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Der Mondstein

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Siebentes Capitel

Während ich mich noch so in diesem halbwachen Zustande befand und ein bischen Ruhe, um wieder zu mir zu kommen, sehr nöthig hatte, trat meine Tochter Penelope mir in den Weg, gerade wie ihre Mutter mir auf der Treppe in den Weg zu treten pflegte, und wollte auf der Stelle Alles von mir wissen, was in der Berathung zwischen mir und Franklin zur Sprache gekommen sei. Wie die Sachen standen, war es das Gerathenste, auf der Stelle der Flamme von Penelopes Neugierde mit einem Dämpfer das Garaus zu machen. Demgemäß antwortete ich, daß Herr Franklin und ich uns über auswärtige Politik unterhalten hätten, bis wir Beide müde geworden und in der Sonnenhitze eingeschlafen seien. Diese Art von Antwort empfehle ich meinem geneigten Leser als ein probates Mittel für das nächste Mal, wo ihn seine Frau oder seine Tochter zu einer unbequemen Zeit mit einer unbequemen Frage plagen wollen, und er kann sich darauf verlassen, daß sie ihn mit ihrer angeborenen Liebenswürdigkeit küssen und bei der nächsten Gelegenheit wieder fragen werden.

Im Laufe des Nachmittags kamen Mylady und Fräulein Rachel wieder nach Hause.

Ich brauche wohl nicht zu sagen. wie erstaunt sie waren, als sie hörten, daß Herr Franklin Blake angekommen, aber auch bereits wieder fortgeritten sei. Ich brauche wohl eben so wenig zu sagen, daß sie sofort unbequeme Fragen an mich richteten und daß die »auswärtige Politik« und das »Einschlafen in der Sonne« mir bei ihnen nicht zum zweiten Male über alle Schwierigkeiten hinweghelfen sollten. Da ich nichts Anderes zu sagen wußte, so erklärte ich, Herrn Franklin’s Ankunft mit dem früheren Zuge sei nur auf Rechnung eines seiner gewöhnlichen grillenhaften Einfälle zu setzen. Als sie mich dann fragten, ob sein Wiederwegreiten auch nur einer von seinen grillenhaften Einfällen sei, bejahte ich diese Frage und zog mich, glaube ich, auf diese Weise sehr gut aus der Affaire.

Nachdem ich die Schwierigkeit mit den Damen so glücklich überwunden hatte, fand ich, daß neue Schwierigkeiten meiner warteten, als ich auf mein Zimmer zurückkehrte. Penelope trat herein, indem sie mich mit angeborner weiblicher Liebenswürdigkeit küßte und mich damit zur Beantwortung einer neuen Frage, die ihr die angeborne weibliche Neugier eingab, geneigt machen wollte. Diesmal wollte sie nur von mir wissen, was es für eine Bewandtniß mit ihrem zweiten Hausmädchen, Rosanna Spearman, habe.

Rosanna war, wie es schien, nachdem sie Herrn Franklin und mich am Zitterstrand verlassen hatte, in einem unerklärlichen Gemüthszustande zurückgekehrt. Sie hatte (wenn man Penelopes Bericht Glauben schenken durfte) abwechselnd in allen Farben des Regenbogens gespielt. Sie war ohne erkennbaren Grund lustig und wieder ohne Grund traurig gewesen. In einem Athem hatte sie Hunderte von Fragen über Herrn Franklin Blake gethan; und gleich darauf war sie ärgerlich darüber geworden, daß Penelope sich herausnähme, zu denken, daß ein fremder Herr irgend ein Interesse für sie haben könne. Man hatte sie dabei ertappt, wie sie lächelnd Herrn Franklin’s Namen in den Deckel ihres Arbeitskästchens kritzelte. Ein andermal wieder hatte man sie überrascht, als sie weinend ihre verwachsene Schulter im Spiegel betrachtete. Kannten sie und Herr Franklin sich schon von früher her? Unmöglich! Hatten sie von einander gehört? Ebenso unmöglich! Ich konnte versichern, daß Herrn Franklin’s Erstaunen, als er sah wie das Mädchen ihn anstarrte, unzweifelhaft echt gewesen sei; Penelope war ebenso fest überzeugt, daß die Neugierde des Mädchens, als sie sich nach Herrn Franklin erkundigte, echt gewesen sei. Unsere in dieser Weise geführte Unterhaltung war recht ermüdend, bis meine Tochter derselben auf einmal dadurch ein Ende machte, daß sie eine nach meiner Ansicht ganz Ungeheuerliche Vermuthung aussprach.

»Vater,« sagte Penelope ernsthaft, »es giebt nur eine Erklärung für die Sache Rosanna hat sich beim ersten Anblick in Herrn Franklin Blake verliebt.« Daß junge Mädchen sich beim ersten Anblick eines Mannes sterblich in denselben verlieben, ist nichts unerhörtes. Aber ein Hausmädchen aus einer Besserungs-Anstalt, mit einem häßlichen Gesicht und einer verwachsenen Schulter, das sich beim ersten Anblick in einen Herrn verliebt, der in das Haus ihrer Herein kommt, um dieser einen Besuch abzustatten, – etwas so Absurdes würde Einer doch in allen Erzählungen der gesamten Christenheit vergebens suchen. Ich lachte, daß mir die Thränen über die Backen herabliefen. Penelope schien meine Heiterkeit merkwürdig unangenehm zu berühren. »Ich habe nie gewußt, daß Du so grausam sein könntest, Vater,« sagte sie mit sanfter Stimme und ging hinaus. Diese Worte meiner Tochter wirkten auf mich, wie wenn mich Jemand mit kaltem Wasser übergossen hätte. Ich war angehalten über mich selber, daß mich ihre Worte in dem Augenblick, wo sie sie ausgesprochen, so unangenehm berührt hatten – aber es war einmal so. Ich denke, meine Leser werden nichts dagegen haben, wenn ich diesen Gegenstand wieder verlasse. Ich bedaure, daß ich mich habe hinreißen lassen, überhaupt auf denselben einzugehen, und das nicht ohne Grund, wie meine Leser bald sehen werden.

Der Mittag kam heran, und die Mittagsglocke erklang, bevor Herr Franklin von Frizinghall zurückgekehrt war. Ich brachte das warme Wasser, das ihm bei seiner Toilette vor Tisch dienen sollte, selbst auf sein Zimmer, in der Erwartung, von ihm zu hören, was die auffallende Verzögerung seiner Rückkehr verursacht habe. Zu meiner größten Enttäuschung (und ohne Zweifel auch zur Enttäuschung meiner Leser) war nichts Besonderes vorgefallen. Er war weder auf dem Hin-, noch auf dem Rückwege den Indiern begegnet. Er hatte den Mondstein in der Bank deponirt, indem er denselben nur als einen sehr kostbaren Gegenstand bezeichnete, und hatte den Empfangschein dafür unversehrt in der Tasche. Ich ging wieder hinunter, in dem Gefühl, daß dies ein ziemlich flauer Abschluß all’ unserer Aufregung vom Vormittage in Betreff des Diamanten sei.

Ueber das Wiedersehen Herrn Franklins mit seiner Tante und seiner Nichte kann ich nichts sagen.

Ich hätte viel darum gegeben, an jenem Tage bei Tische aufwarten zu dürfen. Aber in meiner Stellung im Hause bei großen Festlichkeiten bei Tisch aufwarten, hätte meine Würde in den Augen der übrigen Dienstboten herabsetzen geheißen, und zu einer solchen Herabsetzung fand mich Mylady schon ohnedies nur zu geneigt. Die Nachrichten, die an jenem Abend aus den oberen Regionen zu mir gelangten, erhielt ich durch Penelope und den Diener. Penelope bemerkte, daß sie Fräulein Rachel nie so eigen auf ihre Frisur und nie so hübsch und freundlich gesehen habe, als da sie an jenem Tage in das Wohnzimmer trat, um Herrn Franklin zu empfangen. Der Diener berichtet, daß ihm in seinem ganzen Dienst noch nie zwei so schwer zu vereinbarende Dinge vorgekommen seien, wie die Beobachtung einer ehrfurchtsvollen Haltung in Gegenwart seiner Herrschaft und die Bedienung Herrn Franklin Blake’s bei Tische. Später am Abend spielten und sangen sie Duette, Herr Franklin mit hoher, Fräulein Rachel mit noch höherer Stimme. Mylady begleitete sie am Clavier und folgte ihnen so zu sagen über Stock und Stein und brachte sie in einer Weise glücklich ans Ziel, die auf der Terrasse durch das geöffnete Fenster höchst lieblich anzuhören war. Noch später ging ich ins Rauchzimmer, wo Herr Franklin mit seinem Sodawasser und Cognac vor sich saß, und wie ich fand durch Fräulein Rachel von seinem Gedanken an den Diamanten völlig abgebracht war. »Sie ist das reizendste Mädchen, das ich gesehen habe, seit ich nach England zurückgekehrt bin,« war Alles, was aus ihm herauszubringen war, als ich es versuchte, die Unterhaltung auf ernstere Gegenstände zu lenken.

Gegen Mitternacht ging ich, begleitet von meinem Adjutanten (dem Diener Samuel) wie gewöhnlich durch das Haus, um die Thüren zu verschließen. Als so alle Thüren, mit Ausnahme der auf die Terrasse führenden Seitenthür, geschlossen waren, schickte ich Samuel zu Bett und ging hinaus, um noch etwas frische Luft zu schöpfen, bevor ich selbst zu Bette ging. Die Nacht war still und der Mond stand voll am Himmel. Es war draußen so ruhig, daß ich von Zeit zu Zeit ganz schwach und leise das Rauschen des Meeres hörte, wie sich die Wellen über die Sandbank an der Mündung unserer kleinen Bucht ergossen. Nach der Lage des Hauses war die Seite nach der Terrasse hin im tiefen Schatten, aber das volle Mondlicht fiel auf den Kiesweg, der dicht neben der Terrasse hinführte. Als ich auf diesem Weg hinaus sah, nachdem ich zuvor zum Himmel hinaufgeblickt hatte, bemerkte ich den Schatten einer Person, der von der Ecke der hinteren Seite des Hauses her durch das Mondlicht geworfen wurde. Alt und schlau wie ich bin, hütete ich mich wohl zu rufen, da ich aber auch leider alt und schwerfällig bin, so verriethen mich meine Fußtritte auf dem Kies. Bevor ich mich, wie ich es beabsichtigte, rasch um die Ecke hatte stehlen kennen, hörte ich leisere Fußtritte als die meinigen, und wie mir vorkam von mehr als Einem Paar Füßen, sich eilig entfernen. In dem Augenblick wo ich die Ecke erreicht hatte, waren die Eindringlinge, wer sie auch gewesen sein mochten, ins Gebüsch an der anderen Seite des Weges gelaufen und wurden durch die dort stehenden dicken Bäume und Büsche verdeckt. Aus dem Gebüsch konnten sie leicht über unser Stacket auf die Landstraße gelangen. Wenn ich vierzig Jahre jünger gewesen wäre, wäre es mir vielleicht gelungen, sie zu fassen, bevor sie unsern Grund und Boden verlassen hätten. So aber ging ich zurück, um ein Paar jüngere Beine als die meinigen in Bewegung zu setzen. Ohne irgend Jemand zu stören, nahmen Samuel und ich ein Paar Gewehre und durchsuchten die Umgebungen des Hauses und das Gebüsch. Nachdem wir uns vergewissert hatten, daß kein Mensch sich mehr auf unserm Grund und Boden herumtreibe, kehrten wir zurück. Als wir wieder über den Weg kamen, aus dem ich den Schatten gesehen hatte, bemerkte ich jetzt zum ersten Male einen kleinen, auf dem reinlichen Kies liegenden, im Mondlicht glänzenden Gegenstand. Ich nahm denselben auf und fand, daß es eine kleine Flasche war, welche eine dicke, süßriechende und tintenschwarze Flüssikeit enthielt.

 

Ich sagte Samuel nichts davon. Aber dessen eingedenk, was Penelope mir über die Jongleurs erzählt, wie sie Tinte in die hohle Hand des Knaben gegossen hatten, argwöhnte ich auf der Stelle, daß ich die drei Indier nächtlicher Weile um das Haus herumlungernd, bei der Ausführung ihres heidnischen Planes, den Diamanten ausfindig zu machen, aufgestört hatte.

Achtes Capitel

Hier finde ich es nöthig, einen Augenblick in meiner Erzählung inne zu halten.

Meine eigenen Erinnerungen und Penelopes Tagebuch, das ich zu Rathe gezogen habe, machen es zulässig, über die Zeit zwischen Herrn Franklin Blakes Ankunft und Fräulein Rachels Geburtstag rasch hinwegzugehen. Denn während dieser Zeit gingen die Tage meistentheils ohne bemerkenswerthe Ereignisse vorüber.

Mit der gütigen Erlaubniß des Lesers werde ich also hier unter Penelopes Beihilfe nur einige Daten verzeichnen; und behalte mir die Wiederaufnahme der tageweisen Erzählung der Geschichte bis zu dem Zeitpunkte vor, wo die Mondstein-Affaire die wichtigste Angelegenheit für Jedermann in unserem Hause wurde.

Nachdem ich das vorangeschickt habe, können wir jetzt wieder fortfahren, indem wir zunächst auf die Flasche mit süßriechender Tinte, die ich in jener Nacht aus dem Kieswege fand, zurückkommen.

Am nächsten Morgen (den 26.) zeigte ich dieses Jongleurding Herrn Franklin und erzählte ihm davon, was dem Leser bereits bekannt ist. Nach seiner Meinung hatten die Indier es bei ihrem Herumtreiben nicht nur auf den Diamanten abgesehen, sondern waren wirklich thörigt genug, an ihren eigenen Zauber zu glauben, womit er das Bestreichen des Kopfes und das Ausgießen der Tinte in der Hand des Knaben meinte, welches diesen befähigen sollte, Dinge und Personen zu sehen, die für ein gewöhnliches Auge nicht sichtbar seien. Herr Franklin belehrte mich, daß es nicht nur im Orient, sondern auch in unserem eigenen Lande Leute gebe, die diesen sonderbaren Hokuspokus (wenn auch ohne die Tinte) treiben und denselben mit einem französischen Namen bezeichnen, der ungefähr so viel bedeutet wie Hellseherei.

»Ganz gewiß,« sagte Herr Franklin, »rechneten die Indier fest darauf, daß wir den Diamanten hier behalten würden, und brachten darum den clairvoyanten Jungen her, damit er ihnen die Stelle zeige, wo der Diamant liege, für den Fall, daß es ihnen in voriger Nacht gelingen sollte, sich in das Haus zu schleichen.«

»Glauben Sie, Herr Franklin,« fragte ich, »daß die Kerle die Sache noch einmal versuchen werden?«

»Das,« erwiderte Herr Franklin, »hängt von dem Grade der Hellsichtigkeit des Jungen ab. Wenn er den Diamanten durch den eisernen Schrank der Bank von Frizinghall hindurch sehen kann, so werden uns die Indier zunächst mit ihrem Besuche nicht mehr incommodiren. Wenn er das nicht kann, so werden wir bald genug wieder eine Chance haben, ihrer im Gebüsch habhaft zu werden.«

Ich sah dieser Chance ziemlich zuversichtlich entgegen, aber merkwürdiger Weise trat sie nie ein.

Ob die Jongleurs in der Stadt erfahren hatten, daß Herr Franklin in der Stadt gewesen sei und demgemäß ihre Schlüsse gezogen hatten, oder ob der Junge wirklich den Diamanten an seinem jetzigen Platze gesehen (woran ich aber ein- für allemal nicht glaube), oder ob es wirklich nur ein reiner Zufall war – so viel ist gewiß, von den Indiern zeigte sich während der Wochen, die bis zu Fräulein Rachels Geburtstag vergingen, keine Spur wieder bei dem Hause. Die Jongleurs trieben ihre Taschenspielerkünste in und um die Stadt ungestört fort, und Herr Franklin und ich warteten die Entwickelung der Dinge ruhig ab, entschlossen, die Spitzbuben nicht etwa dadurch behutsam zu machen, daß wir sie unsern Argwohn zu bald merken ließen. Das ist Alles, was ich für den Augenblick über die Indier zu sagen habe.

Am 29. des Monats erfanden Fräulein Rachel und Herr Franklin ein neues Mittel, sich die Zeit, die sonst schwer auf ihnen gelastet haben würde, gemeinschaftlich zu vertreiben. Ich habe meine Gründe, schon jetzt von der Beschäftigung, mit der sie sich unterhielten, besondere Notiz zu nehmen. Der Leser wird finden, daß dieselbe mit künftigen Dingen eng zusammenhängt.

Vornehmen Leuten steht gewöhnlich im Leben ihre eigene Trägheit im Wege. Indem sie ihr Leben meistentheils damit zubringen, sich nach einer Beschäftigung umzusehen, gerathen sie nur zu oft, besonders wenn ihre Neigungen, wie sie es nennen, geistiger Natur sind, blindlings auf Abwege. In den meisten Fällen mißhandeln oder verderben sie Etwas, und glauben Etwas für ihre Bildung zu thun, während sie in Wahrheit nur Unheil im Hause anstiften. Ich habe, wie ich leider bekennen muß, sowohl Damen wie Herren Tag für Tag mit leeren Pillendosen ausgehen sehen, die sie mit Eidechsen, Käfern, Spinnen und Fröschen gefüllt nach Hause brachten, um dann die armen Bestien auf Nadeln zu spießen oder ohne Spur von Gewissensbissen in Stücke zu zerschneiden. Da sieht man die jungen Herren oder das Fräulein mit einem Vergrößerungsglas ihre Spinnen betrachten, oder begegnet einem ihrer Frösche ohne Kopf auf der Treppe, und wenn man fragt, was die grausame Quälerei zu bedeuten habe, so wird Einem gesagt, daß es eine naturwissenschaftliche Liebhaberei des jungen Herrn oder des Fräuleins bedeute. Wieder ein anderes Mal beschäftigen sie sich stundenlang damit, eine hübsche Blume mit spitzen Instrumenten zu zerpflücken, nur aus dummer Neugierde, zu erfahren, woraus die Blume gemacht ist. Wird etwa die Farbe der Blume dadurch schöner, oder ihr Geruch angenehmer, daß sie das erfahren? Aber die armen Menschen müssen ja ihre Zeit hinbringen. Als Kinder haben sie in häßlichem Schmutze herumgewühlt und Puddings aus Erde gemacht, und wenn sie erwachsen sind, wühlen sie in häßlicher Wissenschaft herum und seciren Spinnen und zerpflücken Blumen. In dem einen Fall wie in dem andern erklärt sich die Sache daraus, daß sie in ihrem armen, leeren Kopf nichts zu denken, und mit ihren armen, trägen Händen nichts zu thun haben. Und so kommen sie endlich dahin, Leinewand mit Farben zu verschmieren und einen übeln Geruch in’s Haus zu bringen, oder Kaulquappen in einem Glaskasten mit schmutzigem Wasser aufzubewahren, bei deren Anblick sich Einem das Herz im Leibe herumdreht, oder überall Stückchen Stein abzuhauen und dabei alle Lebensmittel im Hause mit Sand zu versetzen, oder sich die Finger beim Photographiren zu beschmutzen und erbarmungslos Jedem im Hause sein Gesicht abzunehmen. Für die, welche gezwungen sind, sich ihr Brod zu verdienen, ist es gewiß oft hart genug, für ihre Kleider, ihre Wohnung und ihre Nahrung arbeiten zu müssen. Aber wenn solche Leute ihr härtestes Tagewerk mit der Arbeit der Müßiggänger vergleichen, welche Blumen zerpflücken und Spinnenmagen durchbohren, so können sie ihrem Schöpfer noch danken, daß sie Etwas im Kopfe und in den Händen haben, woran sie denken und womit sie arbeiten müssen. Was nun Herrn Franklin und Fräulein Rachel anlangt, so mißhandelten sie, wie ich mit Vergnügen melden kann, Nichts. Sie beschränkten sich vielmehr daraus, Etwas zu verderben, und Alles, was sie verdarben, war die Füllung einer Thür.

Herr Franklin, der sich als Universalgenie mit Allem befaßte, trieb auch, wie er es nannte, Decorationsmalerei. Er hatte, wie er uns erzählte, eine neue Mischung zur Anfeuchtung der Farben erfunden, welche er als ein vorzügliches Bindemittel beschrieb. Woraus dasselbe bestand, weiß ich nicht. Was es bewirkte, kann ich mit zwei Worten sagen: es stank. Da Fräulein Rachel vor Begierde brannte, sich in der neuen Procedur zu versuchen, ließ Herr Franklin die Materialien dazu von London kommen, mischte sie und verbreitete damit einen Geruch im Hause, der selbst die Hunde zum Niesen brachte, band Fräulein Rachel eine Schürze mit einem Latz vor und etablirte sie zu einer Decorirung ihres eigenen kleinen Wohnzimmers, das in Ermangelung eines bezeichnenden englischen Ausdrucks ein »boudoir« genannt wurde. Mit der inneren Seite der Thür fingen sie an. Herr Franklin kratzte allen schönen Firniß mit Bimsstein ab und präparirte auf diese Weise eine Fläche, wie sie nach seiner Behauptung zur Bearbeitung nöthig war. Fräulein Rachel bedeckte dann diese Fläche unter seiner Leitung und mit seiner Hilfe mit Mustern und Sinnbildern, Greifen, Vögeln, Blumen, Amoretten und dergleichen mehr – Alles nach Zeichnungen eines berühmten italienischen Malers, ich kann nicht auf den Namen kommen – ich meine den, der die Welt mit Jungfrau-Marien versorgt hat und ein Bäckermädchen zum Liebchen hatte. Als Beschäftigung betrachtet, war dieses Decoriren ein langweiliges und schmutziges Stück Arbeit. Aber unser junger Herr und unser Fräulein schienen seiner nie überdrüssig zu werden. Wenn sie nicht ausritten oder Gesellschaft bei sich hatten, oder ihre Mahlzeiten einnahmen, oder ihre Musik machten, saßen sie Kopf an Kopf, emsig wie die Bienen, vor der Thür und verschmierten sie. Wer war doch noch der Dichter, der gesagt hat, daß Satan auch durch unbeschäftigte Hände Unheil anzustiften weiß? Hätte er meine Stelle im Hause eingenommen und Fräulein Rachel mit ihrem großen Pinsel und Herrn Franklin mit seinem Bindemittel gesehen, so hätte er über Beide nichts Passenderes sagen können.

Der nächste erwähnenswerthe Tag war der 1. Juni, ein Sonntag. An dem Abend dieses Tages discutirten wir im Domestikenzimmer eine häusliche Frage, die, wie das Decoriren der Thür mit etwas später zu Erzählendem im Zusammenhang steht.

Da wir sahen, welches Vergnügen Herr Franklin und Fräulein Rachel gegenseitig in ihrer Gesellschaft fanden und übereinkamem daß sie in jeder Hinsicht ein allerliebstes Paar bilden würden, so hielten wir es natürlich für möglich, daß sie noch zu anderen Zwecken als zu dem der Decorirung der Thür die Köpfe zusammensteckten. Einige von uns behaupteten, noch vor Ende des Sommers werde es eine Hochzeit in unserem Hause geben. Andere (deren Wortführer ich war) gaben zwar zu, daß Fräulein Rachel sich wahrscheinlich verheirathen werde, zweifelten aber aus Gründen, die ich gleich angeben will, daß Herr Franklin Blake der Erwählte sein werde. Daß Herr Franklin verliebt sei, konnte Niemand, der ihn sah und hörte, bezweifeln; schwieriger war es, Fräulein Rachel zu ergründen. Der Leser möge mir gestatten, ihn mit ihr bekannt zu machen, er mag sie dann, wenn er kann, selber ergründen.

Der achtzehnte Geburtstag meines jungen Fräuleins stand vor der Thür, es war am 21. Juni. Wenn mein geneigter Leser ein Freund von schwarzem Haar ist (das, wie ich mir habe sagen lassen, neuestens in der feinen Welt aus der Mode gekommen ist), und wenn er kein besonderes Vorurtheil zu Gunsten großer Gestalten hat, so brauche ich keinen Widerspruch zu befürchten, wenn ich ihn versichere, daß Fräulein Rachel eines der hübschesten Mädchen war, das man sehen konnte. Sie war klein und schmächtig, aber vom Scheitel bis zur Zehe ganz proportionirt. Zu sehen, wie sie sich hinsetzte, wie sie aufstand, und namentlich wie sie ging, war genug, um sich zu überzeugen, daß die Grazie ihrer Erscheinung (wenn man mir den Ausdruck gestatten will) in ihrem Körper und nicht in ihren Kleidern lag. Sie hatte das schwärzeste Haar das ich je gesehen habe. Ihre Augen wetteiferten mit ihrem Haar. Ihre Nase war zwar, wie ich zugeben muß, etwas zu klein. Ihr Mund und ihr Kinn waren, um Herrn Franklins eigne Ausdrücke zu gebrauchen, Bissen für die Götter und ihr Teint war nach derselben unwidersprechlichen Autorität so warm, wie die Sonne selbst, mit dem großen Vorzug vor der Sonne, daß man ihn immer mit Vergnügen ansehen konnte. Nimmt man dazu, daß sie ihren Kopf so gerade trug, wie einen Pfeil im Köcher, wie es einem so lebhaften Wesen von so edler Abkunft ansteht, daß sie eine klare Stimme von echtem Metallklang hatte und ein Lächeln, daß sich höchst reizend schon in ihren Augen zeigte, noch ehe es die Lippen erreichte, so hat man ihr Portrait in Lebensgröße nach meinen besten Kräften gemalt vor sich.

Und was soll ich von ihrem Charakter sagen? Hatte dieses reizende Geschöpf keine Fehler? Sie hatte grade so viele Fehler wie Du, geneigte Leserin, nicht mehr und nicht weniger. Im Ernst hatte mein liebes, hübsches Fräulein Rachel bei einer Fülle von Reizen und anziehenden Eigenschaften einen Fehler, den strenge Unparteilichkeit mich zu nennen zwingt. Sie war den meisten jungen Mädchen ihres Alters darin Unähnlich, daß sie ihre eigenen Ideen hatte und sich halsstarrig selbst der Mode widersetzte, wenn diese ihr nicht zusagte. In Kleinigkeiten konnte man sich diese ihre Unabhängigkeit wohl gefallen lassen, aber in wichtigen Dingen ging sie, wie Mylady fand und wie es auch mir schien, darin zu weit. Sie bildete sich ihr eigenes Urtheil, wie es wenige viel ältere Frauen thun, fragte nie Jemanden um Rath, sagte Niemandem vorher, was sie zu thun beabsichtige, und hatte niemals Jemandem Geheimnisse anzuvertrauen, nicht einmal ihrer Mutter. In kleinen und großen Dingen, im Verkehr mit Leuten, die sie liebte und Leuten, die sie haßte (und sie that Beides mit gleicher Energie), ging Fräulein Rachel immer ihren eigenen Weg und war sich in Freud und Leid selbst genug. Unzählige Male habe ich Mylady sagen hören: »Rachel’s bester Freund und Rachels schlimmster Feind ist Beides in Einer Person Rachel selbst.« Noch ein Wort und ich bin mit ihrer Charakteristik fertig.

 

Bei all’ ihrer Verschlossenheit und all’ ihrem Eigenwillen war doch keine Spur von Falsch an ihr. Ich erinnere mich nicht, daß sie jemals ihr Wort gebrochen oder daß sie jemals Nein gesagt und Ja gemeint hätte. Dagegen erinnere ich mich aus ihrer Kindheit mehr als eines Falls, wo das liebe kleine Wesen sich für ein Vergehen, das ein von ihr geliebter Gespiele begangen hatte, schelten und bestrafen ließ. Niemals widersprach sie einer Beschuldigung, wenn sie angeklagt wurde, aber ebenso wenig sagte sie je die Unwahrheit. Sie sah Einem grade ins Gesicht schüttelte ihr trotziges Köpfchen und sagte einfach: »Ich will es nicht sagen!« Wenn sie für diesen Trotz aufs Neue bestraft wurde, so erklärte sie allenfalls, sie wolle nicht wieder »ich will nicht« sagen, aber war auch mit Brot und Wasser nicht dahin zu bringen, den Schuldigen zu nennen. Eigenwillig war sie – verteufelt eigensinnig bisweilen – das muß ich zugeben, aber nichtsdestoweniger das lieblichste Geschöpf, das jemals auf dieser Erde wandelte. Vielleicht findet der Leser, daß ich mir hier widerspreche. Für diesen Fall will ich ihm ein Wort in’s Ohr sagen. Mein lieber Leser, beobachte einmal Deine Frau scharf während der nächsten 24 Stunden. Wenn Dein liebes Weib während dieser Zeit nicht durch irgend ein Wort oder eine Handlung mit sich selbst in Widerspruch tritt, so sei Dir der Himmel gnädig, denn dann hast Du ein Ungeheuer geheirathet.

Ich habe also jetzt den Leser mit Fräulein Rachel bekannt gemacht und wir können uns nun ohne Weiteres mit ihren Heiraths-Aspecten beschäftigen.

Am 12. Juni schickte Mylady einem Herrn in London eine Einladung, sie zu besuchen und Fräulein Rachel’s Geburtstag mit feiern zu helfen. Das war der glückliche Sterbliche, dem sie, wie ich glaubte, in Wahrheit ihr Herz zugewandt hatte! Wie Herr Franklin war auch er ihr Vetter. Er hieß Godfrey Ablewhite.

Myladys zweite Schwester (nur keine Sorge, für diesmal lasse ich mich nicht weiter auf Familienverhältinisse ein), Myladys zweite Schwester, sage ich, hatte eine unglückliche Liebe gehabt und nachher Hals über Kopf, was man eine Mesalliance nennt, gemacht. Es entstand ein furchtbarer Aufruhr in der Familie, als das adlige Fräulein Caroline darauf bestand, einen Banquier aus Frizinghall, den simpeln Herrn Ablewhite zu heirathen. Er war sehr reich, hatte einen sehr guten Charakter und wurde der Vater einer äußerst zahlreichen Familie, – soweit war Alles gut. Aber er hatte sich herausgenommen, sich aus einer niedrigen Stellung in der Welt heraufzuarbeiten, – und das war gegen ihn. Indessen brachten die Zeit und die Fortschritte moderner Aufklärung Alles wieder in Ordnung, und die Mesalliance wurde zu Gnaden angenommen. Heutigen Tages werden wir Alle Liberale, und wenn Einer, dem ich die Hand gewaschen, sie mir wieder wäscht, was kümmert’s mich, ob er ein Gassenkehrer oder ein Herzog ist? Das ist die moderne Art, die Dinge anzusehen, und ich halte es mit dieser modernen Art. Die Ablewhites wohnten auf einem schönen Landsitz in der Nähe von Frizinghall. Sehr würdige Leute und hochgeachtet in der ganzen Gegend. Ich habe aber nicht die Absicht, viel über dieselben zu sagen, mit einziger Ausnahme. von Herrn Godfrey, der Herrn Ablewhite’s zweiter Sohn war, und mit dem wir uns hier, mit der gütigen Erlaubniß des Lesers, Fräulein Rachel’s wegen, etwas näher beschäftigen müssen. Trotz Herrn Franklin’s hellem Verstand, trotz seiner Gewandtheit und trotz aller seiner übrigen guten Eigenschaften, schienen mir doch seine Aussichten, Herrn Godfrey in der Neigung unseres jungen Fräuleins den Rang abzulaufen, ungemein schwach zu sein.

Erstens war Herr Godfrey, was den Wuchs betraf, bei Weitem der schönere von beiden Männern, er maß über sechs Fuß, hatte einen schönen roth und weißen Teint, ein glatt rasirtes, rundes Gesicht, und den Kopf voll schöner, langer, blonder Haare, die nachlässig auf den Nacken herabfielen. Aber warum versuche ich es, hier eine Schilderung von seiner Person zu geben? Wenn meine Leser jemals zu irgend einem mildthätigen Unternehmen einer Dame in London einen Beitrag gezeichnet haben, so müssen sie Herrn Godfrey Ablewhite so gut wie ich kennen. Er war seinem Berufe nach ein Advocat, seinem Temperament nach ein Mann für die Damen, und aus Neigung ein barmherziger Samariter. Weibliches Wohlwollen und weibliches Elend konnten nichts ohne ihn unternehmen. Bei mütterlichen Gesellschaften für die Aufnahme armer Wöchnerinnen bei Magdalenen-Stiften für die Rettung gefallener Mädchen, bei Emancipations-Vereinen, welche arme Frauen an die Stelle armer Männer setzen und es den Letztern überlassen möchten, sich selbst zu helfen – bei allen solchen Vereinen war er Vicepräsident, Secretär oder Kassirer. Wo immer ein Damen-Comitée um einen Tisch versammelt saß, fiel Herrn Godfrey unfehlbar die Ausgabe zu, das Comité bei guter Laune zu erhalten, und die lieben Damen auf dem dornigen Wege geschäftlicher Berathung zu leiten. Ich glaube, er war der vollkommenste Philantrop unter beschränkten Verhältnissen, den England je hervorgebracht. Es möchte schwer sein, einen Redner zu finden, der es so wie er verstanden hätte, bei Wohlthätigkeits-Versammlungen den Leuten Thränen und Geld zu entlocken. Man konnte ihn als einen öffentlichen Charakter bezeichnen. Als ich das letzte Mal in London war, verdankte ich Mylady’s Güte große Vergnügungen. Sie ließ mich ins Theater gehen, um eine Tänzerin zu sehen, die großes Aufsehen machte, und sie schickte mich nach Excter Hall, um Herrn Godfrey zu hören. Die Dame brauchte zu ihrem Tanzen ein Orchester, der Herr zu seiner Rede ein Schnupftuch und ein Glas Wasser. Ungeheurer Zudrang bei der Vorstellung mit den Beinen, ditto bei der Vorstellung mit der Zunge. Und bei alledem war er (ich meine Herrn Godfrey) von dem angenehmsten Temperament, der einfachste, liebenswürdigste und leichtlebigste Mensch, den es geben konnte. Er liebte alle Menschen, und alle Menschen liebten ihn; welche Chancen konnte wohl Herr Franklin, welche Chancen konnte irgend Jemand von gewöhnlichem Ruf und gewöhnlichen Fähigkeiten gegen einen solchen haben?

Am vierzehnten traf Herrn Godfrey’s Antwort ein.

Er nahm Mylady’s Einladung für die Tage vom Mittwoch, dem Geburtstage, bis zum Freitag Abend an, wo ihn seine Pflichten gegen mildthätige Damen nöthigen würden, wieder in London zu sein. Er übersandte zugleich ein Gedicht auf das »Wiegenfest« seiner Cousine, wie er sich elegant ausdrückte. Fräulein Rachel machte sich, wie ich erfuhr, bei Tisch mit Herrn Franklin über die Verse lustig, und Penelope, die entschieden Partei für diesen Letzteren genommen hatte, fragte mich mit triumphirender Miene, was ich davon denke. »Fräulein Rachel,« antwortete ich, »hat Dich auf eine falsche Fährte geführt, ich lasse mich aber nicht so leicht irre leiten. Warte nur bis Herr Ablewhite in Person seinen Versen auf dem Fuße folgt.« Meine Tochter erwiderte, Herr Franklin werde vielleicht sein Glück schon mit Erfolg versucht haben, noch ehe der Dichter seinen Versen folge. Zu Gunsten dieser Ansicht sprach, wie ich zugeben muß, daß Herr Franklin kein Mittel unversucht ließ, Fräulein Rachel’s Neigung zu gewinnen.