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Blinde Liebe

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»Ja,« versetzte sie ruhig, »es ist genau so, wie Du sagst. Es ist nach und nach immer mehr bei mir gewachsen, dieses Gefühl. Ich kann es nicht ändern, daß ich Miß Henley gern habe.«

»Ach,« entgegnete Mr. Vimpany, »Du bist eine Närrin!« Er blickte sie verschmitzt an. »Nun angenommen, ich machte mich nützlich in der Weise, wie Du es verlangst, was kann ich dabei gewinnen?«

»Wir wollen jetzt wieder,« entgegnete sie, ohne seine Frage zu beantworten, »von dem Manne sprechen, der Dich zum Mittagessen eingeladen und Dich für seine Zwecke betrunken gemacht hat.«

»Ich werde ihm alle Knochen im Leibe zerbrechen!«

»Sprich doch keinen Unsinn. Ueberlaß Mr. Mountjoy nur mir ganz allein.«

»Nimmst Du für ihn Partei? Ich kann Dir nur das sagen, wenn ich zu viel von diesem verdammten, vergifteten, französischen Weine getrunken habe, so ging mir Mr. Mountjoy mit gutem Beispiele voran. Er war betrunken, schmählich betrunken. Ich gebe Dir mein Ehrenwort darauf.«

Seine Frau, die bis dahin vollständig ruhig und kalt geblieben war, wurde plötzlich sehr aufgeregt. An dem, was der Doktor soeben von Hugh gesagt hatte, war sicher nicht ein Fünkchen Wahrheit, und Mrs. Vimpany ließ sich auch keinen Augenblick dadurch täuschen. Aber diese Lüge hatte diesmal zufälligerweise ein Verdienst – sie brachte sie nämlich auf den Weg, den sie vorhin vergeblich gesucht hatte, während sie ihren Thee trank.

»Wenn ich nun Dir die Möglichkeit verschaffen würde, Dich an Mr. Mountjoy zu rächen?« fragte sie.

»Wie?«

»Willst Du Dich an das erinnern, was ich Dich vorher bat, für mich zu thun, im Falle Lord Harry uns überrascht?«

Er zog sein Notizbuch aus der Tasche und sagte ihr, sie möge ihm einige Worte hineinschreiben, damit er die Sache nicht vergesse. Sie schrieb so kurz, als ob sie ein Telegramm abgefaßt hätte:

»Halte Lord Harry zurück, damit er nicht früher Miß Henley sieht, bevor ich mit ihr gesprochen habe.«

»Jetzt,« sagte sie, indem sie einen Stuhl an die Seite seines Bettes rückte, »sollst Du erkennen lernen, was für eine kluge Frau Du hast. Höre genau zu.«

Neunzehntes Kapitel

Nachdem Mountjoy wohl schon zehnmal aus dem Fenster des Empfangszimmers geschaut hatte, erblickte er endlich Iris auf der Straße, als sie nach Hause zurückkehrte.

Sie brachte ihr Kammermädchen mit in das Empfangszimmer und stellte Rhoda in heiterster Laune ihrem Freunde vor.

»Welch ein Vergnügen ist doch ein so weiter Spaziergang, man muß es nur erst kennen lernen!« rief sie aus. »Sehen Sie nur die frisch geröteten Wangen meiner kleinen Rhoda! Wer würde da glauben, daß sie mit trüben Augen und bleicher Gesichtsfarbe hierher gekommen wäre? Ausgenommen, daß sie sich jedesmal in der Stadt verirrt, so oft sie allein ausgeht, haben wir allen Grund, uns zu unserem Aufenthalte in Honeybuzzard Glück zu wünschen. Der Doktor ist Rhodas guter Genius und seine Frau ihre Patin, wie die Fee im Märchen.«

Mountjoy sprach mit seiner gewohnten Höflichkeit dem Mädchen seine Glückwünsche aus. Darauf durfte Rhoda auf ihr Zimmer gehen.

Iris kam sofort auf sein gemeinsames Mittagessen mit dem Doktor zu sprechen.

»Ich hätte dabei sein mögen,« sagte sie, »um zu sehen, wie sich Ihr Gast an den Herrlichkeiten aus der Speisekammer des Hotels gütlich that. Im Ernst gesprochen, Hugh, Ihre gesellschaftlichen Sympathien haben eine Richtung angenommen, auf die ich nicht vorbereitet war. Nach dem Beispiel, das Sie mir gegeben haben, fühle ich mich wirklich wegen meiner Zweifel, ob Mr. Vimpany einer so liebenswürdigen Frau würdig sei, sehr beschämt. Glauben Sie nicht etwa, daß ich gegen den Doktor undankbar bin; er hat durch das, was er an Rhoda gethan, sich meine Achtung zu erringen verstanden. Ich bin mir nur darüber nicht klar, wie er sich Ihre Sympathien erworben hat.«

In der Weise fuhr sie noch weiter zu reden fort und freute sich ihrer eigenen guten Laune in unschuldigere Unkenntnis der ernsten Dinge, über die sie lachte.

Mountjoy versuchte, sie etwas zu mäßigen, aber es war umsonst.

»Nein, nein,« beharrte sie so mutwillig wie zuvor, »der Gegenstand ist zu interessant, als daß ich ihn so schnell fallen ließe. Ich bin furchtbar neugierig, zu hören, wie Sie und Ihr Gast das Mittagessen gefunden haben. Hatte er mehr Wein getrunken, als gut für ihn war? Wenn er sich manchmal selbst vergißt, so bringt er alles doch immer gleich wieder in Ordnung, indem er sagt: ›Bitte, nicht beleidigt sein!‹ und sich die Flasche von neuem reichen läßt.«

Jetzt konnte Hugh nicht länger ruhig zuhören.

»Bitte, mäßigen Sie für einen Augenblick Ihre Lebhaftigkeit!« sagte er; »ich bringe für Sie Nachrichten von zu Hause.«

Diese Worte machten dem Ausbruch ihrer Fröhlichkeit sofort ein Ende.

»Nachrichten von meinem Vater?« fragte sie.

»Ja.«

»Ist er hierher gekommen?«

»Nein, ich habe nur Mitteilungen von ihm erhalten.«

»Einen Brief?«

»Ein Telegramm,« erklärte Mountjoy, »als Beantwortung auf einen Brief von mir. Ich that mein möglichstes, um ihm Ihre Wünsche verständlich zu machen, und ich freue mich, Ihnen sagen zu können, daß meine Mühe nicht umsonst gewesen ist.«

»Hugh, lieber Hugh, Sie haben es also wirklich fertig gebracht, uns zu versöhnen?«

Mountjoy zog das Telegramm aus der Tasche.

»Ich bat Mr. Henley,« sagte er, »mich sofort wissen zu lassen, ob er Sie wieder aufnehmen wollte, er solle einfach mit Ja oder Nein antworten. Die Antwort hätte nun zwar liebenswürdiger ausgedrückt werden können, es ist indessen doch wenigstens eine günstige Antwort.«

Iris las das Telegramm.

»Gibt es wohl noch auf der Welt einen zweiten Vater,« sagte sie traurig, »der seiner Tochter sagen würde, wenn sie ihn bittet, wieder nach Haus zurückkehren zu dürfen, er wolle sie versuchsweise wieder bei sich ausnehmen?«

»Sie sind ihm doch nicht gram, Iris?«

Sie schüttelte ihren Kopf.

»Nein,« sagte sie, »mir geht es wie Ihnen. Ich kenne ihn zu gut, um durch seine Art und Weise beleidigt zu sein. Er soll mich pflichtgetreu, er soll mich geduldig finden. Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht so lange zumuten, hier in Honeybuzzard zu warten, bis ich wegkommen kann. Wollen Sie meinem Vater sagen, daß er mich in ungefähr einer Woche zurückerwarten soll?«

»Entschuldigen Sie, Iris, ich sehe, keinen Grund, weswegen Sie noch eine ganze Woche hier in dieser Stadt bleiben wollen. Im Gegenteil, je angelegentlicher Sie es sich sein lassen, zu Ihrem Vater zurückzukehren, um so wahrscheinlicher ist es, daß Sie Ihren Platz in seiner Liebe und Achtung wieder gewinnen. Ich beabsichtigte, Sie mit dem nächsten Zuge nach Hause zu bringen.«

Iris sah ihn erstaunt an.

»Ist es möglich,« sagte sie, »daß das Ihre wirkliche Meinung ist?«

»Meine aufrichtigste, liebe Iris. Warum sollten Sie zögern? Welcher stichhaltige Grund könnte Sie denn veranlassen, hier noch länger zu bleiben?«

»O Hugh, wie Sie mich enttäuschen! Wohin ist denn Ihre Liebenswürdigkeit, wohin ist denn Ihr Gerechtigkeitssinn und Ihre Rücksicht auf andere gekommen? Arme Mrs. Vimpany!«

»Was hat denn Mrs. Vimpany damit zu thun?«

Iris war empört.

»Was Mrs. Vimpany damit zu thun hat!« wiederholte sie. »Nach allem, was ich der Liebenswürdigkeit dieser guten Frau verdanke, nachdem ich versprochen habe, sie zu begleiten – sie hat so wenig glückliche Tage, die arme Seele! – auf Ausflügen nach den interessantesten Punkten der Nachbarschaft, da erwarten Sie von mir, daß ich sie sofort verlassen soll – nein, noch viel Schlimmeres als das – Sie erwarten von mir, die Arme wie ein altes, abgetragenes Kleid beiseite zu werfen? Und dies, nachdem ich sie in so ungerechter, in so undankbarer Weise in meinen Gedanken verdächtigt habe? Schändlich!«

Mit Mühe bewahrte Mountjoy seine Selbstbeherrschung. Nach dem, was er soeben gehört hatte, waren seine Lippen verschlossen betreffs des wahren Charakters der Mrs. Vimpany. Er konnte jetzt nur noch sich an die Pflicht gegen ihren Vater halten.

»Sie lassen sich von Ihrem lebhaften Charakter immer gleich zu den sonderbarsten Aeußerungen fortreißen,« antwortete er. »Wenn ich es für wichtiger halte, eine Versöhnung mit Ihrem Vater so schnell wie möglich herbeizuführen, als Sie zu ermutigen, Ausflüge mit einer Dame zu machen, die Sie doch nur erst eine oder zwei Wochen kennen, was habe ich dann so Entsetzliches gethan, daß ich einen solchen Ausbruch des Zornes und Aergers verdiene? Still, nicht ein Wort mehr hievon, denn da ist Mrs. Vimpany selbst!«

Während er sprach, war Mrs. Vimpany in das Zimmer getreten; sie war von der Unterredung mit ihrem Gatten aus dem Gasthaus zurückgekommen. Sie warf zuerst einen Blick auf Iris und bemerkte sofort Zeichen von Verwirrung und Mißstimmung in dem Gesichte des jungen Mädchens.

Indem sie ihre Befürchtungen geschickt unter einem wunderbaren Bühnenlächeln verbarg, welches für so viele geheime Gedanken einen praktischen Schleier abgibt, sagte Mrs. Vimpany einige entschuldigende Worte wegen ihrer Abwesenheit. Miß Henley antwortete, ohne die geringste Veränderung in ihrem freundschaftlichen Verhalten gegen die Frau des Doktors. Die Zeichen der Verwirrung und Mißstimmung waren also nach Mrs. Vimpanys Ansicht augenscheinlich einer ganz unwichtigen Ursache zuzuschreiben. Mr. Mountjoy hatte ihr noch nicht seine Entdeckungen mitgeteilt.

Auf Hughs Gemütszustand übte die Anwesenheit der Herrin des Hauses einen störenden Einfluß aus und zwang ihn, seinen Verstand anzustrengen. Unglücklicherweise kam er auf den Gedanken, ihr eine Frage vorzulegen, welche sich auf den Streit zwischen ihm und Iris bezog.

»Es handelt sich um etwas ganz Einfaches,« sagte er zu Mrs. Vimpany. »Miß Henleys Vater wünscht, daß sie zu ihm zurückkehren soll, nachdem eine kleine Differenz, die zwischen ihnen geherrscht hatte, glücklicherweise beigelegt ist. Glauben Sie nun, daß einige zufällige Bekanntschaften, die sie gemacht hat, sie von der sofortigen Heimkehr abhalten dürfen? Wenn sie um Ihre gütige Nachsicht unter diesen Umständen bittet, hat sie dann ein Recht, eine Abweisung vorauszusetzen?«

 

Mrs. Vimpanys ausdrucksvolle Augen blickten mit scheinheiliger Ergebenheit zu der schmutzigen Zimmerdecke empor und schienen durch einen stummen Blick zu fragen, was sie denn für ein Unrecht gethan hätte, das einen solchen Zweifel in sie zu setzen erlaubte!

»Mr. Mountjoy,« sagte sie ernst, »Sie beleidigen mich durch diese Frage! – Liebe Miß Henley,« fuhr sie fort, sich an Iris wendend, »Sie thun mir gewiß unrecht! Halten Sie mich denn für fähig, daß ich meinen persönlichen Gefühlen gestatten würde, hindernd in den Weg zu treten, wenn Ihre Kindespflicht in Frage kommt? Verlassen Sie mich nur ohne Bedenken, meine liebe Freundin, gehen Sie, ich beschwöre Sie, gehen Sie sofort nach Hause zu Ihrem Vater!«

Sie zog sich von der Bühne zurück – das heißt, sie ging nur an das andere Ende des Zimmers und brach dort in Thränen aus, natürlich Theaterthränen. Die leicht gerührte Iris beeilte sich, ihr Trost zuzusprechen.

»Schämen Sie sich!« flüsterte sie Mr. Mountjoy zu, als sie an ihm vorüberging.

So war er denn zum zweitenmale von Mrs. Vimpany geschlagen worden – und diesmal, ohne daß es ihm möglich war, seinen Widerstand gegen Miß Henleys Entschluß zu rechtfertigen: mit den beiden Frauen gegen sich, welche hinter den Vorrechten ihres Geschlechtes verschanzt waren, war die einzige noch mögliche Gelegenheit, im Interesse von Iris Henley zu handeln, daß er unter Aufopferung seiner eigenen Gefühle seinen Wunsch unterdrückte, das Haus sofort zu verlassen. In der ratlosen Lage, in der er sich jetzt befand, konnte er nur warten, um zu beobachten, welchen Weg Mrs. Vimpany jetzt für vorteilhaft hielt, einzuschlagen. Würde sie wohl in ihrer gewohnten, sehr höflichen Weise ihn bitten, seinen Besuch zu beendigen? Nein, sie blickte zu ihm hin – zögerte – warf verstohlen einen Blick durch das Fenster auf die Straße – lächelte geheimnisvoll – und setzte der Aufopferung ihrer eigenen Gefühle die Krone auf durch die Worte:

»Liebste Miß Henley, lassen Sie mich Ihnen beim Einpacken Ihrer Sachen behilflich sein!«

Iris schlug dies rundweg ab.

»Nein,« sagte sie, »ich stimme hierin nicht mit Mr. Mountjoy überein. Mein Vater überläßt es mir vollkommen, den Tag zu bestimmen, an welchem ich zurückkehren will. Ich halte fest, meine liebe Mrs. Vimpany, an unserer Abmachung – ich verlasse eine angenehme, liebenswürdige Freundin nicht so, wie ich von einer Fremden weggehen würde.«

Mrs. Vimpany schlang ihre kräftigen Arme um die edelmütige Iris und dankte ihr mit der unnachahmlichsten Grazie durch einen Kuß.

»Ihre Güte wird es mir schwerer denn jemals machen, mein einsames Leben zu ertragen,« flüsterte sie, »wenn Sie von mir weggegangen sind.«

»Aber wir dürfen doch hoffen, uns in London wieder zu sehen,« erinnerte Iris sie, »wenn Mr. Vimpany nicht seinen Plan ändert, diese Stadt zu verlassen.«

»Das wird mein Gatte sicherlich nicht thun, meine Teure; er ist fest entschlossen, sein Glück, wie er sagt, in London zu versuchen. Inzwischen werden Sie wohl so liebenswürdig sein und mir Ihre Adresse geben; wollen Sie? Vielleicht versprechen Sie mir sogar, einmal an mich zu schreiben.«

Iris gab das Versprechen sofort und schrieb ihre Adresse in London auf ein Blatt Papier.

Mountjoy machte keinen Versuch, es zu verhindern, es war nutzlos.

Mrs. Vimpany kehrte wieder an das Fenster zurück. Bei dieser Gelegenheit blickte sie durch dasselbe auf die Straße hinab und nahm ihr Taschentuch in die Hand. Sollte das vielleicht ein Zeichen sein?

Iris ihrerseits näherte sich Mountjoy. So leicht sie sich auch zum Zorn hinreißen ließ, so wenig war ihre Natur fähig, lange darin zu verharren. So war es ihr jetzt Bedürfnis, einige begütigende Worte an Hugh zu richten.

Sie bot ihm herzlich ihre Hand. Er hatte sie gerade an seine Lippen gezogen, als die Thüre des Besuchszimmers heftig aufgerissen wurde. Sie sahen sich beide erschreckt um.

Der Mann, welchen Hugh von allen am wenigsten zu sehen wünschte, war es, der jetzt das Zimmer betrat. Das Opfer des leichten französischen Rotweins hatte ruhig auf der Straße gewartet, bis er das Taschentuch aus dem Fenster flattern sah. Dann war er in das Haus getreten nach den Instruktionen seiner Frau. Er war bereit und auch begierig darauf, mit Mountjoy wegen des Mittagessens in dem Gasthofe zu sprechen.

Zwanzigstes Kapitel

Man merkte an dem Gang des Doktors keine Unsicherheit mehr und in seinem Gesichte keine erhöhte Farbe. Er hatte einen sicheren Schritt, als er das Zimmer betrat und trug seinen Kopf mit vollem Selbstbewußtsein aufrecht, da er Mountjoy entdeckte; aber er schien doch sehr zurückhaltend zu sein. War der Mann schon wieder nüchtern?

Seine Frau näherte sich ihm mit verbindlichem Lächeln, die Erscheinung ihres Herrn und Gebieters mit gut gespielter Ueberraschung begrüßend.

»Das ist ja ein ganz unerwartetes Vergnügen,« sagte sie, »Du läßt uns selten Deine angenehme Gesellschaft schon so früh am Abend zu teil werden, mein Lieber. Gibt es denn jetzt so wenig Kranke, die Deiner Hilfe bedürftig sind?«

»Du irrst Dich, Arabella; ich bin hier, um eine mir sehr peinliche Pflicht zu erfüllen.«

Die Sprache des Doktors und sein Benehmen ließen ihn Iris in einem ganz neuen Lichte erscheinen. So hatte sie ihn noch niemals gesehen. Welche Wirkung hatte er auf Mrs. Vimpany ausgeübt? Diese unübertreffliche und hilfsbereite Freundin von Reisenden, die sich in einer unangenehmen Lage befinden, schlug die Augen nieder und verharrte in bescheidenem Schweigen. Mr. Vimpany schritt jetzt zur Ausführung seiner Pflicht. Seine peinliche Verantwortlichkeit ließ ihn zuerst an seine Eigenschaft als Arzt denken.

»Wenn es ein Gift gibt, welches die Quellen unseres Lebens verdirbt,« bemerkte er, »so ist es der Alkohol. Wenn es einen Fehler gibt, welcher die Menschen erniedrigt, so ist es die Trunkenheit. Mr. Mountjoy, haben Sie bemerkt, daß ich Sie ansehe?«

»Es war nicht gut möglich, dies nicht zu bemerken,« antwortete Hugh. »Darf ich fragen, was das zu bedeuten hat?«

Es war nicht leicht, ernst zu bleiben bei des Doktors Worten über die Unmäßigkeit, nach dem, was bei dem Essen an diesem Tage vorgefallen war. Hugh lächelte, die moralische Würde des Doktors lehnte sich dagegen auf.

»Das ist wirklich schamlos!« sagte er; »das wenigste, was Sie thun können, ist, die Sache ernst zu nehmen.«

»Welche Sache ist es denn,« fragte Mountjoy, »die ich ernst nehmen soll?«

»Sagt Ihnen das nicht Ihr Gewissen?« fragte Mr. Vimpany; »hat dieser heimliche Mahner in Ihnen geschlafen? Nachdem Sie mir ein schlechtes Essen vorgesetzt haben, fordern Sie auch noch eine Erklärung? Ha, ha, Sie sollen sie haben!«

Nachdem er diese Worte ausgesprochen hatte, ließ er ihnen die That folgen. Er schritt gravitätisch an die Thür, öffnete sie und machte gegen Mountjoy eine kaum mißzuverstehende Bewegung. Iris sah dieses unverschämte Benehmen. Ihr Gesicht wurde rot von Zorn, und ihre Augen funkelten.

»Haben Sie gesehen, was er soeben gethan hat?« sagte sie zu Mrs. Vimpany.

Die Frau des Doktors antwortete sanft: »Ich verstehe es nicht.«

Nach einem Blick auf ihren Gatten nahm sie Iris bei der Hand und sagte: »Wollen wir uns nicht lieber auf mein Zimmer begeben?«

Iris zog ihre Hand zurück und entgegnete:

»Nur wenn es Mr. Mountjoy wünscht.«

»Durchaus nicht,« erklärte Hugh, »bitte, bleiben Sie hier! Ihre Gegenwart wird mir helfen, meine Ruhe und Fassung zu bewahren.«

Dann trat er auf Mr. Vimpany zu und fragte ihn: »Haben Sie irgend einen besondern Grund, die Thüre zu öffnen?«

Der Doktor war ein Schurke, aber, um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, er war kein Feigling.

»Ja,« sagte er, »ich habe einen Grund.«

»Und welchen, wenn ich bitten darf?«

»Christliche Nachsicht,« antwortete Mr. Vimpany.

»Nachsicht gegen mich?« fuhr Mountjoy fort.

Den Doktor verließ seine würdige Haltung plötzlich.

»Aha, Verehrtester,« rief er, »endlich sind Sie so weit! Es ist doch gut, wenn man sich gegenseitig versteht! Bei meiner Seele, ich kann meine Bekanntschaft mit einem Menschen nicht fortsetzen, der – o sehen Sie mich nicht so groß an, als ob Sie mich nicht verständen! Die Umstände zeugen gegen Sie, mein verehrter Herr; Sie haben mich gröblich beleidigt!«

»Wodurch denn?« fragte Hugh.

»Unter dem Vorwande, mir ein Essen zu geben,« schrie Mr. Vimpany, »das schlechteste Essen, zu dem ich mich je in meinem Leben niedergesetzt, haben Sie versucht – –«

Seine Frau bedeutete ihm, zu schweigen. Er aber schrie nur um so wütender.

»Dann laß ihn nicht mehr mich so ansehen, als ob er glaube, ich sei betrunken gewesen! Dort steht der Mann, Miß, welcher versucht hat, mich betrunken zu machen!« fuhr er fort, indem er sich nun direkt an Iris wandte. »Dank meiner gewohnten Nüchternheit hat er sich in seiner eigenen Falle gefangen. Er ist betrunken gewesen. Ja, ja, Freund Mountjoy! Haben Sie nun endlich die richtige Erklärung? Dort ist die Thür, Herr!«

Mrs. Vimpany fühlte, daß diese Beleidigung für Iris unerträglich war. Wenn nicht etwas gethan würde, um sie wieder zu versöhnen, so war Miß Henley fähig – ihr Gesicht sprach in diesem Augenblick dafür – gleichzeitig mit Mr. Mountjoy das Haus zu verlassen. Mrs. Vimpany ergriff empört den Arm ihres Gatten.

»Du roher Mensch, Du hast alles verdorben!« sagte sie zu ihm; »sogleich bittest Du Mr. Mountjoy um Entschuldigung! – Du willst nicht?«

»Nein, ich will nicht.«

Erfahrung hatte seine Frau gelehrt, wie er ihrem Willen gefügig zu machen sei.

»Hast Du meine Diamantnadel vergessen?« flüsterte sie ihm zu.

Er blickte sie unangenehm überrascht an. Vielleicht glaubte er, sie hätte die Nadel verloren.

»Wo ist sie?« fragte er erregt.

»Ich habe sie nach London geschickt, um sie taxiren und verkaufen zu lassen. Sofort bittest Du Mr. Mountjoy um Entschuldigung, oder ich lege das Geld auf die Bank, und Du bekommst nicht einen Pfennig davon!«

Inzwischen hatte Iris Mr. Vimpanys Befürchtungen wahr gemacht. Ihre Entrüstung ließ sie jetzt an nichts anderes denken als an die Hugh zugefügte Beleidigung. Sie war zu aufgebracht, um ein Wort hervorzubringen. Mountjoy dagegen verhielt sich bewunderungswürdig ruhig, und seine einzige Sorge war nur, sie zu beschwichtigen.

»Haben Sie keine Angst,« sagte er, »es ist für mich ganz unmöglich, mich mit Mr. Vimpany zu streiten: ich bin nur hier geblieben, um zu erfahren, was Sie zu thun beabsichtigen. Sie haben an Mrs. Vimpany zu denken.«

»Ich habe an niemand anders zu denken als an Sie,« entgegnete Iris; »um meinetwillen sollen Sie keine Minute länger in diesem Hause verweilen, nach der Beleidigung, die Ihnen hier zugefügt worden ist. – O Hugh, ich fühle sie doppelt – lassen Sie uns sofort zusammen nach London zurückkehren. Ich habe nur noch Rhoda mitzuteilen, daß wir abreisen, und meine Vorbereitungen dazu zu treffen. Holen Sie mich ab, ich werde zur rechten Zeit für den nächsten Zug fertig sein.«

Mrs. Vimpany näherte sich Mountjoy, ihren Gatten an der Hand führend.

»Ich bedaure, Sie beleidigt zu haben,« sagte der Doktor, »und bitte Sie deshalb um Verzeihung! Es war nur ein Scherz. Bitte, nicht böse sein!«

Sein kriechendes Wesen war noch unerträglicher als seine Unverschämtheit. Nachdem Mountjoy erklärt hatte, daß es keines Wortes weiter bedürfe, verbeugte er sich vor Mrs. Vimpany und verließ das Zimmer. Sie erwiderte die Verbeugung mechanisch und stillschweigend. Mr. Vimpany folgte Hugh in Gedanken an die Diamantnadel und war sehr beflissen, die Hausthüre zu öffnen als ein weiteres Zeichen seiner Unterwerfung, welches seine Frau zufriedenstellen sollte.

Selbst eine kluge Frau macht zuweilen Fehler, besonders dann, wenn sie sich zufällig in Aufregung befindet. Mrs. Vimpany sah sich in einer peinlichen Lage, die sie ihrer eigenen Unklugheit zu verdanken hatte.

Sie hatte sich dreier schweren Fehler schuldig gemacht. Erstens hatte sie als sicher vorausgesetzt, daß sein eigenes Heilmittel ihren Gatten vollständig wieder nüchtern machen würde; zweitens hatte sie ihn mit der Aufgabe betraut, für sie an jemand Rache zu nehmen, der durch seine Unmäßigkeit hinter ihre Geheimnisse gekommen war, und drittens endlich hatte sie zu voreilig angenommen, daß der Doktor bei der Ausführung ihrer Instruktionen, wie er Mountjoy beleidigen sollte, sich in den Grenzen halten würde, die sie ihm vorgeschrieben hatte.

Als eine Folge dieser drei unklugen Handlungen sah sie sich einem Unglück ausgesetzt, welches sie sehr fürchtete – nämlich dem Verluste der Stellung, die sie in der Achtung von Miß Henley einnahm. In der widersprechenden Unklarheit ihrer Gefühle, wie sie sich so oft bei Frauen zeigt, war diese gefährliche und ränkevolle Person nach und nach, wie sie es selbst beschrieb, durch den Reiz der Einfachheit und Jungfräulichkeit in Iris gefangen genommen worden. Sie redete jetzt zögernd, fast furchtsam das junge Mädchen an, welches sie seit der Zeit, wo sie zum erstenmal mit ihr zusammengetroffen war, auf so außerordentlich geschickte Weise betrogen hatte.

 

»Muß ich ganz und gar auf alles Verzicht leisten, Miß Henley, was für mich von so ungeheuer großem Werte ist?« fragte sie.

»Ich verstehe Sie nicht, Mrs. Vimpany.«

»Ich will versuchen, mich Ihnen verständlicher zu machen. Beabsichtigen Sie wirklich, mich heute abend noch zu verlassen?«

»Ja.«

»Darf ich Ihnen gestehen, daß ich unglücklich bin, dieses hören zu müssen? Ihre Abreise wird mich der glücklichen Stunden berauben, welche ich noch in Ihrer Gesellschaft genießen wollte.«

»Das Benehmen Ihres Gatten läßt mir keine Wahl,« antwortete Iris.

»Bitte, beschämen Sie mich nicht damit, daß Sie von meinem Gatten sprechen! Ich möchte nur wissen, ob es einen größeren Beweis meiner Ergebenheit für Sie gibt, als wenn ich noch einmal zu fragen wage. Muß ich auch auf das Glück Verzicht leisten, Ihre Freundin zu sein?«

»Ich hoffe, daß ich einer solchen Ungerechtigkeit, wie das wäre, nicht fähig bin,« erklärte Iris. »Es würde allerdings hart sein, wenn man die Schande von Mr. Vimpanys schimpflichem Betragen Sie fühlen lassen wollte. Ich werde es nicht vergessen, daß Sie ihn dazu gebracht haben, sich zu entschuldigen. Viele Frauen, welche das Unglück haben, mit einem solchen Mann, wie der Ihrige ist, verheiratet zu sein, mögen Furcht vor ihren Männern haben. Nein, nein, Sie sind freundlich gegen mich gewesen – ich werde das nicht vergessen!«

Die Dankbarkeit Mrs. Vimpanys war eine zu aufrichtige, als daß sie sie mit der ihr gewöhnlichen Redegewandtheit in diesem Augenblick hätte ausdrücken können. Sie sagte nur, was die einfachste Frau in diesem Falle hätte sagen können:

»Ich danke Ihnen!«

In dem Stillschweigen, welches diesen Worten folgte, ließ sich die rasche und laute Bewegung von Wagenrädern von der Straße herauf vernehmen. Vor der Hausthür des Doktors hörte das Gerassel auf.