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Nach dem Frühstück ging ich zu einer Schneiderin in der Nähe, um mir einige wohlfeile Sommerkleider zu bestellen, und dann nach Midwinter’s Hotel, um wieder einen Ausflug aufs Land mit ihm zu verabreden. Für den Weg zu der Schneiderin und nach dem Gasthofe, sowie für einen Theil des Rückwegs hatte ich einen Fiaker genommen, da mir aber der abscheuliche Geruch im Wagen zu sehr zuwider wurde – wahrscheinlich hatte Jemand darin geraucht – so stieg ich aus, um mich vollends zu Fuße nach Hause zu begeben. Ehe ich noch zwei Minuten auf dem Trottoir gegangen, ward ich gewahr, daß mir ein fremder Mann folgte.

Das hat vielleicht nichts weiter zu bedeuten, als daß irgend einem müßigen Menschen meine Gestalt und mein Aussehen überhaupt auffielen. Mein Gesicht konnte keinen Eindruck auf ihn gemacht haben, denn wie gewöhnlich war es hinter meinem Schleier verborgen. Ob er mir, natürlich in einem Fiaker, von der Schneiderin oder vom Gasthofe gefolgt war, kann ich« nicht sagen. Auch weiß ich nicht gewiß, ob er mir bis zu dieser Thür nachging. Ich weiß nur, daß ich ihn aus den Augen verlor, ehe ich hier anlangte. Da ist nun nichts zu machen, als zu warten, bis mich die weiteren Ereignisse aufklären. Steckt etwas Ernstliches dahinter, so werde ich es bald entdecken.

Fünf Uhr. In der That ist’s ernstlich. Vor zehn Minuten befand ich mich in meinem Schlafzimmer, das mit meiner Wohnstube in Verbindung steht. Eben wollte ich es verlassen, als ich draußen auf dem Treppenabsatze eine fremde Stimme hörte, eine Frauenstimme. Im nächsten Augenblick ward plötzlich meine Wohnstubenthür geöffnet, die Frauenstimme sagte: »Sind dies die Zimmer, die Sie zu vermiethen haben?« und obgleich die hinter ihr kommende Hauswirthin erwiderte: »Nein, Madame, eine Treppe höher«, kam die Person doch geraden Wegs nach meinem Schlafzimmer, als hätte sie jene nicht gehört. Ich hatte gerade noch Zeit, ihr die Thür vor der Nase zuzuwerfen, ehe sie mich erblickte. Darauf erfolgten die nothwendigen Erklärungen und Entschuldigungen zwischen der Wirthin und der Fremden im Wohnzimmer, und dann war ich wieder allein.

Ich habe keine Zeit, noch weiter zu schreiben. Es ist klar, daß es sich Jemand angelegen sein läßt, mich zu identificiren, und daß, wäre ich nicht zu schnell für sie gewesen, die Fremde diesen Zweck durch Ueberrumpelung erreicht hätte. Ich vermuthe, daß sie und der Mann, der mir auf der Straße folgte, mit einander im Bündnisse stehen, und ohne Zweifel steht Jemand im Hintergrunde, dessen Interesse sie dienen. Greift Mutter Oldershaw mich etwa im Finstern an? Oder wer kann es sonst sein? Einerlei, wer es ist, meine gegenwärtige Lage ist zu kritisch, als daß ich dergleichen leichtfertig ansehen dürfte. Heute Abend noch muß ich dies Haus verlassen und darf keine Spur zurücklassen, nach der man mir anderswohin folgen kann.

Den 3. August. Gary-Street, Tottenham-Court-Road. Noch gestern Abend, nachdem ich Midwinter um Entschuldigung gebeten, in der meine kranke Mutter als volIgültige Ursache meines Verschwindens figurierte, machte ich mich aus dem Staube und fand hier eine Zuflucht. Das hat einiges Geld gekostet, allein mein Zweck ist erreicht! Unmöglich kann mir Jemand von All-Saints-Terrace bis hierher gefolgt sein.

Nachdem ich meiner Wirthin die erforderliche Entschädigung gezahlt, weil ich sie ohne vorherige Kündigung verließ, verabredete ich mit ihrem Sohne, daß er meine Koffer in einem Fiaker nach dem Gepäckzimmer des nächsten Bahnhofs schaffen und den Empfangschein über dasselbe in einem Briefe nach einem Postbureau schicken solle, wo ich mir denselben abholen werde. Während er mit dem Gepäck in der einen Richtung in einem Fiaker fortfuhr, schlug ich in einem zweiten Fiaker eine andere Richtung ein, nur einige Kleinigkeiten in einer Handtasche mit mir nehmend. Ich fuhr geraden Wegs nach dem Hause der Schneiderin wo ich gestern bemerkt hatte, daß der Laden einen Ausgang aus der Hinterseite habe, durch den die Arbeiterinnen aus und ein gingen. Alsbald ging ich hinein und ließ den Fiaker. Vor der Thür auf mich warten. »Ein Mann verfolgt mich«, sagte ich, »und ich möchte ihn loswerden. Hier ist der Fiakerlohn; warten Sie zehn Minuten, ehe Sie den Kutscher bezahlen, und lassen Sie mich sogleich zur Hinterthür hinaus.« In der nächsten Minute befand ich mich in der kleinen Stallgasse hinter dem Hause, in einer zweiten in der nächsten Straße, in einer dritten rief ich einen vorüberfahrenden Omnibus an und war wieder frei!

Nachdem ich jetzt allen Verkehr zwischen mir und meiner vorigen Wohnung abgeschnitten hatte, war, für den Fall, daß Midwinter und Armadale beobachtet würden, zunächst die Vorsichtsmaßregel zu treffen, daß ich, wenigstens auf einige Tage, auch allen Verkehr zwischen mir und dem Gasthofe abbrach. Ich habe an Midwinter geschrieben und, meine kranke Mutter abermals vorschützend, ihn benachrichtigt, daß ich durch meine Pflichten als Krankenwärterin gefesselt sei und wir vor der Hand nur brieflich mit einander verkehren könnten. Obgleich mir noch immer nicht klar, wer mein verborgener Feind ist, kann ich zu meiner Vertheidigung doch nichts weiter unternehmen, als was ich bereits gethan habe.

Den 4. August. Die Freunde im Hotel haben beide an mich geschrieben Midwinter spricht in den zärtlichsten Ausdrücken sein Bedauern über unsere Trennung aus. Armadale fleht mich in einer sehr fatalen Angelegenheit um Beistand un. Vom Herrnhause ist ihm ein Brief des Majors nachgesandt worden und er legt denselben seinem Schreiben an mich bei.

Aus jenem Briefe geht hervor, daß der Major, nachdem er das Seebad verlassen und seine Tochter in der ursprünglich für sie bestimmten Pension, in der Nähe von Ely, in Sicherheit gebracht hat, am Ende der Woche nach Thorpe-Ambrose zurückgekehrt ist und dort zuerst die Gerüchte über mich und Armadale gehört und augenblicklich an ihn geschrieben hat, ihn hiervon in Kenntniß zu setzen.

Der Brief ist streng und kurz. Major Milroy weist das Gerücht als völlig unglaubwürdig von sich, weil es ihm unmöglich ist, an eine so »kaltblütige Falschheit« zu glauben, wie dieses Gerücht documentiren würde, wenn es wahr wäre. Er schreibt nur, um Armadale anzukündigen daß, wenn er in Zukunft nicht vorsichtiger in seinen Handlungen sei, er alle Ansprüche auf Miß Milroy’s Hand aufzugeben habe.

»Ich erwarte auf diesen Brief keine Antwort; schließt das Schreiben, »denn ich verlange keine leeren Betheuerungen in bloßen Worten. Ihr Verhalten allein im Verlaufe der Zeit soll mir als Richtschnur dienen. Laffen Sie mich außerdem hinzufügen, daß ich Ihnen bestimmt verbiete, sich dieses Briefes als eines Vorwandes zu bedienen, um die von uns festgestellten Bedingungen zu brechen und an meine Tochter zu schreiben. Es ist nicht nöthig, daß Sie sich in ihren Augen rechtfertigen, denn zum Glücke hatte ich sie bereits mit mir aus Thorpe-Ambrose hinweggenommen, ehe dieses abscheuliche Gerücht bis zu ihr dringen konnte, und ich werde Sorge tragen, daß sie da, wo sie jetzt, ist, nicht durch dasselbe beunruhigt oder betrübt wird.

Armadale’s Bitte an mich unter diesen Umständen geht nun, da ich ja die unschuldige Ursache an diesem neuen Angriffe auf seinen Ruf sei, dahin, an den Major zu schreiben, um ihn von aller Indiscretion in der Sache freizusprechen und zu sagen, wie die gewöhnlichste Höflichkeit ihn gezwungen habe, mich nach London zu begleiten. In Anbetracht der Nachrichten, die er mir hiermit sendete, verzeihe ich ihm die Unverschämtheit einer solchen Bitte. Sicherlich gereicht mir der Umstand zum Vortheil, daß die Klatschereien von Thorpe-Ambrose nicht Miß Milroy zu Ohren kommen sollen. Bei ihrem Temperamente dürfte sie, wenn sie davon hörte, irgend etwas Verzweifeltes unternehmen, um sich ihres Geliebten zu versichern, und mich somit ernstlich compromittiren. Was mein Verfahren Armdale gegenüber anlangt, so ist dies klar genug. Ich werde ihn durch das Versprechen, an Major Milroy zu schreiben beruhigen, und in meinem eigenen persönlichen Interesse mir die Freiheit nehmen, nicht Wort zu halten.

Sonst hat sich heute nichts ereignet, das nur irgendwie verdächtig aussähe. Wer meine Feinde auch sind, sie haben meine Spur verloren und sollen mich bis zur Zeit, wo ich England verlasse, nicht mehr wiederfinden. Ich war auf dem Postbureau und habe dort den Gepäckschein in Empfang genommen, der, wie ich befohlen, in einen Brief von All-Saints-Terrace an mich eingeschlossen war. Das Gepäck selbst werde ich für jetzt noch im Gepäckzimmer verbleiben lassen, bis ich meinen Weg etwas klarer vor mir sehe, als dies bis jetzt der Fall ist.

Den 5. August. Wieder zwei Briefe vom Hotel. Midwinter schreibt, mich in der liebenswürdigsten Weise von der Welt daran zu erinnern, daß er morgen lange genug in dem Kirchsprengel gewohnt haben wird, um sich den bewußten Erlaubnißschein auswirken zu können, und daß er sich denselben in der üblichen Weise in Doctors’ Commons zu verschaffen gedenkt. Soll ich es je sagen, so ist jetzt der Augenblick, nein zu sagen. Ich kann nicht nein sagen. Das ist die reine Wahrheit, und damit ist die Sache abgemacht.

Armadale’s Schreiben ist ein Abschiedsbrief. Er dankt mir für meine Bereitwilligkeit, an den Major zu schreiben, und wünscht mir Lebewohl, bis wir einander in Neapel wiedersehen. Er sagt, er habe von seinem Freunde erfahren, daß gewisse Gründe ihm das Vergnügen versagen, bei unserer Heirath gegenwärtig zu sein. Unter diesen Umständen halte ihn nichts in London zurück. Alle seine Geschäftsangelegenheiten seien abgemacht, er reise heute mit dem Nachtzuge nach Sommersetshire und werde nach einem Besuche bei Mr. Brock trotz Midwinter’s Gegenvorstellungen in seiner eigenen Yacht vom Kanal von Bristol nach dem Mittelländischen Meere absegeln.

Den Brief begleitete ein Juwelenkästchen mit einem Ringe – Armadales Hochzeitsgeschenk für mich. Es ist ein Rubin, doch nur ein kleiner und die Fassung im allerschlechtesten Geschmack. Miß Milroy würde er einen Ring von zehnmal so großem Werthe gegeben haben, hätte er ihr ein Hochzeitsgeschenk gemacht. Meiner Ansicht nach gibt es kein widerlicheres Geschöpf als einen geizigen jungen Mann. Ob er in seiner wackligen kleinen Yacht wohl ersaufen wird?

 

Ich bin so unruhig und aufgeregt, daß ich kaum weiß, was ich schreibe. Nicht etwa, daß ich vor dem Bevorstehenden zurück bebe, mir ist nur, als ob ich schneller vorwärts getrieben würde, als mir lieb ist. Geschieht nichts, es zu verhindern, so wird mich MidWinter, wie die Sachen jetzt stehen, am Ende dieser Woche bereits geheirathet haben. Und dann!

Den 6. August. Könnte mich jetzt irgend etwas erschrecken, so würde «es die Nachricht gethan haben, die ich heute erhalten.

Als Midwinter diesen Morgen, nachdem er sich den Heirathserlaubschein verschafft hatte, nach dem Gasthofe zurückkehrte, fand er dort eine telegraphische Depesche vor. Dieselbe enthielt die wichtige Nachricht von Armadale, daß Mr. Brock einen Rückfall gehabt und die Aerzte alle Hoffnung auf seine Genesung aufgegeben hätten. Auf den Wunsch des Sterbenden ist Midwinter zu ihm beschieden worden, um Abschied von ihm zu nehmen, und Armadale bittet aufs dringendste, keinen Augenblick zu verlieren, sondern mit dem nächsten Zuge abzureisen.

Das hastig geschriebene Billet, das mich hiervon in Kenntniß setzt, meldet mir zugleich, daß Midwinter in dem Augenblicke, wo dasselbe in meine Hände gelangt, sich bereits auf dem Wege nach Sommersetshire befindet. Sobald er Mr. Brock gesehm, will er mit der Abendpost ausführlicher an mich schreiben.

Diese Nachricht hat ein Interesse für mich, das Midwinter sich wenig träumen läßt. Außer mir lebt nur noch ein einziges menschliches Wesen, dem das Geheimniß seiner Geburt und seines Namens bekannt ist, und dies ist der alte Mann, der ihn jetzt aus dem Sterbelager erwartet. Was werden sie die letzten Augenblicke mit einander sprechen? Wird ein zufälliges Wort sie vielleicht in die Zeit zurückführen, wo ich auf Madeira in Mrs. Armadales Diensten war? Werden sie wohl von mir sprechen?

Den 7. August. Der versprochene Brief ist so eben angelangt. Sie haben keine Scheideworte mit einander ausgetauscht. Alles war bereits vorüber, ehe Midwinter noch in Sommersetshire ankam. Armadale kam ihm am Thore der Pfarrei mit der Nachricht entgegen, daß Mr. Brock todt sei.

Ich versuche dagegen zu kämpfen, aber nach der seltsamen Verwickelung von Umständen, die mich seit einigen Wochen immer enger umsponnen haben, liegt in diesem letzten Ereignisse etwas, was meine Nerven erschüttert. Gestern, als ich mein Tagebuch aufmachte, stand mir nur noch eine letzte Gefahr der Entdeckung im Wege. Wie ich das Buch heute öffne, ist diese Gefahr durch Mr. Brock’s Tod hinweggeräumt. Das hat etwas zu bedeuten, ich möchte wissen was.

Die Beerdigung soll Sonnabend Vormittag stattfinden. Midwinter wird mit Armadale derselben beiwohnen. Aber zuvor gedenkt er nach London zurückzukehren und sagt, daß er heute Abend, in der Hoffnung mich zu sehen, auf dem Wege vom Bahnhofe nach dem Gasthofe bei mir ein sprechen wird. Wie die Sachen jetzt stehen, würde ich ihn empfangen, selbst wenn Gefahr damit verbunden wäre. Doch ist keine Gefahr dabei, wenn er von der Eisenbahn hierher kommt, und nicht vom Hotel.

Fünf Uhr. Ich habe mich nicht in der Annahme getäuscht, daß meine Nerven heftig erschüttert seien. Kleinigkeiten, auf die ich zu andern Zeiten kaum achten würde, lasten mir jetzt schwer auf dem Herzen.

Vor zwei Stunden, als ich in Verzweiflung darüber war, wie ich den Tag hinbringen solle, erinnerte ich mich der Schneiderin, die mir meine Sommerkleider fertigt. Schon gestern hatte ich zu ihr gehen und Anprobe halten wollen, aber in der Aufregung über die Nachricht hinsichtlich Mr. Brocks war mir die Sache ganz entfallen. Deshalb ging ich, begierig, etwas zu thun, um mich selbst loszuwerden, heute Nachmittag zu ihr. Ich bin aber unruhiger und beklommener zurückgekehrt, als ich beim Ausgehen war, denn ich habe die Befürchtung mit mir heimgebracht, ich werde noch Ursache haben, zu bereuen, daß ich nicht mein unfertiges Kleid in den Händen der Schneiderin gelassen.

Auf der Straße begegnete mir diesmal nichts. Erst im Ankleidezimmer ward mein Argwohn rege, und dort kam es mir allerdings in den Sinn, daß der Versuch, mich aufzuspüren, den ich in All-Saints-Terrace vereitelt, noch nicht aufgegeben ist, und daß die Ladenjungfern, ja vielleicht ihre Herrin selbst, bestochen worden sind.

Kann ich mir für diesen Eindruck irgendeinen Grund angeben? Wollen einmal überlegen.

Allerdings bemerkte ich zweierlei, was unter den obwaltenden Umständen außerhalb der gewöhnlichen Praxis lag. Erstens waren zweimal so viel Ladenjungfern im Ankleidezimmer zugegen, als man brauchte. Das sah verdächtig aus, und dennoch hätte ich es mir in mehr als einer Weise erklären können. Ist nicht gegenwärtig eine stille Zeit? Und weiß ich nicht aus Erfahrung, daß ich zu der Art von Frauen gehöre, in Betreff deren andere Weiber stets eine boshafte Neugier hegen? Zweitens schien es mir, als ob eine der Ladenjungfern in sehr eigenthümlicher Art darauf bestände, mich in eine gewisse Richtung zu drehen, nämlich mit dem Gesichte der Glasthür zu, die nach dem Arbeitszimmer führt und auf der andern Seite mit einem Vorhange versehen ist. Bei alledem gab sie mir aber auf meine desfallsige Frage einen Grund dafür an. Sie sagte, es falle so das Licht besser auf mich, und als ich mich umsah, bemerkte ich allerdings das Fenster hinter mir, welches bewies, daß sie Recht hatte. Dennoch machten diese Kleinigkeiten einen solchen Eindruck auf mich, daß ich durchaus etwas an dem Kleide auszusetzen fand, um damit eine Entschuldigung eine abermalige Anprobe zu haben, ehe ich ihnen meine Adresse angab und es mir zuschicken ließ. Reine Einbildung vermuthlich, vielleicht selbst in diesem Augenblicke reine Einbildung. Einerlei, ich werde meinem Instinkte folgen und das Kleid aufgeben. Um mich noch deutlicher auszudrücken, ich werde nicht wieder in den Laden gehen.

Um Mitternacht. Midwinter kam seinem Versprechen gemäß zu mir. Eine Stunde ist vorüber, seit wir uns gute Nacht wünschten, und da sitze ich noch immer mit der Feder in der Hand und denke an ihn. Ich finde keine Worte, um zu schildern, was zwischen uns geschehen ist. Alles, was ich schreiben kann, ist, daß er meinen Entschluß erschüttert hat. Zum ersten Male, seit mir in Thorpe-Ambrose der Weg zu Armadale’s Tode so leicht erschien, ist mirs, als ob der Mann, den ich im Geiste verurtheilt, Aussicht habe, mir zu entrinnen.

Hat meine Liebe zu Midwinter mich etwa so verändert? Oder hat seine Liebe zu mir sich nicht nur alles dessen bemächtigt, was ich ihm geben, sondern auch dessen, was ich ihm vorenthalten möchte? Mir ist, als hätte ich mich selbst verloren, mich selbst in ihm verloren den ganzen Abend hindurch. Er war tief bewegt über die Vorgänge in Sonimersetshire und bewirkte, daß ich mich ebenso niedergeschlagen und unglücklich darüber fühlte wie er selbst. Obgleich er sich mit keiner Silbe darüber ausgesprochen, weiß ich doch, daß Mr. Brocks Tod ihn als eine böse Vorbedeutung für unsere Vermählung erschreckt hat; ich weiß dies, denn auch ich habe das Gefühl, als ob Mr. Brocks Tod ein böses Omen für uns sei. Der Aberglaube, sein Aberglaube erfaßte mich mit einer solchen Gewalt, daß, als wir ruhiger wurden und von der Zukunft sprachen, als er mir sagte, daß er entweder seine neue Anstellung aufgeben oder schuldigermaßen am nächsten Montag nach dem Continent müsse, ich vor dem Gedanken an unsere Heirath so unmittelbar nach Mr. Brocks Beerdigung förmlich zurückschauderte; im Drange des Augenblicks sagte ich zu ihm: »Geh und beginne Dein neues Leben allein! Geh und lasse mich hier auf glücklichere Zeiten warten.«

Er nahm mich in seine Arme, seufzte und küßte mich mit entzückender Zärtlichkeit. Er sagte – o, so sanft und so traurig: »Getrennt von Dir habe ich jetzt kein Leben mehr.« Wie er diese Worte sprach, war es, als ob ein Gedanke in meinem Herzen gleich einem Echo erwiderte: »Warum sollte ich nicht die mir noch übrige Lebenszeit in einer solchen Liebe harmlos und glücklich verbringen?« Kann mir es nicht erklären, mir nicht Vergegenwärtigen. Das war der Gedanke, der in jenem Augenblicke in mir aufstieg, und dieser Gedanke lebt noch jetzt in mir. Während ich dies schreibe, sehe ich meine Hand an und frage mich: ist dies wirklich die Hand Lydia Gwilt’s?

Armadale —

Nein! Ich will nie mehr von Armadale schreiben, nie mehr an Armadale denken.

Doch ja, noch einmal will ich an ihn denken, noch einmal von ihm schreiben, denn es beruhigt mich, zu wissen, daß er abreist, daß das Meer zwischen uns liegen wird, ehe ich mich verheirathe. Seine alte Heimat ist ihm nicht länger eine! Heimat, jetzt, da dem Verlust seiner Mutter der Verlust seines ersten und besten Freundes gefolgt ist. Er hat beschlossen, sobald die Beerdigung vorüber, noch am selben Tage nach dem fremden Meere abzusegeln. Vielleicht sehen wir uns in Neapel wieder, vielleicht nicht. Werde ich dann ein anderes Weib sein? Das möchte ich wissen! Das möchte ich wissen!

Den 8. August. Eine Zeile von Midwinter. Er ist nach Sommersetshire zurückgekehrt, um morgen zu rechter Zeit zum Begräbnisse dort zu sein, und wird, nachdem er von Armadale Abschied genommen hat, morgen Abend wieder hier sein.

Die letzten Förmlichkeiten, die unserer Heirath vorangehen müssen, sind alle überstanden. Nächsten Montag soll ich seine Gattin werden. Die Ceremonie darf nicht später als halb elf Uhr stattfinden; dies wird uns gerade Zeit geben, um von der Kirche nach der Eisenbahn zu fahren und noch an dem nämlichen Tage unsere Reise nach Neapel anzutreten.

Heute – Sonnabend – Sonntag! Ich fürchte mich nicht vor der Zeit, sie wird verstreichen. Ich fürchte mich nicht vor mir selbst, wenn ich nur alle Gedanken außer einem einzigen von mir fern halten kann. Ich liebe ihn! Tag und Nacht, bis der Montag da ist, will ich an nichts Anderes denken. Ich liebe ihn!

Vier Uhr. Wider meinen Willen drängen sich mir andere Gedanken auf. Mein gestriger Argwohn war keine bloße Einbildung; die Schneiderin ist in der That hestochen. Meine Thorheit, sie wieder aufzusuchen, hat zur Folge gehabt, daß man meiner Spur hierher gefolgt ist. Ich weiß ganz gewiß, daß ich der Frau meine Adresse nicht gegeben habe, und dennoch hat sie mir mein neues Kleid heute um zwei Uhr zugesandt.

Ein Mann überbrachte es mir mit der Rechnung und der höflichen Bestellung, daß man, da ich mich zur angesetzten Stunde nicht zum Wiederanprobiren eingestellt, das Kleid fertig gemacht habe und es mir hiermit zuschicke. Er traf mich im Gange, so daß mir nichts Anderes übrig blieb, als ihm die Rechnung zu bezahlen und ihn fortzuschicken. Jedes andere Verfahren wäre bei der Wendung, welche die Dinge jetzt genommen, reine Thorheit gewesen. Der Bote, welcher nicht der Mann ist, der mir auf der Straße nachgegangen, sondern ohne allen Zweifel ein anderer Spion, den man ausgesandt hat, mich in Augenschein zu nehmen, würde, hätte ich etwas davon gesagt, erklärt haben, er wisse nichts von der Sache. Die Schneiderin aber würde mir gerade ins Gesicht sagen, ich hätte ihr meine Adresse gegeben. Das Einzige, was ich jetzt thun darf, ist, daß ich im Interesse meiner Sicherheit all meinen Verstand zusammennehme und, wenn mir dies möglich, aus der falschen Stellung heraustrete, in die mich meine eigene Unbesonnenheit gestürzt hat.

Sieben Uhr. Ich habe mich wieder von meinem Schrecken erholt. Ich glaube, ich bin bereits auf gutem Wege, mich aus der Klemme zu ziehen.

So eben bin ich von einer langen Fiakerfahrt heimgekehrt. Zuerst fuhr ich nach dem Gepäckzimmer der großen Westbahn, um mir das Gepäck abzuholen, das ich von All-Saints-Terrace dorthin gesandt hatte, dann nach dem Gepäckzimmer der Südostbahn, um dasselbe Gepäck mit Midwinter’s Namen versehen, dort abzugeben, bis ich Montag früh mit dem Zuge nach Folkestone abreise, darauf nach dem Hauptpostamt, um einen Brief an Midwinter auf die Post zu geben, den er morgen Vormittag erhalten wird, endlich nach diesem Hause zurück, das ich vor Montag nicht mehr verlassen werde.

Mein Brief an Midwinter wird ohne Zweifel die Vorsichtsmaßregeln unterstützen, die ich für meine Sicherheit treffe. Die kurze Zeit, die uns am Montag zur Verfügung steht, wird ihn nöthigen, im Gasthofe seine Rechnung zu bezahlen und sein Gepäck fortzuschaffen, ehe die Vermählung stattfindet. Alles, was ich ihn außerdem noch zu thun bitte, ist, daß er selbst sein Gepäck nach der Südostbahn bringt, um in dieser Weise etwaige Nachfragen die bei der Hoteldienerschaft angestellt werden dürften, zu vereiteln, und dann an, der Kirchenthür mit mir zusammentrifft, anstatt mich hier abzuholen. Das Andere geht nur mich allein an. Wahrhaftig, es muß unglücklich gehen, wenn es mir jetzt wo ich von allen Hindernissen befreit bin, nicht glückt, den Leuten, die mir auflauern, am Montag früh zum zweiten Male zu entwischen.

 

Es scheint überflüssig, daß ich heute an Midwinter geschrieben habe, da er ja schon morgen Abend zu mir, zurückkehrt. Aber es war unmöglich, ihn um das, was ich von ihm verlangte, zu bitten, ohne nochmals meine vorgeblichen Familienverhältnisse vorzuschützen, und die Wahrheit zu gestehen, schrieb ich deshalb, weil ich nach dem, was ich das letzte Mal dabei gelitten, ihm nie wieder gerade ins Gesicht lügen kann.

Den 9. August, zwei Uhr. Ich stand heute Morgen zeitig, doch in gedrückterer Stimmung als gewöhnlich auf. Der Wiederbeginn des Lebens hat sowie der Wiederbeginn jedes neuen Tages seit vielen Jahren stets etwas Trübes und Hoffnungsloses für mich gehabt. Dazu träumte ich die ganze Nacht, nicht etwa von Midwinter und meinem ehelichen Leben, wie ich gehofft hatte, sondern von dem abscheulichen Anschlage, mich zu entdecken, durch den ich, gleich einem gehetzten Thiere, von einem Orte zum andern gejagt werde. Indeß ist mir in meinem Schlafe keinerlei Offenbarung oder Aufklärung geworden. Das Einzige, was ich in meinem Traume errathen konnte, war, daß Mutter Oldershaw die Feindin ist, welche mich im Finstern angreift. Wer außer dem alten Bashwood, an den in einer so ernsten Sache wie diese zu denken geradezu lächerlich wäre, wer anders als Mutter Oldershaw könnte ein Interesse haben, sich jetzt in meine Angelegenheiten zu mischen?

Meine unruhige Nacht hat indessen einen erfreulichen. Erfolg gehabt. Sie hat mir die Theilnahme des Dienstmädchens hier verschafft, das mir allen Beistand, der in seiner Macht liegt, leisten. wird, wenn der Augenblick meines Entrinnens da ist.

Das Mädchen bemerkte heute Morgen, daß ich blaß und sorgenvoll aussehe. Ich zog sie ins Vertrauen, insofern als ich ihr sagte, daß ich im Begriffe stehe, mich heimlich zu verheirathen, und Feinde habe, die mich von meinem Verlobten zu trennen suchten. Das erweckte augenblicklich ihre Theilnahme, und ein Geschenk von einem halben Sovereign für ihre Aufmerksamkeit gegen mich that das Weitere. Den ganzen Morgen ist sie bei mir aus und ein gegangen, und ich habe unter Anderem die Entdeckung gemacht, daß ihr Schatz ein Soldat in der Garde ist und daß sie ihn morgen zu sehen hofft. Wie wenig es auch ist, doch habe ich noch Geld genug übrig, um jedem Soldaten in der britischen Armee den Kopf zu verdrehen, und ist die mit meiner Bewachung beauftragte Person morgen ein Mann, so scheint es mir eben möglich, daß er im Verlauf des Abends seine Aufmerksamkeit in ziemlich unangenehmer Weise von Miß Gwilt abgezogen sehen wird.

Als Midwinter das letzte Mal von der Eisenbahn hierher kam, war es um halb neun Uhr. Wie soll ich von jetzt an bis zum Abend über die langen, langen Stunden hinwegkommen? Ich will mein Schlafzimmer dunkel machen und mir durch meine Tropfen selige Vergessenheit verschaffen.

Elf Uhr. Zum letzten Male sind wir vor dem Tage von einander geschieden, der uns zu Mann und Frau machen soll.

Er hat mich Verlassen, indem er, wie schon zuvor, alles andere Interesse in mir in den Hintergrund gedrängt hat. Sowie er ins Zimmer trat, bemerkte ich eine Veränderung an ihm. Als er mir von der Beerdigung und von seinem Abschied von Armadale am Bord der Yacht erzählte, sprach er, obgleich mit tiefbewegtem Gefühle, doch mit einer Selbstbeherrschung, wie ich sie bisher noch nicht an ihm wahrgenommen. Ebenso war es, als unsere Unterhaltung dann auf unsere eigenen Hoffnungen und Aussichten fiel. Sichtlich war er unangenehm berührt, als er hörte, wie meine Familienangelegenheiten es verhinderten, daß wir einander morgen sähen, und sichtlich unruhig über den Gedanken, mich am Montag ganz allein nach der Kirche gehen zu lassen. Aber durch alles dies ging ein gewisses hoffnungsvolles und ruhiges Wesen, welches einen so großen Eindruck auf mich machte, daß ich nicht umhin konnte, es zu erwähnen. »Du weißt, welch merkwürdige Einfälle ich zuweilen habe«, sagte ich. »Soll ich Dir sagen, welche Idee sich jetzt meiner bemächtigt hat? Ich kann nicht anders als glauben, daß, seit wir einander zuletzt sahen, etwas vorgefallen ist, was Du mir noch nicht mitgetheilt hast.«

In der That hat sich etwas ereignet«, erwiderte er, »und zwar etwas, was Du wissen solltest.«

Mit diesen Worten nahm er sein Notizbuch aus der Tasche und aus diesem zwei beschriebene Papiere heraus. Das eine betrachtete er und legte es dann wieder zurück. Das andere legte er vor mich auf den Tisch. Einen Augenblick es mit seiner Hand bedeckend, nahm er von neuem das Wort.

»Ehe ich Dir sage, was das hier ist und wie es in meinen Besitz gelangte«, sagte er, muß ich etwas bekennen, was ich Dir verhehlt habe. Es ist kein geringeres Bekenntniß als das meiner Schwäche.«

Er gestand mir dann, daß seine erneute Freundschaft mit Armadale während der ganzen Zeit ihres Zusammenseins in London durch seine eigenen abergläubischen Befürchtungen getrübt gewesen sei. Jedesmal, wo sie mit einander allein, waren ihm die fürchterlichen Worte seines sterbenden Vaters und die ebenso fürchterliche Bestätigung derselben durch den warnenden Traum gegenwärtig. Die Ueberzeugung, daß die Erneuerung ihrer Freundschaft und mein Antheil an der Wiederherstellung derselben unglückliche Folgen für Armadale herbeiführen würde, hatte mit jedem Tage einen größeren Einfluß auf ihn ausgeübt. Er war dem Rufe, der ihn an das Sterbelager des Pfarrers beschied, in der festen Absicht gefolgt, Mr. Brock seine Ahnungen von drohendem Unheile anzuvertrauen, und hatte sich in seinem Aberglauben doppelt bestärkt gefühlt, als er sah, wie der Tod vor ihm in das Haus eingezogen und sie in dieser Welt auf immer von einander geschieden waren. Mit einem heimlichen Gefühle der Erleichterung über die Aussicht, von Armadale zu scheiden, war er zur Beerdigung zurückgereist und hatte im Stillen den Entschluß gefaßt, daß das verabredete spätere Zusammentreffen in Neapel niemals stattfinden solle. Mit diesem Entschlusse im Herzen war er allein in das für ihn in der Pfarrei hergerichtete Zimmer hinaufgegangen und hatte dort einen Brief auf dem Tische gefunden. Der Brief war erst an demselben Tage unter dem Bette gefunden worden, auf dem Mr. Brock gestorben war, und wahrscheinlich von diesem heruntergefallen und fortgestoßen worden. Von Anfang bis zu Ende war er in der Handschrift des Pfarrers und an Midwinter adressiert.

Nachdem er mir dies in fast denselben Worten mitgetheilt, deren ich mich hier bedient habe, nahm er die Hand von dem beschriebenen Papiere weg, welches zwischen uns lag.

»Lies den Brief«, sagte er; »es wird dann unnöthig sein, Dir zu wiederholen, daß mein Gemüth wieder ruhig ist und daß ich Allan’s Hand beim Scheiden mit einer Herzlichkeit drücken konnte, die Allan’s Liebe würdiger war.«

Ich las den Brief. Kein Aberglaube lebte in meinem Gemüthe keine alte Dankbarkeit gegen Allan in meinem Herzen, und dennoch ward der Eindruck, den der Brief auf Midwinter gemacht, wie ich fest glaube, durch den, welchen er auf mich hervorbrachte, noch übertroffen.

Meine Bitte, mir ihn dazulassen, damit ich ihn, sobald ich allein wäre, noch einmal lesen könne, war eine vergebliche. Er ist entschlossen, den Brief nicht aus den Händen zu geben, sondern ihn neben jenem andern Blatte, das die Erzählung von Armadale’s Traum enthält, an sich zu behalten. Das Einzige was ich erlangte, war die übrigens bereitwillig gegebene Erlaubniß, den Brief abschreiben zu dürfen. Ich that dies in seiner Gegenwart und legte den Brief hier in mein Tagebuch ein, um einen denkwürdigen Tag meines Lebens zu bezeichnen.