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Ich bin fertig. Meine letzten Wünsche sind Dir nun vertraut, indem ich stillschweigend auf Deine Ehre rechne und auf die zärtliche Sorge für das Andenken Deines Freundes. Von den beklagenswersthen Umständen, welche mich so zu schreiben zwingen, wie eben geschehen ist, sage ich Nichts. Du wirst, wenn ich am Leben bleibe, aus meinem eigenen Munde davon hören; denn Du wirst der erste Freund sein, den ich in meiner Noth und Sorge zu Rathe ziehen werde. Halte diesen Brief sorgfältig geheim und sorgfältig in Deinen Händen, bis meine Wünsche erfüllt sind. Laß kein menschliches Wesen außer Dir unter keinerlei Vorwand wissen, wo er ist;

Halte mich, lieber Admiral Bartram, immer für

Deinen herzlich ergebenen

Noël Vanstone.

– Haben Sie unterschrieben, Sir? frug Mrs. Lecount. Lassen Sie mich, wenn Sie wollen, den Brief noch ein Mal überlesen, ehe Sie ihn zusiegeln.

Sie las den Brief sorgsam durch. In Noël Vanstones enger, gedrängter Handschrift füllte er zwei Seiten eines Briefbogens und schloß oben auf der dritten Seite. Anstatt ein Couvert zu nehmen, brach ihn Mrs. Lecount sauber und sicher in der altherkömmlichen Art. Sie zündete den Wachsstock auf dem Schreibzeug an und gab den Brief dem Absender zurück.

– Siegeln Sie ihn, Mr. Noël, sprach sie, eigenhändig und mit Ihrem eigenen Petschaft zu. —

Sie löschte den Wachsstock aus und gab ihm wieder die Feder in die Hand.

– Schreiben Sie die Adresse, Sir, fuhr sie fort: an

ADMIRAL BARTAM
ST. CRUX
in der Marsch
ESSEX

– Und nun fügen Sie über der Adresse folgende Worte hinzu und unterzeichnen Sie dieselben:

In Deinen Händen zu bewahren und erst am Tage meines Todes —

oder wenn Sie lieber wollen:

– meines Ablebens zu erbrechen.

Noël Vanstone.

– Sind Sie fertig? Lassen Sie mich noch einmal sehen. – Ganz richtig in allen Stücken. Nehmen Sie meinen Glückwunsch, Sir. Wenn nunmehr Ihre Frau nicht ihren letzten Anschlag wegen des Combe-Raven-Vermögens ausgeführt hat, so ist es nicht Ihre Schuld, Mr. Noël, – auch nicht meine Schuld!

Als Noël Vanstone nach Vollendung des Briefes seine Aufmerksamkeit wieder unterbrechen konnte, kam er sofort auf rein persönliche Betrachtungen zurück.

– Jetzt müssen wir an das Einpacken denken, sprach er, ich kann nicht fortgehen ohne meine warmen Sachen.

– Entschuldigen Sie, Sir, fiel Mrs. Lecount ein, es ist noch das Testament zu unterschreiben, und es müssen zwei Personen gefunden werden, die Ihre Unterschrift bezeugen.

Sie sah zum Vorderfenster hinaus und sah den Wagen an der Thür halten.

– Der Kutscher ist gut zu einem dieser Zeugen, sagte sie. Er ist in einem anständigen Dienst in Damfries und kann ausfindig gemacht werden, wenn er nötig ist. Als zweiten Zeugen müssen wir eins von Ihren Leuten nehmen, glaube ich. Es sind alles abscheuliche Frauenzimmer; die Köchin ist noch die, welche von den Dreien am Wenigsten übel aussieht. Klingeln Sie der Köchin, Sir, während ich hinausgehe und den Kutscher rufe. Wenn wir unsere Zeugen hier haben, haben Sie nur folgende Worte zu sprechen:

– Ich habe da eine Urkunde zu unterschreiben, und ich wünsche, daß Ihr als Zeugen meiner Unterschrift Eure Namen mit hersetzt.

– Weiter Nichts, Mr. Noël! Sagen Sie diese wenigen Worte in Ihrer gewöhnlichen Art und Weise, und wenn das Unterschreiben vorüber ist, will ich selbst nach dem Einpacken und Ihren warmen Sachen sehen.

Sie ging nach der Vorderthür und rief den Kutscher in das Zimmer herein. Bei ihrer Rückkehr fand sie die Köchin schon in der Stube. Die Köchin sah unerklärlicher Weise beleidigt aus und starrte Mrs. Lecount ununterbrochen an. Eine Minute später kam der Kutscher, ein ältlicher Mann, herein. Es ging ihm ein frischer Branntweingeruch voran, aber sein Kopf war fest auf gut Schottisch, und nichts als der Geruch verrieth ihn.

– Ich habe da eine Urkunde zu unterschreiben, sagte Noël Vanstone, wie ihm eingelernt worden war, und ich wünsche, daß Ihr als Zeugen meiner Unterschrift Eure Namen mit hersetzt.

Der Kutscher sah auf das Testament. Die Köchin verwandte kein Auge von Mrs. Lecount.

– Mit Verlaub, Sie werden wohl Nichts dawider haben, Sir, sagte der Kutscher mit der Vorsicht seines Volkes, die sich in jedem Zuge seines Gesichts aussprach. Sie werden Nichts dawider haben, Sir, mir zuerst zu sagen, was das eigentlich für ’ne Urkunde ist?

Mrs. Lecount schlug sich ins Mittel, noch ehe Noël Vanstones Unwille sich in Worten aussprechen.konnte.

– Sie müssen dem Manne sagen, Sir, daß dies Ihr Testament ist, sagte sie. Wenn er Ihre Unterschrift bezeugt, kann er allein schon so viel sehen,wenn er an den Anfang der Seite sieht.

– Ja, ja, sagte der Kutscher und sah sofort an den Anfang der Seite. Sein »letzter Wille und Testament«. Ja, Sirs! des is ’n schlechtes Voraugentreten mit dem Tode in einer Urkunde, die Ihrigte!

– ’S Fleisch ist wie Gras, fuhr der Kutscher fort, indem er einen neuen Whiskygeruch ausströmte und fromm zur Decke aufblickte. Nehmen Se diese Worte mit der übrigen heiligen Schrift: Viele feind berufen, aber wenige auserwählt. Nehmen Sie Das wieder zu der Offenbarung: erstes Capitel, Vers eins bis. fünfzehn. Legen Se das Ganze aufs Herz – und wie ist dann der Reichthum von Sie? Schlamm, Sirs! Und Ihr Leib? wieder die Schrift! Thon für den Töpfer. Und Ihr Leben? (noch einmal die Schrift!) Athem von Ihrer Nase!

Die Köchin lauschte, als wenn sie in der Kirche wäre, aber sie Verwandte kein Auge von Mrs. Lecount.

– Sie können am Besten nun unterschreiben, Sir. Dies ist offenbar noch ein Brauch, der in Dumfries bei Abschließen Von Geschäften herrscht, sagte Mrs. Lecount mit Ergebung. Der Mann meint es gut, ich wette.

Sie setzte diese Worte in sanftem Tone hinzu, denn sie sah, daß Noël Vanstones Unwille fast dem Ausbruche nahe war. Die unerwartet sich ergießende Ermahnung des Kutschers schien ihm eben so viel Furcht als Verdruß verursacht zu haben.

Er tauchte die Feder in die Tinte und unterschrieb das Testament, ohne ein Wort zu sagen. Der Kutscher, der in einem Augenblick von der Theologie auf das Geschäft übersprang, betrachtete die Unterschrift mit der gewissenhaftesten Aufmerksamkeit und schrieb seinen Namen als Zeuge mit einer stillen Betrachtung über den Vorgang nieder, die von einer neuen Whiskyduftausströmung in Gestalt eines tiefen Seufzers begleitet war. Die Köchin blickte von Mrs. Lecount nur mit Mühe hinweg, schrieb in heftiger Eile ihren Namen darunter und sah flugs wieder mit einem starren Staunen auf dieselbe, als ob sie erwartete, in deren Händen eine mittlerweile zum Vorschein gebrachte geladene Pistole zu erblicken.

– Ich danke Ihnen, sagte Mrs. Lecount in ihrer freundlichsten Art.

Die Köchin öffnete ihre Lippen ruckweise und schaute ihren Herrn an.

– Du kannst gehen sagte ihr Herr.

Die Köchin hustete verächtliche und – ging.

– Wir wollen Sie nicht lange aufhalten, sprach Mrs. Lecount zum Kutscher, als sie ihn fortgehen ließ. In weniger als einer halben Stunde werden wir zur Rückreise bereit sein.

Die ernstfeierliche Haltung des Kutschers ließ zum ersten Male nach. Er lächelte geheimnißvoll und näherte sich Mrs. Lecount auf den Fußspitzen.

– Sie werden aber Eins nicht vergessen, gnädige Frau, sagte er mit der einschmeichelndsten Artigkeit. Sie werden das Zeugen nicht vergessen, sowie das Fahren, wenn Sie mich für den Tag bezahlen thun?

Er lachte wichtigthuend tief aus der Kehle hervor und schritt, seine Atmosphäre hinter sich lassend aus dem Zimmer.

– Lecount, sagte Noël Vanstone, sobald der Kutscher die Thür geschlossen hatte. Hörte ich recht, daß Sie dem Manne sagten, wir würden in einer halben Stunde fertig sein?

– Nun, Sir?

– Sind Sie blind?

Er that diese Frage mit einem unwilligen Stampfen des Fußes. Mrs. Lecount sah ihn erstaunt an.

– Können Sie denn nicht sehen, daß der dumme Kerl betrunken ist, fuhr er immer gereizter werdend, fort. Ist mein Leben Nichts? Soll ich der Gnade eines betrunkenen Kutschers preisgegeben werden? Ich würde dem Manne nicht das Zutrauen schenken, mich zu fahren, nicht um Alles in der Welt! Ich muß mich sehr wundern, Lecount, daß Sie daran denken konnten!

– Der Mann hat allerdings Etwas getrunken, Sir, sprach Mrs. Lecount, das ist leicht zu sehen und zu riechen. Aber er ist offenbar gewohnt zu trinken. Wenn er nüchtern genug ist, ganz gerade zu gehen – was er doch gewiß thut – und seinen Namen in einer ganz vortrefflichen Handschrift herzusetzen, was Sie selbst auf dem Testament sehen können, so denke ich denn doch, er ist nüchtern genug, uns nach Dumfries zu fahren.

– Nicht im Geringsten! Sie sind eine Ausländerin, Lecount, Sie verstehen sich auf diese Leute nicht; die trinken Whisky von früh bis spät. Whisky ist von den Branntweinen der stärkste, den es giebt, Whisky ist bekannt wegen seiner Einwirkungen auf das Gehirn. Ich sage Ihnen, ich will die Gefahr nicht laufen. Ich wurde nie gefahren, will nie gefahren sein von einem andern als nüchternen Menschen!

– Soll ich selber nach Dumfries zurückgehen Sir?

– Und mich hier zurücklassen? Mich hier im Hause allein lassen, nach Alledem, was vorgefallen ist? Wie kann ich denn wissen, ob meine Frau nicht heute Abend zurückkommt? Wie kann ich wissen, ob ihre Reise überhaupt nicht eine Schlinge ist, um mich zu berücken? Haben Sie kein Gefühl, Lecount? Können Sie mich in meiner kläglichen Lage verlassen…?

Er sank in einen Stuhl und brach über seinen Gedanken in Thränen aus, ehe er denselben in Worten fertig ausgesprochen hatte.

– Zu schlecht! sagte er mit seinem Taschentuche vor dem Gesicht, zu schlecht!

 

Es war unmöglich, ihn nicht zu bedauern. Wenn je ein Sterblicher zu bedauern war, so war er dieser Sterbliche.

Er war unter dem Kampfe widerstrebender Gefühle, die in ihm seit dem Morgen rege geworden waren, endlich zusammengebrochen. Die Anstrengung, Mrs. Lecount durch die Irrgänge der verwickelten Pläne zu folgen, durch die sie ihn fortwährend geführt, hatte ihn aufrecht erhalten, so lange eben die Anstrengung gedauert hatte: in dem Augenblicke, wo dieselbe zu Ende war, knickte er zusammen. Der Kutscher hatte eine Wirkung beschleunigt, von der er weit entfernt war die eigentliche Ursache zu sein.

– Sie überraschen mich, Sie betrüben mich, Sir, sagte Mrs. Lecount. Ich beschwöre Sie, sich zu fassen. Ich will wenn Sie es wünschen, mit Vergnügen hier bleiben, ich will um Ihretwillen heute Nacht hier bleiben. Sie bedürfen der Ruhe und Erholung nach diesem schrecklichen Tage. Der Kutscher soll noch diesen Augenblick fortgeschickt werden, Mr. Noël. Ich will ihm ein Billet an den Wirth des Hotels mitgeben, und der Wagen soll morgen früh mit einem andern Kutscher, der uns fahren soll, wieder vorkommen.

Die durch diese Worte sich ihm eröffnende Aussicht machte ihn wieder froh. Er wischte sich die Thränen ab und küßte Mrs. Lecount die Hand.

– Ja! sagte er mit schwacher Stimme, schicken Sie den Kutscher fort und bleiben Sie hier. Sie gutes Geschöpf! Sie vortreffliche Lecount! Schicken Sie den betrunkenen dummen Kerl fort und kommen Sie gleich zurück. Wir wollen uns gemächlich ans Feuer setzen, Lecount, und ein hübsches kleines Mittagsbrod einnehmen.

Seine schwache Stimme brach, er kehrte ans Kamin zurück und zerfloß wieder unter dem überschwenglichen Einflusse seiner eignen Gedanken in Thränen.

Mrs. Lecount verließ ihn eine Minute, um den Kutscher zu entlassen. Als sie zurückkehrte in das Zimmer, fand sie ihn mit der Hand am Klingelzuge.

– Was wünschen Sie, Sir? frug sie.

– Ich will den Dienstmädchen sagen, sie sollen Ihr Zimmer in Bereitschaft setzen, antwortete er. Ich will Ihnen jegliche Aufmerksamkeit erweisen, Lecount.

– Sie sind die Freundlichkeit selber, Mr. Noël, aber warten Sie lieber noch ein wenig. Es wird gut sein, wenn wir diese Papiere auf die Seite schaffen, ehe das Mädchen wieder hereinkommt. Wenn Sie das Testament und den Brief in einen Umschlag stecken wollen und Beides an den Admiral adressieren, so will ich Sorge tragen, daß der so verschlossene Inhalt sicher in seine Hände gelangt. – Wollen Sie an den Tisch kommen, Mr. Noël, nur noch auf einen Augenblick?

Nein! Er bestand aus seinen Kopf, er weigerte sich vom Feuer aufzustehen, er war krank und ermüdet vom Schreiben, er wünschte nimmer geboren zu sein, und es ekelte ihn schon der bloße Anblick von Feder und Tinte an. Mrs. Lecounts ganze Geduld und ganze Ueberredungskunst war nöthig, um ihn zu bewegen, die Adresse des Admirals zum zweiten Male zu schreiben. Sie hatte nur so viel Erfolg, daß sie ihm das unbeschriebene Couvert auf der Schreibemappe entgegenbringen und es ihm schmeichelnd auf den Schooß legen konnte. Er brummte, er verschwor sich sogar, aber er versah doch zuletzt das Couvert mit folgender Anschrift:

ADMIRAL BARTAM
ST. CRUX
in der Marsch

DURCH GÜTE

der

MRS. LECOUNT.

Mit diesem Gefälligkeitsact hatte seine Gelehrigkeit ihr Endschaft erreicht. Er weigerte sich in den stärksten Ausdrücken das Couvert zu siegeln.

Es war keine Noth, ihn zu dieser Handlung zu drängen. Sein Petschaft lag auf dem Tische bereit da, und es kam wenig daraus an, ob er es anwendete oder statt seiner eine Vertrauensperson von ihm. Mrs. Lecount siegelte das Couvert mit den beiden sorgsam hineingelegten Inlagen zu.

Sie machte ihre Reisetasche zum letzten Male auf, hielt einen Augenblick inne, ehe sie das versiegelte Paquet wegsteckte und sah es noch einmal mit einer durch Worte nicht aussprechbaren Siegesfreude an. Sie lächelte, als sie es in die Tasche fallen ließ. Nicht der Schatten eines Zweifels, daß das Testament überflüssige Worte und Wendungen enthalten könnte, die ein praktischer Advocat nicht gebraucht haben würde, nicht die Spur einer Unsicherheit, daß der Brief nicht eine so vollständige Urkunde sei, wie ein praktischer Advocat sie gemacht haben würde, beunruhigte ihr Gemüth. In dem blinden Vertrauen, das aus ihrem Hasse gegen Magdalene und ihrem Rachedurst herstammte, dem blinden Vertrauen auf ihre Geschicklichkeit und die Gesetzkunde ihres Freundes, rechnete sie mit Bestimmtheit auf die Zukunft im Sinne ihrer Bemühung von heute Morgen.

Als sie ihre Reisetasche schloß, zog Noël Vanstone die Klingel. Diesmal kam Louise daraus herein.

– Mache das Gastzimmer zurecht, sagte ihr Herr, diese Dame wird heute hier über Nacht bleiben. Lüfte meine warmen Sachen, diese Dame und ich gehen morgen früh zusammen weg.

Die höfliche und unterwürfige Louise empfing ihre Befehle in düsterm Schweigen, schoß einen mürrischen Blick auf den räthselhaften Besuch ihres Herrn und verließ das Zimmer. Die Mädchen waren ersichtlich allesamt den Interessen ihres Herrn ergeben und alle insgesamt einer Meinung betreffs Mrs. Lecount.

– Das wäre abgemacht, sprach Noël Vanstone mit einem Seufzer voll unendlicher Befriedigung. Kommen Sie und setzen Sie sich, Lecount, wir wollen es uns bequem machen, wir wollen am Feuer Eins Plaudern.

Mrs. Lecount nahm die Einladung an und schob einen Stuhl neben ihn. Er ergriff ihre Hand mit vertraulicher Zärtlichkeit und hielt sie in der seinigen, während die Unterhaltung ihren Verlauf nahm. Ein Fremder, der sie durchs Fenster gesehen hätte, würde sie für Mutter und Sohn gehalten und bei sich gedacht haben:

– Was für ein trautes Selbander!

Die Unterhaltung, welche von Noël Vanstone geführt wurde, bestand wie gewöhnlich ans einer endlosen Reihe von Fragen und war ganz dem einen Gegenstande geweiht; seine Person und seine künftigen Anordnungen.

– Wohin wollte ihn die Lecount nehmen, wenn sie den nächsten Tag weggehen wollten?…

– Warum nach London?…

– Warum sollte er in London gelassen werden, während die Lecount nach St. Crux weiter ging und dem Admiral Testament und Brief übegab?

– Weil seine Frau ihm vielleicht folgen konnte, wenn er mit zum Admiral ginge?… Gut, daran war etwas.

– Und weil er sorgfältig vor ihr in einer bequemen Wohnung bei Mr. Loscombe verborgen gehalten werden sollte? …

– Warum bei Mr. Loscombe?…

– Ach, ja, sicherlich, nur um zu erfahren, was das Gericht thun würde, ihn zu unterstützen …

– Würde das Gericht ihn von der Frauensperson losmachen können, die ihn hinters Licht geführt? …

– Wie langweilig, daß es die Lecount nicht wußte! …

– Würde das Gericht sagen, daß er hingegangen und zum zweiten Male geheirathet habe, dadurch, daß er mit der Frauensperson wie Mann und Frau in Schottland gelebt habe?…

– War in Schottand Alles, was öffentlich für eine Ehe gehalten wurde, wirklich eine Ehe, wie er gehört habe? …

– Wie äußerst langweilig von der Lecount, dazusitzen und zu sagen, sie wisse davon Nichts!…

– Sollte er lange in London allein bleiben mit Niemand außer Mr. Loscombe, mit dem er sprechen könnte?…

– Würde die Lecount so rasch zu ihm zurückkehren, als sie jene wichtigen Papiere in die Hände des Admirals niedergelegt haben würde.

– Wollte die Lecount sich als noch in seinen Diensten stehend betrachten? …

– Die gute Lecount! die treffliche Lecount!…

– Und wenn nun alle die gerichtlichen Schritte abgemacht wären, was dann?…

– Warum nicht dieses entsetzliche England verlassen und wieder ins Ausland gehen?…

– Warum nicht nach Frankreich reisen an irgend einen billigen Ort bei Paris? …

– Vielleicht nach VersailIes? Vielleicht St. Germain? … In ein hübsches kleines französisches billiges Haus?… Mit einer hübschen französischen Bonne als Köchin, welche ihn nicht zu Grunde richtete durch übermäßiges Fett der Speisen?… Mit einem hübschen kleinen Garten, wo er selbst arbeiten, gesund werden und – die Kosten eines Gärtners ersparen könnte? …

– Das wäre kein schlechter Gedanke? Und Das scheint sich für die Zukunft gut zu machen, nicht wahr, Lecount?…

So schwatzte es fort, das arme, schwächliche Wesen! Die elende kleine Spottgeburt von einem Manne!

Als die Dunkelheit hereinbrach und der kurze Novembertag zu Ende war, begann er schläfrig zu werden, – seine endlosen Fragen hörten endlich auf, er schlief ein. Der Wind draußen sang sein trauriges Winterlied, das Trappeln vorübergehender Schritte, das Rollen vorbeifahrender Räder auf der Straße verstummte in traurigem Schweigen. Er schlief ruhig fort. Das Licht vom Kamin flackerte hin und her auf seinem bleichen kleinen Gesichte und seinen kraftlosen herabfallenden Händen. Mrs. Lecount hatte ihn noch nie bemitleidet. Nunmehr fing sie aber an ihn zu bedauern. Ihr Zweck war erreicht, ihr Interesse war in dem Testament gewahrt und gesichert; er hatte aus eigenem Antriebe seine künftige Existenz unter ihre mütterliche Sorge gestellt; das Kaminfeuer war so traulich: die Umstände waren dem Aufkeimen christlicher Milde günstig.

– Armes Wesen! sagte Mrs. Lecount, indem sie ihn mit ernstem Mitgefühl anschaute – armes Wesen!

Die Essensstunde weckte ihn. Er war bei Tisch ausgeräumt, er kam aus den Gedanken von dem billigen Häuschen in Frankreich zurück; er lächelte und schmunzelte und sprach französisch mit Mrs. Lecount, während das Hausmädchen und Louise abwechselnd, aber mit Widerwillen, bedienten. Als das Essen vorbei war, kehrte er aus seinen bequemen Stuhl vor dem Feuer zurück, und Mrs. Lecount folgte ihm. Er begann die Unterhaltung wieder, was bei ihm so viel hieß, als: er wiederholte seine Fragen. Aber er war nicht so lebhaft und rasch mit denselben, als er früher am Tage damit gewesen. Sie begannen nachzulassen, sie kehrten in längeren und immer längeren Pausen wieder, sie hörten endlich ganz auf. Gegen neun Uhr verfiel er wieder in Schlummer.

Dies Mal war es nicht ein ruhiger Schlaf. Er murmelte und knirschte mit den Zähnen und rückte seinen Kopf von einer Seite zur andern auf dem Stuhle. Mrs. Lecount machte absichtlich Geräusch, um ihn zu erwecken. Er erwachte mit starren Augen und gerötheten Wangen. Er ging unruhig im Zimmer auf und ab mit einem neuen Gedanken im Kopfe, dem Gedanken, einen schrecklichen Brief zu schreiben, einen Brief mit ewigem Lebewohl an seine Frau.

Wie sollte der Brief geschrieben werden? In welcher Sprache sollte er seine Gefühle aussprechen? Die Sprachgewalt selbst eines Shakespeare wäre der Aufgabe gegenüber unzureichend. Er war das Opfer einer schlechterdings nicht ihres Gleichen habenden Unthat gewesen. Eine Elende hatte sich in seine Brust geschlichen! Eine Viper hatte sich an seinem Herde eingenistet! Wo konnte er Worte finden, sie mit der Schmach zu brandmarken, die sie verdiente?

Er hielt inne mit dem erdrückenden Gefühl der Ohnmacht seiner Wuth, er hielt inne und ballte zitternd seine Faust in die Luft.

Mrs. Lecount schlug sich jetzt mit einem Nachdruck und einer Entschlossenheit ins Mittel, welche nur von ihrer ernsten Besorgniß eingegeben war. Nach dem schweren Druck, welcher bereits auf seinen schwachen Geist ausgeübt worden war, konnte ein Ausbruch heftiger Leidenschaft, wie er jetzt sich bei ihm kund that, die Ruhe der Nacht ernstlich in Frage stellen und ihm die Kraft zur morgenden Reise rauben. Mit unendlicher Schwierigkeit, mit endlosen Versprechungen, morgen früh wieder auf den Gegenstand zurückkommen und ihm dabei mit Rath zur Hand gehen zu wollen, setzte sie es bei ihm durch, daß er auf sein Zimmer hinaufging und für den Abend Beruhigung faßte. Sie gab ihm ihren Arm, um ihn zu stützen. Unterwegs die Treppe hinauf wurde seine Aufmerksamkeit zu ihrer großen Freude durch einen neuen Einfall getheilt. Er erinnerte sich an eine gewisse warme stärkende Mischung von Wein, Ei, Zucker und Gewürz, welche sie oft in früheren Zeiten für ihn bereitet hatte, und welche, wie er glaubte, ihm ausbündig wohlthun würde, ehe er zu Bett ginge. Mrs. Lecount half ihm seinen Schlafrock anziehen und ging dann wieder die Treppe hinunter, um an dem Feuer im Wohnzimmer seinen Warmtrunk für ihn zu bereiten.

Sie zog die Klingel und bestellte in Noël Vanstones Namen die nöthigen Bestandtheile für die Mischung. Die Dienstmädchen brachten mit der kleinlichen Bosheit ihres Geschlechts, eins nach dem andern, diese Bestandtheile und ließen sie auf jedes derselben so lange als möglich warten. Sie hatte nun die Terrine und den Löffel, den Becher, das Reibeisen für die Muscatnuß und den Wein, allein nicht das Ei, den Zucker, noch das Gewürz: da hörte sie ihn oben geräuschvoll in seinem Zimmer auf- und abgehen, wie er sich ganz wahrscheinlich über den alten Gegenstand aufs Neue in Aufregung versetzte.

 

Sie ging abermals zu ihm hinauf, aber er war zu schnell für sie, er hörte sie draußen Vor der Thür, und als sie dieselbe öffnete, fand sie ihn auf seinem Stuhle, indem er ihr schlau den Rücken zugewendet hielt. Da sie ihn zu genau kannte, um eine Gegenvorstellung zu machen, zeigte sie ihm nur an, daß der Warmtrunk allsogleich kommen werde, und wandte sich, um das Zimmer zu verlassen. Unterwegs beim Hinausgehen bemerkte sie in einer Ecke einen Tisch mit Tintefaß und Papier darauf und versuchte, ohne seine Aufmerksamkeit zu erregen, die Schreibmaterialien wegzuschaffen. Aber er war wieder zu schnell für sie. Er frug sie zornig, ob sie an seinem gegebenen Versprechen zweifle. Sie stellte aus Besorgniß, ihn zu beleidigen, die Schreibmaterialien wieder auf den Tisch und verließ das Zimmer.

In einer halben Stunde war endlich die Mischung fertig. Sie trug sie ihm hinauf, heiß und schäumend in einem großen Becher.

– Er wird darauf schlafen, dachte sie bei sich, als sie die Thüre öffnete; ich habe den Trunk darum stärker als gewöhnlich gemacht.

Er hatte seinen Platz verändert. Er saß an dem Tische in der Ecke, aber immer noch den Rücken ihr zugewandt, und – schrieb. Dies Mal hatten ihm seine guten Ohren Nichts genutzt. Dies Mal ertappte sie ihn auf der That.

– Ei, Mr. Noël! Mr. Noël sprach sie vorwurfsvoll, was soll man nun auf Ihr Versprechen geben?

Er antwortete nicht. Er saß mit seinem linken Ellenbogen auf dem Tische da, das Haupt gestützt auf seine linke Hand. Seine rechte Hand lag hinter ihm auf dem Papier mit der Feder lose in derselben.

– Ihr Trank, Mr. Noël, sagte sie mit freundlicherem Tone, indem sie ihm nicht wehe thun mochte.

Er nahm keine Notiz von ihr.

Sie ging an den Tisch, um ihn zu wecken. War er so tief in Gedanken?

Er war todt.