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Die Mohicaner von Paris

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»Prinzessin, da ich absichtlich meine Adresse zu hinterlassen vergaß, und nicht zu Herrn Gèrard zurückkehrte, seitdem ich die Ueberzeugung bekommen habe, daß er gerettet ist, so ist das eine Rechnung, welche noch abzumachen.«

»Nun, so gib mir Deine Vollmacht, und ich übernehme die Sache.«

»Es sei, später.«

»Wenn dies?«

»Wann wir uns trennen: das wird mein Abschiedsgeschenk sein.«

»Einverstanden . . . doch mittlerweile fährt hier ein Fiacre vorüber. Holla! Kutscher!«

Der Kutscher hielt an, ließ seine Pferde sich gegen links wenden und führte seinen Wagen aus vier Schritte von der Gruppe.

»Ah! man muß wohl thun, was Du willst, Prinzessin!« sagte Ludovic.

Sodann zu Salvator:

»Aus Wiedersehen, Herr Commissionär! wie man in Tausend und eine Nacht sagt; denn ich komme auf meine erste Idee zurück: Sie sind entschieden ein verkleideter Prinz.«

Salvator lächelte: die zwei jungen Leute drückten sich die Hand.

Chante-Lilas schleuderte über seine Schulter einen mörderischen Blick Salvator zu; Ludovic fing ihn unter Weges auf.

»Nun, Prinzessin!« sagte er mit verstelltem Zorne.

»Ah! bei meiner Treue!« erwiderte Chante-Lilas, »ich weiß nicht, was lügen ist: ich finde ihn sehr hübsch, diesen Commissionär da, und hätte ich Dir nicht für drei Wochen Treue geschworen, so weiß ich, welchen Auftrag ich ihm geben würde.«

»Wohin soll ich Sie führen, Herr?« fragte der Kutscher.

»Geben Sie Ihre Befehle, Prinzessin,« sagte Ludovic.

»Porte Saint-Jacques!« rief Chante-Lilas. Und der Kutscher ging in der bezeichneten Richtung ab.

CIX
Welche hakenförmige Atome es waren, die la Gibelotte an Croc-en-Jambe genietet und Croc-en-Jambe an la Gibelotte gelöthet hatten

In dem Augenblicke, wo der Fiacre, der Ludovic und Chante-Lilas entführte, an der Ecke der Rue Saint-Denis verschwand, sah Salvator aus den Tiefen von einem der Gewölbe, unter welche einzudringen die Sonne sich;u schämen schien, aus sich, – ähnlich zwei Schatten, nicht aus der poetischen Hölle von Virgil oder der finsteren Hölle von Dante, sondern aus einer einfachen Waise hervortretend, – die gepaarten Silhouetten von zwei Männern zukommen, die er an dem Alkohol-, Tabak-, Knoblauch- und Baldriangeruche, den sie um sich her ausdünsteten, statt der Wohlgerüche der Jugend, des Frühlings und der Veilchen, welche die zwei Verliebten mit sich fortgenommen, mit geschlossenen Augen als den Vater la Gibelotte, den Kaninchen-Katzenlieferanten der Umgegend, und als seinen getreuen Diener und Freund Croc-en-Jambe, den Lumpensammler-Aufwühler, erkannt hätte, – um so viel mehr erkannte er sie mit offenen Augen.

Bei den Personen, welche, wie Ritif de la Bretonne und Mercier. ein besonderes Studium aus den Neigungen, den Sitten, den Gewohnheiten der niedrigen Klassen, der unteren Schichten der Gesellschaft machen, wird es ein tiefes Erstaunen erregen, wenn sie sehen, daß ein Lumpensammler einen Freund hat. Wir begreifen das Erstaunen dieser Personen, und wir wären erstaunt wie sie, gäbe unsere Stellung als Romanschreiber. – manchmal ein garstiges Gewerbe. wie vorhin unser Freund Ludovic sagte, und wie man sogleich sehen wird, da es uns nötigt, uns in solchem Schmutze zu schleppen; – gäbe unsere Stellung als Romanschreiber uns nicht das Vorrecht, Alles zu bissen.

In der That, der Lumpensammler, der, geboren mit einem landstreicherischen Temperamente,– wir sind der Ansicht der Moralisten, welche behaupten, der Mensch sei der Sklave seines Temperaments; – in der That, sagen wir, der Lumpensammler, der, geboren mit einem landstreicherischen Temperamente, im zartesten Alter aus dem väterlichen Hause durchgegangen ist, um, ein Nomadenleben, ein wildes, fast immer nächtliches Leben führend, Lumpen zu sammeln, der nach Verlauf einiger Jahre seiner Familie dergestalt fremd geworden ist, daß er den Namen seines Vaters vergißt, den seinigen sogar, um des Spitznamens willen, den man ihm gibt, oder den er sich gegeben hat, – der endlich Alles bis aus die Erinnerung seines Alters verliert, – wir glauben, daß der Lumpensammler zur Freundschaft beinahe unfähig ist.

Vor Allem ist die Freundschaft ein edles Gefühl, und die edlen Gefühle, die man häufiger, als man wohl denkt, bei den unteren Klassen der Gesellschaft trifft, existieren nicht beim Lumpensammler, diesem Paria der westlichen Gesellschaften. Mit den ekelhaftesten Lumpen bedeckt, affektiert er eine Art von Unfläthigkeit, isoliert er sich von den Massen, weil er instinctartig begreift, daß sich die Massen von ihm isolieren, wird er allmählich Misanthrop, mürrisch, zuweilen boshaft, immer herb und hart.

Bemerken wir beiläufig, daß es unter den Lumpensammlern häufig ehemalige Strafgefangene und unter den Lumpensammlerinnen Prostituierte der niedrigsten Art gibt.

Was hauptsächlich dazu beiträgt, den Lumpensammler zu verdüstern und diesen Hang zur Ungeselligkeit zu vermehren, ist der übermäßige Genuß des Branntweins, der bei ihm allen Ausdruck übersteigt. Der Branntwein hat für den Lumpensammler und besonders für die Lumpensammlerin, – denn dieses seltsame Thier besitzt sein Weibchen, – einen unglaublichen Reiz, einen Reiz, den nichts auszuwiegen vermöchte; der Eine und die Andere verzehren so wenig als möglich an Speisen, um sich so oft und so reichlich als möglich ihrer Lieblingsleidenschaft überlassen zu können. Sie bilden sich ein, dieser Flammentrank unterstütze sie so gut als solide Substanzen, weil sie die künstliche Kraft, die ihnen der Alkohol gibt, für wirkliche Kraft halten, während diese Ueberreizung nur die Wirkung eines Mittels ist, das den Magen brennt, statt ihn zu stärken. Es herrscht auch in der Klasse der Lumpensammler eine Sterblichkeit doppelt so groß, als die, welche die anderen Klassen, selbst die unglücklichsten, trifft.

Durch den übermäßigen Genuß des Alkohols erscheint ihnen der Wein gewöhnlich fad, geschmacklos, so daß bei den großen Veranlassungen der Lumpensammler, der einen Augenblick den Branntwein verläßt, sich dagegen dem Genusse des Glühweins gewürzt mit Pfeffer und aromatisiert durch Citrone und Zimmet hingibt, zur großen Verzweiflung der Schenkwirthe, welche, während sie das Geld ihrer Kunden einnehmen, sich darüber entrüsten, daß sie zugleich so viel Elend und so viel Sinnlichkeit sehen.

Man begreift daher, daß es für irgend ein Gefühl, – außer den brutalen Instincten der Natur, – schwierig ist, in das Herz von einem dieser unglücklichen Verworfenen Eingang zu finden, und man darf sich also mit Recht darüber wundern, sieht man einen Lumpensammler mit einem andern Menschen fraternisiren. und wäre dieser Mensch Katzentödter, wie es unser alter Bekannter la Gibelotte war.

Der Vater la Gibelotte war im Grunde auch nicht mit seinem Gefährten Croc-en-Jambe so eng verbunden, wie es der Oberfläche nach den Anschein hatte. Der Vater la Gibelotte war der Freund des Lumpensammler-Aufwühlers ungefähr wie der Bär der Freund seines Wärters ist, wie die Katze die Freundin der Maus ist, wie der Wolf der Freund des Lammes ist, wie der Gendarme der Freund des Gefangenen ist, wie der Handelsaufseher der Freund des Schuldners ist.

Croc-en-Jambe war in der That der Schuldner von la Gibelotte, und zwar Schuldner für eine ungeheure Summe, bedenkt man, daß der mittlere Verdienst von Croc-en-Jambe nicht zwanzig Sous im Tage überstieg, oder, um genauer zu sprechen, zwanzig Sous in der Nacht. Die Schuld von Croc-en-Jambe gegen la Gibelotte belief sich um diese Zeit aus die fabelhafte Summe von hundert fünfundsiebzig Franken vierzehn Centimes, Kapital und Zinsen inbegriffen.

Croc-en-Jambe behauptete allerdings, er habe in Wirklichkeit nur fünfundsiebzig Livres zehn Sous erhalten; – Croc-en-Jambe protestierte gegen das Decimalsystem und weigerte sich durchaus, es anzunehmen; – er sagte auch, unter dieser Summe habe er zwei Dreißig-Sous-Stücke von Blei und zwei Fünfzehn-Sous-Stücke von Blech getroffen.

Selbst die von Croc-en-Jambe zugestandene Zahl angenommen, wird man sich nun fragen, wie la Gibelotte Gläubiger einer fabelhaften Summe gegenüber von seinem Gefährten, in Betracht der precären Lage dieser zwei Industriellen, habe sein können.

Vor Allem haben wir zu bemerken, daß bei den zwei Industriellen Einer war, dessen Industrie bei Weitem der Vorzug vor der des Andern gebührte: das war die Industrie des Katzentödters. Jede Katze trug la Gibelotte zwanzig bis fünfundzwanzig Sous ein; dreißig bis vierzig Sous, war es eine Angorakatze. Bei der Katze ist nichts verloren: das Fleisch wird Kaninchen, der Balg wird Hermelin.

Nehmen wir zu vier die mittlere Zahl der von la Gibelotte getödteten Katzen an, so haben wir ein Einkommen von fünf.Franken täglich, von hundert und fünfzig Franken monatlich, von achtzehnhundert Franken jährlich. Von dieser jährlichen Summe von achtzehnhundert Franken konnte aber la Gibelotte leicht tausend Franken aus die Seite legen, da er sich kaum um seine Nahrung zu bekümmern hatte, weil die Garköche, deren Lieferant er war, für ihn immer einige Ueberbleibsel von Kalbfleisch oder Ochsenfleisch aufbewahrten; – la Gibelotte, wie alle große Jäger, aß nie von seinem Wildpret; – und da er auch nicht für seine Kleidung besorgt sein durste, weil die Abfallpelze mehr als genügend waren, um ihn Sommer wie Winter zu kleiden.

La Gibelotte war also reich; so mich, daß das Gerücht ging, er habe einen Wechselagenten, und er spiele in der Rente.

Doch in seiner Armuth hatte Croc-en-Jambe etwas, um was ihn la Gibelotte in seinem Reichthum beneidete: Croc-en-Jambe hatte eine Zwergin!

Wie hatte sich Mademoiselle Bébé die Rothe, welche von einem der Schaugerüste des Boulevard entwichen war, mit Croc-en-Jambe verbunden? Dies zu wissen ist von keiner Bedeutung für die Leser, und wir beschränken uns daraus, daß wir die Thatsache bestätigen. Croc-en-Jambe war also der Liebhaber von Mademoiselle Bébé der Rothen, deren Portrait lange aus dem Boulevard du Temple zwischen dem numidischen Löwen und dem bengalischen Tiger figuriert hatte, die hier noch figurirten, zur großen Befriedigung der Neugierigen und zum großen Nutzen der Königin Tamatave, welche, den Martin und den Van Amburgh in der Kunst, die wilden Thiere zu bezaubern, zuvorkommend, in ihren Käfig dreimal des Tages auf die Gefahr, einmal unter drei gefressen zu werden, eintrat. – Nur war, seitdem Mademoiselle Bébé die Rothe aus der Menagerie verschwunden, ihr Portrait vom Anschlagzettel verschwunden.

 

Warum war nun Mademoiselle Bébé die Rothe aus der Menagerie verschwunden?

Es waren in dieser Hinsicht mehrere Versionen im Umlaufe. Diejenige, welche am meisten aus dem Boulevard Glauben gesunden, war, Mademoiselle Bébé die Rothe habe sich eines Abends im Sacke geirrt, und, statt die Hand in ihren Arbeitssack zu stecken, habe sie dieselbe in den Einnahmesack gesteckt; wonach sie durch irgend eine Oeffnung der Baracke hinausgeschlüpft sei und sich aus dem Staube gemacht habe. Die Königin Tomatore erhob ein gewaltiges Geschrei über den Raub; sie wollte Mademoiselle Bébé die Rothe beim Polizeipräfecten anzeigen. – und es wäre nicht schwierig gewesen, selbst wenn die Flüchtige die Schuhe von Madame du Barry angenommen hatte, sie wieder aufzufinden und zu verhaften; – doch es fand sich in der Baracke des Boulevard du Temple eine Vorsehung, welche über der unklugen Zwergin wachte; das war ein gewisser Herr Flageolet, den man in Paris mit gekreuzten Armen, gekleidet wie ein Kärrner im Sonntagsstaate, spazieren gehen sah, von dem man keine Rente, keine Erbschaft, keine Einschreibung in das große Buch, kein Haus in der Sonne kannte, der aber ganz artig vom Morgen bis zum Abend drei bis vier Fünf-Franken-Stücke in seiner Tasche klingen lieft.

Wer war denn Herr Flageolet?

Herr Flageolet war der Intendant, der Vertraute der Königin Tamatave; ihr Graf Essex, vergleichen wir sie mit Elisabeth; ihr Rizzio, wenn wir sie mit Maria Stuart vergleichen.

Es war sogar eine vermuthliche Erbin genannter Majestät da, deren Abkunft man sicherlich aufgefunden hätte, wäre das Aufsuchen der Vaterschaft nicht durch den Codex, verboten gewesen, und die man ohne Zweifel zum Andenken an die Melodie, aus die sie geboren war, Mademoiselle Musette60 nannte.

Nun wohl, Herr Flageolet widersetzte sich förmlich, daß irgend eine Anzeige gegen Mademoiselle Bébé die Rothe gemacht werde, und die Königin Tamatave, als sie die Großmuth ihres Geheimenraths sah, die sie in einem gewissen Verdachte der Eifersucht bestärkte, rief:

»Gut, sie mag sich anderswo henken lassen. Ich bin zu glücklich, um ein paar Fünf-Franken-Stücke von einer solchen liederlichen Dirne befreit zu sein!«

Da aber Mademoiselle Bébé nichts von der Großmuth wußte, die man gegen sie aus dem Boulevard du Temple übte, so hielt sie es für klug, sich wenigstens eine Zeit lang zu verbergen; und bald verbreitete sich im Quartier Saint-Jacques das Gerücht, Croc-en-Jambe habe eine Geliebte bei sich, und eifersüchtig wie ein africanischer Bey oder wie ein türkischer Sultan verberge er sie vor Aller Augen. Es war nicht möglich, das Factum zu bewahrheiten, weil die Dachkammer von Croc-en-Jambe auf einen Hof ging.

Mademoiselle Bébé die Rothe, welche nicht einmal, um sich zu zerstreuen, die Aussicht aus eine Straße hatte, wie man in Paris sagt, langweilte sich ungemein; und da sie es nicht wagte, bei Tage auszugehen, aus Furcht von einer anderen Rothen getroffen zu werden, welche sie hätte festnehmen können, so stand sie einen Theil der Nacht am Fenster, horchte aus den Gesang der Nachtigall und zählte die Sterne, während Croc-en-Jambe Lumpen sammelte.

La Gibelotte nun, der einen Katzenwechsel unter dem Hofthore des Hauses, in welchem Croc-en-Jambe wohnte, bemerkt hatte, stellte sich eines Abends an diesen Thore auf den Anstand.

Er sah die Zwergin an ihrem Fenster.

Setzen Sie Romeo an die Stelle von la Gibelotte, setzen Sie Julie an die Stelle von Mademoiselle Bébé, und Sie werden eine bezaubernde Liebesscene, eine poetische Scene haben, die ich Ihnen, wenn Sie es verlangen, liebe Leser, selbst nach Shakespeare erzähle, während ich Sie bitte, nicht von mir die Scene zu beehren, welche zwischen Mademoiselle Bébé und la Gielotte vorfiel.

Das Resultat der Scene war ganz einfach, daß am andern Tage, mit Croc-en-Jambe frühstückend, la Gibelotte dem Lumpensammler den Vorschlag machte, ihm, gegen fünf Franken monatlich, und zwar eingerichtet, eines von den zwei Zimmern abzutreten, die er, la Gibelotte, bewohnte. Da dies eingerichtet gerade so viel war, als Croc-en-Jambe ohne alle Einrichtung bezahlte, so nahm der Lumpensammler mit Dank das Anerbieten des Katzentödters an, und transportierte zu dem edelmüthigen Manne seine Penaten und die von Mademoiselle Bébé.

Am Ende des Monats offenbarte Croc-en-Jambe, der sich in seinem neuen Domicil äußerst wohl befand, einige Unruhe; als mitleidige Gefährtin erkundigte sich Mademoiselle Bébé nach den Ursachen seines Kummers: Croc-en-Jambe setzte ihr auseinander, daß er befürchte, er werde nicht im Stande sein, seinen Miethzins zu bezahlen.

Mademoiselle Bébé überlegte einen Augenblick, und die Frucht dieser Reflexionen war die Antwort, welche Croc-en-Jambe viel zu denken gab:

»Ich werde die Sache mit la Gibelotte abmachen.«

Da aber die Sache wirklich abgemacht wurde, da la Gibelotte nicht mehr vom Miethzinse mit Croc-en-Jambe sprach, so dachte Croc-en-Jambe auch nicht mehr hieran, und da er die glückliche Idee angenommen hatte, nicht mehr an den Miethzins seines ersten Monats zu denken, so hielt er es nicht für ersprießlich, diese Gewohnheit in Betreff der anderen zu verlieren; da ferner ein Monat, zwei Monate, drei Monate ohne alle Reclamation von Seiten von la Gibelotte vergingen, so stellte sich sachte in ihm die Idee fest, er habe das gefunden, was: außer in Sainte-Pélagie, so selten zu finden war, eine unentgeldliche Wohnung.

Mehr noch: war die Nacht schlecht, das heißt regnerisch, kalt oder unfruchtbar gewesen, und Croc-en-Jambe kam durchnäßt, erfroren oder mit leerer Hotte nach Hause, —lauter Umstände, unter welchen Mademoiselle Bébé mit ihrem Lebensgefährten zufrieden zu sein keine Ursache hatte, – so geschah es oft, daß bei den ersten lauten Worten, die er in der Stube seiner Miethsleute hörte, la Gibelotte an die Thüre klopfte, eintrat und, da er die Verdüsterung der Gesichter sah, die Hand in seine Tasche steckte und ihnen zurief:

»Warum? warum? . . . Thränen und Zähneknirschen, weil die Lumpenernte schlecht gewesen ist? Die Ernte der Kaninchenbälge ist gut gewesen, und die Freunde sind keine Türken!«

»Und was beweist, daß sie keine Türken sind?« fragte Croc-en-Jambe, skeptisch wie ein Lumpensammler.

»Sprich, wird es Dein Glück machen, wenn ich Dir dreißig Sous leihe?«

»Es wird wenigstens unendlich viel dazu beitragen,« antwortete Croc-en-Jambe.

»Nun wohl, so sei glücklich: hier sind fünfzehn!« »Mit fünfzehn Sous werde ich aber nur halb glücklich sein!«

»Nimm, immerhin! verzehre diese . . . Bist Du nur halb glücklich, so werden wir nachher sehen.«

Croc-en-Jambe ging, kaufte für fünfzehn Sous flüssiges Glück, statt für fünfzehn Sous solides Glück zu kaufen, trank die Glückseligkeit, statt sie zu essen, und kam in der Regel so glücklich nach Hause, daß er, da er das Gewicht seines Glückes nicht tragen konnte, bald an den Fuß eines Weichsteines, bald an die Hausthüre, bald aus die erste Stufe der Treppe fiel.

Der Lumpensammler fand die Existenz, die ihm sein Freund la Gibelotte bereitete, ziemlich sanft, als eine unerwartete Katastrophe, wie ein Kartenhaus, das Glück, das er aus den Felsen gekittet glaubte, umstürzte. Der Mensch denkt, der Teufel lenkt! Die Dinge gingen so, wie wir gesagt haben, drei bis vier Monate, als, nach dem gemeinschaftlichen Domicil zurückkehrend, ganz lendenlahm von dem Streite, den sie in der Nacht des Fasching-Dienstags mit unseren jungen Leuten gehabt hatten, der Katzentödter und der Lumpensammler in der Mitte von Gendarmen, die ihr die Ehre erwiesen, sie zu begleiten, Mademoiselle Bébé die Rothe sahen, deren Strohsack man bereichert durch zwei silberne Bestecke gefunden, welche von einem benachbarten Bijoutier verschwunden waren, wo die Zwergin am Tage eine Chrysocal-Uhr, die sie der Freigebigkeit von la Gibelotte verdankte, hatte ausbessern lassen.

Die Zwergin, als sie die zwei Freunde gewahrte, blinzelte ihnen aus eine ausdrucksvolle Weise zu. Beide folgten ihr von fern, mit gesenktem Ohr und hängenden Armen, und sahen sie in die Oursine-Kaserne eintreten, wo sie die Gendarmen, ohne Zweifel aus ehrerbietiger Rücksicht für ihre Reize, zuerst passieren ließen.

Bei diesem Anblicke gerieth Croc-en-Jambe ganz in Verzweiflung, und er bat seinen Freund, ihm ein Fünfzehn-Sous-Stück zu leihen, allerdings bezweifelnd, so groß war sein Schmerz, es werde diese Summe von fünfundsiebzig Centimes, wie die Neuerer sagten, genügen, um ihn zu trösten, doch, bei seiner Ergebung in die Gebote der Vorsehung, wollte er wenigstens den Versuch machen, sich zu trösten.

Unglücklicher Weise war Mademoiselle Bébé die Rothe nicht mehr da, um als Vermittlerin zwischen Croc-en-Jambe und la Gibelotte zu dienen: hierdurch erfolgte, daß la Gibelotte Croc-en-Jambe nicht nur die fünfundsiebzig Centimes verweigerte, sondern daß er ihm überdies erklärte, da er die Summe, die er ihm vorgeschossen, nothwendig brauche, so fordere er ihn auf, sie ihm in möglichst kurzer Frist zu bezahlen. Diese Summe, Miethzins für die Stube (Interesse des Geldes zu zwölf Procent inbegriffen), belief sich aber aus die ungeheure Zahl hundert fünfundsiebzig Franken vierzehn Centimes.

Die Reklamation führte Kälte zwischen den zwei Freunden herbei; von der Kälte gingen sie zum Zwiste über; vom Zwiste waren sie im Begriffe, zu einem Processe überzugehen, bei welchem die Freiheit von Croc-en-Jambe sich gefährdet fand; da begegneten sie am Tage vorher, jeder einzeln, Barthélemy Lelong, der seit acht Tagen völlig geheilt von seinem Blutschlage aus dem Cochin-Hospital ausgetreten war, und dieser gab ihnen zugleich einen Rath und machte ihnen eine Einladung: der Rath war, Salvator zum Schiedsrichter bei dem Streite zu nehmen, der sie trennte; die Einladung war, mit ihm, Barthélemy Lelong genannt Jean Taureau, zur Verherrlichung seiner glücklichen Wiederherstellung ein paar Flaschen Burgunder in der Schenke zur Goldenen Muschel, in der Rue aux. Fers, zu leeren.

Und darum schritten Croc-en-Jambe und la Gibelotte, am Tage vorher noch Feinde aus derselben Ursache, welche Troja ins Verderben gestürzt und die zwei Hähne von Lafontaine uneins gemacht hatte; – darum schritten Croc-en-Jambe und la Gibelotte, sagen wir, am vorhergehenden Tage noch Feinde, auf Salvator und die Schenke, Arm in Arm, so fest zu, als ob sie kein menschliches Interesse oder keine menschliche Leidenschaft trennen könnte.

60Dudelsack.