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Die Mohicaner von Paris

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»Ich suchte Herrn Salvator aus.«

»Das ist nicht wahr!«

»Ah! Sie erwürgen mich! . . . Wache!«

»Um wessen willen kamst Du?«

»Ich suchte Herrn Salvator aus . . . Zu Hilfe!«

»Ich frage Dich, um wessen willen Du kamst?«

»Er kam um meinetwillen,« antwortete hinter Fasiou eine ernste sanfte obschon zugleich sehr feste Stimme. »Lassen Sie diesen Menschen los, Jean Taureau«

»Wahrhaftig?« fragte dieser; »wahrhaftig, Herr Salvator?«

»Sie wissen, daß ich nie lüge . . . Lassen Sie diesen Menschen los, sage ich Ihnen.«

»Bei meiner Treue, es war Zeit, daß Sie kamen, Herr Salvator!« sprach Barthélemy Lelong, während er sein Opfer losließ und mit dem Geräusche athmete, das, denselben Act vollbringend, das Thier macht, von welchem er den Namen entlehnt hatte; »Herr Fasiou war nahe daran, den Geschmack für das Brod zu verlieren, und Herr Galilée Copernic, Schwager von Herrn Zozo vom Norden, wäre genötigt gewesen, heute Abend seine Posse ohne Hanswurst zu spielen.«

Und verächtlich den Rücken demjenigen zuwendend, welchen er für seinen im Herzen von Mademoiselle Fisine bevorzugten Nebenbuhler hielt, ließ er Herrn Fasiou ruhig hinter Salvator aus der Schenke weggehen.

CXII
Wo über Fasiou und Meister Copernic abgehandelt wird, und wo der Autor die Beziehungen, welche zwischen ihnen bestehen, erklärt

Salvator nahm wieder seinen gewöhnlichen Platz an der Mauer ein; Fasiou folgte ihm, wie gesagt, seine Halsbinde ausdehnend, um seiner Kehle Luft zu geben.

»Oh! Herr Salvator,« sagte er, »ich bin Ihnen zu großem Danke verpflichtet! das ist, bei meinem Ehrenworte! das zweite Mal, daß Sie mir das Leben retten! Kann ich Ihnen einen Gefallen thun, so wahr ich Fasiou heiße, ich werde nicht müde, es zu wiederholen, verfügen Sie ganz und gar über mich!«

»Ich werde Dich vielleicht beim Worte nehmen,« erwiderte Salvator.

»Oh! wahrhaftig und beim guten Gott! Sie werden in diesem Falle einen glücklichen Menschen machen, das sage ich Ihnen.«

»Ich erwartete Dich, Fasiou.«

»In der That?«

»Und da ich Dich zu sehen verzweifelte, so war ich im Begriffe, Dir zu schreiben.«

»Ja, Herr Salvator, das ist wahr, ich bin im Verzuge; aber sehen Sie, ich habe Musette allein gesunden, und finde ich Musette allein, ei! so sage ich ihr, daß ich Sie liebe.«

»Du liebst also alle Frauen, lockerer Geselle?«

»Oh! nein. Herr Salvator, ich liebe nur Musette, so wahr ich Fasiou heiße.«

»Und Mademoiselle Fisine?«

»Ich liebe sie nicht! sie liebt mich, sie läuft mir nach; doch ich, wenn ich sie aus der einen Seite sehe, entfliehe nach der andern.

»Ich rathe Dir dasselbe zu thun, wenn Du Jean Taureau sehen wirst; denn ich werde nicht immer zur rechten Zeit da sein, um Dich seinen Händen zu entziehen.«

»Oh! das ist ein ungeschlachter Bursche! . . . Doch ich verzeihe ihm: wenn man eifersüchtig ist . . . «

»Ah! Du bist auch eifersüchtig?«

»Wie der Tiger der Königin Tamatave!«

»Es ist also Musette, die Du liebst?«

»Um darüber an der Auszehrung zu sterben! Sehen Sie, in welchem Zustande ich mich befinde: die Liebe verzehrt all’ mein Fett, bei meinem Ehrenworte!«

»Wenn Du Musette so sehr liebst, warum heirathest Du sie nicht?«

»Ihre Mutter widersetzt sich.«

»Dann mußt Du muthig Deinen Entschluß fassen, Junge, und auf diese Frau verzichten.«

»Ganz und gar nicht! Auf sie verzichten? Ah! ja wohl! ich habe Geduld, ich werde warten.«

»Worauf wirst Du warten?«

»Ich werde warten, bis die Mutter abgefahren ist . . . Das kann ihr früher oder später nicht fehlen.«

Salvator lächelte unmerklich über die grausame Resignation, mit der Fasiou das Hinscheiden seiner Schwiegermutter abwartete, um die Vielgeliebte seines Herzens zu heirathen.

Die argwöhnischen Leser mögen aber nach diesem keine zu schlimme Meinung von Fasiou fassen. Es war ein guter, braver Bursche, dieser unglückliche Hanswurst, der zur gewöhnlichen Truppe der Komödianten von Herrn Galilée Copernic gehörte.

Engagiert für die mäßige Summe von fünfzehn Franken monatlich, die man ihm einen Monat unter vier bezahlte, spielte er das Fach der Pitres, der Jeannots, der Gilles, der Joerisses, kurz alle Rollen von Rothschwänzen, die seiner Physiognomie so sehr entsprachen

Doch hieraus beschränkte sich seine Beschäftigung nicht: er war zugleich Barbier, Perrückenmacher, Friseur der Truppe, welche im Ganzen aus acht Personen bestand, den Director Herrn Galilée Copernic, der die Cassandres spielte, Mademoiselle Musette, welche die Isabellen spielte, und ihn Fasiou, der die Hanswurste und die Gilles in Rivalität mit dem schönen Leander spielte, inbegriffen. Letzteres war ein wahres Märtyrthum für Fasiou, da er, maßlos in Musette (Isabelle) verliebt, seine Geliebte unablässig den Anderen Zärtlichkeiten und ihm Beleidigungen sagen hörte.

Waren die zwei jungen Leute allein, so entschädigten sie sich allerdings: dann bekam Fasiou alle Zärtlichkeiten, und der schöne Leander von fern alle Schmähungen, welche Fasiou von nahe empfangen hatte.

Und sie war ein großes Bedürfniß für ihn, diese Liebe, welche zugleich die Freude und die Qual des armen Fasiou bildete! Er war allein aus der Welt, hatte weder Vater, nach Mutter, weder Oheim, noch Tante, weder Milchbruder, noch Nährvater; es hatte ihm an jeder Familie, mittelbaren oder unmittelbaren, seit seiner ersten Jugend gefehlt. Als der Vater Galilée Copernic an der Montagne Sainte-Genevière vorüberging, fand er ihn auf der Straße Purzelbäume machend; er hob ihn auf und versprach, diese natürlichen . Anlagen zu kultivieren. Er nahm ihn mit und gab ihm, um ihn an sich zu ziehen, ein Abendbrod, von dem das Kind in seinen gastronomischen Träumen nie eine Ahnung gehabt hatte. Als er dieses Zauberbild seiner zukünftigen Existenz sah. machte sich Fasiou eine vielleicht übertriebene Idee von dem Gauklerleben und ließ sich die Wirbelbeine brechen und die Knochen ausrenken, um sich dem Karpfensprunge und allen gymnastischen Uebungen der Clowns hingeben zu können.

Man machte Anfangs Kraftstücke auf den Verschiedenen Plätzen den Paris; als sodann Paris abgebrannt war, ging man in die Provinz und von der Provinz

ins Ausland über. Man besuchte die ersten Hauptstädte Europas und riß vorüberziehenden Militären die Zähne aus; man schluckte Säbel, man verschlang Schlangen und aß brennendes Werg. Doch der Appetit kommt beim Essen selbst von Werg; man war daher darauf bedacht. statt in der Welt herum zu laufen, nach Paris zurückzukehren, hier eine Bühne zu errichten, und im Jahre 1824 oder 1825 erhielt man von der Polizei die Erlaubniß, das Theater auf dem Bouleoard du Temple aufzuschlagen.«

Von dieser Zeit spielte man Paraden61 das ganze Jahr hindurch. Paraden der Mehrzahl nach bestehend

aus Brocken vom Theâtre Italien und dem Theâtre de la Foire; nur fanden bei diesen grotesken Vorstellungen zwei jährliche Unterbrechungen statt: man spielte in der Fastenzeit Mysterien für die Devoten und während der Vacanzen Zauberstücke für die Kinder.

Doch wir sprechen nur von dem, was sich auf der Vorbühne zutrug, das heißt von dem. was man in Ausdrücken der Bank, der hohen oder kleinen,62 die Bagatelle der Thüre nennt. In der That. das unentgeldlich in freier Luft auf den Gerüsten gespielte Stück war nur ein Verwand. um das Publikum in das Innere zu locken; und es wäre wahrhaftig Undank von dem Publikum, das man gratis belustigte, gewesen, hätte es diese Aufmerksamkeit nicht anerkannt und sich geweigert, die Wunder zu sehen, die der Vater Gallée Copernic seinen Zuschauern vorbehielt. Und wir wagen es, zu behaupten, wir, die wir demselben mehr als einmal beigewohnt haben: dieses Schauspiel war die zwei Sous werth, die man bezahlte, wenn man wegging.

Das Innere dieser Baracke war eine wahre Welt in der Verkürzung: Riesen und Zwerge, Albinos und Weiber mit Bart, Eskimos und Bayaderen, Menschenfresser und Invaliden mit hölzernem Kopfe, Affen und Fledermäuse, Esel und Pferde, Boas Constrictors und Seekälber, Elephanten ohne Rüssel und Dromedare ohne Höcker, Orang-Utangs und Sirenen, das Rückenschild einer Riesenschildkröte, das Skelett eines chinesischen Mandarins, das Schwert, mit welchem Ferdinand Cortez Peru erobert hatte, das Fernglas, mit dem Christoph Colombus Amerika entdeckt hatte, ein Knopf von der famösen Hose von König Dagobert, die Tabaksdose des großen Friedrich, der Rock von Herrn von Voltaire, endlich eine lebendige fossile Kröte, in den antediluvianischen Schichten des Montmartre vom berühmten Cuvier gefunden! – Das war, wie gesagt, ein kurzer Inbegriff aller Reiche der Natur und aller Wunder der Welt.

Eine Commission von Gelehrten hätte einen starken Monat nötig gehabt, um den Katalog der tausend Dinge abzufassen, von denen das Innere der Baracke des Vaters Galilée Copernic von oben bis unten emailliert war.

Die Königin Tamatave, welche in einer benachbarten Baracke den. bengalischen Tiger und den numidischen Löwen zeigte, wies auch nicht, trotz ihrer Krone von Goldpapier und ihres Gürtels von Muschelwerk, die Artigkeiten des Vaters Galilée Copernic zurück, als dieser ihr anbot, er wolle bei seiner Trupps Mademoiselle Musette, die Präsumtiverbin von einer der Inseln unter dem Winde, engagieren.

 

Mademoiselle Musette wurde also gegen die Summe von dreißig Franken monatlich von ihrer Mutter dem Vater Galilée Copernic abgetreten, um die Isabellen in der Parade zu spielen und im Innern die keusche Susanne zwischen den zwei Greisen vorzustellen.

Um dem Engagement einen größeren Werth zu geben, unterzeichnete Herr Flageolet unmittelbar unter der Königin Tamatave, und er nahm aus der Urkunde den bescheidenen Titel Vormund an.

Mit den acht Schauspielern, – ihn mitbegriffen, – welche seine Truppe bildeten, gelang es dem Vater Galilée Copernic, nach und nach dem Publikum hundert bis hundertundfünfzig lebende Personen zu zeigen: Blinde, welche hier seit zehn Minuten sahen; Stumme, denen man wunderbarer Weise die Sprache wiedergegeben hatte; Taube, welche man operiert hatte, und die nun hörten wie Jedermann; einen Sergenten von der kaiserlichen Garde, den man mitten in einem ungeheuren Eisklumpen erfroren sah, und der von der Beresina durch seinen eigenen Bruder zurückgebracht worden war; einen kahlen Menschen, aus dessen Schädel man, Dank sei es einer vom Herrn der Anstalt verfertigten Pommade, mit bloßem Auge die rothen Haare hervorkommen sah; einen in der Schlacht von Trafalgar von einer Kanonenkugel durchschossenen Matrosen, welchen zu besichtigen man sich beeilen mußte, da ihm die Aerzte nur noch drei Jahre, zwei Monate und acht Tage zu leben gaben; einen Schiffbrüchigen der Medusa, wunderbar gerettet durch einen Haifisch, für den er um ein Kostgeld bei der Regierung nachsuchte; kurz, Alles, berühmte Männer, berühmte Frauen, berühmte Kinder, berühmte Pferde, berühmte Esel, Alles fand man in vierundsechzig Quadratfuß, und mitten unter diesen Celebritäten, Meister Galilée Copernic Taschenspieler, Wahrsager. Seiltänzer, Marktschreier, Zahnbrecher, Gaukler, Komödiant, bei Allem präsidierend. selbst den Zuschauern die Wunder seines Etablissement zeigend, mit Beschreibungen, wie sie für die Besuche paßten, die er empfing: Edelleute, Soldaten, Handarbeiter, Kapitäne, Stutzer oder Bettler.

Geschickt in allen Gewerben, mit allen Ländern durch seine Reisen bekannt, mit allen Wissenschaften vertraut, alle Sprachen sprechend, alle Idiome wälschend, nach und nach von den Handwerksleuten, den Beamten, den Kriegern, den Geistlichen, den Literaten und den Landleuten als College angesehen; von den Deutschen, den Engländern, den Italienern, den Spaniern, den Russen und den Türken für einen ihrer Landsleute gehalten, war der Vater Galilée nicht die am wenigsten interessante Celebrität unter allen diesen Celebritäten. Es war, um uns kurz zu fassen, ein frecher, ein sorgloser, ein abenteuerlicher, ein fantastischer Zigeuner, in dem sich tausend verschiedene Fähigkeiten vereinigt fanden, welche, wohl geleitet, aus ihm einen Mann von Genie gemacht hätten, sich selbst überlassen aber, umherschweifend und launenhaft nur einen Empiriker und einen Marktschreier aus ihm zu machen vermocht hatten.

Fasiou, man begreift dies wohl, mußte Nutzen aus den Lectionen des trefflichen Meisters ziehen; nur gelangte er. minder glücklich begabt als Copernic, zu einer Grenze der Kunst und der Intelligenz, die er nie überschreiten konnte. Copernic war lange hartnäckig für seine Erziehung bemüht gewesen, doch er hatte daraus verzichtet, aus ihm, wenn nicht seinen Gehilfen, doch wenigstens seinen Stellvertreter zu machen. Da er indessen nicht der Mann war, der irgend ein Subject ernährte, ohne es zu benützen, so war er daraus bedacht. Nutzen aus seinem albernen Wesen, seiner Naivität und, mehr noch als Alles dies, aus seinem dummen Kopfe zu ziehen, und er hatte aus ihm einen Iocrisse, einen Pierrot, einen Hanswurst, einen Pitre, einen Rothschwanz, eine Art von sprechendem Debureau in höchster Vollendung gemacht.

Künstler in großer Anzahl kamen von den entferntesten Quartieren, von der Barrière du Trine, vom Faubourg du Raute, um ihn seine Dummheiten improvisieren zu hören, welche zu Dutzenden in das Ohr der Zuschauer einbrachen, wie an den Tagen öffentlicher Lustbarkeiten die Schlagschwärmer in Paquets in die Beine der Vorübergehenden fahren.

Fanden sich Copernic und Fasiou (Cassandre und Gille) in Scene, so war es ein Lauffeuer von Calembours, von Tölpeleien, von Quidproquo, von Wortspielen, von Witzen, von grotesken Fragen, von albernen Antworten, kurz von Lazzi, die man in der Sprache der Coulissen Balancoiers nennt, um einen mit dem Spleen behafteten Engländer vor Lachen sterben zu machen; man sah auch in den ausschweifendsten Convulsionen die Zuschauer dieser Paraden sich krümmen, wo die zwei Komödianten, der Meister und der Schüler, wie in einer gegenseitigen Rivalität ein wunderbares Talent entwickeln.

Das Interessanteste hierbei ist, daß unser Pitre entfernt kein Bewußtsein von seinem Verdienste hatte: nein, Fasiou wußte nichts von Fasiou. Er hatte Talent, wie die geistreichen Leute Geist haben, ohne es zu wissen. Einmal aus den Brettern, war er nicht mehr Fasiou: er war Gille; er sprach zu Cassandre. wie ein wahrer Diener zu seinem Herrn gesprochen hätte, ohne seine Betonungen zu suchen, ohne die Art, sich auszudrücken, zu verändern, demüthig, natürlich, frech, je nach der Situation; und darum war er ein großer Schauspieler.

Sagen wir nun, wie, Fasiou Salvator hatte kennen lernen, und wie er ihm verpflichtet worden war.

CXIII
Was für einen Dienst Salvator Fasiou geleistet Hatte, und welche Art von Dienst Salvator Fasiou ihm zu leisten bittet

War der Geist von Fasiou naiv, dergestalt naiv, daß er zuweilen bis an die äußersten Grenzen der Dummheit gelangte, so war dagegen sein Herz vortrefflich, und er wurde aufrichtig geliebt von seinen Kameraden, obgleich er ihnen als Stichblatt und oft sogar als Marterholz diente. Er war besonders zur Liebe, wie man gesehen hat, und zur Dankbarkeit, wie man sogleich sehen wird, fähig.

In dem strengen Winter, den man durchlebt, hatten die unglücklichen Komödianten, fast einen Monat, wie die Lappländer, unter dem Schnee begraben, während dieses ganzen Monats nicht zehn Sous Einnahme täglich gemacht; da war ihnen Salvator durch Mittel, die selbst denjenigen, welche er unterstützte, unbekannt, zu Hilfe gekommen, und seit dieser Zeit begab sich der Dankbarste von Allen, der Beste, der Naivste der Truppe, unser Pitre Fasiou, nach seinem Besuche bei Musette, welche an der Ecke der Place Saint-André-des-Arcs wohnte, zu Salvator, um ihm seine Ehrfurcht zu bezeigen und ihn zu fragen, welchen Dienst er ihm in seiner kleinen Specialität leisten könnte.

So währte die Sache drei Monate fort; alle Morgen, von zwölf bis ein Uhr, empfing Salvator, wenn er an seinem gewöhnlichen Platze war, den Besuch von Fasiou; – was erklärt, wie die Gegenwart von Fasiou in der Halle die von uns erwähnte Wirkung hervorbrachte, und wie Fasiou, an die hervorgebrachte Wirkung gewöhnt, derselben keine Aufmerksamkeit schenkte; .– und jeden Tag erneuerte Fasiou gegen seinen Wohlthäter seine Dienstanerbietungen, die derjenige, an welchen sie gerichtet waren, anzunehmen beständig sich geweigert hatte. Fasiou beharrte nichtsdestoweniger dabei, daß er regelmäßig Salvator seinen Besuch und seine Dienstanerbietungen machte; dieser tägliche Act der Ergebenheit war bei ihm eine Gewohnheit geworden.

Die Rue aux Fers, wird man sagen, war auf seinem Wege, um von der Place Saint-André-des-Arcs nach dem Boulevard du Temple zu gehen; doch wir, die wir Fasiou kennen, antworten hieraus, daß es nur von Salvator abhing, sein Domicil nach der Barrière du Temple zu verlegen, und der redliche, dankbare Fasiou wäre in diesem Falle durch die Barrière du Trone gegangen, um von der Rue Saint-André-des-Arcs zum Boulevard du Temple zurückzukommen. – Wie aber hatte dann dieses ehrliche, naive Herz die Hoffnung, die Königin Tamatave vom bengalischen Tiger oder vom numidischen Löwen verschlingen zu sehen, nähren können, und zwar einzig und allein in der Absicht, Mademoiselle Musette zu heirathen? Wir erwidern nur Eines: die Liebe ist eine Leidenschaft, welche toll, blind, grausam macht, und da Fasiou leidenschaftlich liebte, so war er toll, blind, grausam der Frau gegenüber geworden, welche, sein Schicksal in der Hand haltend, ihm mit dieser unbarmherzigen Hand die Thüre des Glückes verschloß, indem sie zur Bedingung dieses Glückes machte, daß Fasiou Musette erst heirathen dürfe, wenn er aus eine gesicherte Art die Summe von dreißig Franken monatlich verdiene! Fasiou, der seit fünf Jahren nur fünfzehn Franken monatlich verdiente, – welche ihm mit einer so regelmäßigen Unregelmäßigkeit bezahlt wurden, daß die mittlere Summe seines Gehaltes nicht fünf Franken monatlich betrug,– Fasiou sah aber nicht am fernsten Horizonte die Möglichkeit einer solchen Gehaltsvermehrung entstehen. Die Heirath von Fasiou war also, wie sich Herr Galilée Copernic scientivisch ausdrückte, auf die griechischen Calenden verschoben; was Fasiou toll, blind und grausam machte, und was ihn in den Stunden seiner Tollheit, Blindheit und Grausamkeit den Tod der Königin Tamatave wünschen ließen.

Unsere Leser begreifen also, nun da wir ihnen die Beziehungen, welche zwischen Fasiou und Salvator bestanden, erklärt haben, den Satz, welchen der Pitre am Anfange des vorbergehenden Kapitels zum Commissionär gesagt hatte: »Herr Salvator, so wahr ich Fasiou heiße, wenn ich Ihnen gleichfalls einen Dienst leisten kann, ich werde nicht müde, es Ihnen zu wiederholen, Sie können ganz und gar über mich verfügen.«

Fasiou, der seine Anerbieten beständig zurückgewiesen gesehen hatte, war auch im höchsten Maße erfreut, als er Salvator ihm erwidern hörte: »Ich werde Dich vielleicht beim Worte nehmen, Fasiou;« bei welcher Erwiederung Fasiou ausrief: »Ah! wahrhaftig und Gott! Sie werden in diesem Falle einen glücklichen Menschen machen, das sage ich Ihnen!«

»Ich zählte wohl auf Deinen guten Willen, Fasiou,« sagte lächelnd Salvator nach der von uns mitgetheilten Abschweifung Mademoiselle Musette betreffend. »Ich habe auch über Dich verfügt, ohne Dich zu Rathe zu ziehen.«

»Ah! reden Sie, Herr Salvator, reden Sie!« rief aufs Neue Fasiou, tief gerührt von dem Merkmale des Vertrauens, das ihm Salvator gab. »Sie wissen ja, daß ich Ihnen mit Leib und Seele ergeben bin!«

»Ich weiß es. Höre mich also an, Fasiou,«

Eine der Fähigkeiten von Fasiou war, seine Nase aus zweiundvierzigerlei Arten zu drehen, und seine Ohren auf dreiundzwanzigerlei; er öffnete also seine Ohren übermäßig und sagte:

»Ich höre, Herr Salvator.«

»Um wie viel Uhr findet Deine Parade statt?«

»Es sind zwei, Herr Salvator.«

»Um wie viel Uhr finden Deine Paraden statt?«

»Die erste um vier Uhr, und die zweite Abends um acht Uhr.«

»Vier Uhr, das ist zu früh; acht Uhr, das ist zu spät.«

»Ah! Teufel, man kann das doch nicht ändern: das ist die Regel.«

»Fasiou, die erste Parade darf heute erst um sechs Uhr anfangen; mehrere von meinen Freunden, welche Deinem Triumphe beizuwohnen wünschen und nur von sieben frei sind, haben mich beauftragt, Dir diese Bitte mitzutheilen.«

»Teufel, Herr Salvator, Teufel!«

»Willst Du mir etwa sagen, das sei unmöglich?«

»Ich werde Ihnen das nie sagen, Sie wissen es wohl.«

»Nun?«

»Nun, da Sie wünschen, daß die Parade erst um sechs Uhr stattfinde, so muß sie wohl um diese Stunde anfangen.«

»Du hast Deine Mittel?«,

»Nein, ich werde sie finden.«

»Ich kann also ruhig sein?«

»Sie können ruhig sein: wenn man mich in Stücke zerhacken wollte, Herr Salvator, man könnte nicht machen, daß ich vor sechs Uhr erscheinen würde.«

»Gut, Fasiou . . . Doch das ist nur die Hälfte des Dienstes, den ich von Dir zu verlangen habe.«

»Desto besser! denn sonst wäre es nicht der Mühe werth.«

»Du bist also geneigt, Alles für mich zu thun?«

»Alles, Herr Salvator! . . . Hören Sie, wenn ich für Sie . . . meine Schwiegermutter verschlingen müßte, wie ich brennendes Werg verschlungen habe, ich würde sie verschlingen.«

»Nein, Du bekämest eine zu schlimme Geschichte mit dem, bengalischen Tiger und dem numidischen Löwen, denen Du sie geweiht hast; ein Wort ist heilig: um so viel mehr ein Gelübde!«

»Nun wohl, sprechen Sie, um was handelt es sich, Herr Salvator?«

»Es handelt sich ganz einfach darum, Deinem Patron heute Abend wiederzugeben, was er Dir alle Tage gibt.«

»Herrn Copernic?«

»Ja.«

»Was er mir alle Tage gibt?«

»Ja.«

»Er gibt mir nie etwas, Herr Salvator.«

»Ich bitte um Verzeihung: er gibt Dir am Ende jeder Parade denselben Fußtritt an denselben Ort, wenn ich mich nicht irre.«

»Aus den Hintern, ja, das ist wahr, Herr Salvator.«

 

»Nun wohl, es handelt sich darum, wenn er Dir heute Abend den täglichen Fußtritt gibt, hinterhältisch zu warten, bis er sich umdreht, und ihm sodann denselben zurückzugeben.«

»Wie?« rief Fasiou, der schlecht verstanden zu haben glaubte.

»Ihm denselben zurückzugeben,« wiederholte Salvator.

»Den Fußtritt dem . . . ?«

»Ja.«

»Herrn Copernic?«

»Ihm selbst.«

»Oh! das ist unmöglich, Herr Salvator!« antwortete der unglückliche Fasiou erbleichend.

»Und warum unmöglich?«

»Ei! weil er in der Stadt mein Director ist, und weil er aus der Bühne mein Herr ist, da er immer die Rollen von Cassandre spielt, und ich die von Gille spiele . . . Uebrigens ist für den Fall vorhergesehen.«

»Wie?« fragte Salvator ganz erstaunt, »es ist für den Fall vorhergesehen?«

»Ja: in meinem Engagement steht, daß ich mich anheischig mache, der Barbier-Perrückenmacher-Friseur der Truppe zu sein, die Gilles, die Jeannots, die Hanswurste, die Einfaltspinsel, die Rothschwänze zu spielen; die Fußtritte aus den Hintern zu empfangen, ohne sie je zurückzugeben

»Ohne sie je zurückzugeben?« sagte Salvator.

»Ohne sie je zurückzugeben! – Ich will es Ihnen übrigens zeigen: ich habe mein Engagement bei mir,« erwiderte Fasiou.

Und er zog aus seiner Tasche ein schmutziges Engagement, das er Salvator darreichte: dieser nahm es, öffnete es mit den Fingerspitzen und sagte:

»Es ist wahr, da steht: ›Ohne sie je zurückzugeben.‹

›Ohne sie je zurückzugeben;‹ oh! das steht hier. Verlangen Sie also mein Leben von mir, Herr Salvator; doch verlangen Sie nicht, daß ich mein Engagement verletze.«

»Warte,« sagte Salvator. »Ich sehe auch in Deinem Engagement, daß Du gehalten bist, alle diese Dinge gegen fünfzehn Franken monatlich zu thun, die Dir Galilée Copernic bezahlen soll.«

»Die mir Herr Galilée Copernic bezahlen soll, ja, Herr Salvator.«

»Nun wohl, ich glaubte, Du habest mir gesagt, er bezahle sie nicht?«

»Das ist wahr, leider wahr.«

»Während Du jeden Abend regelmäßig Deinen Fußtritt empfängst,«

»Zwei, Herr Salvator: einen bei der Parade um vier Uhr, einen bei der Parade um acht Uhr.«

»Nun wohl, mir. scheint, mein lieber Fasiou, sobald Herr Galilée Copernic seine Verbindlichkeiten nicht hält, kannst Du Dich auch gegen die Deinigen verfehlen.«

Fasiou riß die Augen weit aus.

»Hieran hatte ich nicht gedacht,« sagte er.

Sodann den Kopf schüttelnd, fügte er bei:

»Gleichviel, fordern Sie von mir mein Leben; verlangen Sie aber nicht, daß ich Herrn Copernic einen Fußtritt zurückgebe . . . Nein, das ist unmöglich!«

»Und warum dies, da er Dich nicht bezahlt, um sie zu empfangen?«

»Glauben Sie, das gebe mir das Recht, zu . . . «

»Ich glaube es.«

»Oh! nein, oh! nein; er verletzt seine Verbindlichkeiten in minus, ich würde die meinigen in plus, verletzen. Unmöglich. Herr Salvator, unmöglich! Verlangen Sie mein Leben von mir!«

»Laß uns vernünftig reden, Fasiou.«

»Gut, reden wir vernünftig, Herr Salvator.«

»Ihr improvisiert alle diese Paraden, bei welchen Du meiner Ansicht nach ein wunderbares Talent entwickelst . . . «

Die Wangen des Bajazzo bedeckten sich mit Rosen der Bescheidenheit.

»Sie sind sehr gut, Herr Salvator . . . Ja, wie Sie sagen, wir improvisiren sie.«

»Nun wohl, was verhindert Dich, einen Fußtritt zu improvisiren, wie Du ein Quidproquo improvisierst?«

»Aber, Herr Salvator, man wird das nie gesehen haben, daß Gille Cassandre einen Fußtritt zurückgibt!«

»Das wird um so unerwarteter sein, und folglich um so mehr Succeß haben.«

»Oh! bei Gott!« sagte Fasiou. der schon das Gelächter und das Beifallklatschen schallen hörte und sich bei der Künstlerseite fassen ließ; »bei Gott! ich bezweifle es nicht.«

»Nun. also? . . . Wie, Fasiou, ein großer Succeß erwartet Dich, und Du zögerst?«

»Wenn sich aber der Vater Copernic ärgert?«

»Kümmere Dich nicht hierum.«

»Wenn er mich vor die Thüre wirft, weil ich eine der Grundclauseln meines Engagement verletzt habe?«

»Ich engagire Dich.«

»Sie?«

»Ja, ich.«

»Sie werden also Schauspieldirector sein?«

»Vielleicht.«

»Sie engagiren mich?«

»Ja . . . Und ich garantiere Dir dreißig Franken monatlich, und, wenn es sein muß, deponiere ich zum Voraus ein Jahr von Deinem Gehalte.«

»Aber dann, wenn ich dreißig Franken monatlich habe,« rief Fasiou im Glücksschwindel; »aber dann . . . «

»Was?«

»Ah! mein Gott!«

»Nun?«

»Ei! dann werde ich . . . dann werde ich Musette heirathen können?«

»Allerdings . . . doch sei ruhig: er wird Dich nicht fortschicken, denn Du, mein Junge, bist der beste Schauspieler seiner Truppe, und er wird Dich nicht nur nicht fortschicken, sondern verlange sogar am andern Tage von ihm, daß er Deinen Gehalt verdopple, und er wird ihn verdoppeln.«

»Wenn er ihn nicht verdoppelt?«

»So werde ich mit meinen dreißig Franken monatlich, meinen dreihundert fünfundsechzig Franken jährlich da sein.«

»Es ist ja ein ganzes Vermögen, was Sie mir da anbieten, Herr Salvator! es ist mehr als ein Vermögen, es ist das Glück!«

»Schlägst Du Dein Glück aus, Fasiou?«

»Bei meiner Treue! nein, Herr Salvator! Das ist abgemacht,« sprach freudig der Pitre, »und wenn ich Ihnen die volle Wahrheit sagen soll, – es ist mir nicht unangenehm, den Vater Copernic mit gleicher Münze zu bezahlen. Er bekommt auch heute Abend, dafür stehe ich Ihnen, die zwei schönsten Fußtritte aus . . . «

»Nein, nicht zwei,« unterbrach Salvator lebhaft; »laß Dich nicht durch die Situation fortreißen, Fasiou: einen einzigen Fußtritt!«

»Einen einzigen, wohl, der aber so viel werth sein wird, als zwei, das verspreche ich Ihnen,« sagte Fasiou.

Und er machte die Geberde eines Menschen, der einen furchtbaren Fußtritt versetzt.

»Das ist Deine Sache,« erwiderte Salvator; »doch einen einzigen.«

»Ja, einen einzigen, das ist verabredet . . . Sie brauchen nur einen einzigen?«

»Ich habe nur einen einzigen nötig.«

»Was Teufels wollen Sie damit machen?«

»Das ist mein Geheimnis, Fasiou,«

»Wohl denn, er soll nur einen einzigen bekommen.«

Und der Pitre wiederholte seine angreifende Geberde.

»So ist es gut.«

»Oh! ich sehe von hier aus das Gesicht des Patrons . . . Sagen Sie, ich kann unmittelbar daraus vom Gerüste hinabspringen.«

»Ich sehe nichts dagegen einzuwenden.«

»Ich kenne den Vater Copernic: der erste Augenblick wird erschrecklich sein.«

»Ja, doch dreißig Franken monatlich, und die Hand von Musette . . . «

»Oh! das ist wohl werth, daß man etwas wagt.«

»Wohl, so durchgehe noch einmal Deine Rolle, mein Junge, und richte es so ein, daß Dein Schlußfußtritt von halb sieben Uhr bis drei Viertel aus sieben Uhr kommt.«

»Herr Salvator, um sechs Uhr fünfunddreißig Minuten werde ich beim Gegenschlage sein.«

»Gut, Fasiou, und meinen Dank!«

»Adieu, Herr Salvator!«

»Adieu, Fasiou!«

Und der Pitre, nachdem er sich ehrerbietig vor Salvator verbeugt hatte, entfernte sich vom Geheimnisvollen Commissionär, einen alten Refrain des Theâtre de la Foire singend, mit heiterem Geiste und freudigem Herzen, als hätte er erfahren, die Königin Tamatave sei wirklich vom bengalischen Königstiger oder vom großen numidischen Löwen gefressen worden.

Salvator schaute ihm, als er wegging, mit einem Blicke nach, der sehr verschieden von dem war, welchen er zwei Stunden vorher aus la Gibelotte und seinen phlegmatischen Schuldner geworfen hatte.

Verlassen wir jedoch Salvator, um Fasiou zu folgen, und wohnen wir, wenn Sie wollen, liebe Leser, aus dem Boulevard du Temple der Parade bei, welche die enthusiastische Menge ungeduldig erwartet, ob schon hundert Meilen davon entfernt, wir glauben es wenigstens, die ungewohnte Entwickelung, deren Urheber Salvator ist, vorherzusehen.

61Possen für das gemeine Volk berechnet.
62Abenteuer und Drangsale eines Schauspielers von Alex. Dumas.