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Gesetz und Frau

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»Ja!« sagte sie. »Da stand das Ding. Er weiß, wie ich die Blumen hasse, deshalb stellte er das Bouquet so hoch in jene Vase, damit ich es nicht erreichen sollte. Es war ein Frauengesicht auf das Porzellan gemalt und er erzählte mir, daß es ihr Antlitz wäre; sah ihr aber nicht ähnlicher als ich selbst. Ich befand mich in solcher Wuth, daß ich das Buch, in welchem ich gerade las, nach dem verhaßten Gesicht auf der Vase warf. Ich hatte gut getroffen die Vase fiel herunter, und kracht zerbrach sie auf den Dielen. Ach! was fällt mir denn da eben ein! Sollte das vielleicht das Buch gewesen sein nach dem Sie suchen? Sie sind wohl wie ich? Sie lesen auch wohl gerne Gerichtsverhandlungen?«

Gerichtsverhandlungen? Hatte ich denn recht gehört? Ja wohl, sie hatte es ja klar und deutlich ausgesprochen.

Ich antwortete durch ein bejahendes Nicken meines Kopfes. Ich war noch immer sprachlos. Das Mädchen schlenderte in ihrer kühlen Manier nach dem Kamin nahm die Feuerzange und kehrte mit derselben zum Repositorium zurück.

»Hier muß das Buch hingefallen sein,« sagte sie – »in den Raum zwischen dem Bücherschab und der Wand. Ich werde es gleich herausholen.«

Ich wartete ohne eine Muskel zu bewegen ohne ein Wort zu äußern. Nach weniger als einer Minute kam sie auf mich zu geschritten in der einen Hand die Feuerzange in der andern das Buch.

»Ist das der Band, den Sie suchen?« sagte sie. »Machen Sie es auf und lesen Sie den Titel.

Ich nahm ihr das Buch aus der Hand.

»Es ist ganz furchtbar interessant,« fuhr sie fort. »Ich habe es schon dreimal durchgelesen. Sie mögen es mir glauben oder nicht. Und wenn die Leute noch so viel reden, ich für meine Person glaube doch, daß er es gewesen ist.«

Gewesen ist? Was gewesen ist? Wovon plauderte denn eigentlich das Mädchen? Ich faßte einen gewaltsamen Entschluß, sie danach zu fragen »Was meinen Sie, wovon sprechen Sie denn?« brachte ich mühsam heraus.

Sie schien alle Geduld mit mir zu verlieren Sie riß mir das Buch aus der Hand, schlug den Titel auf und hielt denselben gegen das Licht.

»Natürlich!« rief sie. »Ich habe mich nicht geirrt. Sie sind aber auch so unverständig wie ein kleines Kind.«

Dann hielt sie mir das Buch vor die Augen.

»Da! Ist das das Buch oder ist es nicht das Buch?«

Ich las die ersten Zeilen des Titelblattes:

Ausführlicher Bericht
über
die Verhandlungen
in Untersuchungssachen
gegen
Eustace Macallan,

Ich stutzte und sah das Mädchen an Sie fuhr mit einem Schrei des Entsetzens von mir zurück. Ich blickte noch einmal auf den Titel und las die Schlußzeilen:

beschuldigt des Verbrechens,
seine Frau
vergiftet zu haben

Die Sinne schwanden mir, und ich sank in Ohnmacht.

Elftes Kapitel.
Die Rückkehr zum Leben

Mein erstes Gefühl, als ich wieder zu mir kam, war das Gefühl heftigen Schmerzes, als wenn jeder Nerv meines Körpers verwundet worden sei. Mein ganzes Wesen zitterte und bebte unter dem dumpfen schrecklichen Protest der Natur gegen die Anstrengung, mich in’s Leben zurückzurufen. Ich würde meine Seligkeit darum gegeben haben hätte ich mich so recht ausweinen, hätte ich Gott bitten können, mich dem Tode wieder in den Arm zu legen Wie lange diese sprachlose Agonie mich gefangen hielt, vermag ich nicht zu sagen. Nach einer ganzen Weile hörte ich wieder meinen eigenen Athem; ich fühlte, wie meine Hände sich schwach und mechanisch bewegten gleich denen eines Kindes. Ich öffnete die Augen und blickte um mich.

Die erste Person die ich zu Gesicht bekam, war ein Fremder. Er trat langsam von mir fort und winkte anscheinend einer andern Person zu, die ich nicht sehen konnte.

Langsam und, wie es schien, widerwillig näherte sich jene andere Person dem Sopha auf welchem ich lag. Ein schwacher Freudenschrei entrang sich meiner Brust; ich machte einen Versuch, ihm meine Hände entgegenzustrecken jene andere Person, die sich mir näherte, war mein Gatte.

Ich blickte ihn fest an. Er gab mir meinen Blick nicht zurück. Die Augen zu Boden geheftet mit einer seltsamen Mischung von Kummer und Verwirrung auf seinem Antlitz begab er sich ebenfalls wieder aus meinem Gesichtskreis. Der unbekannte Mann, den ich zuerst bemerkt hatte, folgte ihm aus dem Zimmer.

»Eustace!« rief ich ihm mit schwacher Stimme nach. Er antwortete weder, noch blickte er sich nach mir um. Mit einer Anstrengung bewegte ich den Kopf auf dem Kissen um auch nach der andern Seite hin sehen zu können. Da trat mir ein anderes bekanntes Antlitz entgegen. Mein guter alter Benjamin saß auf der andern Seite des Sophas und betrachtete mich mit Thränen in den Augen.

Als ich ihn anblickte stand er auf und nahm schweigend meine Hand.

»Wo ist Eustace?« fragte ich. »Weshalb hat er mich verlassen?«

Ich war noch sehr schwach. Als ich jene Frage that wanderten meine Augen mechanisch durch das Zimmer. Ich erblickte den Major Fitz-David. Ich sah den Tisch, an welchem die Primadonna das Buch geöffnet hatte, um es mir zu zeigen. Ich sah auch das Mädchen selbst wie es allein in einer Ecke saß und, das Taschentuch vor den Augen leise weinte. Bei ihrem Anblick kehrte jenes entsetzliche Titelblatt mit allen seinen Schrecken in meine Erinnerung zurück.

Das einzige Gefühl, welches jetzt meine Seele beherrschte, war die Sehnsucht meinen Gatten bei mir zu haben, mich in seine Arme zu werfen und ihm zu sagen, wie fest ich an seine Unschuld glaubte und wie sehr ich ihn liebte. Ich ergriff eine von Benjamins Händen »Bringen Sie ihn mir zurück!« rief ich wild, »wo ist er? Helfen Sie mir auf!«

Eine fremde Stimme antwortete mir fest aber freundlich: »Fassen Sie Sich erst etwas mehr, Madame Mr. Woodville wartet im anstoßenden Zimmer, bis Sie Ihre Kraft wiedergewonnen haben werden.«

Ich blickte den Sprecher an und erkannte in ihm den Herrn der meinen Gatten aus dem Zimmer begleitet. Weshalb war er allein zurückgekommen? Weshalb war Eustace nicht bei mir wie die Anderen? Ich versuchte aufzustehen; aber der Fremde drückte mich leise wieder auf das Kissen zurück.

»Sie müssen noch ein wenig ruhen,« sagte er. »Sie müssen ein Glas Wein trinken wenn Sie nicht gewärtigen wollen, in Ihre Ohnmacht zurückzusinken.

Der alte Benjamin beugte sich über mich und flüsterte mir einige Worte der Erklärung zu.

»Es ist der Doctor mein Kind. »Sie müssen seine Vorschriften befolgen.«

Der Doctor? Sie hatten den Doctor gerufen, um mir behilflich zu sein? Ich begann einzusehen, daß meine Ohnmacht doch ernsterer Natur gewesen sein müsse, als es sonst in der Regel bei Damen der Fall zu sein pflegt.

»Weshalb ließen Sie meinen Gatten aus dem Zimmer gehen?« fragte ich den Arzt. »Wenn ich nicht zu ihm kann weshalb bringen Sie ihn nicht zu mir?«

Der Doctor schien in Verlegenheit zu sein was er mir antworten sollte. Er blickte auf Benjamin und sagte: »Wollen Sie nicht zu Mrs. Woodville sprechen?«

Benjamin seinerseits blickte wieder auf den Major Fitz-David und bat diesen die Aufgabe zu übernehmen. Der Major bedeutete Beide, uns zu verlassen. Sie folgten seiner Aufforderung und begaben sich in das vordere Zimmer. Als die Thür hinter ihnen zugefallen war, erhob sich das Mädchen, welches mir auf so seltsame Weise das Geheimniß meines Gatten enthüllt hatte, aus seiner Ecke und näherte sich dem Sopha.

»Es ist wohl besser, wenn ich mich auch entferne?« redete sie den Major Fitz-David an.

»Wenn Sie so gut sein wollen,« entgegnete dieser mit kühlem Ton. Sie schüttelte den Kopf und drehte ihm indignirt den Rücken zu. »Ich muß ein Wort für mich reden!« rief das seltsame Geschöpf mit einem hysterischen Ausbruch von Energie »Ich muß ein Wort reden oder ich platze.«

Mit dieser außerordentlichen Vorrede trat sie plötzlich auf mich zu und überschüttete mich mit einem wahren Strom von Worten.

»Sie hören, wie der Major zu mir spricht!« begann sie. »Er macht mich armes unschuldiges Geschöpf für alles verantwortlich, was geschehen ist. Ich bin so schuldlos wie ein neugeborenes Kind. Ich dachte, Sie wollten das Buch haben. Ich weiß noch jetzt nicht weshalb Sie in Ohnmacht sanken, als ich Ihnen den Titel zeigte; aber der Major schilt mich. Ich bin nicht von der schwachherzigen Sorte, die so leicht in Ohnmacht fällt; aber ich fühle es, kann ich Ihnen sagen. Ich bin von anständigen Eltern müssen Sie wissen. Mein Name ist Hoighty. Ich besitze ein ganz Theil Selbstachtung; aber die ist verletzt worden. Ich kann es nicht leiden wenn ich unverdient getadelt werde. Sie verdienen den Tadel, aber nicht ich. Sagten Sie mir nicht daß Sie nach einem Buch suchten? Und gab ich es Ihnen nicht mit den besten Absichten? Das können Sie doch nicht leugnen seit Sie wieder zur Besinnung gekommen sind. Nun könnten Sie doch auch ein gutes Wort einlegen für ein armes Mädchen das zu Tode gequält wird mit Singen und Sprachen lernen und wer weiß was allem – für ein armes Mädchen das Niemand hat, der sich ihrer annimmt. Ich bin ebenso anständig wie Sie, können Sie glauben Mein Name ist Hoighty – Miß Hoighty. Meine Eltern sind Geschäftsleute und meine Mama hat bessere Tage gesehen und sich in der besten Gesellschaft bewegt.«

Hier führte Miß Hoighty noch einmal das Taschentuch an die Augen und brach in einen Strom von Thränen aus.

Es war entschiedenes Unrecht, sie für das Geschehene verantwortlich zu machen. Ich bat daher den Major Fitz-David, wieder freundlich gegen das Kind zu sein und ihm gut zuzureden. Was er zu ihr sprach, konnte ich nicht hören. Schließlich schien ihm aber doch sein Trosteswerk gelungen zu sein, denn sie ließ sich von ihm die Hand küssen, und dann führte er sie aus dem Zimmer, als wenn sie eine Herzogin gewesen wäre.

 

»Ich kann Ihnen gar nicht sagen wie sehr ich das Geschehene bedaure,« sagte der Major, zu meinem Sopha zurückkehrend. »Sie werden sich erinnern daß ich Sie warnte. Und dennoch, hätte ich vorhersehen können —«

Ich ließ ihn nicht weiter fortfahren. Keine menschliche Vorsicht wäre im Stande gewesen, das Geschehene zu verhindern. Außerdem, so entsetzlich die Entdeckung auch gewesen war, so sehr ich unter derselben gelitten und noch litt ich würde sie dennoch nicht gegen das Dunkel zurückgetauscht haben, in dem ich mich früher befand. Das erzählte ich dem Major. Dann lenkte ich die Unterhaltung auf meinen Gatten zurück.

»Wie kam er hierher?« fragte ich.

»Mit Mr. Benjamin kurz nachdem ich selbst heimgekommen.« entgegnete der Major.

»Und der Arzt?«

»Ich schickte sofort nach ihm, als ich Sie in Ohnmacht liegend fand.«

»Was brachte Eustace hierher? Hatte er mich im Hotel vermißt?«

»Ja. Er kehrte früher zurück, als er beabsichtigt hatte.«

»Glaubte er, daß ich hier sein könne? Kam er direct vom Hotel zu Ihnen?«

»Nein. Er scheint erst zu Mr. Benjamin gegangen zu sein und ihn befragt zu haben. In dessen Gesellschaft kam er hierher.

Diese kurze Erklärung genügte mir vollständig. Die Anwesenheit meines Gatten im Hause des Majors war mir erklärt. Sein seltsames Benehmen aber, als er das Zimmer in demselben Augenblick verließ, wo ich wieder zu mir selbst kam, bedurfte noch der Erörterung. Major Fitz-David zeigte eine sehr verlegene Miene, als ich diese Frage an ihn richtete.

»Ich weiß wirklich nicht, I was ich Ihnen sagen soll,« entgegnete er. »Eustace hat mich in Erstaunen gesetzt und enttäuscht.«

Er sprach sehr ernst Seine Blicke erzählten mir mehr als seine Worte; seine Blicke erschreckten mich.

»Hat Eustace Ihnen Vorwürfe gemacht?« fragte ich.

»O nein!«

»Er sieht ein daß Sie ihr Versprechen nicht gebrochen haben?«

»Gewiß. Meine junge Sängerin erzählte dem Doctor auf das Genaueste was geschehen, und der Doctor wiederholte es in ihrer Gegenwart Eustace.«

»Sah der Doctor das Buch?«

»Weder der Doctor, noch Mr. Benjamin. Ich habe es eingeschlossen. Das Geheimniß ist immer noch so streng bewahrt wie früher. Benjamin scheint allerdings Verdacht zu hegen; aber der Doctor und Miß Hoighty haben keine Ahnung von der Ursache Ihrer Ohnmacht. Beide glauben, daß Sie nervösen Anfällen unterthan sind, und daß der Name Ihres Gatten wirklich Mr. Woodville ist. Ich habe gethan, was nur der treueste Freund thun konnte, um Eustace zu schonen, dessen ungeachtet tadelt er mich, weil ich Sie mein Haus betreten ließ. Und was noch weit schlimmer, er erklärt daß dies traurige Ereigniß Sie ihm entfremdet habe. Nun ist es mit meinem Eheleben zu Ende, sagte er zu mir, denn sie weiß nun, daß ich der Mann bin, der zu Edinburgh vor Gericht stand, unter der Anklage, sein Weib vergiftet zu haben.«

Ich sprang entsetzt vom Sopha.

»Großer Gott!« rief ich aus, »glaubt Eustace etwa, daß ich seine Unschuld bezweifle?«

»Er stellt geradezu die Möglichkeit in Abrede, daß Sie oder irgend Jemand seine Unschuld glauben könnte,« entgegnete der Major.

»Helfen Sie mir zu der Thür,« sagte ich.

»Wo ist er? Ich muß und will ihn sehen!«

Ich sank erschöpft auf das Sopha zurück, als ich diese Worte gesprochen.

Major Fitz-David goß ein Glas Wein ein und bat mich, es zu trinken.

»Sie sollen ihn sehen,« sagte er. »Ich verspreche es Ihnen. Der Doctor hat ihm verboten, das Haus zu verlassen, ehe er Sie gesehen. Warten Sie nur noch ein wenig, bis Sie Sich gekräftigt haben.«

Mir blieb nichts anders übrig, als ihm zu gehorchen. O diese unglückselige Hilflosigkeit auf dem Sopha! »Bitte, bringen Sie ihn hierher,« sagte ich.

»Ja, wenn das in meiner Kraft stände!« entgegnete der Major traurig. »Was könnte ich, was könnte irgend ein Anderer mit einem Manne beginnen, der im Stande war, Sie zu verlassen, als Sie die Augen wieder aufschlugen! Ich versuchte seinen Zweifel zu erschüttern, den er in Ihren Glauben an seine Unschuld gesetzt; ich wendete alle Mittel an, ihn umzustimmen, doch ganz vergebens. Er hatte nur eine Antwort auf das alles. Er verwies mich auf das schottische Verdict.«

»Das schottische Verdict?« wiederholte ich. »Was ist das?«

Der Major blickte mich bei dieser Frage erstaunt an.

»Haben Sie wirklich nie etwas von der Untersuchung gehört?« sagte er.

»Niemals.«

»Ich wunderte mich,« fuhr er fort, »daß Sie bei der Entdeckung des wahren Namens Ihres Gatten nicht an jenes entsetzliche Ereigniß erinnert worden waren. Es ist noch nicht drei Jahre her, daß ganz England von Ihrem Gatten sprach. Man kann den armen Menschen wahrlich nicht verdammen, daß er unter einem andern Namen Schutz vor der allgemeinen Aufmerksamkeit suchte. Wo sind Sie denn aber zu jener Zeit gewesen?«

Ich dachte einen Augenblick nach.

»Ich glaube diese seltsame Unwissenheit meinerseits vollständig erklären zu können. Vor drei Jahren lebte mein Vater noch; wir bewohnten ein Landhaus in Italien, oben in den Bergen bei Siena. Wir bekamen niemals eine englische Zeitung zu Gesicht, noch begegneten wir einem englischen Reisenden. Es mag auch möglich sein, daß in irgend einem der Briefe, die mein Vater aus England erhielt, des Prozesses erwähnt wurde. Wenn dem so war, sprach er mir nicht davon, und wenn er es gethan, habe ich es jedenfalls gleich nachher vergessen. Bitte, erzählen Sie mir aber, in welcher Beziehung steht das Verdict mit meines Gatten entsetzlichem Zweifel an uns? Eustace ist ein freier Mann. Das Verdict lautete natürlich auf Nicht schuldig?«

Major Fitz-David schüttelte traurig den Kopf.

»Eustace stand in Schottland vor Gericht,« sagte er.

»Dem schottischen Gesetz ist ein Verdict gestattet, welches, so viel ich weiß, von keinem Gesetz irgend eines civilisirten Volkes erlaubt wird. Wenn der Gerichtshof in Zweifel ist, ob er verdammen oder freisprechen soll, ist es der schottischen Jury gestattet, diesen Zweifel in Form eines Mittelweges auszudrücken. Wenn auf der einen Seite nicht Evidenz genug für das Schuldig und auf der andern Seite nicht Evidenz genug für das Nichtschuldig ist, dann ziehen sich die Richter durch das Verdict »Nicht bewiesen« aus der Verlegenheit.

»War das das Verdict in meines Mannes Prozeß?« fragte ich.

»Ja.«

»Der Gerichtshof war also nicht ganz überzeugt, daß mein Mann schuldig, und auch nicht ganz, daß er unschuldig sei. Ist das der Sinn des schottischen Verdict?«

»Allerdings. Seit drei Jahren ist der Zweifel des Gerichtshofes an der Unschuld des Vorgeladenen vom Publikum als authentisch angenommen worden.«

O mein armer unschuldiger Märtyrer! Nun erst verstand ich ihn ganz. Der falsche Name, unter dem er mich geheirathet, die entsetzlichen Worte, die er sprach, als er mich warnte, sein Geheimniß zu bewahren, alles das trat jetzt dicht an meine Sympathien heran. Ich erhob mich noch einmal von dem Sopha, gestärkt durch einen waghalsigen Entschluß, den das schottische Verdict in mir erzeugt, einen Entschluß, so verzweifelt und so heilig zugleich, daß er für den ersten Augenblicks nur für meines Gatten Ohr bestimmt sein konnte.

»Führen Sie mich zu Eustace,« sagte ich.

»Ich bin stark genug, alles zu ertragen.«

Nachdem der Major noch einen beobachtenden Blick auf mich geworfen, bot er mir seinen Arm und führte mich aus dem Zimmer.

Zwölftes Capitel.
Das schottische Verdict

Wir gingen bis zu dem entferntesten Winkel der Halle. Major Fitz-David öffnete die Thür eines langen schmalen Zimmers, das einen Seitenflügel des Hauses bildete und als Rauchzimmer benutzt wurde.

Mein Gatte befand sich allein in dem Gemach. Er saß in Gedanken versunken am Kamin. Als ich eintrat, sprang er auf und blickte mich schweigend an. Der Major machte leise die Thür wieder zu und entfernte sich. Eustace kam mir keinen Schritt entgegen. Ich rannte auf ihn zu, schlang meine Arme um seinen Hals und küßte ihn.

Die Umarmung wurde nicht erwidert, der Kuß nicht zurückgegeben. Er duldete meine Liebkosung, weiter nichts.

»Eustace!« sagte ich. »Ich liebte Dich niemals mehr, als ich Dich in diesem Augenblick liebe!«

Er befreite sich sanft aus meiner Umarmung. Dann deutete er, wie ein Fremder es gethan haben würde, aus einen Stuhl.

»Ich danke Dir, Valeria,« antwortete er mit kaltem, gemessenem Ton; »nach dem, was geschehen, konntest Du mir weder weniger sagen, noch mehr; ich danke Dir.«

Wir standen vor dem Kamin. Er verließ mich und ging mit gesenktem Haupt durch das Zimmer, wahrscheinlich in der Absicht, mich noch ein Mal zu fliehen. Ich folgte ihm und stellte mich zwischen ihn und die Thür.

»Weshalb verläßt Du mich?« sagte ich. »Weshalb sprichst Du zu mir in dieser grausamen Art? Habe ich Dich beleidigt, Eustace? Wenn dem so ist, bitte ich Dich, mir zu vergeben.«

»Es ist an mir, Dich um Vergebung zu bitten,« entgegnete er; »verzeihe mir, Valeria, daß ich Dich zu meinem Weibe machte.«

Er sprach diese Worte mit einer so hoffnungslosen demüthigen Stimme, daß sie Einem das Herz brechen konnte.

»Eustace, sieh mich an!« sagte ich, die Hand auf seine Brust legend.

Langsam hob er die Augen zu meinem Antlitz empor, Augen, kalt und klar und thränenlos, die mich in trauriger Resignation in unwandelbarer Verzweiflung anblickten. Mein Blut erstarrte ebenfalls unter diesem Blick.

»Ist es möglich,« sagte ich, »daß Du meinen Glauben an Deine Unschuld bezweifelst?«

Er ließ die Frage unbeantwortet und stieß einen tiefen Seufzer aus.

»Armes Weib!« sagte er, wie ein Fremder gesagt haben könnte, der mich bemitleidete. »Armes Weib!«

Mein Herz schwoll mir, als wenn es bersten wollte. Ich nahm meine Hand von seiner Brust und legte sie ihm auf die Schulter, um einen Stützpunkt zu gewinnen.

»Ich verlange nicht Dein Mitleid, Eustace, sondern Deine Gerechtigkeit. Du läßt mir keine Gerechtigkeit widerfahren. Wenn Du mir in den Tagen, wo wir einander unsere Liebe gestanden Dein volles Vertrauen geschenkt, ja wenn Du mir mehr gesagt hättest, als ich jetzt erfahren so wahr der Himmel mein Zeuge, ich hätte Dich dennoch geheirathet! Bezweifelst Du nun noch, daß ich Dich für unschuldig halte?«

»Ich bezweifle es nicht,« sagte er. »Alle Deine Eingebungen sind groß und ehrenwerth, Valeria. Du fühlst und sprichst edel. Tadle mich nicht, wenn ich weiter sehe, als Du es thust, mein Kind, wenn ich in die grausame Zukunft blicke.«

»Die grausame Zukunft?« wiederholte ich. »Was meinst Du damit?«

»Du glaubst an meine Unschuld, Valeria. Der Gerichtshof, vor dem ich in Untersuchung stand, bezweifelte diese Unschuld und machte seine Meinung identisch mit der des Publikums. Welchen Grund hast Du dem Verdict gegenüber für Deine Ansicht, daß ich unschuldig sei?«

»Ich bedarf keines Grundes! Ich glaube an Dich trotz des Gerichtshofes und trotz des Verdicts.«

»Und werden Deine Freunde mit Dir übereinstimmen? Wenn Dein Onkel und Deine Tante früher oder später das Geschehene erfahren was werden sie dazu sagen? Sie werden sagen es hat einen schlechten Anfang genommen er verbarg es vor unserer Nichte, daß er schon ein Mal verheirathet gewesen, er ehelichte sie unter falschem Namen. Er mag behaupten daß er unschuldig ist; wir haben keinen Beweis dafür als sein anzuzweifelndes Wort. Der Gerichtshof hat das Verdict »Nicht bewiesen« abgegeben. »Nicht bewiesen« kann uns nicht genügen. Wenn der Gerichtshof ihm Unrecht gethan, wenn Eustace unschuldig ist, möge er es beweisen. Das ist es, was Deine Verwandten denken und sagen würden. Die Zeit wird kommen, Valeria wo Du selbst Du, fühlen wirst, daß Jene Recht hatten und daß Du Dich in einer Täuschung befandest.«

»Die Zeit wird niemals kommen!« entgegnete ich warm. »Du thust mir Unrecht, Du beleidigst mich, indem Du das für möglich hältst.«

Er nahm meine Hand von seiner Schulter und trat mit bitterem Lächeln einen Schritt zurück.

»Wir sind nur wenige Tage verheirathet gewesen Valeria. Deine Liebe für mich ist noch neu und jung. Die Zeit, welche alles abschwächt, wird auch die Gluth dieser Liebe mildern.«

»Niemals, niemals!«

Er zog sich noch weiter von mir zurück.

»Blicke um Dich in der Welt!« sagte er.

»Selbst bei den glücklichsten Ehepaaren findet man Stunden Minuten in denen eine Wolke über den klaren Himmel zieht. Diese Stunden und Minuten sind unausbleiblich und wenn sie auch für uns kommen dann werden die Zweifel und Befürchtungen denen Du jetzt noch fern stehst, den Weg in Dein Herz und in Deine Seele finden. Wenn die Wolken sich auch über unserem Eheleben aufthürmen, wenn mein erstes hartes Wort gefallen ist, das Deine schnelle Entgegnung hervorrief, dann in der Einsamkeit Deines Zimmers, in der Stille der schlaflosen Nacht wirst Du an meines ersten Weibes elendes Ende denken. Es wird Dir vorschweben daß ich dafür zur Verantwortung gezogen und daß meine Unschuld nicht bewiesen wurde. Du wirst Dir sagen: bei der Ersten begann er auch vielleicht nur mit harten Worten welche eine rasche Entgegnung hervorriefen. Wird es eines Tages mit mir enden wie der Gerichtshof fürchtete, daß es mit Jener geendet? Schlimme Fragen für ein junges Weib! Im Anfang wirst Du vor deren Beantwortung zurückschrecken, Du wirst einzuschlafen versuchen; aber wenn der nächste Morgen kommt, wirst Du auf Deiner Hut sein und ich werde es bemerken und in meinem innersten Herzen wissen was es bedeutet. Erbittert durch diese Kenntniß, wird mein nächstes hartes Wort ein noch härteres sein und Deine zu Boden gedrückten Zweifel werden erst leise, dann immer mehr und mehr ihre giftigen Häupter erheben. Dein Gatte war angeklagt, sein Weib vergiftet zu haben und seine Unschuld hat niemals bewiesen werden können. Da mischt sich schon das Material für die Hölle im häuslichen Leben. Kann ich jemals an Deinem Bett sitzen wenn Du Dich krank oder unwohl befindest, ohne Dich selbst bei den unschuldigsten Dingen daran zu erinnern was sich an jenem andern Bett ereignete, mit jener andern Frau, die ich vor Dir geheirathet? Wenn ich Dir einen Löffel Medizin eingieße, begehe ich eine verdächtige Handlung, denn sie sagten ich hätte sie vergiftet in ihrer Medizin. Wenn ich Dir eine Tasse Thee bringe, belebe ich die Erinnerung eines entsetzlichen Zweifels; denn sie sagten ich hätte Arsenik in ihre Tasse geschüttet. Küsse ich Dich, wenn ich das Zimmer verlasse, gebe ich Dir Gelegenheit, daran zu denken daß man mich beschuldigte, sie ebenfalls geküßt zu haben, um auf mich ein gutes, auf die zurückbleibende Pflegerin ein schlechtes Licht zu werfen. Können wir unter solchen Bedingungen mit einander leben? Kein Sterblicher würde im Stande sein das Elend eines solchen Daseins zu ertragen. Erst heute sagte ich Dir: wenn Du noch einen Schritt weiter in dieser Sache thust, dann ist es mit unserem Glück zu Ende für den Rest des Lebens. Du hast diesen Schritt gethan und das Ende unseres Glückes ist gekommen. Der tödtliche Wurm sitzt in unserm Herzen und wird es langsam oder schnell zu Tode nagen.«

 

Soweit hatte ich ihm gezwungen zugehört. Bei den letzten Pinselstrichen die er an dem Gemälde unserer Zukunft machte, konnte ich es nicht länger ertragen.

»Du sprichst entsetzliche Worte,« sagte ich.

»Noch so jung an Jahren sollten wir Beide schon mit Liebe und Hoffnung abgerechnet haben? Es heißt Liebe und Hoffnung schmähen wenn man diesen Ausspruch thut!«

»Warte, bis Du den Prozeß gelesen hast,« antwortete er. »Denn Du wirst ihn doch lesen?«

»Jedes Wort!«

»Du wirst aus dem Prozeß ebenso wenig Trost schöpfen wie das ganze Publikum gethan. Meine erste Frau starb vergiftet, und der Gerichtshof sprach mich nicht von dem Verdacht frei, die That begangen zu haben. So lange Du mein Geheimniß nicht kanntest, so lange lag das Glück noch in unserm Bereich. Jetzt, da Du es weißt, ist es uns für immer entschwunden.«

»Nein,« sagte ich. »Jetzt, seit ich weiß, hat unser Eheleben erst begonnen begonnen mit einem neuen Grunde für die Ergebenheit Deiner Frau, mit einem neuen, edlen Reizmittel für Deines Weibes Liebe!«

»Was meinst Du damit?«

Ich trat zu ihm und nahm seine Hand.

»Was hast Du mir von dem Urtheil der Welt erzählt?« fragte ich, »was hast Du mir erzählt von dem Urtheil meiner Freunde? Der Urtheilsspruch »Nicht bewiesen« wurde ihnen nicht genügen. Wenn der Gerichtshof ihm Unrecht gethan wenn Eustace nicht schuldig ist, möge er es beweisen. Das waren die Worte, die Du meinen Freunden in den Mund legtest. Ich adoptire sie als die meinigen Ich sage: »Nicht bewiesen« genügt auch mir nicht. Mache Dein Recht klar, Eustace, an dem Verdict »Nichtschuldig!« Deshalb hast Du drei Jahre vergehen lassen ohne es zu thun? Soll ich Dir sagen weshalb? Du wartetest auf Dein Weib, Dir zu helfen Hier ist sie jetzt, zu jedem Beistand bereit mit Herz und Seele. Hier ist sie, von nur einer Lebensaufgabe durchdrungen der Welt und dem schottischen Gerichtshofe zu zeigen, daß Eustace Macallan unschuldig ist!«

Die Worte hatten mich sehr erregt; meine Pulse klopften meine Stimme hallte laut durch den Raum. Hatte ich ihn ebenfalls erwärmt?

»Lies den Prozeß,« das war seine ganze Antwort.

Ich ergriff ihn beim Arm. In meiner Indignation und Verzweiflung schüttelte ich ihn mit meiner ganzen Kraft. Gott vergebe es mir, ich hätte ihn schlagen können für den Ton, in dem er zu mir gesprochen für den Blick, den er mir zugeworfen.

»Ich glaube Dir gesagt zu haben daß ich den Prozeß lesen werde,« sagte ich. »Ich werde ihn mit Dir zusammen lesen Zeile für Zeile. Ein nicht zu entschuldigender Irrthum wird vorgefallen sein. Zu Deinen Gunsten sprechende Umstände sind nicht aufgefunden worden. Das Zeugenverhör ist ein mangelhaftes gewesen. Zu Deinen Ungunsten sprechende Umstände wurden zu leicht genommen Eustace! In meiner Seele lebt die feste Ueberzeugung, daß von Dir oder von Anderen irgend ein schwer ins Gewicht fallendes Versehen begangen ist. Als ich das fatale Buch in die Hand bekam, war es mein erster Entschluß, das Verdict des Gerichtshofes zu corrigiren. Wir wollen das zusammen thun wir müssen es thun um unseretwillen, um unserer Kinder willen wenn wir mit ihnen gesegnet werden sollten O sieh mich nicht mit diesen kalten Augen an! Sprich nicht zu mir in diesem harten Ton!«

Ich hatte ihn noch immer nicht erwärmt. In seine nächsten Worte war ein wenig Mitleid gemischt, das war alles.

»Meine Vertheidigung wurde von den größten Juristen des Landes geführt,« sagte er. »Nachdem diese Männer vergebens ihre Schuldigkeit gethan meine liebe Valeria was bleibt uns da noch zu thun übrig? Wir können uns nur unterwerfen und dulden!«

»Niemals!« rief ich. »Die größten Rechtsgelehrten sind auch nur Sterbliche; die größten Rechtsgelehrten haben auch schon Irrthümer begangen, weshalb sollten sie es nicht jetzt gethan haben?«

»Lies den Prozeß.«

Zum dritten Mal sprach er die entsetzlichen Worte und keines mehr.

Verzweifelnd über das Mißlingen meiner Versuche, ihn zu rühren ihn von meiner grenzenlosen Liebe und Ergebenheit zu überzeugen, fielen meine Gedanken auf den letzten Bundesgenossen den Major Fitz-David. In der Aufregung, in der ich mich befand, nahm ich keine Rücksicht darauf, daß der Major ebenfalls schon einen Mißerfolg gehabt. Dem entsetzlichen Factum gegenüber setzte ich noch immer eine große Hoffnung in seinen alten Freund.

»Warte einen Augenblick auf mich,« sagte ich. »Ich will noch ein anderes Urtheil hören.«

Ich verließ ihn und begab mich in das andere Zimmer. Major Fitz-David war nicht anwesend. Ich klopfte an die Verbindungsthür mit dem Vordergemach. Sie wurde sofort vom Major selbst geöffnet. Der Arzt war bereits gegangen Benjamin noch da.

»Wollen Sie mit Eustace sprechen?« begann ich. Bevor ich noch etwas hinzufügen konnte, hörte ich die Hausthür öffnen und sich wieder schließen. Der Major und Benjamin hörten es ebenfalls und blickten einander schweigend an.

Ehe mich der Major daran verhindern konnte, rannte ich zu dem Zimmer, in welchem ich Eustace zurückgelassen Es war leer. Mein Gatte hatte das Haus verlassen.