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Zwei Schicksalswege

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Zwei Schicksalswege (EPUB)
Zwei Schicksalswege (EPUB)
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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Zweites Kapitel
Zwei junge Herzen

»Er wächst zu schnell«, sagte der Doktor zu meiner Mutter, »und wird für einen Knaben von seinem Alter viel zu klug. Lassen Sie ihn sechs Monate lang aus der Schule, Madame, damit er zu Hause in der freien Luft umherlaufen kann; und sehen Sie ein Buch in seiner Hand, so nehmen Sie es ihm fort. Das sind meine Verordnungen!«

Diese Worte waren für ein Lebensschicksal entscheidend.

Um des Doktors Rat zu befolgen, wurde ich unbeschäftigt gelassen und durchstreifte einsam, ohne Brüder, Schwestern oder Gefährten meines Alters, die Umgebungen unseres einsamen Landhauses. Die Tochter des Vogtes war, wie ich, ein einziges Kind und hatte gleich mir keine Spielgefährten. Wir begegneten uns auf unseren einsamen Wanderungen an den Ufern des Sees. Aus unzertrennlichen Gefährten wurden wir allmälig zärtliche Liebende und beabsichtigten unser bräutliches Verhältnis ehe ich zur Schule zurückkehrte zur vollen Reife zu bringen, indem wir uns heirateten.

Was ich schreibe ist kein Scherz. So töricht es »vernünftigen Menschen« auch erscheinen mag, wir beiden Kinder waren Liebesleute – wenn solche überhaupt je existiert haben.

Wir kannten keine andere Freude, als die alles umfassende, die wir einer in des andern Gesellschaft fanden. Wir zürnten der Nacht, weil sie uns trennte. Wir flehten unsere beiderseitigen Eltern an, uns im nämlichen Zimmer schlafen zu lassen. Ich grollte meiner Mutter und Mary war ungehalten über ihren Vater, wenn sie uns auslachten und nach unseren ferneren Wünschen befragten. Wenn ich von jenen Tagen bis zur Zeit meines Mannesalters vorwärts blicke, erinnere ich mich lebhaft der glücklichen Stunden, die ich damals verlebte. Aus der späteren Zeit aber wüsste ich kein Entzücken dem zu vergleichen, das ich damals unaussprechlich und unwandelbar empfand und das mein ganzes, junges Herz erfüllte, wenn ich mit Mary die Felder durchstreifte; wenn ich mit Mary in meinem Boot den See durchkreuzte; wenn ich Mary nach der grausamen Trennung der Nacht wiedersah und in ihre geöffneten Arme flog, als wären wir Monde und Monde lang getrennt gewesen.

Welch eine Anziehungskraft fesselte uns so eng in einem Alter aneinander, wo der sympathische Zug der Geschlechter in ihr, wie in mir noch verborgen schlief?

Wir wussten es nicht und bemühten uns nicht es zu ergründen, wir gehorchten dem Triebe uns zu lieben, wie der Vogel dem Triebe zu fliegen folgt.

Man darf durchaus nicht voraussetzen, dass wir hervorragende Gaben oder Vorzüge besaßen, die uns in irgendeiner Art vor anderen Kindern unseres Alters auszeichneten. Wir waren durchaus nicht anders als andere. Man hatte mich in der Schule einen klugen Jungen genannt, aber es gab tausend Knaben in tausend anderen Schulen, die so gut wie ich obenan in der Klasse saßen und ihre Auszeichnungen erhielten. Um die Wahrheit zu sagen, ich ragte in keiner Weise hervor, außer – wie man zu sagen pflegt, dass ich »groß für mein Alter« war. Mary, ihrerseits, entwickelte keine besonderen Reize. Sie war ein zartes Kind mit milden, grauen Augen und von bleicher Gesichtsfarbe; sie war seltsam scheu, still und zurückhaltend, außer, wenn sie mit mir ganz allein war. Die Schönheit, die sie in jenen jungen Jahren schmückte, lag in einer gewissen ungekünstelten Reinheit und Liebenswürdigkeit des Ausdrucks und in der reizenden rotbraunen Farbe ihres Haares, das zierlich und anmutig in wechselndem Glanze strahlte. Obgleich wir dem äußeren Anscheine nach zwei ganz gewöhnliche Kinder waren, schien ihr Geist und der meine doch geheimnisvoll durch einen verwandten Zug verbunden zu sein, der nicht nur uns selbst verborgen blieb, sondern auch zu tief in uns schlummerte, um von älteren und weiseren Köpfen als die unseren enthüllt zu werden.

Man wird natürlich fragen, ob unsere Eltern nichts taten, um unsere vorzeitige Neigung, als sie nur noch eine harmlose Tändelei zwischen einem Knaben und einem Mädchen war, zu verhindern.

Mein Vater tat nichts – aus dem einfachen Grunde, weil er von Hause abwesend war.

Er war ein Mann von ruhelosem, unternehmendem Charakter. Da er sein Gut von Schulden beladen geerbt hatte, war es sein höchster Ehrgeiz, sein geringes Einkommen durch seine Bestrebungen zu vergrößern, einen Haushalt in London zu haben und auf der Leiter des Parlaments politische Ehren zu erklimmen. Ein alter Freund, der nach Amerika ausgewandert war, hatte ihm ein landwirtschaftliches Unternehmen in den westlichen Staaten vorgeschlagen, wodurch sie beide ihr Glück machen würden. Meines Vaters erregbare Phantasie erfasste die Idee. Über ein Jahr war er fern von uns in den Vereinigten Staaten; wir wussten nichts von ihm, als dass er, wie seine Briefe besagten, in nächster Zeit als einer der reichsten Männer Englands zurückkehren würde.

Was meine arme Mutter anbelangt, so war sie die sanfteste, weichherzigste Frau der Welt und – mich glücklich zu sehn, war das Ziel ihrer Wünsche.

Der kleine, hübsche Liebesroman der zwei Kinder zerstreute und interessierte sie. Sie scherzte mit Marys Vater über die bevorstehende Verbindung der beiden Familien, ohne den geringsten Gedanken an die Zukunft – ohne auch nur eine Ahnung von dem zu haben, was bei meines Vaters Rückkehr geschehen könnte. »Jeder Tag hat sein eigenes Glück und Leid« war der Wahlspruch meiner Mutter ihr ganzes Leben hindurch gewesen und sie stimmte ganz der Philosophie des Vogtes bei, die wir schon in diesen Zeilen mitteilten: »Sie sind nur Kinder, es ist kein Grund die Dinger jetzt schon zu trennen!«

Ein Mitglied der Familie aber fasste die Sache doch ernster und bedenklicher auf.

Meines Vaters Bruder besuchte uns in unserer Einsamkeit – er entdeckte was zwischen Mary und mir vorging – und war natürlich zuerst auch geneigt uns auszulachen; ein näheres Eingehen auf die Sache änderte aber seine Denkweise. Er überzeugte sich bald, wie töricht meine Mutter handelte, sah, dass der Vogt, obgleich er der bravste Diener war, den man sich denken konnte, hierbei schlau seine Interessen durch seine Tochter zu fördern suchte und fand, dass ich ein junger Tollkopf war, der seine natürliche Anlage zum Dummheiten machen außergewöhnlich früh entwickelte. Im Sinne dieser Beobachtungen sprach mein Onkel mit meiner Mutter und bot ihr an mich mit nach London zu nehmen und dort zu behalten, bis ich durch den Umgang mit seinen Kindern und die sorgfältige Aufsicht in seinem Hause wieder vernünftig geworden wäre.

Meine Mutter zögerte seinen Vorschlag anzunehmen, da sie besser meinen Charakter als mein Onkel kannte. Während sie noch zweifelte und mein Onkel ungeduldig die Entscheidung erwartete, ordnete ich selbst die Sache für meine Angehörigen, indem ich davon lief.

Ich ließ als Stellvertreter in meiner Abwesenheit einen Brief zurück, worin ich erklärte, dass keine Macht mich von Mary trennen würde und dass ich, so wie mein Onkel das Haus verlassen haben würde, heimzukehren und die Verzeihung meiner Mutter zu erbitten beabsichtigte. Trotz der genausten Nachforschungen gelang es nicht, mein Versteck zu

entdecken. Mein Onkel reiste mit der Prophezeiung ab, dass ich zur Schande der Familie heranwachsen würde und versprach, dass er meinem Vater mit der nächsten Post seine

Ansichten über mich nach Amerika hin mitteilen würde.

Das Geheimnis von dem Versteck, in dem ich allen Nachforschungen trotzte, ist bald zu erklären.

Ich war, ohne dass der Vogt es wusste, in dem Schlafgemach seiner Mutter versteckt. Ihr fragt: ob die Mutter des Vogtes darum wusste? Worauf ich Euch antworte: dass sie es wusste und – was noch mehr sagen will, dass sie stolz darauf war; nicht um eine feindliche Tat gegen meine Familie zu begehen, sie meinte nur damit eine Gewissenspflicht zu erfüllen.

Aber, im Namen alles Wunderbaren, wie war der Charakter dieser alten Frau? Lasst sie vor Euch erscheinen und für sich selber sprechen – die wilde, fast für eine Zauberin geltende Großmutter der sanften kleinen Mary, die moderne Sybille, die weit und breit in unserem Teile

von Suffolk, als Dame Dermody, bekannt war.

Sie schwebt mir wiederum so deutlich vor, als ich dieses schreibe, wie sie strickend oder lesend in dem niedlichen Landhause ihres Sohnes am Wohnstubenfenster saß und das Licht auf ihre Schulter fiel. Dame Dermody war eine kleine, magere, bewegliche, alte Frau mit feurigen schwarzen Augen, die von buschigen weißen Brauen bestattet waren, mit einer hohen, gefurchten Stirn und dichtem, weißem Haar, das sauber unter einem Häubchen geordnet war. Das Gerücht behauptete und behauptete mit Recht, dass sie von Geburt und Erziehung eine Dame war und dass sie absichtlich ihre Lebensstellung aufgegeben hatte, um einen Mann zu heiraten, der dem gesellschaftlichen Rande nach weit unter ihr stand. Sie selbst bedauerte diesen Schritt nie, wie auch ihre Familie darüber denken mochte. Nach ihrer Anschauung war ihres Gatten Andenken für sie etwas Heiliges; sein Geist war der Schutzgeist, der, wachend oder schlafend, tags oder nachts, sie bewachte.

Da sie an diesem Glauben festhielt, blieb sie ganz unbeeinflusst von den modernen Auswüchsen grobsinnlicher Anschauungen, die die Gegenwart der Geister mit plumpen Verschwörungskünsten und närrischen Zeichen auf Tischen und Stühlen in Verbindung zu bringen suchen. Dame Dermodys edlerer Aberglaube bildete einen wichtigen Teil ihrer religiösen Überzeugungen – Überzeugungen, die seitdem längst in Emanuel Swedenborgs mystischen Lehren ihren Ausdruck gefunden haben. Die Werke des schwedischen Sehers waren die einzigen Bücher, die sie las. Sie vermischte Swedenborgs Lehren über Engel und abgeschiedene Geister, über Nächstenliebe und Reinheit des Wandels mit ihren eigenen milden Phantasien und verwandten Anschauungen und predigte die so gewonnenen schwärmerischen Religionslehren nicht allein im Hause des Vogtes, sondern auch aus Bekehrungsausflügen in den Häusern ihrer einfachen Nachbarn weit und breit.

 

Unter ihres Sohnes Dach war sie, nach dem Tode seiner Frau, die oberste Machthaberin und rühmte sich ebenso der treuen Erfüllung ihrer häuslichen Pflichten, wie des bevorzugten Verkehrs mit Engeln und Geistern. Mochte zugegen sein, wer da wollte, so hielt sie doch lange Unterreedungen mit dein Geist ihres verstorbenen Mannes und versetzte dadurch die einfältigen Zuhörer in stummes Grauen. Bei ihrer mystischen Anschauungsweise erschien ihr der Liebesbund zwischen Mary und mir als etwas so Heiliges und Schönes, dass man ihn nicht nach den niedrigen und gewöhnlichen Gesetzen der Gesellschaft beurteilen durfte. Sie schrieb für uns kleine Gebete und Lobgesänge, deren wir uns täglich, bei unserm Begegnen oder Auseinandergehen, bedienen mussten. Ihren Sohn ermahnte sie ernstlich uns als zwei junge, geheiligte Wesen zu betrachten, die auf einem himmlischen Pfade wandelten, dessen Beginn zwar hier auf Erden sei, dessen seliges Ende wir aber droben in einem besseren Sein bei den Engeln finden würden. Nun stelle man sich den Eindruck vor, als ich vor dieser Frau in Tränen der Verzweiflung gebadet erschien und ihr meinen Entschluss verkündigte: eher zu sterben, als mich durch meinen Onkel von Marys Seite reißen zu lassen – und man wird ein Verständnis für die Gastfreundschaft bekommen, welche mir das Heiligtum von Dame Dermodys Zimmer öffnete.

Ich machte einen argen Missgriff, als es Zeit war mein Versteck zu verlassen. Als ich der alten Frau nämlich beim Fortgehen dankte, sagte ich, veranlass durch meine kindischen Begriffe von Ehre: »Ich werde Sie nicht verraten, Madame. Meine Mutter soll nicht erfahren, dass Sie mich

in Ihrem Schlafzimmer verborgen hielten.«

Die Sybille legte ihre dürren, knochigen Hände auf meine Schulter und drückte mich in den Stuhl, von dem ich eben aufgestanden war, zurück.

»Knabe!« rief sie, mich mit ihren feurigen Augen durchbohrend, »wagst Du zu glauben, dass ich je in meinem Leben etwas tat, dessen ich mich zu schämen hätte? Glaubst Du, dass ich mich dieser Tat schäme? Warte hier. Damit Deine Mutter mich nicht auch missversteht, werde ich ihr schreiben.«

Sie setzte ihre große, runde Brille mit der Schildpatteinfassung auf und begann zu schreiben. Sobald ihre Gedanken sie verließen oder sie einen Ausdruck suchte, den sie nicht gleich finden konnte, blickte sie über ihre Schulter, als ob ein sichtbares Wesen dort stände und ihren Brief verfolgte – es war der Geist ihres Mannes, den sie so zu Rate zog, wie man einen lebenden Menschen befragt – sanft lächelnd schrieb sie dann ruhig weiter. »So!« sagte sie und reichte mir den Brief mit einer herablassenden Gebärde: »Seine Ansicht und die meine sind hier niedergeschrieben. Geh Kind, ich verzeihe Dir. Diesen Brief gib Deiner Mutter.«

Sie sprach immer mit derselben Förmlichkeit und würdigen Gemessenheit in Ausdruck und Bewegung.

Ich brachte meiner Mutter den Brief. Wir lasen und bestaunten ihn gemeinschaftlich. Beeinflusst durch den immer gegenwärtigen Geist ihres Gatten, hatte Dame Dermody also geschrieben:

»Madame! – Ich nehme mir nach Ihrer Ansicht wohl eine große Freiheit heraus, indem ich Ihnen schreibe. Ich bin Ihrem Sohne behilflich gewesen seinem Onkel Trotz zu bieten. Ich habe Ihren Sohn George in seinem Vorsatze, meiner Enkelin Mary Dermody in Zeit und Ewigkeit treu zu sein, bestärkt.

Ich bin Ihnen und mir selbst die Erklärung der Beweggründe schuldig, die mich zu diesem Schritt veranlassen.

Ich glaube, dass jede wahre Liebe im Himmel vorausbestimmt und geweiht ist. Geister, die zu einer ewigen Vereinigung in einer besseren Welt bestimmt sind, haben die göttliche Weisung sich hinieden zu suchen und in dieser Welt ihren Bund zu schließen. Nur wo die für einander bestimmten Geister sich hinieden finden, kann eine glückliche Ehe geschlossen werden.

Sind die verwandten Geister sich einmal begegnet, so vermag keine Macht sie zu trennen. Dem göttlichen Befehl zufolge müssen sie sich immer wieder finden und wieder vereinigen. Mag weltliche Weisheit sie in ganz verschiedene Lebensbahnen zwingen; mag weltliche Weisheit

sie täuschen oder mögen sie sich selber täuschend einen irdischen, falschen Bund schließen, das ändert nichts. Die Zeit muss kommen, wo dieser Bund sich als irdisch und falsch erweist und wo die beiden getrennten Geister sich hier wiederfinden, um sich hinieden für das Jenseits zu

vereinen – zu vereinen, sage ich, trotz aller menschlichen Satzungen, trotz aller weltlichen Begriffe von Recht und Unrecht.

Das ist mein Glaube und ich habe ihn durch mein eigenes Leben bewährt. Als Mädchen, wie als Gattin und als Witwe, habe ich daran festgehalten und ich habe ihn richtig erfunden.

Ich bin in der Lebensstellung geboren, zu der auch Sie gehören, Madame. Man unterrichtete mich in dem niedrigen, materiellen Wissen, das den weltlichen Begriff von Erziehung bildet. Gott sei es gedankt, dass der mir verwandte Geist dem meinen in frühen Jahren schon begegnete, ich lernte wahre Liebe und wahre Geistesgemeinschaft kennen bevor ich zwanzig Jahre alt wurde. Mein Mann gehörte den arbeitenden Klassen an, ich heiratete also in die Gesellschaftsschicht hinein, Madame, aus der Christus einst seine Jünger wählte. Kein irdisches Wort kann genugsam das Glück bezeichnen, das ich schon in unserer Vereinigung hinieden fand – sein Tod hat uns nicht getrennt. Er steht mir bei, während ich diesen Brief schreibe. In meiner letzten Stunde werde ich ihn sehen, wie er an den Ufern des glänzenden Flusses unter der Engelschar steht und mich erwartet.

Sie werden nun begreifen, mit welchen Blicken ich das Band betrachte, welches die jugendlichen Geister unserer Kinder, schon bei ihren ersten Schritten in das Leben, verbindet.

»Glauben Sie mir, die Tat, die Ihres Gatten Bruder von Ihnen forderte, war eine Entheiligung und Entweihung. Ich gestehe offen, dass ich das, was ich in dieser Angelegenheit tat, um die Absichten Ihres Verwandten zu durchkreuzen, für ein Gebot der Tugend halte. Sie können von mir nicht erwarten, dass ich den Zufall, dass Ihr Sohn des Herrn Erbe und meine Enkelin des

Vogtes Tochter ist, als ein ernstliches Hindernis für eine Vereinigung betrachte, die im Himmel vorausbestimmt ist. Werfen auch Sie, ich beschwöre Sie, die unwürdigen und unchristlichen Standesvorurteile ab. Sind wir vor Gott nicht alle gleich? Sind wir nicht auch selbst vor dieser

Welt vor Elend und Tod gleich? Von der Beachtung meiner Worte hängt nicht allein Ihres Sohnes Glück, sondern Ihr eigener Seelenfrieden ab. Es wird Ihnen nicht gelingen, Madame, in späteren Jahren den vorausbestimmten Ehebund dieser beiden Kindergeister zu verhindern, dess’ seien sie versichert. Trennen Sie sie jetzt und – Sie werden die Verantwortung für alle Opfer, Erniedrigungen und Schmerzen zu tragen haben, durch die Ihr George und meine Mary in ihrem späteren Leben den Rückweg zueinander suchen müssen.

Jetzt ist mein Gewissen seiner Bürde enthoben. Ich habe Alles gesagt.

Habe ich zu frei gesprochen oder Ihnen ohne mein Wissen wehe getan, so erbitte ich mir Ihre Verzeihung, Madame, und verharre, mit treuen Wünschen für ihr Wohlergehn Ihre ergebene Dienerin

Helene Dermody.«

So endete der Brief.

Mir gilt er mehr als eine bloße seltsame Probe von Briefstellerei. Mir ist er die wunderbar in späteren Jahren erfüllte Prophezeiung von Ereignissen in Marys und meinem Leben, die die folgenden Seiten enthüllen werden.

Meine Mutter beschloss den Brief unbeantwortet zu lassen. Sie fürchtete, wie viele ihrer ärmeren Nachbarn, Dame Dermody ein wenig und war, nebenbei, allen Abhandlungen über die Mysterien des Geisterlebens abgeneigt. Ich wurde gescholten, verwarnt und mit ihrer Verzeihung entlassen – so endete die Sache.

Für einige glückliche Wochen kehrten Mary und ich, ungestört und ungehindert, zu unserem früheren, innigen Verkehr zurück. Leider aber kam das Ende, als wir es am wenigsten erwarteten. Eines Morgens erhielt meine Mutter einen Brief von meinem Vater, worin er sie zu ihrem Erstaunen benachrichtigte, dass er unverhofft gezwungen worden sei, sofort nach England abzusegeln und auch bereits in London angekommen sei, wo ihn unverschiebbare Geschäfte

noch zurückhielten. So wie er sich frei machen könne, würde er kommen, wir könnten ihn also täglich erwarten.

Diese Nachrichten erfüllten das Gemüt meiner Mutter mit ahnungsvollen Zweifeln über das Gelingen der großen Spekulationen ihres Gatten in Amerika. Seine plötzliche Abreise aus den Vereinigten Staaten, der geheimnisvolle Aufenthalt in London, waren in ihren Augen Vorboten

herannahender Missgeschicke. Ich schreibe jetzt von jenen dunklen Tagen der Vergangenheit, als Eisenbahnen und elektrische Telegraphen nur noch goldene Träume in den Köpfen ihrer Erfinder waren. So war ein schneller Verkehr mit meinem Vater unmöglich, selbst wenn er darein gewilligt hätte, uns in sein Vertrauen zu ziehen. Uns blieb keine Wahl, als zu hoffen und zu harren.

Langsam vergingen die Tage – und immer noch sagten uns meines Vaters flüchtige Briefe, dass er in London zurückgehalten würde. So kam der Morgen, wo Mary und ich mit dem Vogte Dermody ausgingen, um die letzten wilden Vögel in den Entenfang locken zu sehen – und noch immer harrte man daheim, um den Herrn des Hauses zu begrüßen und harrte noch immer vergebens.

Drittes Kapitel
Swedenborg und die Sybille

Ich nehme meine Erzählung an der Stelle wieder auf, wo ich sie im ersten Kapitel fallen ließ.

Wie man sich erinnern wird, hatten Mary und ich den Vogt im Entenfange allein gelassen und hatten uns auf den Weg nach Dermodys Hause gemacht.

Als wir uns dem Gartengitter näherten, sah ich einen Diener unseres Hauses dort warten. Er brachte eine Botschaft von meiner Mutter – eine Botschaft für mich.

»Mr. George, meine Herrin wünscht, dass Sie sobald als möglich nach Hause kommen, es ist ein Brief mit der Post gekommen. Der Herr beabsichtigt von London einen Postwagen zu nehmen und benachrichtigt uns, dass wir ihn im Laufe des Tages erwarten können.«

Marys gespanntes Gesicht verdüsterte sich bei diesen Worten. »Musst Du wirklich gehn, George«, flüsterte sie, »ehe Du gesehen hast, was dich hier zu Hause erwartet?«

Mir fiel Marys verheißene »Überraschung« ein, deren Geheimnis erst enthüllt werden sollte, wenn wir im Hause wären. Wie konnte ich sie betrüben? Mein armes, kleines Herzblatt begann fast, bei dem bloßen Gedanken daran, schon zu weinen.

Ich entließ den Diener mit der vertröstenden Bestellung, dass ich meine Mutter grüßen ließe und in einer halben Stunde nach Hause zurückkehren würde.

Wir gingen ins Haus.

Dame Dermody saß wie gewöhnlich am Fenster, auf ihrem Schoße lag geöffnet eines von Emanuel Swedenborgs mystischen Büchern. Bei unserem Eintreten erhob sie feierlich die Hand und gab uns ein Zeichen, dass wir uns in unsere gewohnte Ecke zurückziehen sollten, ohne mit ihr zu sprechen. Es galt als ein Akt des häuslichen Hochverrats, wenn man die Sybille bei ihren Büchern störte. Wir schlichen still auf unsere Plätze. Mary wartete, bis ihrer Großmutter graues

Haupt sich neigte und ihrer Großmutter buschige Augenbrauen sich aufmerksam über ihrem Buche zusammenzogen. Da erst erhob sich das bescheidene Kind auf den Zehenspitzen, verschwand geräuschlos in der Richtung ihrer Schlafkammer und trug, zu mir zurückkehrend, etwas in der Hand, das sie vorsichtig in ihr bestes, baumwollenes Taschentuch gehüllt hatte.

»Ist das die Überraschung?« flüsterte ich.

Mary erwiderte ebenso: »Rate, was es ist!«

»Etwas für mich?«

»Ja. Rate. Was ist es?«

Ich riet drei Mal – und jedes Mal riet ich falsch. Mary entschloss sich mir durch einen Wink zu Hilfe zu kommen.

»Sage die Buchstaben her,« meinte sie, »und fahre fort bis ich Dich unterbreche.«

Ich begann: »A, B, E, D, E, F« – Hier unterbrach sie mich.

»Es ist der Name einer Sache,« sagte sie. »Er beginnt mit F.«

Ich riet »Farnkraut«, »Feder«, »Fünf« – da war meine Weisheit zu Ende.

Mary seufzte und schüttelte den Kopf. »Du gibst Dir keine Mühe,« sagte sie. »Du bist drei ganze Jahre älter als ich. Nach aller der Mühe, die ich mir gegeben habe Dich zu erfreuen, bist Du nun am Ende zu groß, um dir aus meinem Geschenk etwas zu machen, wenn Du es

siehst. Rate weiter.«

»Ich kann nicht raten.«

»Du musst!«

»Ich gebe es auf!«

Mary wollte nicht, dass ich aufhörte zu raten. Sie kam mir durch einen anderen Wink zu Hilfe.

»Was wünschtest Du neulich in Deinem Boot zu haben?« fragte sie.

»Ist es schon lange her, als ich es wünschte?« fragte ich, verlegen um eine Antwort.

»Lange, lange ist es her! Es war noch vor dem Winter, als im Herbst die Blätter fielen und Du mich zu einer Wasserfahrt abholtest. Oh, George, Du hast es vergessen!«

 

Ihre Worte waren nur zu wahr in Bezug auf mich, wie auf alle meine alten und jungen Mitbrüder. Es ist überall seine Liebe, die vergessen kann und ihre Liebe, die alles treu im Gedächtnis bewahrt. Wir waren nur zwei Kinder und doch war der Typus von Mann und Weib schon so bezeichnend in uns ausgeprägt! Mary verlor die Geduld. Trotz der furchtbaren Gegenwart ihrer Großmutter sprang sie auf und riss das Taschentuch von dem verborgenen Gegenstande.

»Hier!« rief sie aus, »weißt Du nun, was es ist?«

Endlich fiel es mir ein. Der Gegenstand, den ich mir monatelang für mein Boot gewünscht hatte, war eine neue Flagge. Und nun hatte Mary eigenhändig eine neue Flagge für mich gearbeitet! Auf grünseidenem Grunde war eine weiße Taube gestickt, die den herkömmlichen Ölzweig, aus

Goldfäden gearbeitet, im Schnabel hielt. Die Arbeit war das unsichere, zaghafte Werk kindlicher Finger. Wie treulich hatte mein kleiner Liebling meinen Wunsch behalten – wie

geduldig hatte sie ihre Nadel auf dem aufgezeichneten Muster hin- und hergleiten lassen, – wie fleißig hatte sie in den trüben Wintertagen gearbeitet; und das Alles für mich! Wie konnte ich orte finden ihr meinen Stolz, meine Dankbarkeit, mein Glück auszusprechen? Auch ich vergaß die Anwesenheit der über ihr Buch gebeugten Sybille – ich schloss die kleine, fleißige Arbeiterin in meine Arme und küsste sie, bis ich ganz außer Atem war und nicht mehr küssen konnte.

»Mary!« rief ich im ersten Feuer meines Enthusiasmus aus, »heute kehrt mein Vater heim. Ich will heute Abend mit ihm sprechen und morgen heirate ich Dich.«

»Knabe!« sagte die ehrfurchtgebietende Stimme am anderen Ende des Zimmers, »komm her!«

Dame Dermodys mystisches Buch war geschlossen und Dame Dermodys zauberische schwarze Augen beobachteten uns in unserer Ecke. Ich näherte mich ihr und Mary folgte mir schüchtern Schritt für Schritt.

Die Sybille fasste mich in einer so milden, liebkosenden Weise bei der Hand, wie sie mir ganz neu an ihr war.«

»Ist Dir dieses Spielzeug teuer?« fragte sie, auf die Flagge deutend. »Verbirg es!« rief sie, ehe ich ihr antworten konnte, »verbirg es oder es wird dir genommen werden!«

»Warum soll ich es verbergen?« fragte ich. »Es soll eben am Maste meines Bootes wehen.«

»Nimmer wird das geschehen!« Bei diesen Worten nahm sie die Flagge aus meiner Hand und steckte sie ungeduldig in die Brusttasche meiner Jacke.

»Zerknittere sie nicht, Großmutter!« rief Mary bittend.

Ich wiederholte meine Frage:

»Warum soll sie nie an dem Maste meines Bootes wehen?«

Dame Dermody legte ihre Hand auf das geschlossene Buch von Swedenborg, das in ihrem Schoße lag.

»Seit diesem Morgen habe ich das Buch drei Mal aufgeschlagen,« sagte sie. »Dreimal verkünden mir die Worte des Propheten, dass Sorgen heranziehen. Kinder! Diese Sorgen werden über Euch kommen! Wenn ich dorthin blicke,« fuhr sie fort, indem sie auf eine Stelle im Zimmer wies, die ein Sonnenstrahl beschien, »so sehe ich meinen Gatten im himmlischen Licht. Er beugt kummervoll sein Haupt und weist mit seiner nimmerirrenden Hand auf Euch. George

und Mary, Ihr seid einander geweiht; bleibt immer dieser Weihe, bleibt Eurer selbst würdig.« Sie schwieg. Ihre Stimme bebte. Ihre Augen ruhten mit jenem sanften, trüben Blick auf uns, der von einer nahen Trennungsstunde sprach. »Kniet nieder!« sagte sie im leisen Tone der Furcht

und des Kummers. »Zum letzten Male segne ich Euch! Zum letzten Male bete ich für Euch in diesem Hause. Kniet nieder!«

Wir knieten noch beieinander zu ihren Füßen. Ich fühlte Marys erregten Herzschlag, als sie sich enger und enger an mich schmiegte. Ich fühlte die Schläge meines eigenen Herzens sich unter dem Einflusse einer Furcht verdoppeln, die mir unerklärlich war.

»Gott segne und behüte George und Mary jetzt und immerdar. Gott fördre in Zukunft ihre Vereinigung, die seine Weisheit ja beschlossen hat. Amen. So sei es. Amen.«

Als e die letzten Worte ausgesprochen hatte, wurde die Haustür aufgerissen. Mein Vater, – von dem Vogt gefolgt – trat ins Zimmer. Dame Dermody erhob sich langsam und musterte ihn mit strengen Blicken.

»Das Verhängnis bricht herein,« sagte sie zu sich selbst, »es blickt mit den Augen – es spricht mit der Stimme dieses Mannes.«

Sich zu dem Vogte wendend, brach mein Vater das Schweigen.

»Ich finde meinen Sohn in Eurem Zimmer, Dermody«, sagte er, »wie Ihr seht, statt dass er in meinem Hause ist.« Geduldig aus die Gelegenheit zum Sprechen wartend, stand ich und hatte meine Arme um die kleine Mary geschlungen, als er sich zu mir wendete. »George,« sagte er, mit dem herben Lachen, welches ihm eigentümlich war, wenn er seinen Zorn verbergen wollte, »du machst Dich zum Narren. Lass das Kind und komme zu mir.«

Jetzt oder niemals musste ich mich erklären. Dem Anscheine nach war ich noch ein Knabe. Meinem eigenen Gefühl nach bedurfte es eines Augenblicks, um mich zum Manne

zu entwickeln.

»Papa,« sagte ich, »ich freue mich, dass Du heimgekehrt bist. Dies ist Mary Dermody, die ich liebe und die mich wieder liebt. Ich möchte sie heiraten sobald als Du und meine Mutter es gestatten.« Mein Vater brach in lautes Gelächter aus, doch bevor ich weiter sprechen konnte, wechselte seine Stimmung. Er hatte beobachtet, dass Dermody sich anschickte, die Sache auch scherzhaft aufzufassen. Im nächsten Augenblick schien er wild vor Wut zu werden. »Man hat

mich von diesem höllischen Narrenspiel in Kenntnis gesetzt,« sagte er, »aber ich habe bis jetzt nicht daran glauben wollen. Wer hat des Knaben schwachen Kopf verdreht? Wer hat ihn ermutigt, dieses Mädchen zu umarmen? Wenn Ihr es waret, Dermody, so war das die schlechteste Tagearbeit, die Ihr in Eurem Leben getan habt.« Er wandte sich wieder zu mir, ehe der Vogt sich verteidigen konnte. »Hörst Du was ich sage? Ich befehle Dir Dermodys Tochter zu verlassen und mit mir nach Hause zu kommen.«

»Jawohl, Papa,« sagte ich, »aber wenn ich bei Dir gewesen bin, gestattest Du doch, dass ich zu Mary zurückkehre.«

Trotz seines Ärgers wurde mein Vater ganz stutzig über meine Verwegenheit.

»Deine Unverschämtheit übersteigt Alles, junger Narr,« brach er los. »Ich sage Dir, dass Dein Fuß nie wieder diese Schwelle betreten wird! Man hat Dich gelehrt mir den Gehorsam zu verweigern. Man hat Dir hier Dinge in den Kopf gesetzt, die kein Knabe Deines Alters wissen

darf, die kein anständiger Mensch Dir beigebracht haben würde – weiter will ich nichts sagen.«

»Verzeihung, Herr,« unterbrach ihn Dermody sehr ehrerbietig, aber gleichzeitig sehr bestimmt, »es gibt viele Dinge, welche ein Herr das Vorrecht hat, seinem Diener in der Erregung zu sagen, aber Sie haben dieses Vorrecht überschritten. Sie haben mich in Gegenwart meiner Mutter und vor den Ohren meines Kindes beschimpft.«

Hier fiel ihm mein Vater ins Wort.

»Erspart Euch das Ende,« sagte er. »Wir sind nicht länger Herr und Diener. Als mein Sohn Euer Haus zu besuchen anfing und mit Eurer Tochter zu tändeln begann, war es Eure Pflicht ihm Eure Tür zu verschließen. Ihr habt Eure Pflicht versäumt, ich kann Euch nicht länger trauen. Ich kündige Euch hiermit für den nächsten Monat Euren Dienst, Dermody.«

Nun stand der Vogt mit meinem Vater auf neutralem Boden. Er war nicht länger der bequeme, sanfte, bescheidene Mann, als den ich ihn kannte.

»Ich erlaube mir Ihre Kündigung für den nächsten Monat abzulehnen, mein Herr,« erwiderte er. »Sie sollen keine Gelegenheit haben mir das eben Gesagte zu wiederholen. Ich werde Ihnen heute Abend meine Rechnungen zuschicken und werde morgen Ihren Dienst verlassen.«

»So sind wir doch in einer Sache einverstanden,« sagte mein Vater, »je eher Ihr geht, je besser.«

Er schritt durch das Zimmer und legte seine Hand auf meine Schulter.