Die Earanna Chroniken

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Die Earanna Chroniken
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Wolfgang Seibert

Die Earanna Chroniken

Band1: Wie Bron gefunden wurde

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel1: Eine Flussfahrt

Kapitel2: Nächtliche Schrecken

Kapitel3: Jengar bleibt verschwunden

Kapitel4: Bron

Kapitel5: In Birkas Haus

Impressum neobooks

Kapitel1: Eine Flussfahrt

„Die Mächte die unser Leben lenken und leiten, bedienen sich der unwahrscheinlichsten Boten um uns auf unseren Weg zu schicken!“ pflegte die Matriarchin Irune zu sagen.

Und: „Manchmal sind wir schon auf dem Weg bevor wir es wissen!“

Diese Worte sollten sich am heutigen Tag für Narael und Ardun als wahr erweisen.

Die Beiden waren, vom Kloster kommend, die Marmelstraße hinunter geschlendert, hatten sich über die Vorfälle der Nacht unterhalten und wie schon so oft, fanden sie sich auf der Wassertreppe wieder. Wenn sie von hier aus stromaufwärts schauten, hatten sie einen guten Blick auf die Menschenmenge, die geschäftig über die Marktbrücke strömte und stromab sahen sie die Boote auf dem Fluss.

„Unser Leben gerät in Bewegung.“ stellte Narael soeben fest.

„Meinst du?“ fragte Ardun mit einem verdrießlichen Gesicht. „Nur der Darrel bewegt sich und fließt immerfort;“sprach er und zeigte auf den Fluss zu ihren Füßen. „Wohingegen die Menschen hier in Wahrheit Wurzeln haben, wie die Bäume.“

Ardun war natürlich gar nicht so verdrießlich wie er tat - es war ihrer beider, beinahe schon ritueller, kleiner Scherz auf Kosten der Darrelbrücker Bürger. Auch nach all den Jahren fiel den Beiden das sesshafte Leben schwer und die behäbigen Bürger und die Ordensleute mit ihrem immer gleich bleibenden Tagesablauf erschienen ihnen entweder unglaublich langweilig oder äußerst rätselhaft.

„Du hast sie ganz schön aufgescheucht!“ Narael gelang es nicht, streng mit ihm zu reden; zumal sie wusste, dass sie immer noch zu jung für das Gewand einer ehrwürdigen Schwester aussah. Sie war schlank, hatte ein schmales, blasses Gesicht und nachtschwarzes Haar, von dem immer wieder einmal eine Locke unter der Kapuze hervorquoll. Ihre Bewegungen waren leicht und graziös und zugleich erfüllt von einer Ruhe, die gar nicht so recht zu einem so jungen Mädchen passen wollte. Sah man genauer in ihr schmales Gesicht, so blickte man in Augen, wie sie sonst niemand in diesem Lande hatte. Strahlend hell und zugleich Schattengrün, schienen sie Dinge sehen zu können, die anderen Augen verborgen blieben. Wie immer wenn sie sich außerhalb des Tempels aufhielt, verbarg sie Gesicht und Haar in der tiefen Kapuze des Ordensgewandes.

„Na ja, bestimmt nicht das erste Mal! Ein wenig Fangen spielen mit Zweiburgener Markwächtern ist ein harmloser Spaß und hat sogar Tradition, zumal sie auf der Darrelbrücker Seite der Marksteine ritten.“ spielte Ardun sein kleines Abenteuer herunter. „Dumm war nur, dass mich unsere Tempelwache dabei beobachtete, wobei sie eigentlich nur die Zweiburgener beobachten wollten.

Nun denn:

Die guten Schwestern werden lange und eingehend darüber nachdenken und anschließend miteinander alle Aspekte der Sache besprechen. Und dann werden sie in ihrer unendlichen Weisheit beschließen, dass es das Beste sein wird, wenn wir vorerst gar nichts tun! Außer natürlich im Garten wandeln und meditieren!“

Ardun war etwa 27 Jahre alt und nur wenig größer als Narael. Im Gegensatz zu ihr, wirkte er aber beinahe untersetzt, obwohl kaum ein Gramm Fett an ihm zu finden war. Er hatte kräftige Arme und Beine, einen tiefen Brustkorb und breite Schultern. Umso verwunderlicher war die Leichtigkeit mit der er sich bewegte.

Ebenso wie Narael hatte er ungewöhnliche Augen, zumindest für Darrelbrück. Hier hatten die Menschen Augen, die waren braun oder grün, doch seine waren meergrau.

„Nein, diesmal wird es anders!“ behauptete Narael. „Dein Freund Targon - ich glaube, er ahnt etwas!“

„Meinst Du?“ fragte er zweifelnd.

„Du musst wirklich müde sein!“ gab sie zurück, „Er ist ein Zauberer, Ardun, dazu ein neugieriger und er scheint mir gar nicht wie einer der seine Tage wandelnd und meditierend verbringt!“ fuhr sie fort, während sie ihre Hände in den weiten Ärmeln ihres Gewandes verschwinden ließ, ein langes Gesicht machte und einmal gemessenen Schrittes zum westlichen Treppengeländer und zurück ging.

„Wie unsere Lehrerin, die gute Schwester Alina!“ kommentierte Ardun lachend. „Und ja, ich glaube du hast Recht, Targon ahnt etwas. Vielleicht sollten wir die Gelegenheit nutzen und endlich heimlich davonlaufen um uns einer Schaustellertruppe anzuschließen, denn Sie haben Talent, meine Dame!!“

„Aber sagtest du nicht, die hiesigen Schausteller seien ein wahres Trauerspiel?“

„Da hast du Recht!“ Ardun tat übertrieben erschreckt: „Oh weh, wir sind verloren - wir werden an Langeweile sterben!“

„Ach du verrückter Kerl, “ lachte Narael. „Das Trübsal blasen wird dir nie so recht gelingen, fürchte ich.“ Dann wurde sie wieder ernst und sagte: „Andererseits siehst du wirklich müde aus, also werde ich dich jetzt nach Hause bringen und Kraan bitten, dich ins Bett zu jagen.“

„Ach was, ich bin schon in Ordnung.“ beteuerte Ardun und musste gleich darauf Gähnen.

„Oh ja, natürlich! Aber dennoch bringe ich dich jetzt nach Haus, du siehst nämlich verboten aus!“ Damit hakte sie sich bei ihm ein und gemeinsam verließen sie die Treppe.

„Nun fahre er fort mit seinem Bericht und lasse er nichts aus!“ verlangte Narael als sie in die Promenade einbogen.

„Aber gewiss doch eure Hoheit!“ näselte Ardun, „doch seid gewarnt, gar schrecklich ist, was in jener Nacht geschah! - Schrecklich langweilig!“

Während er Narael von seiner nächtlichen Begegnung mit den Zweiburgener Markwächtern berichtete, die, wie sie glaubten, heimlich das Land auskundschafteten, schlenderten sie weiter zur Marktbrücke. Dort begann das bunte Treiben des Marktviertels. Ein fahrender Händler aus dem südlichen Ondra hatte heute seine Teppiche über das östliche Brückengeländer gehängt und verhandelte gerade lautstark mit einem Rufejungen.

„Was denn, Bursche, eineinhalb Silbergroschen für den Tag? Du willst mich wohl arm machen! In Cormal und Raun, in Stanhus und Zweiburgen, ja sogar in Delas am Meer werden Marktschreier mit Kupferlingen bezahlt!“

„Einem Schreier mögt ihr Kupferlinge geben, Herr!“ erwiderte der Junge. „Ich aber bin ein Rufer und mit silberner Zunge werde ich eure Waren preisen und für nur einen Silbergroschen gutes Gold aus den fetten Beuteln der Darrelbrücker Bürger locken!“

Ardun musste unwillkürlich lachen: „Guter Mann, gebt ihm einen Groschen und lasst seine Zunge für euch arbeiten, bevor noch mehr von diesem Tag vergangen ist und bevor Ihr selbst ihrem Zauber erliegt! Er ist so gut wie er sagt!“

„Wahrhaftig Herr, ihr seid weiser als eure Jahre vermuten lassen!“ antwortete der Junge. Und als der Händler einwilligte, flüsterte er mit einem Augenzwinkern: „Danke Ardun!“

Der winkte lachend ab und wandte sich wieder Narael zu, um mit seiner Geschichte Fortzufahren. Allerdings kam er nicht weit. Die beiden wollten soeben von der langen Straße in den Stromaufweg einbiegen, als Meister Jungar, seines Zeichens Wirt des Gasthauses `Zum alten Steg´, sie erblickte und eilig auf sie zu rannte.

„Oh, ein wenig Glück in meinem Unglück! Der junge Herr Ardun und die gute Schwester Narael! Sie müssen mit ihm sprechen, Herr und ein wenig von dem Licht der Weisheit in sein unaufgeräumtes Oberstübchen lassen! Er bringt mich noch zur Verzweiflung, mein kleiner Bruder - und ich hab doch der Mutter auf dem Sterbebett versprochen auf ihn aufzupassen!“

„Natürlich werde ich mit Jengar sprechen, Meister Jungar!“ beruhigte Ardun den vor Aufregung Schnaufenden. „Wo treibt er sich denn diesmal wieder herum? Ich habe ihn schon tagelang nicht mehr gesehen!“

„Wo er hin ist, der verflixte Lümmel? Den Fluss hinunter und in den großen Wald hinein!“, schimpfte Jungar gleich los.

„Narretei ist das, wenn ihr mich fragt! Aber so war er damals schon, bevor er noch bei den guten Schwestern das Lesen lernte! Sarils Geschichte, die spukt ihm im Kopf herum, kann ich euch sagen. Saril hinterher, das will er. Obwohl - Saril selbst ist ja auch nur davongelaufen, weil er Abenteuer erleben und Schätze finden wollte!“

„Ach, Meister Jungar!“ lachte Ardun, „Den Fluss hinunter, das ist bestimmt wahr, aber sicher ist er wieder nur bis Durn gekommen. Seine abenteuerlichen Reisen den Fluss hinunter enden doch immer im `besoffenen Ork´!“

„Eine ellenlange Kerze aus feinstem Bienenwachs werde ich im Tempel anzünden, wenn es auch diesmal so ist! Ich mache mir wirklich Sorgen, junger Herr – auch meine gute Lena hat ein ungutes Gefühl!“

„Seid unbesorgt, Meister Jungar!“ Unterbrach Ardun den Redeschwall des Wirtes. „Ich werde Jengar für euch finden, mein Wort darauf! Ihr aber solltet jetzt lieber nach Hause gehen, bevor eure Frau auch euch für verschollen hält!“

 

„Ach junger Herr, das wird meine Frau beruhigen, wenn ich ihr sage, ihr werdet mit Jengar sprechen! Vielen Dank und Galen soll euch sicher leiten!“ sprach er und verbeugte sich rückwärts gehend. Dann drehte er sich abrupt um und eilte davon.

Während Ardun dem Schenkenwirt noch hinterher sah, trat plötzlich Narael vor ihn hin und sah ihn streng an: „Was hast du vor, junger Herr?“

Ardun kratzte sich verlegen am Kopf: „Na ja, da die Fähre nach Durn sowieso bald ablegt, werde ich mitfahren und den Burschen nach Hause holen, oder?“

„Also ich denke, du wirst besser denken, wenn du ausgeschlafen bist!“

„Was denn, Sonnenbeschienen und sanft gewiegt vom großen, gemütlichen Darrel werde ich schlafen wie ein Säugling! Und morgen bei Sonnenaufgang reite ich zusammen mit Jengar den Leinpfad flussauf und wenn ich ihn dafür quer aufs Pferd binden muss!“

Narael schüttelte missbilligend den Kopf: „Zum Einen siehst du verboten aus und zum Andern wird der Aufruhr bestimmt nicht weniger, wenn du jetzt einfach so verschwindest!“

„Zum Waschen und Umkleiden bleibt noch Zeit genug, wenn ich nicht allzu sehr herum trödle und ich bezweifle, dass vor morgen Abend irgendetwas passieren wird.“ Argumentierte Ardun. „Vermutlich wird meine Abwesenheit nicht einmal bemerkt!“

Statt einer Antwort starrte Narael ihn mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an. Er begann sich gerade zu fragen ob sie ihn ansah oder durch ihn hindurch, als sie, sehr zu seiner Überraschung, plötzlich sagte: „Nun gut - beeilen wir uns besser!“

„Was denn, du lässt mich gehen?“

„Nein, ich werde dich begleiten!“

„Und gib dir keine Mühe!“ fügte sie hinzu, als sein völlig entgeistertes Gesicht schlagartig wieder ernst wurde und er zu einer Antwort ansetzen wollte.

„Der Fluss wird uns beide tragen.“

„Und da sagst du, ich scheuche sie auf! Was meinst du was heute Abend los sein wird, wenn du beim Essen fehlst? Da werden Roben flattern bis es klingt als wäre die Katze im Taubenschlag!“

„Ja - schade nur dass wir nicht dabei sein können!“ meinte sie mit einem spitzbübischen Lächeln. „Eine wahrlich nette Abwechslung in unserem langweiligen Leben! Nun komm, wir müssen uns sputen, sonst verpassen wir noch die Fähre!“ damit nahm sie ihn bei der Hand und zog ihn lachend mit sich fort.

*

Mittlerweile waren sie auf dem Weg, ein gutes Stück den Darrel hinunter, der nach Westen und Südwesten fließt, bis er auf den mächtigen Darrhin trifft, auf seinem Weg zum Meer. Ardun schlief tatsächlich nach einiger Zeit ein und als die Fähre aus Delas von den Leinpferden vorbei gezogen wurde, weckten ihn selbst die fröhlichen Zurufe, welche zwischen den beiden Fähren hin und her gingen, nicht auf.

Was Narael Gelegenheit gab, über die neue Wendung der Geschehnisse nachzudenken. Sie war von ihrem Entschluss Ardun zu begleiten, ebenso überrascht worden wie er. Schon einige Male war er allein nach Durn gefahren und hatte Jengar nach Hause geholt, aber noch nie zuvor war es ihr in den Sinn gekommen ihn dabei zu begleiten.

Heute Morgen jedoch, blieb auf der Ufergasse einen Moment lang die Zeit für sie stehen: Sie sah sich selbst auf der Fähre, gerade so wie jetzt, mit Ardun schlafend an ihrer Seite. Doch als sie dieses Bild wie einen kuriosen Einfall achtlos beiseite schieben wollte, wurde ihr plötzlich kalt ums Herz und es fröstelte sie, als wäre ein Schatten auf sie gefallen. Sie versuchte dieses Gefühl abzuschütteln und ein anderes Bild zu sehen - zum Beispiel Ardun auf dem Fluss und sich selbst im Appelgaard - aber da war nichts - nur Kälte und Einsamkeit.

All dies ängstigte sie sehr, doch als sie die leichte Besorgnis in Arduns Augen bemerkte, ließ sie sich nichts anmerken. Stattdessen überraschte sie ihn mit ihrer Zustimmung und scheuchte ihn durch die Gassen, dass er gar nicht mehr zum Denken kam. Zu ihrer eigenen Verwunderung musste sie ihm ihre Fröhlichkeit nicht vorspielen, denn kaum hatte sie entschieden mit ihm zu gehen, hob sich der Schatten und die Kälte verließ sie. Sie hatte so etwas noch nie vorher erlebt und nun, hier auf der Fähre, in der warmen Abendsonne mit dem friedlich schlafenden Ardun an ihrer Seite schien es immer unwirklicher. Sogar die Erinnerung daran begann sich aufzulösen wie der Flussnebel in der Morgensonne.

Sie würde diesen merkwürdigen Moment nicht vergessen, nahm sie sich vor. Aber es war nicht nötig Ardun damit zu behelligen. Vermutlich würde er sich Sorgen machen und sie nicht nur beschützen und umsorgen, sondern regelrecht bemuttern!

„Durn!“

Rief der Ausguck und riss sie aus ihren Gedanken,

„Durn! Erster Hafen und Ankerplatz für die Nacht auf der Fahrt nach Delas!“

Sie schaute zum linken Ufer und war einen Moment lang verwirrt, denn außer Flussweiden und vereinzelten Baumgruppen im sanft rollenden Grasland war nichts zu sehen. Als dann der Ausguck seinen Ruf wiederholte, stand sie auf und schaute nach Westen, genau wie er. Beinahe noch auf dem Horizont sah sie dann die Silhouetten einiger Dächer. Gemächlich wand der Fluss sich um noch eine lang gezogene Biegung, dann schwamm ein Dorf in ihr Gesichtsfeld, das kaum diese Bezeichnung verdiente. Ein kleines Häuflein dicht gedrängter Häuser hob spitzgiebelige, mit verwitterten Holzschindeln gedeckte Dächer über eine windschiefe Palisade. Ein kahler Streifen Land, vielleicht hundert Schritt breit lag zwischen dem Dorf und dem Hafen, welcher nichts weiter war, als etwa fünfzig Schritt befestigten Ufers hinter einer Buhne. Eine von Wind und Wetter gebleichte Landungsbrücke, einige Poller und ein ebenso verwitterter, hagerer Hebebaum war das gesamte Mobiliar des Hafens. Vor dem Tor in der Palisade lag ein mit grob behauenen Steinen gepflasterter Platz der zugleich der Beginn einer befestigten Straße war, die am Dorf vorbei in Richtung Süden führte.

Als sie an der Buhne vorbei trieben stupste sie Ardun mit dem Fuß an: „Wach auf Schlafmütze, unsere Reise ist gleich zu Ende!“

Ardun war sogleich wach, rieb sich nur kurz durchs Gesicht und sprang auf: „Was hab ich dir gesagt: Sanft gewiegt vom großen Fluss schläft es sich herrlich! Aber vermutlich hast du nicht geschlafen, nehme ich an! Hat dir denn die Reise gefallen?“

„Ja, denn es ist ein schönes und friedliches Land durch das der Fluss uns trug. Allerdings sieht das Ziel unserer Reise mehr als abenteuerlich aus!“ antwortete Narael und zeigte auf das Dorf: „Diese Palisade wird Niemanden mehr aufhalten.“

„Das braucht sie auch nicht mehr. Du hast es vielleicht nicht bemerkt, aber der Darrel fließt nicht nur einfach nach Westen, sondern auch immer ein wenig nach Süden. Deshalb sind wir jetzt ein gutes Stück weiter vom Gebirge entfernt als in Darrelbrück. Das Land nördlich des Flusses ist nur noch dünn besiedelt und sogar die Orks die an den Südhängen der Norstan-Berge wohnten sind davon gezogen. Früher kamen sie und brachten Erz und Brennstein zum Nordufer, für den Durner Markt, doch in den letzten Jahrzehnten wurden es immer weniger, bis sie schließlich gar nicht mehr kamen.“

„Wie gut er Bescheid weiß!“ lobte ihn Narael.„Aber was will Jengar an so einem traurigen Ort?“

„Nun, gar so traurig ist es denn doch nicht in Durn!“ behauptete Ardun: „Denn zum Glück für Durn beginnt nur wenige Meilen südlich das Land der Rinderbarone und ohne sie hätte es nicht einmal mehr einen Viehmarkt, welcher übrigens die größte Gefahr für die Palisaden in den letzten Jahren war.“

„Und warum steckt dann ein Schwert in deinem Bündel?“ fragte sie und blickte ihn streng an. Als er schlief war sein Kopf von dem Bündel herunter gerutscht und sie hatte seinen Kopf angehoben und das Bündel wieder darunter schieben wollen. Dabei hatte sie die Konturen des Griffes erfühlt.

„Na ja, hier gibt es keine Tempelwachen und keine Nachtwächter, dafür aber ein paar rauflustige Tölpel die Respekt vor „edlen Klingen“ haben. Und dafür halten sie dich, wenn du ein Schwert trägst!“

„Und wenn sie dich für einen Wegelagerer halten?“

„Aber nicht doch, wie könnten sie? Ziert den nicht das Wappen Galens die Scheide meines Schwertes? Und reise ich denn nicht in Begleitung einer ehrenwerten Schwester und bin ihr Schild und Wehr?“ antwortete er mit einem schelmischen Grinsen, während er sich das Schwert umgürtete.

„Ich weiß nicht, ich weiß nicht,“ sprach Narael mit einem Kopfschütteln, „Immer wenn du den Komödianten spielst, sagst du nicht die ganze Wahrheit! Du wirst mich aber rechtzeitig warnen und zwar bevor es gefährlich wird, ja?“

„Ich würde dich niemals wissentlich in Gefahr bringen, Narael!“ antwortete ihr Ardun, plötzlich ganz ernst. „Die Durner kennen mich natürlich schon und wissen, dass ich ein Mündel des grünen Hauses war. Das erkennen sie an der Rautenform des Wappens, hier auf der Scheide meines Schwertes.“ normalerweise trugen nur adelige Mündel diese Form, was Narael bekannt war.

Er zwinkerte ihr zu, lehnte sich zu ihr herüber und flüsterte:

„Die rauflustigen Söhne der Viehbarone wiederum wissen es nicht! Sollen sie ruhig glauben, ich sei eine, wenn auch verarmte, dafür aber gut geschulte „edle Klinge“! Sie kommen gern einmal herauf geritten und suchen Händel mit den Söhnen der Gemüsebauern. Nennen sie Gärtner und Kompostmaden und was sonst noch. Und wie du weißt tragen weder Bauern noch Gärtner Schwerter.“ Fügte er mit einem Lächeln hinzu, aber Narael blieb ernst.

Darum fuhr er fort:

„Ehrlich gesagt bin ich in Durn in deiner Begleitung sicherer als in Begleitung dreier weiterer Klingen, denn der Orden genießt hohes Ansehen hier. Kein Durner wird auch nur unhöflich zu dir sprechen und sollte ein Fremder uns belästigen, hätte er sogleich das ganze Dorf gegen sich!“

„Dann bin ich also in Wahrheit Schild und Wehr für dich?“ fragte Narael mit einem Lächeln.

„Durchaus, gute Schwester!“ bestätigte Ardun.

„Nun denn, so haltet euch ruhig hinter mir, wenn wir an Land gehen, ich werde niemandem gestatten euch auch nur ein Haar zu krümmen!“

Unterdessen waren ein halbes Dutzend Männer aus dem Dorf zur Anlegestelle gekommen und hatten die Leinen, die die Bootsmänner ihnen zuwarfen, aufgefangen und das Boot an den Pollern vertäut. Nun schoben sie zwei Landungsbrücken herüber und die Bootsleute befestigten diese an der Reling. Während die Passagiere die Fähre verließen, holten die Hafenarbeiter den für Durn bestimmten Teil der Ladung von Bord.

Bei der Überquerung des Marktplatzes hatte Narael Gelegenheit das Dorf genauer zu betrachten; je näher sie ihm kam umso mehr verstärkte sich der Eindruck von Verwahrlosung und langsamem Verfall. Auf fast allen Dächern fehlten Schindeln und als sie das Tor durchschritten sah sie, dass die meisten Häuser lange nicht mehr gekalkt und stockfleckig waren.

Das größte der Häuser sah keineswegs besser aus, hatte aber ein trotz abblätternder Farbe immer noch erkennbares Schild über der Tür. Es zeigte einen grob gemalten Ork, der mit heraushängender Zunge am Boden lag, in der schlaffen Hand einen irdenen Krug. Über der Szene spannte sich ein Bogen aus kantigen Buchstaben: ‚Zum besoffenen Ork’.

„Hier ist man besser nicht wählerisch!“ meinte Ardun zu Narael, die etwas entmutigt dreinschaute.

„Du meinst wohl eher, man hat keine andere Wahl!“ widersprach sie mit einem schiefen Grinsen. „Aber ein Bett ist immer noch besser als der feuchte Boden am Fluss!“ fügte sie resolut hinzu und zeigte mit einer einladenden Handbewegung auf die Tür, welche Ardun sogleich öffnete.

Der Schankraum erschien ihm ungewöhnlich leer, wenn man die Tageszeit bedachte. Normalerweise saßen jetzt schon die unverheirateten Onkel und Söhne aus Durns Häusern auf den Bänken und mutmaßten gemeinsam welche der unverheirateten Frauen wohl heute hereinschauen würde.

Er wusste auch, dass gerade der Fährentag ein beliebter Ausgehtag der Dorffrauen war. Nun aber standen, abgesehen von einem Reisenden der scheinbar in der Kaminecke eingeschlafen war, nur die Fährgäste etwas ratlos im Schankraum herum.

„ Henz!“ rief Ardun etwas ungeduldig und hieb mit der flachen Hand auf die Theke. „Henz! Seit wann lässt du deine Gäste warten?“

Hinter einer der Türen, die aus dem Schankraum tiefer ins Haus hineinführten, hörte man hastige Schritte, ein Stolpern, ein Scheppern und unterdrücktes Fluchen; dann wurde die Tür aufgestoßen. Heraus kam ein kleiner, dicker, unrasierter Mann, der noch damit beschäftigt war die Bänder einer Lederschürze hinter seinem Rücken zu verknoten. Hastig begab er sich hinter die Theke und weil der Boden dort um einen Fuß erhöht war, wirkte er sogleich größer, wodurch er sich gleich sicherer fühlte. Seine schnellen Augen hatten sofort ausgemacht, dass nur Ardun der Rufer gewesen sein konnte.

 

Also stützte er sich breit auf beide Fäuste und starrte ihn herausfordernd an: „Nun, Herr Ungeduld, was ist denn so wichtig, das es gar nicht warten kann?“

Ardun ließ sich nicht beeindrucken, sondern ging zur Theke, stützte sich ebenfalls mit einer Hand auf und beugte sich etwas vor. Während er mit der anderen Hand nach dem Halsband der Schürze griff, sagte er mit leiser Stimme: „Du trägst zwar seine Schürze, aber Du bist nicht Henz! Was tust du also hier? Und wo ist Henz?“

„Ich bin sein Bruder Kuhn, aus Hohejm und Euch statt seiner heut zu Diensten, Herr!“ antwortete er mit einem Seitenblick auf Narael, die neben Ardun an die Theke getreten war.

Er hatte die Ordenstracht erkannt und nun, da er vermutete, dass dieser junge Hitzkopf, der mit Daumen und Zeigefinger sein Schürzenhalsband festhielt, der Begleiter der Ordensschwester war, befand er sich in einer Zwickmühle. Einerseits konnte er vor der Ordensschwester einfach nicht lügen, auch wenn er sich in Gedanken einen abergläubischen Einfaltspinsel schimpfte. Andererseits durfte er kein Wort darüber verlieren, wo Henz nun sein mochte.

„Bitte Herr, fragt nicht mehr!“ flüsterte er mit flehendem Gesichtsausdruck. Immer wieder zuckte sein Blick durch den Schankraum und es kam Ardun so vor, als ob Kuhn besonders oft zu dem schlafenden Fremden, dessen Gesicht allerdings unter einem großen, seltsamen Hut verborgen war, herüber schaute.

„Bitte Herr, was kann ich für euch tun?“

„Nun, zuerst einmal eine Kammer mit Vorraum für die Nacht!“ antwortete Ardun und ließ das Schürzenband los. „Ein Abendessen wäre ebenso wünschenswert! Und eine Frage muss ich stellen: Ich suche einen Freund, Jengar ist sein Name! Seid ihr ihm begegnet?“

„Nein Herr, leider nicht! Vielleicht kennen die jungen Burschen aus dem Dorf euren Freund? Es sollten noch einige Gäste kommen für den Abend, vielleicht habt ihr ja später Glück!“ während Kuhn so antwortete, händigte er ihnen die Schlüssel zu ihren Kammern aus.

„Zum Abendessen läuten wir die Glocke!“ rief er ihnen nach und zeigte auf eine Handglocke die hinter ihm auf einem Regal stand.

Da Ardun den ‚besoffenen Ork’ von früheren Besuchen schon recht gut kannte, brauchte er nur eine knappe Beschreibung um den Weg zu ihren Kammern zu finden. Sie machten sich gleich auf den Weg, während sich Kuhn den anderen Gästen widmete.

„Irgendwas ist hier faul!“ meinte Ardun, sobald die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel.

„Ja, ich kann es auch riechen!“ neckte Narael, nachdem sie einmal schnupperte und dann die Fensterläden öffnete, „Vielleicht war es früher anders, als der König noch lebte - vielleicht war Durn da noch lebhafter - und frischer...“

„Ach was, Durn war immer schon ein unbedeutendes Dorf an einer unbedeutenden Kreuzung an der alles was wichtig ist sowieso nur vorüber fährt! Auch wenn einige Durner der guten alten Zeit nachtrauern, als ihr Markt noch größer, aber Durn selbst keineswegs bedeutender war!“ Abrupt wechselte er das Thema:

„Er hatte Angst - hast du das nicht gesehen? Er wollte meine Frage nach Henz nicht beantworten und schaute um sich, als könnte jemand ihn belauschen! Mir schien es fast so als beunruhigte ihn der Fremde in der Ecke ganz besonders!“

Narael hatte zustimmend genickt als er Kuhns Angst erwähnte und fragte ihn:

„Was willst du nun tun?“

„Ein wenig warten, dann wieder hinunter gehen und gut zu Abend essen. Danach werden sicherlich genug Gäste da sein, die man nach Jengar fragen könnte. - Ach ja und wundere dich nicht weiter über das Benehmen der Hiesigen!“ fügte er mit einem schelmischen Grinsen hinzu.

„Was meinst du?“

„Sicher wird die eine oder andere Frau zu dir kommen, dich um Rat fragen oder deinen Segen erbitten. Der Orden genießt großen Respekt und hohes Ansehen bei den einfachen Leuten hier draußen und die guten Schwestern gelten als weise und hilfreich.“ Erklärte Ardun.

„Na ja, ich werde währenddessen die Gelegenheit nutzen und mich unters Volk mischen und meine Fragen stellen.“

„Was hättest du nur ohne mich angefangen?“

„Wahrhaftig eine gute Frage! Ich glaube so interessant war es in Durn noch nie!“

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