Tasuta

Die Mohicaner von Paris

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Neunzehntes bis fünfundzwanzigstes Bändchen

CXV
Wo der Leser, der die Paraden nicht liebt, welche Folgen sie auch in der Politik haben mögen, gebeten wird, einen Gang im Foyer zu machen

Als die mißstimmige Symphonie hinter dem Vorhange im Hintergrunde beendigt war, erschienen Gille und Cassandre, das heißt Fasiou und Copernic, aus der Bühne.

Es war zehn Minuten lang ein ungeheures Gelächter und ein Donner von Beifallklatschen.

Jeder von den zwei Künstlern trat bis an den Lampenkasten vor und verbeugte sich dreimal ehrerbietig; dann lehnte sich Fasiou an den Vorhang im Hintergrunde an, während Cassandre, der, da er das Stück eröffnete, am Lampenkasten geblieben war, mit folgendem Monologe begann, – einem Muster der im Jahre der Gnade 1827 blühenden Literatur in freier Lust, welches von einem unserer Freunde stenographiert worden ist, und das in seiner ganzen Treuherzigkeit unsern Lesern vor Augen legen zu kennen wir uns glücklich schätzen.

Erste Scene

Cassandre, träumerisch auf der Vorbühne; Gille, im Hintergrunde des Theaters.

Cassandre.

Der Teufel soll mich holen, wenn ich einen zugleich mit Geist, mit Ehrlichkeit und mit einem schlechten Magen begabten Bedienten zu finden weiß, das heißt einen Menschen, der die drei theologischen Tugenden der guten Diener besitzt! Je weiter wir gehen, desto weiter geht die Welt, und sie geht vom Schlimmen zum Schlimmern; die guten Bedienten machen sich selten! . . . Wohin des Teufels mögen sie gegangen sein? In ein Land, wo es keine Herren gibt. Ich habe deshalb schon oft an Eines gedacht: meinen Dienst selbst zu versehen; doch ich überlegte es mir: ich bin ein Mann von so zähem Geize, daß ich nie einwilligen würde, mir den Lohn zu geben, den ich verdiene; und da es, wenn ein Diener bei mir eintritt, meine erste Bedingung ist, daß ich ihn nicht zu beköstigen habe, so würde ich unstreitig Hungers sterben. Wir wollen also aus dieses wahnsinnige Projekt verzichten und einen Diener suchen, der weniger anspruchsvoll ist als ich. (Umherschauend.) Was sehe ich denn dort? . . . Ei! das ist gerade ein Bedienter! er läuft wie Einer, der keine Milz hat, beständig in die Luft schauend . . . He! Freund! . . . Er hört mich nicht und schaut immer in die Luft . . . He! Freund! . . . Hoffen wir, daß er einen Pflasterstein trifft und fällt . . . Plumps! da liegt er aus der Erde! (Auf Gille zugehend und ihn aufhebend.) Mein Freund, was läufst Du noch?

Gille.

Mein Herr, ich laufe nicht mehr: Sie sehen es wohl!

Cassandre, beiseit,

Das ist richtig; dieser Bursche ist voll Verstand, und ich, ich bin im Unrecht, (Laut.) Entschuldige mich, ich habe eine Zeit statt einer andern genommen. Was liefst Du noch?

Gille.

Ich lief einem Vogel nach.

Cassandre, beiseit.

Das erklärt mir, warum dieser Bursche in die Luft schaute . . . (Laut.) Und wie ist dieser Vogel entwischt?

Gille.

Ich habe das Thürchen seines Käfigs ausgemacht.

Cassandre.

Und warum hast Du das Thürchen seines Käfigs aufgemacht?

Gille.

Weil der Käfig dieses armen Vögelchens schlecht roch.

Cassandre.

Nach dem, was ich sehe, bist Du im Dienste?

Gille.

Ah! Herr, nach dem Unglücke, das mir widerfahren ist, kann ich mich sicherlich als frei betrachten! und wenn Sie einen Diener brauchen . . .

Cassandre.

Wetter! ich muß vor Allem wissen, woher Du kommst.

Gille.

Ich komme von einem Hause.

Cassandre.

Das vermuthe ich wohl . . . Doch wem gehörte dieses Haus?

Gille.

Einem Erzbischof.

Cassandre.

Und welche Geschäfte verrichtetest Du bei Deinem Erzbischof?

Gille.

Ich war Haushofmeister.

Cassandre.

Wetter! Du mußt also tüchtig kochen! Und was wirst Du von mir nehmen?

Gille.

Wofür?

Cassandre.

Um in meinem Dienste zu sein.

Gille.

Oh! seien Sie ruhig, Herr, ich werde Ihnen nehmen, was ich kann.

Cassandre.

Ich frage Dich, aus welchem Fuße Du in mein Dienste einzutreten gedenkst?

Gille.

Aus meinen beiden Füßen, Herr.

Cassandre.

Das ist gut, und ich glaube, daß wir vortrefflich übereinkommen werden.

Gille.

Und ich, ich bin dessen sicher, Herr.

Cassandre, ihn anschauend.

Eh! eh!

Gille, Cassandre anschauend.

Eh! eh!

Cassandre.

Deine Physiognomie gefällt mir; die Farbe Deine, Haare ist nach meinem Geschmacke; Deine Nase verführt mich. Nun wollen wir aber ein wenig sehen, ob Dein Gesang Deinem Gefieder gleicht.

Gille, singend,

 
Un Suiss’ rev’nant d’campagne,
De son pays, d’l’Allemagne . . .
 

Cassandre.

Was machst Du?

Gille.

Ei! Sie haben meinen Gesang zu sehen verlangte ich singe . . .

Cassandre.

Dieser Bursche spricht mich immer mehr an. (Laut,) Das ist es nicht, was ich sagen wollte; ich wollte einige Fragen an Dich richten, um zu sehen, ob es Dir nicht ganz und gar am gesunden Verstande gebreche.

Gille.

Oh! wenn es nur das ist. reden Sie. Herr; fragen Sie. Es gibt Niemand, der Ihnen besser antworten kann, als Ihr Diener.

Cassandre.

Das ist wahr, denn Du sprichst viel. Erkläre mir ein wenig, zum Beispiel . . . Ich habe vergessen, Dich zu fragen, wie Du heißest.

Gille.

Ich heiße Gille, Ihnen zu dienen.

Cassandre, beiseit.

Dieser Bursche ist äußerst einschmeichelnd. (Laut.) Wohl also, mein lieber Gille, erkläre mir ein wenig, wie es kommt, daß die Fische in die Tiefe des Flusses hinabgehen, ohne zu ertrinken.

Gille.

Und wer sagt Ihnen, Herr, daß sie nicht ertrinken?

Cassandre.

Sie kommen ja, nachdem sie auf dem Grunde gewesen sind, an die Oberfläche des Wassers zurück!

Gille.

Es sind nicht die ertrunkenen, die zurückkommen, es sind andere.

Cassandre,

Nach einem Augenblicke tiefen Nachdenkens! Wetter! Du könntest Recht haben.

Gille.

Hat der Herr noch andere Fragen an mich zu richten?

Cassandre.

Gewiß! . . . Wie kommt es, daß der Mond gerade untergeht, wenn die Sonne aufgeht?

Gille.

Herr, nicht der Mond geht unter, wenn die Sonne aufgeht, sondern die Sonne geht auf, wenn der Mond untergeht.

Cassandre, erstaunt.

Bei meiner Treue, daran habe ich nie gedacht! Du bist also Astronom, Gille?

Gille

Ja, Herr.

Cassandre.

Und unter wem hast Du studiert?

Gille.

Unter Herrn Galilée Copernic.

Cassandre.

Ein großer Mann! . . . Nun wohl, wenn Du unter diesem berühmten Gelehrten studiert hast, so kannst Du mir wahrscheinlich aus die Frage antworten, die ich an Dich machen werde. Glaubst Du, daß die Vorsehung gerecht gegen mich gewesen ist, indem sie mir nur zwei Hände gegeben hat, während ich fünf Fuß vier Daumen63 habe?

Gille.

Sie ist noch viel ungerechter gegen den Esel gewesen, der vier Fuß und gar keine Hände hat!

Cassandre, erstaunt.

Dieser Bursche hat aus Alles eine Antwort! (Zu sich selbst und sich dem Publicum nähernd.) Ich glaube entschieden, daß ich hier einen Burschen voll Verstand getroffen habe, der ein ergebener Diener sein wird, und aus dem ich vielleicht auch eines Tages einen guten Schwiegersohn machen kann, wenn er ein paar Thaler zurückgelegt hat. (Laut,) Antworte mir, Gille.

Gille.

Ich thue nichts Anderes, Herr.

Cassandre.

Das ist wahr . . . Bist Du Junggeselle, Gille?

Gille.

Wenn man sich nicht getäuscht hat, als man mich aus der Mairie angab.

Cassandre, beiseit.

Der Bursche begreift nicht. (Laut,? Ich frage Dich, ob Du ehelos seist.

Gille.

Ehelos wie Jeanne d’Arc.

Cassandre.

Was willst Du damit sagen?

Gille geheimnisvoll.

Ich will damit sagen, ich könnte die Engländer verjagen.

Cassandre.

Das kann Dir bei Gelegenheit nützlich sein. Doch sprechen wir nicht von Politik.

Gille.

Gut, Herr; sprechen wir von Philosophie, Botanik, Anatomie, Literatur, Wissenschaften, Pyrotechnik . . . (Sich unterbrechend ) Ah! was die Pyrotechnik betrifft, was erblicke ich denn dort?

Cassandre, der Richtung des Fingers von Gille folgend.

Das ist eine Flasche Wein, die ich, um mich zu erfrischen, habe herausbringen lassen.

Gille.

Sind Sie wie ich, Herr?

Cassandre.

Vielleicht . . . Wie bist Du?

Gille.

Ich bin durstig.

Cassandre.

Oh! ich, ich bin es immer!

Gille.

Ich würde gern einen Schoppen erwürgen,

Cassandre, beiseit.

Der Bursche ist voll Gewandtheit! (Laut.) Wohl, es sei, Gille, und wir werden bechernd plaudern, oder plaudernd bechern, wie Du willst. Du hast das Aussehen eines geordneten Jungen.

Gille.

Nun, darin täuschen Sie sich, Herr: seit der letzten Weinlese bin ich ganz . . .

Cassandre, ihn durch eine Geberde unterbrechend, und beiseit.

Der Bursche versteht mich nicht. (Laut) Ich wollte sagen, Du scheinst mir keine Laster zu haben.

Gille.

Nein, Herr, ich habe nur Nägel, und diese verursachen mir viel Schmerzen!

Cassandre.

Ich meine. Du wissest Dich zu benehmen.

Gille.

Ich war Fiacrekutscher.

Cassandre, beiseit.

Aendern wir das Gespräch: es gibt gewisse Punkte, die mir dieser Bursche ganz und gar nicht begreifen zu können scheint. (Laut) Hast Du viel gedient?

 

Gille.

Ja, Herr, was mich nicht abhält, völlig neu zu sein.

Cassandre.

Und wem hast Du gedient?

Gille.

Vor Allem meinem Vaterlande.

Cassandre.

Wie, Du bist Soldat gewesen, mein Braver?

Gille.

Als Rekrut, ja, Herr, drei Monate lang.

Cassandre. Solltest Du das Unglück gehabt haben, verwundet worden zu sein?

Gille.

So ist es.

Cassandre. Wo dies, mein Junge?

Gille

Im Herzen! Ich bin durch das Benehmen meines Generals verwundet worden.

Cassandre.

Was ist denn geschehen?

Gille.

Es ist geschehen, daß uns der General die Ebene in allen Richtungen durchziehen ließ.

Cassandre.

Ei! er hatte vielleicht den Schnupfen. Gille

Da wir nicht einem einzigen Feinde begegnet waren, so erlaubte ich mir, zu sagen, der General habe einen großen Sieg davon getragen.

Cassandre.

Welchen?

Gille

Er habe das Feld geschlagen.64 So daß mich der General in den Arrest schickte.

Cassandre.

Er wird Dich nicht verstanden haben. Und wie lange bist Du im Gefängniß gewesen?

Gille.

Drei Jahre, Herr.

Cassandre.

Und in welcher Lage erhob sich Dein Kerker?

Gille.

Er erhob sich nicht, Herr: er vertiefte sich.

Cassandre.

Ich begreife . . . Somit fandst Du Dich . . .

Gille.

Vertieft, ja, Herr.

Cassandre.

Ich wollte Dich fragen, an welchem Orte er gelegen sei.

Gille.

Nahe beim Meere.

Cassandre.

Bei welchem Meere?

Gille.

Beim Mittelländischen.

Cassandre.

Ich kenne beim Mittelländischen Meere eine Stadt, wo ich gewesen bin.

Gille. Ich auch, Herr.

Cassandre, suchend.

Sie heißt Tou . . . Tou . . . Tou . . .

Gille, vollendend.

Lon, lon, lon.

Cassandre.

So ist es, Toulon . . . Ah! mein armer Junge, und Du bist auch auf den Galeeren gewesen?

Gille.

Es gibt kein so dummes Handwerk, Herr.

Cassandre.

Das ist vollkommen wahr . . . Und wem hast Du noch außer Deinem Vaterlande gedient?

Gille.

Ich habe als Spielzeug einer meiner Landsmänninnen gedient.

Cassandre.

Die Dich hat Land sehen lassen?

Gille.

Ganz richtig, Herr: und ich habe begriffen, daß die Reisen, die einen die Mädchen machen lassen, viel ermüdender sind, als die, welche man zur See macht.

Cassandre.

Du mußtest Dir etwas ersparen während Deiner langen Dienste, Gille?

Gille

Ja, Herr, ich habe viel Mühe erspart.

Cassandre.

Einverstanden; doch Sorten?

Gille.

Jede Sorte von Mühe.

Cassandre, beiseit.

Der Bursche versteht mich nicht, (Laut ) Ich frage Dich, ob Du einige Stücke habest?

Gille.

Ich habe meinen Rock voll davon.

Cassandre.

Fonds?

Gille.

Meine Hose voll.

Cassandre.

Nein, das ist es nicht. Du mußt etwas baar Geld haben?

Gille.

Es wäre mir noch lieber, wenn ich etwas Geld hätte.

Cassandre, beiseit.

Der Bursche versteht mich nicht, (Laut) Hast Du etwas zurückgelegt?

Gille.

Ich habe die Thorheiten der Jugend zurückgelegt. Was wollen Sie? man wird alt.

Cassandre.

Wem sagst Du das Gille? Indessen hast Du aus meine Frage noch nicht geantwortet.

Gille.

Ah! bah!

Cassandre.

Ich fragte Dich, ob Du etwas Geld angelegt habest.

Gille.

Warum haben Sie sich nicht sogleich erklärt, Herr! Ich habe fünfzig Thaler Leibrente nach dem Tode meiner Muhme.

Cassandre, erstaunt,

Wetter! hundertundfünfzig Livres Rente! weißt Du, daß das eine Summe ist?

Gille.

Sicherlich weiß ich es.

Cassandre.

Ich meine eine gute, schöne Summe.

Gille.

Allerdings, ich verstehe wohl: Sie wollen damit sagen, es sei kein dummes Sümmchen.

Cassandre.

Gille!

Gille

Herr?

Cassandre.

Ich mache Dir einen Vorschlag.

Gille.

Welchen?

Cassandre,

Wirst Du annehmen?

Gille.

Ich werde annehmen, wenn ich nicht ausschlage.

Cassandre.

Ich habe eine Tochter.

Gille.

Wahrhaftig?

Cassandre.

Bei meinem Ehrenworte!

Gille.

Sie gehört Ihnen ganz allein, Herr?

Cassandre.

Ich habe sie von meiner seligen Frau gehabt.

Gille.

Dann ist sie von Ihrer Frau, und nicht von Ihnen,

Cassandre.

Ich bitte um Verzeihung, Gille: sie ist von uns Beiden. (Beiseit) Der Junge ist so unschuldig, daß er nicht begreift! (Laut,) Ich sagte also, ich habe eine schöne, tugendhafte, keusche Tochter, von sehr freudigem Charakter.

Gille.

Dann ist es ein Freudenmädchen, Herr.

Cassandre.

Ich suche seit einiger Zeit eine passende Partie für sie. Ich finde zufällig Dich hier, und ich mache Dir den Vorschlag: Gille, willst Du mein Schwiegersohn werden?

Gille.

Nun, ich sage nicht nein, Herr.

Cassandre.

Was macht das mir, wenn Du nicht ja sagst?

Gille.

Man müßte den Gegenstand sehen, Herr.

Cassandre.

Ich will ihn Dir zeigen.

Gille.

Ja, doch umsonst.

Cassandre.

Umsonst, allerdings, (Beiseit.) Das ist offenbar ein sparsamer Junge.

Gille.

Und mit welcher Mitgift gedenken Sie dieselbe zu schmücken?

Cassandre.

Mit einer Mitgift der gleich, welche Du selbst bringst: fünfzig gute Thaler. Gille.

Gille.

Eingeschlagen! Das ist abgemacht.

Cassandre.

Also kann ich meine Tochter rufen?

Gille.

Rufen Sie sie.

Cassandre, rufend.

Zirzabelle! (Zu Gille.) Ich glaube, Du wirst zufrieden sein.

Gille.

Sie sagen, sie sei schön?

Cassandre.

Mein natürliches Ebenbild.

Gille.

Teufel! das ist der Mühe werth!

Cassandre.

Verschönert, wohlverstanden.

Gille.

Ah! gut!

Cassandre, stärker rufend.

Zirzabelle! . . . Holla! Zirzabelle! . . . Man muß sich immer den Hals abschreien, wenn man diese Plaudertasche braucht . . . Zirzabelle!

Zweite Scene

Dieselben, Isabelle.

Isabelle kommt ganz sachte herbei und hält ihren Mund an das Ohr ihres Vaters.

Hier bin ich!

Cassandre.

Die Bestie, die mich vor Angst fast umgebracht hat, soll die Pest holen!

Isabelle.

Ei! mein Vater, Sie schreien auch wie ein Stock, der seinen Blinden verloren hat!

Cassandre.

Warum kommst Du nicht, so oft ich Dir rufe?

Isabelle.

Weil ich, wenn ich ginge, so oft man mich ruft, zu oft gehen würde, und besonders zu weit. Was steht zu Ihren Diensten, mein Vater?

Cassandre.

Schau!

Isabelle.

Was?

Cassandre, auf Gille deutend.

Dieser hübsche Bursche.

Isabelle.

Dieser Bäckerknecht da?

Cassandre.

Wie findest Du ihn?

Isabelle.

Oh! die abscheuliche Fratze!

Cassandre.

Das ist Dein zukünftiger Gatte.

Isabelle.

Wie! mein zukünftiger Gatte?

Cassandre.

Ja, ich habe ihm so eben mein Wort gegeben.

Isabelle.

Wohl, Sie können es wieder zurücknehmen.

Cassandre.

Wie beliebt?

Isabelle.

Ich, diesen Fastnachtsnarren da heirathen? Nie!

Gille.

Ich bin mager, mein Fräulein; doch mit gutem Willen kommt man zu Allem.

Isabelle.

Mit diesem Gesichte kommt man nur ins Spital, verstehen Sie, mein schöner Freund?

Cassandre, zu Gille,

Wie findest Du sie?

Gille.

Anbetungswürdig.

Cassandre.

Nun wohl, alle Bockshörner! sie wird Deine Frau sein. Ich lasse sie mit Dir allein: unterhalte sie.

Gille.

Ei! dann wird sie, wenn sie mich verlassen hat, ein unterhaltenes Frauenzimmer sein!

Cassandre. abgehend.

Der Bursche versteht mich nicht.

Dritte Scene

Gille, Isabelle.

Isabelle.

Oh! wie unglücklich bin ich in meinem Unglücke! und wie konnte meine Mutter, welche für ihre Tochter die Wahl eines Vaters hatte, mir diesen Vater wählen?

Gille.

Sie haben Unrecht, Fräulein Zirzabelle, solche Beleidigungen gegen den Bürger, der der Urheber Ihrer Tage ist, zu schwatzen. Heißt es denn Sie ins Unglück stürzen und Sie schinden, Ihnen einen galanten Mann zum Gatten anbieten?

Isabelle.

Ich, Ihr Gatte? .. Das heißt Sie, meine Frau?..

Gille.

Verzeihen Sie, ich glaube, Sie täuschen sich, Fräulein Zirzabelle.

Isabelle.

Ja. doch Sie begreifen mich dennoch! – Nie!

Gille.

Wenn ich Ihnen indessen, zwischen beide Augen, die rechte Hand aus meinem Herzen, die linke Hand an der Naht meiner Hose, gestehen würde, ich habe mich plötzlich verliebt.

Isabelle.

In wen?

Gille.

In Sie! . . . Sehen Sie, nun bin ich gerade in der Position, die rechte Hand aus dem Herzen, die linke Hand an der Naht meiner Hose, schaue ich Ihnen zwischen beide Augen . . . Ich liebe Sie rasend, meine Theure! Was haben Sie hieraus zu antworten?

Isabelle.

Ich werde auf dieses schmeichelhafte Geständnis durch ein ganz ähnliches antworten, nur wird es, vollkommen das Gegentheil sein. Ich denke. Sie stammen von einem edlen Geschlechte ab, und ich glaube mit einem französischen Cavalier zu sprechen; ich will also mein Geständniß von mir geben.

Gille.

Ich höre Sie mit Interesse: reden Sie.

Isabelle.

Soll ich offenherzig sein?

Gille.

Seien Sie es.

Isabelle.

Nun wohl, seitdem ich Sie gesehen, habe ich einen Abscheu gegen Sie gefaßt!

Gille.

Oh! Himmel! Oh! doppelter Himmel!

Isabelle.

Hören sie einen Augenblick auf zu schwören, und lassen Sie mich den Rest meines Rosenkranzes vor Ihnen abkörnen, edler Herr. Einerseits liebe ich Sie, nicht, weil ich Sie hasse, und andererseits bin ich rasend in einen Edelmann von gutem Hause verliebt.

Gille.

Und wie heißt mein gräulicher Nebenbuhler?

Isabelle.

Herr Leandre.

Gille.

Ich kenne ihn, und dieses kann ich damit beweisen, daß ich ihn? Ohrfeigen gegeben habe, die er mir nie zurückgegeben hat.

Isabelle, Gille beohrfeigend.

Nun wohl, ich gebe sie Ihnen für ihn zurück; Sie können ihm eine Quittung dafür ausstellen.

Gille, sich ausrichtend.

Alle Hagel! Fräulein Zirza, wissen Sie, daß ich mir nicht aus den Fuß treten lasse?

Isabelle.

Sie haben also ein Hühnerauge?

Gille.

Nein, das ist eine Redensart.

Isabelle.

Oh! machen Sie keine Umstände mit mir! Ich sagte Ihnen vor der Ohrfeige und ich wiederhole Ihnen nach dem Schlage, daß ich Herrn Leandre leidenschaftlich liebe. Wir haben um die Mitte des Augusts angefangen uns den Hof zu machen.

Gille, beiseit,

Das ist ja eine, Katze, dieses Mädchen da! (Laut) Um die Mitte des Augusts von welchem Jahre?

Isabelle.

1820! Sie sehen, das datiert nicht von gestern. Lösen Sie daher unsere Heirath wieder auf, und wäre es nur aus Großmuth.

Gille.

Ah! wischi! dazu bin ich zu sehr in sie verliebt!

Isabelle.

Nun wohl, dann nach Ihrem Gefallen; und ich habe Ihnen nur ein Wort zu erwidern: heirathen Sie mich, so mache ich Sie, so wahr ich ein ehrliches Mädchen bin, zum Hahnrei! Mir gleichviel! Sie haben mich gezwungen, dieses unanständige Wort auszusprechen; doch ich bekümmere mich nichts darum: Worte stinken nicht.

Sie geht ab.
Vierte Scene

Gille, allein.

Wer könnte je glauben, dieses Mädchen sei die eigene Tochter . . . wenn ich, sage eigen! des ehrenwerthen Greises, der so eben herbeikommt! . . . Machen wir ihm unsere ehrfurchtsvollsten Complimente.

Fünfte Scene

Gille. Cassandre.

Cassandre.

Nun, Gille?

Gille.

Nun. Herr?

Cassandre.

Was sagst Du zu meiner Frucht?

Gille.

Offenherzig gesprochen, ich glaube, sie ist ein wenig reif.

 

Cassandre.

Reif?

Gille.

Um nicht zu sagen verdorben.

Cassandre. Was bedeutet das, Herr Gille?

Gille.

Ich bin verantwortlich für das, was ich gesagt habe.

Cassandre.

Solltest Du es wagen, die Tugend selbst zu verleumden?

Gille.

Kennen Sie einen gewissen Leandre?

Cassandre.

Bei Gott! ob ich ihn kenne!

Gille.

Nun wohl, er hat Ihre Frucht vor mir kultiviert.

Cassandre.

Ich weiß das; da er aber ein Taugenichts ist, so habe ich ihn weit, weit weggeschickt, und er ist gegangen.

Gille.

Das heißt, er hat Sie glauben gemacht, er gehe.

Cassandre.

Gleichviel, Du bist der Mann, den ich geträumt habe, und Du mußt meine Tochter heirathen.

Gille.

Das wäre mir ganz lieb.

Cassandre.

Schwöre mir also, daß Du sie heirathest! und ich schwöre Dir bei den fünfhundert Teufeln und bei ihren tausend Hörnern, sie nur Dir in der Welt, mittelbar oder unmittelbar, zu geben.

Gille.

Ich will schwören wie ein Fuhrmann . . . Oh! Teufel! oh! Hölle! oh! Mord und Elemente! oh! Hagel und Wetter! oh! Pulver und Blei! ich verspreche Ihnen nie eine andere Person zu heirathen, von welchem Geschlechte sie auch sein mag, als Fräulein Zirzabelle, Ihre vermeintliche Tochter!

Cassandre.

Gut geschworen! alle Donner! alle Blitze! alle Gewitter! Es hat mich bei Deinem Schwure ein Schauer überlaufen! Ich schwöre Dir also meinerseits, daß meine Tochter Zirzabelle nie, mittelbar oder unmittelbar, die Frau eines Andern als von Dir sein wird. Ich will sie noch einmal rufen und Ihr meinen letzten Willen dictiren.

Gille.

Sie sind also im Begriffe, zu sterben, Schwiegervater?

Cassandre.

Ich will sagen meinen äußersten Willen. (Den Briefträger erblickend ) He! he! was kommt da zu uns?

Gille. sich die Nase zuhaltend.

In jedem Falle ist es nicht der Parfumeur,

Cassandre.

Nein, es ist der Briefträger.

Sechste Scene

Dieselben, der Briefträger.

Der Briefträger, die Nase in der Luft,

He! Herr Cassandre!

Gille.

Dieser Mensch sieht aus, als ob er Sie suchen würde.

Cassandre,

Glaubst Du?

Der Briefträger, immer in die Luft schauend.

He! Herr Cassandre!

Gille.

Sie sehen wohl, da er Sie ruft.

Der Briefträger, dasselbe Spiel,

He! Herr Cassandre!

Cassandre.

Sie rufen Herrn Cassandre, mein Freund?

Der Briefträger.

Die Pest hole Sie! zweifeln Sie daran, so sind Sie taub!

Cassandre.

Die Pest hole Sie selbst! . . . Ich bin es.

Der Briefträger.

Die Pest?

Cassandre, beiseit.

Der Bursche versteht mich nicht. (Laut,) Nein, ich bin Herr Cassandre.

Der Briefträger.

Unmöglich!

Cassandre.

Warum?

Der Briefträger.

Weil aus dem Briefe steht: »Herrn Cassandre. Mondstraße.«

Cassandre.

Nun wohl, wir sind in der Mondstraße.

Der Briefträger.

Aber es steht hier: »Mondstraße, im fünften Stocke,« und Sie sind aus der Straße.

Cassandre.

Das macht nichts: ich bin Herr Cassandre, Mondstraße, im fünften Stocke, gegenwärtig hier aus der Straße.

Der Briefträger.

Sie werden nur Herr Cassandre sein, wenn Sie im fünften Stocke sind.

Cassandre.

Dann werde ich hinaufgehen. Bleiben Sie hier, um zu sehen, ob ich oben bin.

Der Briefträger.

Es ist gut.

Cassandre, abgehend.

Der Bursche versteht mich nicht.

Siebente Scene

Der Briefträger, Gille.

Der Briefträger.

Mein Freund, kennen Sie im Quartier vielleicht Einen Namens Gille?

Gille.

Ja, ein hübscher Junge, edles Aussehen, distinguirtes Gesicht?

Der Briefträger.

Das ist möglich.

Gille.

Hier ist er.

Der Briefträger,

Wo?

Gille.

Vor Ihren Augen.

Der Briefträger.

Potz Henker!

Gille.

Wie beliebt?

Der Briefträger.

Sie heißen Gille?

Gille.

Bezweifeln Sie es?

Der Briefträger.

Ei! nach dem Portrait, das Sie von ihm machen . . .

Gille.

Zum Glücke habe ich meine Dienstetats bei mir.

Der Briefträger.

Wozu sollen die Dienstetats nützen?

Gille.

Mein Signalement ist darin.

Der Briefträger.

Lassen Sie das Signalement sehen.

Gille, zieht ein Papier aus de, Tasche und liest.

»Hafen von Toulon . . . hm! Hm! . . . Ich Unterzeichneter, Ober-Goliottenaufseher . . . hm! . . . bezeuge . . . hm! Hm! . . . daß der Namens Gille – das ist es! – zweiundzwanzig Jahre alt . . . «

Der Briefträger.

Gut.

Gille, fährt fort zu lesen.

»Größe 5 Fuß 1 Zoll . . . «

Der Briefträger.

Gut.

Gille, dasselbe Spiel.

»Trompetennase . . . «

Der Briefträger.

Gut.

Gille, dasselbe Spiel,

»Gesichtsfarbe bleich . . . «

Der Briefträger.

Sehr gut.

Gille, dasselbe Spiel.

»Haare senffarbig . . . «

Der Briefträger.

So ist es! Ah! Sie sind wirklich Gille.

Achte Scene.

Dieselben, Cassandre.

Cassandre, am Fenster des fünften Stockes

He! Briefträger!

Der Briefträger.

Man kommt! (Zu Giue.) Geben Sie mir zehn Sous.

Gille

Warum?

Der Briefträger.

Das ist der Preis Ihres Briefes.

Gille.

Der Preis meines Briefes? Wie! ich muß bezahlen, weil man mir geschrieben hat?

Der Briefträger.

Allerdings.

Gille.

Ei! mir scheint, derjenige, welcher die Ehre hat, an mich zu schreiben, müßte bezahlen.

Cassandre.

He! Briefträger!

Der Briefträger.

Man kommt. (Zu Gille.) Rasch, geben Sie Ihre fünfzig Centimes heraus.

Gille.

Ich mißtraue Ihrem Briefe.

Der Briefträger.

Wie, Sie mißtrauen?

Gille.

Man hat in Briefen verborgene Höllenmaschinen gesehen.

Der Briefträger.

Sie nehmen einen chargirten Brief nicht an?

Gille.

Ich glaube wohl! ein Grund mehr, daß er losgeht, wenn er chargirt ist.65

Der Briefträger.

Desto schlimmer für Sie! das sind Geldnachrichten.

Gille.

Wie? ein chagirter Brief, das bedeutet Geldnachrichten?

Der Briefträger.

Ja.

Gille.

Ich glaubte, der Kreuz-Achter bedeute Geld.

Cassandre.

He! Briefträger!

Der Briefträger.

Man kommt.

Gille.

Hier sind Ihre fünfzig Centimes.

Der Briefträger.

Ich danke.

Gille.

Ei! sagen Sie doch, Ihr Brief bat ein Datum . von acht Tagen!

Der Briefträger. Acht Tage, um von Pantin zu kommen, das ist nicht zu viel.

Gille.

Es steht aber daraus: »Pressant.«

Der Briefträger.

Derjenige, welcher ihn schreibt, hat Eile, nie der, welcher ihn trägt.

Gille.

Es ist gut . . . Entferne Dich, denn aus Deiner Lade kommen stinkende Miasmen hervor.

Der Briefträger.

Sie enthält eine Cervelatwurst mit Knoblauch, die ich für mein Frühstück hineingesteckt habe.

Cassandre, mit einer langen Schnur in der Hand.

He! Briefträger!

Der Briefträger, geht unter das Fenster,

Hier bin ich! hier bin ich!

Cassandre.

Bin ich nun Herr Cassandre, Mondstraße, im fünften Stocke?

Der Briefträger.

Ich sage nicht nein.

Cassandre.

So schicken Sie mir meinen Brief.

Der Briefträger.

Schicken Sie mir zuerst meine drei Sous.

Cassandre.

Hier sind sie. Er wirst sie ihm zu.

Der Briefträger.

Ich danke. (Er bindet den Brief an das Ende des Fadens) Ziehen Sie.

Cassandre.

Gut! (Er zieht den Faden! doch in diesem Augenblicke öffnet sich das Fenster des ersten Stockes, eine Hand streckt sich aus und ergreift den Brief unter Weges.) He! Briefträger.

Der Briefträger.

Nun?

Cassandre.

Sie sehen nicht?

Der Briefträger.

Doch.

Cassandre.

Man stiehlt mir den Brief.

Der Briefträger.

Ihr Brief stahl wohl! Ein Dieb, der einen andern bestiehlt, macht den Teufel lachen.

Er geht ab.

Cassandre.

Der Bursche versteht mich nicht! Ich gehe in den ersten Stock hinab und fordere meinen Brief.

Er schließt sein Fenster wieder.
Neunte Scene

Gille, allein,

Ah! nun, da ich allein bin, wollen wir im Frieden studieren, was man mir in diesem Briefe meldet. (Er öffnet den Brief und liest,) »Ich habe die Ehre, Ihnen mitzutheilen, daß die Gesundheit von Benjamin, Ihrem dritten Enkel, völlig wiederhergestellt ist. Er befindet sich zur Stunde wie der Baum genannt Hagebuche; ich vermöchte meinen Gedanken nicht besser auszudrücken . . . « (Sich unterbrechend ) Das ist seltsam! ich glaubte nie in meinem Leben Vater gewesen zu sein; wie kommt es, daß ich Großpapa bin? . . . Gleichviel! es wird sich vielleicht aufklären. Fahren wir fort. (Lesend,) »Wäre es nicht endlich Zeit, daß Sie Ihre Einwilligung zu einer Heirath geben würden, welche seit sieben Jahren ohne Ihr Wissen vollzogen ist, ich muß es Ihnen gestehen, und sollte dieses Geständniß Ihre weißen Haare ausfallen machen . . . « (Hört auf zu lesen.) Gut! nun habe ich weiße Haare! Blaue, grüne, schwarze, gelbe oder rothe, von allen Farben, die man will; doch weiße, – dagegen protestiere ich! Lassen wir uns indessen nicht entmuthigen: (Liest weiter.) »Ist es nicht beklagenswerth, daß Sie Ihre Fräulein Tochter, während Sie wissen, daß sie Mutter von drei Kindern ist, an diesen Einfaltspinsel Gille zu verheirathen gedenken? . . . « (Sich unterbrechend) Von wem spricht er denn? (Lesend ) »Ich erwarte Ihre Antwort, indem ich Ihnen melde, daß ich eine kleine Erbschaft von zweihundert Limes Rente gemacht habe, die uns, Zirzabelle und mir, in einem bescheidenen Wohlstande mit einander zu leben gestatten wird. Antworten Sie mir umgehend! – Ihr ergebenster Leandre.« (Nachdenkend.) Nein, nein, es ist nicht möglich! wäre ich wirklich der Vater meiner Tochter, und folglich der Großvater ihrer drei Kinder, so könnte ich unmöglich daran denken, sie an einen Andern als den Vater dieser drei unglücklichen zu verheirathen. Mit welchem Rechte erlaubt sich also dieser Leandre zu sagen, ich sei der Vater, und sobald er es sagt, mit welchem Rechte zieht er meine väterliche Zärtlichkeit in Zweifel? . . . (Nach einer Pause. und sich vor die Stirne schlagend.) Doch es kommt mir ein Gedanke: wenn mir der Briefträger einen Brief gegeben hätte, der nicht an mich adressiert wäre? . . . (Er sieht den Umschlag an.) Alle Teufel! die Depeche war nicht für mich! »An Herrn Cassandre. Mondstraße, im fünften Stocke.« An Herrn Cassandre! Ha! Ha! Ha! Der alte Pandur wollte also seine keusche Tochter an mich verheirathen, die Mutter von drei Kindern, von denen das letzte Benjamin heißt! Ei! dieser Greis ist ganz einfach ein Gauner! Lassen wir nichts von unserer Entrüstung merken und sehen wir, wie weit er seine Schurkerei treiben wird.

Zehnte Scene

Gille. Cassandre.

Cassandre, tritt lesend ein.

»Ich habe die Ehre, Ihnen den schmerzlichen Verlust mitzutheilen, den Sie in der Person von Demoiselle Amenaide Lamponisse, Ihrer vielgeliebten Tante, welche gestern im Alter von sechsundsiebzig Jahren gestorben ist, erlitten haben . . . « (Sich unterbrechend.) Das ist seltsam! ich habe nie eine Tante gehabt, wie kommt es, daß sie gestorben ist, und zwar in der Blüthe ihrer Jahre? . . . Nun, es ereignen sich so außerordentliche Dinge! Fahren wir fort. (Lesend.) »Ich melde Ihnen zugleich, daß Sie nicht auf die hundertfünfzig Livres Rente der Verstorbenen rechnen dürfen; sie hat es für gut gefunden, Sie zu Gunsten des Oberschreibers eines Garkochs in Sainte-Menehould zu enterben . . . « (Hört auf zu lese«.) Erstaunlich! erstaunlich! Es scheint, diese Tante, die ich nie gehabt habe, und die ich dennoch hatte, hat mich enterbt zu Gunsten von . . . Welche Schmach! Lassen wir uns indessen nicht entmuthigen! (Liest weiter,) »Es versteht sich nichtsdestoweniger, daß, wenn es Ihnen angenehm wäre, die Schulden von Ihrer Mademoiselle Tante zu bezahlen, welche sich aus die unbedeutende Summe von hundert fünfzig tausend Livres fünfzehn Sous zehn Denirs belaufen, der Oberschreiber des Garkochs von Sainte-Menehould Ihnen ohne Widerrede den Genuß der hundert und fünfzig Livres Rente, die er an Ihrer Stelle erbt, überlassen würde. Wollen Sie mir als bei Empfang des Gegenwärtigen Ihre Einwilligung oder Ihre Verzichtleistung schicken. – Ihr ergebenster Diener Baudin de la Marne, in Sainte-Menehould, San-Giacomo-Street, alte Nr. 9, jetzt 11.« Ich verstehe nicht recht, alte Nr. 9 . . . Ja, mit anderen Worten gesagt, die alte Nummer ist 9, und die neue ist 11, (Nachdenkend.) Ah! was sagt mir denn da dieser Notar? Ich erbe und ich erbe nicht, die alte Nummer ist eine neue Nummer, und die neue Nummer ist eine alte Nummer . . . Woher kann er denn Alles das, was er sagt, nehmen, und mit welchem Rechte erlaubt er sich, einen Bürger von Paris aus die Manier von Sainte-Menehould zu behandeln? Ich werde es allerdings nicht versäumen, zu antworten, obschon seine Vertraulichkeit nur meine Verachtung verdient. (Nach einer Pause, und sich vor die Stirne schlagend.) Doch da kommt mir ein Gedanke: wenn mir der Briefträger einen Brief gegeben hätte, der nicht an mich adressiert wäre! . . . (Er sieht den Umschlag an) »An Herrn Gille, Boulevard du Temple. unter dem großen Zeiger des Blauen Ziffernblattes.« Der Bursche hatte sich also mit einer Leibrente geschmeichelt, die er nie besitzen sollte! . . . Dieser Gille ist also ein kolossaler Intrigant! . . . Bewältigen wir uns indessen, und richten wir einige geschickte Fragen an ihn, um zu erfahren, wie weit er die Verstellung treiben wird. (Zu Gille, welcher wartet, bis er geendigt hat.) Nun, lieber Gille?

63Dieses Wortspiel ist nicht zu übersetzen: quatre pouces heist eigentlich vier Zoll.
64Ein Wortspiel, das sich nicht übersetzen läßt: Battre la campagne, wörtlich das Feld schlagen, heißt bildlich umherschweifen.
65Ein unübersetzbares Wortspiel. Une lettre chargée ist das, was wir einen recommandirten Brief nennen, chargé heißt zugleich aber auch geladen.