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Viertes Kapitel – Der Maler und die Palette

Während wir sein vergangenes Leben betrachtet haben – jetzt seit vielen Jahren vergangen – ist Herr Blyth vom Kamin des Ateliers aufgestanden und im Begriff, sein Tagewerk zu beginnen.

Pfeifend geht er nach einem halb mit Wasser angefüllten Töpfchen, das in einer Ecke steht, und nimmt eine kleine Porzellanpalette herunter, welche, als ein die Vollendung der beiden großen Bilder, die auf den hohen und handfesten Staffeleien stehen, beförderndes Mittel abgeschmackt klein aussieht. Nachlässig hat er auf dieser Palette die ganze Farbe von gestern gelassen. Das Wasser hat jedoch ihr Hartwerden verhindert, und sie kann leicht mit dem Palettenmesser entfernt werden. Sich nach etwas Makulaturpapier umsehend, um das Gemisch von Schwefel und Syrupfarbe abzuwischen, die das erste Darüberstreichen mit seiner Messerklinge abgekratzt hat, richten sich Herrn Blyths Blicke zufällig zuerst auf den Malertisch und auf vier oder fünf Billetts, welche darauf umhergestreut liegen.

Diese, denkt er, werden ebenso gut dazu passen wie alles andere; er ergreift also die Billets, aber ehe er sie verbraucht, liest er ihren Inhalt zwei Mal durch, teils aus Vorsicht, teils aus einer zeitraubenden Gewohnheit, welche zerstreuten Menschen gewöhnlich eigentümlich ist. Drei von diesen Briefen sind zufällig in der nämlichen klecksigen Handschrift geschrieben. Keiner von ihnen ist sehr lang, und sie sind das Machwerk eines früheren Bekannten des Lesers, der sich in den letzten vierzehn Jahren in Größe und persönlicher Erscheinung ziemlich verändert hat. Hier der erste der Briefe:

»Lieber Blyth!

Es ist alles aus mit mir. Der Informator sagt: – Theater sind Häuser des Teufels, und ich muss um zehn Uhr zu Hause sein. Ich habe sicherlich niemals etwas Unrechtes in einem Theater getan, was vielleicht woanders nicht überall der Fall gewesen sein würde, es sei denn, dass Lachen über ein gutes Stück eine von den Nationalsünden ist, über welche er immer spricht; aber ich will mich hängen lassen, wenn ich es selbst meiner Mutter zu Gefallen noch länger aushalten kann.

Sie sind mein Freund. Ich werde Sie morgen besuchen, bleiben Sie also zu Hause. Wie gern möchte ich ein Künstler sein.

Immer der Ihrige

Z. Thorpe.«

Kopfschüttelnd und zugleich lächelnd beendigt Herr Blyth diesen Brief, gießt eine vollkommene Lache von schmutziger Farbe. und Terpentin über das Wort »Nationalsünden«, wirft das Papier ins Feuer und geht dann zu Nummer Zwei über.

»Lieber Blyth!

Ich konnte gestern nicht kommen wegen eines andern Skandals, über den meine Mutter natürlich weinte. Sie erinnern sich des frühern Skandals, als ich noch in der Schule war und mit Teddy Millichap Zigarren rauchte, wie mir mein Taschengeld entzogen wurde, ich meine neue silberne Uhr versetzte und fast relegiert wurde, weil es nicht für einen Gentleman sich ziemte.

Nun das ist fast wieder derselbe Skandal. Der Informator sagte, er hätte Tabaksrauch beim Morgengebet gerochen.

Mein Rock war daran schuld, den ich den Abend vorher auszulüften vergaß, er entdeckte es und sagte, er wolle mir nicht zu rauchen erlauben, weil es zur Verschwendung verleite, und ich sagte ihm, wie es auch wahr ist, dass Hunderte von Pastoren rauchten. Darüber war ein so fürchterlicher Skandal, ich möchte, Sie kämen zu uns und legten ein gutes Wort für mich ein, denn ich bin vollkommen elend und alle meine Zigarren sind mir abgenommen worden.

Ihr aufrichtiger

Z. Thorpe.«

»Ich werde mich wohl hüten, deinem griesgrämigen Vater zu nahe zu treten, Herr Zack«, sagt Valentin zu sich selbst, während er feuchten Lampenruß auf das schöne weiße Papier des zweiten Billetts aufträgt und es nachher ins Feuer wirft.

Zacks dritter Klagebrief versprach zuverlässig ernste häusliche Störungen für die regierende Macht in Baregrove-Square: —

»Lieber Blyth!

Ich bin von meinem Vater ausgescholten und von meiner Mutter geliebkost worden, und das Ende vom Liede ist, dass ich wenigstens für jetzt nachgegeben habe. Ich sagte zum Informator, dass ich ein Künstler zu werden wünschte, und dass Sie meinten, ich hätte einen guten Begriff vom Zeichnen und Augenmaß zum Treffen; aber ebenso gut hätte ich zu einer Ihrer Staffeleien sprechen können. Er sagte, die Malerkunst wäre eine gefährliche Beschäftigung« – (»und ich sage, es ist nicht wahr«, murmelte Blyth vor sich hin) – und verleite zu jeder Art von Verworfenheit, und dass Künstler im Allgemeinen ein sehr ausschweifendes Leben führen« (»das ist eine gemeine Lüge«, rief Herr Blyth, die Spitze seines Palettenmessers wütend durch das Billet stoßend), »ich leugnete dies alles natürlich gerade heraus« – (»Wohl getan, Zack!«) – »und wurde wegen meiner Behauptung fürchterlich ausgescholten« – (»das muss Dich nicht anfechten, Du sprachst die Wahrheit.«) – »Es endete, wie ich vorher sagte, mit Nachgeben meinerseits, meiner Mutter zur Liebe. Die Folgen sind nun, dass ich schon seit den letzten drei Wochen im Comptoir eines Teemaklers in der City bin. Der Informator (hier Vater) und seine Freunde sagen, es wäre ein guter Anfang für mich, und sprachen über die Ehrenhaftigkeit des Handelsstandes. Ich will nicht ehrenhaft sein und ich hasse den Handelsstand. Stellen Sie sich vor, wie ich im Teemagazin herumlaufen muss, auf Plätzen, wo es von schmutzigen Juden wimmelt, wie in Mary-Axe, um Proben einzuholen und sie in einem blauen Beutel herumzutragen, und dann ein jüngerer schmutziger Kommis, welcher Halbstiefeln trägt und seine Feder an seinem Haar abwischt, um mich zu lehren, wie man ein Paket zusammenlegt. Ist das nicht genug, einen Kerl wütend zu machen, wenn man nur daran denkt. Das kann und darf nicht so weiter gehen. Sein Sie morgen sicher zu hause; ich komme, um mit Ihnen zu sprechen, wie ich es anfangen soll, ein Künstler zu werden. Der jüngere Kommis wird morgen früh alle Proben für mich einholen, und wenn ich nachmittags von Ihnen komme, wollen wir uns in einer Garküche treffen und dann nach dem Comptoir zurückgehen, als wenn nichts vorgefallen wäre. Fürchten Sie nicht, dass das entdeckt wird. Ich kann den kleinen Kommis mit der Tinte in seinen Haaren und mit seinen Halbstiefeln durch Beefsteaks und süßen Porter so bestechen, dass er verschwiegen ist wie das Grab.

Immer der Ihrige

Z. Thorpe jun.

P.S. Mein Entschluss ist gefasst, wenn es nicht mehr länger auszuhalten ist, so laufe ich davon.«

»O mein Gott!« sagt Valentin traurig, seine Palette mit einem Stückchen Lappen reinigend. »Es soll mich wundern, wie das noch enden wird. Der alte Thorpe ist gerade im rechten Zuge, Zack mit seiner hartnäckigen Strenge zur Verzweiflung zu treiben.«

»Er will morgen hierher kommen; er setzt nie ein Datum auf seine Billets, aber ich vermute, da dies gestern Abend kam, er meint heute. Ich weiß nicht, wie ich ihm am Besten raten soll; er ist ein sonderbarer flüchtiger Bursche; der Teufel hole das Vandyck-Braun, ich verlege immer gerade diese besondere Farbe.«

Da Herr Blyth das Vandyck-Braun nicht findet, sucht er die ihm zunächst nützliche Farbe und entschließt sich, ehe er an seinem Tagewerk weiter arbeitet, sich durch einen Blick auf eins seiner Bilder zu stärken. Er zieht den Überwurf von dem kleinsten der beiden weg und enthüllt eine klassische Landschaft.

Vor diesem Bilde, welches beinah vollendet ist, steht Herr Blyth in verzückter Betrachtung versunken, bald seinen Kopf ein wenig von der einen, bald von der andern Seite wendend, bald zurücktretend, um die allgemeine Wirkung aufzufassen, bald wieder vorgehend und jeden Teil einzeln betrachtend, so dass er zwei Finger auf andere Teile legt, um sie nacheinander getrennt zu beschauen, als ein schrillendes, ungeduldiges, Miauen an

der äußern Tür des Ateliers sich hören lässt, welches seine Aufmerksamkeit auf sich zieht. »Gott segne mich!« sagt Valentin, »Snooks will herein! Sie hat erst gestern Abend geworfen, ich wundere mich, was meine Leute sagen werden, dass sie schon wieder in das Atelier kömmt. Mit diesen Worten öffnet Herr Blyth die Tür und eine kleine schwarze Katze mit weißen Zehen, einer melancholisch aussehenden weißen Schnauze und ein Junges darin tritt bedächtig herein, geht gerade auf das Kamin zu, legt ihr Junges auf die Decke, setzt sich daneben und fängt sogleich so laut als möglich zu schnurren an; darauf wälzt sich Mietzchen wollüstig auf ihrem Rücken, hebt ihre vier weißen Pfoten in die Luft und sieht träge und unverschämt mit halbgeöffneten, grünen Augen Herrn Blyth an. Jeder Bericht über den Haushalt dieses Herrn würde unvollständig sein, wenn er nicht die Katze einschlösse, sie war buchstäblich ein Stück von ihm. Sie lebte mit ihm, folgte ihm um das Haus herum wie ein Hund, verrichtete allerlei Streiche unter Herrn Blyths Leitung und stand in vollkommen freundschaftlichen Verhältnissen mit dem ganzen Kreise seiner Bekannten.

Sie war erst spöttisch von Herrn Thorpe Junior Snooks getauft worden, welcher Beiname aber sogleich von Herrn Blyth mit dem Bemerken angenommen wurde, dass er einen kurzen, gewöhnlichen englischen Namen für ein kleines, vertrauliches englisches Haustier besonders billige.

Als Valentin so ein oder zwei Minuten lang mit der Katze gespielt hatte, fing er wieder an, seine Palette fertig zu machen.

Nachdem er seine Vorbereitungen beendet und sie, kritisch den Kopf ein wenig auf die Seite geneigt, überschaut hat, geht er zum Malkasten zurück und sucht wiederum unter den Farbentüten, als die Tür des Ateliers aufgeht und eine junge Dame eintritt.

Sie trägt einen sehr hübschen, einfachen Quäkeranzug; ihr Gewand ist von hellgrauer Farbe, vorn mit einer kleinen, niedlichen schwarzen Schürze bedeckt, welche sich um den Hals in einem gefalteten Kragen anschließt. Die Ärmel dieses Kleides sind ebenfalls eng anliegend und enden an den Handgelenken in komisch aussehenden Manschetten von altmodischen Spitzen als einzige kleine Zieraten ihres Anzugs. Man kann unmöglich beschreiben, wie köstlich sanft glänzend, frischrein und zart diese Dame ist, bloß als ein Gegenstand, auf den man hinblickt, im Kontrast mit der schmutzigen Unordnung des Ateliers, durch welches sie jetzt geht. Die schärfsten Beobachter, welche sie in ihrer jetzigen Erscheinung betrachten, würden in ihrem Gesichte oder in ihrer Gestalt, in ihrer Manier oder in ihrer Kleidung nichts entdecken, was im geringsten auf ein undurchdringliches Geheimnis oder auf ein unabänderliches Unglück schließen ließe. Und dennoch heften sich auf ihre Person forschende Blicke, so oft sie ausgeht; die Nachbarn zucken über ihr Dasein die Achseln, seufzen und betrachten sie mit kläglichen Blicken und so oft von ihrem Leben gesprochen wird, welches im Laufe der Unterhaltung beim Mittagsbrot und am Teetische in der neuen Vorstadt ziemlich oft der Fall ist, betrachten sie es als ein ganz trauriges. Gesellig können wir alle leicht in dieser Welt – wenigstens in dem gebildeten Teile derselben – als in zwei Klassen geteilt betrachtet werden. Wenn wir nicht die Leute sind, über welche andere sprechen, dann sind wir sicher die Leute, die über andere sprechen.

 

Die junge Dame, welche soeben in Herrn Blyths Atelier getreten war, gehörte zu der ersten Klasse von menschlichen Wesen.

Es war ihr Schicksal, von ihren Mitgeschöpfen beständig zum Gegenstande der Unterhaltung gemacht zu werden, sogar ihr Gesicht allein – bloß als Gesicht betrachtet – konnte einer beständigen Besprechung nicht entgehen, zumal unter Valentins Freunden, welche sie alle gut kannten und innig liebten! Aber merkwürdig genug, alle diese Freunde waren einer Meinung über sie, außer in einem Punkte, welchem ihrer Reize nämlich der größte Vorzug gegeben werden sollte, oder besonders den Anspruch von Bewunderung von allen Verehrern der Schönheit verdiente.

Während demnach der Eine ihrer Gesichtsfarbe, der Andere ihrem Munde, ein Dritter ihrem Haar und so weiter den Hauptvorzug gab, stimmten alle darin überein, dass das Gesicht der jungen Dame von allen, welches sie jemals gesehen hätten, der unsterblichen Madonna am ähnlichsten wäre, welche für immer die Idee der Schönheit mit dem Namen Raphael vereinigt hat. Die Ähnlichkeit fiel jedem im ersten Augenblicke schon, wo sie gesehen wurde, auf, sogar denjenigen, welche nur wenig mit Bildern vertraut waren. Im einzelnen genommen, hätte man an ihren Zügen leicht einen Mangel finden und sagen können, dass ihre Augen zu groß, ihr Mund zu klein, ihre Nase nicht griechisch genug wäre. Die allgemeine Wirkung ihres Gesichts aber, die Form ihres Kopfes, ihrer Züge und besonders ihr eigentümlicher Ausdruck erinnerte alle Beschauer sogleich und unwiderstehlich an das Bild der Sanftmut, der Reinheit und des weiblichen Edelsinns, welches auf immer von der raphaelischen Madonna auf so viele Andenken eingegraben ist. In Folge dieser außerordentlichen Ähnlichkeit war ihr eigentlicher englischer Name Marie gleich anfangs von Herrn und Madame Blyth und von allen intimen Freunden in Madonna abgeändert und italienisiert worden. Als sie jetzt in das Atelier trat, ging sie auf Valentin zu, legte sanft eine Hand auf seine Schulter und kam ihm so nahe, dass er sie auf die Stirn küssen konnte. Dann blickte sie auf die Palette, und als sie bemerkte, dass noch einige Farben darauf fehlten, fing sie sogleich an, dieselben im Malkasten zu suchen. Sie fand das vermisste Vandyck-Braun auf den ersten Blick und zeigte es Herrn Blyth mit einem hübschen, schlauen, forschenden und triumphierenden Blicke. Er nickte, lächelte und hielt ihr seine Palette hin, damit sie die Farbe selbst darauf lege. Nachdem sie dies sehr graziös vollbracht hatte, wandte sie sich zunächst zur Katze und ihrem Jungen, mit einem fröhlichen Blick des Erstaunens in ihren sanften, hellen Augen.

»Snooks« hatte ihre Lieblinge im Hause, und so oft sie die junge Dame berührte, drückte sie ihre außerordentliche Anhänglichkeit an die Madonna durch ein schnelles, langanhaltendes Schnurren aus, mit dem niemals ein anderes Mitglied der Familie begrüßt wurde.

Während der Maler und die junge Dame fleißig mit ihrer Arbeit im Atelier beschäftigt sind, hat man Muße. einen fast in Erstaunen setzenden charakteristischen Zug in ihrem Verkehr zu bemerken, wenigstens war dies an jenem besondern Wintermorgen der Fall.

Während der ganzen Zeit, seitdem die Madonna im Zimmer gewesen ist, hat sie nicht ein einziges Wort mit Valentin, und Valentin, der doch geläufig genug mit sich selbst sprechen kann, nicht ein einziges Wort mit ihr gesprochen.

Er sagte nicht »guten Morgen«, als er sie küsste, oder »ich danke Dir«, als sie das Vandyck-Braun fand, oder »wie gefällt Dir Snooks junges Kätzchen?« Und sie hat wirklich keine einzige Frage an ihn gerichtet, hat nicht einmal »armes Miezchen« gesagt, als sie die Katze auf der Decke liebkoste. Was mag dies absolute und merkwürdige Schweigen zwischen zwei Leuten bedeuten, welche sich so liebevoll und freundlich anblicken, so oft sich ihre Blicke begegnen?

Warum haben sie nicht ein einziges Mal zusammen gesprochen, seitdem sie die Tür des Ateliers öffnete?

Ist dies eins von den häuslichen Geheimnissen des Malers?

Wer ist die Madonna?

Wie ist ihr wirklicher Name außer Marie, heißt sie Marie Blyth?

Vor einigen Jahren hatte Valentin ein merkwürdiges Abenteuer in dem Zirkus einer reisenden Kunstreitergesellschaft, und es wurde ihm daselbst eine sehr sonderbare Geschichte von der Frau eines gewöhnlichen Gauklers oder Clowns erzählt.

Wer ist aber die Madonna? Und warum das absolute Stillschweigen zwischen ihr und Herrn Blyth?

Die Antwort auf diese Fragen kann man nur in dem Ereignis, in der Geschichte und in dem Resultate, welches sie herbeiführte, finden.

Fünftes Kapitel – Das Abenteuer

Im Herbste 1838 hatte die Krankheit der Madame Blyth, ihre letzte und dauernde Form angenommen, von der sie nachher niemals wieder verschieden war. Sie litt jetzt wenig wirkliche Schmerzen, ausgenommen wenn sie die liegende Stellung verließ. Die allgemeine Schwäche und Desorganisation, welche durch ein fast ausschließliches Verbleiben in ein und derselben Lage hervorgebracht wurde, hatte sogar zu dieser frühen Periode angefangen, traurige Veränderungen in ihrer persönlichen Erscheinung herbeizuführen. Valentin tat niemals, als ob er bemerkte, dass eine Veränderung mit ihr vorgegangen sei; seine Güte war gerade so liebevoll, so freiwillig und so beharrlich, wie sie nur immer in den glücklichen Tagen ihrer Verheiratung gewesen war. Mit einer solchen Ermutigung besaß Lavinia den Heroismus, jede Last geduldig zu ertragen und war selbst im Stande, da Hilfsquellen der Glückseligkeit für sich zu finden, wo andere nichts als Ursachen des Kummers entdeckten.

Ihr Wohnzimmer war durch Valentins sich selbstverleugnenden Fleiß schon besser als irgend ein anderes Zimmer im Hause möbliert, aber es zeigte bei weitem noch nicht jenen erhöhten Luxus und vollkommenen Geschmack, welchen es in spätern Jahren darbot.

Der reizende kleine Bücherschrank von Ahornholz und Elfenbein mit den hübsch eingebundenen Büchern, welche mit so glänzenden Titeln auf den Rücken prangten, war zuverlässig schon im Jahre 1838 da, und dies wäre wohl sicherlich auch nicht der Fall gewesen, wenn Herr Blyth nicht einen guten Auftrag erhalten hätte, den er im Anfang auszuführen zögerte. Er hatte in der Tat diesen Bücherschrank in dem Magazine des Möbelhändlers betrachtet, aber er war fast resigniert, ihn als einen verbotenen Schatz zu betrachten, welchen zu erlangen seine Mittel durchaus nicht hinreichten, wäre er nicht einem Rufe, auf dem Lande zu malen, gefolgt, dem er in Anbetracht seiner Frau sehr ungern gehorchte.

Nach wiederholter Überlegung jedoch gab ihm der Gedanke seines künftigen Stolzes und Vergnügens, den kleinen, reizenden Bücherschrank in Laviniens Zimmer zu sehen, endlich einen Grund zur Abreise an die Hand, welcher sein Widerstreben, sich auf eine kurze Zeit von seiner kranken Frau zu trennen, besiegte. Nachdem er einmal zu diesem Entschlusse gekommen war, schrieb er sogleich zwei Billets, das eine, um den neuen Bücherschrank zu bestellen, das andere, um sich durch die Annahme seiner Einladung auf das Land die Mittel zur Bezahlung desselben zu sichern.

Diese Einladung hatte er von einem geistlichen Freunde, dem hochwürdigen Doktor Joyce, Rektor von St. Judy in der großen ackerbautreibenden Stadt Rubbleford erhalten. Valentin hatte eins von des Doktors kleinen Kindern, als dieser mit seiner Familie in London war, in Wasserfarben gezeichnet, und diese Zeichnung wurde von dem Geistlichen bei seiner Rückkehr allen Nachbarn gezeigt. Obgleich nun Herr Blyth in der Anfertigung von den Portraits Erwachsener nicht sehr glücklich war, so gelangen ihm dennoch diejenigen von kleinen Kindern stets vortrefflich. Er malte sie mit den offensten Augen, den vollsten roten Wangen, dem heitersten, gutmütigsten Lächeln und mit den reinsten, weißesten Mützen, die jemals auf dem Papiere gesehen wurden. Wenn Väter oder deren männliche Freunde selten die Treue seiner Ähnlichkeiten würdigten, so erstatteten ihm Mütter und Kindermädchen beständig Ersatz für ihren Mangel an Geschmack. Das schöne Geschlecht belobte einstimmig die Valentinschen Kinderportraits und sobald sie dieselben sahen, riefen sie mit ausgelassener Freude aus, dass in der Darstellung der hübschen, lieben kindlichen Unschuld noch niemals ein Maler gelebt habe, der mit Herrn Blyth verglichen werden könne.

Hieraus folgte natürlich von selbst, dass die Ausstellungen von des Doktors Zeichnung an Ort und Stelle selbst Valentin viele Aufträge zur Anfertigung von Kinderportraits verschaffen musste. Drei dort wohnende Familien entschlossen sich sogleich., die Portraits ihrer Kinder von Valentin anfertigen zu lassen, wenn sich der Maler nur zu diesem Zwecke zu ihnen begeben wollte. Ein alter unverheirateter Gutsbesitzer stellte ihm ebenfalls einen Auftrag anderer Art in Aussicht. Dieser Herr kam durch eine Logik, zu deren Enthüllung wir keine Hoffnung haben, zu dem Schlusse, dass ein Mann, welcher vortrefflich Kinder malte, auch notwendigerweise ein ausgezeichneter Pferdemaler sein müsste, und entschied sich daher, dass Valentin seine berühmte Mutterstute malen sollte.

Als Doktor Joyce seinem Freunde diese Aufträge mitteilte, fügte er auch selbst einen hinzu, indem er Herrn Blyth ersuchte, dass er ihm das Bild seines Lieblingsvikars malen möchte, welcher, obgleich sehr schwach und schwindsüchtig, im Begriff war, sich einer Mission nach dem Kap anzuschließen, und den er in diesem Leben nicht wiederzusehen befürchtete.

Hier gab es also fünf Aufträge, welche, obgleich Valentin billig arbeitete, genug einbringen würden, um nicht nur den neuen Bücherschrank, sondern auch einige neue Bücher dafür bezahlen zu können.

Nachdem er seine Frau der Sorgfalt zweier von ihren Schwestern anvertraut hatte, welche die strenge Weisung empfingen, das Haus nicht vor seiner Rückkehr zu verlassen, reiste Herr Blyth sogleich zum Rektor, und einmal dort fing er an, die Kinder mit so vielem Eifer und so vieler Heiterkeit zu malen, dass er sogleich die Herzen der Mütter und Kindermuhmen gewann und in wenigen Tagen eine große Berühmtheit in Rubbleford erlangte. Als er nun die Kinder zur Bewunderung aller gemalt hatte, nahm er den Vikar in Angriff und schuf eine betrübende Ähnlichkeit des unglücklichen Mannes. Sobald diese letzte Arbeit vollkommen beendet war, ging Valentin an seine noch übrige, aber schwierigste Arbeit, die Mutterstute des unverheirateten Gutsherrn unsterblich zu machen.

Hier hatte er vielen Verdruss. Der jagdliebende Herr sah ihm beim Malen zu und sprach zu seinem Schrecken mit ihm vom Stammbaum des Pferdes; er wollte das Tier in einer höchst unmalerischen Manier dargestellt haben, ohne Zulassung von Farbenton, Luft und Schatten oder irgend einer besonderen künstlerischen Verschönerung. Kurz und gut, der Gutsherr wollte ein Schild und kein Bild, und erhielt zuletzt, was er verlangte, nach seiner Herzenslust.

Als Valentin eines Abends von dem Hause des Gutsherrn nach der Wohnung des Rektors zurückkehrte, wurde in der Hauptstraße von Rubbleford plötzlich seine Aufmerksamkeit durch einen an eine verfallene Mauer geklebten Anschlagzettel erregt.

Er trat sogleich zu dem Haufen Bauern, welche sich um den vielfarbigen und prächtigen Papierbogen versammelt hatten, und las am obersten Ende desselben in ungeheuer großen blauen Buchstaben: »Jubbers Zirkus, das achte Wunder der Welt.« Dann kam etwas kleine Schrift, welche niemand zu lesen unterließ. Unter dieser kleinen Schrift aber erschien eine vollkommene Milchstraße von geschnörkelten purpurroten Buchstaben, welche aller Augen fesselten, und benachrichtigte das Publikum, dass zur Kunstreitergesellschaft gehöre: »Fräulein Florinda Belverley, bekannt, wo die englische Sprache nur immer gesprochen wird, als die amazonische Kaiserin des Reiches der Kunstreiterei.« Dieser Anzeige folgten die Namen von unbedeutenderen Mitgliedern der Gesellschaft, ein Programm der heutigen Vorstellung, Zeugnisse aus den Provinzialzeitungen, bildliche Darstellungen von Herren mit dicken Waden und beflitterten Trikots und von Damen mit lächelnden Gesichtern, aufgeschürften Unterröcken und Pirouetten schlagenden Beinen. Alles dies wurde sorgfältig von Herrn Blyths Nachbarn angestaunt; aber er selbst ließ es unbeachtet. Sein Auge hatte am Fuße des Anschlagzettels etwas bemerkt, das sogleich seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.

 

An dieser Stelle erschienen die roten Buchstaben wieder und bildeten die folgenden Worte und Zeichen der Bewunderung:

Der geheimnisvolle Findling!

zehn Jahr alt!

gänzlich taubstumm!

Darunter kam eine Erklärung dessen, worauf sich die roten Buchstaben bezogen, was nicht weniger als drei Paragraphen von dicker kleiner Schrift ausmachte, deren Worte Valentin gierig verschlang. Sie lauteten:

»Herr Jubber, Eigentümer des berühmten Circus, hat die Ehre, den hohen und niedern Adel und das geehrte Publikum zu benachrichtigen, dass das oben erwähnte taubstumme Wunderkind zwischen dem ersten und zweiten Teile der Abendvorstellungen erscheinen wird. Herr J. hat sich die Freiheit genommen, dieses Wunder der Natur den geheimnisvollen Findling zu nennen, da niemand seinen Vater kennt und seine Mutter bald nach seiner Geburt starb, ihn der Sorgfalt der Kunstreitergesellschaft überlassend, die bei ihm von dieser Zeit an die Stelle von liebevollen Eltern und Vormündern vertreten hat.

Dieses wunderbare Mädchen wurde in den frühern Annalen des Jubberschen Zirkus ursprünglich als das achte Wunder der Welt oder als das Kind der Windsbraut der Wüste dargestellt. In diesem Charakter erschien sie in ihrem siebenten Jahr, in die Luft gehalten von der Hand des Muley Ben Hassan, des berühmten Teufelsreiters der Sahara, in seinem kühnsten Wagnis der Reitkunst, wie es zum Schrecken und Erstaunen von ganz England in Jubbers Zirkus ausgeführt wurde. Zu jener Zeit konnte sie vollständig hören und sprechen; aber Herr J. bedauert schmerzlich, mitteilen zu müssen, dass sie bald nachher von einem schrecklichen Unfalle heimgesucht wurde. Nicht durch die Schuld des Teufelsreiters, der sich niemals in seinem Leben irrte, und der seinen Gefühlen bei dem Resultate des obenerwähnten schrecklichen Unfalls erliegend, mürrisch und mit gebrochenem Herzen nach seinem wilden Vaterlande zurückgekehrt ist, entglitt sie seiner Hand, während der feurige, aber menschlich fühlende Araber drei galoppierende Pferde bestiegen hatte, und fiel, – es ist schrecklich zu erzählen – außerhalb der Barriere, auf den mit Brettern belegten Fußboden des Zirkus. Man hielt sie für tot. Herr Jubber schickte sogleich nach dem Arzte, derselbe fand sie jedoch noch am Leben und schiente nur ihren Arm, der gebrochen war! Man entdeckte erst nachher, dass sie das Gehör gänzlich verloren hatte. Unter diesen traurigen Umständen fand man auch bald, dass ihr die Fähigkeit zum Sprechen gänzlich fehlte, und sie ist daher jetzt gänzlich taubstumm; aber Herr Jubber freut sich sagen zu können, dass sie trotzdem ganz heiter und gesund ist.

Da Herr Jubber selbst der Vater einer Familie ist, so wagt er zu hoffen, dass diese kleinen Details bei einem intelligenten, mitfühlenden und wohlwollenden Publikum einige Teilnahme erregen werden. Zum Schlusse will er nur noch einfach bemerken, dass die Darstellungen des geheimnisvollen Findlings eine bis jetzt noch unerreichte Vollkommenheit in der Taschenspielerkunst, in den unergründlichsten Kartenkunststücken, welche ursprünglich das Resultat der verwickeltsten Berechnungen des berühmten arabischen Mathematikers Muhamed Engedi waren, erreicht haben. Mehr als dies will Herr Jubber nicht zu erzählen wagen: denn sehen ist glauben, und um es zu glauben, muss man den geheimnisvollen Findling sehen. Die Preise stehen am Fuße des Zettels.«

Herr Blyth las diese komische schreckliche Erzählung mit Gefühlen, welche für den Geschmack, das Zartgefühl und die Menschlichkeit des geschwätzigen Herrn Jubber durchaus nicht lobend ausfielen. Er sah nach den Preisen, dann oben nach dem Zettel und bemerkte, dass die erste Vorstellung am nämlichen Abend stattfinden sollte, blickte dann zerstreut um sich und entschloss sich, derselben beizuwohnen.

Er ging daher zuerst nach der Wohnung des Rektors, um eine Tasse Tee zu trinken und zu sagen, wohin. er sich begebe; dann eilte er nach dem Zirkus, einem hölzernen Gebäude auf einem Felde außerhalb der Stadt.

Als er eintrat, hatte die Vorstellung schon seit einiger Zeit begonnen. Die amazonische Kaiserin, Fräulein Florinda Belverley, tanzte auf dem Rücken eines leicht galoppierenden scheckigen Pferdes. Immer im Kreise herum galoppierte die Kaiserin in ihrem eigenen unbestrittenen Reiche der Reitkunst, auf dem Sattel mit ihren kaiserlichen Beinen nach einer bekannten Melodie, welche von dem Orchester mit wahrer Dilettantenkünstlerschaft gespielt wurde, den Takt schlagend. Plötzlich ging die Melodie in eine andere über, das scheckige Pferd ging schneller, die Kaiserin erhob in der einen Hand eine Fahne, in der andern einen Wurfspieß und fing an, unsichtbare Feinde im vollen Galopp in der leeren Luft zu erschlagen. Der Triumph war wunderbar, der Beifall ungeheuer; Herr Blyth allein saß unbewegt da. Fraäulein Florinda Belverley war nach dem Urteile dieses antiamazouischen Malers nicht einmal ein gutes Modell, um Beine danach zu zeichnen.

Als nun die Kaiserin von einem spanischen Guerilla, welcher auf dem Rücken eines weißen Pferdes raubte, mordete, zechte, tanzte und sich verliebt stellte, abgelöst wurde und diesem wiederum ein Clown folgte, welcher die schrecklichsten Verzerrungen und unwiderstehlich komisches Gesichterschneiden ausführte, gab Herr Blyth dennoch nicht das geringste Vergnügen oder Erstaunen kund. Nur erst als zwischen dem ersten und zweiten Teile der Vorstellung eine Glocke ertönte und das Orchester anfing »edle Zitella« auszuspielen, zeigte er einige Symptome von Lebhaftigkeit. Dann stand er plötzlich auf und ging von seinem Sitze nach einer Bank, welche sich dicht an der niedrigen Wand befand und die Barriere von dem Zuschauer trennte, richtete seine Augen aufmerksam auf einen Torweg ihm gegenüber, über welchen eine schlechte rote Gardine mit einem Brokatrande hing.

Aus diesem Torwege trat nun Herr Jubber selbst heraus, angetan mit weißen Beinkleidern und goldenen Streifen und einer grünen Jacke mit Epaulettes; er hatte aufgedunsene freche Augen, einen gefärbten Schnurrbart, große, fette, schlaffe Wangen, langes Haar, in der Mitte geteilt, einen umgelegten Hemdenkragen mit einem rosenfarbenen Halstuche und war in jeder Hinsicht der am abschreckendsten aussehende Schauspielervagabund, der jemals sein unverschämtes und hässliches Gesicht schmückte. Er führte mit sich, es an der Hand haltend – o entehrende und schändliche Berührung – das kleine taubstumme Mädchen, dessen Missgeschick er der ganzen Bevölkerung von Rubbleford mitgeteilt hatte. Das Gesicht und die Manier des Kindes, als sie in das Zentrum des Zirkus trat, ihre harmlosen Verbeugungen machte und dem Publikum ein Kusshändchen zuwarf, nahm sogleich das Herz sämtlicher Zuschauer gefangen. Sie begrüßten sie mit einem so übermäßigen Beifall, dass eine erwachsene Schauspielerin davor zurückgeschreckt worden wäre. Kein Ton dieser freudigen Stimmen, nicht der geringste Widerhall von diesen laut klatschenden Händen konnte sie erreichen; sie konnte sehen, dass man sie freundlich bewillkommte, und das war alles!