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Auf dem Wege zum Barbier öffnete Mat die Schachtel einen Augenblick, nahm den falschen Schlüssel heraus, welcher, obgleich von schlechterem Metall, doch ebenso glänzte wie das Original, und steckte ihn sorgfältig in seine Westentasche. Dann ging er in einen Kaufladen und kaufte ein Wachslicht und eine Schachtel Zündhölzer. »Die Gartentür ist fest; ich werde es mit der Gartentür versuchen«, dachte Mr. Marksman, als er sich in der Barbierstube auf den Stuhl setzte und Ordre zum Rasieren gab.

Punkt sieben Uhr klingelten Mr. Blyths Gäste an der Tür. Als sie in die Halle getreten waren, flüsterte Mat zu Zack: »Hier war’s, wo das alte Weib Euch anpackte und sich wie eine Närrin benahm? —«

»Ja, ja, aber sagt Blyth nichts davon. Er ist der alten Mutter Peckover ungemein zugetan und würde gewiss mit mir böse werden, wenn er wüsste, dass ich mit Euch meinen Spott über sie getrieben hatte.«

Als sie in den Studiensaal traten, fanden sie Mr. Blyth schon zu ihrem Empfang bereit, mit seinem Reißbrett zur Seite und der Kartonskizze des neuen Gemäldes: »Herkules bringt den Erymanthischen Eber zum König Eurystheus«. Er sagte, dass er seine Kopfschmerzen verloren habe und sich vollkommen wohl fühle, Zack aber merkte, dass er sich nicht in seiner gewöhnlichen guten Laune befand. Mat beobachtete nichts weiter als die Gartentür und begab sich in deren Nähe, sobald die erste Begrüßung vorüber war.

»Diesmal, mein teurer Sir«, sagte Valentin, auf Mat zugehend, »habe ich die Zeichnung heruntergenommen, welche Sie so gütig waren, diesen Morgen zu bewundern. Hier ist sie, wenn Sie selbige zu betrachten belieben.«

Mat, welcher sogleich beim ersten Blick gesehen, dass die Gartentür für die Nacht verriegelt und verschlossen sei, wandte sich schnell wieder um und betrachtete zu Mr. Blyths größter Freude die alte Kreidezeichnung mit der bewunderndsten Aufmerksamkeit. Sie stellte ein fünffach verriegeltes Tor dar. »Muss sie nicht wieder aufgerollt werden?« fragte Mat in Beziehung des malerisch baufälligen Originals, welches das Tor repräsentierte.

»Ja, in der Tat«, antwortete Valentin, da er dachte, es gelte der zerrissenen Beschaffenheit des Papiers, auf dem sich die Skizze befand; »ein Stückchen Bast und ein Bogen neues Papier zum Aufspannen werden sie wieder dauerhaft machen.«

Mat staunte. »Bast und Papier für ein fünffach verriegeltes Tor? Ihr gäbet einen hübschen Zimmermann!« fühlte er sich geneigt zu fragen, da aber Zack in diesem Augenblick zu sprechen begann, so verließ er die Skizze und hütete weislich seine Zunge.

»Nun Mat, entblößt Eure Brust und stellt Eure Arme in die richtige Position wie Mr. Blyth Euch sagt. Erinnert Euch, dass Ihr als Herkules gezeichnet werdet, und rüstet Euern Blick für den ganzen Abend, als brächtet Ihr eben den Erymanthischen Eber zum König Eurystheus«, sagte der junge Thorpe, sich ruhig am Kaminfeuer wärmend.

Während Mr. Marksman etwas linkisch und mit dem Ausdruck größten Erstaunens über den unbekannten Dienst, den er leisten sollte, sich der Oberkleider entledigte, rollte Valentin den Papierkarton seines klassischen Gemäldes auf der Flur auseinander; und nachdem er sich seines Sujets wieder erinnert, stellte er Mat in die gehörige Position des Herkules, gab ihm einen Stuhl statt des Erymanthischen Ebers in die Hand und platzierte Zack als König Eurystheus. Als dies geschehen, ruhte er wie gewöhnlich einige Zeit und betrachtete sein Zeichenmaterial etwas näher, bevor er zu arbeiten begann. Dann ergriff er zwei auf der Tafel liegende Schreiben, besah die Adressen und übergab sie dann feierlich Zack.

»Hier, Zack«, sagte er, »das gehört Dir. Nimm sie und stecke sie in Deine Tasche: lässt Du sie im Gemäldesaal, so gehen sie sicher verloren. Das größere Schreiben enthält für Dich die Erlaubnis, im Britischen Museum zu zeichnen. Das kleine ist ein Empfehlungsbrief an meinen Freund Mr. Strather, einen sehr gefälligen Künstler und Kurator der Little Bilge Street Drawing Akademie. Du tust am besten, Dich morgen vor elf Uhr zu melden. Mr. Strather wird mit Dir ins Museum gehen und Dir zeigen, wie Du beginnen musst, und Dich auch noch am selben Abend in die Drawing Akademie einführen. Zack, ich bitte und beschwöre Dich, sei beständig und aufmerksam. Erinnere Dich an alles, was Du Deiner Mutter und mir versprochen hast; zeige uns nun in ganzem Ernst, dass Du wirklich entschlossen bist, die Kunst zu studieren.«

Zack drückte seine große Dankbarkeit für seines Freundes Güte aus und erklärte mit der größten Inbrunst in Stimme und Manier, dass er alle seine früheren Fehler durch gute Führung und fortwährende Tätigkeit als Student der Kunst aussühnen werde. Nach einer abermaligen längeren Pause nahm endlich Valentin sein Zeichenmaterial zur Hand und begann zu arbeiten. Was Mat betrifft, so repräsentierte er gleich anfangs eine außerordentliche bewunderungswürdige Beständigkeit als Modell. Seine Augen wanderten dann und wann verstohlen nach der Gartentür, wenn Mr. Blyth nicht auf ihn blickte, oder nach seinem auf einem Stuhle hängenden Rocke, sobald sich Zack demselben näherte; aber sein Körper veränderte die angenommene Position nicht um ein Haar breit; selten bedurfte er zu ruhen und niemals klagte er über Kälte. Valentin erklärte ihn dann auch für ein vollkommenes Juwel von Sitzer, für ein Modell zum Herkules, bei dem es ein wahres Vergnügen sei, zu zeichnen.

Aber während die Studienarbeit leicht und hurtig vorwärts schritt, wollte die gewöhnliche Konversation auch nicht im geringsten Schritt halten. Was auch der junge Thorpe tun und sagen mochte, das Gespräch stockte immer mehr und ward stets träger und einsilbiger. Valentin war augenscheinlich in hoher Begeisterung, und Herkules hatte sich einem hartnäckigen, dummen, unrühmlichen Stillschweigen überlassen. In der Länge der Zeit gab auch Zack alle Bemühungen auf, die Geselligkeit des Abends zu befördern, er verließ den Studiensaal und ging eine Treppe höher, um die Ladies zu besuchen. Mat blickte ihm nach und schien sprechen zu wollen – dann warf er einen Seitenblick aufs Bureau und äußerte nicht eine Silbe.

Mr. Blyths geistige Niedergeschlagenheit war nicht bloß seiner Unlust, seine Häuslichkeit auf kurze Zeit zu verlassen, zuzuschreiben, wie er diesen Morgen zum jungen Thorpe gesagt, sondern er hatte noch eine geheime Ursache der Ängstlichkeit, von der er Zack keine Andeutung gegeben, und welche zugleich mit dem Modell des Herkules verbunden war, dessen Brust und Arme er jetzt zeichnete. Das klare Faktum war, dass Mr. Blyths zartes Gewissen sorgenvoll schlug, wenn er sich des vollkommenen Vertrauens erinnerte, das Mrs. Thorpe in ihn gesetzt hatte, als er ihr versprach, die Oberaufsicht über ihren Sohn zu führen, und wenn er hernach gedachte, dass er, so wenig als Zack selbst, noch nicht das Geringste von Zacks fremden Kompagnon wusste. Seine Visite in Kirk Street, unternommen in der expressiven Absicht, des Jungen bestes Interesse zu wahren und zu erforschen, wer denn eigentlich Mr. Marksman sei, hatte geendigt in – Beschämung seiner selbst, woran er sich gar nicht mehr erinnern mochte. »Teuer, teuer mir!« dachte Mr. Blyth, während er schweigsam die Außenlinien seines Gemäldes zeichnete, »– wie schrecklich unklug und sorglos bin ich gewesen! Ich habe nichts erfahren und nichts ausgeforscht. Wie konnte ich? Es schien mir zu gemein und undankbar, einen Mann zu beargwöhnen, welcher einen Tag vorher mein Gemälde rettete und mir jetzt wieder den größten Dienst leistet. Und doch, ich versprach Mrs. Thorpe – ich bin moralisch verantwortlich für Zack – ich wollte erforschen, ob dieser freundschaftliche, gutherzige und nützliche Mann sich für ihn eignet; und jetzt, da er das Zimmer verlassen, möchte ich’s wohl versuchen. Möchte? – Ich will.«

Nach diesem gewissenhaften Entschluss bereitete sich wirklich der simpelherzige Mr. Blyth vor, und begann so nach und nach recht schlau mit umschreibenden Worten zu fragen, wer er denn eigentlich sei.

Mat war ganz offen bei Beantwortung der Fragen, bezüglich seiner Wanderungen auf dem großen amerikanischen Kontinent. Er bekannte mit der größten Freimütigkeit, dass er als ein wilder Knabe, der zu Hause nicht Stand halten konnte, zur See gesandt worden sei, und ebenso offen bekannte er auch, dass er sich unter seinem wahren Namen nicht eingeführt habe. Als er an diesem Punkte, stockte seine Mitteilsamkeit. Er machte keine Witzeleien, und keine Ausflüchte, sondern erklärte einfach und gerade heraus, dass er nicht mehr sagen werde, als er gesagt habe. »Ich sagte zum Jungen«, schloss Mat, »als wir zum ersten Mal zusammen kamen: ich habe seit zwanzig Jahren meinen wirklichen Namen nicht gehört, und es ist mir ganz gleichgültig, ob ich ihn jemals wieder nennen höre. Das ist’s, was ich zu ihm sagte; und das ist’s, was ich auch zu Euch sage. Ich bin rau und knollig, das weiß ich; aber ich bin weder aus dem Gefängnis entsprungen, noch dem Galgen entlaufen —«

»Mein teurer Sir«, unterbrach Valentin ängstlich beunruhigt, »bitte, bilden Sie sich nicht ein, dass solch beleidigende Ideen in meinen Kopf kommen könnten! Ich möchte vielleicht gedacht haben, dass Familienkummer —«

»Das ist’s!« fiel Mat hurtig ein. »Familienkummer! Bleibt dabei und Ihr habt das Rechte.«

Hierauf wechselte Mr. Blyth plötzlich bestürzt die Konversation, um über Zack zu reden, dessen zunehmender Geschmack an der nächtlichen Konsumption großer Quantitäten Grog den Maler mit großer Besorgnis erfüllte. Er würde dies in vielen beklagenden Worten zu Mat ausgesprochen haben, wenn ihm nicht gewisse Erinnerungen an die Indianische Mixtur und deren Gefolge von jovialen Konsequenzen die Zunge gebunden hätten. So beschränkte er sich demnach, nur so im allgemeinen von Zacks zukünftigen Aussichten zu reden, und versuchte Mr. Marksman die Notwendigkeit darzulegen, dass er seinen großen Einfluss über den Jungen geltend machen und ihn zu steter Tätigkeit anhalten müsse, auf dass nicht nur ein tüchtiger Künstler, sondern auch ein respektabler Mensch aus ihm werde. Mat hörte auf seines Wirtes Diskurs mit einem Anschein großer Aufmerksamkeit, aber seine Augen begannen ungeduldig zu zwinkern, sobald sie dann und wann zur Gartentür blickten. Und wenn er zu sprechen genötigt war, tat er solch kuriose Fragen über »tüchtige Künstler«, »respektvoller Mensch«, welche die größte Unwissenheit mit allen sozialen Verhältnissen und Konventionalitäten bekundeten, so dass Mr. Blyth wirklich verlegen wurde, passende Erwiderungen darauf zu machen. Hinsichtlich Mats ungeschickter Fragen und Valentins Unfähigkeit, abstrakte Ideen zu erklären, traf es sich für beide sehr günstig, dass just in dem Moment, wo ihre Unterhaltung in eine unentwirrbare Verirrung überging, dieselbe durch Zacks Rückkehr unterbrochen wurde.

 

Der junge Thorpe kündigte die annähernde Ankunft der Abendschüssel an und warnte Herkules, den Erymanthischen Eber nicht gehen zu lassen, aber auch seinen Nacken und seine Schultern zu bedecken, wenn er nicht den Witz der Dienstmagd herausfordern wolle. Bei dieser Andeutung legte Mr. Blyth sein Reißbrett zur Seite und Mr. Marksman zog schnell seine Flanellweste an; er hörte nicht auf des Malers zahlreiche Worte der größten Dankbarkeit und kleidete sich noch eiliger in seinen Rock. Dann steckte er die Hände in die Taschen und blickte Mr. Valentin an – just als die Dienerin mit dem Essen erschien; hierauf drehte er sich ungeduldig herum und ging auf die andere Seite des Zimmers.

Als die Tür durch die weggehende Magd wieder geschlossen wurde, kehrte er mit dem Federfächer in der Hand wieder zu Mr. Blyth zurück und sagte in seiner gewöhnlichen schroffen Manier gerade heraus, dass er von Zack gehört habe, wie sich Mrs. Blyth in kränklichem Zustande befinde und allerlei Kuriositäten zugetan sei, und ob er wohl dächte, dass seine Frau einen solchen Fächer annehmen würde?

Valentin, welcher sich nach der erlebten Niederlage, Mr. Marksmans Ursprung zu ergründen, nicht mehr ganz behaglich fühlte, und welcher natürlich bezweifelte, dass die Schicklichkeit seiner Frau gestatten würde, ein Geschenk von einem ganz Fremden anzunehmen – zauderte, stammelte und suchte vorläufig durch Anschauen und Bewundern des Fächers erst Zeit zu gewinnen. Er ward unzeremoniös von seinem wunderlichen Gast unterbrochen, bevor er nur drei Silben nacheinander aussprechen konnte. »Ich nahm ihn für ein Frauenzimmer mit herüber in die alte Welt«, sagte Mat und presste den Fächer in Mr. Blyths Hände, »als ich aber zurückkam, war es tot und verschwunden. Jetzt existiert kein weibliches Wesen mehr in England, das mich kennt und sich um mich bekümmert. Wenn Ihr zu stolz seid, das Ding in Eures Weibes Händen zu wissen, so werfts ins Feuer. Ich habe niemanden, kein einziges Wesen kann ich mein nennen, dem ich es geben könnte, – aber ich kann und will es nicht länger bei mir behalten.«

In der Äußerung dieser Worte lag ein raues, schmerzliches Pathos und eine bittere Rückerinnerung an durchlebtes Unglück längst vergangener Zeiten. Und dieser klagende Ton eines tief schmerzlichen Seelenleidens berührte auch Valentins zartfühlende Brust mit sympathischer Wehmut. Sein Gefühl überwog die kalte Reflexion und veranlasste ihn, nicht nur das Geschenk anzunehmen, sondern auch die wärmste Versicherung zu geben, dass sich Mrs. Blyth ganz außerordentlich darüber freuen werde.

»Zack«, sagte er in einem tiefen Basston zum jungen Thorpe, welcher Mats letzte Rede staunend mit angehört hatte, »– Zack, ich will sogleich hinaufgehen und Lavinia den Fächer überreichen, um nicht als gleichgültig gegen unseres Freundes Präsent zu erscheinen. Mach Du einstweilen die Honneurs bei dem Souper – aber mit gehöriger Gastfreundschaft.«

Nachdem Mr. Blyth diese Worte gesprochen hatte, verließ er mit seiner geschäftlichen Eile den Saal. Einige Minuten nach Valentins Abgang griff Mat noch einmal in die Tasche, näherte sich dann mysteriös dem jungen Thorpe und öffnete vor ihm das Papier mit dem Indianischen Tabaksbeutel von Scharlachtuch und bunter Perlenstickerei.

»Glaubst Du wohl, dass das junge Frauenzimmer dies annehmen werde?« sagte er. »Ich habe ihn gefragt, (beziehend sich auf die letzten Worte an Valentin,) aber er blickte das Federding so wunderlich an und —«

Hier unterbrach ihn Zack mit lautem Gelächter, schlug ihm den Beutel aus der Hand und verspottete seinen Freund unbarmherziger denn je. In der ersten Zeit schien Mat durch die schlechten Späße, sich bei einer gebildeten Dame durch den Tabaksbeutel eines Wilden insinuieren zu wollen, verdutzt zu sein; dann riss er ihn wütend empor und schwor —

»Schwört nicht, Don Juan!« rief Zack mit unverbesserlicher Flatterhaftigkeit. »Ich will den Beutel hinauftragen zu ihr, und, wenn Blyth es gestattet, sie auf irgendeine Weise herunterführen. Oh, was wird das für ein Vergnügen werden, wenn ich den alten ledernen Knaben sanfte und verliebte Augen gegen Madonna machen sehe!« Mit diesen Worten eilte er lachend aus dem Saale, den Scharlachtabackbeutel in der Hand.

Mat horchte aufmerksam, bis Zacks rapide Schritte auf der Treppe verschwunden waren – dann ging er schnell und leise zur Gartentür – beschaute den Verschluss – schloss sie auf – schob die Riegel zurück – öffnete sie leise und vergewisserte sich, dass sie durch Drehung des Handgriffs von außen geöffnet werden konnte – dann machte er sie wieder zu, dem Anschein nach so fest wie vorher, überzeugte sich aber sehr genau, dass sie weder verschlossen noch verriegelt ward.

»Jetzt an die dicke Kommode!« dachte Mat, nahm den falschen Schlüssel aus der Tasche und eilte schnell zum Bureau. »Wenn Zack oder der Mr. Maler kommt, bevor ich Zeit habe, die geheime Schublade zu öffnen, so habe ich mich doch wenigstens für den zweiten Fall mit der Gartentür gesichert, sobald sie alle zu Bett sind.«

Als dieser Gedanke ihm durch den Kopf fuhr, hatte er soeben den Schlüssel ins Schloss gesteckt und begann zu drehen – augenblicklich schlugen Schritte an sein scharfes Ohr, welche zur Treppe herabkamen.

»Zu spät!« murrte Mat. »Ich muss es mit der Gartentür versuchen.«

Er steckte seinen Schlüssel in die Tasche und eilte an den Kaminsitz zurück; kaum hatte er sich gesetzt, so trat Mr. Blyth ein.

»Ich bin sehr ärgerlich, dass Sie so ganz unzeremoniös allein gelassen sind«, sagte Valentin, dessen natürliche Höflichkeit ihm gebot, gegen seinen rauen Gast ebenso komplimentierend aufzutreten, als wenn Mr. Marksman der gebildetste Gentleman von ausgezeichneter Stellung gewesen wäre. »Es tut mir wirklich leid, dass Sie so verlassen wurden, ohne dass Ihnen ein Bissen offeriert ward«, ergänzte Valentin und wandte sich zur Tafel. »Mrs. Blyth, mein teurer Sir – nehmen Sie da ein Stückchen Sandtorte – wünscht, dass ich ihren besten Dank für Ihr schönes Geschenk aussprechen soll, – die Flasche neben Ihnen enthält Branntwein. – Sie bewundert die Arbeit – Schwammkuchen? Ah, Sie dürfen nicht über zu große Süßigkeit besorgt sein – und denkt, die Farbe der Mittelfedern —«

In diesem Moment öffnete sich die Tür, Mr. Blyth blickte hin, seine Lippen schlossen sich plötzlich, er war starr vor Erstaunen. Denn herein trat Madonna in Begleitung des jungen Thorpe.

Valentin hatte sich durch seine Frau überreden lassen, dass das taubstumme Mädchen den Scharlachtabacksbeutel annehmen solle; aber weder sie noch Zack hatten ein Wort zu ihm gesagt, Madonna in den Studiensaal zu führen. Das einfache Faktum war, dass der junge Thorpe sich wohlweislich enthielt, sein eben nicht allzu kluges Projekt, welches er jetzt ausgeführt, gegen Mr. Blyth zu erwähnen, weil er im voraus musste, dass er es nicht zugegeben haben würde. Er wartete also, bis Valentin wieder zur Treppe hinuntergegangen war und seinem Gast die Honneurs machte! Als er nicht mehr hörbar war, bekannte Zack der Mrs. Blyth seine neue Grille und bemerkte, dass sie wieder hinreichend Stoff zu neuem Amüsement auf Mats Unkosten geben würde. Auch erklärte er, dass wenigstens eine der Damen gebunden sei, persönlich die Anzeige des Empfangs der Geschenke zu machen und ihre gemeinschaftliche Dankbarkeit gegen den freundschaftlichen Geber auszusprechen. Dabei deutete er Madonna durch Zeichen an, dass sie im Saale gewünscht werde, um dem generösen Mann für den Tabaksbeutel zu danken. Und ohne die schwachen Gegengründe anzuhören, nahm er sie bei der Hand und führte sie in den Saal. In Wahrheit, Mrs. Blyth sah auch keine große Unschicklichkeit darin, dass Madonna in Gegenwart Valentins dem Fremden vorgestellt werde. Überdies trieb sie noch die kuriose Neugier, etwas über Zacks wunderlichen Freund zu erfahren, und außerdem war sie gespannt, was Madonna für Eindrücke von dessen persönlichem Erscheinen und Manieren zurückbringen werde. Obgleich sie nun eben aus diesem Grunde zu dem etwas gewagten Vorschlage nicht Ja sagen wollte, welcher ihr von Zack gemacht ward, so fühlte sie sich aber auch nicht geneigt, streng Nein zu sagen. Und so ergriff Zack zur rechten Zeit die Gelegenheit und führte in seiner kühnen Dreistigkeit Madonna am Arm in den Saal; glühend vor Schadenfreude und mit triumphierender Miene trat er mit der holden Erscheinung vor die zwei dinierenden Gentleman.

Valentin warf ihm einen Blick zu, den er nicht beachtete. Der Maler wollte sein Adoptivkind sogleich wieder zur Treppe hinaufsenden, aber die Rücksicht der Höflichkeit hinsichtlich seines Gastes bewog ihn, sich zu beherrschen und davon abzustehen. Mr. Marksman ging sogleich beim Erscheinen Madonnas ihr einige Schritte entgegen.

Zack, welcher sogleich sah, dass er Mr. Blyth missfallen hatte und bei der ersten Gelegenheit einen Verweis bekommen werde, dachte in seiner Sorglosigkeit, dass es nun zu spät sei, sich wieder zurückzuziehen, und beschloss, seinen Jux zu Ende zu führen. Demzufolge führte er Madonna gleich zu Mat, der etwas konfus stehen geblieben war, in der maliziösen Absicht, seinen unzivilisierten Freund zu verwirren, indem er sie mit allen gekünstelten feinen Zeremonien entführte. Aber seine Absicht ward ganz unerwartet vereitelt, und zwar noch zur rechten Zeit durch Madonna selbst.

Wenige Proben, eine weibliche Natur zu ergründen, sind sicherer als die, wenn man das Benehmen einer Dame in Gegenwart eines in Konfusion geratenen Mannes beobachtet. Hat sie gar nichts in ihrem Kopfe, so vergisst sie den Vorteil ihres Geschlechts und wird konfuser als er ist. Hat sie nichts weiter als Einbildung im Gehirn, so wird sie ihren Vorteil grausam benutzen und den Mann verächtlich behandeln. Ist sie aber reich an Herz und Geist, so wird sie sogleich ihren Vorteil richtig gebrauchen und den Verlegenen durch ein huldreiches, liebevolles Wort oder freundlichen Blick ermutigen.

Als Madonna bemerkte, dass Mr. Marksman bei ihrer Annäherung etwas konfus und verdutzt zu werden schien, zog sie ihren Arm aus Zacks Arm und trat zu seinem unermesslichen Erstaunen dicht vor Mr. Marksman – blickte ihm klar ins finstere, narbige Gesicht – machte ihre Höflichkeitsbezeugungen – schrieb schnell eine Zeile auf ihre Schiefertafel, dann offerierte sie ihm dieselbe mit Lächeln und Kopfnicken zum Lesen und Beantworten, wenn es ihm beliebe.

»Bei Gott!« rief Zack, seinem Erstaunen Worte gebend, »sie ist dem alten Eisenbart geneigt und macht ihn zu ihrem ersten Liebling. Wer würde jemals das gedacht haben?«

Valentin stand in der Nähe, tat aber, als höre er das Gespräch nicht. Er beobachtete einzig nur Madonna und Mr. Marksman. Gewohnt, dass das taubstumme Mädchen stets bei den ihr vorgestellten Fremden ihr Wohlgefallen oder Missbilligen in unschuldiger Reinheit offenbar zeige, und dass sie ersteres oft Personen bewies, nach deren Manieren man das Gegenteil hätte erwarten können – war Valentin dennoch erstaunter als Zack, als er ihre Begrüßungen bemerkte. Es war ein unfehlbares Zeichen von Madonnas Billigung, wenn sie einen eingeführten Fremden aus eigener Neigung ihre Schiefertafel reichte. Bei Leuten, die ihr missfielen, hielt sie dieselbe stets beiseite, bis sie ihr förmlich abgefordert wurde.

Exzentrisch in jeder Angelegenheit, war Mat auch in seiner Konfusion beständig exzentrisch. Viele Männer, welche in Gegenwart einer jungen Dame blöde sind, offenbaren es durch Erröten – Mat aber wurde blass. Andere, ähnlich bewegt, zittern und beben – Mat stand ruhig wie eine Statue. Seine Augen wanderten langsam über die ganze Gestalt; zuerst betrachtete er ihre schönen braunen Haare, dann verweilte er einen Augenblick bei ihrem Angesicht, blickte auf die schwarz seidene Schürze mit niedlicher Tasche, auf die kleinen Schuhe und weißen Strümpfe und ihr graues Lieblingskleids. Er blickte erst dann wieder auf, als sie seine Hand berührte, indem sie ihm ihren Schieferstift reichte. Er las jetzt die von ihr geschriebenen Zeilen, worin sie ihm für den geschenkten Tabaksbeutel dankte, und versuchte, eine Erwiderung zu schreiben, aber seine Hand zitterte und seine Gedanken, wenn er irgendwelche hatte, schienen zu stecken. Er gab ihr die Tafel nebst Stift wieder zurück und blickte ihr voll in die Augen. In demselben Augenblicke überkam ein sonderbarer Wechsel sein Angesicht – eine Veränderung gleich der, welche ihn im Strumpfhändlerladen zu Dibbledean überfiel.

 

»Zack möchte wohl unter vielen andern einen schlechteren Freund gefunden haben, als diesen Mann«, dachte Mr. Blyth, welcher bisher Mat still beobachtet hatte. »Vagabunden benehmen sich in Gegenwart junger Mädchen nicht so wie er.«

Mit diesen Gedanken näherte sich Valentin Mr. Marksman, um ihn aus seiner Verlegenheit zu bringen, indem er ihm zeigen wollte, wie mit Madonna kommuniziert werden müsse. Aber er ward von Zack unterbrochen. Dieser hatte sich von seinem Erstaunen erholt und begann wieder Unsinn zu treiben, mit der boshaften Absicht, Mats Verwirrung noch zu vermehren.

Während Mr. Blyth versuchte, Zack dadurch zum Schweigen zu bringen, dass er ihn an den gedeckten Tisch führte, war Madonna auf andere Art bemüht, den schwerfälligen, sonnverbrannten Mann, welcher durch ihre Anwesenheit ganz erschrocken zu sein schien, wieder zu beruhigen.

Sie ging zu einem Stuhle, welcher in einer Ecke an einer zweiten Tafel in der Nähe des Kamins stand, ließ sich nieder, holte ihren Scharlachbeutel hervor und zeigte Mat durch Gesten, was sie gesonnen sei hinein zu tun. Dann legte sie den Beutel geöffnet auf ihren Schoß und steckte verschiedene Arbeitsschachtelspielereien hinein: eine Rolle Seide, eine Elfenbeinnadelbüchse, einen silbernen Fingerhut mit emailliertem Rande, eine kleine Schere und noch andere Sachen ähnlicher Art – welche sie aus den Taschen ihrer Schürze holte. Während sie sich also mit Füllung ihres Beutels beschäftigte, trommelte Zack mit dem Fuße auf den Dielen, um ihre Aufmerksamkeit an sich zu ziehen, dann präsentierte er ihr fragend eine Flasche Wein nebst Glas. Als das Trommeln ihre zarten Nerven berührte, blickte sie auf und winkte dann Zack, dass sie keinen Wein wünsche. In demselben Augenblick fiel aus ihrer Tasche eine Perlmutthaarnadelbüchse auf ihren Schoß und rollte unter den Stuhl, ohne dass sie es bemerkte, denn sie blickte nach der Speisetafel; auch Mat gewahrte es nicht, denn er folgte ihren Augen und Mr. Blyths Aufmerksamkeit war durch Zacks Geräusch in Anspruch genommen.

Als sie noch einige Kleinigkeiten aus ihren Taschen in den Beutel gesteckt hatte, schnürte sie denselben zusammen und hing ihn vermittelst des losen Riemens an ihren Arm; dann erhob sie sich, blickte Mr. Marksman an, nickte und zeigte auf den Beutel. Diese Handlung sollte den Gedanken aussprechen: »Sehen Sie, was ich für einen hübschen Arbeitsbeutel aus Ihrem Tabaksbeutel machen kann!«

Allem Anscheine nach war aber Mat nicht fähig, den Sinn dieser Gesten zu verstehen, so leicht sie auch auszulegen waren. Seine Gefühle schienen mehr und mehr bewegt zu werden, je länger er sie betrachtete. Als sie sich wegbewegte, ging er ihr einige Schritte nach und streckte ungeschickt seine Hand aus. »Der dicke Mann scheint jetzt etwas weniger Furcht vor mir zu haben«, dachte Madonna, und begegnete seinem plumpen Vorwärtsgehen mit einem Lächeln. Aber in dem Augenblick, wo er ihre Hand ergriff, durchrieselte ein Schauer ihren ganzen Körper und ihre Lippen schlossen sich. Es war ihr, als ob sie eine tote Hand berührt habe. »Oh! dachte sie, wie kalt ist seine Hand!«

»Hätte ich nicht ihre lebenswarme Hand gefühlt, ich würde geglaubt haben, Mariens Geist nachts im Traum zu sehen.« Diese düsteren Gedanken durchzogen Mats betrübten Geist, und als ihm Zack Wein präsentierte, wandte er sich ungeduldig weg und starrte gedankenlos ins Kaminfeuer.

Die Kälte von des fremden Mannes Hand durchzog noch eisig ihre Finger und trieb sie ängstlich, das Zimmer zu verlassen, obgleich sie nicht wusste, warum. Sie eilte hastig zu Valentin, legte die Hand aufs Herz und zeigte aufwärts. Valentin verstand das Zeichen und gab ihr die Erlaubnis, sogleich wieder in das Zimmer seiner Frau zurückkehren zu dürfen. Und bevor Zack sie zurückhalten konnte, war sie schon aus dem Saale geschlüpft, nachdem sie kaum acht Minuten darin verweilt hatte.

»Zack«, flüsterte Mr. Blyth, als die Tür geschlossen ward, »ich bin nicht erfreut darüber, dass Du Madonna herunterführtest. Du hast dadurch alle Anstandsregeln gebrochen und außerdem auch noch Deinen Freund in Konfusion gebracht, dass Du sie nicht vorher angemeldet hattest.«

»Oh, das hat durchaus nichts zu sagen«, unterbrach Zack. »Er ist nicht von der Sorte Männer, welche der Warnung und Vorbereitung bedürfen. Ich bitte um Entschuldigung wegen der Verletzung der Anstandsregeln, aber hinsichtlich Mats – ei nun! es ist klar genug, was ihm Unrechtes geschehen ist. Er ist schön angekommen bei seiner Darstellung des Herkules. Ihr hieltet den armen, alten Knaben zwei Stunden lang in einer und derselben Stellung, ohne einen Lappen auf seinem Rücken, und dann wundert Ihr Euch —«

»Gnade meiner Seele! Möge mir das nie wieder passieren. Es tut mir leid, Du hast Recht«, rief Valentin. »Lass uns ihm nun das Leben so angenehm wie möglich machen. Teuer mir, höchst schätzbar! Wie mischt man einen Grog?« Mr. Blyth war schon eine Zeit tätig gewesen, eine Spezies starker, feuriger Indianischer Mixtur für Mat zu bereiten. Er hatte den Versuch noch bei Madonnas Anwesenheit begonnen und trotz des leisen Dialogs mit Zack bis jetzt fortgesetzt. In seinem gastfreundlichen Eifer begann er den Becher mit Branntwein zu füllen und goss dann Xeresfeet hinzu, aber was nun? – Die andern wichtigen Ingredienzen hatte er ganz und gar vergessen.

»Hier, Mat!« rief Zack. »Kommt und mischt Euch selbst etwas Heißes. Blyth versucht’s und kann’s nicht.«

Mr. Marksman, welcher die ganze Zeit über gedankenlos in das Feuer gestarrt hatte, wandte sich jetzt zu seinen Freunden nach der Tafel um. Er stutzte ein klein wenig, als er Madonna nicht mehr im Saale erblickte – dann schaute er seitwärts zur Tür, durch welche sie verschwunden war und dann nach dem Bureau. Hatte er früher eigensinnig gewünscht, in den Besitz des Haarbracelets zu gelangen, so war es jetzt sein fester und unwiderruflicher Entschluss geworden, es in seine Hände zu bekommen.

»Es ist nicht passend, sich nach der jungen Lady umzusehen«, sagte Zack; »Ihr benahmt Euch so plump und wunderlich, dass Ihr sie aus dem Zimmer scheuchtet.«

»Nein, nein! so verhält es sich nicht«, unterbrach ihn Valentin gutherzig. »Bitte, nehmen Sie etwas Warmes zu sich. Ich bin ganz beschämt wegen meiner Vergessenheit, dass ich Sie so lange als Herkules stehen ließ; ich musste mich erinnern, dass Sie nicht als Modell gebraucht werden durften. Ich hoffe, dass Sie sich keine Erkältung zugezogen haben —«

»Mich erkältet?« erwiderte Mat erstaunt. Er schien eben seine starke Entrüstung über solch eine Körperschwäche der zivilisierten Menschheit aussprechen zu wollen, die Worte waren schon auf den Lippen, als er aber Mr. Blyth ansah, beherrschte er sich.

»Ich bin besorgt, dass Sie durch die lange Stellung, welche Sie so gütig waren, auszuhalten, ermattet sind«, fügte Valentin hinzu.

»Nein«, antwortete Mat nach einigem Besinnen, »nicht ermattet, nur schläfrig. Ich tue am besten, wenn ich nach Hause gehe. Wie viel Uhr ist’s?«

Ein Blick auf Zacks Uhr belehrte ihn, dass es zehn Minuten nach Zehn sei. Jetzt streckte er seine Hand zum Abschied nach Valentin; dieser aber weigerte sich, ihn scheiden zu lassen, bevor er nicht noch etwas von der Abendtafel genossen habe. Er schenkte sich nach dieser Aufforderung noch ein Glas Branntwein ein, trank es aus, reichte abermals die Hand hin und sagte: »Gute Nacht.«