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Die Frau in Weiss

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Es war unmöglich, mich auf die Landstraße zurückzuwagen; dennoch aber war ich fest entschlossen, diesen Abend noch nach Alt-Welmingham zurückzukehren.

Weder Mond noch Sterne ließen sich blicken, um mir zu leuchten. Ich wußte blos, daß ich, als ich Knowlesbury verlassen, Wind und Regen im Rücken gehabt, und falls ich diese Richtung auch jetzt beibehielt, so konnte ich wenigstens annehmen, daß es nicht die ganz verkehrte war.

Hiernach eilte ich über die Felder dahin – ohne andern Hindernissen als Gräben, Hecken und Gebüschen zu begegnen, welche mich hin und wieder nöthigten, ein wenig von meiner Richtung abzuweichen – bis ich mich auf einer Anhöhe fand, wo der Boden sich steil vor mir abwärts senkte. Ich stieg in die Vertiefung hinab, drückte mich durch eine Hecke und befand mich dann in einem Nebenwege. Da ich, als ich die Landstraße verlassen, mich rechts gewendet, so wandte ich mich, in der Hoffnung, dadurch wieder in die Linie zurückzukehren, welche ich verlassen, jetzt wieder links. Nachdem ich ungefähr zehn Minuten lang auf dem schmutzigen Nebenwege dahingegangen war, erblickte ich ein Häuschen, dessen Fenster erleuchtet waren. Das Gartenpförtchen nach der Straße zu war offen und ich trat sofort hinein, um mich nach dem Wege zu erkundigen.

Ehe ich noch an die Thür klopfen konnte, wurde dieselbe plötzlich geöffnet, und ein Mann kam mit einer brennenden Laterne herausgelaufen Er stand still und hielt die Laterne empor, und wir standen Beide überrascht da, als wir einander erblickten. Meine Irrfahrten hatten mich außen um das Dorf herum und am untern Ende desselben hinein geführt. Ich war in Alt-Welmingham, und der Mann mit der Laterne war Niemand Anderes als meine Bekanntschaft von heute Morgen: der alte Küster.

Sein Wesen schien sich, seit ich ihn zuletzt gesehen, auf seltsame Weise verändert zu haben. Er sah argwöhnisch und verändert aus, seine blühenden Wangen waren tief geröthet und seine ersten Worte, als er mich anredete, mir vollkommen unverständlich.

»Wo sind die Schlüssel?« frug er. »Haben Sie sie genommen?«

»Welche Schlüssel?« frug ich. »Ich komme in diesem Augenblicke aus Knowlesbury zurück. Von welchen Schlüsseln sprechen Sie?«

»Die Schlüssel zur Sacristei. Der Herr erbarme sich unser! Was soll ich machen? Die Schlüssel sind fort! Hören Sie wohl?« schrie der alte Mann, in seiner Aufregung die Laterne gegen mich schüttelnd, »die Schlüssel sind fort!«

»Wie? Wann? Wer kann sie genommen haben?«

»Ich weiß nicht,« sagte der Küster, in der Finsterniß wild um sich stierend. »Ich bin eben erst wieder nach Hause gekommen. Ich sagte Ihnen heute Morgen, ich habe heute lange zu thun – ich verschloß die Thür und das Fenster ebenfalls – und jetzt ist es offen – das Fenster ist offen. Sehen Sie! Es ist Jemand hineingestiegen und hat die Schlüssel genommen!«

Er wandte sich dabei nach dem Fenster zu, um mir zu zeigen, daß es offen war. Das Thürchen der Laterne öffnete sich bei seinem Schwenken derselben, und der Luftzug blies das Licht aus.

»Holen Sie sich schnell ein anderes Licht,« rief ich, »und lassen Sie uns dann zusammen nach der Sacristei eilen. Schnell! schnell!«

Ich trieb ihn ins Haus. Der Anschlag, den ich alle Ursache zu erwarten hatte und der mich jedes Vortheils berauben konnte, den ich bisher gewonnen, war vielleicht in diesem Augenblicke schon ausgeführt zu werden im Begriffe. Meine Ungeduld, nach der Kirche zu kommen, war so groß, daß ich, während der Küster nach Licht suchte, nicht unthätig in der Hütte bleiben konnte. Ich ging den Gartensteig entlang in die Straße hinunter. Ehe ich noch zehn Schritte gegangen war, kam mir ein Mann von der Kirche her entgegen. Er redete mich achtungsvoll an, als er mir näher kam. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen; doch nach der Stimme allein zu urtheilen war er« mir gänzlich fremd.

»Ich bitte um Verzeihung, Sir Percival –« begann er.

Ich unterbrach ihn, ehe er weiter sprechen konnte.

»Die Dunkelheit täuscht Sie,« sagte ich, »ich bin nicht Sir Percival.«

Der Mann trat schnell zurück.

»Ich glaubte, es sei mein Herr,« murmelte er auf verwirrte, unsichere Weise.

»Sie erwarteten, Ihren Herrn hier zu treffen?«

»Ich hatte Befehl, ihn hier im Nebenwege zu erwarten.«

Mit dieser Antwort ging er wieder in der Richtung zurück, aus der er gekommen war. Ich schaute mich nach der Hütte um und sah den Küster mit der Laterne herauskommen. Ich nahm des alten Mannes Arm, um ihm um so schneller fortzuhelfen. Wir eilten den Weg entlang und kamen an dem Manne vorbei, welcher mich angeredet hatte. So gut ich Dies bei dem Lichte der Laterne zu sehen vermochte, war er ein Diener ohne Livree.

»Wer ist das?« flüsterte der Küster. »Weiß er Etwas von den Schlüsseln?«

»Wir wollen uns nicht damit aufhalten, ihn zu fragen,« antwortete ich, »sondern schnell erst nach der Sacristei eilen.«

Die Kirche war selbst bei Tage nicht eher zu sehen, als bis man am Ende des Nebenweges stand. Als wir die kleine Anhöhe hinanstiegen, welche von diesem Punkte aus nach dem Gebäude führte, kam eins der Dorfkinder– ein Knabe – dicht zu uns heran und erkannte beim Lichte unserer Laterne den Küster.

»Wißt Ihr was, Meister,« sagte der Bursche, den Küster am Rocke zupfend, »’s ist da oben Wer in der Kirche. Ich hört’n die Thüre hinter sich schließen – und hört’n ein Licht anmachen.«

Der Küster zitterte und lehnte sich schwer auf meinen Arm.

»Kommt! kommt!« sagte ich, ihn ermuthigend »Wir kommen noch nicht zu spät. Wir wollen ihn fangen, wer er auch sei. Halten Sie die Laterne fest und folgen Sie mir, so schnell Sie können.«

Ich stieg schnell den Hügel hinan. Die dunkle Masse des Kirchthurms war das Erste, was ich undeutlich sich auf dem Nachthimmel abzeichnen sah. Als ich zur Seite bog, um nach der Sacristei zu gehen, hörte ich schwere Schritte dicht neben mir. Der Bediente war uns zur Kirche gefolgt. »Ich beabsichtige Ihnen kein Leides zu thun,« sagte er, als ich mich schnell zu ihm wandte; »ich suche blos meinen Herrn.«

Der Ton, in dem er Dies sagte, verrieth deutlich, daß er in Furcht war. Ich nahm keine Notiz von ihm und ging weiter.

Sowie ich um die Ecke kam und die Sacristei sehen konnte, sah ich, daß das Gewölbefenster auf dem Dache hell von innen erleuchtet war. Dasselbe leuchtete mit einer blendenden Helle gegen den dunkeln, sternlosen Himmel.

Ich lief durch den Kirchhof der Thüre zu.

Als ich näher kam, stahl sich ein sonderbarer Geruch durch die feuchte, stille Luft mir entgegen. Ich hörte drinnen ein Geräusch, wie von einem zusammenschnappenden Schlosse – ich sah das Licht oben heller und heller werden – eine Glasscheibe zersprang – ich rannte auf die Thüre zu und legte meinen Arm dagegen. Die Sacristei brannte!

Ehe ich mich noch rühren, ehe ich nach dieser Entdeckung Athem schöpfen konnte, erfüllte mich ein schwerer Fall von innen gegen die Thüre mit Entsetzen. Ich hörte, wie der Schlüssel heftig im Schlosse hin und her gedreht wurde – ich hörte hinter der Thüre die Stimme eines Mannes in entsetzlich gellenden Tönen um Hülfe schreien.

Der Bediente, der mir gefolgt war, fuhr schaudernd zurück und fiel auf seine Kniee. »O mein Gott!« rief er aus; »es ist Sir Percival!«

Als die Worte seinen Lippen entfuhren, trat der Küster zu uns – und in demselben Augenblicke ließ sich das Geräusch des Schlüssels im Schlosse noch einmal und zum letzten Male hören.

»Der Herr erbarme sich seiner Seele!« rief der Küster aus. »Er ist des Todes. Er hat das Schloß verdreht!«

Ich stürzte gegen die Thür. Der eine, Alles verzehrende Gedanke, der seit Wochen mein ganzes Innere erfüllt und alle meine Handlungen geleitet hatte, schwand in einer Secunde aus meinem Geiste. Alle Erinnerungen an das grenzenlose Elend, welches des Mannes herzloses Verbrechen verursacht hatte, an die Liebe, die Unschuld und das Glück, die er so erbarmungslos mit Füßen getreten, an den Eid, den ich im eignen Herzen geschworen, daß ich furchtbare Rechenschaft von ihm fordern wolle – schwand wie ein Traum aus meinem Gedächtnisse. Ich dachte an Nichts weiter, als an das Entsetzliche seiner Lage; ich fühlte Nichts als den natürlichen menschlichen Drang, ihn von einem furchtbaren Tode zu retten.

»Versuchen Sie die andere Thüre!« schrie ich ihm zu, »versuchen Sie die andere Thüre, die in die Kirche führt! Das Schloß ist verdreht. Sie sind des Todes, wenn Sie noch einen Augenblick dabei verlieren!«

Es hatte sich, als der Schlüssel zum letzten Male im Schlosse umgedreht wurde, kein erneuerter Hülferuf hören lassen, und es war jetzt kein Ton irgend einer Art mehr zu vernehmen, der uns bewiesen hätte, daß er noch am Leben sei. Ich vernahm Nichts, als das immer schnellere Knistern der Flammen und das scharfe Zerspringen der Glasscheiben im Gewölbefenster.

Ich sah mich um nach meinen beiden Begleitern. Der Diener war aufgestanden, hatte die Laterne ergriffen und hielt dieselbe mit geistesabwesendem Gesichte gegen die Thüre. Der Schreck schien ihn geradezu mit Blödsinn geschlagen zu haben – er wartete an meinen Fersen und folgte mir, wohin ich mich wandte, wie ein Hund. Der Küster saß kauernd, stöhnend und bebend auf einem Grabsteine. Der kurze Blick, den ich auf die Beiden warf, genügte, um mich zu überzeugen, daß ich von ihnen keine Hülfe zu erwarten hatte.

Indem ich kaum wußte, was ich that, und nur nach dem Drange meiner Gefühle handelte, erfaßte ich den Diener und stieß ihn gegen die Mauer der Sacristei. »Bücken Sie sich!« sagte ich, »und halten Sie sich an den Steinen. Ich werde über Sie auf’s Dach steigen – ich werde das Gewölbefenster einbrechen und ihm etwas Luft geben!«

Der Mann zitterte am ganzen Leibe, aber er stand fest. Ich stieg, mit meinem Knittel im Munde, auf seinen Rücken, faßte die Vormauer mit beiden Händen und hatte mich im Nu auf das Dach geschwungen: In der wahnsinnigen Eile und Aufregung des Augenblickes fiel es mir gar nicht ein, daß ich, anstatt blos die Luft hineinzulassen, die Flamme herauslassen würde. Ich schlug auf das Gewölbefenster und zerbrach das zersprungene, gelöste Glas mit einem Schlage. Das Feuer sprang heraus wie ein wildes Thier aus seinem Hinterhalte. Hätte der Wind es nicht glücklicherweise in der Richtung von mir fort getrieben, so hätten hiermit alle meine Bemühungen ihr Ende erreicht. Ich kauerte auf dem Dache nieder als Rauch und Flamme über mich herausströmten Das Leuchten des Feuers zeigte mir das Gesicht des Dieners, das blödsinnig zu mir heraufstierte; den Küster, der aufgestanden war und in Verzweiflung die Hände rang, und die spärliche Bevölkerung des Dorfes, bleiche Männer und erschrockene Frauen, die sich außerhalb des Kirchhofes drängten – die Alle in der furchtbaren Gluth der Flammen auftauchten und in dem schwarzen, erstickenden Rauche wieder verschwanden. Und der Mann unter mir! – der Mann der uns Allen so nahe und so hoffnungslos außer unserem Bereiche erstickte, verbrannte, starb!

 

Der Gedanke machte mich beinah wahnsinnig. Ich ließ mich an den Händen vom Dache herunter und fiel auf den Boden.

»Den Schlüssel zur Kirche!« schrie ich dem Küster zu. »Wir müssen es von der anderen Seite versuchen – wir mögen ihn noch retten können, wenn wir die innere Thür sprengen.«

»Nein, nein, nein!« schrie der alte Mann. »Keine Hoffnung! Der Schlüssel zur Kirchenthüre und der zur Sacristei sind an demselben Ringe – beide da drinnen! O, Sir, er ist nicht mehr zu retten – er ist jetzt schon Staub und Asche!«

»Sie werden das Feuer von der Stadt aus sehen,« sagte eine Stimme unter den Leuten zu mir. »Sie haben eine Feuerspritze in der Stadt. Sie werden die Kirche retten.«

Ich rief dem Manne zu – er wenigstens hatte noch etwas Geistesgegenwart – ich rief ihm zu, er möge zu mir kommen. Es mußte wenigstens eine Viertelstunde währen, ehe die Feuerspritze uns zu Hülfe kommen konnte. Der grauenvolle Gedanke, so lange in Unthätigkeit zu bleiben, war mehr als ich ertragen konnte. Trotz Allem, was meine eigene Vernunft mir sagte, überredete ich mich, daß der Unglückliche bewußtlos in der Sacristei am Boden liege und noch nicht todt sei. Falls wir die Thür sprengten, konnten wir ihn nicht noch retten? Ich wußte, wie stark das schwere Schloß war und wie dick die Thür von nägelbeschlagenem Eichenholze – ich wußte, wie hoffnungslos es sei, eins oder das andere auf gewöhnlichem Wege anzugreifen. Aber gab es denn in den abgerissenen Hütten rund umher keinen Balken? Konnten wir uns nicht einen solchen holen und ihn als Sturmbock gegen die Thür anwenden?

Der Gedanke sprang auf in mir, wie die Flammen durch das zerschlagene Gewölbefenster gesprungen waren. Ich sprach zu dem Manne, welcher zuerst der Feuerspritze erwähnt hatte: »Haben Sie Ihre Spitzaxt zur Hand?« Ja, sie hatten sie. »Und ein Beil, eine Säge und einen Reif?« Ja! ja! ja! »Fünf Schillinge für Jeden, der mir hilft!« Die Worte gaben ihnen Leben. Jener gierige zweite Hunger der Armuth: der Hunger nach Geld brachte sie sofort in Bewegung und Thätigkeit. »Zwei von Euch – bringt noch Laternen mit, wenn Ihr welche habt! Zwei holen Spitzhacken und Brechwerkzeuge! Die Anderen mir nach, um einen Balken zu holen.« Sie schrieen – mit gellenden, verhungerten Stimmen schrieen sie Hurrah! Die Frauen und Kinder stoben zu beiden Seiten auseinander. Wir stürzten zusammen den Pfad vom Kirchhofe der ersten leeren Hütte zu hinunter. Kein Mann blieb zurück, außer dem Küster – dem armen, alten Küster, der schluchzend und jammernd auf einem Grabsteine den Verlust der Kirche betrauerte. Der Bediente folgte mir noch immer auf den Fersen; sein weißes, hülfloses, entsetztes Gesicht blickte dicht über meine Schulter hinweg, als wir uns in die Hütte drängten. Es lagen Sparren von der abgerissenen Decke am Boden – doch waren sie zu leicht. Ein Balken lag oben über unseren Häupten, doch nicht außer dem Bereiche unserer Arme und Hacken – ein Balken, der an beiden Enden in der zerfallenden Mauer festsaß, um den der Boden und die Decke fortgebröckelt war und über dem ein großes Loch im Dache den Himmel zeigte. Wir griffen den Balken an beiden Enden zugleich an. O Gott! wie fest er saß – wie uns Stein und Kalk widerstand. Wir hackten und hieben und rissen. Der Balken wich an einem Ende – er stürzte herunter, gefolgt von einer Schuttmasse. Die Weiber, die sich alle um den Eingang drängten, um uns zuzuschauen, stießen einen Schrei aus – die Männer einen lauten Ausruf – zwei von ihnen lagen am Boden, doch unverletzt. Noch einen Riß mit gesammter Anstrengung – der Balken war an beiden Enden los. Wir hoben ihn auf und befahlen, am Eingange Raum zu machen. Jetzt ans Werk! Jetzt auf sie Thür los! Da ist das Feuer, das zum Himmel hinan speiet, heller denn je, um uns zu leuchten! Vorsichtig, den Pfad entlang, vorsichtig mit dem Balken – auf die Thüre zu. Eins, zwei, drei – und los! Das Hurrahrufen erschallte unbezähmbar. Wir haben die Thür bereits erschüttert; die Angeln müssen sich lösen, falls das Schloß sich sprengen läßt. Noch einen Stoß mit dem Balken! Eins, zwei, drei – los! Sie weicht! Das schleichende Feuer leckt uns aus jeder Spalte an. Noch einen letzten Stoß! Die Thür bricht krachend ein. Eine große, angsterfüllte, athemlose, erwartungsvolle Stille hält jede lebende Seele umfangen. Wir suchen nach dem Körper. Die sengende Hitze, die unseren Gesichtern begegnet, treibt uns zurück: wir sehen Nichts – oben, unten, im ganzen Zimmer sehen wir nichts als eine große Flammenmasse.

»Wo ist er?« flüsterte der Diener, blödsinnig in die Flammen stierend.

»Er ist Staub und Asche,« sagte der Küster. »Und die Bücher sind Staub und Asche – und o, Ihr Herren! die Kirche wird auch bald Staub und Asche sein.«

Sie waren die einzigen Beiden, welche sprachen. Als sie wieder schwiegen, war Nichts weiter zu hören, als das Knistern und Lodern der Flammen.

Horch!

Ein scharfer, rasselnder Ton aus der Ferne – dann das hohle Trampeln von Pferdefüßen im schnellen Gallopp – dann das Getöse, der Alles übertönende Tumult von Hunderten von menschlichen Stimmen, die Alle zugleich schreien und rufen. Endlich ist die Feuerspritze da.

Die Leute um mich her wandten sich Alle vom Feuer dem Gipfel der Anhöhe zu. Der alte Küster versuchte, ihnen zu folgen, aber seine Kraft war erschöpft. Ich sah, wie er sich an einem der Grabsteine festhielt. »Rettet die Kirche!« rief er mit matter Stimme, wie wenn er schon jetzt von den Feuerleuten gehört zu werden erwartete. »Rettet die Kirche!«

Der Einzige, der sich nicht rührte, war der Bediente. Da stand er – die Augen noch immer mit demselben geistesabwesenden Blicke auf die Flammen geheftet. Ich redete auf ihn hinein und schüttelte ihn am Arme: er war nicht zu erwecken. Er flüsterte blos immer wieder: »Wo ist er?«

In zehn Minuten war die Spritze aufgestellt; aus dem Brunnen auf der Hinterseite der Kirche versah man sie mit Wasser und trug dann den Schlauch an den Eingang der Sacristei. Falls man jetzt der Hülfe von mir bedurft, so hätte ich sie nicht leisten können. Meine Willenskraft war fort – meine Kräfte erschöpft – der Aufruhr meiner Gedanken war jetzt, da ich wußte, er sei todt, auf furchtbare, plötzliche Weise gestillt. Ich stand nutzlos und hülflos da und stierte in das brennende Zimmer hinein.

Ich sah,wie man langsam das Feuer überwältigte. Die Helle der Gluth erbleichte – der Dampf erhob sich in weißen Wolken und die glimmenden Aschenhaufen zeigten sich roth und schwarz auf dem Boden. Es trat ein Stille ein – dann begaben sich die Leute von der Feuerbrigade und von der Polizei an den Eingang – es erfolgte eine Berathung von leisen Stimmen – und dann wurden zwei von den Männern durch die Menge hindurch fortgeschickt. Die Menge wich zu beiden Seiten zurück, um sie durchzulassen.

Nach einer Weile rann ein großes Entsetzen durch das Gedränge, die lebendige Allee wurde langsam breiter. Die Männer kamen auf derselben mit einer Thür aus einer der leeren Hütten zurück. Sie trugen dieselbe an die Sacristei und gingen hinein. Die Polizei umringte abermals den Eingang; die Leute schlichen sich zu Zweien und Dreien aus der Menge heraus und stellten sich hinter die Polizei, um es zuerst zu sehen. Andere warteten in der Nähe, um es zuerst zu hören. Frauen und Kinder gehörten zu den Letzteren.

Die Berichte aus der Sacristei fingen an, unter die Menge zu kommen – dieselben fielen langsam von Munde zu Munde, bis sie den Ort erreichten, an dem ich stand. Ich hörte die Fragen und Antworten mit leisen, eifrigen Stimmen um mich her wiederholen.

»Haben sie ihn gefunden?« »Ja.« – »Wo?« »An der Thür. Mit dem Gesichte an der Thür.« »An welcher Thür?« »An der Thür, die in die Kirche führt.« – »Ist sein Gesicht verbrannt?« »Nein.« »«Ja.« »Nein; versengt, aber nicht verbrannt. Er lag mit dem Gesichte gegen die Thür gelehnt, sag’ ich Euch ja.« – »Wer war er? Ein Lord, sagen sie.« »Nein, kein Lord. Sir Soundso; Sir heißt soviel wie Ritter.« »Und wie Baronet.« »Nein.« »Ja doch.« »Was wollte er da drinnen?« »Nichts Gutes, kannst Du glauben!« – »That er es vorsätzlich?« »Ob er sich vorsätzlich verbrannt hat!« – »Ich meine nicht sich selbst, sondern ob er die Sacristei vorsätzlich verbrannt hat.« – »Sieht er sehr schrecklich aus?« »Entsetzlich!« – »Aber nicht im Gesichte?« »Nein, nein; im Gesichte nicht so schlimm.« – »Kennt ihn kein Mensch?« »Es ist da ein Mann, der sagt, er kennt ihn.« – »Wer?« »Ein Bedienter, heißt es. Aber er scheint ganz verdummt zu sein und die Polizei glaubt ihm nicht.« – »Weiß kein Mensch, wer es ist?« »Stille –!«

Die laute, klare Stimme eines Mannes in Autorität brachte das leise summende Gespräch um mich her augenblicklich zum Schweigen.

»Wo ist der Herr, der ihn zu retten versuchte?« frug die Stimme,

»Hier, Sir – hier ist er!« Dutzende von eifrigen Gesichtern drängten sich um mich, und Dutzende von Armen trennten die Menge. Der Mann in Autorität kam mit einer Laterne in der Hand zu mir heran.

»Hierher, Sir, wenn’s gefällig ist,« sagte er ruhig.

Es war mir nicht möglich, zu ihm zu sprechen und unmöglich, mich ihm zu widersetzen, als er meinen Arm faßte. Ich versuchte ihm zu erklären, daß ich den Todten nie zu dessen Lebzeiten gesehen – daß keine Hoffnung vorhanden sei, ihn durch einen Fremden, wie ich war, zu identificiren. Aber die Worte erstarben mir auf den Lippen. Ich war schwach und stille und hülflos.

»Kennen Sie ihn, Sir?«

Ich stand mitten in einem Kreise von Männern. Drei von ihnen, die mir gegenüber standen, hielten Laternen tief am Boden. Ihre Augen und die Augen aller Uebrigen waren erwartungsvoll auf mein Gesicht gerichtet. Ich wußte, was zu meinen Füßen lag – ich wußte, warum sie die Laternen so tief am Boden hielten.

»Können Sie ihn identifizieren, Sir?«

Meine Blicke senkten sich langsam. Zuerst sahen sie nichts als ein grobes Canevastuch. Das Tröpfeln des Regens auf dasselbe war deutlich zu hören. Ich blickte weiter hinauf an dem Canevastuche entlang, und da am Ende, steif, grimmig und schwarz in dem gelben Scheine – da lag sein todtes Gesicht.

So sah ich ihn zum ersten und letzten Male. Es war Gottes Wille gewesen, daß er und ich einander so begegneten!