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Die Mohicaner von Paris

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XLVIII
Camille bei den Volkskern

Einer der grüßten Vorwürfe, den man meiner Unwissenheit gemacht hat, ist, ich habe eines Tags, ich weiß nicht mehr bei welcher Veranlassung, gesagt, der Wetterableiter ziehe den Blitz an.

Nehmen wir an, lieber Leser, die Levtionen des gelehrten Herrn Buloz über die Elektricität und über die voltaische Säule haben mir nichts genützt, und ich sei noch heute in meinen Irrthum versunken.

Ich sagte: »Wie der Wetterableiter keinen andern Zweck hat, als den den Blitz anzuziehen, so, denken wir, sind die Mädchen einzig und allein bestimmt, die jungen Leute anzuziehen;« und dies sagend, glaubte ich weder eine sehr neue, noch sehr gewagte Meinung auszusprechen.

Die zwei Mädchen zogen also in ihre Richtung die Flamme, welche aus den Augen von Camille sprang, sobald der junge Creole sie von fern in der Mitte ihrer Wolke erblickte.

Er verdoppelte den Schritt, und da es sein Marsch dem der Esel zuvor hat, so war er nur noch in geringer Entfernung von den beiden Amazonen, als eine derselben, zufällig sich umwendend, ihr Thier anhielt und ihre Gefährtin durch einen Wink aufforderte, ebenfalls anzuhalten.

Camille, als er dieses Manoeuvre sah, ging noch geschwinder und erreichte bald die zwei Reiterinnen; da erhob sich die Größere auf dem hölzernen Brettchen, auf das sie ihre Füße stützte, warf die Zügel ihrem Esel auf den Hals, fiel, auf die Gefahr, in den Staub zu rollen, dem jungen Manne in die Arme und küßte ihn mit der ganzen Gewalt ihrer Lippen.

»Oh! Chante-Lilas, Prinzessin von Vanvres!« rief Camille.

»Endlich! Du bist es also, Undankbarer!« sagte das Mädchen. »Wie lange suche ich Dich!«

»Du suchst mich, Prinzessin?« versetzte Camille.

»Aller Orten! ich bin sogar nur in dieser Absicht hierher gekommen.«

»Wie ich,« erwiderte Camille, »ich war einzig und allein hierher gekommen, um Dich zu suchen.«

»Nun wohl,« sprach Chante-Lilas, indem sie Camille zum zweiten Male küßte, »da wir uns gefunden haben, so ist es, glaube ich, unnütz, daß wir uns länger suchen . . . Umarmen wir uns also und sprechen wir nicht mehr hiervon.«

»Sprechen wir nicht mehr hiervon und umarmen wir uns!« sagte Camille, das befohlene Mauoeuvre vollführend.

»Ah! Höre . . . « rief Chante-Lilas.

»Was? . . . Haben wir uns vielleicht noch nicht genug umarmt?« unterbrach Camille.

»Nein, das ist es nicht. Erlaube mir, Dir meine vertraute Freundin, Mademoiselle Paguerette21 Comtesse du Battoir22. vorzustellen.Ich halte es für unnötig, Dir zu bemerken, daß ihr Taufname Paquerette ist und Comtesse du Battoir . . . «

»Ihr Adelsname . . . Gut! Und ihr Familienname?«

»Sie heißt ganz einfach Colombierr23 antwortete die schöne Wäscherin.

»Füge noch bei, daß dies der Name ihrer Lippen ist, denn nie wird ein Liebesgeruckse aus einem rosigeren und frischeren Munde hervorkommen.«

Die Rosen der Lippen von Paquerette kletterten sogleich zu ihren Wangen empor, und sie war sicherlich im Begriffe, die Augen niederzuschlagen, als die Prinzessin von Vanvres sie zwang, ihren Blick auf Camille zu heften, indem sie nun den jungen Mann Ihrer ersten Ehrendame vorstellte.

»Herr Camille von Rozan, amerikanischer Edelmann,« sagte Chante-Lilas; »er hat Millionen, auf den Antillen und, wie Du sehen kannst, seine Taschen voll von Petarden.«

Die Prinzessin von Vanvres nannte Petarden24 die feurigen Worte, mit denen Camille seine Unterhaltung zu emailliren pflegte.

»Und, – ohne unbescheiden zu sein, – wohin gingt Ihr so?« fragte Camille.

»Ei! ich habe es Dir gesagt, Unglücklicher!« rief die Prinzessin, »wir suchten Dich auf, nicht wahr, Paquerette?«

»Ganz gewiß, wir gingen nicht anderswohin,« antwortete die Comtesse.

»Wie kommt es,« fragte Camille, »daß Ihr heute, am Dienstag, nicht in Eurem nassen Königreiche wohnt, meine schönen Najaden? Sollte die Sonne auf Unachtsamkeit Euren Palast ausgetrocknet haben?«

»Es gibt hier nichts ausgetrocknetes, als unsere Gaumen mein Edelmann,« erwiderte Chante-Lilas, indem sie ihre Zunge schnalzen ließ, »und wenn Sie wirklich so sehr Edelmann sind, als Sie sagen, und sogar als Sie das Ansehen haben, so werden Sie uns sogleich einen hübschen kleinen Ort aufsuchen – wäre er auch groß und garstig, mir gleichviel! – wo wir Milch essen und Fladen trinken können.«

»Prinzessin!« rief Camille.

»Gut! ich wollte das Gegentheil sagen, doch ich bin so durstig, daß ich darüber den Verstand verliere!«

»Ich gehe spornstreichs auf Entdeckung aus,« erwiderte Camille, indem er sich in Marsch setzte.

Chante-Lilas hielt ihn aber an einem Flügel seines Stockes zurück und rief:

»Oh! der Prinzessin von Vanvres gibt man nicht von dieser Farbe zu sehen« Herr Ruggieri!«

»Was willst Du damit sagen, Priuzessin meines Herzens?« fragte der Creole unbefangen.«

»Sie befürchtet einfach, Sie werden nicht mehr zurückkommen, und wir haben sehr Durst,« antwortete Paquerette.

»Du hast es gesagt, Paquerette,« versetzte Chante-Lilas, welche Camille beständig an seinem Rocke festhielt.

»Ich, Prinzessin!« rief der junge Mann, »ich Dich verlassen, fliehen, während Du mich abschickst, um Fladen für Dich zu holen? Mit was für Menschen hast Du gelebt, seitdem ich Dich nicht mehr gesehen, mein Herzchen? Wie! eine Abwesenheit von sechs Wochen hat Dich dergestalt verändert, daß Du der Redlichkeit von Camille von Rozan, einem amerikanischen Edelmann, mißtraust? Oh! ich erkenne Dich nicht mehr, Prinzessin meiner Seele! Man hat mir meine Chante-Lilas ausgewechselt!«

Und er hob seine Arme verzweiflungsvoll zum Himmel empor.

»Nun wohl, gehe voran!« sagte Chante-Lilas, indem sie die Schöße des Rockes losließ; »ober vielmehr, nein,« fügte sie, sich eines Andern besinnend, bei: »es wäre grausam, Dich bei dieser erstickenden Sonne die Reise zweimal machen zu lassen! Gehen wir mit einander auf Entdeckung aus . . . Nur suche meinen Esel wiederzufinden: ich weiß nicht, was während unserer Wiedererkennung aus ihm geworden ist.«

Der Esel war wirklich verschwunden; man mochte immerhin weit hinaus auf die zwei großen Ebenen schauen, welche auf beiden Seiten der Straße lagen: nicht die Ahnung von einem Esel!

Nach einigen Nachforschungen fand man indessen den Flüchtling wieder.

Er hatte sich in einen Graben gelegt und schlief im Schatten.

Man lud ihn höflich ein, wieder auf die Straße heraufzusteigen, und das Thier entsprach mit einer Sanftmuth und einem Gehorsam, wozu wenige Menschen fähig gewesen wären, der Aufforderung und that auf das Alleranmuthigste seinen Rücken dem Mädchen.

Die Gräfin vom Battoir trat nun ihren Esel Camille ab und stieg hinter Chante-Lilas auf.

Dann begab sich die lustige Karavane auf den Weg, um einen Pachthof, eine Schenke oder eine Mühle zu suchen.

Der schlaue Camille hatte nicht auf ein Mai alle seine Petarden, wie die Prinzessin von Vanvres sagte, losgeschossen; Gott weiß, mit welchen munteren Witzen die Straße besprenkelt wurde! Reiter und Reiterinnen warfen sich dieselben in sonoren Noten zu, die Ebene wiederhallte von ihrem Gelächter, die Vögel hielten sie für ihre fröhlichen Collegen und wurden nicht scheu, als sie vorüberzogen; dieses Trio von Reisenden glich den drei ersten Sonntagen des Monats Mai: es waren drei Fleischgewordene Frühlinge.

Camille hatte schon gefragt, wie es komme, daß an einem Dienstag die beiden Mädchen auf der Landstraße von Paris seien und Esel peitschen, statt bei ihrer Wäsche zu sein und Hemden zu fälteln; Chante-Lilas überließ das Wort Paquerette, und diese sagte dem jungen Manne, da genannter Dienstag der Festtag ihrer Patronin, so seien sie ausgeflogen in der entschiedenen Absicht,den Americaner zu suchen.

Chante-Lilas kam, wie man sieht, auch auf ihre Hämmel zurück.

»Aber wie geht es zu, daß ich Dich eher auf dieser Straße finde, als auf einer andern?« bemerkte Camille.

»Einmal habe ich Dich auf allen Straßen gesucht,« antwortete die Prinzessin, »doch ich suchte Dich ganz besonders auf dieser, weil man mir sagte, Du wohnest im Bas-Meudon.«

»Gut! Wer hat Dir das gesagt?« fragte Camille.

»Ei! alle Nachbarn.«

»Wohl, Prinzessin,« versetzte Camille mit vollkommener Sicherheit, »die Nachbarn haben Dich ganz einfach blau anlaufen lassen, mein Kind!«

»Unmöglich!«

»So wahr, als ich dort die Mühle unserer Träume erblicke.«

Man erblickte in der That eine Mühle am Horizont.

»Wenn mich aber die Nachbarn blau anlaufen ließen, was wohl möglich ist, warum treffe ich Dich auf dem Wege von Meudon?« fragte Chante-Lilas mit dem Vertrauen und der Leichtgläubigkeit, die die Avanage der Grisetten zu der Zeit waren, wo es noch Grisetten und Leichtgläubigkeit gab.

 

Camille zuckte die Achseln wie ein Mensch, der sagen will: »Wie Du erräthst nicht?«

Chante-Lilas verstand die Geberde und erwiderte:

»Nein, ich errathe nicht.«

»Nichts kann natürlicher sein,« sprach Camille. »Mein Notar wohnt in Meudon, und ich habe Geld bei meinem Notar geholt. Höre!«

Und er schlug an die Tasche seiner Weste und ließ die Goldstücke erklingen, die er für seine Einkäufe mitgenommen hatte.

»Es ist wahr,« versetzte die Prinzessin, überzeugt, durch den Klang der rechtfertigenden Stücke; »ich glaube Dir. Nun mußt Du mich aber Deinen sehen lassen. Ich habe schon mehrere Male von Notaren reden hören, und ich wünsche einen zu sehen. Man sagt, das sei sehr interessant.«

»Und man hat Recht, dies zu sagen, Prinzessin: es ist sogar viel interessanter, als man sagt.«

Man kam nach der Mühle, was den Gedanken des,Mädchens eine andere Richtung gab.

Ach! abermals etwas, was verschwindet, die Mühle! ehe zehn Jahre vergehen, werden unsere Enkel in ein Gelächter ausbrechen, wenn wir ihnen sagen, die Mühlen haben einst dazu gedient, um das Korn zu mahlen, und ist das Antiken-Museum nicht darauf bedacht, eine aufzubewahren, so werden sich unsere Abkömmlinge weigern, an die Realität der Aehnlichkeit zu glauben, wenn wir ihnen eine Beschreibung davon machen.

Ein Besuch in einer Mühle war indessen früher ein reizendes Ziel von Spaziergängern für die jungen Männer und die Mädchen; es gab von allen Größen, von allen Farben, von allen Namen.

Es gab die Schöne Mühle, die Weiße Mühle, die Rothe Mühle, die Schwarze Mühle, die Fladen-Mühle, die Butter-Mühle, es gab Mühlen für jeden Geschmack.

Man setzte sich an einen Tisch, schaute drei bis vier Stunden lang zu, wie sich die Flügel der Mühle drehten, aß dabei Fladen und trank Milch; das war ein reines, unschuldiges Vergnügen, das keine sociale Ordnung umstürzte.

Die drei jungen Leute, nachdem sie ihre Esel angebunden, traten in die Mühle ein, wo man ihnen warmen Fladen und kalte Milch vorsetzte.

Camille und Paquerette griffen tüchtig zu, als die Prinzessin von Vanvres beim dritten Mund voll, den sie von dem Fladen nahm, ausrief:

»Oh! wie dumm sind wir, daß wir Fladen essen!«

»Ei! Prinzessin,« unterbrach Camille, »sprich doch in der Einzahl, wenns beliebt.

»Oh! wie dumm bist Du, daß Du Fladen issest.«

»Bravo!« rief Camille, »das ist besser als eine Petarde: das ist eine Rakete . . . Und warum bin ich dumm, daß ich Flanden esse?«

»Ei! weil es drei Uhr Nachmittags ist, weil wir nicht werden zu Mittag speisen können, und weil ich hoffe, daß uns Herr Camille von Rozan, amerikanischer Edelmann, ein herrliches Mahl anbieten wird.«

»Alles, was-Du willst, Prinzessin! Bei meiner Treue, nicht wahr, es ist das Wenigste, wenn man sich so lange gesucht hat, wie wir, daß man sich nicht verlässt, ohne gegenseitig auf die Gesundheit getrunken zu haben?«

»Nun, so bestelle das Mittagsbrod.«

»Oh! nicht hier, meine Schäferinnen.«

»Wo denn?«

»In Paris . . . Teufels man speist zu schlecht auf dem Lande! Das Land ist gut, um Appetit zu geben,« aber nicht, um ihn zu befriedigen.«

»In Paris also . . . Und wo werden wir in Paris speisen?«

»Bei Véfour.«

»Bei Véfour? . . . Oh! welch ein Glück!« rief Chante-Lilas, indem sie zum Zeichen ihrer Freude ihre Finger schnalzen ließ; »ich höre schon so lange von Véfour reden: man sagt, das sei sehr interessant.«

»Wie die Notare,« versetzte Camille; »es gibt sogar Leute, welche behaupten, das sei noch interessanter, in Betracht, daß man bei Véfour speist, während man bei den Notaren gespeist wird.«

»Oh! Paqurerette,« rief die Prinzessin, »Du wirst Dich hoffentlich nicht beklagen! Das ist eine Petarde: bei Véfour!«

»Vorwärts, vorwärts, meine Kinder!« sagte Camille, »Ich muß Euch bemerken, daß ich vor dem Mittagessen einige Einkäufe zu machen habe.«

»Für Damen?« fragte Chante-Lilas, den-Arm von Camille bis aufs Blut kneipend.

»Ah! ja wohl, Damen!« versetzte Camille. »Kenne ich Damen?«

»Für wen halten Sie mich denn?« sagte Chante-Lilas, indem sie sich mit einem komischen Stolze hoch aufrichtete.

»Dich Prinzessin?« erwiderte der junge Mann, sie umarmend, »ich halte Dich für die frischeste, witzigste, hübscheste Wäscherin, welche, je am Ufer eines Flusses, unter der Haube des Himmels, geblüht hat!«

Ein leerer Fiacre kam an der Mühle vorüber; man winkte ihm, anzuhalten.

Dann band man die Esel los, und gegen ein Dreißigsousstück – es gab zu jener Zeit noch Dreißigsousstücke, – übernahm es der Knecht der Mühle, sie nach Vanvres zurückzuführen.

Wonach man in den Fiacre stieg und die Adresse von Véfour gab.

Von den Einkäufen war keine Rede, wenigstens für diesen Tag.

Beim Nachtische, als man die Erdbeeren gegessen, den Kaffee zu sich genommen, das Aniswasser verkostet hatte, erinnerte sich Paquerette Colombierr, deren Rolle immer schwieriger zwischen den zwei jungen Leuten wurde, plötzlich, ihr Oheim, ein alter Militär, erwarte sie, um seine Wunden zu verbinden.

Und sie that, was wir thun wollen: sie ließ den amerikanischen Edelmann unter vier Augen mit Chante-Lilas.

Nur werden wir, die wir keinen verwundeten Oheim haben, nach dem Bas-Meudon zurückkehren, wo Carmelite, welche seit sieben Uhr Abends am Fenster steht, verzweifelt, da sie Mitternacht schlagen hört.

XLIX
Letzte Herbsttage

Eines der Fenster der Wohnung ging auf die Straße vom Petit-Hameau.

An diesem Fenster stand Carmelite mit den Ellenbogen auf das Gesims gestützt, den Kopf in ihre Hände versenkt.

Von da hörte sie die seltenen, fernen Geräusche, welche mitten in der Finsternis von der Ebene kamen, und zwanzigmal hatten sie die dürren Aeste, welche krachten und die gelben Blätter, die zu fallen anfingen, beben gemacht, als ob sie den Tritt von Camille gehört hätte.

Doch zu dieser Stunde konnte Camille nicht zu Fuße von Paris zurückkommen; nicht auf das Geräusch seiner Schritte mußte sie warten, sondern auf das Geräusch eines Wagens.

Die Stille der Nacht, das melancholische Gemurmel des Windes in den Bäumen, die Blätter, weiche schauernd niederfielen, die Nachteule, die ihr unheimliches Geschrei auf der benachbarten Pappel hören ließ, Alles trug zur Vermehrung der Traurigkeit von Carmelite bei, und es kam ein Moment, wo diese Traurigkeit so tief war, daß zwei Bäche stiller Thränen ihren Augen entstürzten und durch ihre Finger liefen.

Welch ein Unterschied zwischen dieser düsteren Herbstnacht voller Schauer, allein in Erwartung von Camille an einem Fenster zugebracht, und jener Frühlingsnacht mit Colombau unter Syringen und Rosen durchlebt!

Und es waren doch kaum fünf Monate zwischen diesen zwei Nächten verlaufen!

Es braucht allerdings nicht fünf Monate, um eine ganze Existenz zu verändern: es braucht eine Minute!es braucht einen Augenblick! es braucht eine Sturmnacht!.

Endlich, gegen ein Uhr Morgens, ertönte das Geräusch eines Wagens auf dem Pflaster der Straße.

Carmelite wischte sich die Augen ab, horchte mit gespanntem Ohr, und sah mit einem Gefühle von Glück, in das sich eine Traurigkeit mischte, über die sie sich keine Rechenschaft gab, den Wagen sich nach der abhängigen Seite der Straße wenden und vor der Thüre halten.

Woher kam denn die Erschütterung dieser Fiber des Herzens, der einen scharfen Schmerz gab, während alle andern vor Freude bebten?

Sie wollte die Treppe hinab eilen, um früher in den Armen von Camille zu sein.

Sie konnte nur bis auf die erste Stufe gehen

Camille aber, nachdem er aus dem Wagen gestiegen, nachdem er die Thüre wieder geschlossen, sprang ihr entgegen.

Er fand Carmelite auf halbem Wege, wankend, an die Mauer angelehnt.

Woher kam bei ihr, die seine Rückkehr so sehr ersehnt hatte, diese schmerzliche Schwäche bei seiner Ankunft.

Camille, – er schloß Carmelite mit dem ihm natürlichen Ergusse in seine Arme. Er hatte am Morgen die Prinzessin von Vanvres auf dieselbe Weise an seine Brust gedrückt, – etwas weniger stark vielleicht, etwas weniger glühend vielleicht, er hatte sich seine Abwesenheit von Carmelite vergeben zu lassen.

Diese erwiderte Camille seine Liebkosungen kälter, als sie selbst geglaubt hätte. Es ist in der Frau ein Instinkt, der sie selten täuscht: der Mann nimmt immer genug von der Frau mit sich, die er verläßt, um einen Verdacht der Frau einzuflößen, zu der er zurückkommt.

Carmelite kannte die Natur dieses Verdachtes durchaus nicht; es schien ihr, sie habe außer der Abwesenheit Camille noch etwas Anderes vorzuwerfen.

Was? – sie wußte es nicht, doch die schmerzliche Fiber, die sich in der Tiefe ihres Herzens gerührt hatte, war die des Vorwurfs.

»Verzeih mir, meine Geliebte, daß ich Dir Unruhe bereitet!« sagte Camille, doch ich schwöre Dir, eine raschere Rückkehr hat nicht von mir abgehängt.

»Schwöre nicht,« sprach Carmelite; »zweifle ich? warum solltest Du mich täuschen? Wenn Du mich immer liebst, so hat Dich ein Wille, der stärker als der Deine, zurückgehalten; wenn Du mich nicht liebst, was ist mir dann an der Ursache gelegen?«

»Ob! Carmelite!« rief Camille, »ich Dich nicht mehr lieben? Wie sollte ich denn das machen? wie wäre es mir möglich, zu leben ohne Dich?«

Carmelite lächelte traurig.

Es schien ihr, ein verschleierter Schatten, der Schatten eines Weibes, ziehe zwischen ihr und ihrem Geliebten durch.

Camille führte sie in ihr Zimmer zurück und schloß das Fenster, – die Nächte fingen an kalt zu sein.

Carmelite war fünf Stunden an diesem Fenster geblieben und hatte die Kühle der Lust nicht bemerkt.

Sie war nahe daran, zu sagen, »Laß das Fenster offen, Camille; ich ersticke!«

Sie öffnete den Mund; doch ihre Lippen artikulierten keinen Laut: sie sank auf ihr Canapé.

Camille drehte sich um, sah sie und warf sich zu ihren Füßen.

»Höre, was geschehen ist,« sagte er. »Stelle Dir vor, ich habe in Paris zwei Creolen von Martinique getroffen, zwei Freunde von mir, die ich seit . . . ich kann Dir nicht sagen, wie lange nicht mehr gesehen . . . Wir sprachen von unserem schönen Vaterlande, wo Du einst wohnen wirst, wir sprachen von Dir . . . «

»Von mir?« versetzte Carmelite schauernd.

»Gewiß von Dir . . . Kann ich von etwas Anderem sprechen? . . . Ich habe Dich nicht genannt, wohlverstanden. Sie sind mit mirgegangem um unsere Einkäufe zu machen, – einen Theil davon wenigstens, – doch unter der Bedingung, daß ich mit ihnen zu Mittagspeise und mit ihnen in die Oper gehe . . . es war die Abschiedsvorstelluug von Lais . . . Du weißt, Du und die Musik, Ihr seid meine einzigen Leidenschaften! Warum warst Du nicht dabei? wie gut hättest Du Dich unterhalten!«

Carmelite machte eine unbeschreibliche Bewegung mit den Augenbrauen.

»Ich war nicht dort,« sagte sie.

»Nein, Du warst hier, meine arme Geliebte; doch das ist Deine Schuld: Du wolltest nicht mitgehen.«

»Ja, es ist meine Schuld, ich beklage mich auch nicht.

»Und statt Dich zu belustigen, hast Du Dich doch gelangweilt!«

»Nein, ich habe auf Dich gewartet.«

»Höre, Du bist ein Engel!« rief Camille.

Und er küßte Carmelite aufs Neue voll Leidenschaft.

»Sie ließ ihn fast zerstreut machen.

Ueber dem Kopfe des vor ihr knieenden jungen Mannes betrachtete sie ihren Rosenstock, der nur noch einige bleiche, kränkliche Blumen hatte, – die letzten.

Eine derselben fing sogar an sich zu entblättern, und Carmelite sah ihre Blätter eines nach dem andren mit einer tiefen Schwermuth fallen.

Carmelite fühlte wohl, daß seine Worte abglitten, ohne einzudringen; er blieb beharrlich und kam auf die Einzelheiten zurück, die seiner Erzählung Wahrscheinlichkeit geben sollten.

Carmelite hatte am Ende den Sinn der Worte verloren und hörte nur noch das Geräusch derselben.

Sie lächelte, sie machte Zeichen mit dem Kopfe, Sie antwortete einsylbig; doch sie wußte ebenso wenig, was sie antwortete, als was Camille sagte.

Es schlug zwei Uhr; Carmelite schauerte.

»Zwei Uhr?« rief sie. »Sie sind müde; ich bines auch, mein Freund; gehen Sie in Ihr Zimmer und lassen Sie mich allein. Morgen werden Sie mir Alles sagen, was Sie mir noch zu sagen haben; ich weiß, daß Ihnen nichts Unaugenehmes begegnet ist, und ich bin glücklich.«

Camille war es seit einigen Minuten unbehaglich: er wußte nicht mehr, wie er hinauskommen, wie er bleiben sollte.

Er schien indessen betrübt über die Worte von Carmelite.

»Du schickst mich fort, Böse?« sagte er.

 

»Wie?« fragte das Mädchen.

Gut! gut!« erwiderte Camille, »ich sehe, daß Du mir mir schmollst.«

»Ich?« entgegnete Carmelite; »und warum sollteich mit Dir schmollen?«

»Ei! was weiß ich? Eine Laune!«

»In der That,« sprach Carmelite mit einem traurigen Lächeln, »vielleicht bin ich launenhaft, Camille; doch ich werde diesen Fehler abzulegen suchen . . . Morgen also!«

Camille umarmte zum letzten Male Carmelite, die seinen Kuß empfing, wie es eine Marmorstatue gethan hätte, und ging hinaus.

Kaum hatte sie die Thüre sich hinter ihm schließen sehen, als das Wort, das in Anwesenheit des jungen Mannes nicht aus ihrem Munde hervorgehen konnte, ihm nun, da er abwesend, entschlüpfte.

»Ich ersticke!« sagte sie.

Und sie öffnete wieder das Fenster und stützte sich mit dem Ellenbogen auf das Gesims, wie sie es Camille erwartend gethan hatte.

Hier blieb sie unbeweglich bis zum Tage. Bei den ersten gräulichen Strahlen des Morgens, welche niederfielen, schauerte sie, und als ob sie jetzt erst die Stunde wahrgenommen hätte, schlug sie ihre schönen Augen zum Himmel auf, seufzte und legte sich zu Bette

Das war die erste Wolke, die am Himmel der zwei jungen Leute hinzog.

Camille hatte Carmelite gesagt, er habe nur die Hälfte der Einkäufe gemacht.

Er hatte sie gar nicht gemacht, wenn man sich der Verwendung seiner Zeit erinnern will.

Es war also dringend, nach Paris zurückzukehren.

Er kehrte dahin zurück.

Diesmal waren die Einkäufe vollständig: nichts brachte Camille von seinem Entschlusse ab.

Er kam auch frühzeitig wieder nach Hause.

Carmelite erwartete ihn nicht am Fenster; sie ging im Garten auf und ab; in dem Garten, wo der leere Pavillon von Colombau stand.

Uebrigens wurden von diesem Tage an die Abwesenheiten von Camille immer häufiger, und die Nachsicht, sagen wir mehr, die Gleichgültigkeit von Carmelite ermuthigte ihn nur, statt ihn zurückzuhalten.

allmählich wurden seine Gänge nach Paris so zahlreich, daß seine Anwesenheit im Hause eine Ausnahme war.

An einem Tage war es ein Gang nach dem Marsfeld, an einem andern Tage die erste Vorstellung einer Oper, an einem dritten ein Hahnenkampf an der Barrière. Wohl sagte Camille jedes Mai zu Carmelite: »Willst Du mit mir gehen, Geliebte?« doch jedes Mal antwortete Carmelite: »Ich danke.«

Und Camille ging allein.

Eines Morgens, während einer seiner Adrdesenheiten, klingelte man an der Thüre.

Carmelite hörte die Glocke, doch das war ein Getöne, das sie nicht mehr schauern machte.

Als man indessen zum zweiten Male klingelte, richtete sie den Kopf auf und legte ihre Stickerei nieder; sodann, da die Gärtnerin zu öffnen zögerte, trat sie auf Fenster, that den Vorhang ein wenig auseinander und schaute, wer klingelte.

Carmelite stieß einen Schrei der Ueberraschung, fast des Schreckens aus: es war Colombau.

Sie wäre beinahe rückwärts gefallen.

Sie lief auf den Ruheplatz; die Gärtnerin, welche aus der Tiefe des Gartens kam, trat in den Corridor.

»Nanette,« rief Carmelite, »führen Sie diesen Herrn in den Gartenpavillon und sagen Sie ihm nicht, daß ich hier bin.«

Dann schloß sie ihre Thüre wieder, drehte den Schlüssel um, schob ganz zitternd den Riegel vor, und setzte sich oder fiel viel mehr auf ihr Canapé.

Es war Colombau.

Colombau hatte Camille mit seiner gewöhnlichen Regelmäßigkeit geschrieben; da aber Camille seit der Abreise des Bretagners keinen Fuß mehr in dies Rue Saint-Jacques gesetzt hatte, so waren die Briefe von Colombau bei Maria Jeanne geblieben.

Hierdurch kam es, daß der sorglose Camille, da er keine Briefe erhalten, es nicht für nötig erachtet hatte, an seinen alten Callégekameraden zu schreiben.

Überdies entfernte er, so viel in seiner Macht lag, das Andenken an Colombau von sich.

Colombau, das war die verrathene Freundschaft, das verletzte Versprechen, das war der Gewissensbiß.

Dieses Stillschweigen hatte Colombau beunruhigt, so wenig argwöhnisch er war.

Das Gemüth des strengen Bretagners hatte sich auch, – er bildete es sich wenigstens ein, – unter den wilden Schönheiten seiner Heimath gestählt.

Er glaubte von den Peulven25 von Carnac ihre Härte, von dem armericanischen Felsgestade seinen Widerstand entlehnt zu haben.

Eines Tags hatte er sich gesagt: »Ich bin geheilt;ich will meine Rechtsstudien wieder aufnehmen. Dann werde ich sehen, was Camille und Carmelite machen.«

Und da er diese zwei Namen aussprechend mit den Lippen gelächelt hatte, so bildete er sich ein, er habe mit dem Herzen gelächelt.

Er war also abgereist, da er sich Sieger glaubte.

Sein vermeintlicher Sieg war eine Niederlage; nur täuschte er sich selbst, und Gott allein kannte das Geheimnis seiner Schwäche.

Er kam nach Paris und nahm einen Wagen, um rascher in der Rue Saint-Jacques zu sein.

Es war sieben Uhr Morgens; er würde Camille im Bette finden.

Camille war träge wie ein Creole.

Carmelite würde aufgestanden sein; er erinnerte sich, daß sie mit den Vögeln erwachte und, wie sie, den, ersten Schimmer des Tages, den ersten Strahl der Sonne besang.

Er kam mit klopfendem Herzen und entflammter Stirne nach der Rue Saint-Jacques.

Marie Jeanne sah ihn aus dem Wagen steigen.

»Ah! da ist Herr Colombau!« sagte sie. »Wohin gehen Sie denn, Herr Colombau?«

Colombau blieb plötzlich stehen und erwiderte:

»Wohin ich gehe? Ei! zu mir, zu Camille.«

»Ah! wohl! Herr Camille ist vor vielen Tagen ausgezogen.«

»Ausgezogen?« wiederholte Colombau.

»Ja, ja, ja.«

»Und . . . «

Colombau zögerte.

»Und Carmelite?« fragte er mit einer Anstrengung.

»Oh! ebenfalls ausgezogen.«

»Wohin sind sie denn gegangen?« fragte Colombau.

»Ah! der Mann wird Ihnen das sagen: er weißes, glaube ich; sodann auch Mademoiselle Chante-Lilas, die Wäscherin.«

Colombau lehnte sich an die Wand an, um nicht zu fallen.

»Gut!« sagte er. »Geben Sie mir den Schlüssel von meinem Zimmer.«

»Den Schlüssel von Ihrem Zimmer?« versetzte Marie-Jeanne; »wozu?«

»Wozu verlangt man den Schlüssel von seinem Zimmer?«

»Man verlangt den Schlüssel von seinem Zimmer, um in seine Wohnung zu gehen; doch Sie haben keine Wohnung mehr hier.

»Wie so?« fragte der Bretagner mit erstickter Stimme.

»Weil Sie auch ausgezogen sind.«

»Ich, ich bin auch ausgezogen? Sind Sie toll?«

»Nein, ich hin nicht toll. Sie können hinaufgehen, wenn Sie wollen: es ist kein einziges Meuble mehr in Ihrem Zimmer: Herr Camille hat Alles mitgenommen und gesagt, Sie werden mit ihnen wohnen.«

»Mit ihnen?« wiederholte Colombau.

Und eine Feuerwolke zog über seine Augen hin.

»Aber da ich mit ihnen wohnen soll, so muß ich Doch wenigstens wissen, wo sie wohnen,« sagte er.

»Ei! ich glaube, in Meudon,« erwiderte Marie Jeanne.

Der junge Mann, der seinen Wagen noch nicht bezahlt hatte, stieg mit seinem Felleisen wieder ein und rief dem Kutscher zu:

»Nach Meudon!«

Anderthalb Stunden, nachdem er diese zwei Worte gesprochen, war Colombau in Meudon.

Doch man erinnert sich, daß Camille im Bas-Meudon wohnte.

Colombau ging mit seiner Geduld und seiner bretagnischen Hartnäckigkeit von Thüre zu Thüre, ohne zu ermüden.

Beim letzten Hause sagte man ihm, die jungen Leute wohnen ohne Zweifel im Bas-Meudon.

Colombau fuhr nach dem Bas-Meudon.

Im Bas-Meudon erhielt erhielt positivere Auskunft; man bezeichnete ihm das Haus; er klingelte ein erstes und dann ein zweites Mal.

Carmelite schaute, wie wir erwähnt, durch das Fenster, erkannte Colombau und befahl Nanette, nicht von ihr zu sprechen und Colombau in den Pavillon zu führen.

21Maßliebe.
22Gräfin von Waschbläuel.
23Taubenhaus.
24Schlagschwärmer.
25Druidische Denkmäler.