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Gesetz und Frau

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Vierzehntes Capitel.
Mehr von meiner Halstarrigkeit

Als wir hinunterkamen fanden wir Ariel, halb schlafend, halb wachend, auf dem Flur. Ohne mit uns zu sprechen ohne uns anzublicken führte sie uns durch den Garten und schloß die Thüre hinter uns zu.

»Gute Nacht Ariel!« rief ich ihr nach. Ich erhielt keine Antwort als ihren schweren nach dem Hause zurückkehrenden Schritt und einen Augenblick darauf das dröhnende Zuschlagen der Thür.

»Nun,« sagte meine Schwiegermutter, als wir wieder im Wagen saßen, »wie hat Ihnen Miserrimus Dexter gefallen? Toller wie heut habe ich ihn nie gesehen.«

»Es thut mir leid, Ihnen widersprechen zu müssen,« sagte ich; »aber wahnsinnig habe ich ihn nicht gefunden.«

»Nicht wahnsinnig!« rief Mrs. Macallan.

»O, Valeria! Wie können Sie einen solchen Mann für vernünftig halten?«

»Ich bitte um Verzeihung, Mrs. Macallan. Ich war gewiß ebenso erschreckt wie Sie aber jetzt da ich mich wieder beruhigt kann ich doch nicht umhin, den Wahnsinn dieses seltsamen Menschen anzuzweifeln. Mir scheint es, als wenn er Gedanken und Gefühle, welche wir als Schwachheiten in uns verschließen würden offen und ungescheut darlegt. Auch uns passirt es in den Kinderjahren, daß wir uns in andere Gestalten hinein versetzt denken, z.B. in märchenhafte Persönlichkeiten von denen wir gelesen oder von denen man uns erzählt. Mr. Dexter hat diese Eigenthümlichkeit beibehalten, wenn aber seine Einbildungskraft sinkt ist er wieder ein vollkommen vernünftiger Mensch. Die Einsamkeit in der er lebt trägt auch gewiß viel dazu bei, seine Sonderbarkeiten zu nähren. Ich hoffe daß dies offene Geständniß mich nicht ernstlich in ihrer guten Meinung von mir zu rücksetzen werde, der Besuch hat lebhaft mein Interesse in Anspruch genommen.«

»Sie wollen ihn doch nicht etwa noch einmal sehen?« fragte Mrs. Macallan.

»Das kommt darauf an, wie ich morgen früh über die Sache denke,« sagte ich. »Für heute habe ich mir allerdings vorgenommen meinen Besuch bei ihm zu wiederholen. Wir begannen ein Gespräch, dessen Fortsetzung meiner Sache von großem Nutzen werden dürfte, jener Sache, welche jetzt das einzige Interesse meines Lebens bildete, die Sie aber leider mißbilligen.«

»Sie wollen ihn doch nicht in Ihr Vertrauen ziehen.«

»Das denke ich allerdings. Es ist ein Wagniß, aber ich muß das Wagniß bestehen. Ich handle vielleicht nicht klug, aber die bloße Klugheit wird mich nicht zum Ziele führen.«

Mrs. Macallan machte keine fernere Erwiderung. Sie nahm aus einer Wagentasche eine Schachtel mit Zündhölzern und eine Eisenbahnlampe.

»Sie zwingen mich, Ihnen mitzutheilen, was Ihr Gatte über Ihren nette Sonderbarkeit sagt,« meinte sie. »Ich habe seinen letzten Brief aus Spanien bei mir. Sie werden selbst hören, ob mein Sohn des hoffnungslosen Opfers werth ist, das Sie ihm bringen wollen. Zünden Sie ein Licht an.«

Ich gehorchte. Nachrichten von meinem Gatten, wie dieselben auch sein mochten, mußten immer eine belebende Wirkung auf mich ausüben.

Als die Lampe brannte, zog Mrs. Macallan ihres Sohnes Brief hervor. Keine Thorheit gleicht im Entfernsten der Thorheit der Liebe. Es kostete mich große Selbstbeherrschung, den Brief nicht zu küssen, den sie in ihrer Hand hielt.

»Da!« sagte meine Schwiegermutter. »Beginnen Sie auf der zweiten Seite, die von Ihnen handelt; dann werden Sie hoffentlich, ehe zu spät ist, zu einer besseren Ueberzeugung kommen.«

Ich nahm den Brief und las folgende Worte:

»Und nun laß mich von Valeria sprechen. Sage mir, wie sie sich befindet, wie sie aussieht, was sie thut. Ich denke fortwährend an sie. An jedem Tage betrauere ich ihren Verlust. O, wenn sie niemals die entsetzliche Wahrheit entdeckt hätte!

Als ich sie zum letzten male sah, sprach sie davon, den Prozeß lesen zu wollen. Hat sie es gethan? Ich glaube, ich würde vor Scham und Entsetzen todt zu Boden gesunken sein, wenn ich, nachdem sie von der furchtbaren Anklage gegen mich gehört, ihr gegenüber getreten wäre. Ich werde krank, wenn ich daran denke.

Hält sie noch immer jenen hoffnungslosen Plan aufrecht, meine Unschuld vor der Welt beweisen zu wollen, so bitte ich Dich, Mutter, gebrauche Deinen ganzen Einfluß auf sie, Valeria diese unglückliche Idee aufgeben zu lassen. Versäume kein Mittel, das in Deiner Macht steht, sie von ihrem Vorhaben abzubringen.

Ich sende ihr keinen Gruß. Rufe mich nicht in ihre Erinnerung zurück, sondern hilf ihr, mich zu vergessen. Das Beste, was ich für sie thun kann, ist, mich ans ihrem Gedächtniß zu löschen.«

Ich gab schweigend den Brief meiner Schwiegermutter zurück.

»Wenn Sie das nicht entmuthigt, wird Sie allerdings nichts entmuthigen,« sagte sie. »Lassen Sie uns nun über die Sache schweigen.«

Ich antwortete nicht, sondern weinte hinter meinem Schleier. Meine häuslichen Aussichten wurden immer trauriger; mein unglücklicher Gatte war fast hoffnungslos mißleitet. Das einzige Rettungsmittel für uns beide war das Festhalten an meinem Entschluß. Der Brief meines Gatten hatte mich noch mehr darin bestärkt. Wenigstens hatte er mich nicht vergessen und betrauerte meinen Verlust. Hierin bestand für den Augenblick meine Ermuthigung.

»Wenn Ariel mich morgen abholt,« dachte ich bei mir selbst, »dann fahre ich mit Ariel hinaus.«

Mrs. Macallan setzte mich an Benjamins Thür ab.

Im Augenblick des Scheidens theilte ich ihr mit, daß Mr. Dexter mich morgen von ihrer Wohnung abholen lassen wollte und daß ich deshalb um Erlaubniß bäte zur verabredeten Zeit zu ihr kommen zu dürfen, widrigenfalls ich sie ersuchte, den Wagen zu Mr. Benjamin zu schicken. Ich hatte auf diese meine Willensäußernng mindestens eine starke Mißbilligung erwartet. Diese erfolgte jedoch nicht.

»Wenn Sie darauf bestehen, Mr. Dexter abermals zu besuchen, so soll dies wenigstens nicht von meiner Thüre aus geschehen,« sagte sie. »Aber ich hoffe, Sie werden Sich morgen früh anders besonnen haben.«

Der Morgen kam. Wenige Minuten vor neun ward mir das Eintreffen der Pony-Equipage gemeldet und mir gleichzeitig ein Brief von Mrs. Macallan übergeben.

»Ich habe kein Recht, Ihren Handlungen zu überwachen,« schrieb meine Schwiegermutter. »Ich schicke also den Wagen zu Mr. Benjamin’s Hause und hege die feste Ueberzeugung daß Sie Sich nicht hineinsetzen werden. Ich wünschte, ich könnte Sie umstimmen, Valeria; denn ich bin ihre aufrichtige Freundin. Ich bedaure jetzt mehr denn je, daß ich mich damals nicht hartnäckiger Ihrer unglücklichen Heirath widersetzte. Hätte mein Sohn mir genauere Angaben gemacht, hätte er mir vor allen Dingen Ihren Namen genannt, dann würde ich zu Ihnen geeilt sein« und es wäre mir vielleicht gelungen, Sie zur Feindin meines eigenen Sohnes zu machen. Weshalb quäle ich Sie denn mit eines alten Weibes Mißbilligungen und Vorwürfen? Weil ich mich für verantwortlich halte, wenn Ihnen irgend ein Unglück geschieht. Derselbe Gedanke hat auch diesen Brief in’s Leben gerufen. Gehen Sie nicht zu Mr. Dexter! Ich kann mich des Gedankens nicht entschlagen, daß der Besuch übel ausfallen werde. Schreiben Sie ihm eine Entschuldigung. Ich fühle, daß Sie es bereuen werden, wenn Sie in jenes Hans zurückkehren.«

Wurde jemals ein Weib liebevoller gewarnt als ich? Und dennoch schlug ich die Warnung in den Wind.

Ich war gerührt durch den Brief meiner Schwiegermutter, aber nicht überzeugt. Es schwebte mir ein leuchtender Stern vor, der mich unwiderstehlich nach sich zog, dieser Stern war die Hoffnung, meines Mannes Unschuld beweisen zu können.

Ich schrieb Mrs. Macallan einen dankbaren Brief und begab mich dann hinaus, um die Chaise zu besteigen.

Fünfzehntes Capitel.
Mr. Dexter zu Hause

Vor der Thüre fand ich die ganze Straßenjugend der Umgegend um die Pony-Equipage versammelt, und mancher Witz fiel über den seltsamen Kutscher, im rothen Unterrock und mit dem Männerhut. Der Ponty, welcher sich eben falls verhöhnt glaubte, begann unruhig zu werden. Ariel saß, die Peitsche in der Hand, völlig gefühllos für die Welt um sich her. Ich bot ihr einen guten Morgen, als ich einstieg, sie erwiderte denselben nur mit einem »Hü!« und es ging von dannen. Ich hatte mich selbstverständlich darauf gefaßt gemacht, die große Tour stillschweigend zurückzulegen. Was sollte ich auch mit Ariel sprechen, da Ariel nicht antwortete. Aber die Erfahrung ist nicht immer unfehlbar. Nachdem wir eine halbe Stunde gefahren waren, überraschte mich Ariel durch eine Anrede.

»Wissen Sie wohin wir nun kommen?« fragte sie, dem Pony scharf auf die Ohren sehend.

»Nein,« antwortete ich.

»Wohin kommen wir denn?«

»Wir kommen an einen Kanal.«

»Nun ?«

»Nun! Ich habe große Lust, Sie hinein zu werfen.«

Diese furchtbare Ankündigung ließ mich eine Erklärung wünschen. Ich nahm mir die Freiheit, sie zu verlangen.

»Und weshalb wollten Sie mich hineinwerfen?« erkundigte ich mich.

»Weil ich Sie hasse,« war die kalte und kurze Antwort.

»Wodurch habe ich Sie denn beleidigt?«

»Was haben Sie denn mit meinem Herrn , vor?«

»Meinen Sie Mr. Dexter?«

»Ich will mit Mr. Dexter sprechen.«

»Das ist nicht wahr! Sie wollen meine Stelle haben. Sie wollen sein Haar und seinen Bart bürsten Sie altes Scheusal!«

Nun begann ich zu verstehen. Die Idee, welche Mr. Dexter gestern Abend scherzend ausgesprochen war ihr nach 15 Stunden zum Verständniß gekommen.

»Ich will sein Haar und seinen Bart nicht anrühren« sagte ich. »Das überlasse ich Ihnen gänzlich.«

Sie blickte sich nach mir um und ihr Antlitz leuchtete.

»Sagen Sie es noch einmal,« rief sie; »aber dieses mal sagen Sie es leiser.«

Ich sagte es noch einmal und sagte es leiser.

»Schwören Sie es!« rief sie immer aufgeregter.

Da der Kanal gerade in der Nähe war, schwur ich.

 

»Sind Sie nun zufrieden?« fragte ich.

Ich erhielt keine Antwort. Der Vorrath ihrer Rede war erschöpft. Das seltsame Wesen stieß ein zufriedenes Grunzen aus, blickte dem Pony wieder zwischen die Ohren hindurch und sprach während der Fahrt kein Wort mehr mit mir. Wir fuhren am Ufer des Kanals dahin, ohne daß Sie daran dachte mich hinein zu werfen. Wir rasselten durch elende Straßen und über jene unbebauten Flecken deren ich mich von gestern erinnerte, die aber im hellen Tageslicht noch weit abschreckender und ärmlicher aussahen. Der Wagen fuhr eine Gasse hinunter, in welcher ein zweites Gefährt nicht hätte ausweichen können und hielt dann an einer Mauerpforte, die mir neu war. Ariel öffnete die Pforte mit einem Schlüssel und führte den Pony dann durch den hinteren Garten und auf den Hof des Mr. Dexter gehörigen baufälligen Hauses. Der Pony ging, den Wagen nach sich ziehend, sogleich in den Stall. Meine schweigende Gefährtin geleitete mich durch eine finstere Küche und eine eben solche Passage. Eine Thür rechts öffnend gelangten wir auf den bereits bekannten Flur. Hier führte Ariel ein kleines Instrument an den Mund und blies die schrillen vogelartigen Töne, mit denen ich ebenfalls schon Bekanntschaft gemacht hatte.

»Warten Sie hier, bis Sie den Herrn pfeifen hören dann gehen Sie hinauf.«

So äußerte sie sich zum letzten Mal.

Es wurde mir also gepfiffen wie einem Hunde. Und noch schlimmer, ich mußte gehorchen wie ein Hund.

Ariel kehrte mir den Rücken und verschwand in der dunklen Region der Küche.

Nachdem ich eine oder zwei Minuten gewartet hatte, ohne daß ein Signal ertönt war, trat ich auf die hellere Seite des Flurs, auf der sich eine Anzahl von Bildern befand, die von Mr. Dexter selbst gemalt waren und so wilde, grausige Gegenstände darstellten, daß meine Nerven allmälich heftig erregt wurden und ich erschrocken zusammenfuhr, als der schrille Ton der Pfeife an mein Ohr drang. Ich mußte mich setzen und es dauerte mehrere Minuten ehe ich meine Kaltblütigkeit wiedergewonnen hatte.

Die schrille Pfeife ertönte zum zweiten mal. Ich stand auf und stieg die Treppe zum ersten Stockwerk empor. Mein Herz klopfte noch ungestüm als ich mich der Thür des Vorzimmers näherte, und ich muß gestehen, daß ich in diesem Augenblick meine Fürwitzigkeit bereute.

Die niederhängende Tapete, welche die innere Thür bedeckte, war bei Seite gezogen. So leise meine Schritte auch waren, das feine Gehör Mr. Dexters hatte sie bereits erspäht.

»Ist das Mrs. Valeria?« hörte ich seinen schönen tönenden Tenor: »Bitte treten Sie ein.«

Ich trat ein.

Der Rollstuhl kaut mir so leise und sanft entgegen daß ich ihn kaum hörte. Miserrimus Dexter streckte mir schwach die Hand hin. Sein Haupt neigte sich gedankenvoll zur Seite, und die großen blauen Augen blickten mich wehmüthig an. Nicht eine Spur mehr von dem wilden Phantasten, der mich gestern erschreckt. Nur die Kleidung war ebenso seltsam, wenn auch anders wie am vergangenen Tage. Seine Jacke war von meergrünem Atlas und um die Handgelenke trug er massive Armbänder von Gold und in antiker Form.

»Wie liebenswürdig von Ihnen daß Sie gekommen sind,« sagte er in weichen musikalischen Tönen. »Ich habe Ihnen zu Ehren meine schönsten Kleider angelegt. Erschrecken Sie nicht. Mit Ausnahme dieses elenden materiellen Jahrhunderts kleideten sich, Männer sowohl als Frauen in kostbare Stoffe und glänzende Farben. Vor 500 Jahren schmückte man sich mit diesen goldenen Armbändern. Ich verabscheue die Misachtung der Schönheit und die Furcht vor Ausgaben, welche einen Gentleman so weit entwürdigen konnte, sich in elendes schwarzes Tuch zu kleiden. Ich liebe es schön zu sein, namentlich wenn die Schönheit mich besucht. Sie wissen nicht wie hoch ich Ihre Gesellschaft schätze. Heute ist einer von meinen melancholischen Tagen. Thränen treten ungebeten in meine Augen. Ich seufze und klage über mich selbst; ich lechze nach Mitleid. Bedenken Sie doch, was ich bin! Ein armes, elendes Wesen verflucht zur entsetzlichen Verkrüppelung. Mein liebendes Herz – welkte dahin. Meine außerordentlichen Talente kommen nicht zur Geltung. Wie traurig! Bemitleiden Sie mich.«

Er weinte in der That Thränen des Mitleids über sich selbst. Sein Ton war der eines kranken Kindes, das der Pflege bedarf. Ich war in Verlegenheit, was zu thun.

»Bitte, bedauern Sie mich doch!« fuhr er fort, »seien Sie nicht grausam. Ich verlange ja nur wenig. Schöne Mrs. Valeria, sagen Sie, daß Sie mich bemitleiden!«

Ich that es und fühlte daß ich erröthete.

»Ich danke Ihnen,« sagte Mr. Dexter wehmüthig.

»Es hat mir wohlgethan. Gehen Sie noch etwas weiter. Streicheln Sie meine Hand.«

Die Absurdität einer solchen Bitte, obgleich mit vollem Ernste vorgetragen ließ mich in helles Lachen ausbrechen.

Mr. Dexter sah mich so erstaunt an, daß sich meine Heiterkeit noch vermehrte. Hatte ich ihn beleidigt? Anscheinend nicht. Nachdem er sich von seinem Erstaunen erholt, ließ er sein Haupt an die Lehne des Stuhls zurücksinken, mit dem Ausdruck eines Kritikers, der irgend einer Vorstellung beiwohnt.

Als ich mich recht müde gelacht applaudirte er mit seinen weißen Händen und beehrte mich mit einem da capo-Ruf.

»Bitte noch einmal,« sagte er auf kindische Art. »Sie haben solch’ musikalisches Lachen Mrs. Valeria, und ich solch musikalisches Ohr. Bitte noch einmal.«

»Vergeben Sie mir, Mr. Dexter,« sagte ich, mich vor mir selber schämend.

Er antwortete mir nicht. Sein Temperament unterlag einer neuen Wandlung. Er betrachtete jetzt meine Kleidung und schien seine eigenen Gedanken darüber zu haben. Dann forderte er mich auf, mir einen bequemen Sessel zu holen, dann einen Ofenschirm zwischen mich und das Feuer zu setzen. Er beobachtete oder studirte dabei – wie er selbst eingestand – meinen Gang und verglich ihn mit dem der »Todten«. Wirklich, ich fürchtete jeden Augenblick, er würde wieder einen Anfall bekommen.

Plötzlich begann er:

»Wir sprachen gestern Abend von ihr. Was sagte ich? Was sagten Sie? Meine Erinnerung ist verschwommen. Halb weiß ich es, halb hab' ich es vergessen. Helfen Sie mir.«

»Wir sprachen,« antwortete ich, »von Mrs. Eustace Macallans Tode, und wir erwähnten —«

»Ja! Ja!« unterbrach er mich. »Und ich wunderte mich darüber, daß Sie ein Interesse zu haben schienen das Geheimniß ihres Todes aufzuklären. Vertrauen Sie es mir an. Ich sterbe vor Begier, es zu hören.«

»Nicht nur ein Interesse,« antwortete ich, »die Glückseligkeit meines ganzen Lebens hängt davon ab, der Sache auf den Grund zu kommen.«

»Großer Gott! Und weshalb!« rief er. »Halten Sie ein! Ich rege mich auf, und das thut mir nicht wohl. Ich muß meine Sinne zusammen behalten; ich darf sie nicht wandern lassen. Die Sache ist zu ernsthaft. Warten Sie eine Minute.

« An dem einen Arm seines Rollstuhls hing ein eleganter kleiner Korb. Er nahm eine an gefangene Stickerei nebst Häkelhaken heraus. Er bemerkte mein Erstaunen darüber.

»Frauen,« sagte er, »bedienen sich der Handarbeit um bei derselben ruhiger denken zu können. Weshalb sind wir Männer solche Thoren solche Weisheit nicht nachzuahmen?«

Mit diesen Worten arrangirte dies seltsame Wesen seine Stickerei und begann mit der größten Geschicklichkeit zu häkeln.

»Wenn Sie nun so gut sein wollen,« sagte er. »Ich arbeite, Sie sprechen.«

Sechzehntes Capitel.
Im Dunkeln

Mit solch’ einem Manne wie Miserrimus Dexter und mit solch’ einem Vorhaben wie ich es in Aussicht hatte, war mit Halbheiten nichts gethan. Ich mußte mit der vollen Wahrheit herausrücken. Die Mittelstraße konnte mir nur verderblich werden.

»Bis jetzt wissen Sie eigentlich wenig oder nichts von mir, Mr. Dexter,« sagte ich. »Es scheint Ihnen auch unbekannt zu sein daß mein Gatte und ich augenblicklich nicht zusammen leben.«

»Es ist unnöthig, daß Sie Ihres Gatten erwähnen,« sagte er, ohne von seiner Stickerei aufzublicken.

»Es ist unumgänglich nothwendig,« entgegnete ich. »Ich kann mich Ihnen aus keinem anderen Wege erklären.«

Er senkte den Kopf und seufzte resignirt.

»Wollten Sie damit sagen daß Ihr Gatte Sie verlassen habe?« fragte er.

»Er hat mich verlassen und ist in’s Ausland gegangen.«

»Ohne irgend welche Nothwendigkeit?«

»Ohne irgend welche Nothwendigkeit.«

»Hat er den Zeitpunkt seiner Rückkehr bestimmt ?«

»Wenn er bei seinem ersten Beschlusse verharrt wird er niemals zu mir zurückkehren.«

Mit einem Zeichen lebhaften Interesses erhob Mr. Dexter den Kopf.

»Also so ernstlich überworfen?« fragte er. »Also nach gegenseitigem Uebereinkommen friedlich auseinandergegangen?«

Der Ton, in dem er diese Worte sprach, gefiel mir durchaus nicht. Der Blick, mit dem er diese Worte begleitete, legte mir den Gedanken nicht fern, daß ich mit ihm allein sei und daß er hieraus Vortheil ziehen könne. Mehr durch mein Benehmen als durch meine Worte rief ich ihm den Respekt zurück, den er mir schuldete.

»Sie irren sich,« sagte ich. »Es besteht durchaus kein Mißverständniß zwischen uns. Nur mit beiderseitigem bitterem Kummer sind wir auseinandergegangen Mr. Dexter.«

Sein Gesicht zeigte den Ausdruck ironischer Resignation.

»Ich bin ganz Ohr,« sagte er, seine Nadel einfädelnd. »Bitte fahren Sie fort, ich werde Sie nicht wieder unterbrechen.«

Von dieser Aufforderung Gebrauch machend erzählte ich ihm die volle Wahrheit dessen was zwischen mir und meinem Gatten vorgefallen, indem ich jedoch darauf Bedacht nahm, Eustace's Motive stets in das beste Licht zu stellen. Miserrimus Dexter ließ seine Stickerei in den Schooß sinken und lachte stillvergnügt über meine kleine Erzählung, die jeden Nerv von mir auf die Folter spannte.

»Ich sehe darin nichts zu lachen,« sagte ich scharf.

Seine schönen blauen Augen ruhten auf mir mit unschuldigem Staunen.

»Nichts zu lachen?« wiederholte er. »Bei solcher Darlegung menschlicher Thorheit, wie Sie eben die Güte hatten sie zu schildern.«

Sein Gesichtsausdruck änderte sich plötzlich; die Züge wurden düster und hart.

»Halten Sie ein!« rief er, bevor ich ihm antworten konnte. »Es kann nur einen Beweggrund für Sie geben Mrs. Valeria, der Sie bewog zu handeln wie Sie es thun und dieser eine Beweggrund ist die Liebe.«

»Jawohl,« entgegnete ich. »Ich liebe ihn aus tiefster Seele.«

Mr. Dexter strich seinen wunderschönen Bart und wiederholte nachdenkend meine Worte. Sie lieben ihn aus tiefster Seele? Wissen Sie auch weshalb?«

»Weil ich nicht anders kann.«

Er lachte satyrisch und häkelte weiter.

»Seltsam!« sagte er zu sich selbst »Eustaces erste Frau liebte ihn auch. Es giebt Männer, die von allen Frauen geliebt werden, und es giebt auch wieder andere, um die sich keine kümmert. Beide Handlungsweisen entbehren des genügenden Grundes. Der eine Mann ist eben so gut als der Andere, gerade so hübsch, so liebenswürdig, so ehrenwerth und reich. Und dennoch, für Nr. 1 werden sie durch Feuer und Wasser gehen, und nach Nr. 2 drehen sie noch nicht einmal den Kopf. Und weshalb? Sie wissen es selber nicht wie Mrs. Valeria soeben gesagt hat. Giebt es dafür einen vernünftigen Grund? Ich muß einmal darüber nachdenken, wenn ich Zeit und Laune habe.«

Dann blickte er mir wieder voll in’s Antlitz. »Ich bin noch immer im Dunkeln über Ihre Motive,« sagte er. »Ich weiß noch immer nicht weshalb Sie die entsetzliche Tragödie von Gleninch studiren wollen. Theure Mrs. Valeria, bitte nehmen Sie mich bei der Hand und führen Sie mich zum Licht. Sie sind mir doch nicht böse? Klären Sie mich auf, und ich will Ihnen diese Stickerei schenken wenn sie fertig ist. Ich bin nur ein armer Unglücklicher mit etwas seltsamen Ideen; aber ich thue Niemand etwas zu Leide.«

Er kaut wieder zu seiner kindischen Weise zurück, er nahm wieder sein unschuldiges Lachen an, mit den seltsamen Faltenbildungen in den äußeren Augenwinkeln. Ich nahm mir vor, im weiteren Verlaufe meines Besuches, gegen seine geistigen und körperlichen Unvollkommenheiten etwas nachsichtiger zu sein.

»Lassen Sie uns auf Gleninch zurückkommen,« sagte ich.

»Sie stimmen doch dahin mit mir überein daß Eustace an dem ihm zur Last gelegten Verbrechen unschuldig ist. Ihre Zeugenaussage bürgt mir dafür.«

Er blickte mir so voll und ernst ins Antlitz, wie er es bisher noch nie gethan.

»Das ist unsere Ansicht,« antwortete ich. »Aber es war nicht die Ansicht des Gerichtshofes. Das Verdict war: Nicht bewiesen. Mit einem Wort der Gerichtshof sah sich nicht veranlaßt meines Mannes Unschuld auszusprechen. Ist dem nicht so?«

Anstatt mir zu antworten steckte er die Stickerei schnell in den Korb zurück und rollte seinen Stuhl dicht neben den Meinen.

»Wer erzählte Ihnen das?« fragte er.

 

»Ich habe es selbst in einem Buche entdeckt.«

Bis jetzt hatte sein Antlitz nur große Aufmerksamkeit ausgedrückt. Jetzt schien es mir, als wenn seine Züge sich verdunkelten. Ich empfand ein schreckenvolles Unbehagen.

»Damen pflegen sonst kein Vergnügen an trockenen Rechtsfragen zu finden,« sagte er.

»Sie müssen also ein sehr wichtiges Motiv haben Ihre Studien auf diesem Felde zu machen.«

»Allerdings habe ich ein wichtiges Motiv, Mr. Dexter. Mein Gatte hat sich dem schottischen Verdict gefügt. Seine Mutter hat sich ebenfalls dem schottischen Verdict gefügt. Ich aber weigere mich, demselben beizustimmen.«

In dem Augenblick, als ich diese Worte gesprochen schien der Wahnsinn wieder im Ausbrechen zu sein. Er bog sich auf seinem Stuhl heraus, legte mir beide Hände auf die Schultern und seine wilden Augen starrten mich, nur wenige Zoll von meinem Gesicht entfernt an.

»Was wollen Sie damit sagen?« rief er mit gellender Stimme.

Eine tödtliche Furcht ergriff mich. Ich mußte meine volle Selbstbeherrschung anwenden, um in Wort und Blick ruhig zu bleiben.

»Nehmen Sie Ihre Hände fort, Sir,« sagte ich. »Und begeben Sie Sich auf Ihren Platz zurück.«

Er gehorchte mir mechanisch und entschuldigte sich auf dieselbe Weise. Seine Seele war augenscheinlich noch mit den vorhin von mir gesprochenen Worten und deren Deutung beschäftigt.

»Ich bitte demüthigst um Entschuldigung,« sagte er. »Der Gegenstand regt mich auf, er schreckt mich, und macht mich wahnsinnig. Sie glauben nicht welche Anstrengung es mich kostet ruhig zu bleiben. Aber fürchten Sie Sich nicht vor mir. Ich fühle mich schon elend genug, Sie beleidigt zu haben. Strafen Sie mich dafür. Nehmen Sie einen Stock und schlagen Sie mich. Rufen Sie Ariel, die so stark wie ein Pferd ist und befehlen Sie ihr, mich zu binden. Theuere Mrs. Valeria! Ich will jede Strafe von Ihnen erdulden, wenn Sie mir sagen wollen, in welcher Weise Sie Sich dem schottischen Verdict nicht zu unterwerfen gedenken.«

Er rollte seinen Stuhl zurück.

Bin ich nun weit genug fort?« fragte er. »Flöße ich Ihnen noch Furcht ein? Oder soll ich mich in meinem Stuhl verkriechen?«

»Verlieren Sie kein Wort mehr darüber. Ihre Entschuldigungen genügen mir,« sagte ich. »Wenn ich Ihnen erzähle, daß ich mich dem schottischen Verdict nicht unterwürfe, so meinte ich damit lediglich nur das, was meine Worte ausdrückten. Das Verdict hat einen Fleck auf dem Character meines Mannes zurückgelassen, einen Fleck, der ihm sein ganzes Leben verbittert. Weil er sich degradirt glaubt, hat er mich verlassen. Es genügt ihm nicht, daß ich von seiner Unschuld überzeugt bin. Nichts wird ihn zu mir zurückbringen als der Beweis seiner Unschuld, die das Publikum noch heute bezweifelt. Er, seine Freunde und seine Vertheidiger sind dabei verzweifelt jenen Unschuldsbeweis zu finden oder jemals finden zu können. Ich aber bin sein Weib. Und keine liebt ihn, wie ich ihn liebe. Ich allein bin nicht verzweifelt, und ich habe mein Leben daran gesetzt, meines Gatten Unschuld aufzudecken. Sie sind sein alter Freund, deshalb bin ich hergekommen, Sie um Ihren Beistand zu bitten.«

Jetzt schien es, als wenn ich ihn erschreckt hätte. Er erbleichte und fuhr sich mit der Hand ruhelos über die Stirn, als wenn er Erinnerungen aus seinem Kopfe entfernen wollte.

»Ist dies einer von meinen Träumen?« fragte er schwach. »Sind Sie eine meiner nächtlichen Visionen?«

Ich bin nur ein hilfloses Weib,« sagte ich, »welches all sein Glück verloren hat und es so gerne wiedergewinnen möchte.«

Er rollte seinen Stuhl wieder dichter zu mir heran. Auf einen Wink von meiner Hand ließ er ihn wieder rückwärts gehen. Wir sahen uns schweigend einige Minuten an. Seine Hände zitterten sein Antlitz wurde blasser und blasser, und die Unterlippe sank schlaff herab. Welche todten und längst begrabenen Erinnerungen mochte ich zu ihrem alten Schrecken wieder erweckt haben?

»Also Ihr Interesse besteht darin das Geheimniß von Mrs. Eustace Macallans Tode aufzuklären ?« fragte er.

»Ja.«

»Und Sie glauben, daß ich Ihnen dabei helfen könne?«

»Das thue ich.«

Er erhob langsam seine rechte Hand und streckte den Zeigefinger gegen mich aus.

»Sie haben Jemand in Verdacht,« sagte er.

Der Ton in welchem er sprach, war langsam und drohend, und warnte mich, auf meiner Hut zu sein. Wenn ich ihm aber, auf der anderen Seite, jetzt mein Vertrauen entzog, konnte ich leicht die Vortheile wieder verlieren, die ich mit so großer Mühe errungen.

»Sie haben Jemand in Verdacht,« wieder holte er.

»Vielleicht,« entgegnete ich.

»Meinen Sie schon eine bestimmte Person?«

»Nein.«

Er stieß einen schwachen langgezogenen Seufzer aus. War er enttäuscht? Oder fühlte er sich erleichtert? Wer konnte es wissen?

»Wollen Sie mich fünf Minuten entschuldigen?« fragte er mit gesenktem Kopf. »Sie wissen bereits, wie jene Erinnerungen mich erschüttern. Ich werde gleich wieder zu Ihrem Dienst sein.«

Mit diesen Worten geleitete er mich zu dem Vorzimmer, ließ mich die Schwelle desselben überschreiten, und schloß dann die Thüre zwischen uns.