem Vernichter getödtet werden, folgen ihnen!«

Hier hielt er plötzlich inne. Sein Auge siel jetzt zum ersten Mal wieder auf Antoninen, deren Dasein er bisher völlig vergessen zu haben schien. Ein widerliches Lächeln der Schlauheit und Zufriedenheit veränderte augenblicklich den ganzen Charakter seines Gesichts, als er sie ansah und sich dann bedeutsam nach der Höhlung umschaute.

»Hier ist Eine!« flüsterte er Numerian zu, indem er sie am Arme ergriff – »halte sie fest – die Stunde ist nahe!«

Numerian hatte während seiner Reden achtlos dagestanden, als er aber Antoninen berührte, war schon die Geberde genug, um den Vater von Neuem zu, wenn auch hoffnungslosem, Widerstande aufzustacheln. Er schüttelte Ulpius Hand von dem Arme des Mädchens und zog sich mit ihr athe1nlos, wachsam zweifelnd, nach der Seitenwand hinter ihm zurück.

Der Heide lachte mit stolzer Zufriedenheit.

»Mein Sklave gehorcht mir und ergreift die Gefangene – er erinnert sich, daß die Stunde nahe ist, und läßt sie nicht los. Komm fuhr er fort; »komm hinaus in die Vorhalle! – Es ist Zeit, daß wir auf noch mehrere Opfer warten, bis die Sonne untergeht. Der Vernichter ist mächtig und muß Gehorsam finden.«

Er ging zu der Thür, welche in den ersten Raum des Tempels führte, und wartete dann auf Numerian, der jetzt zum ersten Male, von Ulpius getrennt, an der Stelle, welche er zuletzt eingenommen hatte, verharrte und sich ängstlich umsah. Es war keine Aussicht des Entrinnens zu erblicken – die Mündung der Höhle auf der einen Seite und die Thür in der Scheidewand auf der andern, waren die einzigen Ausgänge des Gemaches. Er hatte keine Hoffnung weiter, als die, dem Heiden in die große Halle des Tempels zu folgen, sich sorgfältig von ihm entfernt zu halten und eine Gelegenheit zur Flucht durch die Hauptthür abzuwarten. »Die, als er sie das letzte Mal erblickt hatte, so verödete Straße konnte jetzt mehr Beweise davon, daß sie bewohnt war, gewähren. Es konnten Bürger oder Soldaten. vorbeigehen und in den Tempel gerufen werden – es konnte Hülfe in der Nähe sein.

Als er mit Antoninen hinaus ging, zogen dergleichen Gedanken schnell durch den Geist des Vaters, ohne in diesem Augenblicke von der Erinnerung an die Fremde, die ihnen vom Pincischen Thore her gefolgt war, oder die Apathie des hungernden Volkes, wenn es zur Hülfe eines Andern aufgefordert wurde, begleitet zu werden. Da der Wahnsinnige sah, daß man ihm folgte, wie er es befohlen hatte, ging er vor ihnen auf die zusammengehäuften Götzenbilder zu; jetzt aber trat eine seltsame, plötzliche Veränderung in seiner Haltung ein. Er war bisher mit dem Schritte eines jungen, kräftigen, entschlossenen Mannes gegangen, jetzt aber schleppte er einen Fuß hinter dem andern so langsam und peinlich her, als ob er eine tödtliche Wunde erhalten hätte. Er schwankte mit größerer Gebrechlichkeit, als sie seinem Alter eigenthümlich war, der Kopf sank ihm auf die Brust und er stöhnte und murmelte unartikulirt in leisem, langgezogenem Winseln.

Er war bis neben die Znsammenhäufung auf halbem Wege nach der Thüre des Tempels gelangt, als Numerian, der mit spähenden Augen die plötzliche Veränderung seines Benehmens beobachtet hatte, die Verstellung vergaß, welche noch von der größten Wichtigkeit sein konnte, sich seinem ersten Antriebe hingab, hastig mit Antoninen vorwärts eilte und den Versuch machte, an dem Heiden vorüber-zueilen und zu entfliehen. In demselben Augenblicke blieb aber Ulpius stehen, taumelte, streckte convulsivisch seine Hände aus, ergriff Numerian am Arme und schwankte mit ihm gegen die Seitenwand des Tempels. Die Finger des gequälten Elenden schlossen sich, als ob sie sich nie wieder öffnen sollten – schlossen sich wie mit dem letzten starren Griffe eines Ertrinkenden.