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Die Mohicaner von Paris

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»Zum Glücke fiel der Regen in Strömen in dem Augenblicke, wo die Gendarmen den Wald zu durchstreifen ansingen: bis auf zehn Schritte zu uns gelangt, fluchten sie so grausam über die schlechte Witterung, das, es uns beinahe sicher schien, sie werden ihre Nachforschungen aufgeben, um sich in die nächste Schenke zu flüchten. Wir hörten in der That den ganzen Tag nichts mehr von ihnen. – Gegen acht Uhr Abends setzten wir unsern Marsch fort; wir durchwanderten Beausset, und Morgens um vier Uhr hatten wir den unentwirrbaren Waid von Cuges erreicht. Wir waren gerettet! Mein lieber Herr Jackal, ich brauche Ihnen nicht die verschiedenen Vorfälle zu sagen, mit denen unsere Reise besprenkelt war: Sie haben zu viel Erfahrung, um sich vorzustellen, wir seien aus Blumenpfaden gewandelt. Wir kamen indessen gesund und wohlbehalten an. was die Hauptsache ist, und Sie bemerken, daß ich mich abgesehen von einigen Messerstichen und einem Falle von hundert Fuß in einen Brunnen äußerst wohl befinde.«

»Das ist wunderbar, lieber Herr Gibassier.«

»Nicht wahr?«

»Das heißt, wäre ich Polizeipräfect, so würde ich Ihnen ein Entweichungspatent und eine anständige Belohnung geben; leider bin ich es nicht, und sind meine Künstlersympathien angenehm berührt, so bekämpft sie doch meine Meinung als Inspektor der öffentlichen Sicherheit mit solcher Energie, daß ich Ihnen gestehe, ich weiß noch nicht, wem der Sieg bleiben wird; das wird wahrscheinlich von der Aufrichtigkeit abhängen, die Sie erproben werden . . . Erlauben Sie mir also mein Verhör fortzusetzen, und wäre es nur, um die Erfahrung von dem zu machen, was Camagnole sagte, und um zu sehen, ob, wie es das Sprichwort behauptet, die Wahrheit in der Tiefe des Brunnens ist . . . Wollen Sie mir vor Allem erklären, mein lieber Herr Gibassier, wie Sie sich hier finden.«

»Ich finde mich sehr schlecht hier,« erwiderte Gibassier, der sich im Sinne der Worte des Inspectors täuschte oder zu täuschen sich den Anschein gab; »und wäre es nicht die Ehre Ihrer Gesellschaft . . . «

»Das ist es nicht: ich frage Sie, aus welcher Ursache Sie hier seien.«

»Ah! ja, ich verstehe . . . Nun wohl, mein guter Herr Jackal, ich hatte eine Summe von fünftausend Franken geerbt.«

»Das heißt, Sie hatten fünftausend Franken gestohlen.«

»So wahr als Sie mein Retter sind, Herr Jackal, ich hatte sie nicht gestohlen; ich hatte sie im Gegentheile redlich, durch Arbeit, im Schweiße meines Angesichts verdient.«

»So haben Sie bei der Sache von Versailles gearbeitet . . . Ich erkannte Sie an der geschickten Art, wie die Thüre wieder geschlossen worden war.«

»Was nennen Sie die Sache von Versailles?« fragte Gibassier die unschuldigste Miene, die er annehmen konnte, zu Hilse rufend.

»An welchem Tage sind Sie in Paris angekommen?«

»Am Fasching-Sonntag, Herr Jackal, gerade um den Ochsen vorüberziehen zu sehen, der in diesem Jahre herrlich war. Er soll aus den fetten Weiden des Auge-Thales gefüttert wurden sein; das setzt mich nicht in Erstaunen: das Auge-Thal ist in einer bewunderungswürdigen Lage, einerseits geschützt durch . . . «

»Lassen wir das Auge-Thal, wenn es Ihnen gleich ist.«

»Sehr gern.«

»Sprechen Sie nun: wie haben Sie den Faschings-Sonntag zugebracht?«

»Ziemlich heiter, Herr Jackal; wir haben mit fünf bis sechs Kameraden, die wir in Paris wiedergefunden, ein paar gute Tollheiten gemacht.«

»Und den Montag?«

»Den Montag? ich habe ihn mit Besuchen zugebracht.«

»Mit Besuchen?«

»Ja, Herr Jackal, einige offizielle Besuche, und ein Verdauungsbesuch.«

»Sie sprechen vom Tage?«

»Ja, Herr Jackal, ich spreche vom Tage.«

»Doch den Abend?«

»Den Abend?«

»Ja.«

»Teufel!«

»Was gibt es?«

»Es ist wahr,« sagte Gibassier, als spräche er mit sich selbst, »ich kann meinem Retter nichts verweigern.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Sie verlangen von mir, daß ich für Sie den dichten Schleier meines Privatlebens lüfte? ich will es thun. Am Montag um elf Uhr, . . . «

»Unnötig! Gehen wir über die Geheimnisse Ihres Privatlebens weg und fahren wir fort.«

»Mit Vergnügen.«

»Was haben Sie am andern Tage, am Faschings-Montag gethan?«

»Oh! ich habe mich einem ganz unschuldigen Vergnügen hingegeben: ich bin aus der Esplanade des Observatoire mit einer falschen Nase spazieren gegangen.«

»Sie hatten aber einen Grund, aus der Esplanade des Observatoire mit einer falschen Nase spazieren zu gehen?«

»Verachtung! Misanthropie, nichts Anderes. Ich sah am Morgen Masken aus dem Boulevard vorüberziehen, und ich fand sie erbärmlich. Ach! wieder einer von unseren alten Gebräuchen, der bald verschwinden wird, Herr Jackal! Ich bin nicht ehrgeizig, doch wäre ich nur Polizeipräfect . . . «

»Lassen wir das, und kommen wir rasch aus den Abend des Faschings-Montags.«

»Aus den Abend des Faschings-Montags? . . . Ah! Sie wollen, daß ich aufs Neue den dichten Schleier meines Privatlebens lüfte?«

»Sie sind in Versailles gewesen, Gibassier?«

»Ich verberge mich nicht.«

Herr Jackal ließ über seine Lippen ein unbeschreibliches Lächeln schweifen.

»Was gedachten Sie in Versailles zu thun?«

»Spazieren zu gehen.«

»Sie, in Versailles spazieren zu gehen?«

»Was wollen Sie, Herr Jackal? ich liebe diese Stadt, welche voll der Erinnerungen vom großen König ist: hier eine Fontaine, dort eine Gruppe . . . «

»Sie waren nicht allein in Versailles?«

»Ei! wer ist denn völlig allein aus der Erde, mein guter Herr Jackal?«

»Ich habe keine Zeit damit zu verlieren, daß ich Ihre Albernheiten anhöre, Gibassier, Sie haben die Entführung des Mädchens aus dem Pensionnat von Madame Desmarets geleitet.«

»Das ist die Wahrheit, Herr Jackal.«

»Und zur Belohnung haben Sie die fraglichen fünftausend Franken empfangen.«

»Sie sehen, daß ich sie nicht gestohlen habe; denn wäre ich nicht aus Lebenszeit zu den Galeeren verurtheilt, so hätte ich wenigstens aus zwanzig Jahre mehr.«

»Was ist aus dem Mädchen geworden, als es in den Händen von Lorédan von Valgeneuse war?«

»Wie! Sie wissen also?«

»Ich frage Sie, was aus diesem Mädchen geworden sei, nachdem es Ihnen Fräulein Susanne überliefert hatte.«

»Ah! Herr Jackal. wenn Herr Delavau Sie verlöre, welch ein Verlust für ihn und für Frankreich!«

»Ich frage Sie noch einmal, Gibassier, was ist aus diesem Mädchen geworden?«

»Was dies betrifft, ich weiß es durchaus nicht.«

»Geben Sie wohl Acht auf das. was Sie sagen.«

»Herr Jackal. so wahr ich Gibassier heiße, wir haben sie in einen Wagen gebracht, der Wagen ist abgefahren, und wir haben nichts mehr davon gehört. Ich hoffe, diese jungen Leute sind glücklich, und ich werde folglich für meinen Theil zum Glücke von zwei Nebenmenschen beigetragen haben.«

»Und Sie, wie ist es Ihnen seitdem gegangen? Wissen Sie das auch nicht?’

»Ich bin ökonomisch geworden, mein guter Herr Jackal, und ich habe mir, da ich wußte, daß der goldene Schlüssel alle Thüren öffnet, einen ehrenhaften Stand in dieser verständigen und arbeitsamen Stadt Paris zu schaffen gesucht. Zu diesem Ende ließ ich alle Professionen die Revue passieren, und ich fand nur eine nach meinem Geschmacke.«

»Darf man wissen, welche?«


»Die eines Wechselagenten . . . Leider hatte ich nicht die nötigen Kapitalien, um ein Viertel oder eine Hälfte zu kaufen; doch um für jedes Ereigniß bereit zu sein, aus den Fall, daß die Vorsehung, wie der arme Gabriel sagt, ihre Augen aus mich werfen würde, ging ich alle Tage aus die Börse und war bemüht, mich in die Geheimnisse des großen Werkes einzuweihen. Ich begriff die Agiotage, und ich erröthete vor Scham, daß ich mein Leben lang so schlecht gestohlen hatte, als ich sah, wie es viel leichter ist. seinen Unterhalt aus diese Art zu verdienen! Ich machte also die Bekanntschaft von mehreren ausgezeichneten Agioteurs. welche, in mir einen ungewöhnlichen Scharfsinn erkennend, mir bald die Ehre erwiesen, mich über die Hausse und die Baisse zu Rathe zu ziehen, wobei sie mir einen kleinen Antheil an ihrem Nutzen gaben.«

»Und diese Consultationen glückten Ihnen?«

»Das heißt, mein lieber Herr Jackal, in einem Monat realisierte ich dreißig tausend Franken! Das Doppelte, das Dreisache, das Viersache von Allem dem, was ich in meinem arbeitsamen Leben verdient hatte, und einmal an der Spitze dieses kleinen Vermögens, wurde ich ein ehrlicher Mann.«

»Dann müssen Sie unerkennbar sein,« sagte Herr Jackal, während er aus seiner Tasche ein phosphorisches Feuerzeug zog und einen kleinen Wachsstock anzündete, den er immer bei sich hatte, und der die Tiefe des Brunnens so erleuchtete, daß er den bußfertigen Gibassier, ganz von Koth beschmutzt, ganz mit Blut bedeckt, zu erkennen vermochte.

CXXII
Wohin die sechzig Männer gegangen waren, welche Herr Jackal suchte

Herr Jackal blieb einen Augenblick in Betrachtung vor dem Galeerensklaven. Er fühlte eine sichtbare Befriedigung, eine Künstlerbefriedigung, sich, mit den vier Assen in der Hand, diesem geschickten Spieler gegenüber zu finden.

»In der That,« sagte er, »es ist Ihr edles Gesicht, Gibassier. Die Jahre sind über Ihre Stirne. wie leichte Schatten, keine Spur zurücklassend, hingezogen! Und was die Schatten betrifft, thun Sie mir den Gefallen, nehmen Sie dieses Licht und leuchten Sie mir: ich habe eine pressante Zeile zu schreiben.«

Gibassier nahm den Wachsstock; Herr Jackal zog ein Carnet aus seiner unerschöpflichen Tasche, riß ein Blatt Papier heraus, und schrieb aus seinem Knie mittelst eines Bleistifts, während er Gibassier fortzufahren aufforderte.

»Die Folge meiner Geschichte ist traurig,« sagte der Galeerensklave: »da ich reich war, so hatte ich Freunde: da ich Freunde hatte, so hatte ich Feinde! Dieses um den Preis meines Schweißes angehäufte Vermögen machte mich zum Zielpunkte aller Enterbten: so daß ich gestern, in dem Augenblicke, wo ich von meinem Banquier zurückkam, beim Kragen gepackt, niedergeworfen, ermordet, beraubt, und endlich in diesen Brunnen gestürzt wurde, in dem ich mit Ihnen zusammenzutreffen die Ehre hatte.«

 

Herr Jackal richtete sich wieder aus, nahm das Ende des Seils, mit dessen Hilfe er in den Brunnen herabgekommen war, befestigte daran mit einer Nadel das Papier, auf das er er seine Instructionen geschrieben hatte, und rief seinen Agenten zu:

»Zieht!«

Das Papier flog wie ein Nachtschmetterling aus der Tiefe des Brunnens zur Erde empor; und das Seil kam, von seiner leichten Last befreit, rasch wieder herab.

Einer von den Agenten ging unter eine Laterne und las:

»Ich werde Euch einen Menschen schicken, den Ihr sorgfältig zu bewachen habt; er ist Goldes werth.

»Ist der genannte Mensch in den Händen von Vieren von Euch, – die ihn nach dem Hospital führen und scharf bewachen werden, – so werdet Ihr mir das Seil wieder herunter lassen.«

»Ihre Geschichte ist sehr rührend, lieber Herr Gibassier,« sagte der Inspector; »doch nach den stürmischen Stunden, die Sie erlebt haben, müssen sie der Ruhe bedürfen. Die Nächte sind noch kühl in dieser Jahreszeit: erlauben Sie mir, Ihnen ein sicheres Obdach, eine Wohnung, welche der Gesundheit zuträglicher als diese anzubieten.«

»Sie sind tausendmal gut, Herr Jackal!«

»Ganz und gar nicht . . . unter alten Bekannten . . . «

»Dann geschieht es mit dem Beding der Wiedervergeltung,«

»Lastet die Dankbarkeit schon auf Ihnen?«

»Es ist vielleicht schwerer, einen Dienst zu empfangen, als ihn zu erwidern,« sprach Gibassier philosophisch.

»Die Alten haben hierüber sehr schöne Dinge geschrieben, Gibassier. Doch mittlerweile, bis wir anderswo dieses interessante Gespräch wieder ausnehmen, machen Sie sich zurecht, um sich an dieses Seil so fest als möglich anzuhängen. Sie wissen, wo sie der Sattel drückt: es ist Ihre Sache, es sich so bequem als möglich einzurichten,«

Gibassier machte eine Schleife unten an das Seil, steckte seine beiden Füße durch das Loch, klammerte sich mit den Händen an das Seil an und rief:

»Zieht!«

»Glückliche Reise, mein lieber Gibassier,« sagte Herr Jackal, mit lebhaftem Interesse einer Aufsteigung folgend, die er in wenigen Augenblicken selbst unternehmen sollte. »Gut!« fügte er bei, als der Galeerensklave oben an der Luft verschwunden war.

Sodann die Stimme erhebend, rief er:

»Schickt rasch das Beil zurück! ich fange an den Boden feucht zu finden.«

Das Seil kam wieder herab; Herr Jackal steckte den Haken an seinen Gürtel, versicherte sich, daß die Zungen gut eingeschnallt waren, rief aufs Neue: »Zieht!« und fing die Aufsteigung ebenfalls an.

Doch kaum war er bis zur Höhe von zehn Metres emporgestiegen, da rief er:

»Halt!«

Das gehorsame Seil hielt an.

»Ho! ho!« sagte Herr Jackal, »was Teufels sehe ich denn da?«

Es war ihm in der That schwer, sich Rechenschaft von dem zu geben, was er sah, dergestalt bot sich ihm das, was er sah, unter einem fantastischen Anblick.

Durch einen ungeheuren Spalt von einer der Wände des Brunnens tauchte der Blick von Herrn Jackal unter Gewölbe so düster wie die eines Steinbruchs, durchschnitten von großen Schatten- und Lichttheilen: das Licht kam von ungefähr zehn Fackeln, welche an den Pfeilern von einer Art von Kreuzweg befestigt waren und eine Versammlung von ungefähr sechzig Männern beleuchteten. Die Versammlung fand etwa zweihundert Schritte von Herrn Jackal statt; diese Männer schienen wegen einer Angelegenheit von höchster Wichtigkeit beisammen zu sein, denn sie drängten sich um einen Redner, der mit Feuer sprach und mit Energie gestikulierte.

»Ah! ah! ah!« machte Herr Jackal.

Sodann, nach ein paar Secunden der Betrachtung:

»Wo Teufels sind diese Menschen, und was machen Sie denn da?«

Und in der That, so beleuchtet durch den Reflez der Fackeln hätte man sie, wäre nicht die moderne Tracht gewesen, für die beim Sabbat ankommenden Zauberer der Ballade gehalten.

Herr Jackal zog aus seiner Tasche ein Fernglas, ein Meisterwerk des Ingenieur Chevalier das in seiner größten Ausdehnung sechs bis acht Zoll Länge erreichte und immer von ihm mitgenommen wurde, richtete es auf das seltsame Schauspiel. das er vor den Augen hatte, und suchte zu errathen. wovon die Rede war.

Dank sei es dem Reflexe der Fackeln und der Vollkommenheit seines Instruments, konnte Herr Jackal sehen, daß die Physiognomie von jedem der Menschen, welche die nächtliche Zusammenkunft bildeten, das vollste Entzücken ausdrückte. Alle waren in der Haltung, in der die Mitglieder einer Versammlung sind, wenn ein berühmter Redner eine sympathetische Rede hält: die Ohren gespannt. die Lippen halb geöffnet, die Augen auf die sprechende Person geheftet; jedes Gesicht bezeichnete die beharrlichste Aufmerksamkeit, und diese Aufmerksamkeit schien sich, wie gesagt, stufenweise bis zum

vollsten Entzücken zu erheben.

Mochte der Redner eine schwache Stimme haben, mochte er absichtlich leise sprechen, mochte die Entfernung. in der sich Herr Jackal von der Gruppe befand, zu groß sein, der Inspector der öffentlichen Sicherheit, wie sehr er auch Acht gab, und so fein und geübt bei ihm der Gehörsinn war, hatte nach einer scharfen Aufmerksamkeit von fünf Minuten noch nicht ein verrathendes Wort von dem, was in der Geheimnisvollen Gruppe gesagt wurde, hören können.

Ein Theil von diesen Personen schien übrigens Herrn Jackal nicht ganz fremd zu sein; nichtsdestoweniger wäre er sehr in Verlegenheit gewesen, hätte er

einen Namen auf die Gesichter setzen oder sogar irgend ein Gewerbe denjenigen, welche er vor Augen hatte, anweisen sollen. – Beinahe einförmig in braune oder blaue, bis ans Kinn zugeknöpfte Überröcke gekleidet; die Oberlippe fast allgemein von einem von einem langen dichten, ergrauenden Schnurrbart beschattet, – wie er sie sah, – war es nicht schwer für einen Physignomiker von der Stärke von Herrn Jackal, hier alte Militäre zu erkennen. Diejenigen, welche keinen Schnurrbart hatten, – ihre Zahl war sehr klein, – waren, obschon sie dasselbe Aeußere affektierten, wie ihre Gefährten, ganz einfach friedliche Bürger, und die Gemüthlichkeit ihrer Gesichter welche die Begeisterung, von der sie ergriffen waren, nicht in ein unfreundliches Wesen verwandeln konnte, zeugte hinreichend von ihren wenig kriegerischen Professionen.

Herr Jackal hatte sicherlich den Einen, einen ehrlichen Krämer der Rue Saint-Denis, gesehen, wie er auf der Schwelle seiner Ladenthüre stand, den Vorübergehenden zulächelte, die Kundschaft in sein Magazin durch einen freundlichen Blick, durch eine einnehmende Miene zu locken suchte; er hatte den Andern in irgend einem Vorzimmer gesehen, entweder mit der Kette an Halse als Huissier, oder mit der Kette am Fuße als Bittsteller; kurz, Keiner von diesen Menschen war ihm völlig fremd, obschon Keiner ihm besonders bekannt war.

Was er aber noch weniger kannte, als die Personen, das war die Decoration des Theaters.

Hängen wir uns an das Seil von Herrn Jackal: es ist stark genug, um uns Beide zu tragen, und sogar alle Drei, lieber Leser, – und suchen wir die Geheimnisvolle, düstere Localität zu erkennen, wo die Scene vor sich geht, die wir zu beschreiben haben.

»Ah! Mord und Tod! ich habe es!« rief plötzlich Herr Jackal, indem er sich mit einer so ungestümen und so unbedachtsamen Geberde vor die Stirne schlug, daß er beinahe das Gleichgewicht verloren hätte, und daß der Stoß, den er dem Seile gab, ihn ein paar Secunden lang eine umdrehende Bewegung machen ließ, ähnlich der eines Hühnchens, das am Ende einer Schnur bratet.

Die Bewegung hörte allmählich aus, und Herr Jackal kam mit dem Verluste seines Fernglases davon, das in die Tiefe des Brunnens fiel.

Doch der Polizeimann störte in der schon von uns erwähnten fantastischen Tasche, zog ein Etui heraus und nahm aus diesem Etui eine Brille, die er, nicht auf die Nase, sondern auf die Stirne setzte; nur waren die Gläser dieser Brille, statt blau gefärbt zu sein, grün gefärbt.

»Ich habe es!« wiederholte Herr Jackal, »und das sind meine sechzig Vögel! Ich weiß nun, wohin sie gegangen sind: wir befinden uns in den Katakomben! . . . Ah! ah! ah! und der Herr Polizeipräfect behauptet, er kenne alle Ausgänge derselben!«

Herr Jackal hatte in der That die Wahrheit getroffen; dieses Gewölbe, das sich vor seinen Augen entrollte, dieser Kreuzweg, der die Perspective desselben begrenzte, war ein Winkel von dem ungeheuren düsteren Erdbau, welcher sich von Montrouge bis an die Seine, vom Jardin des Plantes bis Grenelle erstreckt. – Was den Polizeipräfecten betrifft, – er hatte, wie Herr Jackal so vernünftig bemerkte, sehr Unrecht, wenn er behauptete, er kenne alle Ausgänge des weiten Ossuariums: die Ausgänge der Katakomben hängen, der Zahl nach, von der Laune des ersten Bewohners vom linken User ab, da es, um einen neuen Ausgang den tausend Ausgängen, die sie schon haben, beizufügen, genügt, – im Faubourg Saint-Marcel, zum Beispiel, – ein Loch von fünfundzwanzig bis dreißig Fuß zu graben.

In dem Augenblicke, wo Herr Jackal zu seiner großen Freude, obwohl etwas spät, diese wichtige Entdeckung gemacht hatte, hörte er das schallende Geräusch von Bravos und Beifallklatschen, worauf der, zu jener Zeit ein wenig aufrührerische, Ruf folgte:

»Es lebe der Kaiser!«

»Es lebe der Kaiser?« wiederholte Herr Jackal, der sich ganz unschuldig in den Aufruhr mischte. »Ah! wie einfältig sind sie: er ist seit sechs Jahren todt. der Kaiser!«

Und, als wollte er seine Gedanken aufklären, störte Herr Jackal, mit einer in seiner Lage unerhörten Schwierigkeit, in seiner Tasche, zog seine Tabatière heraus, und stopfte sich voll Wuth eine Prise Tabak in die Nase.

Derselbe Rus erscholl zum zweiten Male, und zwar noch energischer, als das erste Mal.

»Gern,« sagte Herr Jackal, »doch ich wiederhole Euch, daß der Kaiser todt ist . . . Herr von Beranger hat sogar ein Lied darüber gemacht.

Und er fing an zu trällern:

Des Espagnols m’ont pris sur lerur navire

Aux bords lointains où tristement j’errais.70

Herr Jackal kannte alle Lieder von Beranger.

Er wurde in seinem Geträller durch einen dritten Ruf: »Es lebe der Kaiser!« unterbrochen.

Einen Augenblick in Bewegung und verworren, nahmen sodann alle Personen ihre Plätze wieder ein, – eine einzige ausgenommen, welcher stehen blieb und eine Rede wie der erste Redner halten zu wollen schien.

»Im Ganzen,« sprach Herr Jackal, der von dem, was die seltsame Versammlung sein konnte, zu träumen fortfuhr, »im Ganzen sind diese braven Leute vielleicht harmlose alte Militäre, welche seit 1815 hier leben, und noch nichts von dem Tode des Kaisers wissen. – Welch ein Unglück, daß ich nicht von näher ihrem Zeitvertreibe beiwohnen kann und des Vergnügens ihrer Conversation beraubt bin, die so pittoresk als die von Epimenides sein muß, wenn sie, wie ich annehme, seit zwölf Jahren in diesem Lande leben!«

Plötzlich kam Herrn Jackal ein Gedanke.

»Aber,« sagte er, »warum sollte ich nicht hören, was der Redner sprechen wird?«

Er erhob sodann den Kopf gegen die Mündung des Brunnens und rief:

»Haltet Ihr immer noch fest da oben?«

»Oh! seien Sie ohne Furcht, Herr Jackal!«

»Nun wohl, so laßt mich ein paar Fuß hinab.«

Der Befehl wurde sogleich vollzogen. Alsdann gab Herr Jackal, vermittelst seines Stockes, mit dem er die Wände des Brunnens berühren konnte, dem Seile eine schwingende Bewegung, der der Unruhe einer Pendeluhr ähnlich, welche ihm, als er an einem gewissen Punkte angelangt war, die Spalte des Brunnens zu erreichen, sich an einen Stein anzuklammern, und den Fuß aus dasselbe Terrain, wie die, deren Geheimnisse er erforschen wollte, zu setzen erlaubte.

Sobald er aus festem Boden war, machte er den Haken los und rief, sich gegen den Brunnen neigend, wo abermals das Seil hing, seinen Agenten zu:

»Bleibt aus der Stelle, Kinder, und rührt Euch nicht, wenn ich es Euch nicht sage!«

Mit Schritten so leicht als die des Thieres. dessen Namen mit dem seinigen Aehnlichkeit hatte, rückte er sodann gegen den Kreuzweg vor, wo die Napoleonische Versammlung gehalten wurde.

 
70Spanier haben mich auf ihrem Schiffe nach fernen Gestaden genommen, wo ich traurig umherschweifte . . .