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Die Mohicaner von Paris

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Er machte sie mit der zwischen allen Reichen der Natur bestehenden Solidarität bekannt; wie der Mensch ebenso wenig der Pflanze entbehren kann, als die Pflanze des Menschen; wie Alles in dieser Welt auf eine so harmonische Weise eingerichtet ist, daß das Eine unter der Abwesenheit des Andern leiden würde; er entdeckte ihr die Geheimnisse der Nahrung bei den Pflanzen; er sagte ihr, wie sie zugleich durch die Wurzel und die Blätter im Boden und in der Luft die für ihre Entwickelung nothwendigen Elemente schöpfen; er setzte ihr auseinander, wie der Saft, – der nichts Anderes ist als die Circulation des Blutes bei den Pflanzen, – sich von unten nach oben erhebt, und ließ sie durch einen frisch abgeschnittenen Zweig eines Weinstocks den Ausfluß des Saftes genannt die Thränen der Rebe sehen; er lehrte sie endlich, daß die Pflanzen schlafen, athmen, sich wieder erzeugen wie die Thiere, und er erfüllte ihren jungen Verstand mit Erstaunen, da er ihr enthüllte, gewisse Pflanzen haben natürliche Bewegungen, welche mit der gewöhnlichen Unbeweglichkeit der Vegetabilien contrastiren.

Zehnmal wollte er sich unterbrechen, aus Furcht, sie zu ermüden oder wenigstens zu langweilen; doch hätten nicht die Nacht und das Blätterwerk das Gesicht von Carmelite verschleiert, so würde er im Gegentheil darin das tiefste Entzücken gelesen haben.

Plötzlich, als man einen Stern vorüberziehen sah, kam man von der Pflanzenphysiologie auf die Astronomie; man ließ die von den Menschen allen diesen unbekannten Welten, Gegenständen ihrer ewigen Neugierde, gegebenen mythologischen Namen die Revue passieren; der Himmel, die Erde, das Meer, die modernen Zeiten, das Altertum, Griechenland, Aegypten, Indien wurden in Contribution gesetzt, um diese ersten Stunden der Vertraulichkeit zwischen zwei jungen Leuten in einer Frühlingsnacht zu feiern.

Sie dachten nicht an die Menschen; sie dachten nicht einmal an sich selbst; sie ahnten nicht einen Augenblick, daß die Blumen, die Welten, die Wolken, die Sterne, die Lüfte, auf denen sie seit der Abenddämmerung reisten, sie unfehlbar allmählich in die ätherischen Regionen der platonischen Liebe führen mußten.

Und was war denn dieser leidenschaftliche, glühende Eifers mit dem Colombau die Harmonien der Natur beschrieb, wenn nicht eine leuchtende Kundgebung der frischesten und mächtigsten Liebe, welche je, eine Pflanze des Lebens oder des Todes, im Herzen eines jungen,Mannes gekeimt?

Diese Kraft der Aufmerksamkeit, das Entzücken des Mädchens während dieser Revue der Wunder der Schöpfung, welche so rasch und fast ohne mehr Spuren zu hinterlassen, als der Stern, den sie hatten hinschweben sehen, vorübergezogen, was war es denn, wenn nicht die Offenbarung der ersten Liebe?

Und fügt dieser Gemüthsverfassung von siebzehn Jahren bei der Einen, von zweiundzwanzig Jahren beim Andern bei, daß der Tag stürmisch gewesen, daß die Luft lau und von Wohlgerüchen erfüllt war, und daß bei dem Strahlen der Sonne, bei der Liebkosung dieser Lüfte ein ganzes Rosenfeld am Morgen in Knospen, am Abend in Blumen stand!

XXXIX
Das Grab der la Vallière

An diesem Abend also, berauscht durch den Wohlgeruch der Rosen, der sie umhüllte, wie jene duftende Wolle, worin Virgil seine Göttinnen verbirgt, unter diesem leuchtenden Himmel, dessen Sterne sich verliebt wie eben so viele Apollos und Daphnes zu verfolgen schienen, in dieser durch den Regen des Tages abgekühlten Atmosphäre, mit einem Worte, in dieser ersten ruhigen, heiteren, balsamischen Frühlingsnacht erschlossen sich die Herzen der zwei jungen Leute der Liebe, wie sich dem befeuchtenden Thau am Abend der Kelch der Blumen erst schloß.


Nachdem sie Mitternacht schlagen hörten, als sie die hellen Glockenklänge bis zwölf zählten, bebten sie, gaben einen Schrei von sich, wechselten einen raschen guten Abend und gingen zitternd wie Schuldige hinauf.

Nachdem sie zum zweiten Stocke gelangt waren, blieben sie stehen. Das Fenster des Bodens war offen; der Mond beleuchtete schweigsam und melancholisch das von Rosen umgebene Grab.

»Was für ein Grab ist das?« fragte Carmelite,während sie sich mit dem Ellenbogen auf das Fenstergesims stützte.

»Es ist das Grab von Mademoiselle de la Vallière,« antwortete der junge Mann, der sich neben ihr in dem engen durch die Oeffnung des Fenster gegebenen Raume auflehnte.

»Wie, das Grab von Mademoiselle de la Vallière findet sich hier?« fragte Carmelite.

»Alle diese Terrains, die Sie hier sehen,« antwortete Colombau, bildeten einst den Garten eines dem Orden, dessen poetischen Namen Sie führen, gehörenden Klosters; mitten in diesem Garten war eine Kirche, nach den alten lutecischen Sagen auf den Ruinen eines Tempels der Ceres erbaut; man kennt nicht genau die Epoche der Stiftung dieser Kapelle; nur glaubt man, sie datiere aus der Zeit der Regierung von Robert dem Frommen; gewiß ist, daß sie schon am Ende des zehnten Jahrhunderts Benedictiner-Mönche der Abtei von Marmoutier inne hatten, welche sie als Priorei bis zum Jahre 1604 besaßen, wo sie den Carmeliterinnen von der Reform der heiligen Therese abgetreten wurde. – Catharina von Orleans, Herzogin von Longueville, erhielt, angetrieben von einigen Devoten, die ihr den Titel Stifterin anboten, vom König, durch die Unterstützung von Maria von Medici, alle für die Gründung dieser Anstalt nötigen Vollmachten. Mit der Erlaubniß von König Heinrich IV. und dem Gutheißen von Papst Clemens VIII. ließ man von Avila nach Paris sechs Cameliterinnen kommen, welche durch die seraphische Heilige Therese de Cepedes formiert worden waren. Diese sechs Nonnen waren die ersten ihres Ordens in Frankreich; sie bewohnten das Kloster, welches hier war und nicht mehr existiert; beteten, sangen, starben in dieser Kirche, von der nur noch das Grab übrig ist, nach dessen Namen Sie fragen.«

»Oh! wie interessant ist das!« rief Carmelite in ihrem Erstaunen über die Offenbarung dieser Geheimnisse der ewigen Natur und der ephemeren Vergangenheit. »Und weiß man, wie die sechs Nonnen hießen?«

»Ich weiß es,« erwiderte lächelnd der junge Bretagner; »denn ich bin der Mann der Legenden. Sie hießen Anna von Jesus, Anna von St. Bartholomäus, Isabella von den Engeln, Beatrix von der Empfängniß, Isabella von St. Paul und Eleonora von St. Bernhard. Die Herzogin non Longueville ging ihnen entgegen und wollte, daß ihr Einzug in die Priorei durch ein Fest gefeiert werde.—

Alles dies war nicht so interessant, als Carmelite sagte und Colombau es zugab; doch die armen Kinder belogen einander, denn sie wollten nur einen Vorwand finden, um sich nicht zu verlassen. Alles war gut in diesem Falle; das mystische Gespräch nahm auch seinen Fortgang.

»Oh! wie gern hätte ich ein Fest von jener Zeit sehen mögen!« sagte Carmelite.

»Wohl, mein Fräulein, hören Sie,« erwiderte Colombau: »bleiben, Sie wo Sie sind; schließen Sie,die Augen, setzen Sie die Einbildungskraft an die Stelle des Gesichtes, stellen Sie sich vor, Sie haben zu Ihrer Linken ein düsteres Kloster mit hohen Mauern; dort, Ihnen gegenüber, die Kirche, – und warten Sie . . . «

Der junge Mann ging rasch in sein Zimmer.

»Wohin gehen Sie?« fragte Carmelite.

»Ich will ein Buch holen,« rief der junge Mann aus dem Innern seiner Wohnung.

»Und er kam nach fünf Minuten, ein Buch in der Hand haltend zurück.

»Schließen Sie nun die Augen,« sagte er.

»Sie sind geschlossen.«

»Sehen Sie das Kloster links?«

»Ja.«

»Sehen Sie die Kirche Ihnen gegenüber?«

»Ja.«

Colombau öffnete das Buch.

Der Mond glänzte strahlend in seinem Zenith und warf auf diese ganze ruhige, stille Natur ein so reines Licht, daß Colombau wie am hellen Tage lesen konnte.

Er las.

›Am Mittwoch dem 24. August, am Tage des heiligen Bartholomäus, wurde in Paris eine neue und feierliche Procession den Schwestern-Cameliterinnen gemacht, welche an diesem Tage von ihrem Hause Besitz ergriffen; das Volk strömte in großer Menge herbei als wollte es Ablaß gewinnen; die Nonnen gingen in schöner Ordnung, angeführt vom Doctor Duval, der ihnen, einen Stab in der Hand haltend, als Pedell diente und eine gewaltige Aehnlichkeit mit einem Wehrwolf hatte.

›Doch das Unglück wollte, daß dieses große und heilige Mysterium durch zwei Geigen, welche eine Bergamasque zu spielen anfingen, gestört und unterbrochen wurde; was diese armen Leute vertrieb und sie veranlaßte, sich ganz erschrocken mit ihrem Anführer, dem Wehrwolf, in ihre Kirche zurückzuziehen; sobald sie hier, als an einem Orte der Freiheit und Sicherheit, angelangt waren, begannen sie das Te Deum laudamus zu singen.«

»Haben Sie gesehen?« fragte Colombau.

»Ja, doch etwas Anderes als das, was ich zusehen hoffte,« erwiderte lächelnd Carmelite.

»Man sieht nicht immer, was man zu sehen glaubt, wenn man die Augen offen hat, geschweige denn, wenn man sie geschlossen hat.«

»Und in dieses Kloster zog sich Mademoiselle de la Vallière zurück?«

»In dieses Kloster, wo sie sechsunddreißig Jahre unter fortwährenden Uebungen einer immer mehr erbaulichen Frömmigkeit zubrachte und am 6. Juni des Jahres 1710 starb.«

»Und hier, in diesem Grabe,« fragte das Mädchen, »ruht der Leib der armen Herzogin?«

»Dieses behaupten hieße viel sagen.«

»Sie ist also ausgegraben worden?«

»Im Jahre 1790 hob ein Dekret der Nationalversammlung das Kloster auf; man brach die Kirche ab . . . Wer weiß, was aus dem Leibe der armen Sünderin geworden ist, welche Le Brun unter den Zügen der heiligen Magdalena dargestellt hatte. Und dennoch, wie ich Ihnen, die Sie sich mehr als hundert Jahre nach ihrem Tode um sie bekümmern, gesagt habe, dennoch behauptet die Tradition, er sei verschont worden, und ruhe immer noch in der Gruft unter dieser kleinen Kapelle.«

 

»Und,« fragte Carmelite mit dem Zögern der Neugierde, welche getäuscht zu werden befürchtet, »man kann ohne Zweifel nicht hineinkommen?«

»Ich bitte um Verzeihung, mein Fräulein»erwiderte Colombau, »man kommt nicht nur hinein: man wohnt darin.«

»Und welcher Profane kann in diesem geheiligten Ruheorte wohnen?«

»Der Gärtner, mein Fräulein; derjenige, welcher alle die schönen Rosen kultiviert, deren Wohlgerüche wir in diesem Augenblicke einathmen.«

»Oh! wie gern möchte ich diese Kapelle besuchen!« rief Carmelite.

»Nichts kann leichter sein.«

»Wie ist es zu machen?«

»Man braucht nur den Gärtner um die Erlaubniß zu bitten.«

»Wenn er sie mir aber verweigert?«

»Weigert er sich, Sie das Grab sehen zu lassen, so bitten Sie ihn, seine Rosen sehen zu dürfen, und aus Liebe für seine Rosen wird er Ihnen erlauben, das Grab zu sehen.«

»Diese Rosen gehören also ihm?«

»Er ist der privilegierte Besitzer derselben.«

»Und was kann er mit so vielen Rosen machen?«

»Ei! er verkauft sie,« erwiderte der junge Bretagner.

»Oh! der abscheuliche Mensch!« versetzte Carmelite mit einem ganz kindischen Vorwurf; »diese schönen Rosen verkaufen! Ich glaubte, er kultiviere sie aus Religion oder wenigstens zu seinem Vergnügen!«

»Er verkauft sie . . . Und schauen Sie! von hieraus sehen Sie unter meinem Fenster drei Rosenstöcke, die er kürzlich an mich verkauft hat.«

Carmelite neigte sich auf die Seite, und ihre schönen« flatternden Haare streichen das Gesicht des jungen Mannes, der einen Schauer seinen ganzen Leib durchlaufen fühlte.

Sie fühlte zu gleicher Zeit den-Hauch von Colombau durch ihre Haare ziehen, denn sie wich rasch und ganz erröthend zurück.

»Oh!« sagte sie unklug, »wie gern möchte ich einen von den Rosenstöcken haben, die diese Kapelle umgeben!«

»Werden Sie mir erlauben, Ihnen einen von den meinigen anzubieten?« versetzte hastig Colombau.

»Oh! ich danke, mein Herr,« erwiderte Carmelite, welche nun ihre Unbesonnenheit wahrnahm; »ich möchte einen haben, doch von meinen Händen auf dieser Erde gezogen, wo Schwester Louise von der Barmherzigkeit gelebt und wo ihr Körper geruht hat, vielleicht jetzt noch ruht.«

»Warum gehen Sie nicht morgen schon dahin?«

»Ich hätte nie den Muth, allein zu gehen.«

»Ich biete Ihnen weinen Arm an, wenn Sie ihn annehmen wollen.«

Carmelite blieb einen Augenblick verlegen; endlich aber machte sie eine Anstrengung und antwortete:

»Hören Sie, Herr Colombau, ich hege eine tiefe Achtung und eine große Dankbarkeit für Sie. doch ginge ich an Ihrem Arme am hellen Tage aus, so würden alle Basen des Quartiers an einer solchen Unschicklichkeit ein Aergerniß nehmen.«

»So gehen wir am Abend dahin.«

»Kann man am Abend gehen?«

»Warum nicht?«

»Mir scheint, der Gärtner müsse sich zu gleicher Zeit mit seinen Blumen schlafen legen, nur zu derselben Zeit wie sie aufzustehen.«

»Ich weiß nicht, um welche Stunde er sich schlafen legt, doch ich weiß, daß er lange vor ihnen aufsteht.«

»Woher wissen Sie das?«

»Zuweilen, bei Nacht, wenn ich nicht schlafe . . . (die Stimme von Colombau zitterte leicht, als er diese Worte sprach), stelle ich mich ans Fenster und erblicke ihn mit einer Laterne in der Hand im Garten umhertrabend . . . Sehen Sie, mein Fräulein, das Irrlicht, das durch den Garten läuft, ist er es nicht?«

»Wohin läuft er so?« fragte das Mädchen.

»Wahrscheinlich einer Katze nach.«

»Doch wenn er aufsteht,« sagte Carmelite lächelnd, »so muß es, obgleich sehr frühzeitig für ihn, für uns sehr spät sein.«

»Spät?« versetzte Colombau.

»Ja . . . Wie viel Uhr mag es sein?«

»Ungefähr zwei Uhr,« antwortete Colombau mit einem gewissen Zögern.

»Oh! nie bin ich so spät zu Bette gegangen!« rief das Mädchen die Hände zum Himmel erhebend. »Morgens um zwei Uhr, mein Gott! Oh! Geschwinde, gute Nacht, Herr Colombau! . . . Ich danke Ihnen für die lehrreichen Stunden, die Sie mich haben zubringen lassen, und an einem Abend,« fügte sie leise bei, an einem Abend, wenn alle Nachbarn zu Bette gegangen sind, werde ich Sie um Ihren Arm bitten, um einen Rosenstock auszugraben.«

»Wir-werden nie eine schönere Nacht finden, als diese, mein Fräulein, sagte der junge Mann, der sich anstrengte, um nicht beim Sprechen zu zittern.

»Oh! wenn ich glaubte, ich werde nicht gesehen,« erwiderte offen und treuherzig das Mädchen, »ich würde sogleich gehen.«

»Von wem sollen Sie zu dieser Stunde gesehen werden?«

»Ei! einmal von der Portière.«

»Nein, ich habe ein Mittel, um die Thüre zu öffnen, ohne sie aufzuwecken.«

»Wie! Sie wollen mit einem Dieterich öffnen?«

»Oh nein! mit einem Schlüssel, den ich habe machen lassen. Ich komme zuweilen vom Lesecabinet nach Mitternacht nach Hause, und da die Portière kränklich ist, so war es mir ein Bedenken, sie aufzuwecken.«

»Nun, wenn es sich so verhält, so gehen wir sogleich; ich glaube auch, ich möchte mich immerhin zu Bette legen, ich würde an meinen Rosenstock denkend, nicht einschlafen.«

War es wirklich Dein Rosenstock, was Dich einzuschlafen verhindert hätte, Carmelite?

Nein.

Doch Du glaubtest es, armes Kind, unschuldige Jungfrau, und gerade Deine Unschuld war es, was Dich zu diesem nächtlichen Ausfluge am Arme den jungen Mannes, der so unschuldig als Du, antrieb.

Carmelite setzte ein Häubchen auf und warf ein Halstuch auf ihre Schultern; der junge Mann nahm seinen Hut, und Beide stiegen mit kleinen Schritten die Treppe hinab: sie gingen sehr sachte, und dennoch machten sie noch genug Geräusch, um die Vögel aufzuwecken, die in den Syringen schliefen, und als diese Vögel sie vorübergehen hörten und den schönen Mond sahen fingen sie an zu singen, glaubten sie nun, es erscheine die Morgenröthe, oder wollten sie Theil nehmen an dem nächtlichen Feste, das der Frühling und die Natur den zwei jungen Leuten gaben.

Nachdem sie die Rue Saint-Jacques und die Rue du Val-de-Grace durchschritten hatten, gelangten sie in die Rue du d’Enser und zu der großen hölzernen Gitterthüre, welche als Eingang für den ehemaligen Garten der Cameliterinnen diente.

Sie klingelten.

Es war sehr früh oder sehr spät, um zu klingeln; der Gärtner zögerte auch einen Augenblick.

Doch auf den zweiten Ruf der Klingel sah man den Mann und die Laterne sich bewegen; Beide näherten sich; die Laterne erhob sich zur Höhe der Gesichter der zwei Besuche, und der Gärtner erkannte den jungen. Mann, den er alle Tage an seinem Fenster sah, und dessen wohlklingende Stimme er zuweilen, unter seinen Rosensträuchern ausgestreckt, begleitet von den Tönen des Klaviers, hörte.

Der Gärtner öffnete die Thüre und führte diesen zweiten Adam und diese neue Eva in sein Paradies ein.

Das war wie gesagt, eine ungeheure Pflanzschule, wo man nur Rosen kultivierte.

Nichte vermag diesen unendlich süße Gefühl, dieses Gefühl frischer Berauschung auszudrücken, das die zwei jungen Leute erfaßte, als sie in den Rosenharem eindrangen, dessen Sultan, eine Laterne in der Hand, die harmonischen Namen nannte, welche in ihren Ohren klangen wie den Gesängen der Vögel entschlüpfte Noten.

So Arm in Arm und auf die Benennung der Rosen horchend, gelangten sie vor das Grab oder die Kapelle der Schwester Louise von der Barmherzigkeit.

Carmelite zögerte, einzutreten, an die Einladung von Colombau entschloß sie sich.

Doch fast in demselben Augenblicke ging sie mit einer Art von Schrecken wieder heraus, als sie an den Wänden angelehnt oder aufgehängt, – statt religiöser Embleme, die sie zu finden erwartete, – Schaufeln, Spaten, Gießkannen, Schiebkarren und all das Geräthe sah, dessen sich der Gärtner bediente.

Das Mädchen machte nun neugierig die Runde um das Grab.

Sechs bis acht Fuß hohe Rosenstöcke umgaben es einförmig.

»Was für herrliche Rosenstöcke sind das?« fragte Carmelite.

»Das sind Alexandrien Rosen mit weißen Blüthen,« antwortete der Gärtner; »sie kommen vom Süden Europas oder von den Küsten der Barbarei; aus ihren Blumen macht man die Rosenessenz.

»Wollen Sie einen solchen Stock an mich verkaufen?«

»Welchen?« fragte der Gärtner.

»Diesen,« erwiderte Carmelite.

Und sie deutete auf den, welcher am nächsten beim Grabe erschloß.

Der Gärtner trat in die Kapelle ein und nahm einen Spaten.

Eine Nachtigall sang zwanzig Schritte von da ihr verliebtestes Lied.

Der Mond war nicht mehr der Mond: es war die Phöbe der Griechen, welche verliebt auf die Erde schaute, ob sie den Schatten von Endymion nicht wiedersehe.

Die Nachtluft so sanft, daß sie ein vom Munde der Natur gegebene Kuß zu sein schien, zog durch die Haare der jungen Leute.

Es war in der That eine Scene voll Farbe und Poesie, dieses große Mädchen in Trauerkleidern, dieser schwarz gekleidete, blonde junge Mann, und dieser Gärtner, der die Erde zu dieser Stunde der Nacht, bei dieser kühlen Luft, beim Mondscheine, beim Gesange der Nachtigall ausgrub. Jeder Athem von ihnen schien auch zu sagen: »Oh! welch ein guten Ding ist das Leben! Dank Dir, o Herr, daß Du es uns zu gleicher Zeit gegeben!«

»Ach!«

Der erste Spatenstoß den Gärtners wiederhallte schmerzlich im Herzen der beiden jungen Leute; es schien ihnen, diese Erde aufwühlen, in der der Leib der frommen Geliebten jenes königlichen Egoisten ruhte, den man Ludwig XIV. Nannte, heiße etwas wie eine Ruchlosigkeit begehen.

Sie verließen die Pflanzschule, ihren Rosenstock mitnehmend, doch mit einer Angst, der der Kinder ähnlich, welche eine Rose auf einem Kirchhofe gepflückt haben.

Sobald sie aus dem Garten waren, vergaßen sie diese traurigen Gedanken, und einen letzten Blick auf die Pflanzschule werfend, die ihnen nur noch eine Art Wolke von Wohlgerüchen zusandte, die Sterne anschauend und alle Auströmungen des Lebens, die sich um sie her erhoben, so zu sagen, einsaugend, dankten sie der Vorsehung für alle Wohlthaten, mit denen sie dieselbe in dieser unbeschreiblichen Frühlingsnacht überhäuft hatte!

XL
Colombau

Das Herz des jungen Bretagners, den wir Colombau genannt haben, war ein reiner Diamant mit vier Kanten: die Güte, die Sanftmuth, die Unschuld und die Redlichkeit.

Einige starke Geister des Collége hatten ihm den Beinamen Colombau der Einfaltspinsel zum Andenken an gewisse gute Thaten gegeben, wobei er der Bethörte gewesen.

Seine herculische Stärke hätte ihm wohl erlaubt, die bösen Zungen zum Schweigen zu bringen, doch er hatte für alle diese Kläffer dieselbe Verachtung, welche die Neufundländer und die Molosseu auf dem St. Bernhard für einen türkischen Hund oder einen King-Charles haben.

Eines Tags jedoch fiel es einem armseligen, streitsüchtigen Bürschchen, einem jungen Creolen von Louisiana, der kürzlich erst ins Collége gekommen, als er sah, mit welcher unstörbaren Geduld Colombau, ohne das Gesicht zu verändern, die Schmähungen anhörte, mit denen er ihn seit einigen Augenblicken überhäufte; es fiel diesem Creolen ein, sagen wir, ihn, auf dem Rücken eines Großen reitend, von hinten an seinen blonden Haarlocken zu ziehen.

Wäre es eine Schäkerei gewesen, so würde Colombau nichts gesagt haben.

Doch es war ein Schmerz.

Es geschah dies während der Abendrecreation; Müde ging im Hofe der Tumanstalt umher.

Als er sich unter dem Gelächter der ganzen Recreation, so grausam an den Haaren gezogen fühlte und einen heftigen Schmerz empfand, wandte sich Colombau um und packte, ohne das geringste Zeichen von Anstrencarmegung oder Zorn von sich zu geben, den Creolen am Kragen seines Rockes, riß ihn von den Schultern des Großen und trug ihn unter das Klettergerüst, wo ein Seil von Knoten hing.

Hier befestigte er ihm das Seil um den Leib, und nachdem er sehr kalt diese Operation vollführt hatte, schleuderte er ihn, der Kopf und die Arme baumelnd, in den Raum, wo er sich nett einer wunderbaren Geschwindigkeit schaukelte.

Die anderen Schüler, welche nicht lachten, protestierten, doch sie protestierten vergebens.

Der Große, von dessen Schultern Camille Rozan – so hieß der Creole, – gerissen worden war, trat hinzu und forderte Colombau auf, seinen Kameraden zu befreien.

Colombau zog aber ganz einfach seine Uhr, schaute darauf und sagte, während er sie wieder in die Tasche steckte:

»Noch fünf Minuten!—«

Die Strafe währte schon fünf Minuten.

Der Große, der Colombau um einen Kopf überragte, sprang auf den Bretagner los, doch dieser faßte seinen Gegner um den Leibs hob ihn von der Erde auf, preßte ihn zusammen, um ihn zu ersticken, wie dies Hercules, nach dem, was man ihm in seinem Cursus der Mythologie gesagt, bei Antäus gethan, und legte ihn endlich auf den Boden, unter dem Beifallklatschen aller Schüler, welche schon im Collége sich immer auf die Seite des Stärkeren stellen lernten.

 

Colombau stützte sein Knie auf die Brußt des Großen; dieser der nicht athmen konnte, bat um Gnade; doch der hartnäckige Bretagne: zog abermals seine Uhr, und sagte einfach:

»Noch zwei Minuten!«

Da erscholl ein Hurrah des Triumphes durch den ganzen Hof.

Während dieses Jubels nahm die dem Körper von Camille Rozan verliehene Bewegung ab, dauerte jedoch nichtsdestoweniger immer fort.

Nach Ablauf der fünf Minuten gab Colombau, der sein Wort so gewissenhaft hielt, als sein Landsmann Duguesclin, wieder den Athem dem Großen, welcher sich wohl hütete, seine Genugtuung zu nehmen, und band den streitsüchtigen Americaner los; dieser ging aus Wuth ins Krankenzimmer und blieb hier einen Monat mit Verrückung des Gehirns im Bette.

Das Gelächter begleitete, wie man leicht begreift, den Rückzug des Creolen; Jeder beeiferte sich, Colombau Glück zu wünschen; Colombau gab sich aber den Anschein, als hörte er diese Lobeserhebungen nicht, nahm ruhig seinen Spaziergang wieder auf und wandte seinen Mitschülern den Rücken zu, nachdem er ihnen die brüderliche Warnung gegeben:

»Ihr seht, was ich zu thun vermag! Dass erste Mal, daß Einer von Euch mich foppt, wird ihm dasselbe geschehen.«

Einen Monat lang hegte man ernste Besorgnisse für den kleinen Camille Rozan.

Derjenige aber, dessen Angst bis zur Verzweiflung ging, war der gute Colombau; er vergaß, daß ihn die Herausforderung in den Fall gerechter Selbstvertheidigung gesetzt hatte, und betrachtete sich als einzige Ursache diesen Fieber.

Seine Verzweiflung verwandelte sich ganz natürlich in tiefe Freundschaft während der Genesung des jungen Menschen; er fühlte bald für den kleinen Camille die lebhafte Zärtlichkeit, welche die Starken für die Schwachen, die Sieger für die Besiegten haben, – diese Zärtlichkeit, welche aus den göttlichsten Fibern des Herzens, auf der mildesten von allen Tugenden, dem Mitleid entspringt.

allmählich wurde diese zufällige Zärtlichkeit eine wahre Zuneigung, eine beschirmende Freundschaft, wie die eines älteren Bruders für einen jüngeren.

Camille Rozan schien sich seinerseits aufrichtig Colombau anzuschließen, nur waren bei seiner Zuneigung zugleich die Furcht, und die Sympathie beteiligt: seiner Schwäche war es angenehm, sich beschützt zu fühlen; zu gleicher Zeit setzte aber sein empörter Stolz eine unübersteigbare, obgleich unsichtbare Schranke zwischen ihn und seinen Beschützer.

Schwach und trotzig, war er jeden Tag der Gefahr ausgesetzt von seinen Kameraden Lectionen der ähnlich, weiche ihm Colombau gegeben, zu erhalten; doch dieser brauchte nur einen Schritt zu machen und mit einem ruhigen Tone zu fragen: »Nun! was gibt es? und die Drohung kehrte plötzlich wieder um.

Wie bei der Eiche, genügte es bei ihm, seine kräftigen Aeste auszustrecken, um das Rohr gegen den Sturm zu beschirmen.

Heranwachsend, schien Camille seinen Stolz zurückgedrängt und für Colombau nur noch eine aufrichtige Freundschaft bewahrt zu haben; er gab sie ihm unter tausend angenehmen Formen kund: Beide in abgesonderte Schlafsäle und getrennte Studienquartiere verwiesen, konnten sie sich nur in den Erholungsstunden sehen und sprechen; doch das Bedürfniß des Ergusses war so lebhaft bei dem Creolen, daß er, wenn er von seinem Freunde entfernt, sich nicht enthalten konnte, an ihn zu schreiben; sobald der, briefliche Verkehr eröffnet war, bildete sich zwischen ihnen eine thätige ununterbrochene Correspondes, welche beinahe so zärtlich als die zwischen zwei Liebenden.

Die jungen Freundschaften, die sich zum ersten Male offenbaren, haben in der That die ganze Hitze einer ersten Liebe; wie eine Person, welche bis dahin, einsam gelebt hat, wartet das Herz nur auf die Stunde der Freiheit, um in der Sonne den Schatz seiner innersten Gedanken erblühen zu lassen; es kommt dann aus zwei Herzen, welche in derselben Lage, ein Concert von Plaudereien hervor, das ziemlich ähnlich dem Geschwätze der Vögel in den ersten Frühlingstagen. Derjenige,welcher gleichsam ebenen Fußes in das Leben eingetreten ist und die Zaubereien der jungen, keuschen Göttin, die man die Freundschaft nennt, nicht kennen gelernt hat, ist zu beklagen! denn weder die leidenschaftliche Liebe der Frau, noch die selbstsüchtige Zuneigung des Mannes werden ihm die reinen Freuden enthüllen, welche die zwischen zwei sechzehnjährigen Herzen ausgetauschten Geheimnisvollen Geständnisse geben.

Von diesem Augenblicke an waren also die zwei jungen Leute enge verbunden; und da Camille im nächsten Jahre in ein Quartier mit Colombau überging, so wurden sie Copains, nach dem technischen Ausdrucke des Collége, das heißt, sie bildeten eine Gemeinschaft von Allem, was sie besaßen, von den Federn und dem Papier bis zur Wäsche und das Geld.

Schickte die Familie des Americaners Confituren und Gojaven und Conserven von Ananas, so schob Camille die Hälfte davon in die Truhe von Colombau; schickte der Graf von Penhoël einige gesalzene Eßwaaren von der Küste der Bretagne, so legte Colombau die Hälfte in das Pult von Camille Rozan.

Diese täglich an Zärtlichkeit zunehmende Freundschaft wurde plötzlich gebrochen durch die Abreise von Camille, den seine Eltern nach Louisiana in dem Augenblick zurückriefen, wo er seine Philosophie beendigen sollte. Maus trennte sich unter zärtlichen Umarmungen, und versprach sich einander wenigstens einmal alle vierzehn Tage zu schreiben.

Die drei ersten Monate hielt Camille das gegebene Worte dann kamen seine Briefe nur noch von Monat zu Monat, dann von drei zu drei Monaten.

Was den treuen Bretagner betrifft, – er hielt gewissenhaft sein Versprechen, und nie gingen vierzehn Tage darüber, ohne daß er seinem Freunde schrieb.

Am Tage nach der Nacht, die wir im vorhergehenden Kapitel zu schildern versucht haben, Morgens um zehn Uhr, brachte die alte Portière dem jungen Manne einen Brief, dessen geliebten Stempel er sogleich erkannte.

Der Brief war von Camille.

Er kam nach Frankreich zurück.

Sein Schreiben ging ihm um einige Tage voran, Camille verlangte von Colombau, mit ihm in der Welt dasselbe gemeinschaftliche Leben wieder anzufangen, das sie im Collage geführt hatten.

Du hast drei Zimmer und eine Küche,« schrieb er: »mir die Hälfte Deiner Küche, mit die Hälfte Deiner drei Zimmer!«

»Bei Gott! ich glaube wohl!« antwortete laut der Bretagner, tief bewegt durch die unerwartete und unverhoffte Rückkunft des jungen Mannes.

Dann dachte er plötzlich, wenn sein teurer Camille komme, so brauche er ein Bett, eine Toilette, einen Tisch, und besonders ein Canapé, auf dem sich der träge Creole ausstrecken könne, um die schönen Cigarren zu rauchen, die er ohne Zweifel vom mexicanischen Meerbusen mitbringe, – und er stürzte aus dem Zimmer mit den zwei- bis dreihundert Franken Ersparnisse, die er besaß, um sich alle diese Dinge erster Notwendigkeit zu verschaffen.

Auf der Treppe begegnete er Carmelite.

»Oh! mein Gott! Wie glücklich sehen Sie diesen Morgen aus, Herr Colombau!« sagte Carmelite, als sie die Freude auf dem Antlitz ihres Nachbars strahlen sah.

»Oh! mein Fräulein, ich bin glücklich, sehr glücklich!« erwiderte Colombau; »es kommt ein Freund von mir von America, von Mexico, von Louisiana an! ein Freund aus dem Collége, der teuerste von allen meinen Freunden!« .

»Vortrefflich! sagte das Mädchen. »Und wann kommt er an?«

»Ich kann Ihnen den Tag nicht genau sagen; doch ich wollte, er wäre schon hier.«

Carmelite lächelte.

»Ah! ich wollte, er wäre schon da, wiederhole ich Ihnen, denn ich bin überzeugt, es würde Ihnen Vergnügen gewähren, ihn zu sehen und zu hören; es ist die lebendige Schönheit und Heiterkeit; nie, selbst in den Träumen der Maler, habe ich ein schöneres Gesicht gesehen . . . ein wenig weibisch vielleicht,« fügte er bei, nicht um die Schönheit des Freunden zu vermindern, dessen Portrait er so offenherzig gemacht hatte, sondern einzig und allein, um in den Grenzen der Wahrheit zu bleiben; – »ein wenig weibisch; doch gerade diese Miene steht seiner ganzen Person bewunderungswürdig. Die Prinzen der Feenmährchen haben keinen anmutigeren Kopf, die Studenten von Salamanca keinen so cavalièren Gang, und unsere Studenten in Paris keine so sorglose Leichtigkeit! Überdies . . . ah! das ist für Sie, die Sie die Musik lieben: überdies hat er eine bezaubernde Tenorstimme, und er bedient sich derselben wundervoll! Oh! Sie werden die alten Duette hören, die wir im Collége sangen . . . Und was die Musik betrifft, es kam mir heute Nacht, als ich Sie verließ, der Gedanke, Ihnen einen Vorschlag zu machen: Sie sagten mir, Sie haben in Saint-Denis die Musik studiert?«