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Als sie die Kleider neben einander aufs Bett gelegt hatte, sah sie noch ein Mal in den Kleiderschrank. Er enthielt nur noch ein anderes Sommerkleid, die glatte Alpacarobe, welche sie während ihrer merkwürdigen Unterredung mit Noël Vanstone und Mrs. Lecount getragen. Diese ließ sie an ihrem Platze, indem sie sich entschloß, sie nicht zu tragen, weniger etwa aus Furcht, daß die Haushälterin ein so wenig auffallendes und gewöhnliches Muster wiedererkennen würde, als aus der Ueberzeugung, daß sie nicht heiter noch passend genug für den Zweck war. Nachdem sie noch einen glatten Musselinshawl, ein Paar hellgraue Glacés und einen florentinischen Gartenstrohhut aus der Garderobe genommen, schloß sie den Schrank zu und steckte den Schlüssel sorgsam in ihre Tasche.

Anstatt sofort daran zu gehen, sich anzukleiden, saß sie unthätig da und sah die beiden Musselinkleider an. Es war ihr gleichgültig, welches sie trüge, und doch zauderte sie fort und fort, ihre Wahl zu treffen.

– Was kommt darauf an, sprach sie zu sich selbst mit einem kalten Lachen, ich gelte mir in meiner eigenen Achtung ganz gleich wenig, welches immer ich anziehe.

Sie schauderte zusammen, als ob der Klang ihres eigenen Lachens sie erschreckt habe, und griff hastig und jäh nach dem Kleide, das ihr am nächsten lag. Die Farben desselben waren blau und weiß, gerade das Blau, welches am Besten zu ihrer herrlichen Gesichtsfarbe paßte. Sie zog das Kleid eilig an, ohne vor ihren Spiegel zu treten. Zum ersten Male in ihren Leben mied sie ihr Spiegelbild, nur ein Mal nicht, wo! sie ihr Haar unter dem Gartenhut geordnet hatte; aber sie trat sofort wieder weg von dem Spiegel. Sie warf dann den Shawl um ihre Schultern, zog die Handschuhe an, den Rücken gegen den Toilettentisch hingewendet.

– Soll ich mich schminken? fragte sie sich, indem sie ahnend fühlte, daß sie bleich geworden war. Das Roth ist noch in meinem Koffer. Ich kann mein Gesicht nicht falscher machen, als es schon ist.

Sie sah sich nach dem Spiegel um und wandte sich hinweg.

– Nein! sagte sie. Ich habe Mrs. Lecount entgegenzutreten, so wie ihrem Herrn. Keine Schminke.

Nachdem sie nach der Uhr gesehen, verließ sie das Zimmer und ging wieder die Treppe hinunter. Es fehlten zehn Minuten nur an zwei Uhr.

Hauptmann Wragge wartete auf sie im Wohnzimmer, anständig anzuschauen im Frack, steifer Sommercravatte und hohem weißen Hut, recht ländlich und schmuck in einer Reitweste, grauen Beinkleidern und entsprechenden Gamaschen. Seine Vatermörder waren höher denn gewöhnlich, und er führte einen funkelneuen Feldstuhl in der Hand. Jeder Kaufmann in England, der ihn in diesem Augenblicke gesehen hätte, würde ihm auf der Stelle Credit geschenkt haben.

– Reizend! sagte der Hauptmann, indem er Magdalenen, wie sie ins Zimmer trat, mit väterlichen Blicken musterte; so frisch und kühl! Ein wenig zu bleich, meine Theure, und viel zu ernst. Sonst vortrefflich. Sehen Sie zu, ob Sie lächeln können.

– Wenn die Zeit zum Lächeln kommen wird, sagte Magdalene herb, so verlassen Sie sich nur auf meine dramatische Uebung in jeder Veränderung der Miene, welche sich nöthig machen wird. Wo ist Mrs. Wragge?

– Mrs. Wragge hat ihre Aufgabe gelernt, versetzte der Hauptmann, und ist nun dadurch belohnt worden, daß sie mit meiner Erlaubniß über ihrer Arbeit auf ihrem Zimmer sitzen darf. Ich heiße ihre neue Liebhaberei fürs Schneidern gut, da dieselbe sicherlich ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt und sie zu Hause erhält. Es ist nicht zu fürchten, daß sie ihre »orientalische Robe« so schnell fertig bekommt, denn es gibt wohl kein Versehen bei der Anfertigung einer solchen, daß sie nicht gewiß und wahrhaftig begehen wird. Sie wird emsig über ihrem Kleide sitzen, verzeihen sie den Ausdruck, wie eine Henne über einem Windei. Ich gebe Ihnen mein Wort, ihre neue Phantasie macht mir Vergnügen. Nichts konnte unter den gegenwärtigen Umständen gelegener kommen.

Er stolzierte zum Fenster, sah hinaus und bat Magdalenen, zu ihm zu treten.

– Dort sind sie! sagte er und zeigte auf die Promenade.

Mr. Noël Vanstone wandelte langsam vorbei, wie sie hinsahen, angethan, wie er war, mit einem vollständigen Anzug von altmodischem Nanking. Es war augenscheinlich einer von den Tagen, wo der Zustand seiner Gesundheit am schlechtesten war. Er stützte sich aus Mrs. Lecounts Arm und wurde vor der Sonne durch einen hellen Sonnenschirm geschützt, den sie über ihn hielt. Die Haushälterin, so schmuck wie gewöhnlich angezogen, trug ein lavendelfarbenes Kleid, eine schwarze Mantille, einen einfachen Strohhut und einen gerippten blauen Schleier. Sie bewachte ihren kranken Herrn mit der zärtlichsten Sorgsamkeit, machte ihn bald mit Bescheidenheit auf die verschiedenen Gegenstände der Aussicht übers Meer aufmerksam, bald Verbeugte sie sich in dankbarer Erwiderung der Artigkeit der vorübergehenden Badegäste auf der Promenade, welche schonend zurück traten, um den Kranken vorbeizulassen. Sie machte sichtbar Eindruck auf die Spaziergänger am Ufer. Sie sahen ihr Alle mit gleicher Theilnahme nach und wechselten vertrauliche Zeichen des Beifalls aus, welche so deutlich als Worte sagten:

– Eine sehr häusliche Person, ein wahrhaft vortreffliches Frauenzimmer!

Hauptmann Wragges verschiedenfarbene Augen folgten Mrs. Lecount mit stetiger mißtrauischer Aufmerksamkeit.

– Eine schwere Arbeit für uns Das – flüsterte er Magdalenen zu, schwerer, als Sie vielleicht denken: das Weib von seinem Platze zu verdrängen.

– Warten Sie es ab, sagte Magdalene ruhig. Warten Sie es ab, und Sie werden sehen.

Sie ging zur Thür, Der Hauptmann folgte ihr, ohne weiter eine Bemerkung zu machen.

– Ich will warten, bis Du verheirathet bist, dachte er bei sich, aber nicht einen Augenblick länger, Du möchtest mir bieten, was Du wolltest. In der Hausthür redete ihn Magdalene wieder an.

– Wir wollen den Weg dort gehen, sagte sie, indem sie nach Süden zeigte, dann uns drehen und ihnen begegnen, wenn sie zurückkommen.

Hauptmann Wragge drückte seine Zustimmung zu diesem Vorschlage aus und folgte Magdalenen zum Gartenthore. Als sie dasselbe öffnete, um durchzugehen, wurde ihre Aufmerksamkeit durch eine Dame auf sich gezogen, welche, begleitet von einer Amme und zwei kleinen Knaben, hinter ihr auf dem Wege draußen vor der Gartenmauer einherwandelte. Die Dame blieb stehen, sah aufmerksam vor sich hin und lächelte bei sich, als Magdalene heraustrat. Die Neugier hatte bei Kirkes Schwester die Oberhand gewonnen, und sie war nach Aldborough gekommen, ausdrücklich in der Absicht, um Miss Bygrave zu sehen.

Etwas in dem Gesichtsschnitte der Dame, Etwas in dem Ausdrucke ihrer dunklen Augen erinnerte Magdalene an den Schiffscapitän, dessen unbewußtes Anstaunen sie den Abend vorher so verdrossen hatte.

Sie erwiderte augenblicklich das scharfe Ansehen der Fremden durch ein Stirnrunzeln und einen finsteren Blick. Die Dame wechselte die Farbe, gab den Blick mit Zinsen zurück und ging weiter.

– Ein schroffes, dreistes, schlechtes Mädchen, dachte Kirkes Schwester. Was hat nur Robert gedacht, als er sie so bewundernswürdig fand? Ich bin sehr froh, daß er fort ist. Ich hoffe und bin gewiß, daß er nie wieder seine Augen auf Miss Bygrave fallen lassen wird.

– Was für Bauern sind die Leute hier! sagte Magdalene zu Hauptmann Wragge. Jenes Frauenzimmer war noch unverschämter als der Mann von gestern Abend. Sie sieht ihm im Gesichte ähnlich. Wer mag sie wohl sein?

– Das will ich gleich herausbekommen, sagte der Hauptmann. Wir können Fremden gegenüber nicht vorsichtig genug sein.

Er wandte sich sofort an seine Freunde, die Bootsleute. Sie waren nahe zur Hand, und Magdalene hörte ganz deutlich Fragen und Antworten.

– Wie gehts Euch Allen diesen Morgen? sagte Hauptmann Wragge in seiner leichten scherzhaften Weise; und wie stets mit dem Winde? Nordwest und Halbwest, nicht wahr? Sehr gut. Wer ist die Dame?

– Das ist Mrs. Strickland, Sir.

– So, so! Des Geistlichen Frau und die Schwester des Schiffscapitäns. Wo ist heute der Capitän?

– Unterwegs nach London, denke ich, Sir. Sein Schiff fährt Ende der Woche nach China.

China! Als das Wort dem Manne über die Lippen kam, griff ein Wehgefühl des alten Kummers Magdalenen ans Herz. So fremd er ihr war, so begann sie doch schon den bloßen Namen des Kauffahrteicapitäns zu hassen. Er hatte ihre Träume vergangene Nacht gestört und jetzt, wo sie sehr verzweifelt und rücksichtslos dabei war, ihre alten Erinnerungen ans Vaterhaus zu vergessen, war er mittelbar die Ursache gewesen, daß sie wieder an Frank dachte.

– Kommen Sie, sagte sie heftig zu ihrem Begleiter. Was gehen uns der Mann und sein Schiff an? Kommen Sie mit fort!

– Richtig, sagte Hauptmann Wragge. Sofern wir nur nicht Freunde von den Bygraves finden, was gehen uns da andere Leute an?

Sie schritten vorwärts nach Süden zu, so ein zehn Minuten oder etwas länger, wandten sich dann und gingen wieder zurück, um mit Noël Vanstone und Mrs. Lecount zusammenzutreffen.

Viertes Capitel

Hauptmann Wragge und Magdalene konnten ihre Schritte zurück lenken, bis sie wieder in Sicht der Nordstein-Villa waren, ehe irgend eine Spur von Mrs. Lecount und ihrem Herrn zu sehen war. Erst an jener Stelle wurden das lavendelfarbene Kleid der Haushälterin, der Schirm und die schwächliche kleine Gestalt in Nanking, welche darunter wandelte, in der Ferne sichtbar. Der Hauptmann hielt sofort seinen Schritt an und gab Magdalenen seinen Rath für ihr Verhalten bei der bevorstehenden Unterhaltung in folgenden Worten:

– Vergessen Sie Ihr Lächeln nicht, sagte er. In allen anderen Hinsichten werden Sie genügen. Der Spaziergang hat Ihre Farbe erhöht, und der Hut steht Ihnen gut. Sehen Sie Mrs. Lecount fest ins Gesicht, zeigen Sie keine Verwirrung, wenn Sie sprechen, und wenn Mr. Noël Vanstone Ihnen etwas auffallend Aufmerksamkeit widmet, nehmen Sie nicht zu viel Notiz davon, so lange das Auge seiner Haushälterin auf Ihnen ruht. Vergessen Sie Eines nicht! Ich bin den ganzen Morgen über Joyces wissenschaftlichen Gesprächen gewesen und habe alles Ernstes vor, Mrs. Lecount das ganze Gewicht meiner Studien fühlen zu lassen. Wenn ich nicht bewirken kann, ihre Aufmerksamkeit von Ihnen und ihrem Herrn abzulenken, so gebe ich keinen Pfifferling für den Erfolg unserer Bemühungen. Ein bloßes Geplauder würde bei dieser Frau nicht verfangen, auch Artigkeiten würden nicht ziehen, Witze würden auch nicht anschlagen: aber populäres Wissen wird an den verstorbenen Professor erinneren, populäres Wissen wird schon verfangen. Wir müssen ein System von Zeichen verabreden, damit ich Sie wissen lassen kann, wie es mit mir steht. Merken Sie auf diesen Feldstuhl. Wenn ich ihn von meiner linken Hand in die rechte nehme, so spreche ich als Joyce. Wenn ich ihn von meiner Rechten in die Linke nehme, so spreche ich als Wragge. Im ersten Falle unterbrechen Sie mich nicht, ich steure an mein Ziel los. Im andern Falle aber sagen Sie, was Sie wollen, meine Bemerkungen sind nicht von der geringsten Bedeutung. Wollen Sie erst eine Probe durchmachen? Sind Sie dessen gewiß, daß Sie mich verstanden haben? – Sehr wohl. Nehmen Sie meinen Arm und sehen Sie heiter ans. Achtung! Hier sind sie.

 

Die Begegnung erfolgte fast halbwegs zwischen dem Landhaus Amsee und Nordsteinvilla. Hauptmann Wragge nahm seinen hohen weißen Hut ab und eröffnete sofort die Unterhaltung in der freundlichsten Art und Weise.

– Guten Morgen, Mrs. Lecount, sagte er mit der freien, fröhlichen Höflichkeit eines von Natur geselligen Mannes. Guten Morgen, Mr. Vanstone; ich bedaure, Sie heute leidend zu sehen. Mrs. Lecount, erlauben Sie, daß ich Ihnen meine Nichte vorstelle – meine Nichte, Miss Bygrave. Liebes Kind, dies ist Mr. Noël Vanstone, unser Nachbar in der Villa Amsee. Wir müssen durchaus auf gute Nachbarschaft halten in Aldborough, Mrs. Lecount. Es ist nur eine Promenade in dem Orte (wie meine Nichte soeben gegen mich bemerkte, Mr. Vanstone), und auf dieser Promenade müssen wir uns Alle treffen, jedes Mal wenn wir ausgehen. Und warum nicht? Sind wir Beides Leute von Förmlichkeiten? Nichts der Art, wir sind gerade das Gegentheil Sie besitzen die Leichtigkeit des Umganges, die man nur auf dem Festlande erlernt, Mr. Vanstone; ich wetteifere mit Ihnen in der offenen Zuthunlichkeit eines Engländers von altem Schrot und Korn, die Damen mischen sich zusammen in harmonischer Abwechselung, wie Blumen auf demselben Beet, und das Ergebniß ist, daß wir ein gemeinsames Interesse daran haben, unsern Aufenthalt an der Seeküste einander so angenehm als möglich zu machen. Verzeihen Sie meinen übersprudelnden Humor, verzeihen Sie mein fröhliches und jugendliches Empfinden. Das Jod in der Seeluft, Mrs. Lecount, die notorische Wirkung des Jods in der Seeluft!

– Sie kamen gestern an, Miss Bygrave nicht wahr? sagte die Haushälterin, sobald die Wortsindflut des Hauptmanns zu einem Ende gekommen war.

Sie richtete diese Worte an Magdalene mit einem freundlichen mütterlichen Interesse an deren Jugend und Schönheit, gemildert durch die gefügige Liebenswürdigkeit, welche ihre Stellung im Haushalt von Mr. Noël Vanstone erforderte. Nicht das geringste Zeichen von Argwohn oder Ueberraschung verrieth sich in ihrem Gesichte, ihrer Stimme oder ihrem Wesen, während sie und Magdalene sich jetzt einander anblickten. Es war deutlich zu sehen, daß das wahre Gesicht und die wahre Gestalt, welche sie jetzt sah, sie in Nichts an das falsche Gesicht, die falsche Gestalt erinnerten, die sie auf der Vauxhallpromenade gesehen hatte. Die Verkleidung war offenbar vollständig genug gewesen, um sogar den Scharfblick von Mrs. Lecount zu täuschen.

– Meine Tante und ich kamen gestern Abend hier an, sagte Magdalene. Wir fanden den letzten Theil der Reise sehr ermüdend. Darf ich sagen, daß es bei Ihnen ebenso der Fall war?

Sie gab geflissentlich eine längere Antwort als nöthig war, in der Absicht, um gleich bei der ersten Gelegenheit den Eindruck zu entdecken, den der Ton ihrer Stimme auf Mrs. Lecount hervor brächte.

Die dünnen Lippen der Haushälterin behielten ihr mütterliches Lächeln; die liebenswürdige Art und Weise der Haushälterin verlor Nichts von ihrer demüthigen Ergebenheit, aber der Ausdruck ihrer Augen veränderte sich plötzlich von einem bloß aufmerksamen Blick zu einem forschenden Blick. Magdalene sagte ruhig noch ein paar Worte und wartete dann auf den Erfolg. Die Verwandlung verbreitete sich gradweise über das ganze Gesicht von Mrs. Lecount: das mütterliche Lächeln erstarb, und die liebenswürdige Art verrieth einen kleinen Zug von Zwang. Noch aber kamen keine Zeichen wirklichen Erkennens zu Tage, der Ausdruck der Haushälterin blieb, was er von Anfang an gewesen war, ein Ausdruck des Forschens und nichts weiter.

– Sie klagten über Ermüdung, Sir, wenige Minuten zuvor, sagte die Haushälterin, indem sie alle fernere Unterhaltung mit Magdalene fallen ließ und ihren Herrn anredete, wollen Sie hineingehen und ruhen?

Der Besitzer von Villa Amsee hatte sich bisher darauf beschränkt, sich zu verbeugen, verlegen zu lächeln und Magdalenen mit seinen halb geschlossenen Augen bewundernd anzuschauen. Unverkennbar sprach sich die plötzliche Unruhe und Erregung in seiner Haltung und in der erhöhten Farbe seines eingefallenen kleinen Gesichts aus. Sogar die Froschnatur Mr. Noël Vanstone erwärmte sich unter dem Einflusse des Geschlechts, er hatte unleugbar ein gutes Auge für ein hübsches Weib, und Magdalenens Reize und Schönheit entgingen ihm keineswegs.

– Wollen Sie hineingehen, Sir, und ausruhen? frug die Haushälterin, indem sie ihre Frage wiederholte.

– Noch nicht, Lecount, sagte ihr Herr. Ich glaube, ich fühle mich stärker; ich glaube, ich kann noch ein wenig gehen.

Er wandte sich nach seiner Art lächelnd an Magdalene und setzte leiser hinzu:

– Ich habe ein neues Interesse an meinem Spaziergang gefunden, Miss Bygrave. Verlassen Sie uns nicht, sonst nehmen Sie jenes Interesse wieder weg.

Er lächelte und grinste im höchsten Wohlgefallen an seinem geistreichen Compliment, von welchem Hauptmann Wragge geschickt die Aufmerksamkeit der Haushälterin dadurch ablenkte, daß er sich an ihre Seite begab und in demselben Augenblicke sie anredete. Sie wanderten nun alle Vier langsam weiter. Mrs. Lecount sagte Nichts mehr. Sie hielt den Arm ihres Herrn fest und sah darüber hinweg nach Magdalenen hinüber mit dem gefährlichen Ausdruck des Forschens, der sich mehr als je in ihren hübschen schwarzen Augen zeigte. Jener Blick entging dem wachsamen Wragge nicht im Mindesten. Er nahm seinen bedeutungsvollen Feldstuhl aus der linken Hand in die rechte und eröffnete seine wissenschaftlichen Batterien auf der Stelle.

– Ein lebendiges Schauspiel, Mrs. Lecount, sagte der Hauptmann, indem er artig mit seinem Feldstuhl über die See weg und auf die vorüberziehenden Schiffe zeigte. Die Größe Englands, Madame, die wahre Größe Englands! Ich bitte Sie, bemerken Sie, wie schwer einige von jenen Fahrzeugen befrachtet sind! Ich bin oft geneigt, zu fragen, ob der britische Seemann auch immer, wenn er seine Ladung an Bord nimmt, die hydrostatische Wichtigkeit dieser Handlung genau im Auge hat, welche er eben verrichtete. Wenn ich plötzlich auf das Deck eines dieser Fahrzeuge versetzt würde (wovor mich der Himmel bewahren möge, denn ich bekomme die Seekrankheit) und ich zu einem Mitglied der Bemannung sagte: »Jack, Du hast Wunder gethan, Du hast die Bedingungen des Gleichgewichts schwimmender Körper erfaßt!« Wie würde der brave Kerl da die Augen aufreißen! Und doch hängt von jener Theorie Jacks Leben ab. Wenn er sein Schiff ein Dreißigstel mehr beladet, als er sollte, was erfolgt? Er segelt über Aldborough sicher hinaus, das verbürge ich noch. Er fährt auch sicher in die Themse hinein, das verbürge ich auch noch. Er kommt im Süßwasser, wir wollen einmal sagen, bis in eine Entfernung wie Greenwich, und – verloren ist er! Er geht unter, Madame, auf den Boden des Flusses, das ist eine wissenschaftliche Wahrheit!

Hier hielt er inne und ließ Mrs. Lecount bei ihrer Höflichkeit keine Wahl, als sich eine Erklärung auszubitten.

– Mit unendlichem Vergnügen, Madame, sagte der Hauptmann und erstickte mit den tiefsten Registern einer Stimme das schwache Flüstern, in welchem Mr. Noël Vanstone Magdalenen seine Artigkeiten sagte. Wir wollen, wenn es Ihnen gefällig ist, mit einem ersten Princip anfangen. Alle Körper, welche nur immer auf der Oberfläche des Wassers schwimmen, entfernen (durch den eingetauchten Theil) gerade soviel Flüssigkeit, daß deren Gewicht gleich ist dem Gewichte dieser Körper. Gut! Wir haben nun unsern ersten Satz. Was folgern wir nun daraus? Offenbar dieses: daß, um ein Schiff auf dem Wasser zu erhalten, es nothwendig ist, dafür Sorge zu tragen, daß das Schiff und dessen Ladung von weniger Gewicht sei, als das Gewicht der entsprechenden Menge Wasser – ich bitte, folgen Sie mir! – der entsprechenden Menge Wasser, die gleich ist dem Theil des Schiffes, den man ohne Gefahr unterm Wasserspiegel gehen läßt. Nun aber, Madame, ist Salzwasser specifisch dreißig Mal schwerer denn süßes oder Flußwasser, und ein Fahrzeug auf der Nordsee wird nicht so tief sinken, als eins auf der Themse. Folglich, wenn wir unser Schiff beladen mit der Bestimmung für den Londoner Markt, so haben wir – um mit dem Hydrostatiker zu sprechen – drei Auswege Entweder wir laden ein Dreißigstel weniger, als wir zur See nehmen können, oder wir nehmen an der Mündung des Flusses ein Dreißigstel heraus, oder wir thun keines von Beiden und – wie ich bereits die Ehre hatte zu bemerken – gehen zu Grunde! Dies, sagte der Hauptmann und nahm den Feldstuhl zum Zeichen, daß Joyce für dies Mal fertig sei, aus der rechten in die linke Hand – dies, liebe Madame, ist die Stabilitätstheorie der schwimmenden Körper. Gestatten Sie mir zum Schlusse hinzuzufügen – ich heiße Sie herzlich willkommen!

– Ich danke Ihnen, Sir, sprach Mrs. Lecount Sie haben ganz unabsichtlich eine wunde Stelle berührt; aber die Mittheilung, die ich empfing, ist in dem Betracht nicht weniger werthvoll Es ist lange, lange her, Mr. Bygrave, daß ich zu mir in der Sprache der Wissenschaft habe reden hören. Mein theurer Ehegatte machte mich zu seiner Mitarbeiterin, mein theurer Gatte klärte meinen Geist auf, wie Sie versucht haben, ihn aufzuklären. Niemand hat sich nochmals um meinen Verstand bekümmert. Besten Dank, Sir. Ihre freundliche Theilnahme für mich soll nicht an eine Unwürdige verschwendet sein.

Sie seufzte mit schmerzlicher Demuth und öffnete insgeheim ihre Ohren für die Unterhaltung auf der andern Seite von ihr.

Eine Minute früher würde sie gehört haben, wie sich ihr Herr in den schmeichelhaftesten Ausdrücken betreffs der äußern Erscheinung von Miss Bygrave in ihrem Seebadekleide erging. Aber Magdalene hatte Hauptmann Wragges Zeichen mit, dem Feldstuhl gesehen und darauf hin sofort Mr. Noël Vanstone auf ihn selbst und seine Besitzungen gebracht, indem sie sich ganz vortrefflich die Gelegenheit ersah, ihn über sein Hans zu Aldborough zu fragen.

– Ich möchte Sie nicht erschrecken, Miss Bygrave, waren die ersten Worte Mr. Noël Vanstones, welche Mrs. Lecounts aufmerksame Ohren auffingen, aber es giebt nur ein einziges sicheres Haus in Aldborough – und dies Haus ist das meinige. Die See mag die anderen Häuser alle zerstören, meins kann sie nicht zerstören. Mein Vater hat dafür gesorgt, mein Vater war ein merkwürdiger Mann. Er hatte mein Haus auf Pfählen gebaut. Ich habe Grund zu glauben, es sind die stärksten Pfähle in England. Nichts kann sie denkbarerweise zusammenbrechen, – was das Meer thut, läßt mich unbesorgt – Nichts kann denkbarerweise sie zusammenbrechen.

– Dann müßten wir ja, wenn die See hereinstürzt, sagte Magdalene, Alle bei Ihnen Zuflucht suchen.

Mr. Noël Vanstone ersah hier die Gelegenheit günstig zu einem neuen Compliment, und zur selben Zeit sah jetzt der Hauptmann den Augenblick gekommen für einen neuen wissenschaftlichen Erguß.

– Ich möchte beinahe wünschen, der Einbruch der See möchte erfolgen, murmelte der Eine der Herren, nur um mir das Glück zu verschaffen, Zuflucht bieten zu dürfen.

– Ich möchte beinahe darauf schwören, daß der Wind schon wieder umgesetzt hätte! rief der Andere. Wo ist ein Mann, den ich fragen kann? Ach, da ist er. Bootsmann! Wie geht der Wind jetzt? Westnordwest – he? Und Südsüdost gestern Abend – he? Giebt es etwas Merkwürdigeres, Mrs. Lecount, als die Veränderlichkeit des Windes in diesem Klima? fuhr der Hauptmann fort, indem er den Feldstuhl auf seine wissenschaftliche Seite herübernahm. Giebt es eine staunenswerthere Naturerscheinung für den wissenschaftlichen Forscher? Sie werden mir sagen, daß das elektrische Fluidum, das in der Luft so reich vorhanden ist, die Hauptursache dieser Veränderlichkeit sei. Sie werden mich an das Experiment jenes berühmten Philosophen erinneren, der die Schnelligkeit eines großen Sturmes an dem Fluge kleiner Federn maß. Liebe Madame, ich gebe alle Ihre Behauptungen zu…

 

– Entschuldigen Sie, bitte ich, Sir, sagte Mrs. Lecount; Sie schreiben mir da Kenntnisse zu, welche ich nicht besitze. Behauptungen, – bedaure ich sagen zu müssen, sind ganz außer dem Bereiche meines Wissens.

– Mißverstehen Sie mich nicht, Madame, fuhr der Hauptmann fort, indem er so höflich war, die Unterbrechung scheinbar ganz zu überhören. Meine Bemerkungen betreffen nur die gemäßigte Zone. Stellen Sie mich an die Küsten zwischen den Tropen, stellen Sie mich dorthin, wo der Wind bei Tage nach der Küste und bei Nachtzeit nach der See weht – und ich schreite gleich zu schlagenden Experimenten. Zum Beispiel weiß ich, daß die Sonnenhitze während des Tages die Luft über dem Lande verdünnt und so den Wind hervorbringt. Sie fordern mich auf, dies zu beweisen. Ich begleite Sie die Küchentreppe hinab – wenn Sie es gütigst erlauben —; ich nehme meine größte Pastetenschüssel aus den Händen der Köchin, ich fülle sie mit kaltem Wasser. Gut! Besagte Schüssel mit kaltem Wasser stellt das Weltmeer dar. Ich versehe mich sodann mit einem unserer kostbarsten Hausgeräthe, einem Heißwasserteller, fülle ihn mit heißem Wasser und stelle ihn mitten in die Pastetenschüssel. Wieder gut! Der Heißwasserteller stellt das die Luft darüber verdünnende Land vor. Behalten Sie Das im Sinne und geben Sie mir ein angezündetes Licht. Ich halte mein angezündetes Licht über das kalte Wasser und blase es aus. Der Rauch bewegt sich sofort von der Schüssel nach dem Teller hin. Bevor Sie Zeit haben, sich dessen zu erfreuen, zünde ich das Licht wieder an und drehe das ganze Kunststück um. Ich fülle die Pastetenschüssel mit heißem Wasser und den Teller mit kaltem; ich blase das Licht wieder aus, und nun geht der Rauch dies Mal von dem Teller nach der Schüssel. Der Qualm ist unangenehm —, aber das Experiment ist schlagend.

Er nahm den Feldstuhl wieder zurück in die Linie und sah Mrs. Lecount mit seinem süßen Lächeln an.

– Sie finden mich doch nicht weitschweifig, Madame, nicht wahr? sagte er mit einer leichten, heitern Art und Weise, gerade als die Haushälterin wieder ein Mal heimlich die Ohren spitzte auf die Unterhaltung drüben neben ihr.

– Ich bin überrascht, Sir, über die fortlaufende Kette Ihrer gelehrten Erklärungen, versetzte Mrs. Lecount, indem sie den Hauptmann mit einiger Verwirrung, aber; dies Mal ohne irgend welches Mißtrauen anschaute.

Sie hielt ihn sogar als Engländer für excentrisch und vielleicht etwas eitel auf seine Kenntnisse. Aber er hatte ihr doch mittelbar geschmeichelt, indem er seine Wissenschaft vor ihr auspackte, und sie fühlte dies um so tiefer, als sie hatte erleben müssen, ihre wissenschaftliche Wahlverwandtschaft mit ihrem verstorbenen Gatten von den Leuten, mit denen sie im Verkehr kam, gar nicht groß beachtet zu sehen.

– Haben Sie, Sir, Ihre Forschungen, fuhr sie nach einem augenblicklichen Zögern fort, auf das wissenschaftliche Fach meines verstorbenen Gatten erstreckt? Ich frage nur, Mr. Bygrave, weil ich mich, obschon ich nur eine Frau bin gerade betreffs der Reptilien mit Ihnen aussprechen könnte.

Der Hauptmann war ein viel zu kluger Kopf, als daß er sich mit seinen populären Kenntnissen auf feindliches Gebiet hätte locken lassen. Der alte Milizsoldat schüttelte seinen vorsichtigen Kopf.

Ein zu umfangreicher Gegenstand, Madame, sagte er, für einen Halbgelehrten, wie ich bin. Das Leben und die Arbeiten eines solchen Philosophem wie Ihr Gatte, Mrs. Lecount, sind darnach angethan, um Männer von meinem Geistesschlage waidlich abzuschrecken, sich mit einem Riesen zu messen. Darf ich fragen, fuhr der Hauptmann fort, indem er leise den Weg zu künftigen Verkehr mit der Amsee anbahnte, ob Sie irgend welche wissenschaftliche Denkschriften von dem verstorbenen Professor besitzen?

– Ich besitze seinen Wasserthierbehälter, Sir, sagte Mrs. Lecount, indem sie bescheiden die Augen zu Boden schlug, und eines von seinen Untersuchungsthieren, eine kleine ausländische Kröte.

Einen Wasserthierbehälter! rief der Hauptmann in Tönen schmerzlichen Interesses aus. Und seine Kröte! Verzeihen Sie meine plumpe Art, mich auszusprechen Madame. Sie besitzen einen Gegenstand von allgemeinen, Interesse, und als ein Mitglied dieser Allgemeinheit bekenne ich gern meine Neugier, es zu sehen.

Mrs. Lecounts glatte Wangen wurden roth vor Vergnügen. Die einzige schwache Seite in dieser kalten und verschlossenen Natur war das Andenken an den Professor. Wenn sie auf seine wissenschaftlichen Arbeiten stolz war, wenn sie schmerzlich berührt wurde, dieselben außerhalb seines Vaterlandes nur ganz wenig gekannt sehen zu müssen, so waren das ursprünglich, tiefgehende Gefühle. Niemals hatte Hauptmann Wragge seinen falschen Weihrauch auf dem leidigen Altar der menschlichen Eitelkeit mit besserem Erfolge angezündet, als jetzt.

– Sie sind sehr freundlich, Sir, sagte Mrs. Lecount Indem Sie meines Gatten Andenken ehren, ehren Sie zugleich auch mich. Allein Sie behandeln mich zu freundlich, auf dem Fuße der Gleichstellung, ich darf nicht vergessen, was ich für eine Stelle im Hause einnehme. Ich werde es als ein schönes Vorrecht empfinden, Ihnen meine Andenken zu zeigen, wenn Sie mir erst gestatten wollen die Erlaubniß meines Herrn einzuholen.

Sie wandte sich an Mr. Noël Vanstone Ihre ganz aufrichtige Absicht, das vorgeschlagene Ersuchen zu stellen, mischte sich in Folge jener seltsamen Verschränkung der Motive, welche sich in einem Frauengemüthe weit öfterer denn bei einem Manne findet, mit dem eifersüchtigen Mißtrauen, das ihr der Eindruck verursacht hatte, den Magdalene auf ihren Herrn gemacht hatte.

– Darf ich Sie um Etwas bitten, Sir? frug Mrs. Lecount, nachdem sie einen Augenblick gewartet hatte, um ein Stückchen von der zärtlichen Unterhaltung zu erfahren, aber von Magdalenen Dank dem Feldstuhle allerliebst hinters Licht geführt war. Mr. Bygrave ist eine von den wenigen Personen in England, welche meines Gatten wissenschaftliche Arbeiten zu schätzen wissen. Er giebt mir die Ehre, meine kleine Reptilienwelt sehen zu wollen. Darf ich sie ihm zeigen?

– Ganz gewiß, Lecount, sagte Mr. Noël Vanstone mit großer Artigkeit. Sie sind eine vortreffliche Person, und ich verpflichte Sie gern. Lecounts Wasserbehälter, Mr. Bygrave, ist der einzige in England; Lecounts Kröte ist die älteste Kröte in der Welt. Wollen Sie kommen und heute um sieben Uhr Thee bei mir trinken? Und wollen Sie Miss Bygrave veranlassen, Sie zu begleiten? Ich möchte ihr gern mein Haus zeigen. Ich glaube nicht, daß sie eine Idee hat, wie fest das Haus ist. Kommen Sie und sehen Sie selber zu, ob ich nicht zu viel gesagt, Miss Bygrave Sie sollen einen Stock bekommen, um an die Wände klopfen zu können, Sie sollen in das erste Stock hinaufgehen und auf die Dielen stoßen, und dann sollen Sie auch hören, was es kostet.

Seine Augen zogen sich zu einem pfiffigen Zwinkern zusammen, und seine Lippen säuselten noch mehr zartes Gekose in Magdalenens Ohr unter dem Schutze der Alles übertönenden Stimme, mit der Hauptmann Wragge ihm für die Einladung dankte.

– Kommen Sie pünktlich um Sieben, flüsterte er, und tragen sie, wenn ich bitten darf, diesen reizenden Hut!

Mrs. Lecounts Lippen schlossen sich unheilverkündend. Sie fing an die Nichte des Hauptmanns als eine sehr schlimme Schattenseite des geistigen Genusses zu betrachten, welchen ihr die Gesellschaft des Hauptmannes gewährte.