Бесплатно

Der Mondstein

Текст
Автор:
0
Отзывы
iOSAndroidWindows Phone
Куда отправить ссылку на приложение?
Не закрывайте это окно, пока не введёте код в мобильном устройстве
ПовторитьСсылка отправлена

По требованию правообладателя эта книга недоступна для скачивания в виде файла.

Однако вы можете читать её в наших мобильных приложениях (даже без подключения к сети интернет) и онлайн на сайте ЛитРес.

Отметить прочитанной
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

»Wenn Sie mir erlauben wollen, für Fräulein Verinder zu antworten,« sagte Herr Bruff, »darf ich Sie bitten, Mrs. Ablewhite, Penelope mit dem Shawl und dem Hut ihrer Herrin hinunterzuschicken. Lassen Sie uns zehn Minuten allein,« fügte er in einem leiseren Ton hinzu, »und Sie können sich darauf verlassen, daß ich die Sache zu Ihrer und Fräulein Rachel’s Befriedigung in Ordnung bringen werde.«

Das Vertrauen der Familie zu diesem Manne war merkwürdig. Ohne ein Wort weiter zu sagen, verließ Tante Ablewhite das Zimmer.

»Ach!« sagte Herr Bruff ihr nachsehend, »das Herncastle’sche Blut hat seine Fehler. Aber eine gute Erziehung hat doch ihren Werth.«

Nachdem er die rein weltliche Bemerkung gemacht, blickte er scharf nach meiner Ecke, als ob er erwartete, daß ich gehen werde; aber mein Interesse an Rachel – ein unendlich viel höheres Interesse als das seinige – fesselte mich an meinen Stuhl.

Herr Bruff gab seinen Versuch, mich von der Stelle zu bringen, auf, gerade wie er ihn damals bei Tante Verinder in Montague Square aufgegeben hatte. Er führte Rachel zu einem Stuhle am Fenster und sprach dort mit ihr.

»Mein liebes Fräuleins« sagte er, Herrn Ablewhite’s Benehmen hat sie natürlich choquirt und sehr überrascht. Wenn es der Mühe werth wäre, mit diesem Manne eine Frage zu erörtern, so würden wir ihm bald zeigen können, daß er nicht alles kann, was er will. Aber es ist nicht der Mühe werth. Sie hatten vollkommen Recht in dem, was Sie vorhin sagten: es ist unter unserer Würde, ihm darauf zu antworten.«

Er hielt inne und blickte sich nach meiner Ecke um. Ich saß dort ganz unbeweglich mit meinen Tractätchen im Arm und mit Miß Jane Ann Stamper auf meinem Schoß.

»Sie wissen,« fing er wieder an, indem er sich zu Rachel wandte, »daß es zu dem edlen Wesen Ihrer armen Mutter gehörte, an den sie umgebenden Leuten immer die guten und nie die schlechten Seiten herauszufinden. Sie ernannte ihren Schwager zum Vormund, weil sie an ihn glaubte und weil sie ihrer Schwester damit etwas Angenehmes zu erweisen dachte. Ich selbst hatte Herrn Ablewhite nie gut leiden können, und ich bewog Ihre Mutter, mich eine Clausel in das Testament aufnehmen zu lassen, vermöge deren ihre Executoren in gewissen Eventualitäten mit mir über die Ernennung eines andern Vormunds berathen sollten. Eine dieser Eventualitäten ist heute eingetreten, und ich befinde mich in der Lage, all dieses trockene Geschäftsdetail durch einen Auftrag meiner Frau, wie ich hoffen darf, in erwünschter Weise zu erledigen. Wollen Sie Mrs. Bruff die Ehre erweisen, ihr Gast zu sein? und wollen Sie unter meinem Dache verweilen und zu meiner Familie gehören, bis wir klugen Leute unsere Köpfe zusammengesteckt und festgestellt haben werden, was weiter geschehen soll?«

Bei diesen Worten erhob ich mich, um dazwischen zu treten.

Herr Bruff hatte genau das gethan, was ich gefürchtet hatte, als er Mrs. Ablewhite um Rachels Hut und Shawl bat. Bevor ich ein Wort einwenden konnte, hatte Rachel seine Einladung in den wärmsten Worten angenommen.

Wenn ich zugab, daß das so zwischen ihnen getroffene Arrangement zur Ausführung gebracht werde; wenn sie einmal die Schwelle von Herrn Bruffs Thür überschritt: so war es mit der Lieblingshoffnung meines Lebens, der Hoffnung mein Lieblingsschaf wieder zu der Heerde zurückzubringen, vorbei! Der bloße Gedanke an ein solches Unglück überwältigte mich. Ich warf die elenden Fesseln weltlicher Rücksichten bei Seite und sprach, wie es der Feuereifer der mich erfüllte, eingab:

»Halt!« sagte ich, »halt! Sie müssen mich hören, Herr Bruff! Sie sind nicht mit ihr verwandt, wie ich. Ich lade Sie ein – ich fordere die Executoren auf, mich zum Vormund zu machen. Rachel, theuerste Rachel, ich biete Dir mein bescheidenes Hans; komm mit dem nächsten Zuge nach London, liebes Kind, und theile mein Haus mit mir!«

Herr Bruff erwiderte nichts. Rachel blickte mich mit einem grausamen Erstaunen an, das sie zu verbergen keinen Versuch machte.

»Sie sind sehr freundlich, Drusilla,« sagte sie; »ich hoffe Sie besuchen zu können, so oft ich nach London komme. Aber ich habe Herrn Bruff’s Einladung angenommen und ich glaube, es ist für jetzt das Beste, wenn ich unter Herrn Bruff’s Obhut bleibe.«

»O, sage das nicht!« erwiderte ich; ich kann mich nicht von Dir trennen, Rachel, ich kann mich nicht von Dir trennen.«

Ich versuchte es, sie in meine Arme zu schließen. Aber sie wich zurück. Mein Feuereifer hatte sich ihr nicht mitgetheilt; er beunruhigte sie nur.

»Offen gestanden« sagte sie, »scheint mir diese Aufregung hier sehr übel angebracht Ich verstehe sie nicht.«

»Und ich eben so wenig,« sagte Herr Bruff.

Ihre Härte, ihre gehässige, weltliche Härte empörte mich.

»Rachel, Rachel!« brach ich aus. »Bist Du noch nicht inne geworden, daß mein Herz sich danach sehnt, eine Christin aus Dir zu machen? Hat keine innere Stimme Dir gesagt, daß ich für Dich zu thun versuche, was ich eben für Deine theure Mutter zu thun versuchte, als der Tod sie meinen Händen entriß?«

Rachel trat einen Schritt näher und sah mich sehr sonderbar an.

»Ich verstehe Ihre Beziehung auf meine Mutter nicht,« sagte sie. »Miß Clack, wollen Sie die Güte haben, sich zu erklären?«

Noch bevor ich antworten konnte, trat Herr Bruff heran und versuchte, indem er Rachel seinen Arm bot, sie aus dem Zimmer zu führen.

»Sie thäten besser, mein liebes Kind, diesen Gegenstand nicht weiter zu verfolgen,« sagte er; »und Miß Clack thäte besser, sich nicht näher zu erklären.«

Wäre ich ein Stock oder ein Stein gewesen, so hätte doch eine solche Einmischung mich aufreizen müssen, für die Wahrheit zu zeugen. Empört schob ich Herrn Bruff mit eigener Hand bei Seite und legte in feierlicher und angemessener Sprache die Anschauung dar, in welcher eine gesunde Lehre kein Bedenken trägt, dem furchtbaren Unglück eines unvorbereiteten Todes in’s Auge zu sehen.

Rachel fuhr – ich erröthe, es niederschreiben zu müssen – mit einem Schrei des Entsetzens zurück.

»Kommen Sie!« rief sie Herrn Bruff zu, »kommen Sie um Gotteswillen, bevor das Weib noch mehr sagen kann! O, denken Sie an das harmlose, nützliche, schöne Leben meiner armen Mutter! Sie haben dem Leichenbegräbnisse beigewohnt, Herr Bruff; Sie haben gesehen, wie Jedermann sie liebte; Sie haben gesehen, wie die Armen an ihrem Grabe über den Verlust ihrer besten Freundin weinten. Und diese elende Person steht hier und will Zweifel in mir daran erwecken, daß meine Mutter die ein Engel auf Erden war, jetzt ein Engel im Himmel ist! Verlieren Sie kein Wort darüber! Kommen Sie! Es erstickt mich, dieselbe Luft mit ihr zu athmen! Es ist mir ein schrecklicher Gedanke, mich in demselben Zimmer mit ihr zu befinden!«

Taub gegen alle Vorstellungen eilte sie der Thür zu.

In demselben Augenblick trat ihre Kammerjungfer mit ihrem Hut und Shawl herein. Sie warf dieselben rasch über und sagte: »Pack’ meine Sachen und bringe sie nach Herrn Bruff’s Haus.« Ich versuchte es, mich ihr zu nähern – ich war entrüstet und schwer gekränkt, aber ich brauche wohl kaum hinzuzufügen, nicht beleidigt. ich wünschte ihr nur zu sagen: »Möge sich Dein hartes Herz erweichen! Ich vergebe Dir gern!« Sie zog ihren Schleier über’s Gesicht, entriß ihren Shawl meinen Händen, eilte zur Thür hinaus und warf mir dieselbe vor der Nase zu. Ich ertrug diese Insulte mit meiner gewohnten Seelenstärke. Ich erinnere mich dessen jetzt mit meiner gewohnten Erhabenheit über alle Empfindungen der Beleidigung.

Herr Bruff hatte zum Abschied noch ein höhnendes Wort für mich, bevor auch er zur Thür hinauseilte.

»Sie hätten besser gethan, sich nicht näher zu erklären!« sagte er, verneigte sich und verließ das Zimmer.

Die Person mit den Mützenbändern folgte: »Es ist nicht schwer zu sehen,« sagte sie. »wer sie Alle gegen einander gehetzt hat. Ich bin nur eine arme Dienerin, aber ich schäme mich in Ihre Seele!« Damit ging auch sie hinaus und schlug die Thür hinter sich zu.

Ich blieb allein im Zimmer zurück. Von ihnen Allen verworfen, von ihnen Allen verlassen, blieb ich allein im Zimmer zurück.

* * *

Brauche ich dieser einfachen Darlegung von Thatsachen noch etwas hinzuzufügen, diesem rührenden Gemälde einer von der Welt verfolgten Christin? Nein! Mein Tagebuch erinnert mich, daß hier abermals eines der vielen bunten Capitel meines Lebens endet. Seit jenem Tage habe ich Rachel Verinder nicht wieder gesehen. Ich verzieh ihr in dem Augenblick, wo sie mich insultirte. Ich habe seitdem immer für sie gebetet. Und wenn ich sterbe, werde ich ihr, um das Maß meiner Vergeltung von Bösem mit Gutem voll zu machen, »das Leben, die Briefe und die Arbeiten von Miß Jane Ann Stamper« in meinem Testament vermachen.

Zweite Erzählung

Von Advokat Mathew Bruff
Erstes Capitel

Nachdem meine edle Freundin, Miß Clack, die Feder niedergelegt hat, bestimmen mich zwei Gründe, dieselbe nun meinerseits aufzunehmen.

Erstens befinde ich mich in der Lage, über gewisse Punkte von Interesse, welche bis jetzt dunkel geblieben sind, das nöthige Licht zu verbreiten. Fräulein Verinder hatte ihre besonderen Gründe, ihre Verlobung wieder aufzuheben, und diese Gründe waren mir bekannt. Herr Godfrey Ablewhite seinerseits hatte seine besondern Gründe, sich aller Ansprüche auf die Hand seiner reizenden Cousine zu begeben, und ich entdeckte diese Gründe.

Zweitens war ich, ich weiß nicht, ob ich sagen soll so glücklich oder so unglücklich, mich in der Periode, über die ich jetzt berichte, in das Geheimniß des indischen Diamanten verwickelt zu finden. Ich hatte auf meinem Bureau die Ehre einer Conferenz mit einem orientalischen Fremden von distinguirtem Benehmen, der unzweifelhaft kein Anderer war, als der Anführer der drei Indier.

Nehme man dazu, daß ich den Tag nach dieser Conferenz mit dem berühmten Reisenden Mr. Murthwaite zusammentraf und eine Unterhaltung mit ihm über die Mondstein-Angelegenheit hatte, welche sehr wichtig für das Verständniß späterer Ereignisse ist, so hat man eine vollständige Zusammenfassung meiner Ansprüche auf die Stellung, die ich in den folgenden Blättern einnehme.

 

Der wahre Hergang bei der Auflösung der Verlobung nimmt der Zeit nach den ersten Platz ein und hat daher auch Anspruch auf die erste Stelle in dieser Erzählung.

Indem ich die Kette der Ereignisse von einem Ende zum andern rückwärts verfolge, finde ich es, so sonderbar es dem Leser scheinen mag, nothwendig, die Scene an dem Bett meines vortrefflichen Freundes und Clienten, des verstorbenen Sir John Verinder, zu eröffnen.

Sir John hatte sein nicht geringes Theil von den harmloseren und liebenswürdigeren Schwächen des menschlichen Geschlechts. Unter diesen muß ich, als für die vorliegende Angelegenheit von Bedeutung, seinen unüberwindlichen Widerwillen, die Verantwortlichkeit einer Feststellung seines letzten Willens über sich zu nehmen, so lange er sich noch bei guter Gesundheit befand, hervorheben.

Lady Verinder bemühte sich, ihren Einfluß auf ihn zur Erweckung eines Pflichtgefühls in dieser Beziehung geltend zu machen, und ich bemühte mich in gleicher Weise. Er gestand die Richtigkeit unserer Auffassung zu – aber er kam nicht weiter, bis ihn die Krankheit befiel, der er schließlich erlag. Da endlich wurde ich geholt, um die Instructionen meines Clienten in Betreff seines letzten Willens entgegenzunehmen. Es waren die einfachsten Instructionen, die mir im ganzen Verlauf meiner Praxis jemals vorgekommen sind.

Sir John schlummerte, als ich zu ihm in’s Zimmer trat. Bei meinem Anblick raffte er sich auf.

»Wie geht’s Ihnen, Herr Bruff?« fragte er. »Ich werde Sie nicht lange aufhalten und werde bald wieder schlafen.«

Er schien sich lebhaft dafür zu interessiren, als ich Tinte, Feder und Papier zurechtlegte.

»Sind Sie fertig?« fragte er. Ich verneigte mich, tauchte die Feder ein und harrte meiner Instructionen.

»Alles meiner Frau,« sagte Sir John. »Mehr habe ich nicht zu sagen,« sank in die Kissen zurück, legte den Kopf auf die andere Seite und schien wieder schlafen zu wollen. Ich war genöthigt, ihn noch einmal zu stören.

»Habe ich Sie dahin zu verstehen,« fragte ich, »daß Sie das ganze Eigenthum, von jeder Art und Beschaffenheit, in dessen Besitz Sie sich bei Ihrem Tode befinden, ausschließlich Lady Verinder hinterlassen?«

»Ja,« sagte Sir John; »nur daß ich es kürzer ausdrücke. Warum können Sie es nicht eben so kurz machen und mich wieder schlafen lassen? Alles meiner Frau! Das ist mein letzter Wille."

Sein Eigenthum stand durchaus zu seiner Verfügung und war von zweierlei Art. Eigenthum in Land – ich enthalte mich absichtlich technischer Ausdrücke – und Eigenthum in Geld. In den meisten Fällen würde ich es, fürchte ich, für meine Pflicht gegen meinen Clienten gehalten haben, ihn zu einer nochmaligen Erwägung seines letzten Willens aufzufordern. In Sir John’s Fall wußte ich, daß Lady Verinder nicht nur des rückhaltlosen Vertrauens, das ihr Gatte in sie gesetzt hatte, würdig – alle guten Frauen sind dessen würdig – sondern daß sie auch im Stande sei, das ihr anvertraute Gut zweckmäßig zu verwalten – wozu nach meiner Erfahrung von dem schönen Geschlecht nicht Eine unter Tausenden wirklich befähigt ist. In zehn Minuten war Sir John’s Testament aufgesetzt und vollzogen und der gute Sir John konnte wieder schlafen.

Lady Verinder rechtfertigte das Vertrauen, das ihr Gatte in sie gesetzt hatte, vollkommen. In den ersten Tagen ihrer Wittwenschaft schickte sie nach mir und machte ihr Testament. Die Art, wie sie ihre Lage betrachtete, war so durchaus verständig und gesund, daß ich mich der Nothwendigkeit, ihr Rath zu ertheilen, völlig überhoben fand. Meine Thätigkeit hatte sich lediglich darauf zu beschränken, ihre Instructionen in die gehörige gesetzliche Form zu bringen. Sir John war noch nicht vierzehn Tage zu Grabe getragen, als schon in höchst umsichtiger und ausreichender Weise für seine Tochter gesorgt worden war.

Das Testament blieb, ich weiß kaum mehr wie viele Jahre, in einem feuerfesten Kasten auf meinem Bureau aufbewahrt. Erst im Sommer 1848 fand ich unter sehr traurigen Umständen Veranlassung, das Testament wieder einzusehen, an jenem Tage nämlich, wo die Aerzte ihr Urtheil über Lady Verinder gesprochen hatten, welches in der That ein Todesurtheil war. Ich war der Erste, den sie von ihrem Zustand in Kenntniß setzte. Sie wünschte lebhaft, ihr Testament noch einmal mit mir durchzusehen.

Es war unmöglich an den Verfügungen in Betreff ihrer Tochter noch etwas zu verbessern, aber in Betreff verschiedener kleinerer Vermächtnisse an Verwandte hatten ihre Ansichten im Verlauf der Zeit einige Modifikationen erfahren und es erwies sich als nothwendig, dem Testamente drei bis vier Codicille hinzuzufügen. Nachdem ich aus Furcht vor möglicherweise eintretenden Umständen diese Codicille sofort hinzugefügt hatte, erwirkte ich mir die Erlaubniß von Lady Verinder, das Ganze zu einem neuen Testamente zusammenzufassen. Mein Zweck dabei war, gewisse unausbleibliche Confusionen und Wiederholungen, welche jetzt das Original-Document entstellten und, aufrichtig gestanden, meinem berufsmäßigen Sinn für das Exacte gänzlich widerstrebten, zu vermeiden.

Den Act der Vollziehung des zweiten Testaments hat Miß Clack, welche so gütig war als Zeugin dabei zu fungiren, geschildert. So weit Rachel Verinder’s pecuniäres Interesse in Betracht kam, enthielt das zweite Testament nur die wörtliche Wiederholung der Verfügungen des ersten. Die einzigen Veränderungen bezogen sich aus die Ernennung eines Vormunds und gewisse, diese Ernennung betreffende, auf meinen Rath ausgesprochene Vorbehalte. Bei Lady Verinder’s Tode wurde das Testament nach bestehendem Rechtsgebrauch meinem Bevollmächtigten übergeben. Ungefähr drei Wochen später, so weit ich mich erinnern kann, erreichte mich zuerst die Kunde, daß etwas Ungewöhnliches vorgehe. Ich sprach zufällig auf dem Bureau meines Freundes und Bevollmächtigten vor und bemerkte, daß mein Erscheinen ein größeres Interesse bei ihm erwecke als gewöhnlich.

»Ich habe eine Neuigkeit für Sie,« sagte er. »Was meinen Sie was ich heute in Doktors Commons gehört habe? Man hat Lady Verinders Testament verlangt und bereits geprüft.«

Das war allerdings eine Neuigkeit. Das Testament enthielt absolut nichts was bestritten werden konnte, und meines Wissens gab es Niemanden, der auch nur das entfernteste Interesse daran haben konnte, es prüfen zu lassen. (Ich werde vielleicht gut thun zum Verständniß erläuternd zu bemerken, daß das Gesetz einem Jeden gestattet, gegen Erlegung eines Shillings in dem Gerichtshof von Doctors Commons von irgend welchem Testamente Einsicht zu nehmen.)

»Haben Sie gehört, wer nach dem Testament verlangt hat,« fragte ich.

»Ja wohl. Der Schreiber hatte kein Bedenken es mir mitzutheilen. Herr Smalley von der Firma Skipp u. Smalley hat danach verlangt. «Das Testament ist noch nicht in die großen Folio-Register eingetragen. So blieb nichts anderes übrig als ihn, abweichend von dem gewöhnlichen Gebrauch, von dem Original Einsicht nehmen zu lassen. Er hat es sorgfältig durchgelesen und eine Notiz in sein Taschenbuch eingetragen. Haben Sie irgend eine Vermuthung was er damit bezweckte?«

«Meine Antwort bestand in einem verneinenden Kopfschütteln und der Bemerkung: »Ich werde es aber heraus haben ehe ich einen Tag älter geworden bin« Damit ging ich ohne Weiteres nach meinem eigenen Bureau zurück.

Wenn irgend eine andere Advocatenfirma diese unerklärliche Prüfung des Testamentes meiner verstorbenen Clientin vorgenommen hätte, so würde ich vielleicht einige Schwierigkeiten bei meiner Entdeckung gefunden haben. Aber mit Skipp u. Smalley stand ich in einer Verbindung, welche mir die Erreichung meines Zwecks verhältnismäßig leicht machte. Einer meiner Schreiber, ein höchst sachkundiger und vortrefflicher Mensch, war der Bruder des Herrn Smalley; und, Dank dieser Art von indirecter Verbindung mit mir, hatten Skipp u. Smalley vor einigen Jahren die Brosamen von meinem Tische in Gestalt von Fällen aufgelesen, mit welchen ich es aus verschiedenen Gründen nicht der Mühe werth hielt, mich zu befassen. Auf diese Weise war meine professionelle Protection von einiger Wichtigkeit. Ich beschloß, sie bei dieser Gelegenheit, wenn es nothwendig werden sollte, an diese Protection zu erinnern.

Ich sprach sofort bei meiner Rückkehr mit meinem Schreiber und schickte ihn, nachdem ich ihm erzählt hatte was vorgefallen, nach dem Bureau seines Bruders mit meinen Empfehlungen und der Bitte, mich wissen zu lassen, aus welchem Grunde die Herren Skipp u. Smalley es für nothwendig gehalten hätten, Lady Verinder’s Testament zu prüfen.

In Folge dieser Botschaft erschien Herr Smalley in Begleitung seines Bruders auf meinem Bureau. Er theilte mir mit, daß er in Gemäßheit der Instructionen eines Clienten gehandelt habe und gab mir dann anheim, zu entscheiden, ob es nicht seinerseits ein Bruch des ihm in seinem Beruf geschenkten Vertrauens sein würde, mehr zu sagen.

Darüber entspann sich zwischen uns ein heftiger Disput. Ohne Zweifel war er im Recht und ich im Unrecht. Um die Wahrheit zu gestehen, ich war zornig und argwöhnisch und bestand darauf, mehr zu wissen. Noch schlimmer, ich lehnte es ab irgend welche weitere mir zu machende Mittheilung als ein mir anvertrautes Geheimniß zu betrachten; ich verlangte, den Gebrauch, den ich von dieser Mittheilung zu machen gedachte, völlig meiner Discretion überlassen zu sehen. Und noch schlimmer, ich machte mir meine Stellung in unverantwortlicher Weise zu Nutze. »Wählen Sie«, sagte ich zu Herrn Smalley, »zwischen der Gefahr des Verlustes der Geschäfte Ihres Clienten und der Gefahr, meine Geschäfte zu verlieren.« Eine durchaus nicht zu rechtfertigende Handlungsweise, wie ich zugebe, – ein reiner Act der Tyrannei. Wie andere Tyrannen erreichte ich meinen Zweck. Herr Smalley traf seine Wahl ohne einen Augenblick zu zaudern. Mit einem resignirten Lächeln theilte er mir den Namen seines Clienten mit: Herr Godfrey Ablewhite.

Das war mir genug, ich verlangte nicht mehr zu wissen.

An diesem Punkte meiner Erzählung angelangt, erscheint es nothwendig für mich, den Leser dieser Zeilen – soweit Lady Verinders Testament in Betracht kommt – über meine Wissenschaft in Betreff desselben vollständig aufzuklären.

Ich will daher in gedrängtester Kürze mittheilen, daß Rachel Verinder nur eine lebenslängliche Nutznießung an dem hinterlassenen Vermögen hatte. Das vortreffliche Urtheil ihrer Mutter und meine lange Erfahrung hatten dahin geführt, sie jeder Verantwortlichkeit zu entheben und sie vor jeder Gefahr zu schützen, künftig einmal das Opfer eines bedürftigen und gewissenlosen Mannes zu werden. Weder sie noch ihr Gatte, falls sie sich verheirathete, würde über einen Schilling, weder von dem Eigenthum in Land noch von dem in Gelde disponiren können. Sie würden die Häuser in London und Yorkshire und ein schönes Einkommen, aber weiter nichts zu ihrer Verfügung haben.

Als ich über meine Entdeckung nachdachte, befand ich mich in großer Verlegenheit in Betreff dessen, was ich zunächst thun sollte.

Kaum eine Woche war verflossen, seit ich zu meiner Ueberraschung und Betrübniß von Fräulein Verinder’s beabsichtigter Verheirathung gehört hatte. Ich empfand die aufrichtigste Bewunderung und Neigung für sie und hatte mit unaussprechlichem Bedauern gehört, daß sie im Begriff stehe sich an Herrn Godfrey wegzuwerfen. Und jetzt enthüllte sich dieser Mensch, den ich allezeit für einen glattzüngigen Betrüger gehalten hatte, vor mir in einer Gestalt, die meine schlechte Meinung von ihm vollkommmen rechtfertigte indem sich deutlich zeigte, daß er bei seinem Heirathsproject lediglich gewinnsüchtige Zwecke im Auge gehabt habe! »Und was weiter?« höre ich manche meiner Leser sagen, »die Sache geschieht tagtäglich.« Zugegeben, mein Verehrter, aber würden Sie die Sache eben so leicht beurtheilen, wenn Sie dieselbe z. B. an Ihrer Schwester erlebten?

Die erste Erwägung, die sich mir jetzt naturgemäß aufdrängte, war diese: Würde Herr Godfrey Ablewhite nach der von seinem Advokaten für ihn gemachten Entdeckung noch an seinem Verlöbniß festhalten?

Das hing lediglich von seinen pecuniären Verhältnissen ab, über welche mir nichts bekannt war. Wenn diese Verhältnisse nicht ganz verzweifelte waren, so würde es sich schon allein um ihres Einkommens willen der Mühe gelohnt haben, Fräulein Verinder zu heirathen. Wenn er andererseits einer bedeutenden Summe in gegebener Zeit dringend bedurfte, so lag hier gerade der in Lady Verinders Testament vorgesehene Fall vor, indem die Verfügung desselben ihre Tochter davor schützen würde, einem Schuft in die Hände zu fallen.

 

In dem letzteren Fall würde ich nicht genöthigt sein, Fräulein Rachel in den ersten Tagen ihrer Trauer um ihre Mutter durch eine sofortige Enthüllung der Wahrheit zu betrüben. In dem ersteren Fall würde ich mich, wenn ich schwiege, der Connivenz gegen eine Heirath schuldig machen, die Fräulein Verinder für ihr ganzes Leben unglücklich machen müßte.

Meine Bedenken endeten mit meinem Besuch in dem Londoner Hotel, in welchem sich, wie ich wußte, Mrs. Ablewhite und Fräulein Verinder aufhielten Sie theilten mir mit, daß sie am nächsten Tage nach Brighton gehen würden und daß eine unerwartete Abhaltung Herrn Godfrey Ablewhite verhindere, sie zu begleiten. Ich erbot mich, sofort seine Stelle zu übernehmen. So lange ich nur an Rachel Verinder gedacht hatte, waren Zweifel für mich möglich gewesen, sobald ich sie von Angesicht zu Angesicht sah, war ich auf der Stelle entschlossen, ihr, möchte daraus entstehen was wollte, die Wahrheit zu sagen.

Ich fand die Gelegenheit dazu, als ich am Tage nach meiner Ankunft in Brighton mit ihr spazieren ging.

»Darf ich mir,« fragte ich sie, »ein Wort in Betreff Ihrer Verlobung erlauben?«

»Ja,« sagte sie gleichgültig, »wenn Sie über nichts Interessanteres zu reden haben.«

»Wollen Sie einem alten Freund und Diener Ihrer Familie vergeben, Fräulein Rachel, wenn ich die Frage wage, ob Ihr Herz an dieser Heirath hängt?«

»Ich heirathe aus Verzweiflung, Herr Bruff, auf die Möglichkeit hin, in eine Art glücklichen Vegetirens zu verfallen, das mich vielleicht mit meinem Leben wieder aussöhnen wird.«

Eine starke Ausdrucksweise, die auf einen Liebesroman, der unter der Oberfläche schlummern mochte, schließen ließ. Aber ich ging gerade auf mein Ziel los und versagte es mir, wie wir Advokaten sagen, die Seitenwege der Frage zu verfolgen.

»Herr Godfrey Ablewhite wird schwerlich Ihre Anschauungsweise theilen,« sagte ich. »Sein Herz muß sehr entschieden an dieser Heirath hängen.«

»So sagt er, und ich muß ihm wohl glauben. Er würde mich nach dem, was ich ihm gestanden habe, wohl kaum heirathen, wenn er mich nicht gern hätte.«

Das arme Kind! Die Idee, daß ein Mann sie lediglich um seiner eigennützigen und, gewinnsüchtigen Zwecke willen heirathen könne, war ihr nie in den Sinn gekommen. Die Aufgabe, die ich mir gestellt hatte, fing an, mir schwerer zu erscheinen, als ich mir gedacht hatte.

»Es klingt,« fuhr ich fort, »sonderbar für meine altmodischen Ohren —«

»Was klingt sonderbar?« fragte sie.

»Sie von Ihrem künftigen Gatten reden zu hören, als ob Sie der Aufrichtigkeit seiner Neigung nicht völlig gewiß wären. Sind Sie sich irgend eines Grundes bewußt, daran zu zweifeln?«

Ihre wunderbare rasche Auffassungsgabe entdeckte sofort eine Veränderung in meiner Stimme oder in meinem Wesen, als ich diese Frage that, welche sie ahnen ließ, daß ich die ganze Zeit mit einem Hintergedanken zu ihr gesprochen hatte. Sie stand still, nahm ihren Arm aus dem meinigen und blickte mir forschend in’s Auge.

»Herr Bruff,« sagte sie, »Sie haben mir etwas über Godfrey Ablewhite mitzutheilen. Sagen Sie es mir!«

Ich kannte sie gut genug, um sie beim Worte nehmen zu dürfen. Ich sagte es ihr.

Sie legte ihren Arm wieder in den meinigen und ging langsam mit mir weiter. Ich fühlte, wie sich ihre Hand auf meinem Arm krampfhaft zusammenballte, und ich sah sie auf unserem Wege blasser und blasser werden, aber nicht ein Wort kam über ihre Lippen, so lange ich sprach. Als ich geendet hatte, schwieg sie noch immer.

Sie ließ ihren Kopf etwas sinken, sie ging neben mir her, als ob sie meine Gegenwart, als ob sie Alles um sich her vergessen habe; in ihre eigenen Gedanken versenkt – ich möchte fast sagen – begraben.

Ich machte keinen Versuch, sie ihrer Betäubung zu entreißen. Meine Kenntniß ihres Wesens lehrte mich, ihr bei dieser wie bei früheren Gelegenheiten Zeit zu lassen.

Die meisten jungen Mädchen pflegen, sobald ihnen etwas sie Interessirendes mitgetheilt wird, eine Masse von Fragen zu thun und dann davon zu laufen und Alles mit einer vertrauten Freundin durchzusprechen. Rachel Verinder dagegen verschloß sich bei ähnlichen Gelegenheiten in sich selbst und ging mit sich allein über die Sache zu Rath. Diese absolute Selbstständigkeit ist eine große Tugend bei Männern. Bei Frauen hat dieselbe die sehr ernste Schattenseite, sie von der überwiegenden Mehrzahl ihres Geschlechts moralisch zu trennen und sie auf diese Weise Mißdeutungen des allgemeinen Urtheils auszusetzen. Ich habe mich selbst sehr stark in Verdacht, über diesen Punkt, außer in dem Falle von Rachel Verinder, ganz wie die übrige Welt zu denken. Die Selbstständigkeit ihres Charakters war nach meinem Urtheil einer ihrer Vorzüge, zum Theil ohne Zweifel, weil ich sie aufrichtig bewunderte und liebte, zum Theil weil die Ansicht, die ich mir von ihrem Antheil an dem Verlust des Mondsteins gebildet hatte, aus meine besondere Kenntniß ihres Wesens gegründet war. Wie sehr auch in der Angelegenheit des Mondsteins der Schein gegen sie sein mochte, so anstößig es ohne Zweifel erscheinen mußte, sie in irgend einem Zusammenhang mit dem Geheimniß eines unentdeckten Diebstahls zu wissen, war ich doch nichtsdestoweniger überzeugt, daß sie nichts ihrer Unwürdiges gethan haben könne, weil ich eben so fest überzeugt war, daß sie keinen Schritt in dieser Angelegenheit gethan haben werde, ohne sich vorher in sich selbst zu verschließen und die Sache auf’s Reiflichste zu erwägen.

Wir mochten wohl eine Viertelstunde weit gegangen sein, bevor Rachel sich wieder aufraffte. Sie blickte mich plötzlich mit einem schwachen Wiederschein ihres Lächelns glücklicherer Tage an – des unwiderstehlichsten Lächelns, das ich jemals auf einem weiblichen Antlitz gesehen habe.

»Ich verdanke Ihrer Güte schon Vieles,« sagte sie, »und ich bin Ihnen dafür in diesem Augenblick tiefer verpflichtet, denn jemals. Wenn Sie bei Ihrer Rückkehr nach London irgend welche Gerüchte über meine Heirath hören, widersprechen Sie denselben auf der Stelle und berufen Sie sich getrost auf mein eigenes Zeugniß.«

»Sind Sie entschlossen, Ihre Verlobung aufzuheben?« fragte ich.

»Können Sie zweifeln?« erwiderte sie stolz, »nach dem, was Sie mir gesagt haben!«

»Mein liebes Fräulein Rachel, Sie sind sehr jung – und Sie werden es vielleicht schwieriger finden, Ihr jetziges Verhältniß aufzulösen als Sie denken. Haben Sie Niemanden – ich meine natürlich eine Dame – mit der Sie über die Sache zu Rathe gehen könnten?«

»Niemanden!« antwortete sie.

Es betrübte mich aufrichtig, sie so reden zu hören. Sie war so jung und stand so allein in der Welt und trug ihr Schicksal so würdig! Der Drang, ihr zu helfen, überwand bei mir alle Bedenken, die mir unter den obwaltenden Umständen sonst wohl meine Person als ungeeignet würden haben erscheinen lassen; und ich sprach meine Gedanken über den Gegenstand aus, wie sie mir der Augenblick eben eingab. Ich habe in meinem Leben einer ungeheuren Anzahl von Clienten Rath ertheilt und habe mit einigen äußerst verwickelten Angelegenheiten zu thun gehabt, aber dies war das erste Mal, daß ich einer jungen Dame Rath darüber zu ertheilen hatte, wie sie es anzufangen habe, sich von einem gegebenen Heirathsversprechen loszumachen.

Mein Vorschlag war kurz folgender: Ich empfahl ihr, Herrn Godfrey Ablewhite, natürlich in einer vertraulichen Besprechung, zu erklären, daß er, wie sie sicher wisse, seine gewinnsüchtigen Absichten errathen habe. Sie sollte dann hinzufügen, daß ihre Heirath mit ihm nach dieser Entdeckung zur Unmöglichkeit geworden sei und solle es ihm anheimstellen, ob er es für gerathener halte, sich ihrer Verschwiegenheit durch Zustimmung zu ihrem Entschluß zu versichern oder sie durch seine Weigerung zu zwingen, das Motiv ihrer Handlungsweise bekannt zu machen. Wenn er den Versuch machen sollte, sich zu vertheidigen oder die Thatsachen zu leugnen, so sollte sie ihn an mich beweisen.