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Märgi loetuks
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– Legen Sie es auf dem Bett auseinander, sagte Mrs. Lecount. Sie werden eine doppelte Frisur um den Saum desselben laufen sehen. Heben Sie die äußere Frisur in die Höhe und lassen Sie die innere Zoll für Zoll durch Ihre Finger gleiten. Wenn Sie zu einer Stelle kommen, wo ein Stück ans dem Zeuge fehlt, so halten Sie inne und sehen Sie mich an.

Er ließ die Frisur langsam durch die Finger gehen über eine Minute, hielt dann inne und sah auf. Mrs Lecount holte ihre Brieftasche heraus und öffnete sie.

– Jedes Wort, das ich jetzt sage, Sir, ist von ernsten Folgen für Sie und für mich, sprach sie. Hören Sie mich mit der gespanntesten Aufmerksamkeit an. – Als das Weib, das sich Miss Garth nannte, uns auf Vanxhallpromenade besuchte, kniete ich hinter dem Stuhle, auf welchem es saß, nieder und schnitt ein Stückchen Zeug von dem Kleide aus, das es trug, um mit Hilfe desselben das Kleid wieder zu kennen, wenn ich es je wiedersah. Ich that dies, als die ganze Aufmerksamkeit des Frauenzimmers auf das Gespräch mit Ihnen gerichtet war. Das Stückchen Zeug ist in meiner Brieftasche geblieben. Von jener Zeit an bis zu diesem Augenblicke. Sehen Sie selbst, Mr. Rost, ob es in die Lücke des Kleides paßt, welches Sie eben eigenhändig aus dem Kleiderschrein Ihrer Frau genommen haben.

Sie stand auf und gab ihm übers Bett das Stück Zeug in die Hand. Er legte es in die fehlende Stelle der Frisur, so gut es seine zitternden Finger ihm gestatteten.

– Paßt es, Sir? frug Mrs Lecount.

Das Kleid fiel ihm aus-den Händen, und die tödtliche bläuliche Blässe, vor welcher jeder Doktor, der ihn in Behandlung gehabt hatte, seine Haushälterin gewarnt hatte, verbreitete sich langsam über sein Gesicht. Mrs. Lecount hatte nicht auf eine solche Antwort auf ihre Frage gerechnet, wie sie jetzt auf seinen Wangen sah. Sie eilte um das Bett herum auf ihn zu mit dem Riechfläschchen in der Hand. Er sank auf seine Kniee und hielt sich an ihrem Kleide mit dem angstvollen Klammern eines Ertrinkenden.

– Retten Sie mich! röchelte er in heiserm, athemlosem Flüstern. Ach, Lecount, retten Sie mich!

– Ich verspreche, Sie zu retten, sprach Mrs. Lecount, ich bin hier mit den Mitteln und dem entschlossenen Willen, Sie zu retten. Kommen Sie von diesem Orte hinweg, kommen Sie näher an die Luft.

Sie hob ihn in die Höhe, wie sie so sprach, und führte ihn durchs Zimmer nach dem Fenster hin.

– Fühlen Sie wieder die linke Schläfe schmerzen? frug sie mit den früheren Zeichen von Unruhe, die sie jetzt an den Tag gelegt hatte. Hat Ihre Frau etwas Eau de Cologne, etwas flüchtiges Salz in ihrem Zimmer? Machen Sie sich nicht matt durch Sprechen, – zeigen Sie nur auf die Stelle!

Er zeigte nach einem kleinen dreieckigen Wandschrank von altem wurmstichigen Nußholz, der in einer Ecke des Zimmers in der Höhe an gebracht war. Mrs Lecount versuchte ihn zu öffnen, die Thür war verschlossen.

Als sie diese Entdeckung machte, sah sie sein Haupt allmählich auf den Lehnstuhl sinken, auf den sie ihn gesetzt hatte. Die Warnung des Arztes in früheren Jahren:

– Lassen Sie ihn ohnmächtig werden, so ist es sein Tod! fiel ihr wieder ein, als wenn sie erst gestern gesprochen wäre. Sie sah wieder auf den Wandschrank. In einem Behältniß unter demselben lagen einige Stücke Bindfaden, die dahin gelegt waren zum Zwecke des Einpackens. Ohne einen Augenblick zu zögern, hob sie ein Stück Bindfaden auf, band das eine Ende fest an den Knopf der Schrankthür, faßte dann das andere Ende mit beiden Händen und zog dieselben plötzlich mit Aufbietung aller Kräfte an. Das morsche Holz gab nach, die Schrankthür flog auf, und ein Haufen kleiner Nippsachen fiel mit Geräusch auf den Boden. Ohne sich bei dem zerbrochenen Porzellan und Glaswerk zu ihren Füßen aufzuhalten, schaute sie in die dunklen Fächer des Schrankes und sah das Funkeln zweier Glasfläschchen. Eins stand ganz hinten auf dem Brette, das andere ein wenig weiter vorn und verdeckte es beinahe. Sie ergriff sie beide zugleich und nahm sie, in jeder Hand eins, an das Fenster, wo sie ihre Signaturen bei hellerem Lichte sehen konnte. Das Fläschchen in ihrer rechten Hand war das erste, das sie ansah, es war bezeichnet:


Also Riechsalz. Sie legte sofort das andere Fläschchen neben sich auf den Tisch, ohne es weiter anzusehen. Das andere Fläschchen lag da, indem es wartete, bis es an die Reihe kam. Es enthielt eine dunkle Flüssigkeit und war bezeichnet:



Mrs. Lecount vermischte das flüchtige Salz mit Wasser und wandte es sofort an. Das Reizmittel that seine Wirkung. In wenigen Minuten war Noël Vanstone im Stande, sich ohne Beistand in dem Stuhle zu erheben, seine Farbe änderte sich wieder zum Bessern, und sein Athemholen ging wieder weniger beklommen von Statten.

– Wie befinden Sie sich jetzt, Sir? frug Mrs. Lecount. Sind Sie wieder auf der linken Seite warm?

Er schenkte dieser Frage keine Aufmerksamkeit, seine Augen, die im Zimmer umhergingen, richteten sich zufällig nach dem Tische. Zu Mrs. Lecounts Verwunderung beugte er sich, anstatt ihr zu antworten, in seinem Stuhle vorwärts und schaute mit starren Augen und Deuten der Hand auf das zweite Fläschchen, welches sie aus dem Schranke genommen und hastig bei Seite gestellt hatte, ohne es zu beachten. Da sie sah, daß irgend etwas Anderes ihm Unruhe verursachte, ging sie nach dem Tische und sah auch dahin, wohin er blickte. Die Seite mit dem Zettel war ganz sichtbar, und da in der deutlichen Handschrift des Apothekers zu Aldborough sah ihnen Beiden das eine schreckliche Wort ins Gesicht:

Gift

Sogar Mrs. Lecounts Selbstbeherrschung wurde durch diese Entdeckung erschüttert. Sie war nicht vorbereitet, ihre düstersten Ahnungen, die unerkannte Quelle ihres Hasses gegen Magdalenen, so verwirklicht vor ihren Augen zu sehen. – Die Selbstmörderverzweiflung in welcher das Gift angeschafft worden war, der Selbstmordzweck, zu welchem ein an der Zukunft verzagendes Herz das Gift in Bereitschaft gesetzt, hatten nun ihren Lohn dahin. Da lag das Fläschchen in Magdalenens Abwesenheit als falscher Zeuge eines Anschlages, der nimmer in ihre Seele gekommen, des Anschlages gegen ihres Gatten Leben! —

Mit seiner Hand noch immer unwillkürlich auf den Tisch deutend, erhob Noël Vanstone sein Haupt und sah zu Mrs. Lecount auf.

– Ich nahm es aus dem Schranke, sagte sie zur Antwort auf den Blick. Ich nahm beide Fläschchen zusammen heraus, indem ich nicht wußte, welches dasjenige sein mochte, das ich brauchte. Ich bin ebenso erschreckt, ebenso beängstigt als Sie.

– Gift! sprach er vor sich hin langsam, Gift – von meiner Gattin auf dem Schranke in ihrem Zimmer verschlossen gehalten!

Er hielt inne und sah noch einmal auf Mrs. Lecount.

– Für mich? frug er in einem zerstreuten, forschenden Tone.

– Wir wollen nicht davon sprechen, Sir, bis nicht Ihr Geist erst ruhiger geworden ist, sagte Mrs. Lecount. Lassen Sie uns versuchen, diese fürchterliche Entdeckung über der Gegenwart zu vergessen, wir wollen sogleich hinunter gehen. Alles, was ich Ihnen jetzt zu sagen habe, läßt sich in einem andern Zimmer sagen.

Sie half ihm vom Stuhle auf und nahm seinen Arm unter den ihrigen.

– Es ist gut für ihn, gut für mich, dachte sie, als sie zusammen hinuntergingen, daß ich gerade jetzt kam. —

Als sie über die Flur gingen, schritt sie auf die vordere Thür zu, wo der Wagen wartete, der sie von Dumfries hergebracht hatte, und gab dem Kutscher den Befehl, seine Pferde in dem nächsten besten Gasthofe unterzubringen und in zwei Stunden wieder vorzukommen. Als Dies geschehen war, begleitete sie Noël Vanstone in das Empfangszimmer, schürte das Feuer im Kamin an und setzte ihn bequem in einen Lehnstuhl davor. Er saß einige Minuten und wärmte schwach, wie ein alter Mann, seine Hände und starrte gerade vor sich hin in das Feuer. Dann sprach er.

– Als das Frauenzimmer auf der Vauxhallpromenade kam und mich bedrohte, begann er, indem er fort und fort ins Feuer sah, kamen Sie, nachdem es gegangen war, in das Besuchszimmer zurück und sagten mir…?

Er hielt inne, schwankte ein wenig und verlor den Faden seiner Erinnerungen bei diesem Punkte.

– Ich sagte Ihnen, Sir, sprach Mrs. Lecount, daß das Frauenzimmer meiner Meinung nach Miss Vanstone selber war. – Fahren Sie nicht auf, Mr. Noël! Ihre Gattin ist fort, und ich bin hier, um für Sie zu sorgen! Sagen Sie zu sich, wenn Sie Furcht empfinden:

– Die Lecount ist ja hier, die Lecount wird für mich sorgen.

– Die Wahrheit muß gesagt werden, Sir, wie hart sie auch zu tragen sein wird. Miss Magdalene Vanstone war das Weib, das zu Ihnen verkleidet kam, – das Weib, das zu Ihnen verkleidet kam, ist dasselbe, das Sie geheirathet haben. Der Anschlag, mit dem dasselbe Sie zu London bedrohte, ist derselbe, durch welchen sie Ihre Frau wurde: das ist die volle Wahrheit. Sie haben das Kleid oben gesehen. Wenn das Kleid nicht mehr vorhanden gewesen wäre, so würde ich doch noch Beweise gehabt haben, um Sie zu überzeugen. Dank meiner Unterredung mit Mrs. Bygrave habe ich das Haus, wo das Weib in London wohnte, entdeckt, – es lag unserm Hause auf Vauxhallpromenade gegenüber. Ich habe mich an eine von den Töchtern der Wirthin herangemacht, die Ihre Frau von einem inneren Zimmer aus beobachtete und sah, wie sie die Verkleidung anlegte, welche Erstere also ihre Persönlichkeit und die ihrer Begleiterin, Mrs. Bygrave, feststellen kann und mir auf mein Ersuchen eine schriftliche Erklärung über den Thatbestand, die sie, falls Jemand ihr widersprechen sollte, eidlich zu erhärten erbötig ist, übergeben hat. Sie sollen die Erklärung lesen, Mr. Noël, wenn Sie wollen, sobald Sie so weit gefaßt sind, um sie zu verstehen. Sie sollen auch einen Brief von der Hand der Miss Garth zu lesen bekommen, – welche auf Ihren allfallsigen Wunsch selbst mündlich wiederholen wird, was sie mir geschrieben hat – einen Brief, welcher auf das Bestimmteste in Abrede stellt, daß sie je auf Vauxhallpromenade war, und auf das Bestimmteste erklärt, daß jene Male auf dem Nacken Ihrer Gattin Miss Magdalene Vanstone eigenthümlich sind, die sie von Kindesbeinen auf gekannt hat. – Ich sage es mit gerechtem Stolze: Sie werden nirgends eine schwache Stelle in dem Beweise entdecken, den ich Ihnen gebe. Wenn Mr. Bygrave nicht meinen Brief unterschlagen hätte, so würden Sie gewarnt gewesen sein, ehe ich ein Opfer der grausamen Täuschung wurde, die mich nach Zürich schickte, und die Beweise, die ich Ihnen jetzt nach Ihrer Verheirathung gebe, würde ich Ihnen damals vor derselben geschafft haben. Machen Sie mich nicht verantwortlich, Sir, für Das, was vorgefallen, seitdem ich England verlassen hatte. Klagen Sie den Bastard ihres Oheims an, klagen Sie den Schurken mit dem braunen und dem grünen Auge an!

 

Sie sprach ihre letzten giftigen Worte so langsam und deutlich aus, wie die übrigen. Noël Vanstone gab keine Antwort von sich, er saß noch da und kauerte sich am Feuer zusammen. Sie sah ihm ins Gesicht. Er weinte still vor sich hin.

– Ich war so verliebt in sie! sagte das elende kleine Geschöpf; und ich dachte, sie sei so verliebt in mich!

Mrs. Lecount kehrte ihm in verächtlichem Schweigen den Rücken.

– Verliebt in sie!

Wie sie jene Worte vor sich hin wiederholte, wurde ihr hartes Gesicht beinahe wieder hübsch in der strahlenden Innigkeit ihrer Verachtung.

Sie schritt auf einen Bücherschrank an dem unteren Ende des Zimmers zu und begann die Bände darin zu mustern. Ehe sie lange auf diese Weise beschäftigt war, wurde sie durch den Ton seiner Stimme aufgeschreckt, welcher sie ängstlich zurückrief. Die Thränen waren getrocknet, sein Gesicht war wieder schreckensbleich, als er sich zu ihr wandte.

– Lecount! sagte er, mit beiden Händen nach ihr greifend. Kann ein Ei vergiftet werden? Ich hatte ein Ei zum Frühstück heute Morgen und ein Stückchen Butterbrod.

– Beruhigen Sie sich, Sir, sprach Mrs. Lecount. Das Gift des Betrugs Ihrer Frau ist das einzige, das Sie bis jetzt eingenommen haben. Wenn sie sich bereits entschlossen hätte, Sie den Preis Ihrer Thorheit mit dem Leben zahlen zu lassen, würde sie nicht vom Hause abwesend sein, während Sie noch darin sind. Lassen Sie den Gedanken fahren. – Es ist jetzt Mittag, Sie bedürfen der Erholung. Ich habe Ihnen im Interesse Ihrer eignen Sicherheit noch mehr zu sagen, ich habe Etwas für Sie zu thun, was sofort geschehen muß. Sammeln Sie Ihre Kräfte, und Sie werden es auch vollbringen. Ich will Ihnen im Essen mit guten: Beispiel vorangehen, wenn Sie der Speise in diesem Hause mißtrauen. Sind Sie gefaßt genug, dem Mädchen seine Weisungen zu geben, wenn ich die Klingel ziehe? Es ist für den Zweck, den ich für Sie im Sinne habe, nothwendig, daß Niemand Sie für krank an Leib oder Seele hält. Versuchen Sie es erst mit mir, ehe das Mädchen hereinkommt. Wir wollen erst einmal sehen, wie Sie es anfangen und sprechen, wenn Sie sagen:

– Bring das zweite Frühstück.

Nach zweimaligem Probieren hielt; ihn Mrs Lecount für fähig, um den Befehl zu geben, ohne sich zu verrathen.

Louise gehorchte dem Befehl, – Louise sah Mrs Lecount scharf an. Das Frühstück wurde von dem Hausmädchen hereingebracht – das Hausmädchen sah Mrs. Lecount scharf an. Als das Frühstück zu Ende war, wurde der Tisch durch die Köchin abgeräumt, die Köchin sah Mrs. Lecount scharf an. Die drei Dienstmädchen wurden offenbar argwöhnisch, daß etwas Außerordentliches im Hause vorgehe. Es war kaum zu bezweifeln, daß sie sich untereinander in die drei Gelegenheiten getheilt hatten, welche die Bedienung bei Tische ihnen gewährte, um ins Zimmer zu gelangen.

Die Neugier, deren Gegenstand sie war, entging dem Scharfblick von Mrs. Lecount nicht.

– Ich that wohl daran, dachte sie bei sich, mich bei guter Zeit mit den Mitteln auszurüsten, mein Ziel zu erreichen. Wenn ich das Gras unter meinen Füßen wachsen lasse, möchte mir eines oder das andere dieser Frauenzimmer in den Weg treten.

Veranlaßt durch diese Erwägung brachte sie, sobald das letzte von den Mädchen das Zimmer verlassen hatte, ihre Reisetasche aus einer Ecke hervor, setzte sich an das entgegengesetzte Ende des Tisches Noël Vanstone gegenüber und sah ihn einen Augenblick an mit fester, forschender Aufmerksamkeit. Sie hatte sorgfältig die Menge Wein abgemessen, welche er beim Frühstück zu sich genommen, sie hatte ihn nur gerade so viel trinken lassen, als hinreichte, ihn zu stärken, ohne ihn aufzuregen, und betrachtete nun sein Gesicht sorgsam wie ein Künstler sein Gemälde am Ende seines Tagewerks. Das Ergebniß schien sie zu befriedigen, und sie begann nun das ernste Geschäft der Unterredung auf der Stelle.

– Wollen Sie das geschriebene Zeugniß einmal ansehen, Mr. Rost, das ich Ihnen erwähnte, ehe ich mehr sage? frug sie. Oder sind Sie hinreichend von der Wahrheit überzeugt, um sogleich auf den Vorschlag eingehen zu können, den ich Ihnen jetzt zu machen habe?

– Lassen Sie mich Ihren Vorschlag hören, sprach er, seine Ellenbogen ungescheut aus den Tisch stützend und seinen Kopf aus seine Hände legend.

Mrs. Lecount nahm das schriftliche Zeugniß, auf das sie eben angespielt hatte, aus ihrer Reisetasche und legte die Papiere auf die eine Seite neben ihn, so daß erste, wenn er sie haben wollte, leicht erreichen konnte. Ihre Erfahrung belehrte sie, daß das Zeichen Gutes bedeute.

In jenen seltenen Augenblicken, wo das geringe Maß von Entschlossenheit, das er besaß, in ihm lebendig war, äußerte sich dasselbe unveränderlich, wie die Entschlossenheit der meisten anderen schwachen Menschen, dadurch, daß er Streit suchte. In solchen Zeiten hob sich in demselben Verhältniß, als er gegen seine Umgebung äußerlich mürrisch und unhöflich war, seine Entschlossenheit und fiel in demselben Verhältniß, als er höflich und artig wurde. Der Ton der Antwort, die er eben gegeben hatte, und die Haltung, die er am Tische einnahm, brachten Mrs. Lecount zu der Ueberzeugung, daß spanischer Wein und schottischer Hammelbraten das Ihrige gethan und seinen sinkenden Muth wieder angefrischt hatten.

– Ich will die Frage nur der Form halber an Sie stellen, wenn Sie es wünschen, fuhr sie fort. Aber ich bin eigentlich ohne alle Frage bereits meiner Sache gewiß, – daß Sie nämlich Ihr Testament gemacht haben?

Er nickte mit dem Kopfe, ohne sie anzusehen.

– Sie haben es zu Gunsten Ihrer Frau gemacht?

Er nickte abermals.

– Sie haben ihr Alles vermacht, was Sie besitzen?

– Nein.

Mrs. Lecount sah überrascht aus.

– Hatten Sie, Mr. Noël, auf Ihre Hand bereits ein heimliches Mißtrauen gegen dieselbe? frug sie, oder hat vielleicht Ihre Frau selber ihrem eigenen Interesse in Ihrem Testamente Schranken gesetzt?

Er schwieg und war unangenehm berührt, er schämte sich offenbar, die Frage zu beantworten. Mrs. Lecount wiederholte letztere in einer weniger unmittelbaren Weise.

– Wie viel haben Sie Ihrer Wittwe hinterlassen, Mr. Noël, für den Fall Ihres Todes?

– Achtzig Tausend Pfund.

Diese Antwort erledigte die Frage. Achtzig Tausend Pfund waren gerade das Vermögen, das Michael Vanstone den Waisen seines Bruders beim Tode seines Bruders genommen hatte, gerade das Vermögen, von dem Michael Vanstones Sohn, als die Reihe an ihn kam, eben so unbarmherzig wie sein Vater Besitz ergriffen hatte. – Noël Vanstones Schweigen sprach das Geständniß aus, das er sich schämte abzulegen. – In der schwachen Stunde, worin ihm die Lust zu schenken gekommen war, hatte er seiner Gattin wahrscheinlich sein ganzes Hab und Gut zu Füßen gelegt. Und dies Mädchen, dessen rachsüchtiges Wagstück allen Widerstand überwältigt hatte, dies Mädchen, welches von seinem verzweifelten Entschluß selbst vor der Kirchthür nicht zurück gebebt war, hatte nur einen Theil angenommen, hatte buchstäblich nur seines Vaters Vermögen bis auf den letzten Heller von ihm genommen und dann der Hand, welche es mit noch zehn Tausend in Versuchung führte, kalt den Rücken gewandt! Für einen Augenblick wurde Mrs. Lecount füglich durch ihre eigene Ueberraschung sprachlos gemacht, Magdalene hatte ihr das Staunen abgenöthigt, welches mit Bewunderung nah verwandt ist, das Staunen, dessen sich ihre Feindseligkeit gern erwehrt haben würde. Sie haßte von dieser Zeit an Magdalenen noch zehn Mal mehr. —

– Ich zweifle gar nicht, Sir, fuhr sie nach einem augenblicklichen Schweigen fort, daß Mrs. Noël Vanstone Ihnen triftige Gründe angab, warum ihre Versorgung bei Ihrem Tode nicht mehr betragen sollte und auch nicht weniger, denn achtzig Tausend Pfund. Und auf der andern Seite bin ich überzeugt, daß, sie in Ihrer Unschuld und Arglosigkeit damals jene Gründe für zutreffend hielten. Jene Zeit ist aber nun vorbei. Ihre Augen sind offen, Sir, und Sie werden so wenig verfehlen, zu bemerken, als ich selbst, daß die Besitzung Combe-Raven genau der Summe entspricht, die Sie Ihrer Gattin als Vermächtniß nach deren eigenen Weisungen auswarfen. Wenn Sie nun um den Grund, warum dieselbe Sie geheirathet hat, noch einen Augenblick in Zweifel sind, so schauen Sie in Ihr Testament, – da drinnen ist der Grund zu finden!

Er erhob sein Haupt von seinen Händen und wurde zum ersten Male, seitdem sie sich bei Tische gegenüber saßen, ganz aufmerksam auf Das, was sie ihm sagte. Die Besitzung Combe-Raven war niemals in seinem Geiste für sich besonders gerechnet worden. Sie war auf ihn gekommen, als sein Vater starb, mitten unter den übrigen Besitzungen seines Vaters. Die Entdeckung, die ihm nun offenbar ward, war eine solche, wie er sie bei seiner Denkungsart und seiner Arglosigkeit bisher nicht machen konnte. Er sagte Nichts – aber er sah Mrs. Lecount weniger mürrisch an. Sein Wesen war leutseliger geworden, die Fluth seines Muthes war bereits wieder Ebbe geworden.

– Ihre Lage, Sir, muß in diesem Augenblicke Ihnen so klar sein, als mir, sagte Mrs. Lecount. Es ist nur ein Hinderniß jetzt übrig, das zwischen dieser Frau und der Erreichung ihres Zieles liegt. Dies Hinderniß ist Ihr Leben. Nach der Entdeckung, welche wir eben gemacht haben, überlasse ich es Ihrem eigenen Ermessen, sich zu sagen, wie viel Ihr Leben Werth ist.

Bei diesen entsetzlichen Worten verlief sich die Ebbe seiner Entschlossenheit bis auf das letzte Tröpfchen.

– Erschrecken Sie mich nicht! bat er, ich bin ja schon genug erschreckt worden!

Er stand auf und zog seinen Stuhl hinter sich um den Tisch herum an die Seite von Mrs. Lecount. Er setzte sich und küßte liebkosend ihre Hand.

– Sie gute Seele! sagte er mit sinkender Stimme.

Sie herrliche Lecount! Sagen Sie mir, was geschehen muß. Ich bin voll Entschlossenheit – ich will Alles thun, um mein Leben zu retten!

– Haben Sie Schreibmaterialien im Zimmer, Sir? frug Mrs. Lecount. Wollen Sie dieselben gefälligst auf den Tisch stellen?

Während die Schreibmaterialien herzugeschafft wurden, zog Mrs. Lecount abermals die Hilfsmittel ihrer Reisetasche zu Rathe. Sie zog zwei Papiere heraus, jedes in derselben schönen kaufmännischen Handschrift überschrieben. Das eine war überschrieben:

Entwurf zu einem gewissen Testament.

Das andere:

Entwurf zu einem gewissen Briefe.

Als sie dieselben auf den Tisch vor sich legte, zitterte ihre Hand« ein wenig, und sie wendete das flüchtige Salz, das sie um Noël Vanstones willen mitgenommen hatte, nun für sich selber an.

– Ich hatte, als ich hierher kam, gehofft, fuhr sie fort, Ihnen mehr Zeit zum Ueberlegen geben zu können, Mr. Noël, als es jetzt angezeigt scheint, Ihnen zu verstatten. Als Sie mir zuerst von der Abwesenheit Ihrer Gattin in London sprachen, hielt ich es für wahrscheinlich, daß der Zweck ihrer Reise ein Besuch bei ihrer Schwester und Miss Garth sei. Seit der fürchterlichen Entdeckung, welche wir oben im Hause gemacht haben, bin ich geneigt, diese meine Ansicht zu ändern. – Der Entschluß Ihrer Gattin, Ihnen nicht zu sagen, wer denn die Freunde und Verwandten seien, die sie besuchen wolle, erfüllt mich mit Besorgniß. Sie kann Mitschuldige und Helfershelfer in London haben, Helfershelfer in diesem Hause haben; denn wir haben vom Gegentheil gar keine Beweise. Alle Ihre drei Dienstmädchen, Sir, haben der Reihe nach Gelegenheit genommen, in das Zimmer zu kommen und mich anzuschauen. Ich lese nichts Gutes in ihren Blicken! Weder Sie, noch ich können wissen, was von einem Tage zum andern, ja nicht einmal, was von einer Stunde zur andern vorfallen kann. Wenn Sie meinen Rath annehmen, so beugen Sie allen möglichen Unglücksfällen mit einem Male vor und verlassen, wenn der Wagen zurückkommt, das Haus mit mir!

– Ja, ja! sagte er eifrig, ich will das Haus mit Ihnen verlassen. Ich würde um alle Summen in der Welt nicht hier bleiben, was man mir auch bieten möchte. – Wozu brauchen wir Feder und Tinte? Wollen Sie, oder soll ich hier Etwas schreiben?

 

– Sie sollen Etwas schreiben, Sir, sprach Mrs. Lecount. Die Mittel, welche angewendet werden sollen, um Ihre Sicherheit herzustellen, sollen von Anfang bis zu Ende ganz von Ihnen selbst in Bewegung gesetzt werden. Ich schlage vor, Mr. Noël, und Sie entscheiden. – Erkennen Sie Ihre Lage wohl, Sir. Was ist Ihre erste und dringendste nothwendige Aufgabe? Es ist offenbar folgende. Sie müssen das Interesse Ihrer Gattin an Ihrem Tode in Wegfall bringen, indem Sie ein anderes Testament machen.

Er nickte heftig Beifall, seine Farbe hob sich, und seine blinzelnden Augen glänzten in boshafter Siegesfreude.

– Sie soll keinen Heller haben, sprach er flüsternd vor sich hin, – sie soll keinen Heller haben!

– Wenn Ihr Testament aufgesetzt ist, Sir, fuhr Mrs. Lecount fort, so müssen Sie es in die Hände einer zuverlässigen Person legen – nicht in meine Hände, Mr. Noël, ich bin nur Ihre Dienerin! Dann, wenn das Testament in Sicherheit gebracht ist und Sie selber in Sicherheit sind, so schreiben Sie in diesem Hause an Ihre Gattin. Sagen Sie ihr, ihr schändliches Lügengewebe sei entdeckt, sagen Sie ihr in Ihrer gerechten Entrüstung, daß sie Ihre Schwelle niemals wieder betreten solle. Bringen Sie sich in diese starke Stellung, und fortan sind Sie nicht mehr von der Gnade und Ungnade Ihrer Gattin abhängig, sondern Ihre Gattin ist von Ihnen abhängig. Nehmen Sie Ihre eigene Kraft, Sir, zusammen mit der Hilfe, die Ihnen die Gerichte gewähren, und zwingen Sie diese Frau in Unterwürfigkeit und Demuth hinein gegenüber jeden Bedingungen, die Sie ihr für die Zukunft aufzuerlegen für gut befinden.

Er nahm eifrig die Feder zur Hand.

– Ja, sprach er mit rachsüchtiger Selbstüberhebung, jeden Bedingungen, die ich aufzuerlegen für gut befinde.

Er hielt aber plötzlich wieder inne, und sein Gesicht wurde verzagt und verwirrt.

– Wie soll ich es aber anfangen? frug er, indem er die Feder so rasch wieder hinwarf, als er sie erfaßt hatte.

– Was anfangen, Sir? frug Mrs. Leconnt.

– Wie kann ich meinen letzten Willen aussetzen, wenn Mr. Loscombe weit weg in London, und kein Advocat hier ist, mir Beistand zu leisten?

Mrs. Lecount klopfte mit dem Zeigefinger sanft auf die Papiere vor ihr.

– All der Beistand, den Sie brauchen, Sir, wartet hier auf Sie, sprach sie. Ich überlegte diesen Gegenstand sorgfältig hin und her, ehe ich hierher kam, und versah mich mit dem vertraulichen Rath eines Freundes, um mir über diejenigen Schwierigkeiten, welche ich allein für meine Person nicht überwinden konnte, hinweg helfen zu lassen. Der Freund, welchen ich meine, ist ein Herr von schweizerischer Abkunft, aber in England geboren und erzogen. Er ist kein Advocat von Beruf, aber er hat nichtsdestoweniger hinreichende Kenntniß von den Gesetzen. Dieser hat mir nun nicht allein eine Vorlage, nach der Sie Ihr Testament aufsetzen können, gemacht, sondern auch den schriftlichen Entwurf eines Briefes geliefert, den wir eben so unerläßlich nothwendig haben, als die Vorlage für das Testament selbst. Es gibt aber noch ein dringendes Geschäft für Sie, Mr. Noël, das ich bisher noch nicht erwähnt habe, welches jedoch in seiner Art nicht weniger wichtig ist, als die Aufgabe mit dem Testament.

– Was ist Das? frug er mit erwachender Neugier.

– Wir wollen es, wenn es soweit ist, vornehmen, antwortete Mrs. Lecount. Es ist noch nicht die Reihe an ihm. Zuvörderst das Testament, wenn Sie wollen. Ich will es nach der in meinen Händen befindlichen Vorlage dictiren, und Sie werden nachschreiben. Wenn ich mich nicht ganz und gar in Ihren Absichten irre, wird die Urkunde, sobald sie fertig ist, kurz und einfach genug sein, daß ein Kind sie verstehen kann. Wenn Sie aber noch irgend einen Zweifel in sich hegen, so beruhigen Sie sich darob vollkommen, indem Sie Ihr Testament einem Advocaten von Beruf vorlegen. In mittelst sehen Sie es nicht für zudringlich an, wenn ich Sie daran erinnere, daß wir Alle sterblich sind und daß

»den verlornen Augenblick
Bringt keine Ewigkeit zurück«

– Während noch die Zeit Ihnen gehört und während Ihre Feinde noch nicht Verdacht geschöpft gegen Sie, machen Sie Ihr Testament!

Sie schlug einen Bogen Briefpapier auseinander und legte ihn glatt vor ihn hin, tauchte die Feder in die Tinte und gab sie ihm in die Hand. Er nahm sie, ohne ein Wort zusagen, von ihr an und war allem Anscheine nach wiederum von einer augenblicklichen Unruhe gequält. Aber die Hauptsache war erreicht.

Da saß er, das Papier vor sich, die Feder in der Hand, endlich fest entschlossen, sein Testament zu machen.

– Die erste Frage, die Sie zu entscheiden haben, Sir, sprach Mrs. Lecount nach einem flüchtigen Blick auf ihren Entwurf, ist Ihre Wahl eines Testamentsvollstreckers. Ich habe kein Verlangen, Ihre Entscheidung zu beeinflussen aber ich darf Sie wohl ohne Rückhalt daran erinneren, daß eine kluge Wahl mit anderen Worten heißt: die Wahl eines alten bewährten Freundes, den Sie genugsam kennen, um ihm Vertrauen zu schenken.

– Das heißt vermuthlich den Admiral? sagte Noël Vanstone.

Mrs. Lecount nickte.

– Sehr gut, fuhr er fort. Der Admiral soll’s drum sein!

Es lag aber offenbar noch ein Druck auf seiner Seele. Sogar unter den sehr verfänglichen Umständen, in die er jetzt gerathen war, war es nicht seine Art, Mrs. Lecounts vollkommen vernünftigen und uneigennützigen Rath ohne einiges Tüfteln hinzunehmen, wie es jetzt der Fall war.

– Sind Sie bereit, Sir?

– Ja.

Mrs. Lecount dictirte ihm den ersten Satz nach dem Entwurf, wie folgt:

Das ist der letzte Wille und das Testament von mir, Noël Vanstone, jetzt auf Baliol-Villa bei Dumfries Wohnhaft
Ich widerrufe schlechterdings und in jedem einzelnen Stück mein früheres am dreißigten September achtzehnhundertneunundvierzig aufgesetzt« Testament und ernenne hiermit den Contreadmiral Arthur Everard Bartram zu St. Crux in der Marsch in der Grafschaft Esser zum einzigen Vollstrecker dieses meines Testaments

– Haben Sie diese Worte geschrieben, Sir?

– Ja.

Mrs. Lecount legte den Entwurf hin, Noël Vanstone legte die Feder hin. Sie sahen einander Beide nicht an. Es war ein langes Stillschweigen.

– Ich warte, Mr. Noël, sprach endlich Mrs. Lecount, – um zu hören, was Ihre Wünsche betreffs der Verfügung über Ihr Vermögen, – Ihr großes Vermögen sind, setzte sie mit unbarmherzigem Nachdruck hinzu.

Er nahm die Feder wieder in die Hand und fing an, in tiefem Schweigen den Federbart vom Kiel abzurupfen.

– Vielleicht kann Ihnen Ihr bereits vorhandenes Testament dazu verhelfen, mir Ihre Weisungen zu geben, Sir, fuhr Mrs. Lecount fort. Darf ich Sie fragen, wem Sie Ihr ganzes übriges Vermögen nach Abzug der Ihrer Frau vermachten achtzig Tausend Pfund hinterlassen hatten?

Wenn er diese Frage offen beantwortet hätte, so hätte er sagen müssen:

– Ich habe den ganzen Ueberschuß meinem Vetter, George Bartram, vermacht.

Und das darin liegende Anerkenntniß, daß Mrs. Lecounts Name in dem Testament nicht vorkam, hätte dann vor Mrs. Lecount selber erfolgen müssen. Ein viel kühnerer Mann möchte an seiner Stelle dieselbe Beklemmung und Verwirrung gefühlt haben, die er jetzt fühlte. Er zupfte das letzte Stückchen Federbart von dem Kiel und that nun, indem er mit einem verzweifelten Sprung über den Abgrund zu seinen Füßen hinwegsetzte, den ersten Schritt Mrs. Lecount entgegen, um deren Ansprüchen an ihn zu entsprechen.

– Ich möchte lieber von keinem andern Testamente sprechen, als dem, das ich jetzt mache, sagte er unruhig. Das erste Ding, Lecount,…

Er zögerte, steckte das nackte Ende des Kiels in den Mund, nagte daran in Gedanken versunken und sprach kein Wort weiter.

– Nun, Sir? – beharrte Mrs. Lecount.

– Das Erste ist…

– Nun, Sir?

– Das Erste ist, … Ihre Versorgung festzustellen.