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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Seine Aufmerksamkeit war nicht mehr auf die Autographen gerichtet, sondern auf einen vor ihm liegenden offenen Brief. Ein Brief – welcher ihm Trost und Mut einsprach, jedoch seinem Herzen vermochte keine irdische Hoffnung mehr Glückseligkeit zu gewähren – und kein irdischer Trost brachte ihm die Ruhe der Seele.

Einige Tage vorher hatten die Bitten seiner Gemahlin und des Doktors Rat ihn doch endlich bewogen, auf seine Gesundheit zu achten und mehr Mittel zu seiner Genesung zu verwenden. Er resignierte daher auf seine Sekretärsstelle bei einer Religionssozietät, deren tätiges Mitglied er bisher gewesen war. Das vor ihm liegende Schreiben, in das er blickte, enthielt die offizielle Meldung der Sozietät, dass sie seine Resignation mit dem tiefsten Bedauern annehme, aber zugleich die inbrünstigen Hoffnungen seiner baldigen Genesung hege. Auch ward er für den Empfang einer Deputation zu morgen vorbereitet, welche ihm eine Dankadresse überreichen solle; dieselbe sei einstimmig von der Sozietät votiert und spreche dankend und bewundernd die Anerkennung seines hohen Charakters und seiner großen Verdienste um die Gesellschaft aus. Er konnte der Versuchung, diesen Brief dem Arzt zu zeigen, nicht widerstehen und sich auch nicht enthalten, ihn noch einige mal zu lesen, bevor er ihn ins Bureau schloss. Dies war in seinen Augen die größte Belohnung und höchste Auszeichnung seines Lebens.

Er sann noch gedankenvoll über die letzte Sentenz desselben nach, als ihm Zacks Brief überreicht ward. Es war nur ein Augenblick gewesen, dass er die Süßigkeit eines wohlgewonnenen Triumphs empfinden konnte – denn in demselben Augenblick ward auch schon wieder das bittere Gift der früheren Verhältnisse hinein gemischt, welche ihm die schmerzlichste Pein verursachten.

Mit einem schweren Seufzer legte er den ihn hoch ehrenden Brief der Freunde weg und bereitete sich zur Antwort seines flüchtig gewordenen Sohnes vor.

Tiefer Schmerz lag auf seinem Angesicht, als er ihn zum zweiten Mal las, aber kein Ärger und Groll. Er saß eine Weile nachdenkend – dann zog er Tintenfass und Papier zu sich – zauderte – schrieb einige Zeilen und pausierte wieder, legte dann die Feder nieder und bedeckte seine Augen mit seiner dünnen zitternden Hand. So saß er einige Minuten, er schien nicht fähig zu sein, seine Gedanken sogleich sammeln und sein Gemüt beruhigen zu können. Endlich nahm er Zacks Brief und seine angefangenen Antwortzeilen und schloss sie in sein Schreibpult. Aber dennoch lag etwas Beruhigung und für Zacks Zukunft Hoffnung verheißendes in den wenigen geschriebenen Zeilen; denn der Brief schien nach der Aufschrift Vergebung zu atmen, er begann: »Mein teurer Zacharias —«

Bei Ablieferung des zweiten Briefes in Valentins Hause ward dem Boten gesagt, dass Mr. Blyth morgen, spätestens übermorgen zurückerwartet werde. Da Mrs. Blyth ganz über ihres Mannes Korrespondenz während seiner Abwesenheit verfügen konnte, so öffnete sie auch sogleich Zacks Brief, sobald er ihr übergeben ward. Madonna hatte Hut und Shawl zur Hand und wollte eben in Pattys Begleitung ihren täglichen Spaziergang machen, als der Brief ankam.

»Ah, der arme, unglückliche Zack!« rief Mrs. Blyth gleich beim Anblick der ersten Zeilen und sah sehr bestürzt aus. »Er muss in der Tat sehr krank sein«, fügte sie bei näherer Betrachtung der Handschrift hinzu, denn er hat sicherlich dies nicht einmal geschrieben.

Madonna konnte die Worte nicht hören, aber sie bemerkte den betrübten Gesichtsausdruck ihrer Pflegemutter und gab daher ängstlich durch ein Zeichen zu verstehen, dass sie zu wissen wünsche, was sich ereignet habe. Mrs. Blyth überblickte sogleich das ganze Schreiben und vergewisserte sich, dass nichts darin sei, was Madonna nicht wissen dürfte, sie gestattete daher den Einblick des Mädchens, wodurch es sich am leichtesten über den Gegenstand belehren konnte.

»Wie betrübt Valentin sein wird, wenn er dies hört!« dachte Mrs. Blyth und beorderte Patty vermittelst eines Klingelzuges herauf, während Madonna angstvoll den Brief las. Die Hausmagd erschien sogleich und ward von ihrer Gebieterin beauftragt, nach Kirk Street zu geben, sich bei der Hauswirtin über Zacks Zustand zu erkundigen und eine geschriebene Liste der Erquickungsgegenstände, welche ihm mangelten, mitzubringen. »Und dann vergiss nicht zu sagen«, fügte Mrs. Blyth hinzu, »er solle sich über Geldangelegenheit keine Sorgen machen, der Herr werde in ein oder zwei Tagen wieder vom Lande zurück sein.«

Hier ward ihre Aufmerksamkeit plötzlich durch Madonna in Beschlag genommen, welche erregt und ungeduldig durch Zeichen fragte: »Was sagen Sie zu Patty? Oh! lassen Sie mich wissen, was Sie zu Patty sagen. —«

Mrs. Blyth wiederholte durch Zeichen des Taubstummen-Alphabets die Instruktion, welche sie soeben der Dienerin gegeben und fügte, Madonnas Blässe und Aufregung beobachtend, hinzu »– ängstigen wir uns nicht unnötig über Zack, meine teure, er befindet sich vielleicht viel besser, als wir nach diesem Briefe denken mögen.«

»Darf ich auch mit Patty gehen?« fragte Madonna, während die Angst aus ihren Augen sprach und ihre Finger zitterten. »Lassen Sie mich meinen Spaziergang mit Patty machen, just als wenn nichts geschehen wäre; lassen Sie mich gehen! Bitte, lassen Sie mich mitgeben!«

»Das arme Kind kann dort nichts nützen«, dachte Mrs. Blyth, »aber wenn ich sie hier behalte, wird sie sich nur ängstigen und die heftigsten Kopfschmerzen bekommen. Außerdem mag sie jetzt ihren Spaziergang mitmachen, denn ich kann Patty im Verlauf des Tages nicht länger entbehren.« Durch diese Gründe bewogen, gab Mrs. Blyths ihrer Adoptivtochter vermittelst Kopfnicken zu verstehen, dass sie Patty nach Kirk Street begleiten könne. Als ihr die Erlaubnis erteilt ward, verließ sie das Zimmer; auf der Treppe jedoch hielt sie an, gab Patty zu verstehen, dass sie noch einmal zurück müsse und eilte dann in ihr Schlafzimmer. Dort angekommen, schloss sie ein kleines, von Valentin empfangenes Kistchen auf, nahm aus einem Schubfach vier Sovereigns und etwas Silbergeld – das ganze Ersparnis von ihrem Taschengeld – wickelte es in ein Papier und eilte wieder zur Treppe hinab. Zack war krank, einsam und elend, sehnte sich nach einem Freunde, welcher ihn auf seinem Krankenlager hätte trösten können – und sie konnte dieser Freund nicht sein! Aber Zack war arm, das hatte sie in seinem Briefe gelesen; er hatte mancherlei zu bezahlen und bedurfte Geld – und in dieser Not konnte sie ihm heimlich eine Freundin sein, denn sie vermochte ihm ihr eigenes Geld zu geben. »Meine vier goldenen Sovereigns sollen das erste Geld sein, das er bekommt«, dachte Madonna und nahm vor der Haustür den ihr von der Magd angebotenen Arm. »Ich will es an einen Ort legen, wo er es sicher findet und doch nicht weiß, von wem es kommt. Und Zack soll wieder reich sein – reich mit all dem Golde, das ich ihm geben kann.« Sovereigns repräsentierten schon einen großen Reichtum in Madonnas Augen; sie hatte daran von ihrem Taschengelde lange – lange Zeit gespart.

Als sie an des Tabakhändlers Privattür klopften, ward sie sogleich von der Hauswirtin geöffnet; nachdem diese den Zweck der Botschaft vernommen und einige vorläufige Fragen über Zack beantwortet hatte, lud sie beide höflich in ihr Hinterzimmer ein. Aber Madonna blieb noch im Gange stehen und schrieb erst einige Zeilen auf ihre Schiefertafel. Nachdem dies geschehen, zeigte sie dieselben Patty, welche zu ihrem größten Erstaunen las: »Frage, wo sein Krankenzimmer ist, und ob ich hineingehen kann; ich wünsche, mit meiner eigenen Hand etwas dort für ihn zu hinterlassen.«

Patty blickte ihre junge Mistress mit größter Verwunderung an und richtete dann die Frage an die Hauswirtin, indem sie dieselbe mit einer befürwortenden Erklärung einleitete. Die gute Frau Tabakhändlerin goss hierüber ihre Sympathie und Bewunderung in einem großen Wortstrome aus, und als sie endlich endigte, erteilte sie bereitwillig die erbetene Erlaubnis, welche Patty ihrer Lady langsam auf die Schiefertafel schrieb: »Zacks und des andern Gentleman Gastzimmer befände sich in der ersten Etage. Es wäre niemand darin anwesend. Wünscht die Lady sogleich hinaufzugehen —«

Hier verhinderte Madonna die Magd am Weiterschreiben – nickte, um anzudeuten, dass sie alles verstanden habe – und eilte dann leicht und flüchtig zur Treppe hinauf; sie war schon oben an der Tür, als die andern beiden erst langsam nachfolgten.

Das Vorderzimmer war wirklich leer, als sie eintrat; die darin befindliche Flügeltür, welche ins Hinterzimmer führte, stand aber halb offen; sie blickte hindurch und sah Zack in tiefem, ruhigen, fast atemlosen Schlafe liegen. Sie stutzte heftig – zitterte – und stand dann bewegungslos, ihn beständig anblickend. Tränen perlten ihr aus den Augen, die Farbe der Wangen veränderte sich und der schmerzliche Puls des Kummers und Mitleids schlug stärker und stärker in ihrem Herzen. Ach! wie blass und bleich, wie mitleidswürdig er da liegt, mit der schrecklichen weißen Bandage um den Kopf; und die hilflose schwache Hand hängt matt von der Bettseite herab! Wie bald verschwand von diesem kräftigen jungen Manne Gesundheit, Schönheit, Kraft und lebhafte Tätigkeit! – Sie hatte ihn in unschuldiger Reinheit und wahrhaft abgöttisch schon lange im Geheimen verehrt. Ach wie fürchterlich möchte wohl dies Bild im Tode sein, da seine jetzige Erscheinung in stillem ruhigen Schlafe schon schauerlich ist! Sie schauderte bei diesem Gedanken, trocknete ihre Tränen und blickte dann im Zimmer umher. Ihr schnelles weibliches Auge entdeckte sogleich auf einen Blick die schmutzige Unordnung, den beklagenswerten Mangel an Komforts und alle widerlichen Unannehmlichkeiten für den Kranken. Ein wenig Geld würde Zacks Lage bedeutend verbessern und seine baldige Genesung befördern. Sicherlich könnte ihr Geld ihm etwas Komfort verschaffen und seine Wiederherstellung beschleunigen.

Voll von dieser Idee, avancierte sie einige Schritte vorwärts und suchte auf der Tafel einen geeigneten Platz, wo sie ihr Geld niederlegen könnte. Während ihres Suchens fand sie eine alte Zeitung mit einem Bündelchen Haare. Sie waren vom Arzte in der Nähe von Zacks Wunde der besseren Heilung wegen abgeschnitten worden. Madonna hatte sie kaum erblickt, als sie dieselben auch an ihrer hellbraunen Farbe mit schwachem Goldglanz für Zacks Haare erkannte. Eine kleine gekrauste Locke lag etwas seitwärts, diese war ihr ganz besonders begehrenswert – sie wollte sich dieselbe aneignen, denn Zack könnte doch nicht wissen, dass sie im Besitz derselben sei! Sie zauderte aber noch einen Moment – indes wurde ihre Sehnsucht nach deren Besitz noch heftiger. Nach einem Blick im Zimmer herum, ob niemand zugegen sei, ergriff sie die Haarlocke und steckte sie schnell in ihren Busen. – Ihre Augen hatten sich vergewissert, dass niemand im Zimmer anwesend war; wäre sie aber ihres Gehörs nicht beraubt gewesen, so würde sie am Klang der Stimmen vernommen haben, dass sich Personen – unter ihnen eine männliche Stimme – dem Zimmer näherten. Unwissend darüber, ging sie – nach Verbergung der Locke – zur Kaminverzierung, um ihr Geld darauf zu legen, weil sie diese Stelle für den geeignetsten Platz hielt. Kaum hatte sie es niedergelegt, als sie eine Erschütterung empfand, die durch das Öffnen und Schließen der hinter ihr befindlichen Tür verursacht war. Beim Umdrehen erblickte sie Patty, die Hauswirtin und den fremden Freund Zacks mit dem dunkelbraunen Antlitz, welcher ihr den Scharlach-Tabaksbeutel zum Geschenk gemacht hatte.

 

Schrecken und Verwirrung erfasste sie, als sie denselben nach der Kaminverzierung gehen und das von ihr eben hingelegte Geldpaket nehmen sah. Er hatte nämlich in demselben Augenblick die Tür geöffnet, wo sie das Geld niederlegte und entfaltete nun sorgfältig das Papier, um dessen Inhalt zu prüfen. Während er sich so beschäftigte, ging die ganz konfus gewordene Patty dicht zu ihr, ergriff ihre Schiefertafel und schrieb in größter Eile einige sehr inkorrekte Zeilen darauf. Madonna las aus der schiefen Kritzelei heraus, dass Patty durch den plötzlichen Eintritt des rauen Mietsmannes sehr erschrocken sei, welcher gerade zu derselben Zeit von der Straße eingetreten, wo sie ihrer jungen Mistress ins Zimmer hätte folgen wollen; er habe sich ihr dann auf der Treppe entgegengestellt, um erst von der Hauswirtin über Zacks Krankheit belehrt zu werden. So konfus auch Pattys Schrift war, vermochte Madonna deren Inhalt zu interpretieren und war eben damit beschäftigt, als sie eine schwere Hand auf ihrem Arme fühlte; beim Anblicken sah sie Zacks Freund Zeichen zu ihr machen, indem er ihr das aus den Kamin gelegte Geld wieder in die Hand drückte.

Sie ward darüber etwas verwirrt, aber nicht furchtsam, denn seine Augen drückten weder Verdacht noch Ärger aus. Beide schauten sich einen Augenblick sanft und traurig an. Madonnas Gesichtsfarbe veränderte sich und es ward ihr schwer, das Geld als ihr Eigentum anzuerkennen, aber sie tat es. Mat zeigte auf sich, und als sie das Haupt schüttelte, zeigte er durch die Tür nach Zack. – Ihre Wangen begannen zu brennen und sie fürchtete sich, hinzublicken; aber es war kein härterer Versuch, die Wahrheit zu bekennen, als sie schamlos zu verneinen und ein falsches Zeichen zu machen. Sie blickte endlich hin und nickte tapfer mit dem Haupt.

Seine Augen schienen klarer und sanfter zu werden, als sie liebreich auf ihr ruhten; aber er bat sie, ihr Geld zurückzunehmen und hielt während dem mit kurioser tölpischer Gutmütigkeit ihre Hand fest. Sodann machte er noch einmal ein Zeichen nach Zacks Zimmer, griff in die Seitentasche seines Rocks und brachte nebst einem lose zusammengebundenen Paket schmutziger Briefe ein zusammengerolltes Fell heraus, wickelte es auf und zeigte ihr eine große Masse Banknoten. Jetzt verstand sie ihn vollkommen – er hatte hinreichend Geld für sich und für Zack und bedurfte des ihrigen nicht.

Nachdem er das Stück Fell wieder zusammengerollt und in seine Tasche gesteckt hatte, nahm er auch die Briefe von der Tafel, um sie einzustecken. In diesem Augenblick fiel eine Haarlocke aus denselben heraus und zu ihren Füßen nieder. Sie hob sie auf und erstaunte aufs höchste, als sie die genaue Ähnlichkeit in der Farbe mit Zacks Haar erblickte, von dem sie eine Locke in ihrem Busen verborgen hatte.

Sie war hierüber verwundert, und noch mehr verwundert, als er die Locke sehr ärgerlich und schnell empor riss, just als sie dieselbe berührte. Glaubte er, sie würde die Locke wegnehmen? Wenn er dies glaubte, so war es leicht, ihm zu zeigen, dass eine Zacksche Haarlocke eben jetzt keine Seltenheit sei, worüber sich Personen zu zanken brauchten. Sie ging zur Tafel, nahm von der Zeitung ein Büschel Haare und hielt sie ihm just in dem Augenblick lächelnd vor die Augen, als er seine Locke in die Tasche stecken wollte.

Im ersten Augenblick konnte er ihre Handlung nicht sogleich verstehen; dann aber schien ihn die Ähnlichkeit zwischen dem Haar in seiner Hand und dem in der ihrigen plötzlich sehr tief zu erschüttern. Der ganze Ausdruck seiner Physiognomie wechselte und ward so furchtbar finster, dass sie erschrocken zurückprallte und das Haar wieder auf die Tafel warf. Er krallte und drückte die Locke in der Hand zusammen und wandte sich dann mit seinen ungestüm fragenden Augen und seinem grimmigen Antlitz zur Hauswirtin. Während diese seine Fragen beantworten, ging er zu Zacks Bett; und als er hingeblickt, überzog wieder ein anderer Wechsel seine ganze Physiognomie; die dunkle Röte erbleichte, aber die alten Narben auf den Wangen wurden rot und immer röter. Er ging wieder zurück in die andere Ecke des Zimmers; seine unsteten Augen fixierten sich jetzt zu gedankenloser Starrheit, eine seiner Hände packte die alte Zeitung mit Zacks Haaren zusammen und mit der andern winkte er plump und ungeduldig den Frauen, ihn zu verlassen.

Madonna hatte schon einige mal Pattys Hand an ihrem Arm zucken gefühlt. Sie war jetzt ebenso ängstlich und besorgt, wie ihre Begleiterin, und wünschte so schnell als möglich das Haus zu verlassen. Sie verließen eilig das Zimmer, ohne nach Mat zu blicken; die Hauswirtin folgte ihnen. Sie hatte aber an der Haustür noch eine lange Unterredung mit Patty über den rauen Mietsmann, wie man nach ihren Physiognomien schließen konnte. Madonna fühlte kein Verlangen, den Inhalt dieser Unterredung kennen zu lernen. So sehr auch Mats befremdendes raues Benehmen sie in Erstaunen versetzt hatte, so war dies doch nicht der einzige Gegenstand ihrer Verlegenheit. Es war die Entdeckung ihres Geheimnisses, das Misslingen ihres kleinen Planes, Zack mit ihrem eigenen Gelde zu helfen, was sie zerstreut und betrübt machte. Sie hatte keine fünf Minuten im Vorderzimmer zu Kirk Street verweilt – und dennoch waren ihr in dieser kurzen Zeit sehr widerwärtige Begebenheiten begegnet.

Lange Zeit nachdem die Frauen das Zimmer verlassen, stand Mat regungslos in der vordersten Ecke der Wohnstube und starrte gedankenlos nach Zacks Schlafzimmer. Seine erste Verwunderung über das befremdende Gerede im Gange, als er von der Straße ins Haus trat, sein erstes Erstaunen über Zacks Wunde, sein mächtiger Impuls, sich Marias Kind zu entdecken, als er Madonna in seinem Zimmer fand, und dann wieder seine Bewunderung über ihre Opferwilligkeit gegen Zack – alle diese tiefen und mächtigen Gefühlsregungen verschwanden aus seinem Gedächtnis und aus seinem Herzen, sie wurden ganz und gar absorbiert von der außerordentlich großen Bestürzung, welche ihm die Entdeckung der großen Ähnlichkeit zwischen Zacks Haaren und der von Johanna Holdsworth zurückgesandten Locke verursachte, welche ehemals im Besitz seiner Schwester gewesen war und von ihrem geliebten Arthur Carr stammte. Ein gewöhnlicher Schicksalsschlag vermochte Mats Geist noch nicht außer Fassung zu bringen – dieser unerwartete Schlag bewirkte es aber in einem Augenblick.

Als er seine Selbstbeherrschung allmählich wiedererlangte, steigerte sich in ihm der lebhafte Wunsch, sich von der Ähnlichkeit beider Haararten hinreichend zu vergewissern. Er schlich sich leise ins Nebenzimmer, wo Zack immer noch schlief.

Nach einer minutenlangen Pause schüttelte er sorgenvoll das Haupt über des armen Jungen Blässe und Jammergestalt, dann hielt er die Haarlocke Arthur Carrs dicht an Zacks Haar. Es war zwar schon spät nachmittags, aber noch nicht dämmerig, die Fenster waren nicht durch Vorhänge geschlossen und das volle Tageslicht strömte noch ins Zimmer herein. Die Ähnlichkeit zwischen den Haaren des Schläfers und denen von Arthur Carr war vollkommen! Beide Arten hatten dieselbe hellbraune Farbe, beide schimmerten ins Goldgelbe über, das bei Licht glänzend sichtbar, aber im Schatten kaum zu bemerken war.

Warum hatte ihn diese außerordentliche Ähnlichkeit nicht früher so erschüttert? Wahrscheinlich, weil er Arthur Carrs Haare früher niemals so aufmerksam betrachtet hatte, als nachdem er im Besitz von Mariens Bracelet gelangt war. Vielleicht auch, weil er Zacks Haare früher niemals so genau angesehen hatte, als eben jetzt. Und zu was für einer Schlussfolge führte diese Ähnlichkeit? Ganz bestimmt zu keiner Verbindung mit Zacks Jugendgenossen. »Aber was für ältere Verwandte hat er? Und welche von ihnen haben die meiste Ähnlichkeit mit seinen Haaren? Gleicht er —?«

Mat blickte bei diesen Worten den Schläfer scharf an; ein gewisses Etwas in des Burschen Angesicht beunruhigte ihn und hielt ihn ab, den Gedanken weiter zu verfolgen. Er nahm die Haarlocke vom Kissen und ging in das Vorderzimmer. Es lag Angst, ja beinah Schrecken in seiner Physiognomie, wenn er an die fatale entscheidende Frage bezüglich seiner jetzt gemachten Entdeckung dachte, welche er an Zack richten wollte, sobald er erwachte. Er hatte früher noch niemals so recht gefühlt, wie sehr er seinem Hausgenossen zugetan war, als eben jetzt – jetzt, wo er wissentlich sich durch eine Frage an seinen Freund eine düstere, traurige Gemütsstimmung hervorrufen musste, obgleich er seit dem ersten Tage des Begegnens wie ein Bruder mit ihm gelebt hatte.

Erst gegen Abend erwachte Zack. Es war eine Erleichterung für Mat, dass er Zacks Antlitz nicht genau mehr sehen konnte, als er in das dunkel gewordene Schlafzimmer trat. Die Bürde der schrecklichen Frage lastete schwer auf seinem Herzen, als er seines kranken Freundes schwache Hand erfasste. Dieser beantwortete bedachtsam und kurz alle an ihn gerichteten Fragen, und Mat hörte dann geduldig des Kranken Leidensgeschichte an, wie und wodurch er so verwundet worden war. Schließlich führte ihn dann Zack selbst unbewusst zu jener fatalen Frage, welche Mat schon längst stellen wollte, aber aus Angst und Furcht nicht wagte.

»Ja, ja, alter Knabe«, sprach er und drehte sich so, dass er Mat ins Antlitz blicken konnte, »wie ich Euch sagte, ich war so entmutigt, dass ich nicht wusste, was ich beginnen sollte. Schrecken und Schauder hatte mich total erfasst, und diesen Morgen ganz besonders. Ich war so einsam und elend, wusste nicht, ob und wann ihr wiederkommen würdet, daher fragte ich die Hauswirtin, ob sie an meinen Vater schreiben und mir Pardon erbitten wolle. Ich habe mich nicht so betragen, wie ich musste, und wenn ein junger Mensch krank ist, bekommt er das Heimweh, und – und —«

Seine Stimme wurde schwächer – er ließ den Gedanken unbeendet.

»Zack«, sagte Mat, sein Angesicht wegwendend, während er sprach, obgleich es nun ganz dunkel war, »– Zack, was ist Dein Vater für ein Mann? —«

»Was für ein Mann! Wie meint Ihr das?«

»Sein Aussehen. Gleichst Du ihm von Angesicht? Bist Du ihm ähnlich?«

»Gott helf’ Euch, Mat! So wenig ähnlich wie möglich. Meines Vaters Angesicht ist runzlig und markiert.«

»Ja, ja, gleich andern alten Männern. Seine Haare grau, vermute ich?«

»Ganz weiß. Beiläufig gesagt – es gibt einen Punkt – ich bin ihm ähnlich – wenigstens wie er in der Jugend war – ich gleiche ihm so, als er ein junger Mann in meinem Alter war.«

»In was?«

»Wovon wir gesprochen haben – hinsichtlich der Haare. Ich habe oft meine Mutter sagen hören, als sie meinen Vater geheiratet habe – ach, hebt mein Kissen ein wenig höher! Wollt Ihr, Mat?«

»Jawohl! Und was hörtest Du von Deiner Mutter sagen?«

»Oh, nichts Besonderes. Nur das – als mein Vater noch ein junger Mann gewesen sei, habe sein Haar mit dem meinigen die größte Ähnlichkeit gehabt.«

Als er diese Worte sprach, klopfte die Hauswirtin an die Tür und rief, dass sie ein Licht und eine gute Tasse Tee für den Kranken bringe. Mat ließ sie in das Schlafzimmer – dann ging er in die Wohnstube und machte die halbgeöffnete Tür hinter sich zu. Jetzt war er nun erst recht besorgt, sein Angesicht vor Zack nicht sehen zu lassen.

Er ging zum Kamin, legte seinen Arm und Kopf auf dessen Verzierung – dachte eine Weile nach – dann stellte er sich aufrecht – suchte in seiner Tasche und zog noch einmal die verhängnisvolle Haarlocke hervor, welche er nun so unzählige mal schon ängstlich beschaut hatte.

 

»Deine Bestimmung ist vollbracht«, sagte er, betrachtete die Locke zum letzten Mal und warf sie ins lodernde Kaminfeuer.

»Deine Arbeit ist getan, und die meinige wird auch sehr bald vollendet sein.« Er legte noch einmal sein Haupt aus das Kamingesims und fügte hinzu: —

»Ich bin Zacks Bruder – das ist ein hartes Los! – Ich bin sein Bruder. —«