Alles ausser Fussball - Thomas Hitzlsperger

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Die Innenhose lasse ich drin
Der Kragen darf stehen, wie's gefällt, aber das Hosenbändel nicht raushängen. Thomas Hitzlsperger urteilt im Kolumnengespräch über Fußballmode und das neue EM-Trikot.
VON OLIVER FRITSCH

ZEIT ONLINE: Herr Hitzlsperger, haben Sie das neue deutsche EM-Trikot gekauft?

Thomas Hitzlsperger: Nein. Weil ich eine bestimmte Zahl an Länderspielen bestritten habe, bekomme ich bald eins zugeschickt. Da gibt es beim DFB eine Regel.

ZEIT ONLINE: Also haben Uwe Seeler und Lothar Matthäus auch eins erhalten?

Hitzlsperger: Ich nehme es an.

ZEIT ONLINE: Wie gefällt es Ihnen?

Hitzlsperger: Ganz gut. Es ist recht schlicht. Es hat drei Streifen. Diesmal in eine andere Richtung: diagonal. Manchmal sind die Streifen längs, manchmal quer, diesmal halt so. Es musste was Neues her. Wer weiß, vielleicht sind sie beim nächsten Mal auf dem Rücken? So viel Spielraum hat man ja nicht bei einem Fußballtrikot.

ZEIT ONLINE: Der von zwei Linien eingeklemmte Adler sieht schräg aus. Ist es das Modell Russendisko? Die EM findet in Osteuropa statt.

Hitzlsperger: Nein, aber das Trikot ist ein Produkt seiner Zeit. Steckt bestimmt viel Marktforschung dahinter. Drei Streifen haben beim DFB zudem eine Aussage, sie stehen für Dynamik, Tradition und … ich muss überlegen ...

ZEIT ONLINE: Steuerehrlichkeit?

Hitzlsperger: ... Nein. Stolz ist das dritte Attribut.

ZEIT ONLINE: Ihr Lieblingstrikot in der Geschichte der deutschen Nationalmannschaft?

Hitzlsperger: Das von 1990. Ganz einfach, weil das mein erstes Fan-Erlebnis war – und dann auch noch ein so erfolgreiches. Die Spieler waren für mich Vorbilder. Mein Bruder hat ein Trikot gehabt, ich hab es dann später getragen.

ZEIT ONLINE: Und der Tiefpunkt? Das überladene von 1994, das beim Betrachter Flimmern verursachte?

Hitzlsperger: Eher die grünen Auswärtstrikots. Die sind gewagt. Generell gilt: Die Trikots sind für uns Spieler am schönsten, wenn sie neu sind. Die Begeisterung lässt dann irgendwann nach.

ZEIT ONLINE: Es gibt Bundesligatrainer, die schwören auf Rot.

Hitzlsperger: Ich habe tatsächlich von Statistiken gehört, die belegen wollen, dass Teams in roten Trikots überdurchschnittlich erfolgreich sind. Jürgen Klinsmann hat sich vor der WM bewusst für rote Trikots entschieden. Die Farbe Rot ist ausdrucksstark, unterstreicht Aggressivität. Ordentliches Training hilft aber immer noch mehr als sich ein rotes Trikot überzustreifen.

ZEIT ONLINE: England wollte gegen Spanien mit einer gestickten Mohnblume (" poppy") auf dem Trikot auflaufen – ein traditionelles Erinnerungsritual an die Toten des Ersten Weltkriegs. Die Fifa wollte dies zunächst verbieten, weil es sich um ein politisches Symbol handeln soll. Als Kompromiss durften die Engländer ein Armband mit der Mohnblume tragen. Was sagen Sie dazu?

Hitzlsperger: Ich tue mich schwer mit einem Urteil. Einerseits habe ich große Sympathie für die Engländer und weiß, wie wichtig ihnen das Gedenken ist. Nicht umsonst haben sich Prinz William und David Cameron empört in die Debatte eingeschaltet. Andererseits kann ich auch die Fifa verstehen. Wenn man jetzt eine Ausnahme macht, kommen vielleicht bald andere Teams und wollen Ähnliches.

ZEIT ONLINE: Sollte die Fifa Werbung auf Nationaltrikots zulassen?

Hitzlsperger: Auf keinen Fall, Nationalspieler repräsentieren ihr Land, da muss keine Werbung drauf.

ZEIT ONLINE: Hosenbändel rein oder raus?

Hitzlsperger: Rein!

ZEIT ONLINE: Rundkragen oder V-Ausschnitt?

Hitzlsperger: V-Ausschnitt. Aber in Kragenfragen bin ich kein Ideologe – im Gegensatz zum Bändelstreit.

ZEIT ONLINE: Nummern und Schrift verschnörkelt oder puristisch?

Hitzlsperger: Egal, Hauptsache, der Name stimmt. Ich habe es in drei Vereinen erlebt, dass er auf dem Trikot falsch geschrieben war. Ich heiße nicht Hitzelsperger und auch nicht Hitzlsberger.

ZEIT ONLINE: Ausgehanzug von der Stange oder Maß?

Hitzlsperger: Mittlerweile gibt es bei den meisten Clubs Maßanzüge. Am bequemsten sind aber immer noch die Trainingsanzüge.

ZEIT ONLINE: Geht Rosa im Fußball?

Hitzlsperger: Ein paar haben es versucht, vor allem in Italien kommt es noch vor, auch Tim Wiese lief schon so auf. Ich denke aber, ein rosa Trikot verkauft sich schlecht. Das ist dann wohl entscheidend, deswegen wird es hierzulande eine Rarität bleiben.

ZEIT ONLINE: Tim Wiese wollte auffallen.

Hitzlsperger: Es gibt ein paar Fußballer, die mit ihrer Kleidung auffallen wollen. Früher waren es bunte Schuhe, manche klebten sich Tape an die Stutzen oder zogen sie sich bis über das Knie, sodass kein Bein mehr zu sehen war. Eric Cantona und Paul Gascoigne schlugen den Kragen hoch wie Cowboys.

ZEIT ONLINE: Haben auch Sie einen Spleen?

Hitzlsperger: Heute nicht mehr, aber ich kann mich noch gut an die Zeit als Jugendspieler erinnern. Wir ahmten David Beckham nach, der die Zunge der Lasche seiner Schuhe immer bis zur Spitze legte. Also schnitten wir unsere Zungen ein, fixierten sie mit Tape, damit unsere Schuhe so aussahen wie die Beckhams. Eine Marotte meiner Jugend.

ZEIT ONLINE: Der Soziologe spricht von Distinktion.

Hitzlsperger: Manchmal ist es auch Aberglaube. Manche Spieler schneiden sich den Fußteil der Stutzen ab und ergänzen sie mit eigenen Socken in der gleichen Farbe. Manche trennen das Innenteil aus den Hosen raus und tragen eine eigene Unterhose.

ZEIT ONLINE: Was für ein Typ sind Sie?

Hitzlsperger: Ich lasse die Innenhose drin.

Bei Tempo 300 bekam ich feuchte Hände
Alles außer Fußball: Als Kind träumte er von einem roten Ferrari. Thomas Hitzlsperger erzählt, warum er nun ein anderes Auto fährt und wieso er den Verkehr in Rom liebt.
VON CHRISTIAN SPILLER

ZEIT ONLINE: Herr Hitzlsperger, das Auto, so heißt es, ist des Deutschen liebstes Kind. Ihres auch?

Thomas Hitzlsperger: Ich fahre gerne Auto, ich mag Autos und interessiere mich dafür. Aber ich stehe Sonntagvormittag nicht vor dem Haus und wasche meinen Wagen. Ich habe mein Auto so selten geputzt, das kann man an einer Hand abzählen. Da muss schon die Waschanlage her. Außerdem ist Sonntagvormittag meistens Training.

ZEIT ONLINE: Können Sie sich noch an Ihr erstes Auto erinnern?

Hitzlsperger: Klar, das war ein weißer Polo. Ich habe damals eine Lehre gemacht und gleich einen Firmenwagen bekommen. Das war natürlich super, obwohl es ein relativ kleines Auto war. Es war ein Gebrauchtwagen, musste nie zur Reparatur und ist auch im Winter immer angesprungen.

ZEIT ONLINE: Was fahren Sie zur Zeit?

Hitzlsperger: Wir Wolfsburger Spieler fahren selbstverständlich VW, deswegen habe ich hier nach ein paar Tagen einen Touareg bekommen.

ZEIT ONLINE: Sie hatten mal einen Mini.

Hitzlsperger: Den habe ich immer noch.

ZEIT ONLINE: Ein Minifahrer sieht Autos wohl nicht nur rational, also was Fahrtüchtigkeit oder das Preis-Leistungsverhältnis angeht. Da spielt doch auch die emotionale Komponente eine Rolle, oder?

Hitzlsperger: Definitiv. Man kann jedem Auto und damit auch seinem Besitzer bestimmte Eigenschaften zuschreiben, nach dem Motto: "Zeig mir dein Auto, und ich sag dir wer du bist!". So werden Autos ja auch verkauft, durch Emotionen.

ZEIT ONLINE: Der Touareg-Fahrer, was ist das für einer?

Hitzlsperger: Das weiß ich nicht, ich habe mir den auch nicht ausgesucht, sondern erst mal zur Verfügung gestellt bekommen.

ZEIT ONLINE: Viele sagen: Alles Umweltsäue, diese SUV-Fahrer!

Hitzlsperger: Es gibt in der Angebotspalette bei VW sicherlich spritsparendere Modelle. Wie gesagt, das Auto wurde mir zur Verfügung gestellt und dafür bin ich sehr dankbar.

ZEIT ONLINE: Was war als Kind Ihr Traumauto?

Hitzlsperger: Als ich klein war, träumte ich von einem roten Ferrari. Die Marke hatte eine gewisse Anziehungskraft. Als ich irgendwann genügend Geld für einen Sportwagen hatte, haben mir andere Autos besser gefallen. Ein Ferrari vermittelt ja auch ein gewisses Image. Ich glaube nicht, dass das mir entspricht.

ZEIT ONLINE: Findet auf den Spielerparkplätzen der Bundesliga so eine Art Größenvergleich statt?

Hitzlsperger: Bei uns in Wolfsburg gibt es keine großen Unterschiede, wir fahren alle Volkswagen. Das ist auch ganz gut so. Es ist fast wie eine Schuluniform, jeder ist gleich. In Stuttgart wurde es uns freigestellt, da sah man neben Mercedes noch andere Wägen auf dem Parkplatz. Aber nicht jeder Fußballspieler interessiert sich für Autos und braucht unbedingt einen teuren Sportwagen. Es gibt genügend Spieler, denen es egal ist, welches Auto sie fahren.

ZEIT ONLINE: Welcher Spieler fährt das dickste Auto?

Hitzlsperger: Ich will da keine Namen nennen, aber in England investieren die Spieler noch mehr in Autos. In Deutschland geht es noch ein bisschen bescheidener zu. Als ich angefangen habe, hieß es noch, dass man bis zu einem bestimmten Alter gefälligst einen Kleinwagen fahren sollte. Wenn man dann ein paar Jahre Leistung gebracht hat, durfte man das Auto wechseln.

 

ZEIT ONLINE: Sind Sie für Ihren Mini schon mal ausgelacht worden?

Hitzlsperger: Nein, warum? Ist doch ein gutes Auto und ich bin auch nicht der einzige minifahrende Fußballer.

ZEIT ONLINE: Wie viele Punkte haben Sie in Flensburg?

Hitzlsperger: Keine Ahnung. Vor einigen Jahren hatte ich in kurzer Zeit mehrere Punkte gesammelt. Aber ich denke, die sind alle wieder weg.

ZEIT ONLINE: Sie wurden neulich in England geblitzt. 50 Kilometer pro Stunde zu schnell, Herr Hitzlsperger!

Hitzlsperger: Oh ja, das war im April. Ich musste zur Gerichtsverhandlung, habe eine Geldstrafe und sechs Punkte bekommen.

ZEIT ONLINE: Sind Sie ein Raser?

Hitzlsperger: Die Strafe in England hat dazu beigetragen, dass ich langsamer fahre.

ZEIT ONLINE: Ab welcher Geschwindigkeit bekommen Sie feuchte Hände?

Hitzlsperger: Wenn sich die Tachonadel dem Ende neigt. Das muss also schon sehr schnell sein und kommt selten vor.

ZEIT ONLINE: Wie schnell?

Hitzlsperger: Ich war mal auf einer Teststrecke und fuhr knapp über 300 km/h. Da bekam ich feuchte Hände.

ZEIT ONLINE: Mit einem Elektroauto geht es noch nicht so schnell. Würden Sie sich trotzdem eins zulegen, der Umwelt zuliebe?

Hitzlsperger: Ich gehe davon aus, dass ich früher oder später ein Elektroauto fahren werde.

ZEIT ONLINE: Man hat den Eindruck, dass die deutschen Autohersteller ein bisschen hinterher sind, was Elektroautos angeht. Was meinen Sie?

Hitzlsperger: Ich glaube nicht, dass sie es komplett verschlafen haben. Beim Hybrid-Antrieb war es ja ähnlich. Es scheint sich noch nicht so recht zu lohnen, scheint noch zu teuer zu sein. Vielleicht wird noch vermehrt in die Entwicklung investiert, bis man einen Akku hat, der leicht ist und lange hält, so dass es sich auch für lange Strecken lohnt. Aber ich glaube nicht, dass die deutsche Automobilwirtschaft am Elektroauto zu Grunde gehen wird.

ZEIT ONLINE: Wie viele Versuche haben Sie für den Führerschein gebraucht?

Hitzlsperger: Zwei. Beim ersten Mal habe ich eine Frage zu viel falsch beantwortet.

ZEIT ONLINE: Lassen Sie ihre Freunde Ihr Auto fahren?

Hitzlsperger: Ohne Bedenken. Ich bin auch ein guter Beifahrer. Ich gebe keine Tipps, ich bremse nicht mit, ich halte die Klappe, sage nichts zum Fahrstil. Ich möchte das ja auch nicht, wenn ich fahre. Wenn ich Angst habe, steige ich gar nicht erst ein.

ZEIT ONLINE: Sie haben in Rom gelebt, in London, in Wolfsburg. Wo haben Sie die meisten Strafzettel bekommen?

Hitzlsperger: In London und da sind sie auch noch am teuersten. Da kann man keine fünf Minuten mal kurz irgendwo stehen bleiben, wenn man kein Kleingeld zur Hand hat. Es gibt sofort einen Strafzettel.

ZEIT ONLINE: Ist der Verkehr in Rom wirklich so chaotisch?

Hitzlsperger: Autofahren in Rom war einmalig. Es geht zügig voran und die Leute gestikulieren wild. Es ist manchmal chaotisch, ohne klare Verkehrsführung oder Straßenmarkierungen. Die Römer ignorieren sogar teilweise Rote Ampeln; bremsen kurz, gucken rechts und links und fahren, was natürlich verrückt ist. Aber der Verkehr fließt. Wer steht, wird angehupt. Und ich habe nur einen Unfall gesehen.

ZEIT ONLINE: Wie war die Umstellung auf den Linksverkehr in England. Waren Sie oft als Geisterfahrer unterwegs?

Hitzlsperger: Eigentlich habe ich das Autofahren in England gelernt. Ich bin mit 18 Jahren nach England gegangen und bin vorher in Deutschland nur wenige Monate gefahren. Trotzdem: Wenn man sich nicht auskennt und wenig los ist, dann biegt man schon mal falsch ab. Dann blendet einer auf und man weiß, dass man hier nicht fahren darf. Das ist mir ein paar Mal passiert, aber es ist zum Glück nie was passiert.

ZEIT ONLINE: In Zeiten des Klimawandels: Ist das Auto ein Auslaufmodell?

Hitzlsperger: Ich glaube nicht, dass das Auto komplett ausstirbt. Aber das Straßenbild wird sich verändern. Die Spritfresser bekommen irgendwann keine Zulassung mehr.

ZEIT ONLINE: Wenn Sie ein Auto wären, welches wären Sie?

Hitzlsperger: Ein Sportwagen in deutsch-englischer Co-Produktion. Deutscher Motor mit englischer Karosserie. Aston Martin oder Bentley.

Wie Thomas Hitzlsperger die Krawalle in London erlebt
Unser Kolumnist lebt in London, die Krawalle finden in seiner Nähe statt. Im Gespräch erzählt er, welche Ursachen er vermutet und wie besorgt seine Nachbarn sind.
VON OLIVER FRITSCH

ZEIT ONLINE: Sie leben seit Januar in London. Was genau passiert dort jetzt?

Thomas Hitzlsperger: Eine ganze Menge. Menschen versammeln sich, zerstören Geschäfte, zünden Häuser und Autos an, rauben Supermärkte aus, schlagen Fenster ein, legen sich mit der Polizei an.

ZEIT ONLINE: Wie nahe erleben Sie das?

Hitzlsperger: Davon erfahren hab ich am Sonntag im Internet, inzwischen erlebe ich das alles sehr nah. Am Montag gab es keine Meile von meiner Wohnung entfernt Krawalle. Ich lebe an der Grenze zu Hackney im Nordosten Londons. Ich hab mich mit meinem Nachbarn darüber unterhalten, dass wir nur unsere Straße hochgehen müssten – dann könnten wir sie schon sehen. Kurze Zeit später war ich im Fitnessstudio und habe während dem Training alles live am Fernseher mitverfolgt, was in der Nachbarschaft passiert. Das war schon bizarr.

ZEIT ONLINE: Fühlen sich Ihre Mitmenschen und Sie bedroht?

Hitzlsperger: Die Stimmung ist besorgt, denn die Polizei bekommt die Lage derzeit nicht in den Griff, was in London einige wundert. Angst spüre ich selbst keine.

ZEIT ONLINE: Haben die Leute Vertrauen in die Polizei?

Hitzlsperger: Ja, und außerdem werden die öffentlichen Plätze mit Kameras überwacht, was die Identifizierung der Täter leichter macht. Doch noch sind die Gegner schneller, sie verabreden sich über Blackberry Messenger. Der Hersteller des Programms hat der Polizei Unterstützung zugesichert, wie ich lese. Twitter und Facebook sind offenbar nicht so gut geeignet.

ZEIT ONLINE: Wer sind die Randalierer? Warum tun die das?

Hitzlsperger: Es sind wohl vor allem Jugendliche, auch Männer in meinem Alter. Sie entstammen sozialen Brennpunkten und verwüsten nun ihre Viertel, etwa Tottenham und Brixton, aber auch den Stadtteil Islington, in dem man das nicht erwartet hätte, gab es Zwischenfälle.

ZEIT ONLINE: Londons reichere Gegenden bleiben im Allgemeinen bislang verschont. Hat der Protest überhaupt eine politische Dimension?

Hitzlsperger: Die drastischen Sparmaßnahmen der Regierung spielen womöglich eine Rolle. Auslöser war aber ein Mord in der vergangenen Woche und anschließende Demonstrationen vor einer Polizeistation. Danach eskalierte die Situation, nun breiten sich die Unruhen übers Land aus. Der Frust ist deutlich spürbar, viele haben keine Arbeit und kein Geld.

ZEIT ONLINE: Können Sie das als Fußballprofi verstehen?

Hitzlsperger: Dass es derartige soziale Unterschiede gibt, ist nicht neu. Aber das ist keine Rechtfertigung dafür, auf Polizisten loszugehen, Eigentum anderer zu beschädigen oder Geschäfte zu plündern.

ZEIT ONLINE: Von den Kürzungen der Regierung ist auch das Sozialwesen betroffen.

Hitzlsperger: Der Sparkurs trifft viele, aber vor dem Hintergrund der Probleme in der Euro-Zone sind die Maßnahmen wohl nötig. Die Leute, denen es ohnehin nicht gut geht, trifft es dann am härtesten, und nun entlädt sich der Frust dieser Menschen.

ZEIT ONLINE: Wie reagieren Englands Politiker auf die Gewalt?

Hitzlsperger: Die kommen zurück aus ihrem Urlaub. Sicherheitspolitiker kündigen eine harte Gangart an. Man fürchtet um den Ruf und die Sicherheit Londons, gerade mit Blick auf die Olympischen Spiele im nächsten Jahr. Das liest und hört man jetzt häufig.

ZEIT ONLINE: Wie verhalten sich die Medien?

Hitzlsperger: Es ist natürlich das Thema, der Guardian und die Times zeigen dasselbe Titelbild: Eine Frau wird von einem brennenden Haus befreit. Der Ton ist angemessen, die Boulevardpresse habe ich aber noch nicht gelesen.

ZEIT ONLINE: England hat sein morgiges Länderspiel gegen Holland abgesagt. Gibt es weitere Reaktionen aus der Fußballszene?

Hitzlsperger: Da ich momentan auf Vereinssuche bin, fehlt mir der tägliche Kontakt. Ich habe mitbekommen, dass auch mein Ex-Club West Ham United ein Pokalspiel abgesagt hat.

Ich verstehe nicht, warum Mario Gomez kritisiert wird
In Thomas Hitzlspergers Kolumne geht es heute ausnahmsweise um Fußball: Warum er selbst abstieg, Dortmund Meister wurde, die Eintracht abstürzte und Gomez der Größte ist.
VON OLIVER FRITSCH

ZEIT ONLINE: Lassen Sie uns zum Abschluss der Saison ausnahmsweise über Fußball reden. Wie oft haben Sie Borussia Dortmund in diesem Jahr gesehen?

Thomas Hitzlsperger: Ich verfolge die Bundesliga regelmäßig, manchmal schaue ich aber nur die Zusammenfassungen. Den BVB habe ich im Februar beim 3:1-Sieg in München gesehen. Das war beeindruckend.

ZEIT ONLINE: Was macht die Stärke des Teams aus?

Hitzlsperger: Es sind junge Spieler, denen man ansieht, dass ihnen das Spiel Spaß macht. Sie sind überzeugt von sich und glauben an ihre physische Überlegenheit. Und mit dem Ball können sie auch gut umgehen.

ZEIT ONLINE: Welchen Anteil hat Jürgen Klopp? Haben Sie schon mal mit ihm gesprochen?

Hitzlsperger: Ich habe ihn nie getroffen, aber ich höre, dass er ein guter Motivator ist. Wenn Mannschaften so häufig über neunzig Minuten höchstes Tempo gehen, dann liegt das auch zu einem Großteil am Trainer. Es klingt so einfach, doch das gelingt nur, wenn der Trainer es vorlebt, Emotionen zeigt und keine Zweifel aufkommen lässt.

ZEIT ONLINE: Ist Klopp nur ein Motivator?

Hitzlsperger: Bestimmt nicht. Man sieht dem BVB seine Handschrift an. Sie haben eine Strategie: Was machen wir bei Ballverlust? Das ist auch das Element, das den FC Barcelona stark macht.

ZEIT ONLINE: Muss man sich daran orientieren oder gibt es einen anderen Weg, die Dominanz Barcas zu brechen?

Hitzlsperger: Es ist derzeit der Maßstab der Fußballwelt. Irgendwann wird irgendjemand Barcelona einholen, überholen, weil trotz der Philosophie des Clubs auch derzeit überragende Einzelspieler dabei sind, die nicht ewig für Barca spielen können. Dann wird es Innovationen geben, vielleicht ja auch aus der Bundesliga.

ZEIT ONLINE: Es wäre auch mal an der Zeit, dass der deutsche Vereinsfußball voranschreitet.

Hitzlsperger: Ich glaube, Deutschland darf Hoffnung haben, denn es ist eine neue Trainergeneration am Werk, die erfolgreich ist – und bestimmt noch erfolgreicher sein wird.

ZEIT ONLINE: Wen meinen Sie?

Hitzlsperger: Jürgen Klopp und Thomas Tuchel sind die besten Beispiele. Auch Holger Stanislawski scheint sehr begabt zu sein.

ZEIT ONLINE: Dortmund und Mainz sind die Sieger der Saison. Wer noch?

Hitzlsperger: Hannover 96, ganz klar. Der Verein durchlebt seit anderthalb Jahren eine schwere Phase. Jetzt bin ich gespannt, wie sie sich präsentieren werden, wenn die internationale Belastung dazukommt. Das wird schwer für 96, auch für Dortmund.

ZEIT ONLINE: Wer sind die Verlierer?

Hitzlsperger: Bremen, Stuttgart, Wolfsburg und auch Schalke sind weit unter ihren Möglichkeiten geblieben, aber der größte Verlierer ist natürlich Eintracht Frankfurt. Der Absturz in der Rückrunde ist schwer erklärbar. In der Hinrunde war die Mannschaft gut in Form, und Theofanis Gekas hat oft den Unterschied ausgemacht. In der Rückrunde traf er nicht mehr, und die Mannschaft hatte keinen Plan B.

ZEIT ONLINE: Und Christoph Daum, ist er ein Auslaufmodell? Wie redet man in Stuttgart über ihn, wo sie sich ja auch auskennen?

Hitzlsperger: Im VfB-Vorstand hat er noch immer Fürsprecher, doch Daum ist eine heiße Personalie. Es war mutig von Heribert Bruchhagen, Daum zu holen, letztlich hat es aber noch mehr Unruhe gebracht. Wer von sieben Spielen keins gewinnt, dem gehen die Argumente aus. Wie es auch gehen kann, hat Lucien Favre in Mönchengladbach gezeigt.

 

ZEIT ONLINE: Wie man so hört, trainierte Daums Vorgänger Skibbe nach Schema F.

Hitzlsperger: Wie ich so höre, haben in Frankfurt Fans das Training gestört. Das ist nicht förderlich.

ZEIT ONLINE: Sie haben in Stuttgart auch Erfahrung mit unzufriedenen Fans gemacht. Geht einem Profi das wirklich unter die Haut?

Hitzlsperger: Eins vorweg, den Druck am Wochenende müssen wir aushalten. Aber Drohungen, etwa unter der Woche im Training, gehen zu weit. Es herrschte mancherorts eine beängstigende, aggressive Stimmung, etwa in Stuttgart, Köln oder eben Frankfurt.

ZEIT ONLINE: Es war die Saison, in der Fans nach der Macht griffen.

Hitzlsperger: Ja, das finde ich bedenklich. Die Leute werden schnell unruhig, gerade im Abstiegskampf fordern sie: "Trainer raus! Vorstand raus!" Mancher Verein lässt sich beeinflussen, verliert den Mut, an Ideen und Personen festzuhalten.

ZEIT ONLINE: Es war auch die Saison der Trainerentlassungen. Ein Problem für die Bundesliga?

Hitzlsperger: Nein, aber es ist erschreckend, wie wenig Zeit Trainer haben, ihre Ideen umzusetzen. Das Gute ist, es kommen engagierte, gut ausgebildete Trainer nach.

ZEIT ONLINE: Täuscht der Eindruck oder setzt sich auch ein neuer Spielertyp durch?

Hitzlsperger: Das stimmt. Viele junge Spieler haben in dieser Saison für Furore gesorgt und scheinen dabei nicht abgehoben zu sein. Ein Spielmacher oder Leader-Typ wird nur noch selten gesucht. Die Verantwortung wird auf alle Spieler übertragen, egal wie alt sie sind.

ZEIT ONLINE: Ist es eine gute Entscheidung von Manuel Neuer, nach München zu gehen?

Hitzlsperger: Es ist mutig, weil ihn ein Teil der Bayern-Fans strikt ablehnt. Wahrscheinlich einzigartig in der Fußballgeschichte, aber er wird sich durchsetzen.

ZEIT ONLINE: Was war denn eigentlich beim VfB los?

Hitzlsperger: Die Qualität des Kaders ist gegeben, sagt man. Und das stimmt auch. Doch wenn man einmal verunsichert ist, wird es schwer. Ich höre jedenfalls ein tiefes Durchatmen von meinem ehemaligen Club.

ZEIT ONLINE: Überrascht vom Comeback ihres ehemaligen Mitspielers Mario Gomez?

Hitzlsperger: Überhaupt nicht, er ist Deutschlands bester Stürmer. Ich verstehe überhaupt nicht, warum er immer noch und immer wieder kritisiert wird und bei Länderspielen vom eigenen Publikum ausgepfiffen wird. Warum redet man noch davon, dass er bei der EM 2008 eine Großchance vergeben hat, das ist doch längst vergessen. Als Mitspieler weiß man, auf Gomez ist Verlass.

ZEIT ONLINE: Wer waren die besten Spieler der Saison 2010/2011?

Hitzlsperger: Mario Gomez, Nuri Sahin, Kevin Großkreutz und Mario Götze.

ZEIT ONLINE: Sie sind mit West Ham United abgestiegen. Woran lag's, konnte Ihr Trainer Sie nicht motivieren, immer neunzig Minuten höchstes Tempo zu gehen?

Hitzlsperger: Wir waren schon sehr früh in der Saison auf einem Abstiegsplatz und konnten uns nie richtig befreien. Es kommen mehrere Dinge zusammen, die Schuld liegt nicht nur beim Trainer oder einzelnen Spielern. Wir alle haben den Abstieg zu verantworten. Ich wünschte, ich hätte schon früher eingreifen können, aber die Verletzung hat das verhindert.

ZEIT ONLINE: Wie geht's nun weiter mit Ihnen?

Hitzlsperger: Erstmal müssen wir am Sonntag die Saison vernünftig zu Ende bringen, am besten mit einem Sieg zu Hause gegen den FC Sunderland. Was dann passiert, kann ich heute noch nicht sagen.

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