Nehmt es wie es ist

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Aber er war eben auch ein sehr guter Schriftsteller, der das konnte.

Ich selbst bin kein wirklicher Schriftsteller, ich bin Autor, der über populäre Musik schreibt, und der sich das Recht herausnimmt, seine Gedanken in diesen Texten mit unterzubringen, seien sie nun krude, langatmig oder auch gut - alles ist eins und richtig und wichtig für mich.

Aber zurück zu Roy Orbison und zu dem Film „Blue Velvet“.

In diesem Film gab es einen schmierigen Drogendealer bzw. -konsumenten, der in einer Szene des Films eine Version von Roy Orbisons „In Dreams“ vortrug.

Und das hatte er so gutgemacht, dass ich sofort mehr über den Song und über den eigentlichen Sänger, eben Roy Orbison, wissen wollte.

Wie man doch so manchmal seine Liebe für Songs und deren Sänger entdecken kann.

Nun, nach einer kurzen Pause, denn man hat immer auch mal etwas Anderes zu tun, braucht auch schon mal eine Ablenkung, nach dieser Pause also sitze ich nun wieder an meinem ruhigen Schreibtisch, will weiter erzählen über meine Liebe zur Musik von Roy Orbison, kann aber nicht, denn gerade habe ich etwas im Radio gehört, und das lässt mir keine Ruhe:

Da gibt es einen Freiherr von und zu Soundso, der war einmal ein wichtiger Politiker in diesem Land, und was noch entscheidender ist, er war der absolute Liebling des Wahlvolkes. An den kam kaum einer heran … schon als zukünftiger Bundeskanzler wurde er gar gehandelt.

Dann stürzte er, d. h. er fiel eigentlich nur in Zeitlupe, denn mit List und Tücke versuchte er seinen Sturz zu vermeiden. Stück für Stück gab er immer nur das zu, was nach und nach an die Öffentlichkeit kam, was unwiderlegbar war, was nicht mehr geleugnet werden konnte, denn er wollte nicht einsehen, dass er Mist gebaut hatte. … Dass er schlicht und einfach Mist gebaut hatte.

Seine Doktorarbeit, vor Jahren geschrieben, war wohl mehr oder weniger ein Plagiat gewesen und sollte nun ernsthaft daraufhin überprüft werden.

In den Zeiten des Internets geht das ja ganz fix.

Es war aber schlimm wie sich dieser smarte W... (Weltmann, Wicht oder Wixer - lassen wir es offen) wand und aalte.

Genauso schlimm war die Reaktion des Wahlvolkes, das angetrieben und eingepeitscht durch die Boulevardzeitung Deutschlands, die vorbehaltlos Stimmung für diesen Freiherr machte (der Schauspieler Manfred Krug übrigens nannte dies Boulevardblatt in seinen Fernsehserien immer so treffend, die Zeitung mit den großen Lettern oder kurz „Blöd-Zeitung“), sich Meinung vorschreiben ließ oder sogar glaubte, vielleicht sogar überzeugt war, sich die richtige Meinung gebildet zu haben. Volkes Stimme stimmte also zu, denn was nicht sein darf, durfte einfach nicht sein.

Man kennt, dies nur kurz als Vergleich herangezogen, die jungen Teenies, wenn die sich einmal einen Star auserkoren haben (früher meinetwegen Michael Jackson, aktuell wohl eher Justin Bieber, Lady Gaga oder diese „hässliche Maske“ Robert Pattinson), dann stehen sie zu dem, komme was da wolle.

Und hier waren es eben mal Erwachsenen gewesen, die von ihrem gefallenen Idol nicht lassen wollten, und außerdem war er, dieses Idol, auch nicht irgendwer, denn Adel ist doch immer noch etwas Anderes als Hinz und Kunz. Oder?

Dies alles kurz zur Vorbemerkung.

Dann sind Wochen, Monate ins Land gegangen, der Freiherr hat abgedankt, hat sich also nicht halten können, denn die Herren Professoren haben seine Doktorarbeit genau überprüft, haben ein Gutachten geschrieben, und ein vernichtendes Urteil über diese Arbeit gefällt.

Und was macht unser Freiherr?

Er gesteht halbherzig, was nun wirklich nicht mehr zu leugnen war, aber kann es sich dennoch nicht wirklich verkneifen, auch wieder andere mit hinein zu ziehen und auch noch Ausflüchte zu suchen: Der Druck seiner Familie wäre seinerzeit zu groß gewesen, er selbst hätte grundsätzlich eine chaotische Arbeitsweise (was sich als Minister sicherlich immer gutmacht), auch hätte er sich überhaupt überfordert gefühlt, hätte schlussendlich Familie, Beruf und Promotion nicht mehr unter einen Hut bringen können, sodass er wohl so handeln musste, wie er gehandelt hätte, dass ihm also keine andere Wahl geblieben wäre, als abzuschreiben.

Es ist absolut nachvollziehbar, dass so einer in so einer Familie unter Druck geraten kann. Aber man trägt ja auch selbst seinen Teil dazu bei, hat vieles gewollt, vieles mitgemacht, und sollte sich dann auch nicht billig herausreden.

Jeder hat sein Päckchen zu tragen (… schöner, bekannter Satz, nicht wahr?), sollte es auch für sich tun, sich nicht herausreden, sondern mannhaft zu seinen Fehlern stehen, und nicht nur stehen, sondern auch entsprechend handeln. Also: vorerst Klappe halten, in sich gehen, mit sich ins Reine kommen, und dann kann man sich vielleicht mal wieder sehen lassen.

Ja, so hätte man es auch machen können. Zumal es andere, parallel laufende Beispiel gab: Die Tochter eines ehemaligen Ministerpräsidenten hatte auch geschummelt, was wohl übrigens in dieser Zeit groß in Mode gekommen war, die Uni Konstanz entzog ihr daraufhin die Doktorwürde, und sie nahm es mehr oder weniger klaglos hin, vielleicht auch deshalb weil sie noch genügend Anstand im Leibe hatte.

Beinahe ebenso machte eine Europaabgeordnete nicht allzu viel Aufstand ob der gleichen Vorwürfe, sie sagte allerdings wochenlang überhaupt nichts zu ihrer Affäre des Plagiatsvorwurfes, gab aber dann alle ihre Ämter, allerdings nicht ihr Europamandat, was aber vielleicht nur noch eine Frage der Zeit sein wird, bis sie auch dies zurückgibt, gab also diese, ihre Ämter mehr oder weniger reumütig zurück.

Nehmen wir mal an, dass sie ebenfalls noch genügend Anstand hatte (ich sage dieses mit aller Vorsicht, denn bei ihr habe ich größere Zweifel, als bei der Tochter des ehemaligen Ministerpräsidenten).

Es fällt schon auf, dass in diesen vergleichbaren Fällen, trotz allem voran gegangenem miesen Tuns, die Frauen sich besser verhalten als die Männer, beziehungsweise als dieser ganz spezielle W...

Also sprach der Moralist, der doch sehr wohl weiß, dass vieles vom ruhigen Schreibtisch aus Gesagte, Geschriebene sehr wohlfeil daher kommt, aber dennoch davon überzeugt ist, dass auch in dem eben Ausgeführten mehr als ein Körnchen Wahrheit steckt.

So, nun bin ich wieder ruhiger („Ich bin ganz ruhig.“ - Autogenes Training hilft … manchmal.) und kann mich meinem roten Faden aufs Neue zu wenden.

Zurück also zu Roy Orbison.

Auch er hat uns nicht die eine Platte hinterlassen, ich sehe sie jedenfalls nicht. Aber er hat uns Songs gegeben, die bleiben und die durchaus auch auf spätere Künstler/Sänger in den darauffolgenden Jahrzehnten nachhaltig gewirkt haben.

Und nun wieder meine Aufforderung: Hört euch diese Songs an: „Only The Lonely“, „Running Scared“, „Dream Baby“, „Crying“, „California Blue“, „In Dreams“ ... ja der, genau der aus dem Film, „Blue Bayou“ ... and last but not least, nein, denn eigentlich gehört dieser Song ganz nach vorne, er ist der beste: „Oh, Pretty Woman“ ... ba, ba, ba, ba, ba, ba, ba, ba...

Es ist wahrlich schön diese Songs wieder und wieder zu hören, wobei hören betont werden muss, denn schaut man sich Roy Orbison und seine Mit-Musiker auf DVD oder bei Youtube an, dann verliert er, ein bisschen zwar nur, aber er verliert, denn er war wohl einfach nicht der Entertainer, wie meinetwegen Elvis Presley.

Und dann hatte er auch immer diese unsäglich große, dunkle Sonnenbrille auf, die sicherlich als sein Markenzeichen gegolten haben sollte (aber vielleicht hatte er ja auch wirklich ein Augenleiden gehabt - weiß man es?), und die vielleicht sogar seinerzeit angekommen ist, die aber, so muss ich es leider sagen, „Scheiße aussieht“.

Die Frage ist nun:

Wer oder was kommt jetzt?

Und ich sage, dass nunmehr die musikalisch spannendste Zeit kommt!

Die Zeit, die die Highlights, die Megaplatten und die größten Künstler in der populären Musik, so wie ich sie sehe und verstehe (und von der ich weiß, dass auch andere sie so sehen und verstehen), hervorgebracht hat, denn ab Mitte der sechziger Jahre erschienen Platten, die großartige musikalische Höhepunkte markierten.

Und dies blieb dann für gut zwanzig Jahre so, grob über den Daumen gepeilt.

Danach ging es langsam aber stetig bergab, wobei es aber auch da, immer mal wieder, einzelne Glanzlichter gab.

Wir werden es sehen ... und folglich später dazu mehr.

Hier und jetzt sind wir bei einem der Größten angekommen, nämlich bei Bob Dylan.

Und wisst ihr, was wirklich eine Überraschung wäre, die aber meines Erachtens völlig zu Recht erfolgen würde, nämlich die Bekanntgabe der Zuerkennung des Literaturnobelpreises an Bob Dylan im nächsten oder übernächsten Jahr, meinetwegen auch in drei Jahren.

Denn was er mit seinen Texten vielfach hervorgebracht hat, ist Literatur, eine Literatur, die durchaus den Vergleich mit anderen Geehrten standhält.

Denn er ist doch weiß Gott nicht schlechter als beispielsweise Herta Müller, Elfriede Jelinek, als Harold Pinter oder als dieser Italiener … dieser Dramatiker, wie heißt der noch gleich, ich guck mal eben nach...

Also als Dario Fo … also nicht schlechter als die eben Genannten, klar, und so: Nun mal endlich den Nobelpreis für Bob Dylan.

Punkt.

Aber er als US-Amerikaner hat bekanntermaßen wenig Chancen bei diesem Nobelkomitee, wie so viele andere US-amerikanische Dichter auch, und überhaupt kommt er doch aus einer Schmuddel-Ecke, nämlich die der populären Musik, in der wir zwar zum Teil Klasse-Texte finden, die aber doch so gar nicht in das Raster der denkbaren Möglichkeiten dieses Komitees passen, denn dort, in der Schmuddel-Ecke, kann es einfach keine poetischen Texte geben, die vor den Augen dieses elitären Kreises Gnade und Anerkennung finden würden.

 

Vielleicht geschehen aber doch noch einmal Zeichen und Wunder?

Warten wir es ab und hoffen auf das Beste und auch Richtige.

(Zumal man jetzt und in den letzten Jahren, auch dies sei der Vollständigkeit halber erwähnt, und ausdrücklich zu meiner vollsten Zufriedenheit erwähnt, hier und dort schon einmal den einen oder auch den anderen hören konnte, zumeist beheimatet in Feuilleton und Wissenschaft, der ähnlich „Ketzerisches“ über Bob Dylan von sich gab oder gibt.)

Was mir besonders an diesem US-Amerikaner gefällt sind natürlich einmal die Texte, dann die Musik, die Stimme, nein, die sicherlich weniger, aber vor allem gefällt mir auch seine Beständigkeit als Musiker und Poet, die nun schon seit Jahrzehnten anhält, denn noch immer haben seine CDs Klasse.

Er ist somit einer, der, da er gerade siebzig Jahre alt geworden, in Würde gealtert ist, und dies als (immer noch) Musiker in der heutigen Zeit.

Auch gehören Brüche, als da sind Unfälle, Krankheiten, Drogen, die zeitweilig Hinwendung zum Christentum und dergleichen zu einem gelebten Leben, zum seinem gelebten Leben, die ihn aber nie nachhaltig daran gehindert haben Musiker und Poet zu sein und zu bleiben.

Auch hier ist wieder ein Amen angebracht.

Dies ist überhaupt so ein Punkt, diese Würde des Alterns, denn Rock- und Popmusiker hätten ja nie alt werden dürfen, jedenfalls war das jahrelang, jahrzehntelang eine gängige Meinung ... ein gängiges Klischee.

Hier muss ich nur an Brain Jones, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison, Kurt Cobain und Amy Winehouse erinnern, um nur die bekanntesten Frühverstorbenen zu nennen.

Aber das Leben ist vielfach anders als gängige Klischees und Meinungen uns weismachen wollen, und es kümmert sich normalerweise einfach nicht um solche Vorstellungen … um unsere alltäglichen, banalen Vorstellungen.

Das Leben wirkt und es macht was es will. Jedenfalls hat es dies seit Millionen, ja seit Milliarden Jahren so gehalten, und dass wir nun, als Menschen darauf wesentlichen Einfluss nehmen könnten, trotz aller intensiven Versuche, davon ist nicht wirklich auszugehen.

Aber ich wollte von der Würde des Alterns sprechen, die für die Musiker aus dem Bereich der populären Musik so schwer zu erlangen ist. Wobei sie als „Privatpersonen“ vielleicht anders davor sind, das will ich ihnen gerne zugestehen, aber sobald sie als Musiker in die Öffentlichkeit treten, erkenne ich leider nicht sehr viele, die diesen, meinen Vorstellungen und Wünschen entsprechen können.

Ich kann da ganz gnadenlos sein in meiner Beurteilung, ja manchmal sogar verletzend, jedenfalls dann, wenn ich mir die traurigen Tröpfe ansehen muss, die sich noch einmal zeigen müssen, einfach deshalb weil sie wohl nie etwas anders gelernt haben, weil sie nicht anders können, als sich zu zeigen (oder soll ich besser sagen: zu prostituieren), weil sie vielleicht auch das Geld benötigen oder aber weil sie ein „kluges“ (natürlich meine ich eher gieriges, geldgeiles, zynisches) Management dazu überredet hat.

Nun, was ich sagen wollte, ist, dass es einzelne Musiker gibt, die die Kurve gekriegt haben, und hierzu rechne ich ganz eindeutig Bob Dylan. Den Kanadier Neil Young könnte ich noch nennen, wohl auch Patti Smith, vielleicht auch Lou Reed, und sicherlich ebenso die Rolling Stones, die auch ... auch auf die Gefahr hin, dass ich deswegen verhöhnt und verhauen werde.

Aus der Vielzahl der hervorragenden Platten von Bob Dylan habe ich zwei herausgesucht, nämlich, natürlich „Highway 61 Revisited“ und „Blonde On Blonde“, 1965 und 1966 erschienen. Jede Platte ist ein in sich geschlossenes Gesamtkunstwerk. Text und Musik, die teilweise sehr sparsam eingesetzt wurde, besonders auf „Highway 61 Revisited“, harmonieren großartig. Und auch Bob Dylans wunderbares Spiel auf der Mundharmonika macht viel her.

Auf „Highway“ geht es gleich mit dem Knaller „Like A Rolling Stones“ los.

Ein Song der vor Jahren einmal von der Musikzeitschrift „Rolling Stone“ (ja, ich glaube, die war es), zum besten Song aller Zeiten gewählt worden ist.

Und er ist auch ein absoluter Knaller, nicht Knaller in dem Sinne, dass er los fetzt, das wirklich nicht, nein, er kommt eher getragen daher, und er kann ein Gefühl herüberbringen, wirklich herüber bringen, glaubwürdig und authentisch (und ich meine nun dieses Wort nicht als hohle Phrase, wie es heutzutage leider oft genug verwandt wird, ja, richtig in Mode gekommen ist und „verwurstet“ wird).

Und man kann es sich bei diesem jungen Burschen vorstellen, dass er es so empfand, wie er es in Musik und Text darbringt.

Schaut euch die Bilder des jungen Dylan an, dann wisst ihr was ich meine. Selbstverständlich wird man auch der Naivität gewahr, die durchschimmert, wenn so ein junger Bursche über das Leben eines Rolling Stone singt; aber das ist ein Blick von heute und von einem Älteren und möglicherweise Reiferen, aber dieser Blick wird der Sache und dem Genie dieses Poeten und Sängers nicht gerecht, denn für den jungen Bob Dylan war sein Blick auf diesen Rolling Stone wahr und wirklich und deshalb auch, ich wiederhole es gerne, glaubwürdig und authentisch im allerbesten Sinne ... im wirklichen Sinne.

Auch alle weiteren Songs sind phantastisch, klasse, und es seien hier nur stellvertretend genannt (eigentlich müsste ich alle Songs hintereinander weg aufzählen, für dieses bleibende Gesamtkunstwerk): „Ballad Of A Thin Man“, „Queen Jane Approximately“ und „Just Like Tom Thumb`s Blues“, aber der absolute Höhepunkt dieser Platte, selbst hier finde ich ihn, ist für mich ganz eindeutig „Desolation Row“. Das ist pure Poetik mit phantastischer Musikbegleitung“... playing the electric violin.“ Ich gebe zu, dass ich nicht alles restlos verstehe ... okay, aber das ist auch nicht der Punkt, der Punkt ist der, dass die Musik und der Text etwas mit mir macht, und das ist das Entscheidende, denn der Song kann mir durchaus noch (und das in meinem Alter) die Tränen in die Augen treiben, das muss ich zugeben ... es ist wie es ist, aber es ist auch Beleg dafür, dass mir immer noch etwas an die „Nieren gehen“ kann, und dieser Song tut es.

Nachdem ich dieses Lied nun ein drittes Mal gehört habe, kann ich es nur so ausdrücken. (Bei „Sad Eyed Lady Of The Lowlands“ von der Platte „Blonde On Blonde“ geht es mir übrigens auch immer noch so.)

Nun zu „Blonde On Blonde“, das Werk, das ein knappes Jahr später entstanden ist.

Hier zeigt uns Bob Dylan wie vielseitig er schon immer gewesen ist. Im ersten Song höre ich Anklänge eines Marsches, dann natürlich wieder Bluesiges und sogar flotten Pop bringt er uns näher.

Ein Dylan darf das, weil er es wirklich kann!

Und man muss gar nicht auf diese Puritaner („Scheiß auf alle Puritaner!“) eingehen, die ihn seinerzeit und später immer schon kreuzigen wollten, ob der „abweichenden Tendenzen der reinen Lehre“.

Auch nach fast fünfzig Jahren ist „Blonde on Blonde“ ein erfrischendes, geniales, bahnbrechendes und aktuelles Gesamtkunstwerk, ein Werk aus einem Guss. Hosiana!

Wie jeder andere Autor auch nehme ich mir selbstverständlich das Niedergeschriebene hin und wieder vor: Ich lese durch, korrigierte mal hier und dort, bedenke auch dies und das, und mir ist nun dabei aufgefallen, dass dem bisher Gesagtem, meinen Ausführungen über „Gott und die Welt“ eine eher negative Tendenz, eine negative Einstellung, eben ein Zug zum Negativen hin, zu Grunde liegt.

(Natürlich muss ich meine Darstellungen und Beschreibungen der Musik und der Musiker hiervon ausnehmen, denn da es sich hierbei doch um meine Favoriten handelt, ist dieses naturgemäß positiv besetzt.)

Ja aber, was soll ich dazu sagen. Für diesen negativen Einschlag kann ich doch nichts.

Wenn das Leben nun einmal so ist!

Selbstverständlich ist dies soeben Ausgerufene nicht ganz so ernst gemeint, denn auch ich sehe durchaus Positives, und ich bin überzeugt, dass wir uns, wie bereits oben erwähnt, dass wir uns also auch noch kümmern werden, dass wir auch noch Grund zum Optimismus haben, und dieser durchaus noch angebracht ist, um uns dieses Leben halbwegs erträglich zu machen, jedenfalls für die nähere Zukunft. Und ich weiß … sehe dann auch immer mal wieder Beispiele und erfahre so manche Begebenheit, einige werde ich sicherlich später noch benennen und beschreiben, sehe Begebenheiten, die ein gutes oder wenigstens ein halbwegs gutes und richtiges Leben ermöglichen.

Und ich denke hier jetzt nicht in den Kategorien des „Readers Digest“.

Dieses zum einen, aufs Große und Ganze und Allgemeine bezogen, aber zum anderen muss und will ich es auch auf mich persönlich beziehen, denn ich erlebe durchaus immer mal wieder Glücksmomente, und, und das sehe man mir nach, ich halte es für absolut normal, nach dem Glück zu streben (… beim Glück - so eine gängige Definition - müssen immer „Gesundheit, Gemeinschaft, Geld und Gene“ zusammenkommen - aber wem passiert das so allumfassend schon wirklich?), wohlwissend, dass man es umfassender eher nicht erreichen kann.

Aber einzelne dieser Momente lassen sich verwirklichen, kann man erleben und intensiv spüren, und was will man denn mehr, was kann man denn letztendlich mehr erwarten?

Für mich selbst sind Reisen zu zweit schön, ist gutes Essen wichtig, gute Musik ebenso (das merkt man doch hoffentlich), auch Filme zu schauen und Bücher zu lesen, und doch auch Sex, ja Sex, gehört unabdingbar dazu.

(Berufliche Karriere zu machen, war übrigens nie besonders wichtig für mich.)

Hierin sehe ich die ersehnten Glücksmomente von denen ich schon weiter oben sprach, und die ich auch immer noch anstrebe, wohlwissend, dass der normale, banale Alltag, auch und gerade in Beziehungen, in meinen oder anderen, sich doch häufig genug anders darstellt.

Aber ich muss und will jetzt zurück, zurück zu meinem roten Faden der LPs/CDs Vorstellungen, und ich komme zu dem Musiker Brian Wilson, einem musikalischen Genie, der seinesgleichen sucht.

Dieser 1942 in Kalifornien geborene Amerikaner hatte in den sechziger Jahren seine allerbeste Zeit, dann aber versackte er leider, da er, wenn es denn stimmt, was man so gehört, gelesen und mitbekommen hat, jahrelang, ja, jahrzehntelang, wohl ordentlich mit Drogen zu tun gehabt hatte und schwer unter Depressionen und einer Schizophrenie gelitten haben soll ... und er wird dabei, so muss man aus dem Gehörten, dem Gelesenen und dem Mitbekommenden schließen, durch die Hölle gegangen sein.

Nix also mit Glück, Glücksmomenten. Und dieses meine ich jetzt nicht zynisch.

Denn wenn man mit Menschen spricht, die von Depressionen betroffen waren oder noch sind, dann bekommt man in etwa ein Bild, eine Vorstellung davon, was es heißt „durch die Hölle zu gehen“, beziehungsweise was es bedeutet, wirklich „alle Hoffnung fahren zu lassen“.

(Sind die Anklänge an die Bibel, an das Christentum zufällig?)

Es wird einem schwer, es wird einem häufig genug unmöglich gemacht, seine Tage zu bewältigen, überhaupt noch morgens, nach durchwachter Nacht, auf zu stehen, Alltägliches zu organisieren und zu schaffen, nicht immer gleich in Tränen aus zu brechen, sinnlos lange zu weinen, bis es keine Tränen mehr gibt, tief zu fallen, ohne irgendwo aufgefangen zu werden oder zu landen … zu leiden, ohne einen Grund für dieses Leiden zu finden oder aber in allem einen Grund für sein Leiden zu sehen.

Nein, wenn einen diese Krankheit in seinen ärgsten Ausprägungen erwischt hat, sollte man sich wirklich nicht wundern, dass Wünsche nach „Auslöschung“, „einfach nur weg sein“ und „ewige Ruhe finden“ übermächtig werden können.

Und als Mitleidender ist man in der Regel auch absolut hilflos, überlässt den Leidenden dann auch folgerichtig lieber den Ärzten, der Pharmazie, den Krankenhäusern und Kureinrichtungen.

Und das muss auch so sein, denn mit allem anderen wäre man heillos überfordert.

Und es ist ein Glück, dass die Krankheit Depression (im Mittelalter hatte sie übrigens die Bezeichnung „Schwarzer Hund“) auch als solche mittlerweile weitgehend anerkannt wird, da es doch noch gar nicht so lange her ist, dass man sich hierzu nicht ganz so eindeutig durchringen, beziehungsweise sie nur schwer medizinisch einordnen und definieren konnte oder wollte.

Sie, diese Krankheit, hatte damals häufig genug einen Beigeschmack von „Drückebergerei“, „Simulation“, auch „Wichtigtuerei“.

Dieses ist nun anders geworden, wobei ich allerdings schon manchmal bemerke, dass diese alten Denkmuster durchaus auch noch bei dem einen oder anderen, präsent sind ... und es ist vielleicht auch klar, dass sich solcherart Denkmuster, die sich über Jahrzehnte, Jahrhunderte eingefahren und gehalten haben, sich nicht, „mir nix dir nix“, in Wohlgefallen auflösen und von heute auf morgen verflüchtigen.

 

Dieses gilt beim Thema Depressionen und es gilt ferner auch bei anderen, lange und ausgiebig mit Vorurteilen beladenen, Themen.

Ich denke da an die Stichworte Homosexualität und Rassismus.

Hier, im Westen geht man mit diesen Themen mittlerweile etwas lockerer um, hat einen Konsens entwickelt, der durchaus eine gewisse Liberalität darstellt.

Aber ist es denn auch unter der Oberfläche so?

Nur kurz zwei Beispiele hierzu: Wir hier in der BRD haben einen schwulen Außenminister, es war möglich ihn zu ernennen, und somit ist alles gut und richtig. Nun sei aber einmal davon ausgegangen, dass er dies Amt nicht wirklich ausfüllen kann (und vieles deutet ja auch darauf hin), er wohl einfach dafür nicht geeignet ist, abgesehen also hiervon, ist nun die Frage durchaus berechtigt, ob die Häme und Kritik immer nur sachlich begründet ist, spielt nicht vielmehr auch der Aspekt der Homophobie als Ausdruck von unterschwelliger Angst, Schadenfreude, vielleicht sogar als Ausdruck von Abscheu, trotz aller zur Schau getragenen Liberalität, nicht doch, bewusst oder unbewusst, immer noch eine Rolle?

(Ich habe es nicht nur einmal erlebt, dass, wenn dieser Mensch, der Außenminister, es wieder einmal nicht gut und richtiggemacht hat, dass es dann sofort heißt: „… na diese Schwuchtel kann es doch nicht“.)

Ich meine ja, denn, wie gesagt, im hier und heute ist Liberalität angesagt, doch wenn es schwierig wird, und mit diesem Außenminister ist es eben schwierig, dann treten die darunterliegenden Vorurteile, die ganz sicher noch da sind, denn so etwas hält sich, ich will jetzt nicht sagen ewig, aber doch sehr lange ... sehr, sehr lange, wieder hervor.

Also: In schwierigen Zeiten, und wenn man als Betroffener nicht alles richtigmacht, wird ein Mann der Öffentlichkeit mit diesem bekannten Persönlichkeitsmerkmal doppelt abgestraft.

Ja, ich denke, dass es so ist.

Und es ist auch sehr, sehr wahrscheinlich bei dem jetzigen US-amerikanischen Präsidenten so. Dem auf Hawaii geborenen Barack Obama.

„Ein schwarzer Präsident, das hat es noch nie gegeben, und das darf eigentlich doch gar nicht sein!“, werden seinerzeit doch noch sehr viele gedacht und hinter vorgehaltener Hand gesagt haben.

Nun sind die Zeiten aber anders, die Wähler haben ihn gewählt, im Ausland wird er eher anerkannt … also, alles hätte auch hier gut und richtig sein können.

Aber Rassismus gab es, wird es auch weiterhin geben, und tritt dann massiver zutage, wenn einer, der nach Meinung vieler Amerikaner vieles verkehrt macht, sowieso ein „anderer“ Amerikaner ist, dort, als Präsident, überhaupt nicht hingehört, und dies auch immer wieder unterschwellig gesagt bekommen, und folglich auch des Öfteren abgestraft werden muss.

Wie gesagt, wir, hier im Westen, sind liberal, mehr oder weniger, gehen auch diesen Weg, müssten aber doch wohl häufiger mal innehalten und überlegen, was Altes, Überholtes immer noch, unter gewissen Umständen und in gewissen Zeiten, und die gibt es doch ständig, mit uns macht.

So, wie bin ich da jetzt draufgekommen?

Depressionen, Homosexualität und Rassismus waren die notwendigen Stichworte.

Ich bin weit davon entfernt zu behaupten, dass ich Umfassenderes hierzu gesagt hätte, das nicht, aber ich behaupte, dass ich einen Teilaspekt treffend angesprochen habe … das schon.

Jetzt aber kommt Brian Wilson zu seinem Recht.

Dieser prägte bekanntermaßen zusammen mit seinen beiden Brüdern die Beach Boys.

Aber speziell um diese Gruppe geht es mir nun nicht, jedenfalls nicht vorrangig.

Ihre Songs, ihre Hits fand und finde ich flott, beschwingt, rasant, folglich gut.

Aber ich will, so mein Credo, von wirklichen musikalischen Höhepunkten sprechen, eben von „Pet Sounds“ und „Smile“, und von dem Mastermind hinter diesen Platten.

Mastermind Brian Wilson prägte diese Platten in einer Weise, die ich nur genial nennen kann.

Mir rutscht dieses Wort ab und zu heraus, dies will ich nicht bestreiten, aber ich weiß auch, dass ich es dann, wenn es herausgerutscht, ich es letztlich schon sehr bewusst verwandt habe, ich somit überzeugt bin, dass es, in dem jeweiligen Zusammenhang vorgebracht, auch genau dahin gehört.

Brian Wilson ist (war? - Depressionen können einen so fertigmachen) ein musikalisches Genie, und mit „Pet Sounds“ hat er die populäre Musik revolutioniert, er hat Songs geschaffen, die so, man bedenke, dass es die Jahre 1965/1966 waren, die beginnenden Glanzzeiten der populären Musik zeichneten sich langsam ab, noch nie auf einer Platte erschienen sind.

Er hat Elemente der klassischen modernen Musik mit der populären Popmusik in diesem einen grandiosen Werk verbunden und somit eine Symbiose geschaffen, die zeigt, dass eine Grenzüberschreitung durchaus möglich ist.

Er wusste seine Brüder und die anderen Musiker, aber vor allem wohl auch sich selbst, dahin zu bringen, eben stark zu motivieren, ein in sich geschlossenes, kunstvoll arrangiertes und/aber auch populäres Gesamtkunstwerk zu schaffen.

Hier möchte ich auch noch auf das verweisen, was ich weiter oben schon besonders hervorgehoben hatte, nämlich, dass ich es liebe, wenn ein Werk aus einem Guss geschaffen worden ist. Und genau dies ist hier der Fall.

Absolut der Fall.

Und wem bei den Songs, ich will hier nur drei stellvertretend für die anderen nennen, nämlich die Songs: „I`m Waiting For The Day“, das grandiose, kaum überbietbare „Sloop John B“ und „God Only Knows“, nicht die Knie weich werden, den verstehe ich nicht, und ich weiß auch nicht, ob ich mit diesem Menschen etwas zu tun haben möchte (... ich gemeiner Mensch).

Durchzieht das Album „Pet Sounds“ ein leicht schwebender-schwingender, tragisch-trauriger Unterton, was aber nur die Stimmigkeit und Einheitlichkeit dieses Werkes unterstreicht, so entdecken wir (oder jedenfalls doch ich) auf der zweiten von mir bejubelten CD mit dem Titel „Smile“ einen beinahe gewandelten Brian Wilson.

Man könnte meinen, dass er genesen wäre (was aber unrichtig ist, denn bekanntermaßen konnte er diese Platte seinerzeit, gerade weil doch gesundheitlich bedingt, gar nicht zu Ende bringen … aber vielleicht spiegelt sich auch hier nur eine, seine manisch-depressive Situation wider - „Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt“), schon der Titel verspricht Optimismus, und auch einige Songs bringen Euphorisches.

Aber natürlich ist dies nicht durchgängig so, denn niemand kann wirklich aus „seiner Haut heraus“, die von ihren Gegebenheiten her sicherlich schon dafür gesorgt hat, dass dem Musiker Brian Wilson damals seine physischen und psychischen Grenzen sehr wohl bewusst gewesen sind.

Ich will nun hier, und somit auch abschließend, einfach nur deutlich machen, dass die Grundstimmungen, und um dieses Thema geht es bei diesem Menschen und seiner Musik, bei diesen beiden grandiosen Werke, dass die Grundstimmungen also doch unterschiedlich sind, einerseits: fast elegisch, andererseits: eher schon euphorisch. (Aber auch dieses gehört eben, und wie gesagt, zum Gesamtbild dieser Person, dieses Mannes.)

Zum Schluss noch ein Tipp zum Hören, Aufnehmen, zum Verstehen dieser beiden musikalischen Wunderwerke:

Es ist nicht damit getan, diese CDs einmal zu hören, denn nach einmaligen Hören kann man sich nicht, so behaupte ich, diese Werke erschließen, nein, man muss sie wieder und wieder hören, dann erst bekommt man die „Augen geöffnet“ und sie gehen direkt in den Körper über und bringen Fasern zum Schwingen, und darauf kommt es letztlich beim Musikhören an.