Tax Compliance

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Steuerabteilung

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Ein geradezu klassischer Delegationsempfänger für steuerliche Pflichten im Unternehmen ist die unternehmensinterne Steuerabteilung. Deren Leiter ist auch typischer Adressat von § 35 AO, wenn er nämlich entsprechend gegenüber den Steuerbehörden für das Unternehmen auftritt und z.B. Steuererklärungen unterschreibt. Neben der Geschäftsführung stellt sich insbesondere für den Leiter der Steuerabteilung die Frage, wann er ausreichende organisatorische Vorsorge getroffen hat, um nicht dem Vorwurf eines Organisationsverschuldens ausgesetzt zu sein. Nach der jüngst konkretisierten Lesart des Vorsatzbegriffs durch das BMF[24] ist spätestens bei jeder Nachmeldung gegenüber den Finanzbehörden zu fragen, inwieweit eine „saubere“ Delegation der steuerlichen Aufgaben erfolgt und damit ein angemessenes innerbetriebliches Kontrollsystem implementiert ist, um so dem Vorwurf zu entgehen, bei der ursprünglichen – unzutreffenden – Erklärung leichtfertig oder gar vorsätzlich gehandelt zu haben (siehe auch Rn. 71).

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Eine Auswahl der typischerweise an die Steuerabteilung delegierten Aufgaben:


laufende Risikoanalyse im Hinblick auf die spezifische Ausprägung und Verteilung der steuerlichen Risiken im jeweiligen Unternehmen, ausgehend von den jeweiligen Geschäftsmodellen, Branchen und Ländern, in denen das Unternehmen tätig wird;
Konzeptionierung von Strukturen und Prozessen zur Absicherung des Flusses der für die Steuererklärungen relevanten Informationen innerhalb des Unternehmens und zur Verhinderung von – bewussten oder unbewussten – Verstößen gegen die steuerlichen Pflichten, Nachjustieren bei erkannten Problemen oder Anfälligkeiten; ggf. IT-gestütztes Vorgehen mit Zugriffskontrollen sowie Rollen- und Berechtigungskonzepten;
Schaffung unternehmensinterner Regelungen zur Konkretisierung der gesetzlichen Anforderungen für die betroffenen Unternehmensmitarbeiter;
Beratung und Schulung der Mitarbeiter in den für ihre Arbeit relevanten steuerlichen Themen;
Durchführung risikobasierter (Stichproben-)Prüfungen und Kontrollen zur Aufdeckung von Regelverstößen (ggf. IT-gestützt, sog. Big Data-Analyse), Übergabe von Prüfkriterien an die Interne Revision;
Einrichtung eines Systems zur Erlangung von Hinweisen auf mögliche Regelverstöße;
Untersuchung und ordnungsgemäße Abarbeitung von erhaltenen Hinweisen auf mögliche Regelverstöße, inkl. Überführung in einen Lernprozess („Remediation“);
laufende Unterrichtung der Geschäftsführung über die wesentlichen Entwicklungen, Unterstützung beim sog. tone from the top.

Compliance-Abteilung

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Im Hinblick auf eine im Unternehmen vorhandene dedizierte Compliance-Abteilung hat die delegierende Geschäftsleitung zu bestimmen, inwieweit diese Abteilung auch das Thema Tax Compliance zu bearbeiten hat. Die Aufgabenabgrenzung zwischen Steuerabteilung und Compliance-Abteilung hat auf allen Ebenen der Compliance-Arbeit zu erfolgen, d.h. auf der Ebene der Prävention von Regelverstößen wie auch auf der Ebene der Aufklärung möglicher Regelverstöße. Idealerweise existieren für die beiden Abteilungen aufeinander abgestimmte dokumentierte Zuständigkeitsbeschreibungen, die in der Summe weder zu einer für Missverständnisse anfälligen doppelten Abdeckung derselben Aufgabe noch zu einer Nichtabdeckung relevanter Themenstellungen im Bereich Tax Compliance führen.

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Eine Zuständigkeit der Compliance-Abteilung im präventiven Bereich der Tax Compliance ist eher unüblich. Typischerweise übernimmt die Steuerabteilung die Themen interne Regelsetzung, Beratung und Schulung. Im Bereich der Aufklärung möglicher Regelverstöße, insbesondere mit Blick auf größer angelegte interne Untersuchungen, kann es demgegenüber sinnvoll sein, der Compliance-Abteilung die Federführung zu überantworten und die Rolle der Steuerabteilung auf die eines die Untersuchung unterstützenden Fachexperten zu beschränken. Die Compliance-Abteilung bietet dem Unternehmen die Gelegenheit, die Ermittlungs-Expertise, -Ressourcen und -Werkzeuge für Compliance-Untersuchungen jeglicher Fachmaterie zu bündeln und das Ermittlungs-Know How nachhaltig an einer Stelle aufzubauen. Hierzu gehören auch die sinnvollerweise an einer Stelle zentral anzubindenden Systeme zur Entgegennahme interner und externer Hinweise auf mögliche Regelverstöße (Compliance Officer, externer Ombudsmann, Whistleblower-Hotline, ggf. auch offen für anonyme Hinweisgebung) sowie das sorgfältige Management der Schnittstellen (Compliance-Ansprechpartner) zu den relevanten anderen Fachabteilungen im Unternehmen, wie z.B. Personalabteilung, (Arbeits-)Rechtsabteilung, Datenschutzabteilung, Interne Revision, Abteilung für Risikomanagement und Kommunikationsabteilung. Der Compliance Officer als einheitliche Instanz und Anlaufstelle für die Unternehmensmitarbeiter hat den Vorteil, dass er aufgrund seiner gesteigerten Bekanntheit effektiv das Dunkelfeld aufzuhellen hilft und insofern als gute Erkenntnisquelle und geschätzter Ansprechpartner von Behörden dienen kann. Die Etablierung einer separaten Einheit für Compliance-Untersuchungen sichert zudem bestmögliche Neutralität, um dem Risiko vorzubeugen, dass aufgrund der laufenden steuerlichen Beratung vorbefasste Personen mit der Aufarbeitung der Sachverhalte betraut sind, zu denen sie oder enge Vertraute einst beraten haben.

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Werden die internen Untersuchungen möglicher Verstöße gegen das Steuerrecht federführend nicht der Compliance-Abteilung, sondern der Steuerabteilung zugewiesen, ist ein enger Austausch der beiden Abteilungen umso wichtiger. Insbesondere bei Hinweisen auf Korruption, Scheinselbstständigkeit oder Schädigungen mittels Scheinrechnungen ist der Compliance-Abteilung aufzugeben, die Steuerabteilung rechtzeitig einzubinden, um eine Anzeige nach § 153 AO zu ermöglichen.

Rechtsabteilung

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Einer im Unternehmen vorhandenen Rechtsabteilung wird typischerweise die Aufgabe zugewiesen, die Steuerabteilung bei vertragsrechtlichen Fragen, die im Zusammenhang mit der steuerlichen Beratung auftreten, zu beraten und bei steuerlich relevanten Transaktionen, wie z.B. Unternehmenskäufen, Unternehmensfusionen und Umstrukturierungen, einzubinden. Der Arbeitsrechtsabteilung ist aufzugeben, die Steuerabteilung zu informieren, wenn sie Sachverhalte berät, die lohnsteuerlich relevant sein könnten. Aus Sicht der Steuerabteilung erscheint sinnvoll, der Rechtsabteilung konkrete Kriterien und Kategorien an die Hand zu geben, bei deren Vorliegen sie informiert werden möchte.

Finanzbuchhaltung

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Die wesentliche Aufgabe, die an die Finanzbuchhaltung delegiert wird, ist, ausgehend von den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) eine Steuerbilanz zu erstellen und alles in allem eine saubere und transparente Erfassung und Aufbereitung der für die Steuererklärungen erforderlichen Informationen zu betreiben. Zentrale Finanzabteilungen können darüber hinaus die Aufgabe erhalten, die ihnen zugänglichen Datenvolumina („Big data“) IT-gestützt auf Auffälligkeiten und Signifikanzen zu untersuchen, um steuerlich relevante Vorgänge, wie z.B. Scheinrechnungen, aufzuspüren.

Personalabteilung

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Der Personalabteilung werden typischerweise Aufgaben delegiert, die sich auf die Entlohnung der Mitarbeiter beziehen. Steuerlich relevant sind hierbei insbesondere die Anmeldung und Abführung der Lohnsteuer (§ 41a EStG) und die damit zusammenhängend die Ermittlung von Brutto- und Nettoentgelten. Zudem gehört in dieses Aufgabengebiet regelmäßig die zutreffende Behandlung von Werk- und Dienstverträgen und von evtl. Arbeitnehmerüberlassungen.

Exportkontrolle

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International tätige Unternehmen haben das Thema Exportkontrolle abzudecken, d.h. sie müssen den sicherheitspolitisch relevanten grenzüberschreitenden Austausch von Gütern und Dienstleistungen überwachen. Der hierfür zuständigen Stelle ist sinnvollerweise mit aufzugeben, dass sie ihr bekannt werdende steuerrelevante Vorgänge im Bereich Export, insbesondere betreffend Zölle und andere Einfuhrabgaben, der Steuerabteilung mitteilt. Der Steuerabteilung wiederum ist sinnvollerweise aufzugeben, dass sie der für die Exportkontrolle zuständigen Stelle einen Katalog mit Kriterien an die Hand gibt, woran bei Exportgeschäften steuerrelevante Vorgänge als solche zu erkennen sind.

Risikomanagement

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Dem Risikomanagement kann aufgegeben werden, steuerliche Risiken zu identifizieren, zu analysieren und zu bewerten sowie Gegenmaßnahmen zu definieren, anzustoßen und nachzuhalten. Ein enger Austausch mit der fachkompetenten Steuerabteilung ist hierbei unverzichtbar. Öffentlich wahrnehmbare Entwicklungen in der Steuerrechtspraxis sowie die Erfahrungen aus den vergangenen Betriebsprüfungen haben in die Risikoidentifizierung und -analyse einzufließen.

 

Interne Revision

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Der Internen Revision wird typischerweise aufgegeben, im Rahmen ihrer Tätigkeit die wesentlichen Themen des Steuerrechts mit einzubeziehen. Im Verhältnis zu den operativ tätigen Geschäftseinheiten und der Steuerabteilung agiert die Interne Revision ergänzend als sog. Dritte Verteidigungslinie. In diesem Sinne obliegt ihr die unabhängige und objektive Beratung sowie risikogerechte und stichprobenartige Prüfung der Prozesse im Unternehmen mit dem Ziel, dass die unternehmerischen Entscheidungen (auch im Hinblick auf steuerliche Delegationen und Gestaltungen) und steuerrechtlichen Vorgaben (z.B. auch die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung) tatsächlich umgesetzt werden. Den fachlichen Input betreffend das Steuerrecht sowie die hierauf basierenden unternehmensinternen Regelungen hat regelmäßig die Steuerabteilung zu geben.

Externe Dritte

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Unter Umständen bietet sich an, einzelne steuerliche Aufgaben an Dritte außerhalb des Unternehmens zu delegieren. Ein solches Outsourcing dient unzweifelhaft dazu, fachliche Expertise und/oder Arbeitskapazität „einzukaufen“. In Betracht kommen Delegationen steuerlich relevanter Aufgaben insbesondere an Steuerberatungskanzleien und Zollagenturen, aber auch externe Buchhalter, Rechtsanwaltskanzleien und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Die Gründe für eine solche Delegation an Außenstehende und nicht an – ggf. hierfür einzustellende – Mitarbeiter sind (a) die höhere Flexibilität, vor allem um vorübergehende Belastungsspitzen zu bewältigen, (b) die Nutzung einer unternehmensübergreifenden Kenntnis der aktuellen Steuerrechtspraxis und (c) in Einzelfällen die besondere fachliche Qualität des Außenstehenden als solche. Oftmals wird mit dem Outsourcing auch ein Signal erhöhter Neutralität im Hinblick auf die erhaltene Beratungsleistung verbunden.

Teil 1 Tax Compliance und Unternehmen › 3. Kapitel Verantwortliche für Tax Compliance › IV. Die prozessuale Compliance-Pflicht

IV. Die prozessuale Compliance-Pflicht

1. Allgemeines

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Während die materielle Compliance-Pflicht das Verhalten des Verpflichteten grundsätzlich isoliert betrachtet, öffnet die Compliance-Pflicht im prozessualen Sinne den Blick und nimmt die Wechselwirkung dieses Verhaltens zu dem anderer Personen in den Fokus. Die prozessuale Compliance-Pflicht stellt den Pflichtenkanon des Einzelnen in den Gesamtkontext der jeweiligen Organisation und trägt der Arbeitsteilung moderner Organisationen Rechnung.

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In diesem Sinne erstreckt sie die Pflichten des Einzelnen auf Aspekte einer tragfähigen Aufbau- und Ablauforganisation und nimmt die Aufgaben und Befugnisse anderer Individuen im Unternehmen in den Blick. Innerhalb einer Organisation gibt insofern neben den unmittelbaren steuerlichen Verpflichtungen der in den Steuergesetzen genannten Personen eine organisationsrechtliche Verantwortung der Führungskräfte. Diese Verantwortung umfasst die Implementierung einer Aufbau- und Ablauforganisation, die dazu dient und hierzu auch grundsätzlich geeignet ist, dass die im Rahmen der Organisation anfallenden steuerlichen Pflichten ordnungsgemäß erfüllt werden. Je nach Aufgabenzuschnitt der der Führungskraft zugewiesenen Mitarbeiter ist das Ziel, dass die Mitarbeiter die ordnungsgemäße Erfüllung der steuerlichen Pflichten durch bestimmte Tätigkeiten aktiv befördern, jedenfalls aber nicht behindern.

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Relevant wird diese Erweiterung des Pflichtenkanons für die betroffene Führungskraft insbesondere bei der Frage der strafrechtlichen, bußgeldrechtlichen und steuerrechtlichen Haftung, konkret bei der Bestimmung von Vorsatz und diversen Formen der Fahrlässigkeit. Im Einzelnen betrifft dies z.B. den Vorsatz als Voraussetzung einer strafbaren Steuerhinterziehung (§ 370 AO i.V.m. §§ 369 Abs. 2 AO, 15 StGB) bzw. Beihilfe hierzu, die Leichtfertigkeit als Voraussetzung einer ordnungswidrigen Steuerverkürzung (§ 378 AO), die grobe Fahrlässigkeit als Mindestvoraussetzung einer steuerrechtlichen Haftung nach § 69 AO und die Frage nach einem ordnungswidrigen Organisationsverschulden (§ 130 OWiG). Dogmatisch gesehen ist die prozessuale Compliance-Pflicht keine Pflicht im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr die Summe der organisatorischen Maßnahmen, die erforderlich sind, um zu verhindern, dass ein Fehlverhalten anderer Personen, die für die Organisation tätig sind, rechtlich auf den Betroffenen durchschlägt, sei es in Gestalt eines Rückfalls einer durch ihn delegierten Pflicht auf ihn selbst oder sei es in Gestalt eines Organisationsverschuldens. In diesem Sinne betreibt der Betroffene mit der Erfüllung der Compliance-Pflicht im prozessualen Sinne organisatorische Zurechnungsprävention.

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Die durch den Betroffenen zu ergreifenden organisatorischen Maßnahmen können sich auf die steuerlichen Pflichten beziehen, die ihm selbst obliegen (z.B. die ausreichende Beschaffung von Informationen als Grundlage für durch den Betroffenen abgegebene Steuererklärung) oder die einer anderen Person im Hinblick auf die Organisation übertragen sind (z.B. die ausreichende Kontrolle dieser Person durch den Betroffenen).

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Demgemäß ist Compliance im Unternehmen „Chefsache“ und bleibt dies auch, unbeschadet aller möglichen Delegationen an andere Personen innerhalb oder außerhalb des Unternehmens.

2. Die Pflichten des Delegierenden

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Allgemein gilt im bilateralen Verhältnis desjenigen, der eine Pflicht oder einen Bestandteil einer Pflicht delegiert, zum Adressaten dieser Delegation: Der Delegierende muss sich auch bei Einhaltung der zuvor genannten Kriterien für eine erfolgreiche Delegation weiter kümmern und in diesem Sinne die Aufgabenerfüllung durch den Delegationsempfänger angemessen überwachen.

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Hierzu hat der Delegierende eine geeignete Berichterstattung an sich selbst einzurichten. Das Ziel der Berichterstattung muss sein, die wesentlichen Informationen regelmäßig und im Falle der Dringlichkeit sofort zu erhalten. Hierzu zählen aus Compliance-Sicht insbesondere Erkenntnisse, die auf eine systemische Anfälligkeit der Organisation für bestimmtes Fehlverhalten hinweisen und die dem Delegierenden ermöglichen würden, die ihm möglichen Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Zugleich dient die Berichterstattung dem Delegierenden dazu, die Erfüllung der übertragenden Pflicht im Wege der Plausibilitätsprüfung allgemein nachzuhalten. Die Berichterstattung hat so intensiv und in so enger Taktung zu erfolgen, dass der Delegierende unter den ihm erkennbaren Umständen damit rechnen kann, die für seine eigene Tätigkeit wie auch die für die Beurteilung der Pflichterfüllung des Delegationsempfängers wesentlichen Informationen rechtzeitig zu erhalten.

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Im Falle einer Weiterdelegation der Aufgaben oder Teilen hiervon durch den Delegationsempfänger hat der Erstdelegierende darauf hinzuwirken, dass er über die wesentlichen Entwicklungen aus den Tätigkeiten der entsprechend nachgeschalteten Delegationsempfänger erfährt („Führung einer Führungskraft“). In der Summe entsteht auf diese Weise ein kaskadierendes System von Berichterstattungen, das sich über die gesamte Aufbauorganisation erstreckt.

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Geben die Auskünfte oder das Verhalten des Delegationsempfängers hierzu Anlass, hat der Delegierende nachzufassen, d.h. die Berichte und die Tätigkeit des Delegationsadressaten beispielsweise durch intensiveres Nachfragen oder im Wege stichprobenhafter Kontrollen weiter zu plausibilisieren. Das gleiche gilt, wenn im betreffenden Bereich in der näheren Vergangenheit bereits Unregelmäßigkeiten zutage getreten sind, z.B. im Rahmen von Außenprüfungen.[25] Auch eine angespannte wirtschaftliche Lage des Unternehmens kann – soweit dem Delegierenden bekannt – Grund sein für eine intensivere Plausibilisierung gegenüber dem Delegationsempfänger.[26] Soweit der Delegierende die für die Plausibilisierung erforderliche fachliche Expertise nicht hat, muss er sie sich anderweitig verschaffen, z.B. durch Hinzuziehung externer Spezialisten. Welche Maßnahmen der Überwachung und Plausibilisierung in welcher eskalierenden Folge erforderlich sind, ist Frage des Einzelfalls und anhand der jeweiligen erkennbaren Umstände zu entscheiden.[27] Generell gilt: Je wichtiger, dringlicher oder unplausibler die aus der Berichterstattung erhaltenen Informationen dem Delegierenden erscheinen müssen, desto intensiver und enger getaktet haben die Berichterstattungen fortan zu erfolgen. Wichtig zu wissen hierbei: Unbenommen der Frage, welche Überwachungsmaßnahmen im Einzelfall angezeigt sind, wird eine mangelhafte Überwachung regelmäßig als grob fahrlässige Pflichtverletzung (,,Überwachungsverschulden“) angesehen.[28]

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Erkennt der Delegierende einen Missstand, der die zukünftige Aufgabenerfüllung durch den Delegationsadressaten nicht unerheblich zu beeinträchtigen droht, muss der Delegierende handeln und dem Missstand schnellstmöglich abhelfen. Macht er dies nicht, misslingt die Delegation fortan, und die delegierte Aufgabe fällt – jedenfalls für die Dauer des anhaltenden Missstands – haftungsrelevant wieder auf den Delegierenden zurück. Dies hat zur Folge, dass bei der Frage der strafrechtlichen, bußgeldrechtlichen und steuerrechtlichen Haftung des Delegierenden regelmäßig grobe Fahrlässigkeit oder gar Vorsatz anzunehmen sein wird.

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Beispiele mangelhafter Überwachung:


BFH/NV 91, 283: In einer GmbH ist dem Geschäftsführer, der die Steuerangelegenheiten an eine angestellte Buchhalterin delegiert hat, unbemerkt geblieben, dass über einen Zeitraum von etwa einem Jahr die einbehaltene Lohnsteuer nicht ordnungsgemäß an das Finanzamt abgeführt wurde. Diesen Umstand nimmt der BFH bereits für sich genommen als entscheidendes Indiz für mangelhafte Überwachung und grobe Fahrlässigkeit des Geschäftsführers.
BFH/NV 09, 362: In einer KG hat der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH die Buchhaltung an Mitarbeiter und zur Kontrolle an externe Steuerberater delegiert. Eine Überwachung der betreffenden Mitarbeiter und Steuerberater durch den Geschäftsführer unterblieb ganz. So blieb dem Geschäftsführer unbemerkt, dass die Buchhaltung über Jahre gravierende Mängel aufwies und insbesondere die Auslandsgeschäfte wegen fehlender Konten- und Belegnachweise nicht nachvollziehbar dargestellt waren. Der BFH wertet das Verhalten als grob fahrlässige Verletzung der Überwachungspflicht; egal um wen es sich bei dem Delegationsempfänger im Einzelnen handelt, der Geschäftsführer dürfe nicht „blind“ auf dessen ordnungsgemäße Aufgabenerledigung vertrauen und auf eine Überwachung gänzlich verzichten.