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Gesetz und Frau

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»Was kann ich für Sie thun, Madame?« fragte sie mit vertraulichem Lächeln. »Sprechen Sie nicht so laut. Es ist Jemand im Nebenzimmer.«

»Ich wünsche hübsch auszusehen,« sagte ich, »und Sie sollen mir dabei behilflich sein.«

»Ich verstehe Madame.«

»Was verstehen Sie?«

»Ich weiß ja mit diesen Sachen Bescheid,« flüsterte sie mit einem bedeutungsvollen Kopfnicken. »Es ist ein Gentleman im Spiel.« Dann sah sie mich mit einem prüfenden Blicke an. »Ich würde meinen Anzug nicht wechseln, wenn ich in Ihrer Stelle wäre,« fuhr sie fort, »denn er steht Ihnen vortrefflich.«

Es war zu spät die Unverschämtheit des Weibes zurückzuweisen, ich konnte nicht anders, als mich ihrer bedienen. Uebrigens hatte sie in Betreff des Anzuges Recht Ich trug ein hellgrünes Seidenkleid, reich mit Spitzen besetzt, ganz entschieden das beste meiner ganzen Toilette. Mein Haar dagegen bedurfte noch der Sorgfalt einer geschickten Hand. Das Mädchen arrangirte es mit bewunderungswürdiger Uebung. Als sie Kamm und Bürste niederlegte blickte sie mich an und suchte emsig auf dem Tische umher.

»Wo haben Sie denn das hingelegt?« fragte sie.

»Ich weiß nicht was Sie meinen.«

»Sehen Sie doch nur Ihr blasses Antlitz, Madame. Er wird erschrecken, wenn er Sie anschaut Sie müssen einen Anflug von Farbe haben. Wo haben Sie es denn hingelegt? Wie? Sie besitzen es nicht? Sie brauchen es nie? O, wie unrecht!«

Damit ging sie hinaus und kam bald mit Schminke und Puder wieder. Ich that nichts, um sie von ihrem Vorhaben zurückzuhalten. Als ich nach einiger Zeit wieder in den Spiegel blickte, hatte mein Antlitz eine falsche Farbe, mein Auge einen falschen Glanz, und ich war weit entfernt mich davor zu entsetzen. Im Gegentheil, ich war sehr zufrieden mit dem abscheulichen Betrug, an dem ich Theil genommen hatte.

Ich war nur darauf bedacht, mir durch irgend welches Mittel das Vertrauen des Majors zu gewinnen. Ich mußte um jeden Preis wissen, was jene letzten Worte meines Gatten bedeuteten?

Achtes Capitel.
Der Freund der Frauen

Es ist mir fast unmöglich, meine Gefühle zu beschreiben während ich nach der Wohnung des Majors Fitz-David fuhr. Von dem Augenblick an, wo ich mich den Händen des Stubenmädchens überlassen schien ich mein früheres Selbst verloren und einen anderen Charakter angenommen zu haben. Sonst hatte ich ein ängstliches und nervöses Temperament das jede Schwierigkeit übertrieb, welche sich mir entgegenstellte. Sonst wenn ich einem bedeutungsvollen Zusammentreffen mit einem Fremden entgegen gegangen wäre, würde ich sorgfältig überlegt haben, was ich zu sagen oder zu verschweigen hätte. Jetzt dachte ich mit keinem Gedanken an den Major; ich fühlte ein unbegrenztes Vertrauen zu mir selbst und setzte ein blindes Vertrauen in ihn. Ich kümmerte mich weder um Vergangenheit oder Zukunft; sondern lebte einzig und allein für die Gegenwart Ich interessirte mich für die Läden und für die vorüber fahrenden Equipagen. Ich bemerkte die bewundernden Blicke, welche mir die Fußgänger zuwarfen und freute mich sogar über dieselben. Ich sagte mir, daß diese Blicke ein günstiges Vorzeichen wären, wie ich von dem Major empfangen werden würde. Als wir vor das Haus Nr. 16 in Vivian Place fuhren, hegte meine Seele nur eine Befürchtung, nämlich die, daß der Major nicht zu Hause sein könne. Die Thür wurde mir von einem alten Diener geöffnet der aussah, als wenn er früher Soldat gewesen wäre. Er betrachtete mich mit ernster Aufmerksamkeit die allmälich in ein pfiffiges Wohlgefallen überging. Ich fragte nach dem Major Fitz-David. Die Antwort war nicht gerade ermuthigend. Der Mann wußte nicht bestimmt ob er zu Hause sei. Ich gab ihm meine Karte mit dem Namen Mrs. Eustace Woodville. Der Diener wies mich in ein Zimmer zu ebener Erde und verschwand mit meiner Karte.

Indem ich mich umblickte gewahrte ich eine Tapetenthür und, bei noch näherer Besichtigung, eine Spalte die groß genug war, um durch dieselbe Alles hören zu können, was im nächsten Zimmer gesprochen wurde.

»Was hast Du ihr gesagt, Oliver?« fragte eine männliche Stimme in leisen Tönen.

»Daß ich nicht gewiß wüßte, ob Sie zu Hause seien,« entgegnete der Diener, der mich eingelassen.

»Ich denke, es ist besser, sie nicht zu empfangen Oliver,« begann die Stimme des Majors wieder.

»Gut, Sir.«

»Sage, ich wäre ausgegangen und Du wüßtest nicht, wann ich zurückkäme,« fuhr der Major fort. »Die Lady möchte so gut sein und mir schreiben.«

»Gut, Sir.«

»Noch einen Augenblick, Oliver. – Ist sie jung?«

»Ja, Sir.«

»Hübsch?«

»Mehr als hübsch, Sir.«

»Fein?«

»Gewiß, Sir.«

»Groß?«

»Beinah’ so groß als ich, Sir.«

»Schlank?«

»Wie eine junge Birke, Sir.«

»Laß sie ein, laß sie ein, Oliver.«

Soviel war mir jetzt klar, ich hatte Recht gethan, das Stubenmädchen kommen zu lassen. Wie würde Olivers Bericht ausgefallen sein, wenn ich mit meinen bleichen Wangen gekommen wäre?«

Der Diener kam zurück und führte mich in das anstoßende Zimmer. Der Major Fitz-David trat mir zum Willkommen entgegen.

Er war ein wohl conservirter Sechziger, klein und schmächtig, und mit einer ganz außerordentlich langen Nase. Auf dem Haupt trug er eine sehr schöne braune Perrücke dann bemerkte ich noch lebhafte, kleine, graue Augen, gesunde Gesichtsfarbe kleinen, braun gefärbten militairischen Schnurrbart weiße Zähne und gewinnendes Lächeln. Er trug einen enganschließenden blauen Frack, mit einer Camelie im Knopfloch und einen prachtvollen Rubin am kleinen Finger seiner rechten Hand.

»Meine theure Mrs. Woodville,« sagte er, nachdem wir Beide Platz genommen »wir gütig von Ihnen, daß Sie mich besuchen. Ich habe mich schon lange darnach gesehnt Sie kennen zu lernen. Eustace und ich sind alte Freunde. Ich beglückwünschte ihn, als er mir seine Verheirathung anzeigte. Jetzt, nachdem ich sein Weib gesehen, beneide ich ihn.«

Meine Zukunft lag vielleicht in dieses Mannes Händen. Ich studierte ihn aufmerksam, um seinen Character aus seinen Zügen lesen zu können.

Die stechenden grauen Augen des Majors wurden sanfter als sie mich anschauten; seine starke rauhe Stimme sank zu leisen zärtlichen Tönen herab, wenn er mit mir sprach; sein Benehmen gegen mich war ein Gemisch von Bewunderung und Achtung. Er zog seinen Stuhl dicht an den meinen. Dann nahm er meine Hand und führte sie mit einem Seufzer an seine Lippen. »Theure Mrs. Woodville,« sagte er dann, meine Hand sanft wieder in den Schooß zurücklegend, »haben Sie Nachsicht mit einem alten Knaben, welcher Ihr bezauberndes Geschlecht verehrt. Wenn Sie wüßten welches Vergnügen ich dabei empfinde wenn ich Sie ansehe!«

Der alte Gentleman hatte gar nicht nöthig, dies kleine Geständniß zu machen. Man sah auf den ersten Blick, daß der Major Fitz-David ein Freund der Frauen war.

»Danke Ihnen Herr Major, für Ihren freundlichen Empfang und Ihr artiges Compliment,« sagte ich, einen so unbefangenen Ton annehmend, wie es mir möglich war. »Darf ich nun auch sprechen?«

Major Fitz-David ergriff noch einmal meine Hand, und rückte seinen Stuhl so dicht wie möglich an den meinen. Ich warf ihm einen ernstem Blick zu und machte einen Versuch, meine Hand zu befreien.

»Ich habe Sie heute zum ersten mal sprechen hören,« sagte der Major. »Ich befinde mich unter dem Einfluß Ihrer bezaubernden Stimme. Haben Sie Nachsicht mit einem alten Knaben Mrs. Woodville. Zürnen Sie mir nicht meiner unschuldigen Vergnügungen wegen. Lassen Sie mir diese allerliebste kleine Hand. Ich kamt weit besser zuhören, wenn ich Ihre Hand zwischen der meinen fühle. Die Damen haben alle Nachsicht mit meiner Schwäche. Sie werden hoffentlich keine Ausnahme machen. Was wollten Sie also die Güte haben, mir zu sagen?«

»Ich wollte sagen, Major, daß ich mich außerordentlich glücklich über Ihre freundliche Bewillkommnung fühle, und daß ich deshalb den Muth gewinne, Sie um eine Gefälligkeit zu bitten.«

Ich war mir klar bewußt, daß ich zu schnell auf mein Ziel losging; aber des Majors Bewunderung für mich war mir mit noch größerer Schnelle vorangegangen, so daß ich die Nothwendigkeit fühlte, derselben Einhalt zu thun.

»Die Gefälligkeit ist so gut wie bewilligt,« sagte der Major, meine Hand loslassend, »und nun sagen Sie mir, wie befindet sich Eustace?«

»In sehr übler Laune,« antwortete ich.

»Ist sehr übler Laune!« wiederholte der Major. »Der beneidenswerthe Mann, der sich Ihr Gatte nennt, ist übler Laune? ist ja abscheulich! Ich werde ihn aus der Liste meiner Freunde streichen.«

»In diesem Falle müssen Sie mich gleich mit ausstreichen, denn ich bin noch weit mißgestimmter als er. Sie sind der Freund meines Gatten. Ihnen kann ich es also sagen, daß unser junges Eheleben kein glückliches ist.«

»Jetzt schon – nicht glücklich?« sagte der Major, mich erstaunt anblickend. »Ist denn Eustace der gefühlloseste aller Männer?«

»Er ist Deren Bester!« entgegnete ich. »Aber es ruht ein Geheimniß auf seiner Vergangenheit. —« Der Major unterbrach mich mit einer höflichen Geberde, die mir aber sehr verständlich sagte, daß, wenn ich mich auf indiscreten Grund begebe, er mich nicht dorthin begleiten würde.

»Meine theure Freundin!« rief er aus. »Sie besitzen unter tausend anderen entzückenden Eigenschaften eine lebhafte Einbildungskraft. Lassen Sie diese nicht die Oberhand gewinnen. – Womit kann ich Ihnen dienen? Eine Tasse Thee, Mrs. Woodville?«

»Bitte-, nennen Sie mich bei meinem richtigen Namen, Sir,« entgegnete ich. »Ich weiß so gut wie Sie, daß mein Name Macallan ist.«

Der Major stutzte und blickte mich aufmerksam an.

»Darf ich mir erlauben, zu fragen,« sagte er mit ganz verändertem Ton und Wesen, »oh Sie Ihrem Herrn Gemahl bereits die Entdeckung mitgetheilt haben, die Sie eben gegen mich geäußert?«

»Gewiß!« antwortete ich. »Ich habe meinen Gatten um eine Erklärung seines seltsamen Benehmens wegen gebeten, und er hat sie mir in einer Sprache verweigert, die mich erschreckte. Ich habe mich an seine Mutter gewandt, und diese hat mich in einem Ton zurückgewiesen, der mich demüthigte. Herr Major, ich habe keinen Freund als Sie, thun Sie mir den größesten aller Gefallen, sagen Sie mir, weshalb Eustace mich unter falschem Namen geheirathet.«

 

»Thun Sie mir auch den größesten aller Gefallen,« antwortete der Major, »und verlangen Sie das nicht von mir.«

Trotz seiner abschlägigen Antwort fühlte ich, daß der Major Sympathien für mich hatte, und beschloß daher, mich nicht so schnell aus dem Felde schlagen zu lassen.

»Ich muß es von Ihnen verlangen, Herr Major,« sagte ich. »Bedenken Sie doch meine Lage! Ich möchte lieber das Entsetzlichste hören, als zu fortwährender Ungewißheit verdammt zu sein. Ich liebe meinen Gatten von ganzem Herzen, aber in diesem Dunkel kann ich nicht mit ihm weiter leben. Ich vertraue mich Ihrer Gnade an, Herr Major, bitte, helfen Sie mir.«

Mehr konnte ich nicht sagen. In der furchtbaren Erregung des Augenblicks faßte ich die Hand des Majors und zog sie an meine Lippen. Der alte Gentleman zuckte zusammen, als wenn er einen electrischen Schlag bekommen hätte.

»Meine theure Lady,« rief er aus, »ich kann Ihnen nicht sagen, was ich für Sie empfinde! Sie entzücken mich, Sie überwältigen mich, Sie rühren mir das Herz. Ich kann aber wirklich nichts thun, als Ihre bewunderungswürdige Offenheit erwidern. Sie haben mich von Ihrer Lage unterrichtet. Lassen Sie mich Ihnen die meinige enthüllen. Aber fassen Sie Sich erst wieder! Ich habe hier ein Riechfläschchen für die Damen. Erlauben Sie mir, daß ich es Ihnen anbiete.«

Er brachte mir das Riechfläschchen und stellte eine kleine Bank unter meine Fuße.

»Unseliger Thor!« hörte ich ihn leise vor sich hinmurmeln, als er mich in Agonie befangen glaubte. »Wenn ich in Deiner Stelle ihr Gatte gewesen, ich hätte ihr die Wahrheit gesagt, was auch daraus entstanden wäre.«

Ich zitterte. War er im Begriff, mir das Geheimniß zu enthüllen?

Der aufregende Gedanke beschäftigte noch meinen Geist, als ich durch ein lautes, anmaßendes Klopfen an der Straßenthür erschreckt wurde. Der Major horchte aufmerksam. Einen Augenblick daraus ward die Thür geöffnet, und ich hörte deutlich das Rauschen eines seidenen Kleides auf dem Flur. Der Major eilte, mit der Schnelligkeit eines jungen Mannes nach der Stubenthür. Es war zu spät. Gerade als er die Thür erreicht hatte, wurde sie von der andern Seite heftig aufgerissen. Die Dame mit dem rauschenden Seidenkleid stürzte in’s Zimmer.

Neuntes Capitel.
Die Niederlage des Majors

Major Fitz-David's Besuch erwies sich als ein plumpes, rundäugiges, übermäßig geputztes Mädchen mit rothem Gesicht und strohblondem Haar. Nachdem sie mir einen fast intpertinenten Blick des Erstaunens zugeworfen, entschuldigte sie ihr unangemeldetes Hereinkommen bei dem Major allein. Das Geschöpf hielt mich unzweifelhaft Tür den Gegenstand der jüngsten Neigung des Majors, und sie verbarg deshalb keineswegs ihre mimische Mißbilligung, uns beide zusammen zu sehen.

Major Fitz-David arrangirte die Sache sogleich mit seiner unwiderstehlichen Liebenswürdigkeit. Er küßte die Hand des geputzten Mädchens mit derselben Ehrfurcht, mit der er die meine geküßt hatte, und sagte ihr, daß sie entzückend aussähe. Dann führte er sie, mit seiner glücklichen Mischung von Bewunderung und Respect, zu der Thür, durch welche sie eingetreten.

»Ich brauche mich wohl nicht zu entschuldigen, mein Kind,« sagte er. »Diese Dame ist in Geschäften bei mir. Sie werden Ihren Gesanglehrer im oberen Salon finden. Beginnen Sie nur immer Ihre Lection, ich werde in wenigen Minuten bei Ihnen sein. Auf Wiedersehen, mein reizender kleiner Zögling!«

Die junge Dame beantwortete diese Anrede mit einem Flüstern, indem sie ihre großen runden Augen noch immer mißtrauisch auf mir ruhen ließ. Dann verließ sie das Zimmer, und der Major Fitz-David hatte nun Gelegenheit, sich mit mir zu arrangiren!

»Diese junge Dame ist meine letzte glückliche Entdeckung,« sagte der alte Gentleman wohlgefällig »Ich kann wohl ohne Uebertreibung äußern, daß sie die schönste Sopranstimme in Europa besitzt. Werden Sie mir glauben, wenn ich Ihnen sage, daß ich sie aus einem Bahnhofe fand? Das arme unglückliche Geschöpf stand hinter dem Buffet, spülte Weingläser und sang sich ihr Liedchen dazu. Allmächtiger Gott, welche Stimme! Ihre hohen Töne electrisirten mich förmlich. Ich sagte zu mir selbst: das ist eine geborene Primadonna; die muß der Welt gerettet werden. Das ist nun schon die dritte, die ich habe ausbilden lassen. Später werde ich sie nach Italien schicken. In diesem einfach auftretenden Mädchen sehen Sie die künftige Königin des Gesanges. Hören Sie nur! jetzt beginnt sie ihre Scalen. Welche Stimme! Bravo! bravo! bravissimo!«

Während er so sprach, klangen die Soprantöne der künftigen Königin des Gesanges schmetternd durch das Haus. Laut genug war es jedenfalls, über den Schmelz und die Reinheit der Stimme ließen sich aber wohl bedeutende Zweifel erheben.

Nachdem ich dem Major einige zustimmende Worte gesagt, wie es die Höflichkeit doch erforderte, führte ich den Gegenstand der Unterhaltung zu dem Punkt zurück, bei welchem uns der neue Besuch gestört hatte. Dem Major schien dies keineswegs angenehm zu sein. Er schlug mit dem rechten Zeigefinger fortwährend den Tact zu der Musik über unseren Häuptern, fragte mich, ob ich ebenfalls Stimme habe und bemerkte, daß ihm das Leben ohne Liebe und ohne Kunst ganz unerträglich sein würde. Jeder andere in meiner Stelle würde die Geduld hierbei verloren haben; da ich aber mein festes Ziel im Auge hatte, blieb mein Entschluß unumstößlich. Endlich gelang es mir, ihn von seiner Kunstbegeisterung zurück zu bringen und wieder von Eustace zu sprechen.

»Ich habe ihren Gatten von seinen Knabenjahren an gekannt,« begann er. »In einem gewissen Abschnitt seines Lebens wurde er von einem entsetzlichen Unglück betroffen. Das Geheimniß dieses entsetzlichen Unglücks ist seinen Freunden bekannt und wird auf das Gewissenhafteste von ihnen bewahrt. Es ist dasselbe Geheimniß, das er auch Ihnen vorenthält. So lange er lebt, wird er es Ihnen nicht mittheilen. Was mich betrifft, so ist meine Zunge durch Ehrenwort gebunden. Jetzt kennen Sie die Stellung, die ich Ihrem Gatten gegenüber einnehme. Mehr kamt ich Ihnen nicht sagen, meine liebe Mrs. Woodville.«

»Sie bestehen darauf, mich Mrs. Woodville zu nennen,« sagte ich.

»Ihr Gatte wünscht, daß ich darauf bestehe,« antwortete der Major.

»Er nahm den Namen Woodville an, weil er es nicht wagte, sich unter seinem wahren Namen in Ihres Onkels Hause vorzustellen. Jetzt wird er sich überhaupt zu keinem andern mehr bekennen. Jede Einwendung würde nutzlos sein. Sie müssen dasselbe thun, was wir thun: mit einem unvernünftigen Menschen Nachsicht haben. In jeder andern Beziehung der beste Mann der Welt, in diesem Punkte von einem Starrsinn ohne Gleichen. Wenn Sie mich nach meiner Ansicht fragen, so halte ich es für Unrecht, daß er sich Ihnen unter falschem Namen vorstellte und Sie unter falschem Namen heirathete. Indem er Sie zu seinem Weibe machte, vertraute er Ihnen sein Glück und seine Ehre an. Weshalb konnte er Ihnen nicht ebenso gut die Geschichte seines Unglücks vertrauen? Seine Mutter ist in diesem Punkt ganz derselben Ansicht wie ich. Sie müssen sie nicht tadeln, weil sie nach ihrer Verheirathung Sie von ihrem Vertrauen ausschloß; da war es zu spät. Vor Ihrer Verheirathung that sie, ohne ihr anvertraute Geheimnisse zu verrathen, Alles was sie konnte, um ihren Sohn zu bewegen, daß er rechtlich gegen Sie handle. Ich begehe keine Indiscretion, wenn ich Ihnen erzähle, daß sie sich nur aus dem Grunde Ihrer Heirath widersetzte, weil Eustace sich weigerte, Ihnen seine wahre Lage zu entdecken. Was mich betrifft, so gebrauchte ich meinen ganzen Einfluß, um Mrs. Macallan in ihrem Entschluß zu bestärken. Als Eustace mir schrieb, daß er sich mit der Nichte meines guten Freundes Dr. Starkweather verlobt, und daß er mich vorgeschlagen habe, Auskunft über ihn zu geben, schrieb ich ihm zurück, daß ich nichts mit der Geschichte zu thun haben wollte, es sei denn, daß er seinem künftigen Weibe die volle Wahrheit eingestehe. Er verwarf meinen Rath, wie er den Rath seiner Mutter verworfen und hielt mich fest bei meinem ihm gegebenen Ehrenwort, sein Geheimniß zu bewahren Als Starkweather sich an mich wandte, blieb mir nichts anderes übrig, als in einem so schroffen und zurückhaltenden Ton zu antworten, daß der Briefwechsel damit unter allen Umständen geschlossen werden mußte. Ich befürchte, daß ich hierdurch meinen guten alten Freund beleidigte. Nach dieser Auseinandersetzung wird Ihnen die peinliche Lage klar geworden sein, in der ich mich befinde. Um die Schwierigkeit der Situation noch zu vermehren, war Eustace heute bei mir, um mir zu sagen, daß ich auf meiner Hut sein möge, im Fall Sie das Gesuch an mich richteten, welches Sie vor einer Viertelstunde wirklich über Ihre Lippen gebracht. Er erzählte mir, daß Sie durch einen unglücklichen Zufall mit seiner Mutter zusammengetroffen wären und seinen wirklichen Namen entdeckt hätten. Er fügte hinzu, daß er expreß nach London gekommen sei, um mit mir über diesen ernsten Gegenstand zu sprechen. »Ich kenne Ihre Schwäche den Frauen gegenüber,« sagte er. »Valeria weiß, daß Sie mein alter Freund sind. Sie wird Ihnen gewiß schreiben. Es ist sogar nicht unwahrscheinlich, daß sie Ihnen einen Besuch macht. Erneuern Sie daher Ihr mir gegebenes Ehrenwort Ihren Eid halten und das größte Unglück meines Lebens gegen Jedermann verschweigen zu wollen. Das waren seine Worte. Ich liebe ihn, wie Sie ihn lieben. Was blieb mir also übrig, als den Eid zu erneuern, welcher der Erinnerung eigentlich gar nicht bedurfte. Ich fühle die lebhafteste Sympathie für Sie, meine theure Lady. Von Herzen gern möchte ich Sie von Ihrem Kummer entlasten, aber Sie werden selbst einsehen, daß es unter den obwaltenden Umständen bei dem guten Willen bleiben muß.«

Er hielt inne und wartete auf meine Antwort. Ich hatte ihm zugehört ohne ihn zu unterbrechen. Die außergewöhnliche Veränderung, welche mit seinem ganzen Wesen vorging, als er wieder von Eustace sprach, beunruhigte mich, wie mich bis jetzt noch nichts beunruhigt hatte. Wie schrecklich mußte diese unerzählte Geschichte sein, wenn deren bloße Erwähnung im Stande war, den leichtherzigen Major Fitz-David ernsthaft sprechen zu lassen, ihn zu verhindern, mir auch nur die leiseste Schmeichelei zu sagen und ihn selbst unempfindlich zu machen gegen den Gesang seines Lieblings, der von oben herab ertönte. Das Herz wurde mir schwer in der Brust indem ich diese Schlußfolgerungen machte. Ich war mit meinen Hilfsquellen zu Ende und wußte weder was zu sagen noch was zu thun.

Dennoch behielt ich meinen Platz. Niemals war der Entschluß, das Geheimniß meines Gatten entdecken zu wollen mächtiger in mir gewesen als jetzt. Der Gesang im oberen Salon nahm seinen Fortgang. Major Fitz-David schien wie aus Kohlen zu stehen, um meine Antwort oder meine ferneren Entschlüsse zu hören.

Ehe ich noch mit mir im Klaren war, was ich zunächst beginnen sollte, trat ein anderes häusliches Ereigniß ein. Ein abermaliges Klopfen an der Hausthür kündigte einen neuen Besuch an. Diesmal war es aber keine Dame im rauschenden Seidenkleide, sondern anstatt deren trat der alte Diener mit einem prächtigen Blumenstrauß ein. »Lady Clarinda läßt sich dem Herrn Major bestens empfehlen, und er möchte nicht vergessen was er ihr versprochen.« Wieder eine Lady! Und diesmal eine Lady mit einem Titel Eine große Dame, welche dem Major Blumen sandte. Dieser, nachdem er mich um Entschuldigung gebeten, schrieb einige beantwortende Zeilen und sandte sie dem Boten hinaus. Als die Thür sich wieder geschlossen hatte, wählte er sorgfältig die schönste Blume aus dem Strauß und reichte sie mir mit den Worten: »Darf ich mir die Frage erlauben, ob Sie Sich jetzt von der delikaten Lage überzeugt haben, in der ich mich Ihrem Herrn Gemahl gegenüber befinde?«

So klein die Unterbrechung durch den Blumenstrauß war, hatte sie mir dennoch Gelegenheit geboten mich wieder zu sammeln und dem Major zu verstehen zu geben, daß er seine Auseinandersetzung nicht nutzlos fortgeworfen.

»Ich sage Ihnen meinen besten Dank, Major,« entgegnete ich. »Sie haben mir die Ueberzeugung beigebracht, daß Sie um meinetwillen Ihr meinem Gatten geleistetes Versprechen nicht in den Wind schlagen dürfen. Der Eid ist heilig, und es sei fern von mir, Sie zum Bruch desselben verleiten zu wollen.«

Der Major stieß einen tiefen erleichternden Seufzer aus und klopfte mir auf die Schulter, um mir auszudrücken wie vollständig er meine Worte billigte.

 

»Außerordentlich hübsch gesagt!« erwiderte er, sofort wieder zu seiner alten lächelnden Freundlichkeit übergehend. »Meine theure Lady, Sie besitzen die Gabe, Sympathien einzuflößen und Ihr scharfer Blick hat sofort meine Situation durchschaut. Sie erinnern mich lebhaft an meine reizende Lady Clarinda. Sie hat ebenfalls die Gabe, Sympathien einzuflößen und meine Lage zu durchschauen. Ich würde mich glücklich schätzen, wenn es mir gestattet würde, Sie einander vorstellen zu dürfen.«

Trotz der vom Major versuchten Abschweifungen behielt ich mein Ziel fest im Auge.

»Ich freue mich außerordentlich auf die Bekanntschaft der Lady Clarinda,« sagte ich.

Indessen —«

»Ich werde Ihnen ein kleines Diner geben,« unterbrach mich der Major mit aufloderndem Enthusiasmus. »Sie und ich und Lady Clarinda. Unsere junge Primadonna soll am Abend kommen und uns etwas vorsingen. Was meinen Sie, wollen wir gleich das Menü entwerfen? Meine süße Freundin welches ist Ihre Lieblings-Herbstsuppe?«

»Wollen wir nicht lieber noch etwas bei unserm ersten Thema verweilen?« unterbrach ich sein Entzücken.

Des Majors Lächeln starb dahin; seine Hand ließ die Feder sinken, welche den Namen meiner Lieblings-Herbstsuppe unsterblich machen sollte.

»Muß es denn sein?« fragte er bittend.

»Nur für einen Augenblick, Major.«

»Sie erinnern mich lebhaft,« sagte er mit traurigem Schütteln des Kopfes, »an eine andere reizende Freundin von mir – eine Französin, Madame Mirliflore. Sie verfolgt ihre Zwecke ebenso hartnäckig, wie Sie es thun. Glücklicherweise ist sie in London. Wollen wir sie auch zu unserm kleinen Diner bitten?« Die Züge des Majors strahlten bei dem Gedanken und er nahm die Feder wieder auf. »Darf ich mir also noch einmal erlauben, Sie zu fragen, welches Ihre Lieblings-Herbstsuppe ist?«

»Wollen wir nicht erst den andern Gegenstand erledigen?« fragte ich, ihn abermals abkühlend.

Der Major legte zum zweiten Mal die Feder nieder.

»Allerdings!« sagte er mit resignirtem Lächeln. »Sie wollten also bemerken —?«

»Ich wollte bemerken,« entgegnete ich, »daß Ihr Eid Ihnen nur verbietet mir das Geheimniß meines Gatten zu erzählen. Er verbietet Ihnen aber nicht, mir einige Fragen zu beantworten.«

Major Fitz-David erhob warnend seine Hand und warf mir einen eigenthümlichen Blick aus seinen kleinen grauen Augen zu.

»Halt! meine süße Freundin!« sagte er. »Ich weiß ganz genau, wohin mich Ihre Fragen führen werden und welches das Resultat sein wird, wenn ich sie beantworte. Als Ihr Gatte mich heut besuchte, erinnerte er mich daran, daß ich einer schönen Frau gegenüber so weich wie Wasser sei. Er hat ganz Recht. Ich bin so weich wie Wasser; ich kann einem reizenden Weibe nichts abschlagen. Theure, anbetungswürdige Lady, mißbrauchen Sie nicht den Einfluß, den Sie auf mich haben! Lassen Sie einen alten Soldaten nicht seinem Ehrenworte untreu werden!«

Ich versuchte etwas zu erwidern; aber der Major faltete seine Hände und sah mich mit fast rührender Bitte an.

»Weshalb denn die Sache so beeilen?« fragte er.

»Ich leiste ja keinen Widerstand Ich bin ein Lamm – weshalb mich opfern? Ich erkenne Ihre Macht an; ich empfehle mich Ihrem Mitleid. Alle Unglücksfälle meiner Jugend und meines Mannesalters sind mir durch die Frauen gekommen. Jetzt, bereits mit einem Fuß im Grabe, habe ich mich noch nicht im geringsten gebessert. Ich bin ihnen noch ebenso gut wie je und noch ebenso bereitwillig, mich von ihnen mißleiten zu lassen. Sehen Sie diese Narbe!« sagte er, eine Locke seiner Perrücke emporhebend und mir eine schwere Verletzung an der Seite seines Kopfes zeigend. »Diese Wunde entstand durch eine Pistolenkugel. Ich empfing sie nicht etwa im Dienste meines Vaterlandes, sondern im Dienste einer schwer beleidigten Dante von der Hand ihres schurkischen Gatten. Sie war des Opfers aber werth!« Er küßte zärtlich seine Hand, zum Andenken an die todte oder abwesende Dame, und deutete dann auf ein Gemälde in Wasserfarben, das an der Wand gegenüber hing und ein hübsches Landhaus darstellte. »Das schöne Gut gehörte mir einst,« fuhr er fort. »Es ist schon vor manchen Jahren verkauft Und wer hat das Geld bekommen? Die Frauen – Gott segne sie alle! – die liebenswürdigen und reizenden Frauen. Es thut mir nicht leid. Wenn ich noch ein Gut hätte, würde es ohne allen Zweifel denselben Weg gehen. Das Einziges was ich mir bewahrt habe, ist meine Ehre. Und nun ist diese auch in Gefahr. Ja, ja, wenn Sie mit Ihren verführerischen Fragen fortfahren mit Ihren lieblichen Blicken und Ihrer holden Stimme, dann weiß ich genau, was geschehen wird. Sie werden mich des letzten und besten aller Besitzthümer berauben. Habe ich es wohl verdient, so von Ihnen behandelt zu werden?«

Ich machte abermals einen Versuch, zu sprechen, aber der Major Fitz-David vertraute sich noch unschuldiger meiner Gnade denn zuvor an.

»Verlangen Sie von mir, was Sie wollen,« fuhr er fort, »nur nicht einen Freund zu verrathen. Ich bezweifle nicht daß man Ihnen übel mitgespielt; es ist grausam, von einer Frau, wie Sie es sind, zu verlangen, daß sie ihr ganzes Leben im Dunkel bleiben solle. Wenn ich Sie so vor mir sehe, in Ihrer Schönheit und in Ihrem Unglück, möchte ich daran denken daß ein Versprechen selbst ein Eid, seine Grenzen habe wie alles andere in der Welt. Dennoch werde ich mich durch meinen Eid gebunden halten; aber ich würde nicht den kleinen Finger aufheben, um Sie zu verhindern, das Geheimniß selber zu entdecken.«

Er hatte diese Worte mit tiefem Ernst gesprochen und namentlich die Schlußwendung scharf betont. Unwillkürlich sprang ich vom Stuhl empor. Major Fitz-David hatte einen neuen Gedanken in mir erweckt.

»Nun verstehen wir einander!« sagte ich.

»Ich nehme Ihre eigenen Bedingungen an. Ich will nichts weiter von Ihnen verlangen, als was Sie mir soeben aus eigenem Antriebe angeboten.«

»Was ich Ihnen angeboten?« fragte er ein wenig aufgeregt.

»Nichts, das Sie Ursache haben werden, zu bereuen,« antwortete ich; »nichts, das Ihnen schwer werden wird, zu erfüllen. Darf ich mir eine kühne Frage erlauben? Setzen wir den Fall, dies Haus wäre mein, anstatt daß es Ihnen gehört.«

»Betrachten Sie es ganz als das Ihre,« rief der galante alte Gentleman. »Vom Boden bis zur Küche herab, betrachten Sie es ganz als das Ihre!«

»Tausend Dank, lieber Major; für den Augenblick nehme ich Ihr Geschenk an Sie wissen, daß eine Hauptschwäche aller Weiber die Neugier ist. Nehmen wir also an, meine Neugier hätte mich hierher geführt, um mein neues Haus bis in seine geringsten Details kennen zu lernen. Wenn ich nun von Zimmer zu Zimmer, von Schrank zu Schrank ginge, glauben Sie, daß ich Chancen haben würde, um —?«

Der Major verstand mich sogleich und schien ebenfalls von einem neuen Gedanken belebt.

»Würde ich also Chancen haben,« fuhr ich fort, »irgend eine Spur von meines Mannes Geheimniß in diesem Hause zu finden? Ein Wort als Entgegnung, Majors Ja oder nein?«

»Ja,« sagte er nach kurzem Ueberlegen.

Der erste wichtige Schritt war gethan. Er genügte mir aber noch nicht, ich fühlte die unabweisliche Nothwendigkeit, noch weiter zu forschen.

»Bedeutet dieses Ja,« fragte ich weiter, »daß ich hier im Hause einen greifbaren Schlüssel finden könnte?«

Er überlegte abermals. Ich hatte ihn, ohne daß er es klar bemerkt, in meine Interessen gezogen.

»Der Schlüssel, von dem Sie sprechen, existirt allerdings,« sagte er.

»In diesem Hause?« fiel ich schnell ein.

»In diesem Zimmer!« antwortete der Major, mir einen Schritt näher tretend.

In meinen Gedanken begann es zu schwirren; mein Herz schlug mir fast hörbar in der Brust. Ich versuchte zu sprechen; es war vergebens. In dem Schweigen, das nun folgte, hörte ich von oben herab das Klavierspiel der künftigen Primadonna. Dann sang sie die liebliche Arie aus der Somnambula: come per me sereno.