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Die Frau in Weiss

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Im Verlaufe der nächsten paar Tage schien es uns allerdings Allen, als ob Miß Halcombe sich ein wenig erholte. Unser Zutrauen zu Mr. Dawson erwachte wieder; er schien mir voll Zuversicht zu sein und versicherte Lady Glyde, als sie mit ihm über die Sache sprach, daß er selbst vorschlagen würde, noch einen Arzt herbeizurufen, sobald er nur den Schatten eines Zweifels in sich erwachen fühlte.«

Die Einzige von uns, der diese Worte keine Beruhigung zu sein schienen, war die Gräfin. Sie sagte heimlich zu mir, daß sie sich nach Mr. Dawson’s Reden nicht über Miß Halcombe’s Zustand beruhigen könne, und daß sie voll Besorgniß der Rückkehr ihres Mannes entgegensehe, um dessen Meinung zu hören. Diese Rückkehr sollte, wie sie seine Briefe unterrichteten, in drei Tagen stattfinden. Der Herr Graf und die Frau Gräfin unterhielten während der Abwesenheit des Ersteren einen regelmäßigen täglichen Briefwechsel. Sie waren in dieser Beziehung, wie in jeder andern, ein Muster für alle Eheleute.

Am Abend des dritten Tages bemerkte ich eine Veränderung an Miß Halcombe, die mich ernstlich besorgt machte. Mrs. Rubelle bemerkte dieselbe ebenfalls. Wir sagten indessen Nichts davon zu Lady Glyde, die, völlig von Erschöpfung überwältigt, auf dem Sopha im Wohnzimmer eingeschlafen war.

Mr. Dawson machte seinen Abendbesuch später als gewöhnlich. Sowie er seiner Patientin ansichtig wurde, sah ich, daß sich sein Gesicht veränderte. Er versuchte, dies zu verbergen; aber er sah sowohl verlegen als erschrocken aus Es wurde ein Bote nach seiner Wohnung geschickt, um seinen Arzneikasten zu holen, desinficirende Vorkehrungen wurden im Zimmer angewandt, und es wurde ihm auf seine eigene Anordnung im Hause ein Bett gemacht. »Ist das Fieber ansteckend geworden?« flüsterte ich ihm zu. »Ich fürchte es,« entgegnete er; »doch werden wir morgen früh besser im Stande sein, darüber zu urtheilen.«

Auf Mr. Dawson’s eignen Befehl wurde Lady Glyde über diese beunruhigende Veränderung in Unwissenheit gelassen. Er selbst verbot ihr aus Rücksicht für ihre Gesundheit, diesen Abend zu uns ins Schlafzimmer zu kommen. Sie versuchte, sich dem zu widersetzen – es gab eitlen traurigen Auftritt – aber es unterstützte ihn seine ärztliche Autorität, und er gewann die Oberhand·

Nächsten Morgen um elf Uhr wurde einer der Bedienten mit einem Briefe an einen Arzt in London abgeschickt, mit dem Befehle, den neuen Doctor mit dem nächstmöglichen Zuge mit zurückzubringen. Eine halbe Stunde nachdem der Bote fort war, langte der Graf wieder in Blackwater Park an.

Die Gräfin brachte ihn sogleich auf eigene Verantwortung herein, um die Kranke zu sehen. Ich sah in diesem Verfahren durchaus nichts Unpassendes. Se. Gnaden war ein verheiratheter Mann und alt genug, um Miß Halcombe’s Vater zu sein; außerdem sah er sie in Gegenwart einer weiblichen Anverwandten, der Tante von Lady Glyde. Dennoch aber protestirte Mr. Dawson gegen seine Anwesenheit im Zimmer, aber ich konnte deutlich wahrnehmen, daß der Doctor selbst zu sehr beunruhigt war, um bei dieser Gelegenheit ernstlichen Widerstand zu bieten.

Die arme kranke Dame kannte Niemanden mehr von Denen, die sie umgaben. Sie schien ihre Freunde für Feinde anzusehen. Als der Graf sich ihrem Bette nahte, heftete sie ihre Augen, die bisher wild umher gewandert waren, mit einem so furchtbaren Stieren des Entsetzens auf sein Gesicht, daß ich es bis zu meiner letzten Stunde nicht vergessen werde. Der Graf setzte sich neben ihr nieder, fühlte ihren Puls und ihre Schläfe, betrachtete sie sehr aufmerksam und wandte sich dann mit einem solchen Ausdrucke von Entrüstung und Verachtung gegen den Doctor um, daß diesem die Worte auf den Lippen erstarben, und er einen Augenblick bleich vor Zorn und Bestürzung dastand – bleich und völlig sprachlos.

Dann wandte sich Se. Gnaden zu mir.

»Wann fand diese Veränderung statt?« fragte er.

Ich gab ihm die Zeit an.

»Ist Lady Glyde seitdem im Zimmer gewesen?«

Ich sagte ihm, daß sie nicht dagewesen. Der Arzt habe es ihr gestern Abend ausdrücklich untersagt und den Befehl heute Morgen wiederholt.

»Hat man Sie und Mrs. Rubelle mit der ganzen Größe des Unheils bekannt gemacht?« war seine nächste Frage.

Ich entgegnete, wir wüßten, daß die Krankheit eine ansteckende sei. Er unterbrach mich, ehe ich noch ein Wort hinzufügen konnte.

»Es ist Typhus«, sagte er.

In der Minute, welche unter diesen Fragen und Antworten verging, erholte Mr. Dawson sich wieder und wandte sich mit seiner gewohnten Festigkeit zum Grafen.

»Es ist kein Typhus«, sagte er scharf. »Ich protestire gegen diese Einmischung, Sir. Es hat hier Niemand außer mir das Recht, Fragen zu thun. Ich habe nach meinen besten Kräften meine Pflicht gethan –«

Der Graf unterbrach ihn, nicht durch Worte, sondern indem er blos auf das Bett hindeutete. Mr. Dawson schien diesen stillen Widerspruch gegen seine Fähigkeiten zu fühlen und dadurch nur noch gereizter zu werden.

»Ich sage, daß ich meine Pflicht gethan habe,« wiederholte er »Man hat nach einem Arzte in London geschickt. Mit ihm will ich über die Art des Fiebers consultiren und mit sonst Niemandem. Ich bestehe darauf, daß Sie das Zimmer verlassen.«

»Ich betrat dieses Zimmer, Sir, im heiligen Interesse der Menschlichkeit,« sagte der Graf, »und will es in demselben Interesse abermals betreten, falls die Ankunft des Arztes sich verzögert. Ich sage Ihnen nochmals, daß das Fieber sich in Typhus verwandelt hat, und daß Sie durch Ihre Behandlung für diese traurige Veränderung verantwortlich sind. Falls diese unglückliche Dame sterben sollte, will ich es vor einem Gerichtshofe bezeugen, daß Ihre Unwissenheit und Hartnäckigkeit ihren Tod herbeigeführt haben.«

Ehe noch Mr. Dawson ihm antworten und ehe der Graf uns verlassen konnte, öffnete sich die Thür des Wohnzimmers, und Lady Glyde erschien auf der Schwelle.

»Ich muß und will hereinkommen,« sagte sie mit ungewohnter Festigkeit.

Anstatt sie aufzuhalten, trat der Graf ins Wohnzimmer und machte Platz für sie. Bei allen anderen Gelegenheiten war er der letzte Mann in der Welt, der Etwas vergessen hätte; aber in der Ueberraschung des Augenblicks vergaß er offenbar, daß Typhus ansteckend sei, und zugleich die dringende Nothwendigkeit, Lady Glyde zu zwingen, sich in Acht zu nehmen.

Zu meiner Verwunderung bewies Mr. Dawson mehr Geistesgegenwart. Er hielt Mylady beim ersten Schritte, den sie dem Bette zu that, zurück.

»Ich bedaure aufrichtig – es schmerzt mich aufrichtig,« sagte er. »Ich fürchte, das Fieber ist ansteckend. Bis ich mich aber vom Gegentheil überzeugt habe, bitte ich Sie inständigst, nicht ins Zimmer zu kommen.«

Sie kämpfte einen Augenblick, dann sanken plötzlich ihre Arme zu ihren Seiten nieder, und sie fiel vorwärts. Sie war in Ohnmacht gefallen. Die Gräfin und ich nahmen sie dem Doctor ab und trugen sie in ihr Zimmer. Der Graf ging uns voran und wartete dann im Corridor, bis ich wieder herauskam und ihm sagte, daß sie wieder zu sich gekommen sei. Ich kehrte zum Doctor zurück, um ihm auf Lady Glyde’s Befehl zu sagen, daß sie ihn augenblicklich sprechen müsse.« Er ging sofort, um Mylady’s Aufregung zu beruhigen und sie von der Ankunft des Arztes, die in wenigen Stunden erfolgen müsse, in Kenntniß zu setzen. Diese Stunden vergingen sehr langsam. Sir Percival und der Graf waren zusammen unten und ließen sich von Zeit zu Zeit nach dem Befinden der Damen erkundigen. Endlich zwischen fünf und sechs Uhr langte zu unserer, großen Erleichterung der Arzt an.

Er war ein jüngerer Mann als Mr. Dawson, aber sehr ernst und entschlossen. Was er von der vorherigen Behandlung dachte, kann ich nicht sagen; aber es fiel mir auf, daß er mir und Mrs. Rubelle weit mehr Fragen vorlegte, als dem Doctor, und daß er nicht mit vieler Aufmerksamkeit anhörte, was Mr. Dawson sagte, während er die Patientin betrachtete. Nach diesen meinen Bemerkungen begann ich zu argwöhnen, daß der Graf von Anfang an in Bezug auf die Krankheit Recht gehabt hatte, und diese Vermuthung wurde natürlich bestätigt, als Mr. Dawson nach einigem Verzuge die eine wichtige Frage that, welche zu lösender Arzt aus London geholt worden war.

»Was halten Sie von dem Fieber?« fragte er.

»Es ist Typhus,« entgegnete der Arzt, »Typhus ohne den geringsten Zweifel.«

Jene ruhige Ausländerin, Mrs. Rubelle, faltete ihre dünnen braunen Hände und sah mich mit einem bedeutsamen Lächeln an. Der Graf selbst hätte kaum zufriedener aussehen können, falls er im Zimmer gewesen und so die Bestätigung seiner Ansichten vernommen hätte.

Nachdem der Arzt uns einige nützliche Anweisungen in Bezug auf die Pflege der Kranken gegeben und versprochen hatte, daß er nach Verlauf von fünf Tagen wiederkommen werde, zog er sich mit Mr. Dawson zurück, um sich allein mit ihm zu besprechen. Er wollte in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit von Miß Halcombe’s Genesung keine Meinung aussprechen, da es, wie er sagte, in dem gegenwärtigen Stadium der Krankheit unmöglich sei, mit Bestimmtheit zu urtheilen.

Die fünf Tage vergingen uns in großer Besorgniß.

Die Gräfin Fosco und ich lösten Mrs. Rubelle abwechselnd ab, denn Miß Halcombe’s Zustand wurde immer schlimmer und erforderte unsere äußerste Sorgfalt und Aufmerksamkeit. Es war eine sehr, sehr schwere Zeit. Lady Glyde (welche, wie Mr. Dawson sagte, die fortwährende Spannung über den Zustand ihrer Schwester aufrecht erhielt) erholte sich auf wunderbare Weise und bewies eine Festigkeit und Entschlossenheit, die ich ihr nimmer zugetraut hätte. Sie bestand darauf, täglich drei oder vier Mal ins Zimmer zu kommen und Miß Halcombe mit eignen Augen zu sehen, indem sie versprach, nicht zu nahe an das Bett zu treten, falls der Doctor ihr in soweit willfahren wolle. Mr. Dawson gab seine Erlaubniß hierzu mit großem Widerstreben; ich denke mir, er sah wohl ein, daß es nutzlos sein würde, ferner mit ihr darüber zu streiten. Sie kam jeden Tag und hielt ihr Versprechen mit großer Selbstverleugnung. Es war mir persönlich so schmerzlich (denn es erinnerte mich an meinen eigenen Kummer während meines lieben Mannes letzter Krankheit), zu sehen, wie sehr sie unter diesen Umständen litt, daß ich aufrichtig bitte, mir ein ferneres Verweilen bei diesem Gegenstande zu ersparen. Es ist mir eine weit angenehmere Aufgabe, zu berichten, daß keine neuen Uneinigkeiten zwischen Mr. Dawson und dem Grafen stattfanden. Se. Gnaden ließ alle Erkundigungen durch die zweite Hand anstellen und blieb fortwährend unten bei Sir Percival.

 

Am fünften Tage kam der Arzt wieder und gab uns einige Hoffnung. Er sagte, der zehnte Tag, von dem an gerechnet, an welchem der Typhus zuerst aufgetreten sei, werde wahrscheinlich den Erfolg der Krankheit entscheiden, und versprach uns für diesen Tag seinen dritten Besuch. Die Zwischenzeit verging wie vorher – ausgenommen, daß der Graf eines Morgens abermals nach London reiste und Abends wieder zurückkehrte.

Am zehnten Tage erlöste die barmherzige Vorsehung unser ganzes Haus von aller ferneren Angst und Sorge. Der Arzt gab uns die Versicherung; daß Miß Halcombe völlig außer Gefahr sei.

»Sie bedarf jetzt keines Arztes mehr, – Alles, was sie jetzt noch braucht, ist sorgfältige Aufsicht und Pflege, und Beides wird ihr zu Theil, wie ich sehe.«

Dies waren seine eigenen Worte. An jenem Abend las ich meines lieben Mannes rührende Predigt über Genesung von der Krankheit, und sie that mir (in geistlichem Sinne zu sprechen) wohler und machte mich glücklicher, als dies je vorher der Fall gewesen.

Die Wirkung dieser guten Nachricht auf die arme Lady Glyde war zu meinem Bedauern förmlich überwältigend. Sie war zu schwach, um diese heftige Reaction zu ertragen, und in ein paar Tagen darauf verfiel sie in einen Zustand der Schwäche und Abgespanntheit, welcher ihr nicht gestattete, ihr Zimmer zu verlassen. Ruhe und später vielleicht eine Luftveränderung waren die einzigen Mittel, die Mr. Dawson für sie empfehlen konnte. Es war ein Glück, daß es nicht schlimmer mit ihr war; denn noch an demselben Tage, an welchem sie sich in ihr Zimmer zurückziehen mußte, hatten der Graf und Mr. Dawson wieder einen Wortwechsel, und diesmal war derselbe so ernster Art, daß Mr. Dawson das Haus verließ.

Ich war nicht gegenwärtig, als die Veruneinigung stattfand; aber ich hörte später, daß sie über die Nahrung entstand, welcher Miß Halcombe während ihrer Genesung bedürfe, um sich nach der Erschöpfung des Fiebers wieder zu kräftigen. Mr. Dawson war jetzt, da seine Patientin außer Gefahr, noch weniger als vorher geneigt, sich unberufenen Ansichten zu fügen; und der Graf (ich begreife nicht warum) verlor alle Selbstbeherrschung, die er sich bei früheren Gelegenheiten auf so verständige Weise bewahrt hatte, und verhöhnte den Doctor wiederholt über sein Versehen in Bezug auf das Fieber, als dasselbe sich in Typhus verwandelt hatte. Die unglückselige Geschichte endete damit, daß Mr. Dawson an Sir Percival appellirte und drohte (da Miß Halcombe jetzt außer Gefahr sei) Blackwater Park ganz zu verlassen, falls nicht dem Grafen von diesem Augenblicke an entschieden alle weitere Einmischung untersagt werde. Sir Percival’s Antwort (obgleich keine beabsichtigte Unhöflichkeit) hatte nur dazu gedient, die Sache noch zu verschlimmern; und Mr. Dawson hatte in Folge der unerhörten Behandlung, die ihm vom Grafen Fosco zu Theil geworden, das Haus verlassen und am folgenden Morgen seine Rechnung eingesandt.

Wir waren also jetzt ohne ärztlichen Beistand. Obgleich wir in Wirklichkeit um denselben nicht mehr benöthigt waren – da, wie der Arzt bemerkt hatte, Pflege und Aufmerksamkeit jetzt Alles war, was Miß Halcombe bedurfte – so hätte ich doch, falls meine Autorität für Etwas gegolten hätte, der Form halber aus dem einen oder andern Viertel von London wieder einen Arzt herzugerufen.

Doch schien Sir Percival die Sache nicht in diesem Lichte zu sehen. Er sagte, es werde früh genug sein, einen neuen Arzt zu holen, falls Miß Halcombe einen Rückfall bekäme. Inzwischen sei ja der Graf da, den wir in kleinern Schwierigkeiten um Rath fragen könnten, und es sei unnöthig, unsere Patientin in ihrem gegenwärtigen nervenschwachen Zustande durch Anwesenheit eines Fremden bei ihrem Bette zu stören und aufzuregen. Es war ohne Zweifel viel Verständiges in diesen Erwägungen; aber ich blieb dessenungeachtet ein wenig ängstlich. Außerdem schien es mir nicht ganz billig, Lady Glyde die Abwesenheit des Arztes zu verhehlen, wie wir es thaten. Ich gebe zu, daß es eine wohlgemeinte Täuschung war – denn ihr Zustand war nicht der Art, daß sie neue Besorgnisse hätte ertragen können. Aber es war immer eine Täuschung und als solche für Leute von meinen Grundsätzen, milde ausgedrückt, ein zweifelhaftes Verfahren.

Ein zweiter Umstand, der sich an demselben Tage zutrug und mich unbeschreiblich überraschte – ein Umstand, der mir unbegreiflich war, vergrößerte noch um ein Bedeutendes das Gefühl der Unruhe, das jetzt auf meinem Gemüthe lastete.

Ich wurde zu Sir Percival in die Bibliothek beschieden. Der Graf, welcher bei ihm war, als ich eintrat, erhob sich augenblicklich und ließ uns allein im Zimmer. Sir Percival war so höflich, mich zum Sitzen aufzufordern und redete mich dann zu meinem Erstaunen folgendermaßen an:

»Ich habe über eine Angelegenheit mit Ihnen zu sprechen, Mrs. Michelson, über die ich schon seit einiger Zeit meinen Entschluß gefaßt hatte, und von der ich schon früher mit Ihnen gesprochen haben würde, wenn nicht Kummer und Krankheit ins Haus eingezogen wären. Mit wenig Worten: ich fühle mich bewogen, den hiesigen Haushalt sofort aufzugeben, indem ich das Haus selbst natürlich, wie sonst, Ihrer Aufsicht übergebe. Sobald Lady Glyde und Miß Halcombe im Stande sind zu reisen, müssen beide Damen eine Luftveränderung genießen. Meine Verwandten, der Graf und die Gräfin Fosco, werden uns schon vorher verlassen und eine Wohnung in der Umgegend von London beziehen. Mein Zweck, indem ich keine Gäste mehr in diesem Hause empfange, ist, so sparsam wie möglich zu leben. Ich tadle Sie nicht – aber meine Ausgaben hier sind bei Weitem zu groß. Kurz, ich werde die Pferde verkaufen und sofort die ganze Dienerschaft entlassen. Ich thue nie Etwas zur Hälfte, wie Sie wissen, und es ist meine Absicht, daß das Haus morgen um diese Zeit von einem Rudel unnützer Leute befreit sei.«

Ich hörte ihm wie angewurzelt vor Erstaunen zu.

»Wollen Sie damit sagen, Sir Percival, daß ich die Hausbedienung, die unter meiner Aufsicht steht, entlassen soll, ohne ihr, wie üblich, einen Monat vorher zu kündigen?« fragte ich.

»Allerdings. Wir werden wahrscheinlich Alle, ehe ein Monat verflossen ist, das Haus verlassen haben, und ich beabsichtige durchaus nicht, eine Menge von Bedienten hier in Müßigkeit zu erhalten.«

»Wer soll die Küche besorgen, Sir Percival, so lange Sie noch hier bleiben?«

»Margaret Porcher kann kochen und braten – behalten Sie sie hier. Wozu brauche ich einen Koch, wenn ich keine Mittagsgesellschaften zu geben beabsichtige?«

»Die Person, welche Sie eben genannt haben, Sir Percival, ist die allerunverständigste von allen Stubenmädchen –«

»Behalten Sie sie, sage ich Ihnen, und lassen Sie eine Frau aus dem Dorfe kommen, die das Aufwaschen besorgt und wieder fortgeht. Es muß und soll eine augenblickliche Einschränkung in meinen wöchentlichen Ausgaben stattfinden. Ich habe Sie nicht rufen lassen, damit Sie mir Einwendungen machen, Mrs. Michelson, sondern damit Sie meine Wünsche in Rücksicht auf Sparsamkeit ausführen. Sie werden morgen die ganze faule Bande von Hausdienern – die Porcher ausgenommen – entlassen. Die Porcher hat die Constitution eines Pferdes, und wie ein Pferd soll sie arbeiten.«

»Sie werden mich entschuldigen, Sir Percival, wenn ich Sie daran erinnere, daß die Dienerschaft ihren Lohn für einen Monat haben muß, falls ich ihr nicht einen Monat vorher aufsage?«

»Geben Sie ihn ihr! Ein Monatslohn erspart mir eines Monats Verschwendung und Prasserei in der Bedientenstube.«

Diese letzte Bemerkung enthielt eine höchst beleidigende Verleumdung gegen mein Haushaltungssystem. Ich hatte zu viel Selbstachtung, um mich gegen eine so grobe Beschuldigung zu vertheidigen. Christliche Rücksicht für Lady Glyde’s und Miß Halcombe’s hülflose Lage und auf die ernstlichen Beschwerlichkeiten, die aus meiner Abwesenheit für sie erwachsen konnten, hielten mich allein davon ab, sofort mein Amt niederzulegen. Ich erhob mich sogleich. Es hätte mich in meinen eignen Augen heruntergesetzt, wenn ich hiernach die Unterredung noch einen Augenblick länger hätte dauern lassen.

»Nach dieser letzten Bemerkung, Sir Percival, habe ich Nichts weiter zu sagen. Ihre Befehle sollen erfüllt werden.« Mit diesen Worten machte ich eine kalte Verbeugung und ging aus dem Zimmer.

Am folgenden Tage ging die ganze Dienerschaft ab. Sir Percival selbst lohnte die Reitknechte und Stallleute ab und schickte sie mit allen Pferden, ein einziges ausgenommen, nach London. Die einzigen Personen, welche zurückblieben, waren Margaret Porcher, ich und der Gärtner. Dieser Letztere wohnte jedoch in seinem eignen Hause, und er mußte nach dem einen im Stalle zurückgebliebenen Pferde sehen.

In dieser einsamen Verlassenheit des Hauses, wo die Herrin desselben krank in ihrem Zimmer lag, während Miß Halcombe noch immer so hülflos wie ein Kind war, und der Doctor uns in Feindschaft verlassen hatte, war es gewiß nicht zum Verwundern, daß ich niedergeschlagen wurde und es schwer fand, meine gewohnte Fassung beizubehalten. Ich war ängstlich in meinem Gemüthe, und ich wünschte den beiden armen Damen eine schnelle Genesung und mich selbst fort aus Blackwater Park.

Das nächste Ereigniß, das sich zutrug, war so sonderbarer Art, daß es mir ein Gefühl abergläubischen Erstaunens verursacht haben würde, falls nicht feste religiöse Grundsätze meinen Geist gegen eine derartige heidnische Schwäche gestärkt hätten. Dem unbehaglichen Gefühle, daß Etwas in der Familie nicht ganz richtig sei, in welchem ich mich aus Blackwater Park fortgewünscht hatte, folgte, so seltsam dies auch scheinen mag, wirklich meine Abreise vom Hause. Allerdings war es nur eine kurze Abwesenheit, doch war das Zusammentreffen meiner Meinung nach deshalb nicht weniger bemerkenswerth.

Meine Abreise fand unter folgenden Umständen statt:

An dem Tage, an welchem alle Diener das Haus verlassen, wurde ich abermals zu Sir Percival beschieden. Die unverdiente beleidigende Anspielung, welche er auf meine Haushaltungsweise gemacht, verhinderte mich nicht, wie ich mich zu sagen freue, ihm nach besten Kräften Böses mit Gutem zu vergelten, indem ich seinem Wunsche so bereitwillig und achtungsvoll, wie immer, nachkam. Bei der gefallenen Natur, welche wir Alle theilen, kostete es mich allerdings einige Anstrengung, meine Gefühle zu bekämpfen. Da ich aber an Selbstüberwindung gewöhnt bin, gelang es mir, dies Opfer zu bringen.

Ich fand den Grafen Fosco abermals bei Sir Percival. Doch blieb der Graf diesmal bei der Unterredung anwesend und half Sir Percival seine Pläne entfalten.

Der Gegenstand, auf den sie jetzt meine Aufmerksamkeit lenkten, bezog sich auf die gesunde Luftveränderung, von der wir Alle so große Vortheile für Lady Glyde’s und Miß Halcombe’s Genesung hofften. Sir Percival sagte, daß beide Damen wahrscheinlich (in Folge einer Einladung von Frederick Fairlie Esquire) den Herbst zu Limmeridge in Cumberland zubringen würden. Er sei jedoch der Ansicht, und der Graf (welcher hier das Wort nahm und bis zu Ende der Unterredung behielt) stimmte hierin mit ihm überein, daß es von großem Vortheile für sie sein würde, wenn sie, ehe sie nach dem Norden aufbrächen, erst auf eine Weile das milde Klima von Torquay genössen. Man wünsche daher ernstlich, an diesem Orte eine Wohnung zu miethen, welche alle Bequemlichkeiten und Vortheile bieten würde, derer die Damen so sehr bedürften; doch sei die Schwierigkeit die, eine erfahrene Person zu finden, welche im Stande sei, eine Wohnung zu wählen, wie sie ihrer bedurften. In dieser dringenden Lage wünschte der Graf – in Sir Percival’s Auftrage – zu hören, ob ich Etwas dawider habe, den Damen meinen Beistand zu leisten, indem ich selbst in ihrem Interesse die Reise nach Torquay machte.

Es war für Jemand in meiner Stellung unmöglich, einen in solchen Ausdrücken gemachten Vorschlag entschieden abzuschlagen.

Ich konnte blos wagen, auf die ernstliche Unangemessenheit meiner Abreise von Blackwater Park bei der außergewöhnlichen Abwesenheit aller Diener mit Ausnahme von Margaret Porcher hinzudeuten. Aber Sir Percival sowohl wie der Graf erklärten, daß sie die Unbequemlichkeit im Interesse der kranken Damen sehr gern ertragen wollten. Ich machte dann den achtungsvollen Vorschlag, daß man an einen Hausagenten in Torquay schriebe; aber man erinnerte mich daran, daß es eine Unvorsichtigkeit sein würde, ein Haus zu miethen, das man nicht vorher gesehen habe. Man sagte mir außerdem, daß die Gräfin (welche andernfalls selbst die Reise nach Devonshire gemacht haben würde) ihre Nichte in ihrem gegenwärtigen Zustande nicht verlassen könne, und daß Sir Percival und der Graf Geschäfte mit einander hätten, die sie nöthigten, in Blackwater Park zu bleiben. Kurz, es wurde mir klar gemacht, daß, falls ich die Sache nicht übernähme,·Niemand anders da sei, dem man sie anvertrauen könne. Unter diesen Verhältnissen konnte ich blos Sir Percival ankündigen, daß meine Dienste Miß Halcombe und Lady Glyde zu Gebote stünden.

 

Es wurde darauf ausgemacht, daß ich am nächsten Morgen abreisen, den darauf folgenden Tag mich mit Untersuchung der passendsten Häuser in Torquay beschäftigen und am dritten mit meinem Berichte zurückkehren sollte. Se. Gnaden schrieb ein Memorandum für mich, das die verschiedenen Erfordernisse angab, welche das von mir zu miethende Haus besitzen mußte, und Sir Percival fügte eine Anmerkung in Bezug auf die pecuniäre Grenze bei.

Meine eigne Ansicht, als ich diese Instruktionen durchlas, ging dahin, daß in keinem Badeorte in ganz England eine Wohnung zu finden sei, wie die, welche hier beschrieben war; und daß man sie, selbst wenn man sie zufälligerweise entdeckte, nimmer für irgend welchen Zeitraum unter den mir vorgeschriebenen Bedingungen erhalten würde. Ich machte beide Herren auf diese Schwierigkeit aufmerksam, aber Sir Percival (welcher es übernahm, mir zu antworten) schien dieselbe nicht einzusehen. Es war nicht meine Sache, den Punkt zu bestreiten, und ich sagte Nichts weiter; aber ich war fest überzeugt, daß das Geschäft, in welchem man mich fortschickte, so mit Schwierigkeiten behaftet war, daß es mir schon ehe ich abreiste, als hoffnungslos erschien.

Vor meiner Abreise überzeugte ich mich indessen, daß Miß Halcombe Fortschritte in der Genesung machte. Doch drückte sich in ihrem Gesichte eine schmerzliche Sorge aus, die mich fürchten ließ, daß sie nicht ganz ruhig im Gemüthe sei. Jedenfalls aber erholte sie sich körperlich schneller, als ich hätte erwarten können, und sie schickte Lady Glyde liebevolle kleine Botschaften, daß sie bereits wieder ganz wohl sei und sie nur bitte, sich nicht zu früh anzustrengen. Ich überließ sie der Sorgfalt von Mrs. Rubelle, die noch immer ebenso unabhängig von allen Uebrigen im Hause war, wie vorher. Als ich an Lady Glyde’s Thür klopfte, sagte man mir, daß sie noch immer in einem sehr traurigen Zustande der Schwäche und Abspannung sei; es war die Gräfin, die mich hiervon unterrichtete, und welche zur Zeit ihrer Nichte in ihrem Zimmer Gesellschaft leistete.

Sir Percival und der Graf gingen zusammen auf dem Wege zur Wohnung des Parkhüters spazieren, als ich abfuhr. Ich machte ihnen meine Verbeugung und verließ das Haus, in dem jetzt kein einziges dienendes Wesen blieb, als die Porcher.

Jeder Mensch muß fühlen, was ich damals selbst empfand: daß diese Umstände mehr als ungewöhnlich – daß sie beinahe verdächtig waren. Aber man erlaube mir zu wiederholen, daß es mir in meiner abhängigen Stellung unmöglich war, anders zu handeln, als ich that.

Der Erfolg meiner Reise nach Torquay war genau der, welchen ich vorausgesehen hatte. Es war in dem ganzen Orte keine Wohnung zu finden, wie ich sie zu miethen beauftragt war, und der Preis, den man mir zu bieten gestattet, war viel zu niedrig, als daß man mir die Wohnung dafür gelassen hätte, selbst wenn sie gefunden worden. Ich kehrte am dritten Tage nach Blackwater Park zurück und benachrichtigte Sir Percival, welcher mir an der Thür begegnete, daß meine Reise eine vergebliche gewesen. Er schien zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, um sich um das Mißlingen meines Auftrages zu bekümmern, und seine ersten Worte unterrichteten mich, daß sogar in der kurzen Zeit meiner Abwesenheit sich eine große Veränderung im Hause zugetragen habe.

Der Graf und die Gräfin Fosco hatten Blackwater Park verlassen und ihre neue Wohnung in St. John’s Wood bezogen.

Ich erfuhr Nichts über die Ursache dieser plötzlichen Abreise – sondern nur, daß der Graf ganz besonders freundliche Grüße für mich zurückgelassen habe. Als ich Sir Percival zu fragen wagte, ob Lady Glyde in Abwesenheit der Gräfin jetzt Jemanden habe, der ihr aufwartete, erwiderte er, sie habe Margaret Porcher, und fügte dann hinzu, daß man eine Frau aus dem Dorfe habe kommen lassen, um die Arbeit in der Küche zu verrichten.

Ich war wirklich entrüstet über diese Antwort – es lag eine so grelle Unschicklichkeit darin, eine untere Stubenmagd in einem Vertrauensposten bei Lady Glyde anzustellen. Ich ging sofort hinauf und traf die Margaret auf dem Schlafstuben-Vorsaal. Man hatte ihrer Dienste nicht bedurft (natürlich nicht); ihre Herrin habe sich am Morgen wohl genug befunden, um ihr Bett zu verlassen. Ich erkundigte mich zunächst nach Miß Halcombe, erhielt jedoch eine so verdrießliche, unverständliche Antwort, daß ich dadurch um Nichts klüger wurde. Ich enthielt mich einer Wiederholung meiner Frage, um mich nicht etwa einer impertinenten Antwort auszusetzen. Es war für eine Person in meiner Stellung in jeder Beziehung passender, mich sofort zu Lady Glyde zu begeben.

Ich fand, daß Mylady sich allerdings während der letzten drei Tage bedeutend erholt hatte. Obgleich noch immer matt und nervenschwach, war sie doch im Stande, sich ohne Hülfe zu erheben und mit langsamen Schritten in ihrem Zimmer umher zugehen, ohne eine schlimmere Wirkung davon zu verspüren, als die einer leichten Ermüdung. Sie hatte den Morgen einige Besorgniß um Miß Halcombe gefühlt, da sie durch Niemanden Nachrichten von ihr erhalten. Mir erschien dies als ein höchst tadelnswerther Mangel an Aufmerksamkeit von Mrs. Rubelle, doch sagte ich Nichts, sondern blieb bei Lady Glyde und half ihr Toilette machen. Als sie damit fertig war, verließen wir zusammen das Zimmer, um zu Miß Halcombe zu gehen.

Im Corridor trafen wir Sir Percival. Er sah aus, als ob er uns dort erwartet habe.

»Wohin gehst Du?« sagte er zu Lady Glyde.

»Nach Mariannen’s Zimmer,« antwortete sie.

»Es mag Dir vielleicht eine Täuschung ersparen,« bemerkte Sir Percival, »wenn ich Dir sage, daß Du sie dort nicht finden wirst.«

»Daß ich sie nicht finden werde?«

»Nein. Sie hat gestern mit Fosco und seiner Frau das Haus verlassen.«

Lady Glyde war nicht stark genug, um den Schlag dieser sonderbaren Nachricht zu ertragen. Sie erbleichte, daß es zum Erschrecken war, und lehnte sich an die Wand, indem sie in tiefem Schweigen ihren Gemahl anblickte.

Ich selbst war so überrascht, daß ich kaum wußte, was ich sagen sollte. Ich frug Sir Percival, ob er wirklich damit sagen wolle, daß Miß Halcombe Blackwater Park verlassen habe.

»Ganz gewiß,« entgegnete er.

»In ihrem Zustande, Sir Percival! und ohne Lady Glyde von ihrer Absicht in Kenntniß zu setzen!«

Ehe er noch eine Antwort geben konnte, erholte Mylady sich wieder etwas und sprach.

»Unmöglich!« rief sie mit lauter, erschrockener Stimme, indem sie sich ein paar Schritte von der Wand entfernte. »Wo war der Arzt? Wo war Mr. Dawson, als Marianne fortging?«

»Wir bedurften Mr. Dawson’s nicht, und er war nicht hier,« sagte Sir Percival. »Er verließ uns aus eignem Antriebe, was hinlänglichen Beweis liefert, daß sie wohl genug war, um die Reise zu machen. Wie Du mich angaffst! Wenn Du mir nicht glauben willst, daß sie fort ist, so sieh selbst nach. Oeffne ihre Zimmerthür und all die andern Thüren, wenn Du willst.«