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Die Mohicaner von Paris

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L
Derjenige, welcher zurückkommt

Als Nanette Colombau die Thüre öffnete, war er fast so bleich als Carmelite.

Er wollte nach Carmelite fragen, doch seine Stimme erstarb auf seinen Lippen.

»Zu Herrn von Rozan, nicht wahr?« fragte Nanette, ihm zu Hilfe kommend.

»Ja,« flüsterte Colombau.

»Er ist nicht hier, mein Herr,« erwiderte Nanette.

Und sie setzte sich in Marsch, gefolgt von Colombau, den sie geraden Weges nach dem Gartenpavillon führte.

Carmelite, nachdem sie die Hausthüre hatte öffnen und wieder schließen hören, stand auf; sie zog ihre Riegel zurück, drehte ihren Schlüssel, öffnete wieder die Thüre ihres Zimmers, schlich auf den Fußspitzen hinaus;und schaute durch das Fenster des Corridors, der auf den Garten ging.

Colombau folgte Nanette nicht mehr; er schritt ihr Voran.

Es drängte ihn, zu Camille zu kommen und eine Erklärung von ihm zu verlangen.

Er öffnete die Thüre des Pavillon.

Der Pavillon war leer.

Er wandte sich gegen Nanette um und fragte:

»Wohin führen Sie mich?«

»Ei! in Ihre Wohnung, mein Herr,« antwortete die Gärtnerin.

»In meine Wohnung?«

»Ja; sind Sie nicht der Freund, den Herr Camille von Bretagne erwartet?«

»Camille erwartet mich?«

»Seit zwei Monaten.«

»Und wo ist Camille?«

»Er ist in Paris?«

»Es Wird aber heute zurückkommen?«

»Das ist wahrscheinlich.«

»Geht er oft nach Paris?«

»Fast alle Tage.«

»Ah! das ist es,« murmelte Colombau; »er hat hier sein Quartier, doch sie wohnt in Paris; Camille hat wohl befürchtet, sie zu compromittiren, nicht nur, wenn er in demselben Hause, sondern sogar, wenn er in demselben Stocke wie sie wohne. Der liebe Camille, ich hatte ihn schlecht beurtheilt . . . Ah! ich bin böse!«

Und er wandte sich an Nanette und sagte zu ihr:

»Ich will Camille hier erwarten; sobald er zurückkehrt, werden Sie ihn von meiner Ankunft benachrichtigen.«

Nanette nickte bejahend mit dem Kopfe und entfernte sich.

Als Colombau allein war, schaute er rings umher und strich dann mit der Hand über die Augen: er glaubte das Spielzeug eines Blendwerks zu sein.

Es war sein Zimmer, sein Zimmer von der Rue Saint-Jacques, ganz und gar in einen reizenden Garten versetzt!

Dieselben Meubles, dieselbe Tapete, er fand Alles hier wieder, wie durch Zauber, Alles von seinem Codex, – welcher auf seinem Nachttische, bei seinem Handleuchter,liegend gerade bei der Stelle aufgeschlagen war, wo er drei Monate vorher das grüne Merkzeichen eingelegt hatte, – bis auf die kleinen Kübel von Rosenstöcken welche vor seinem Fenster grünten!

Dieses Zimmer, das war ein Gewissensbiß von Camille, der sich ein Verbrechen von Colombau verzeihen zu lassen hatte.

Camille sah darin nur eine zarte und zärtliche Aufmerksamkeit seines Freundes.

Nur war für ihn dieses Zimmer voll von düsteren Erwartungen.

Nichts ist trauriger wiederzusehen mit einem zerrissenen Herzen und Augen in Thränen, als die Gegenstände, die man in glücklichen Zeiten gesehen hat.

Während er seinem Freunde eine freudige Ueberraschung zu bereiten glaubte, war es nicht ein Henkerswerk, was Camille dadurch vollbrachte, daß er Colombau nötigte, im Sterbezimmer seiner ersten Illusionen zu wohnen?

Wie in jener Nacht, wo sich die Abwesenheit von Camille bis um ein Uhr Morgens verlängerte, Carmelite gesagt hatte: »Ich ersticke!« so wiederholte auch Colombau: »Ich ersticke!« und er eilte, Luft suchend, in den Garten. Carmelite hatte ihr Fenster nicht verlassen: sie sah ihn aus dem Pavillon herauskommen, oder vielmehr heraufspringen.

Sie drückte ihre Hand auf ihr Herz und warf ihren Kopf zurück: die Arme war einer Ohnmacht nahe.

Als sie ihre Augen wieder öffnete und sie nach dem Garten lenkte, saß Colombau auf einer Bank, den Kopf in seinen Händen, ganz in derselben Stellung, in der sie Camille erwartend vier Stunden lang geblieben.

Er blieb auch vier Stunden wartend, wie Carmelite geblieben war. Plötzlich hörte man das Rollen eines Wagens, der vor der Thüre hielt; dann ertönte die Klingel kräftig unter einer von jenen Erschütterungen, in denen man leicht die Hand des Herrn erkennt.

Diesmal war Nanette an ihrem Posten und öffnete schleunigst.

Ohne Zweifel meldete sie Camille, Colombau sei angekommen; denn statt in den ersten Stock hinaufzugehen, durchschritt Camille den Corridor und erschien im Garten.

Er suchte Colombau mit den Augen, sah ihn auf seiner Rasenbank sitzen und ging gerade auf ihn zu.

Colombau, der seine Stirne in seinen Händen hielt, sah ihn nicht.

Beim Geräusche der Tritte schaute er indessen empor und erblickte Camille vor sich.

Er gab einen Schrei von sich und war in weniger als einer Secunde in seinen Armen.

Carmelite beobachtete Alles dies durch ihren Vorhang.

Nichts störte bei Colombau die Freude, die es ihm bereitete, seinen Freund wiederzusehen; er glaubte Camille im Bas-Meudon, Carmelite in Paris.

Die zwei jungen Leute kamen Arm in Arm nach dem Hause zurück.

Carmelite, als sie dieselben sich nähern sah, ging ganz zitternd in ihr Zimmer, dessen Riegel sie zum zweiten Male verschob.

Camille zeigte seinem Freunde das ganze Haus, das Zimmer ausgenommen, wo sich Carmelite befand.

Der Bretagner war nicht erstaunt über den ein wenig weibischen Luxus der Ausschmückung der Wohnung: er kannte den Geschmack von Camille.

Nachdem das ganze Haus, mit Ausnahme des Zimmers von Carmelite, besichtigt war, führte der Creole seinen Freund vor die Geheimnisvolle Thüre, an der Beide zwei- bis dreimal, ohne daß sie sich öffnete, vorübergegangen waren.

Hier hielt er Colombau an.

»Den Hut in die Hand!« sprach Camille.

»Warum?« fragte der Bretagner.

»Hier ist das Allerheiligste!«

Was willst Du damit sagten?«

»Höre,« erwiderte Camille mit dem ihm eigenthümlichen halb spöttischen, halb ernsten Tone; »ich hatte nur sehr unbestimmte oder, wenn Du lieber willst, sehr entschiedene Ideen über die Religion: Jeder betet den Gott seiner Wahl an; ich weiß nicht, warum ich es anders machen sollte, als die übrige Welt.«

»Worauf zielst Du ab, und was für ein Zimmer ist dies? fragte Colombau. »Vollende!«

»Das ist dar Tempel der Göttin des Schönen, des Guten, des Großen, eine Art von Pan Hermaphrodit, zugleich an der Frau durch ihre Schwäche und ihre Schönheit, am Manne durch den Muth und, die Stärke Theilhabend. Dieses Zimmer Colombau, enthält das Wesen, das ich über Alles in der Welt anbete; das menschliche Geschöpf, das ich der Gottheit gleich verehre! Neige Dich also und wie ich Dir gesagt habe, entblöße Dein Haupt, indem Du über diese Schwelle trittst; denn es ist gewiß nie einem Sterblichen vergönnt gewesen, das Gesicht eines verehrteren Idols zu betrachten.«

Carmelite hörte von ihrem Zimmer aus Alles, was Camille sagte; sie stand auf, bleich, aber entschlossen, wie sie es bei den großen Veranlassungen war, ging gerade auf die Thüre zu, und in dem Augenblicke, wo Camille die Hand an den Knopf legen wollte, um zu öffnen, öffnete sie selbst.

Colombau, als er das Mädchen erblickte, wäre beinahe rückwärts gefallen.

»Treten Sie ein, mein Freund!« sagte Carmelite einfach.

»Nun, was hast Du denn?« fragte Camille, die Bangigkeit seines Herzens unter dieser Heiterkeit verbergend, welche bald seine Maske, bald sein Gesicht war; »erkennst Du Carmelite nicht mehr? Dann will ich Euch einander vorstellen . . . Mademoiselle Carmelite Gervais, der Herr Vicomte von Penhoël . . . der Herr Vicomte von Penhoël, Mademoiselle Carmelite Gervais.«

Die zwei jungen Leute schauten sich an, Colombau betäubt vor Erstaunen, Carmelite unbeweglich vor Scham!

»Ei! so umarmt Euch doch!« rief Camille; »wer Teufels hält Euch denn zurück? . . . Wollt Ihr, daß ich einen Gang im Walde von Meudon mache?«

Diese, im Grunde freundschaftliche, in der Form aber beleidigende Aufforderung brachte eine ganz verschiedene Wirkung auf Carmelite und Colombau hervor: das Mädchen erröthete bis aus Weiße der Augen; das Gesicht des Bretagners überzog sich mit einer Todesblässe.

Beide wichen einen Schritt zurück.

Was Carmelite erröthen und zurückweichen machte, das war die verletzte Achtung vor der Frau, die beleidigte Scham: ein verächtliches Lächeln schwebte über ihre Lippen.

Was Colombau erbleichen und zurückweichen machte, das war die verrathene Treue, es waren die mit Füßen getretenen heiligen Versprechungen der Freundschaft: eine Wolke des Schmerzes bedeckte seine Stirne.

Die Verlegenheit war grausam für Beide.

Carmelite machte ihr dadurch ein Ende, daß sie dem Bretagner offenherzig und liebreich ihre Hand reichte.

Dieser, – in Erinnerung an die bleiche zarte Hand, die er eines Tags auf dem Bette von Carmelite, welche am Fieber darnieder lag, hatte hervorkommen sehen, – gab sogleich die seinige, und die zwei redlichen Hände verketteten sich ganz schauernd auf das Engste.

»Ah! was für seltsame Manieren habt Ihr denn da?« sagte Camille; »seit wann umarmt denn der Freund die Frau seines Freundes nicht?«

Colombau erhob des Haupt und schaute Camille mit einem strahlenden Blicke an. »Deine Frau?« rief er voll Freude, – denn vor dem erfüllten Versprechen vergaß er Alles; – »Deine Frau?« wiederholte er mit Thränen in den Augen, ohne die Unruhe zu bemerken, in die seine Worte Carmelite versetzten.

»Oder beinahe,« sagte Camille; ich erwartete nur Deine Rückkehr, um unsere Heirath in Ordnung zu bringen.« »Ah!« machte Colombau kalt.

»Dann sprach er mit einer Miene, welche nicht ganz von einer Drohung frei war.

»Nun wohl, hier bin ich!« »Auf, auf!« rief Camille, den Faden zerreißend, den Colombau angeknüpft hatte; »wenn Du sie nicht aus Liebe für sie umarmst, so umarme sie mir zu Liebe.«

 

Colombau näherte sich Carmelite, verbeugte sich ehrfurchtsvoll und sagte:

»Wollen Sie mir erlauben, Mademoiselle?«

»Madame, Madame,« rief Camille.

Wollen Sie mir erlauben, Sie zu umarmen, Madame?« wiederholte Colombau.

»Oh! von ganzem Herzen!« rief Carmelite, die Augen zum Himmel aufschlagend, als wollte sie ihn zum Zeugen der Wahrheit ihrer Worte nehmen: »und Gott, der mich hört, weiß, daß ich Ihnen aus der tiefsten Tiefe meines Herzens dieses Zeichen der Zuneigung gebe.«

Hiernach umarmten sich die zwei jungen Leute erröthend.

»Nun, wie todt seid ihr!« sagte Camille lachend.

»Mein Gotti wie einfältig seid ihr Beide! Ist es nicht ausgemacht, daß wir drei fortan nur eins, höchstens zwei sein werden?«

»Es ist gut,« erwiderte Colombau; »doch ehe ich diese reizende Einladung annehme, wünschte ich mit Ihuen zu reden.«

»Mit Ihnen!« wiederholte der Creole; »Teufel! das ist ernst!«

»Sehr ernst!« versetzte Colombau.

»Bist Du dabei?« fragte Camille Carmelite.

»Nein,« erwiderte Colombau, »Mademoiselle wird in ihrem Zimmer bleiben, während wir zu Dir gehen.«

»Gehen wir zu mir,« sagte Camille.

Und er öffnete die Thüre der von Carmelite gegenüber.

Der Bretagner folgte ihm, nachdem er Carmelite einen Blick zugeworfen, der besagen wollte: »Seien Sie unbesorgt, mit Ihnen will ich mich beschäftigen.«

Sie lächelte traurig, seufzte und kehrte in das Innere ihres Zimmers zurück.

»Nun,« fragte Camille, indem er sich in einen Lehnstuhl warf und zu wechseln suchte, wie man in der Jägersprache sagt, »wie hast Du Deinen Pavillon gefunden?«

»Reizend!« erwiderte Colombau, »und ich danke Ihnen für diese liebevolle Erinnerung; doch ich werde nie einwilligen, in diesem Pavillon zu wohnen.«

»Und warum nicht?«

»Weil ich weder der Mitschuldige Ihrer Fehler, noch der Schild Ihrer schlimmen Leidenschaften sein will.«

»Colombau!« rief Camille, die Stirne faltend.

»Ob! wir werden uns sogleich erzürnen, Camille, wenn Sie wollen; vorher lassen Sie mich Ihnen aber sagen, was ich Ihnen vorzuwerfen habe . . . Sie hatten mir geschworen, – und das war eine der Bedingungen meiner Abreise, – Carmelite zu achten wie Ihre Frau, und Sie haben Ihr Versprechen schändlich verletzt! Von diesem Tage an, Camille, besteht eine Kluft zwischen uns: die, welche ein redliches Herz von einem meineidigen Herzen trennt, und ich werde keinen Augenblick länger hier bleiben.«

Diese Worte sprechend, machte Colombau einen Schritt gegen die Thüre.

Camille versperrte ihm aber den Weg und hielt ihn zurück.

»Höre,« sagte er zu ihm, »so wahr,als Du mein einziger Freund bist, – und ich wäre sehr unglücklich, wenn es sich andere verhielte! – so wahr als ich gern für Dich die Hälfte von dem gethan haben möchte, was Du für mich gethan hast, ich liebe, ich verehre Carmelite, ich bete sie an, und es hat nicht von mir allein abgehängt, meinen Schwur zu halten.«

Colombau lächelte mit Verachtung.

»Nun wohl, ich berufe mich auf sie selbst,« fuhr Camille fort. »Höre sie, befrage sie; Du wirst es hoffentlich auf sie ankommen lassen? Frage sie, ob ich es je durch irgend ein Mittel versucht habe, nicht allein sie zu verführen, sondern sie nur auf die Probe zu stellen; frage sie, ob wir nicht Beide unwillkürlich, verhängnisvoller Weise durch die Geheimnisvollen Kräfte einer glühenden Sommernacht hingerissen worden seien; frage sie, ob wir nicht, wie zwei gerade durch ihre Unschuld verrathene Kinder, Beide die Gelegenheit angenommen haben, ohne sie zu suchen? . . . Du, der Du Deiner Leidenschaft zu gebieten weißt, Du, der Du eine Willensmacht besitzest, welche die menschlichen Kräfte übersteigt, Wärest vielleicht nicht unterlegen; ich aber, schwach wie Du mich kennst, mein Freund, fühlte um mich der, ohne sie zu rufen, tausend Begierden fliegen, denen ähnlich, Welche ich in meinem Herzen verschloß, und die aus dem Herzen von Carmelite entflogen; ich that meine Augen zu, – die ganze Welt verschwand für mich! Kannst Du darum sagen, Colombau, ich sei ein treuloses Herz, ein unredlicher Mensch? Nein, denn so wahr ich Camille von Rozan heiße, wird Carmelite zu der Zeit, die Du selbst bestimmen sollst, meine Frau sein. Du begreifst, ich wollte Dir Alles dies nicht schreiben: das wäre eine endlose briefliche Diskussion gewesen; nun da Du aber hier bist, ist es, wie gesagt, Deine Sache, den Hochzeitstag festzusetzen.«

Colombau blieb einen Augenblick nachdenkend.

»Ist es die Wahrheit, was Du mir da sagst?« fragte er Camille starr anschauend.

»Bei meiner Ehre!« antwortete der junge Mann, indem er seine Hand auf seine Brust legte.

»Wenn es sich so verhält, so bleibe ich,« sprach Colombau; »denn ich werde immerhin einen redlichen Menschen zum Freunde haben. Was die Zeit der Heirath betrifft, so ist es an Dir, sie zu bestimmen, und natürlich: je eher, desto besser.«

»Heute schon, hörst Du, Colombau, heute schon schreibe ich meinem Vater; ich bitte ihn, mir die für meine Heirath nötigen Papiere zu schicken, und in sechs Wochen können wir das Aufgebot verkündigen.«

»Setzen wir zwei Monate, um nichts zu übereilen . . . Bist Du aber auch der Einwilligung Deines Vaters sicher?«

»Warum sollte sie mir mein Vater verweigern?«

»Dein Vater ist reich, Camille, und Carmelite ist arm!«

»Die Tugend von Carmelite wird ihre Mitgift in den Augen meines Vaters sein«

»Unglücklicher Verschwender!« hatte Colombau große Lust auszurufen. »Du hast diese Mitgift zum Voraus verzehrt!«

»Sollte sich aber Dein Vater dennoch, gegen alle Deine Wünsche, Deiner Heirath widersetzen?« sagte er.

»Das ist unmöglich, lieber Freund!«

»Nimm es einen Augenblick an, so unmöglich es zu sein scheint. Was würdest Du thun?«

»Ich bin vierundzwanzig Jahre alt: ich würde meine Volljährigkeit abwarten und Carmelite trotz meines Vaters heirathen.«

»Es ist ein trauriges Ding um die Empörung eines Sohnes gegen seine Eltern; doch es ist etwas noch viel Traurigeres, ein Mädchen entehrt zu haben und ihm seine Ehre nicht wiedergeben . . . Schreibe, also diesen Brief, schreibe ihn als ehrfurchtsvoller Sohn, zugleich aber als entschlossener Mann; die Packetbote gehen am 5., 15. und 25. jedes Monats ab; übermorgen ist der 15., Du hast daher keine Minute zu verlieren.«

»Und Du bleibst?« fragte Camille.

»Ich bleibe,« antwortete Colombau.

Und er legte auf dem Tische von Camille eine Feder und Papier bereit und fügte bei:

»Ich erwarte Deinen Brief im Pavillon.

»Dann ging er fast freudig über die Redlichkeit seines Freundes hinab.

LI
Derjenige, welcher geht

Eine Viertelstunde nach Colombau trat Camille in den Pavillon, ein halb beschriebenes Blatt in der Hand haltend, ein.

»Ist es schon gemacht?« fragte Colombau erstaunt.

»Nein,« erwiderte Camille; »im Gegentheil, ich habe kaum angefangen.«

Colombau schaute ihn wie ein Richter an, der verhört.

»Oh! eile nicht, mich zu verurtheilen!« sagte Camille. »Bei den ersten Worten sind mir Deine Bemerkungen in Betreff der Einwilligung meines Vaters wieder eingefallen, und sie dünkten mir wahrscheinlicher, als ich sie Anfangs gefunden hatte.«

»Was liegt Dir daran, da Dein Entschluß fest gefaßt ist?« versetzte der Bretagner.

»Das ist wahr; doch ich denke an die Briefe, die wir werden wechseln müssen, ehe wir zum Ziele kommen. Nie habe ich gehofft, die Einwilligung meines Vaters auf meine erste Bitte zu erlangen; wir müssen also streiten, parlamentiren; die Tage werden vergehen, unsere Ungeduld wird zunehmen.«

»Wie soll man es anders machen?«

»Ich glaube das Mittel gefunden zu haben.«

»Nenne es.

»Ich muß selbst gehen und meinen Vater um Erlaubniß, zu heirathen, bitten.«

Der Bretagner heftete seinen starren Blick auf Camille.

Dieser hielt den Blick seines Freundes aus, ohne die Augen niederzuschlagen.

»Du hast Recht, Camille,« sprach Colombau, »und was Du vorschlägst, ist die Sache eines ehrlichen Mannes – oder eines treulosen Schurken!«

»Ich hoffe, Du zweifelst nicht an mir?«

»Nein.«

»Du begreifst, in drei Tagen inständigen mündlichen Bittens erlange ich mehr von meinem Vater, als in drei Monaten brieflichen Drängens und Bestürmens.«

»Ich denke das wie Du.«

»Drei Wochen hin, drei Wochen her, vierzehn Tage, – um meinen Vater zu bestimmen: das ist eine Sache von zwei Monaten.«

»Du bist die eingefleischte Logik und Vernunft geworden, Camille.«

»Die Vernunft kommt mit dem Alter, mein guter Colombau . . . Leider . . . «

»Was?«

»Oh! das ist ein fast unausführbarer Plan.«

»Wie so?«

»Ich kann Carmelite nicht mitnehmen.«

»Natürlich.«

»Andererseits kann ich sie nicht hier lassen.«

»Was hindert Dich daran??«

»Ein Mädchen allein, den Beleidigungen der Nachbarn und der Vorübergehenden ausgesetzt!«

Colombau faltete die Stirne und entgegnete:

»Glaubst Du denn, ich werde Carmelite beleidigen lassen?«

»Du willst also über sie wachen?«

Colombau lächelte.

»Wahrhaftig,« sagte er, »ich glaubte, Du kennst mich besser.«

»Du wirst unter demselben Dache mit ihr bleiben?«

»Allerdings.«

»Colombau,« rief Camille, »wenn Du dies thust, so wird mein ganzes Leben nicht hinreichen, um diesen Beweis von Freundschaft anzuerkennen.«

Undankbarer!« murmelte der Bretagner.

»Nein, Colombau nein, ich bin kein Undankbarer; doch ich kenne Deine Empfindlichkeit bei solchen Materien: ich befürchtete, Dich zu verletzen, wenn ich Dir anbiete, Du mögest allein bei einem jungen Mädchen in einem vereinzelten Hause wohnen.«

»Habe ich nicht drei Monate allein mit Carmelite gewohnt, ehe sie Dich kannte?«

»Ja, doch ehe sie mich kannte, wie Du sagst . . . «

»Und warum sollte mich der Gedanke, die Frau meines Bruders, meine geheiligte Schwester zu bewachen, verletzen? wolltest Du auf meine frühere Liebe für Carmelite anspielen?«

Colombau!«

»Hältst Du mich für fähig, zum Verräther an einem Schwure zu werden?«

»Ich halte Dich für fähig, eher zu sterben! und Deine Größe macht mich sehr klein . . . Oh! ja, ja, ich bin schlecht, und Du bist gut, und Du hast besonders die Treue des Molosses, wie Du seine Stärke und Ergebenheit besitzt . . . Ich weiß, daß Du das Leben von Carmelite besser vertheidigen wirst, als Du das meinige vertheidigen würdest, und das meinige besser, als ich das Deinige vertheidigen würde; ich habe also keine Furcht; Dich hier wissend, würde ich die Reise um die Welt machen, wäre ich gezwungen, sie zu machen.«

»Dann setze Carmelite von Deinem Vorhaben in Kenntniß.« sprach Colombau; »Du begreifst, daß ich nicht ohne ihre Beistimmung annehmen werde . . . Würde sie mich zurückweisen,, so könntest Du immer noch in voller Sicherheit abreisen, ich würde ein Zimmer ihrem Hause gegenüber miethen . . . neben ihrem Hause, wenn nicht gegenüber, und sie wäre ebenso sehr vor Beleidigungen geschützt, als wenn ich gegenwärtig . . . Unterrichte sie also rasch, denn Du hast nicht mehr Zeit zu verlieren, als da es ein Brief war, der abgehen sollte, und nicht Du.«

Camille gehorchte, ohne ein Wort zu sagen.

Schauernd empfing Carmelite die Kunde, die er ihr brachte.

Sie machte indessen keine Einwendung, setzte keinen Widerstand entgegen.

Sie hörte den Vorschlag an, betrachtete Camille mit einer Miene unbeschreiblichen Erstaunens, und ohne sich genau die seltsame Gemüthsbewegung, die ihr diese Kunde verursachte, zu analysieren, fühlte sie instinctartig die ganze Niedrigkeit von Camille, die ganze Größe von Colombau.

Der Bretagner schien ihr so erhaben, daß er in ihren Augen, wie ein Riese, so zu sagen, die Ferse auf der Stirne des Zwerges hatte, den er seinen Freund nannte.

Die einzige Veränderung, welche bei diesem Projecte eintrat, war, daß man die Abreise auf den 23. des Monats October verschob.

Das Packetboot der Colonien gingt wie gesagt, am 25. ab; man hatte also zehn Tage bis dahin zuzubringen.

Colombau erzählte das strenge, fast klösterliche Leben, das er im Thurme von Penhoël, am Ufer des brausenden Meeres umherschweifend, oder am Bette seines Vaters sitzend, dem er die Odyssee vorgelesen, geführt hatte.

Carmelite entdeckte Colombau die Schätze musikalischen Wissens, die sie während der langen Abwesenheit des Bretagners und der häufigen Abwesenheiten von Camille aufgehäuft hatte.

Camille suchte die Heiterkeit der früheren Abende zurückzurufen; doch abgesehen davon, daß die der Abreise nahen Stunden nur voll der Besorgnisse und des Leibes sein konnten, war zwischen diesen drei Personen ein Gespenst mit drei Gesichtern.

 

Für Camille war es das Gewissen.

Für Colombau war es der Zweifel.

Für Carmelite war es die Entmuthigung.

Dieses Gespenst schwebte unablässig über ihren Häuptern, oder schritt ernst und düster an ihnen vorüber während der traurigen, melancholischen Abende, welche bis zur Abreise von Camille verliefen.

Es gab zuweilen Augenblicke dumpfer Ungeduld, worüber sie selbst erschraken; man hätte glauben sollen, Leuten ähnlich, welche parlamentiren in dem Momente, Wo sie eine Gefahr laufen, haben sie Eile, sich zu verlassen, da sie sich früher oder später verlassen mußten.

Man kam zum 23. Oktober in dieser traurigen Gemüthsverfassung.

Es war verabredet, Colombau werde Camille bis zur Diligence führen, welche von Paris um zehn Morgens abgehen und folglich auf der Straße von Versailles um elf Uhr passieren sollte.

Der Bretagner that in dieser Nacht kein Auge zu; um sechs Uhr war er, das Erwachen den Camille erwartend, auf.

Um acht Uhr trat er in sein Zimmer ein.

»Wie viel Uhr ist es?« fragte Camille.

»Acht Uhr,« antwortete Colombau.

»Oh! dann haben wir Zeite« sagt Camille; »laß mich noch eine Stande schlafen.«

Die Thüre von Carmelite war offen; sie hörte die Antwort des trägen Creolen.

»Er hat Recht,« sagte sie, »lassen Sie ihn schlafen, mein Freund.«

Colombau machte die Thüre von Camille wieder zu und trat bei Carmelite ein.

Es war, als hätte sie nicht niedergelegt: ihr Bett war kaum berührt.

»Sie sind müde, Carmelite,« sprach Colombau, seinen besorgten Blick auf das Mädchen heftend.

»Ja,« erwiderte Carmelite, »ich habe einen Theil der Nacht gelesen.«

»Und den andern Theil haben Sie geweint?«

»Ich? Nein!« sagte Carmelite, den Bretagner mit einem trockenen, fieberglühenden Auge anschauend.

Colombau neigte das Haupt und stieß einen Seufzer aus.

Sodann, obgleich er wußte, daß Alles bereit war, stand er auf und ging hinaus, unter dem Vorwande, das Gepäcke zu überwachen.

Die Wahrheit ist, daß ihm dieses Alleinsein mit Carmelite das Herz brach, und daß er der Luft und der Einsamkeit bedurfte.

Um neun Uhr kam er wieder herauf, trat in das Zimmer von Camille ein und nötigte ihn, aufzustehen.

Eine Viertelstunde nachher war der Creole im Speisezimmer, wo ihn Carmelite und Colombau erwarteten.

Diese letzten Minuten, welche der Trennung vorhergingen, waren nicht viel trauriger als die Abende der, abgelaufenen Tage.

Es ist mit der Gewißheit einer Abreise wie mit der Gewißheit des Todes; man gewöhnt sich dergestalt stufenweise an das Unglück, das droht, daß man, da man nicht mehr überrascht ist, wenn es ausbricht, unempfindlich dabei scheint; die Quelle der Tränen ist nach und nach fließend versiegt!

Der Wagen, der Camille nach der Straße führen sollte, wartete vor der Thüre. Im Augenblick des Einsteigens schaute man sich zum letzten Male an; die drei Gesichter vermengten sich, indem sie sich küßten.

Colombau und Camille weinten aber allein.

»Ich vertraue Dir mein Leben,« sagte Camille; »mehr als mein Leben, meine Seele.«

Und Camille sprach ohne Zweifel in diesem Augenblicke die Wahrheit.

»Geh! ich hafte Dir dafür vor Gott, bei meiner Seele und bei meinem Leben!« antwortete feierlich der Bretagner, indem er seine großen Augen so klar wie der Himmel, den sie anschauten, aufschlug.

Die zwei jungen Leute gingen nach der Thüre.

Colombau wandte sich um, und als er Carmelite, die Arme hängend, den Kopf auf die Brust gesenkt, einer Bildsäule der Verlassenheit ähnlich, dastehen sah, schlug er Camille vor, sie mitzunehmen, damit sie wenigstens erst im letzten Momente von ihm scheide.

Carmelite schaute Colombau mit Augen an, in denen die Dankbarkeit glänzte.

Doch sie sagte mit einem Tone, der eine tiefe Entmuthigung verrieth:

»Wozu soll es nützen?«

Camille kam zum letzten Male zurück; zum letzten Male drückte er sie an sein Herz, dann wich er fast erschrocken von ihr.

Er hatte eine Marmorstatue zu umfangen geglaubt.

Es war noch zehn Minuten bis elf Uhr: man durfte keine Zeit verlieren; Colombau zog Camille fort; Beide stiegen in den Wagen, und dieser ging im Galopp ab.

Die Thüre war offen geblieben.

»Schließen Sie die Thüre!« sagte Carmelite düster zur Gärtnerin.

Die Gärtnerin gehorchte und machte die Thüre zu, die sich geräuschvoll schloß.

Carmelite schauerte.

»Das ist die Thüre meines Grabes,« sprach sie.

Und sie stieg langsam, Stufe um Stufe, die Treppe hinauf, kehrte in ihr Zimmer zurück und fiel mehr, als sie sich setzte, auf ihr Canapé.

Woher kamen diese Entmuthigung, diese Traurigkeit, diese Kälte von Carmelite?

Von der Vergleichung, welche unwillkürlich eine ausgezeichnete Frau zwischen einem Manne wie Camille und einem Manne wie Colombau macht.

Und in der That, Colombau, – der vom Tage seiner Ankunft in den Augen von Carmelite gewachsen war, – Colombau hatte in den abgelaufenen zehn Tagen riesige Verhältnisse erreicht.

Zwischen seiner Abreise und seiner Rückkehr hatte Carmelite einen bösen Traum gemacht.

Einen Traum . . . oh! Ja! die Wirklichkeit wäre zu trostlos gewesen!

Drei Monate lang hatte sie die Geliebte eines Gecken zu sein geglaubt, der allerdings hübsch und belustigende doch ohne Adel, ohne Herz, ohne Gemüth, ohne Stärke; einer Art von geputzter, geölter, gepuderter, frisierter Puppe, welche im Ganzen genommen in Augenblicken unterhaltend, aber unwürdig der geringsten ernsten Zuneigung. Oh! das war ein entsetzlicher Traum, und dieser Americaner mit den gestreiften Halsbinden, mit den bunten Westen, mit den hellfarbigen Beinkleidern, mit den goldenen Ketten und den Rubinringen, war irgend eine Incernation des Dämons der Nacht, der sich auf die Brust der Eingeschlafenen kauert. – Alle diese Heirathspläne, diese Abreise, um sich mit einer Familie in der Tiefe Americas zu berathen, diese Drohung der Rückkehr, welche über ihr schwebte, nicht wie die Flamme der Hoffnung, sondern wie der Blitz des Schwertes, – Alles dies konnte nur der fieberhafte Traum einer Sommernacht in einem glühenden Gehirne sein!

Ja, ja, Alles dies war ein Traum!

Die Wirklichkeit war das große redliche Herz, das man Colombau nannte.

Dieser, oh! ja wohl! das war ein einfacher, ein großer, ein starker Mann, kurz ein Mann! Dieser konnte zu einer Frau sagen: »Schließe die Augen und gehe! und die Frau konnte geführt von ihm blindlings gehen; dieser konnte sagen: »Ich will nicht!« und man hätte ihm gehorcht: »Ich will!« und man hätte auf ihn gehört: »Du mußt sterben!« und man wäre gestorben.

Dieser hatte die Größe, den Adel und die Treue, die Güte und die Stärke.

Es war also dieser, welcher, seit drei Monaten abwesend, von seinem Freunde den Schatz, den er ihm anvertraut, zurückforderte.

Als aber die arme Carmelite emporschaute und um sich her alle die Gegenstände sah, welche Camille gehörten, ach! die Unglückliche! Da erkannte sie wohl, daß sie eine Frühlingsnacht hindurch dem Bretagner wie einem schönen Traume zur Seite gegangen, daß aber der Americaner die erschreckliche Wirklichkeit war.

Alle Thränen, die das weite Herz der Frau enthalten kann, entstürzten sodann in Strömen ihren Augen; sie beweinte ihren Irrthum, die entblätterte und in den Wind geworfene Blume ihrer Illusionen, ihr Glück, das verdunstet war wie ein Wohlgeruch, den man unvorsichtig in die Flamme geschleudert; sie beweinte ihr für immer gebrochenes Leben, wie man seine Mutter oder sein Kind beweint; sie rang die Hände vor Verzweiflung, sie, die keine Geberde gemacht hatte; sie beklagte sich ganz laut, sie, die keinen Seufzer von sich gegeben; sie schluchste, sie die keine Thräne vergossen; sie warf auf die Gegenstände um sie her Blicke einer von einer giftigen Schlange gebissenen Löwin; sie auf und ging mit großen Schritten, keuchend das Auge fieberglühend, in ihrem Zimmer auf und ab.

Wäre der Fluß Fenster vorbeigelaufen, sie hätte sich unfehlbar in Fluß den gestürzt.

In der That, als hätte sie einen verzweifelten Entschluß gefaßt, ging sie auf das Fenster zu und öffnete es.

Es war ein erster Stock, kaum so hoch wie ein Entresol: sie hätte sich halb getödtet, doch sie würde fortgelebt haben.

Sie machte einen Schritt rückwärts mit einem Seufzer der Wuth und des Schmerzes.

Plötzlich aber funkelten ihre Augen, ihre traurigen, von Thränen der Verzweiflung überflutheten, schönen Augen, – sie funkelten, indem sie sich auf einen Gegenstand hefteten, der sie zu entzücken schien; in denselben Blicken, wo sich eine Minute vorher der tiefste Gram malte, glänzte etwas, was einer unaussprechlichen Freude glich; eine Flamme durchzuckte ihre Thränen, wie ein Sonnenstrahl die Wolken durchzuckt, und wie im Sonnenstrahle ein auf einer Blume zitternder Thautropfen flimmert, so schoß ein Blitz der Glückseligkeit mitten durch ihre Thränen.