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Die Mohicaner von Paris

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CVII
Journale, Theater, große Männer, Publicisten, Künstler, Maler, Bildhauer, Schauspieler, Marktschreier

Sodann begannen die Wunder aus allen Seiten.

In Alencon theilte man gegen einen Sou den Bericht über das große Wunder aus, das im Sommer 1826. im Arrondissment Domfront, in Saint-Jean-des-Bois geschehen war. Dasselbe Wunder producirte sich fast zur selben Zeit in anderen Städten, in Cherbourg, zum Beispiel. Glaubwürdige Zeugen, an deren Wahrhaftigkeit zu zweifeln nicht erlaubt war, hatten fünf Blutstropfen aus dem Leibe unseres Herrn Jesu Christi herauskommen sehen.

Ein eben so merkwürdiges, wenn auch weniger wunderbares Ereigniß: der Vicar des Kirchspieles Château-Gombert, das aus dem Gebiete von Marseille lag, war eines seiner Pfarrkinder nothzüchtigend ertappt worden!

Ein Vorfall, der sich in Anecy in Savoyen ereignete, bildete das Aergerniß der Tage, in denen unsere Erzählung beginnt. Herr Sace, ein im Lande allgemein geachteter Greis, war im Monat Januar gestorben, ohne den Beistand der Religion empfangen zu haben; der Bischof verweigerte ihm das Begräbnis und schloß schon am Morgen aus Vorsicht die Thüren der Kirche und des Kirchhofes. Um gegen die ihrem Mitbürger widerfahrene Beschimpfung zu protestieren, folgten alle Einwohner dem Leichenbegängnisse; man beerdigte den Leichnam an einem abgelegenen Orte. Einige Tage nachher ertheilte der Senat von Chambery dem Bischof den Befehl, unverzüglich den Leichnam des Greises ausgraben zu lassen und ihn mit allen gebräuchlichen Ceremonien in geheiligter Erde zu bestatten.

Kurz vorher hatte aber dieser Bischof, der den Kirchhof nicht öffnen wollte, das Theater schließen lassen; doch der Intendant der Provinz, der nicht dieselben Gründe hatte, wie Seine Herrlichkeit, die Komödie zu fürchten, ließ es zum großen Verdrusse des Prälaten wieder öffnen, und die Truppe von Genf gab hier Vorstellungen unter gewaltiger Acclamation der Stadt.

Man war bei Weitem nicht so frei in Frankreich, als in Savoyen: der Director des Theaters von Amiens bekam den Beweis davon, Mademoiselle Georges, die sich damals des ganzen Glanzes ihrer Schönheit und ihres Talentes erfreute, sollte, nach glorreichen Vorstellungen im französischen Flandern, noch einmal in Amiens spielen und dann nach dem Süden abgehen; doch es fand zwischen Saint-Acheul und dem Direktor des Theaters ein Proceß statt, der Mademoiselle Georges die Stadt zu verlassen verhinderte; sie sollte vor ihrer Abreise im Leonidas von Pichat spielen, der damals in ganz Frankreich gegeben wurde; die Jesuiten gestatteten aber nicht, daß man den Sieg der Griechen feierte, welche für das Kreuz kämpften, weil sie zugleich das Unrecht begingen, für die Freiheit zu kämpfen.

Wir wissen heute, wer die Streiter waren, welche an dem Kampfe, den jeder Tag bedrohlicher machte, Theil nehmen sollten; man kennt sie alle, Militäre, Advocaten, Banquiers, Gelehrte, Industriemänner, Künstler, Studenten. Von dieser Zeit an sah man unbestimmt im Schatten die Silhouette der Erben der großen Männer von 1789 erscheinen, und, trotz der Verschiedenheit der Meinungen, verbanden sich Alle gegen den gemeinschaftlichen Feind: die Regierung! Diese großen Männer, wir werden sogleich aus sie zurückkommen; sagen wir aber, vor Allem ein Wort von den Journalen, die dieselben lobten oder angriffen, je nachdem diese Journale royalistisch oder liberal waren; dann werden wir wieder in unser Buch, das heißt in die moralische Geschichte dieser Gesellschaft eingeben, deren politische Geschichte wir in diesem Augenblicke machen, um die Fortsetzung der Ereignisse, welche zu erzählen wir unternommen haben, dem Leser zu überliefern.

Die Journale waren: der Moniteur, ein alter abgenutzter Barometer, für den die Regierungen, welche es auch sein mögen, immer auf: Beständig schön, sind; die Etoile, ein Abendjournal redigiert von Herrn von Villèle, Herrn von Peyronnet und den ehrwürdigen Vätern Godineau, Ronsin und Compagnie; man nannte dieses Blatt la mauvaise étoile du roi;57 – der Drapeau blanc ein ebenfalls ministerielles Journal, das kämpfend gestorben ist: Ehre dem unglücklichen Muthe! – die Quotidienne auf der Bresche gefallen wie der Drapeau blanc; – die Gazette de France, das einzige von den Blättern jener Zeit, das dieselbe überlebt hat. Das Ministerium hatte die guten Einwohner von Paris drei Millionen schwitzen lassen, um die Journale zu kaufen, welche käuflich waren, und neue zu schaffen, welche Niemand las! Man wußte übrigens längst, daß die Regierung die Absicht hatte, so viel als möglich die Tagespresse zu beschränken und die Zahl ihrer eigenen Organe aus zwei zu reduzieren.

Die anderen Journale, – wir bitten diejenigen, welche wir vergessen, um Verzeihung, – die anderen Journale waren: die Débats redigiert von den Brüdern Bertin: der Constitutionnel redigiert von Etienne und Jay; der Globe von Pierre Leroux; die Gazette des Tribunaux, das Echo du Soir, das Journal de Paris, die Pandore, die Revue Protestante, die Revue Encyclopédique, die Revue Britannique, die Revue Americaine, der Mercure.

Die großen Männer hießen Châteaubriand, Béranger, Lamartine, Victor Hugo, Cousin, Guizot, Villemain, Thiers, Augustin Thierry, Michelet, Nodier, Lemercier, Benjamin Constant, Royer-Collard, von Ségur, Azaïs, Casimir Delavigne, Arnault, Barthélemy Picard, Andrieux, Jouy, Seribe, Viennet, der seine Epistel an die Lumpensammler über die Verbrechen der Presse hatte erscheinen lassen; Delaure, der seine Geschichte von Paris veröffentlichte; Couchois Lemaire, der an Herrn von Peyronnet historische Briefe richtete, in denen er die Kammer fragte, ob nicht Grund vorhanden sei, die Minister in Anklagestand zu versetzen.

Die Gelehrten waren: Arago, Cuvier, Broussais, Geoffroy Saint-Hilaire. Chomel, Devergie, Poinsot, Thénard, Orsila, Duval, Laplace, Brogniart, Magendie, Fourier, Champollionr.

Die Maler waren: Delacroix, Ingres, Decamps, Horace Vernet, Delaroche, Leopold Robert, Louis Boulanger, die zwei Johannot, welche gerade beschäftigt waren, die bewunderungswürdigen Vignetten der Werke von Walter Scott, die Gosselin herausgab, zu zeichnen und sogar zu malen.

Die Bildhauer waren: David, Pradier, Foyatier, Etex, der mit seinem Kain debutirt hatte.

Die Compositeurs waren: Rossini, Herold, Spontini, Meyerbeer, Boieldieu, Auber, Halévy.

Die Sänger waren: Nourrit, Dabadie, Levasseur, Chollet, Ponchard, Alexis Dupont; die Damen Dabadie, Centi, Rigaud, Pasta, Malibran.

Die vortragenden Musiker waren: Paganini, Baillot, Brod, Lißt, Tulou, Vogt, Stockhausen, Kallay, Renaud, Kalkbrenner, Henri Herz, Lafond; die Damen Stockhausen, Martainville, Labat.

Wollen Sie bis zum Ende gehen und die Theaterzettel lesen? Gut; für uns ist das Jahr 1827 gestern, oder es ist vielmehr heute.

In der Oper: die Belagerung von Korinth, die Vestalin, die Nachtigall, das Ballet Astolphe und Joconde, der Carneval von Venedig. Man kündigte das Oratorium Moses für die nächste Zeit an.

Im Theâtre-Francais: die Waise aus China, der Junge Ehemann, der Eifersüchtige wider Willen, Tasso, die Zwei Schwiegersöhne, die Folge eines Maskenballes; zuweilen der zweite Act von Figaros Hochzeit: die vier anderen waren verboten und wurden erst unter dem Ministerium Martignan, auf das Ansuchen von Baron Taylor, wieder gestattet. Man hatte Ludwig XI. in Peyronne gespielt, ein Drama in fünf Acten von Mélv-Janin, das siegreich der romantischen Schule die Pforten des Theaters der Rue Richelieu öffnete. Man kündigte die Wiederholung von Artaxerxes an: man brauchte ein Gegengewicht gegen Walter Scott!

Bei den Italienern: Il Tureo in Italia, il Barbiere, la Donna del Lago, Tancredi, la Gazza ladra, Semiramide; – nichts als Rossini. Uebrigens ist der Theaterzettel von 1854 ungefähr noch derselbe wie der von 1827.

In der Opera Comique: der Handwerksmann, die Alte, Richard Löwenherz, die weiße Dame, Gulistan.

Im Odeon ist die Zahl der Stücke so groß, daß man sie nicht einzuzeichnen vermöchte; alle Wochen regnet es neue. Führen wir aufs Gerathewohl an: die Sicilianische Vesper, die Schauspieler, Robin des Bois, Margarethe von Anjou, Louise, der Barbier von Sevilla, in welchem Duprez, – ja, unser großer Duprez, – hinter den Gardinen das Lied sang, das Bocage auf der Scene durch Geberden bezeichnete. Man gab überdies: die Erbschaft, die Hochzeit der Schauspielerin, die Fee Valence, Manlius. Othello, Ivanhoe, der Haustyrann, die Zwei Engländer, das Findelkind, die Reise nach Dieppe, Thomas Morus, Emmeline, Euphrosine und Conradin u. s. w. Es wurde endlich gegeben, und das war der Succeß des Tages, der Gewandte Mann oder Alles um emporzukommen, ein Stück, das sein Glück einmal dem vortrefflichen Spiele von Bocage, der die Rolle eines weltlichen Jesuiten gab, und dann den Anspielungen verdankte, an denen es Ueberfluß hatte.

Das Theâtre de Madame spielte Seribe, immer Seribe, nichts als Seribe, und es hatte zweimal Recht, denn so handelnd machte es das Glück eines Mannes von Geist und eines Mannes von Talent: des Herrn Poirson und des Herrn Seribe; lesen Sie die Journale jener Zeit, und Sie werden, wie bei der Messe in der Kapelle und der Jagd des Königs, die unveränderliche Ankündigung finden: die Heirath aus Vernunft von Herrn Eugène Seribe; Einsache Geschichte von Herrn Eugène Seribe; die Ersten Liebschaften von Herrn Eugène Seribe; Michel und Christine von Herrn Eugène Seribe; der Neue Pourceaugnac von Herrn Eugenèe Seribe; die Mansarde der Künstler von Herrn Eugène Seribe; u.s.w. u.s.w. von Herrn Eugène Seribe.

 

Im Vaudeville waren Minette und Lapeintre die Wonne der Habitués; – Minette, welche als Millionärin gestorben ist; Lepeintre der Aeltere, der im Saint-Martin-Canal aufgefunden wurde.

Bei den Varietes, Polier, Vernet, Odrv, Brunet, Cazot, Lefêbre. Ein gutes, reizendes Theater! wohlverstanden das Theâtre des Varietes im Jahre 1827.

Seit einigen Tagen war das Theâtre des Nouveautes mit Déjazet, Madame Albert, Bouffé, Valnys eröffnet worden.

Die Porte-Saint-Martin spielte: Norma, die Heimath des Schuhflickers, Polichinelle, der Besuch in Bedlam, Jocko oder der brasilianische Affe; Mazurier für das Ballet; Dorval für das Drama.

Im Ambigu – Comique Cartouche von Frédérik dargestellt.

Bei der Gaieté Poulaillier. – Die Censur ließ sehr gern die Abenteuer der Räuber in Scene setzen.

Man schrie übrigens gewaltig gegen die Censur. Die Sache ist nicht neu! werden Sie mir sagen. Man schrie gegen sie nicht weil sie aufzuführen verhindert hatte, sondern weil sie hatte aufführen lassen: die Censur hatte bei der Gaieté ein Stück spielen lassen, in welchem die Nationalgarde beschimpft, geschmäht, angespieen wurde. Das von sehr redlichen Leuten und unter Anderen von Herrn Pillet gemachte Journal de Paris erstaunte, ganz naiv, daß die Censur zur Ausführung eines solchen Stückes Erlaubniß gegeben hatte, und schrie über Scandal. Das Journal de Paris vergaß einfach, daß die von 1789 datierende Nationalgarde, welche Lafayette zum Vater hatte, auf ihren Fahnen einen Namen und ein Datum trug, wodurch die Nerven der hochwürdigen Väter von Montrouge und Saint-Acheul ungemein gereizt wurden. Die Nationalgarde ward auch bei der ersten Gelegenheit ausgelöst.

Wir werden diese, vielleicht ein wenig lange, aber zur Entwicklung unseres Dramas nothwendige Revue beendigt haben, wenn gesagt ist, daß das ehemalige Theâtre de la Foire auf Gerüsten, die man zwischen der Gaieté und Madame Saqui errichtet, repräsentiert war, Gerüste, welche dem Herrn Galilée Copernic, so genannt, weil er die Zuschauer am hellen Mittag Sterne sehen ließ, gehörten.

Fügen wir bei, damit der Leser sogleich einen hohen Begriff von der Wichtigkeit dieses Mannes bekommt, eine Wichtigkeit, die er »durch Vorstellungen gegeben mit dem größten Successe, – sein Zettel sagt dies, – vor den bedeutendsten Souverains Europas,« erlangt hat, daß er der Schwager des berühmten Zozo vom Norden ist, von dem wir in der Biographie unseres Freundes Melingue58 gesprochen haben, und daß er, um das Publicum durch Possen vor der Thüre zu belustigen, den berühmten Fasiou, den König der Hanswurste seiner Zeit, hat..

Wir hoffen einige Worte über diese erhabenen Possenreißer in den nächsten Kapiteln zu sagen; sie gehören zu der schätzenswerthen Klasse, die man damals Mohicaner von Paris nannte, zu Ehren des schönen Romans von Cooper, der so eben erschienen war.

Nun, da das Theater und die Decorationen bekannt sind, suche der Zuschauer es sich so bequem als möglich im Saale zu machen.

Man wird sogleich anfangen.

CVIII
Der Commissionär der Rue aux Fers

Die Rue aux Fers, früher Rue aux Févres genannt, lag und liegt theilweise noch, – da man sie nicht ganz niedergerissen hat, – zwischen der Rue Saint-Denis, wo sie ihren Ansang hatte, und, dem Marché aux Poirées und der Rue de la Lingerie, wo sie ihr Ende hatte. Längs der Nordseite des Marché des Innocents, parallel mit der Rue de la Ferronnerie, hinlaufend wie ein Fluß, der Früchte, Blumen und Gemüse führt, zwischen den hundert auf ihrer Rechten ausgestellten Schenken und den tausend zu ihrer Linken an einander gereihten Marktbuden durchgehend, gebrach es der Rue aux Fers in der Zeit, zu der uns dieses Kapitel zurückführt, nicht an einer gewissen Farbe, an einem gewissen Pittoresken, welches man nicht wiederfinden wird in unserem nach der Schnur gezogenen, geweißten, kosmetischen und correcten Paris, das wie Turin ein großes Damenbrett zum Gebrauche der Philidor und der Labaurdonnais zu werden droht.

Die Menge mit den buntscheckigen Trachten, die schon in der ersten Morgendämmerung in diese Straße stürzte, wie ein Bienenschwarm, der sich, aus dem durchsichtigen Wege der Luft, nach dem mütterlichen Stocke wendet, bot, so beschattet einerseits durch die schwarzen Mauern der Schenken und beleuchtet andererseits durch die durchbrochenen Buden, ein ganz besonderes, ganz originelles Siegel, das ihr eine große Aehnlichkeit mit den aus den Bildern der alten flämischen Meister gemalten Mengen gab.

Es war ungefähr zehn Uhr Morgens und einer der schönen Morgen des Monats März, wo der Frühling durchzuscheinen anfängt und sein rosiges Antlitz noch verschleiert von den letzten Nebeln des Winters zeigt.

Die Sonne, welche damals, um die arme Welt wiederzuerwärmen, nicht alle die Umstände machte, die sie in unseren Tagen macht; die Sonne beleuchtete, durch Atmosphäreschichten benetzt von ihren jungen Strahlen schlüpfend, in ihrer ganzen reinen Schönheit die Najaden von Jean Goujon.

Von oben nach unten troff der Markt von Licht, und die Menge feierte instinctartig, ohne es zu wissen, zugleich mit dem dritten Sonntag des Monats März das Frühlingsfest durch Geschrei und schallendes Gelächter so freudig als Lieder.

Und es war wohl Ursache vorhanden, zugleich zu schreien, zu lachen und zu singen: dieser grau und schwarze, gewöhnlich sechs Monate lang und seit sechs Monaten so traurige, so düstere Markt hatte in der Nacht seinen Rosenkranz ausgesetzt, sein Schlüsselblumenkleid angezogen und seinen Veilchenstrauß vorgesteckt: man hätte glauben sollen, es sei der Blumenmarkt.

Käufer, Handelsleute, Vorübergehende, Jeder wollte, die Frauen an ihrem Gürtel, die Männer an ihrem Knopfloche, dieser eine Nelke, jener einen Lack, Einige von den wohlriechenden Pfännchen haben, welche die Natur bei ihrem Erwachen unter die Bewohner des Landes mit ihrer unermüdlichen Freigebigkeit, mit ihrer unerschöpflichen Verschwendung austheilt.

Einer von denjenigen, welche am Wollüstigsten, wenn nicht am Geräuschvollsten dieses Erwachen der Natur zu genießen schienen, war ein in seiner ganzen Länge aus einem Commissionärshaken zwischen der Thüre und dem Fenster vor einer der Schenken, mit denen die Rue aux Fers gesprenkelt ist, ausgestreckter junger Mann, der beide Arme über seinem Kopfe gekreuzt und die Augen der Fontaine aux Innocents zugewendet hatte.

Sah man diesen jungen Mann, der, vom Kopfe bis zu den Füßen in Sammet gekleidet, so nachlässig ausgestreckt war und durch alle Poren die ersten Sonnenstrahlen einzuathmen schien, diesen Mann mit seinen großen schwarzen Augen und seinem schwarzen Barte, so hätte man ihn für einen der wollüstigen, in der Sonne, welche die Chiaje Neapels vergoldet, liegenden Lazzaroni gehalten.

Und dennoch würde, ihn näher oder aufmerksamer anschauend, derjenige, welcher beim ersten Blicke diese Meinung von ihm gefaßt hätte, sehr rasch seinen Irrthum erkannt und bereut haben, daß er ihn, wenn auch nur eine Secunde, mit jenen sorglosen Neapolitanern verwechselt, deren Gesicht nur Trägheit und Bestialität ausdrückt.

Es genügte in der That, einen Blick aus das Gesicht dieses schönen jungen Mannes zu werfen, um zu begreifen, daß dies nicht ein Commissionär ähnlich denen, welche ihn umgaben, ein gemeiner Lastträger, kurz ein Saumthier war; – nein, die männliche Schönheit dieses Gesichtes, das Verständige dieser Physiognomie, die Distinction des Aeußern, die Originalität der Tracht, Alles offenbarte beim ersten Blicke den Mann, den unsere Leser ohne Zweifel schon als den Geheimnisvollen Salvator, als den Haupthelden unseres Buches erkannt haben.

Salvator hatte schon seit sieben Uhr Morgens seine zwei bis drei Commissionen gemacht; denn es fehlte ihm nicht an Commissionen, und, wir müssen es bemerken, er empfing die aus sein Gewerbe bezüglichen Befehle und Aufträge mit derselben Höflichkeit, wir möchten beinahe sagen mit derselben Demuth, mit der es jeder andere Commissionär, der nicht dieselben Eigenschaften wie er würde besessen haben, hätte thun können. Allerdings vollführte er die Sendungen, mit denen man ihn betraute, mit ganz anderer Intelligenz als einer von seinen Kameraden.

War es aus diesem rein moralischen Grunde oder aus einem andere ein wenig mehr physischen, daß die Kundschaft von Salvator fast ausschließlich aus Frauen bestand? Wir vermöchten es nicht zu sagen, und wir lassen unsern Lesern die Freiheit, sich selbst eine Meinung hierüber zu machen.

Für die Vorübergehenden und für die Leute, welchen wenig daran lag, zu wissen, was sich im Geiste oder im Herzen von Salvator bewegte, schaute Salvator die Einzelheiten des reizenden Brunnens an, welche anzuschauen uns nicht mehr einfällt, so sehr sind mit mit denselben seit unserer Kindheit vertraut, oder Salvator überließ sich auch einigen von jenen Träumereien, welche den Träumer dergestalt isolieren, daß er am Ende mitten unter dieser Menge, so beträchtlich sie sein mag, mit seinen Gedanken ganz allein ist.

Doch für uns, die wir ihn von lange her kennen, schaute Salvator nicht den Brunnen an, träumte Salvator nicht: nein, Salvator beobachtete und horchte, – in Erwartung einer Botschaft, die ihn seiner Unbeweglichkeit entziehen würde, – Salvator bildete sich mit Allem dem, was im Bereiche seiner Augen und Ohren vorging, eine Beute, aus der er im gegebenen Momente nur zu schöpfen hatte, um den glänzenden Karfunkel hervorzuholen, der Aller Augen blendete und machte, daß man ihn als einen Zauberer ansah.

Und dennoch war, unter Allem dem, Salvator eher der Mann der That, als der Idee. Gewöhnlich, – und wir haben ihn so verfahren sehen, – handelte er, statt zu träumen, und wenn er zu träumen schien, statt zu handeln, so war dies so, weil er, wie ein geschickter Maschinist, eine Docorationsveränderung, ein unbekanntes Kunststück in der Art der Feerei vorbereitete, die sich in seinem Geiste gestaltete.

Andererseits, obgleich er in diesem Augenblicke unthätig war, war es ihm doch sehr schwer, sich der Träumerei hinzugeben, selbst angenommen, er hätte das Verlangen hiernach gehabt.

Es vergingen in der That nicht fünf Minuten, ohne daß ihn Jemand anredete:

»Sie sind in Verlegenheit?«

»Ja.«

»Wenden Sie sich an Herrn Salvator.«

»Wo ist er? Ich suche ihn.«

»Dort.«

»Ah! Herr Salvator! . . . «

Und die verlegene Person erzählte Salvator die Ursache ihrer Verlegenheit; und, war es im Rechte, war es in der Medicin, war es in der Moral, war es in der Politik, Salvator hatte immer einen Rath für den Prozeß, ein Recept für die Krankheit, eine Ansicht für die Rechtschaffenheit. ein Licht für die Meinung; so daß die Person, welche gekommen war, um sich bei Salvator Raths zu erholen, erleuchtet oder erleichtert, hoffend oder glaubend wegging.

Er war zugleich für die Bewohner des Quartiers, für die Händler und die Händlerinnen der Halle, und sogar für die einfachen Vorübergehenden, ein Friedensrichter, ein Experte, ein Rechtsberater, ein Arzt des Leibes und des Geistes, ein Rächer des Unrechts. Herr Salvator, das war der Salomo der Halle; und es wurde nicht eine auch nur ein wenig wichtige Angelegenheit abgemacht, über die man ihn nicht zu Rathe zog, wie es keine auch nur ein wenig ernste Streitigkeit gab, bei der man ihn nicht zum Schiedsrichter nahm.

Man hörte also zu jeder Minute immer nur die zwei Worte ertönen: »Herr Salvator! Herr Salvator!« Und fragte ein neugieriger Vorübergehender, wie Jean Robert den Kellner der Freischenke:

»Wer ist das. Herr Salvator?«

So antwortete man ihm, wie der Kellner Jean Robert geantwortet hatte:

»Herr Salvator? bei Gott! das ist . . . Herr Salvator!«

Nichts mehr; der Neugierige mußte sich mit dieser Antwort begnügen.

Nur wenn er Herrn Salvator durchaus sehen wollte, und Herr Salvator war nicht in einem Gange begriffen, zeigte man ihm Herrn Salvator; und fast immer traf der Blick des Fragenden den jungen Mann einen Streit schlichtend, einen Prozeß vergleichend, oder einem verkrüppelten Bettler, einer armen Witwe, die ein Kind aus ihren Armen trug und drei oder vier an ihrem Rocke hängende nachschleppte, Almosen spendend.

 

Hierdurch erfolgte, daß Käufer oder Verkäufer, Kranker oder Prozeßführer, Bürger oder Mann aus dem Volke, Jeder ihm etwas schuldig war; Dieser einen Rath, Jener eine Lection, ein Anderer ein Almosen. Und der Rath von Salvator war immer so gut, sein Urtheil so richtig, seine Meinung so gerecht, daß mehrere Male der Commissär des Quartiers, verstrickt in den unentwirrbaren Zwistigkeiten seiner Amtsuntergebenen, insgeheim zu dem jungen Manne ging, um sich bei ihm Raths zu erholen, oder ihn zu sich kommen ließ, oder einfach die Parteien zu ihm schickte.

In dem Augenblicke, wo wir diese Erzählung wieder ausnehmen, – das heißt am Sonntag dem 23. März 1827, Morgens um zehn Uhr, war Salvator, wie gesagt, allein, doch nicht für lange, wie wir sogleich sehen werden.

In der That, aus der Thüre der Schenke, an deren Mauer er angelehnt war, kam ein Paar mit frischen, rosigen Wangen, mit glänzenden Augen, mit leicht geöffneten Lippen und Schmelzzähnen hervor: zwei junge Leute, oder vielmehr ein junger Mann und ein Mädchen, leuchtend, funkelnd Beide wie der Sonnenstrahl, der sie in dem Momente, wo sie im Rahmen der Thüre erschienen, übergoß.

Die Augen des jungen Mannes fielen aus Salvator, der ihn nicht sehen konnte, da er den Kopf der andern Seite zugewendet hatte.

»Halt! da ist Herr Salvator!« sagte der junge Mann mit einem mit Freude gemischten Erstaunen.

»Herr Salvator?« fragte das Mädchen, »Mir scheint, ich habe diesen Namen schon gehört.«

»Und Du kannst sogar sagen, Du habest sein Gesicht gesehen, Prinzessin . . . gesehen oder erschaut. Du warst allerdings an diesem Tage sehr beschäftigt, armes Kind, und man sieht schlecht mit thränengebadeten Augen.«

»Ah! ja, in Meudon, nicht wahr?« sagte das Mädchen.

»Ganz richtig, in Meudon.«

»Nun wohl,« sprach das Mädchen erstaunt und mit leiser Stimme, »aber wer ist denn Herr Salvator?«

»Es ist ein Commissionär, wie Du siehst.«

»Weißt Du, daß er sehr gut aussieht, Dein Commissionär?«

»Und er ist noch viel besser, als er aussieht,« erwiderte der junge Mann.

Dann machte er eine halbe Wendung rechts, um sich vor den Commissionär zu stellen, und sagte, indem er ihm die Hand reichte:

»Guten Morgen, Herr Salvator!«

Salvator erhob sich halb wie ein Pascha, der Audienz gibt, schaute denjenigen, welcher ihn grüßte, an, nahm dann ohne Zögern und wie ein Mann, der glaubt, seine Intelligenz mache ihn zu jedes Menschen aus der Welt Gleichen, die Hand, die man ihm reichte, und antwortete:

»Guten Morgen, Herr Ludovic!«

Es war wirklich Ludovic, der aus das Verlangen der Person, welche ihm den Arm gab, ein paar Dutzend Austern in der Schenke zur Goldenen Muschel gegessen hatte, die im Rufe stand, sie öffne die frischesten Austern und sie entpfropfe den besten Chablis der ganzen Halle.

. »Bei Gott! Herr Salvator,« sprach Ludovic. »es ist mir durchaus nicht unangenehm, Sie in der Ausübung Ihrer Functionen zu sehen! Ich brauche nicht weniger als dies, das betheure ich Ihnen. um nicht beharrlich zu glauben, Sie seien ein verkleideter Prinz.«

»Und mir auch,« erwiderte Salvator dem Complimente ausweichend, »mir ist es auch sehr lieb, daß ich Sie sehe, einmal weil ich Sie sehe und es mir Vergnügen macht, einem Manne von Herz und Talent die Hände zu drücken, sodann weil Sie mir einige Nachrichten über die arme Carmelite geben werden. Wie geht es ihr?«

Ludovic machte eine unbemerkbare Bewegung mit den Schultern.

»Besser,« antwortete er.

»Besser heißt nicht gut,« entgegnete Salvator.

Ludovic streckte seine Hand in den Sonnenstrahl aus, der den reizenden Kopf seiner Gefährtin beleuchtete.

»Das wird sie hoffentlich vollends wiederherstellen!«

»Physisch, ja,« erwiderte Salvator; »doch moralisch? . . . Wie viel Jahre wird das arme Kind brauchen . . . ?«

»Um zu vergessen?«

»Oh! das sage ich nicht! ich habe nicht nötig gehabt, sie zu sehen, um überzeugt zu sein, daß sie nie vergessen wird.«

»Um sich zu trösten also?«

»Sie wissen,« sprach Salvator, »die Mißgeschicke, über die man sich am schnellsten tröstet, sind die unwiederbringlichen Mißgeschicke,«

»Ja, ich weiß es wohl; ein Dichter sagt:

»Et rien n’est éternel, pas méme Ia douleur!« 59

»Das ist die Ansicht des Dichters . . . Was ist nun die Ansicht des Arztes?«

»Die Ansicht des Arztes ist, mein lieber Herr Salvator, daß die erhabenen Geister den Schmerz nicht verachten und heruntersetzen dürfen, wie es die gemeinen Organisationen thun. Der Schmerz ist eines der Elemente der Natur, eines der Vervollkommnungsmittel zum Gebrauche Gottes! Wie viele Menschen. Dichter, Künstler wären unbekannt geblieben ohne einen großen Schmerz oder ein großes Gebrechen? Byron hat das Glück gehabt, hinkend geboren zu werden und eine zänkische Frau zu heirathen. Byron verdankt, nicht sein Genie, – das Genie kommt unmittelbar vom Himmel, – das Ausbreiten, das Erschließen, das Aufblühen dieses Genies seinen Mißgeschicken. Carmelite wird sein wie Byron, nicht ein großer Dichter, aber eine große Künstlerin, eine Malibran, eine Pasta; etwas mächtiger vielleicht, denn sie wird unter den Frauen gelitten haben! Wäre sie mir Colombau glücklich gewesen? Das kann Niemand sagen. Sie wird ohne ihn berühmt sein, das versichere ich.«

»Doch mittlerweile . . . ?«

»Mittlerweile hat sie bei sich einen Arzt, der geschickter ist, als ich.«

»Geschickter als Sie? Erlauben Sie mir, das zu bezweifeln . . . Und wer ist dieser Arzt?«

»Ein Mädchen, das glücklicher Weise nicht ein Wort von der Medicin weiß! das aber alle die engelischen Worte der Selbstverleugnung und der Hingebung kennt, mit denen man die Herzen heilt: eine ihrer Freundinnen, ein Zögling von St. Denis, wie sie, Fragola genannt.«

Salvator lächelte und erröthete zugleich, als er so von seiner Geliebten sprechen horte.

Das Mädchen aber, das Ludovic am Arme hatte, verzog den Mund, als sie ihn einer andern Frau ein so pomphaftes Lob spenden hörte, und begleitete diese Mundverziehung mit einem so soliden Kneipen, daß sich der, Arzt eines Schreis nicht erwehren konnte.

»Ei! mein Gott,« sagte er, was gibt es denn. Chante-Lilas?«

Salvator, der bis dahin, halb aus Gleichgültigkeit, halb aus Discretion, der Gefährtin des jungen Doctors nur eine geringe Aufmerksamkeit geschenkt hatte, wandte, als er diesen Namen hörte, den Kopf nach ihrer Seite und schaute sie mit einem neugierigen, obschon wohlwollenden Auge an.

»Ah!« sagte er, »Sie sind Mademoiselle Chante-Lilas?«

»Ja, mein Herr,« antwortete das Mädchen ganz stolz, daß sein Name dem schönen Commissionär bekannt war. »Sie kennen mich?«

»Ich kenne wenigstens Ihren Namen und Ihre Titel.«

»Ah! ah! Du hörst, Prinzessin! – Sie kennen ihren Namen und ihre Titel? woher kennen Sie dieselben?«

»Weil ich sie habe von den Vasallen der Prinzessin von Vanvres feiern hören.«

»Ja,« sagte Ludovic, »Camille hatte sie so getauft.«

»Camille Rozan . . . Sie haben keine Nachrichten von ihm?« fragte Salvator.

»Bei meiner Treue, nein.« erwiderte das Mädchen; »ich habe keine Nachrichten von ihm erhalten, und ich hoffe auch keine zu erhalten.«

»Und warum dies?« sagte Ludovic. »Glaubst Du zufällig, ich sei eifersüchtig aus ihn?«

»Oh! mein Herr, ich weiß wohl, daß Sie mir keine solche Ehre erweisen! . . . Ah! die Comtesse du Battoir hatte wohl Recht!«

»Was sagte die Comtesse du Battoir?« fragte Salvator.

»Sie sagte: ›Traue nie den Engländern; sie sind alle schlimm. Traue nie den Amerikanern! sie sind alle . . . «

»Nun. nun, Prinzessin. Sie werden Frankreich mit den Vereinigten Staaten entzweien.«

»Ah! es ist wahr! . . . Und ich vergaß die Comtesse du Battoir!«

»Wo ist sie?«

»Sie erwartet mich oder soll mich an der Barrière Saint-Jacques erwarten, wohin sie gegangen ist, um Ihrem Oheim seine Wunden zu verbinden . . . Rasch, laß uns einen Fiacre nehmen und führe mich dahin, wohin Du mich im Fiacre zu führen versprochen hast.«

»Ah! ja . . . Aber, Prinzessin, Sie glauben also, ich habe, wie Sie, eine Apanage?«

»Gut! wenn man die Millionäre heilt, muß man sich auf dem Golde wälzen.«

»In der That. Herr Ludovic, es scheint. die Einwohner von Vanvres und von Bas-Meudon sind im Begriffe, dem rettenden Aesculap einen Tempel zu bauen.«

»Nun wohl, Sie mögen mir glauben, wenn Sie wollen: ich befürchte, ich habe der Menschheit einen schlimmen Dienst dadurch geleistet, daß ich diesen würdigen Herrn Gèrard herausgerissen; er hat ein Gesicht, das mir ganz und gar nicht gefällt, und wäre hier ein abscheulicher Schurke unter der Haut eines redlichen Mannes verborgen, so würde mich das nicht wundern.«

»Doch. mag er nun ein ehrlicher Mann sein oder nicht sein, – er ist gerettet,?«

»Ah! ja . . . Es ist manchmal ein garstiges Gewerbe, das Gewerbe eines Arztes!«

»Sprich offenherzig: wie viel hat er Dir für Deine drei Besuche bezahlt?«

57Den bösen Stern des Königs.
58Im Belletristischen Auslande unter dem Titel: »Abenteuer und Drangsale eines Schauspielers,« erschienen.
59Und nichts währt ewig, nicht einmal der Schmerz.