Tax Compliance

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II. Tax Investigation Berichterstattung

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Bei einer Tax Investigation wird regelmäßig mit Abschluss der Untersuchung ein Bericht zu erstellen sein, der ggf. auch Ansprüchen von Gerichten, Behörden oder Versicherungen genügen muss.

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Im Vorfeld der Dokumentationsphase ist daher zu überlegen, wie die Verschriftlichung des Prüfungshandlung und der Ergebnisse erfolgt. Die ACFE unterscheidet zwischen dem „Fraud Examination Report“ und dem „Expert Report“.[28]

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Der „Fraud Examination Report“ wird von einem oder mehreren an der Investigation beteiligten Mitgliedern erstellt. Dabei werden Hinweise und Fakten sachlich aufgelistet, die der Sachverhaltsaufklärung dienlich sind, wohingegen persönliche Einschätzungen oder Vermutungen ausgespart werden. Der „Expert Report“ hingegen liefert nicht nur die der Darstellung der Fakten, sondern enthält darüber hinaus noch Einschätzungen, Indikationen, Schlussfolgerungen des Experten, also desjenigen, der den Bericht anfertigt. Demnach ist hier mehr als bei der vorgenannten Dokumentationsvariante auf den fachlichen Hintergrund, die Erfahrung und die Referenzen des Berichterstellers zu achten. Bei der Wahl der Reporting-Art sind zudem der Empfängerkreis und dessen fachliche Kompetenz zu berücksichtigen sowie die Absicht, wozu der Bericht letztlich dienen soll und was in der jeweiligen Jurisdiktion üblich ist.

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Es gibt zahlreiche Formate, nach denen ein Bericht aufgebaut werden kann, wenngleich innerhalb einer Untersuchung einzelne Berichte einen einheitlichen Aufbau aufweisen sollten. Angelehnt an die Systematik des ACFE[29] und ergänzt um in der Praxis bewährte Formate (Best Practice), kann ein Untersuchungsbericht wie folgt aufgebaut sein:


Allgemeine Bemerkungen – dargestellt werden die Hintergründe, weshalb die Investigation erfolgt, der Auftragsgegenstand, die Vorgehensweise und die Ziele, die mit der Sonderuntersuchung verfolgt werden
Executive bzw. Management Summary – eine übersichtsartige Darstellung der wesentlichen Ergebnisse
Ergebnisse im Detail – Detaillierte Darstellung der Untersuchungsergebnisse. Dabei werden wesentliche Details so dargestellt, dass der Leser ein klares und eindeutiges Verständnis über die aufgeworfenen Fragestellungen und die entsprechenden Ergebnisse erlangen kann. Die zu den Ergebnissen führenden und ihnen zugrunde liegenden Informationen können chronologisch oder nach Themenbereich dargestellt sein. Wichtig ist, die einzelnen Ergebnisse im Gesamtzusammenhang der Ausgangsfragen zu beleuchten und (ggf.) zu interpretieren.
Auswirkungen (optional) – es wird eine Einschätzung abgegeben, welche Auswirkungen die Handlung, welche Auslöser für die Investigation war, auf das Unternehmen hat und ggf. haben wird.
Follow-up/Handlungsempfehlungen (optional) – dieser Punkt ist optional und kann für Empfehlungen über das weitere Vorgehen (vertiefte Prüfung des Tax CMS, Einrichtung von Kontrollen) oder das Benennen noch ausstehender Punkte genutzt werden.

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Die Berichterstattung (z.B. im Rahmen einer Tax Investigation) hat den Ansprüchen der Genauigkeit, Übersichtlichkeit, Objektivität und Relevanz sowie der Rechtzeitigkeit gerecht zu werden. Inhaltliche oder formelle Fehler lassen nicht selten Zweifel an der Validität des Dokuments aufkommen und können im schlimmsten Fall zur Missachtung des Reportings und damit der geleisteten Arbeit führen. Fragen, die sich der Berichtersteller stellen sollte, sind folgende:


Beruht der Bericht auf validen Informationen und sind diese belegbar? Sind die Informationen adäquat und sachdienlich?
Sind die Informationen im Bericht im richtigen Kontext wiedergegeben, sodass der Leser die Informationen in intendierter Weise aufnehmen kann?
Ist der Bericht objektiv verfasst, sind die Informationen objektiv verwertet?
Ist der Bericht für den beabsichtigten Empfängerkreis hilfreich?
Liegt der Bericht dem beabsichtigten Empfängerkreis zum Zieldatum vor?

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Oben genannte Punkte sind nicht nur bei dem finalen Report, sondern auch bei Zwischenreports oder der Dokumentation einzelner Arbeitsschritte (z.B. Interviews, Hintergrundrecherchen) zu beachten.

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Es ist zu erwarten, dass die Prüfer eine Vielzahl von Informationen und Unterlagen zu beachten haben, was einen strukturierten Umgang mit den Informationen und insbesondere den sensiblen Daten notwendig macht. Dabei ist nicht nur die Sammlung und Ablage der Informationen, sondern auch die Darstellung im Bericht von Belangen. So können Informationen im Bericht chronologisch oder nach Themenbereichen strukturiert werden. Im Fall des chronologischen Aufbereitens werden die Informationen nach zeitlichem Bekanntwerden sortiert, sodass der Ausgangspunkt in diesem Fall regelmäßig die Veranlassung zur Tax Investigation, also z.B. ein anonymer Hinweis oder die Kenntnis eines behördlichen Ermittlungsverfahrens, ist.

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Eine Gliederung nach Themenbereichen empfiehlt sich dann, wenn eine Vielzahl von Dokumenten inhaltlich auf mehrere einzelne Vorfälle passt und zur Aufklärung dieser beiträgt. Führten beispielsweise mehrere Vorfälle nur in Kombination zu einem Problem, so kann es empfehlenswert sein, diese Vorfälle jeweils separat darzustellen und die einschlägigen Informationen einzeln zuzuordnen. Dabei ist das „Zusammenspiel“ der einzelnen Informationen, die das Problem begründen, hervorzuheben. Innerhalb eines Themenbereichs kann wiederum chronologisch sortiert werden.[30]

Teil 1 Tax Compliance und Unternehmen › 7. Kapitel Tax Investigation › E. Fallstudien von Tax Investigation

E. Fallstudien von Tax Investigation
I. Aufklärung von Umsatzsteuerkarussellen

1. Hintergrund

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Die Ausgestaltung eines Umsatzsteuerkarussells kann diverse Formen annehmen.[31] Ergebnis ist aber stets die Verkürzung bzw. Hinterziehung der Umsatzsteuer, indem lediglich Vorsteuerabzug geltend gemacht wird, ohne in allen Fällen die ausgewiesene Umsatzsteuer zu erklären bzw. abzuführen.[32] Der monetäre Erfolg dieser Straftat resultiert somit aus „der Differenz von gezogener Vorsteuer und nicht abgeführter Umsatzsteuer (…)“. Zur Umsetzung wird häufig – aber nicht zwingend – eine sich über mehrere EU-Mitgliedstaaten erstreckende Lieferkette implementiert, die meist den Handel mit hochpreisigen kleinen Waren (bspw. Computerprozessoren[33]) oder Waren mit hohem Handelsvolumen, wie z.B. Schrott zum Gegenstand hat.[34] Hierbei sind die gehandelten Waren nicht zwingenderweise existent („Scheinlieferungen“).

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In einem klassischen Umsatzsteuerkarussell kauft der sog. „Missing Trader“ innergemeinschaftlich Waren steuerfrei ein, die er dann unter Ausweis von Umsatzsteuer an den sog. „Buffer“ weiter veräußert, ohne die ausgewiesene Umsatzsteuer anzumelden bzw. abzuführen.[35] Im internationalen Kontext wird daher auch der Begriff „Missing Trader Intra-Community Fraud“ verwendet (MTIC).[36]

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Abb. 7:

Übersicht „Klassisches Umsatzsteuerkarussell“


[Bild vergrößern]

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Der Buffer kommt seinen steuerlichen Pflichten nach und ist grundsätzlich nicht notwendig für das Funktionieren eines Umsatzsteuerkarussells, sondern dient i.d.R. der Verschleierung. Aus diesem Grund werden in einem Umsatzsteuerkarussell auch regelmäßig mehrere Buffer zwischen dem Missing Trader und dem Distributor geschaltet.[37]

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Um den „Erfolg“ dieses kriminellen Systems zu realisieren, wird durch den Distributor – der regelmäßig der Initiator dieser Straftat sein wird – auf Grundlage der Rechnung des Buffers Vorsteuer gezogen, die wirtschaftlich gesehen im Wesentlichen aus der unversteuerten Rechnung des Missing Traders stammt.[38]

2. Bedeutung der internen Sachverhaltsaufklärung bei Umsatzsteuerkarussellen

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Interne Sachverhaltsaufklärungen können i.d.R. dann von Bedeutung sein, wenn das Risiko besteht, dass ein Unternehmen unwissentlich Teil eines Umsatzsteuerkarussells geworden ist oder Gesellschaften eines Konzerns durch verantwortliche Führungskräfte oder Mitarbeiter für derartige Straftaten missbraucht werden, um sich persönlich zu bereichern.

„Unwissentliche“ Teilnahme am Umsatzsteuerkarussell

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Als Unternehmen unwissentlich Teil einer Lieferkette zu werden, die in ihrer Gesamtschau als kriminelles Umsatzsteuerkarussell zu definieren ist, stellt auch ohne Vorsatz ein Risiko für Unternehmen dar, da neben der rein steuerstrafrechtlichen Konsequenzen auch immer steuerliche Haftungs- und Abzugsbeschränkungen zu berücksichtigen sind. Hierzu führt der BFH aus, dass die Vorsteuer bei Leistungen in einem Umsatzsteuerkarussell dann gezogen werden kann, wenn ein Unternehmer „(…] alle Maßnahmen getroffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sicherzustellen, dass seine Umsätze nicht in einen Betrug – sei es eine Mehrwertsteuerhinterziehung oder ein sonstiger Betrug – einbezogen sind (…)“.[39] Zu beachten ist in diesem Zusammenhang ferner, dass der Nachweis für die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen durch das Vorsteuerabzug begehrende Unternehmen zu erbringen ist, was auch das „Wissen oder Wissenkönnen vom Tatplan eines Vor- oder Nachlieferanten“ beinhaltet.[40]

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Insofern wird deutlich, dass es unter präventiven Gesichtspunkten zwingend geboten erscheint, sich durch entsprechende Hintergrundrecherchen im ausreichenden Maße über die Integrität seiner Geschäftspartner zu informieren.

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Ziel solcher anlassbezogenen Recherchen ist es, Informationen zu gewinnen, anhand derer man die Bedenklichkeit oder Unbedenklichkeit potenzieller Geschäftspartner bestimmen und belegen kann und infolge dessen die Entscheidung über die Aufnahme von Geschäftsbeziehungen bzw. zu der Etablierung entsprechender Sicherungsmaßnahmen getroffen werden kann.

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Käme bei einer solchen Recherche etwa zum Vorschein, dass der potentielle Geschäftspartner bereits häufiger wegen Wirtschaftsdelikten in der Presse stand oder gar (straf-)rechtlich verurteilt wurde, könnte dies entsprechende Entscheidungen gegen eine Aufnahme von Geschäftsbeziehungen bzw. für die Aufnahme nur unter engen Auflagen (z.B. Compliance-, Prüfungs- oder Exit-Klauseln) begründen. Insbesondere bei Umsatzsteuerkarussellen spielt etwa auch das Gründungsdatum eine Rolle, da in solchen Modellen die Existenz von Gesellschaften häufig nur von kurzer Dauer geprägt ist. Bei besonders verschachtelten Gesellschaftsstrukturen lohnt sich der Aufwand für die Ermittlung des wirtschaftlich berechtigten Personenkreises, da – nicht überraschend – am Kopf von kriminellen Organisationen nicht selten ein und dieselbe Person steht.

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Um auf Informationen eines mannigfaltiges Repertoires an validen Quellen zurückgreifen zu können, empfiehlt sich für die Durchführung solcher Hintergrundrecherchen („Business Intelligence“ Dienstleistungen) die Einschaltung von darauf spezialisierten Dienstleistern, sofern dies nicht durch eigene Ressourcen bewältigt werden kann.

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Ferner kann unter Umständen auch bei Gutgläubigkeit der Vorsteuerabzug des Lieferungsempfängers versagt werden, da nicht der Lieferant und förmlich handelnde Rechnungssteller als umsatzsteuerlicher Leistungserbringer anzusehen ist, sondern die kollusiv im Hintergrund handelnde kriminelle Gruppe, mit der dieser zusammen in krimineller Weise umsatzsteuerliche Vorteile erschlichen hat.[41] Voraussetzung für den Vorsteuerabzug wäre indes die vollständige, tatsächliche Anschrift des leistenden Unternehmers oder der – um dem FG Saarland zu folgen – „kriminellen Gruppe“ (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG).[42] Diese Rechtsprechung sollte jedoch nicht anwendbar sein, wenn tatsächlich Warenbewegungen stattgefunden haben, sondern vielmehr in Fällen, in denen Scheinrechnungen ausgestellt wurden.

Vorsätzliche Teilnahme am Umsatzsteuerkarussell

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Denkbar sind an dieser Stelle Konstellationen, in denen insbesondere leitende Angestellte einer Tochtergesellschaft die Gesellschaft bewusst für derart kriminelle Machenschaften missbrauchen. Die Motivation kann hierbei in der unmittelbaren Abschöpfung der nicht abgeführten Umsatzsteuer liegen. Möglich ist aber auch, dass das Unternehmen insbesondere zu Verschleierungszwecken gebraucht wird und der leitende Angestellte von den Initiatoren des Umsatzsteuerkarussells hierfür eine entsprechende Gegenleistung erhält.

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Die Planung und Durchführung von Untersuchungshandlungen hat sich, insbesondere vor dem Hintergrund der vielfältigen Variationsmöglichkeiten eines Umsatzsteuerkarussells, stets auf den konkreten Einzelfall auszurichten. Auslöser für eine Investigation im Hinblick auf eine potentielle Verwicklung in ein Umsatzsteuerkarussell werden regelmäßig interne oder externe Hinweise sein (vgl. Rn. 4). In dem folgenden Beispiel könnte der Ausgangpunkt für eine Investigation sein, dass die Konzernmutter durch eine zeitnahe und vollständige Sachverhaltsklärung mögliche finanzielle oder reputative Schäden gering halten möchte.

3. Beispiel

Sachverhalt

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Für den Großhändler (B), der Teil eines internationales Konzern ist, ergibt sich aufgrund eines langjährig bekannten Geschäftskontaktes (K) die Möglichkeit, 1 000 Tonnen Kopierpapier zum Preis von EUR 1/Tonne netto im Rahmen eines sog. Streckengeschäftes bei einem neuen Lieferanten (A) zu kaufen und direkt an einen neuen Abnehmer (C) zum Preis von EUR 1,05/Tonne zu liefern, was einer branchenüblichen Gewinnmarge von rund 5 % entspricht. K erhält für seine Vermittlungstätigkeit eine kleine Provision von 1 % des Nettoumsatzes. Bei diesem (branchenüblichen) Streckengeschäft handelt es sich um eine Warenlieferung, bei der die vermittelte Ware direkt vom Lieferanten zum Abnehmer geliefert wird, ohne dass es zu einer physischen Einlagerung bei B kommt. Das gesamte Geschäft wird anhand von entsprechenden Verträgen/Frachtpapieren abgewickelt, wobei branchenüblich die Warenlieferung an den Abnehmer C durch den Lieferanten A vorgenommen wird.

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B erhält von A nach Durchführung des Geschäftes eine Rechnung in Höhe von 1 190 EUR (1 000 EUR zuzüglich 190 EUR Umsatzsteuer). B stellt C 1 249,50 EUR (1 050 EUR zuzüglich 199,50 EUR Umsatzsteuer) in Rechnung. B macht die durch A in Rechnung gestellte Umsatzsteuer im Rahmen seiner Umsatzsteuervoranmeldungen als Vorsteuer geltend. C bezahlt die Rechnung umgehend. Gleichartige Geschäfte zwischen A, B und C werden in den folgenden Monaten dreimal abgewickelt. Die Geschäftsbeziehung endet, als C die dritte Rechnung nicht mehr bezahlt und jeder Kontakt zu C abbricht.

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B ist nicht bewusst, dass er in ein Umsatzsteuerkarussell eingebunden wurde. Hierbei liegt folgendes Konstrukt vor:

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Die 1 000 Tonnen Papier (Ware) existieren nicht. Der gutgläubige K wurde genutzt, um B in das Karussell einzubeziehen. A und C arbeiten zusammen. Dabei hat A die Ware im Rahmen eines innergemeinschaftlichen Erwerbes von einem niederländischen Händler (D) für insgesamt 1 000 EUR zuzüglich Umsatzsteuer (Erwerbsteuer) bezogen und diesen innergemeinschaftlichen Erwerb auch ordnungsgemäß angemeldet. Die angemeldete Erwerbsteuer wurde unmittelbar als Vorsteuer im Rahmen der jeweils selben Umsatzsteuervoranmeldung geltend gemacht. Für die ersten zwei Lieferungen hat A die an B in Rechnung gestellte Umsatzsteuer ordnungsgemäß in seinen Umsatzsteuervoranmeldungen deklariert. C wiederum macht aus allen drei Rechnungen des B einen Vorsteuerabzug in Höhe von 199,50 EUR geltend. Gleichzeitig tätigt er eine in Deutschland steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung in die Niederlande an den von ihm kontrollierten D, der hierfür wieder in den Niederlanden Erwerbsteuer anmeldet sowie Vorsteuer geltend machen kann und die Ware an A zurückliefert.

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Unter Vernachlässigung der innergemeinschaftlichen Lieferungen bzw. den innergemeinschaftlichen Erwerben, bei denen jeweils ein Vorsteuerabzug in Höhe der zu leistenden Erwerbsteuer vorliegt, ergeben sich aus Sicht der Betreiber des Umsatzsteuerkarussells folgende Zahlungsströme:

Tab. 2: „Übersicht über die Zahlungsströme“


A C Erfolgskomponenten
Zahlung von Umsatzsteuer Zahlung an B Vorsteuer Zahlungssaldo Steuersaldo Gesamtergebnis
1. Lieferung 1.190,00 € – 190,00 € – 1.249,50 € 199,50 € – 59,50 € 9,50 € – 50,00 €
2. Lieferung 1.190,00 € – 190,00 € – 1.249,50 € 199,50 € – 59,50 € 9,50 € – 50,00 €
3. Lieferung 1.190,00 € 0,00 € 0,00 € 199,50 € 1.190,00 € 199,50 € 1.389,50 €
Summe 3.570,00 € – 380,00 € – 2.499,00 € 598,50 € 1.071,00 € 218,50 € 1.289,50 €

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Die Lieferungen von C an D und von D an A führen zu keinen Liquiditätsabflüssen, da es sich um rein fiktive Lieferungen handelt. Zur besseren Verschleierung können natürlich auch hier Zahlungen vorgenommen werden, diese spielen in der Gesamtbetrachtung aber keine Rolle. Wichtig ist zunächst, dass B 1 190 EUR an A zahlt und von C 1 249,50 EUR erhält. Hieraus ergibt sich ein Zahlungsmittelabfluss aus dem Karussell von 59,50 EUR. Da 190 EUR Umsatzsteuer abgeführt werden und 199,50 EUR Vorsteuer geltend gemacht werden, können 9,50 EUR über die Umsatzsteuervoranmeldungen wieder als Zahlungsmittelzufluss generiert werden. Im Saldo liegt ein negativer Cash-Flow von 50 EUR vor. Die ersten beiden Lieferungen werden zum „Anfüttern“ und Verschleiern der wahren Absichten durchgeführt. B ist der Ansicht, es hier mit einem guten Geschäftskontakt zu tun zu haben und die Finanzbehörden sollen durch das steuerehrliche Verhalten von A und B ebenfalls abgelenkt werden. Da sich aus diesem Konstrukt ein insgesamt negativer Zahlungsstrom für das Karussell ergibt, muss irgendwann die Endabrechnung erfolgen, bei der C zwar die Vorsteuer geltend macht, jedoch A die Umsatzsteuer nicht mehr abführt. Zusätzlich wird B um seine Zahlung gebracht, da C diese nicht mehr vornimmt. Im Gesamtergebnis konnte das Karussell 1 289,50 EUR generieren.

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In dem obigen Beispiel dürfte das Hauptziel des Karussells der Betrug des B sein. Wenn das Karussell unauffälliger arbeiten möchte und hauptsächlich auf die Erzielung von Einnahmen aus der Verkürzung der Umsatzsteuer abgestellt ist, wird C auch die dritte Zahlung an A durchführen und der Kontakt danach „einschlafen“. In diesem Fall würde das Karussell ein Gesamtergebnis von 40 EUR erzielen, was sich aus der nachfolgenden tabellarischen Übersicht ergibt:

 

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Tab. 3: „Übersicht über die veränderten Zahlungsströme“


A C Erfolgskomponenten
Zahlung von Umsatzsteuer Zahlung an B Vorsteuer Zahlungssaldo Steuersaldo Gesamtergebnis
1. Lieferung 1.190,00 € – 190,00 € – 1.249,50 € 199,50 € – 59,50 € 9,50 € – 50,00 €
2. Lieferung 1.190,00 € – 190,00 € – 1.249,50 € 199,50 € – 59,50 € 9,50 € – 50,00 €
3. Lieferung 1.190,00 € 0,00 € –1.249,50 € 199,50 € – 59,50 € 199,50 € 140,00 €
Summe 3.570,00 € – 380,00 € – 3.748,50 € 598,50 € – 178,50 € 218,50 € 40,00 €

Mögliche steuerliche Konsequenzen für B

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Für B können sich – unabhängig vom möglichen Vermögensschaden, bei einer Nichtzahlung durch C bei der dritten Lieferung – erhebliche steuerliche Konsequenzen ergeben. Dem Sachverhalt liegt die Annahme zugrunde, dass die Ware nicht existiert. Eine nicht existente Ware kann natürlich nicht Gegenstand einer Lieferung i.S.d. Umsatzsteuergesetzes sein, so dass in keinem Fall ein umsatzsteuerbarer Umsatz vorliegen kann. Ohne steuerbaren Umsatz können sich aber weitere Konsequenzen, wie z.B. ein Vorsteuerabzug, zwangsläufig auch nicht ergeben. B hat in diesem Beispiel in keinem Fall einen Anspruch auf Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 UStG. Zwar liegt mangels Existenz der Ware zwischen B und C ebenfalls keine Lieferung i.S.d. UStG vor, jedoch schuldet B die „unberechtigt“ ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14c Abs. 2 UStG, da er mangels Lieferung nicht zum Ausweis einer Umsatzsteuer berechtigt gewesen wäre. Eine Korrektur ist ihm aber nur dann möglich, wenn die „Gefährdung des Steueraufkommens“ beseitigt werden kann (§ 14c Abs. 2 S. 3 UStG). Da hier C aber die Vorsteuer abgezogen hat und jeder Kontakt abgebrochen ist, dürfte dies im Nachhinein nicht mehr möglich sein. Im schlimmsten Fall schuldet B somit die Umsatzsteuer von 199,50 EUR je Lieferung, darf die Vorsteuer von jeweils EUR 190,00 nicht geltend machen. Der Schaden von 598,50 EUR beträgt in diesem Fall ein Vielfaches der realisierten Marge von EUR 50/Lieferung.

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Ein weiteres Risiko könnte sich aus § 25d UStG ergeben. Im Falle der Kenntnis oder des Kennenmüssens besteht grundsätzlich eine Haftung gem. § 25d UStG für die Umsatzsteuer, die von A sowie weiteren Vorlieferanten des A nicht abgeführt wurde. Allerdings gilt dies nur, wenn tatsächlich eine Lieferung oder sonstige Leistung tatsächlich stattgefunden hat, was im vorliegenden Beispiel der Scheinlieferung nicht der Fall ist. Da keine Rechnung i.S.d. § 14 UStG hätte ausgestellt werden dürfen, liegt ein unberechtigter Steuerausweis nach § 14c UStG vor. Soweit ein unrichtiger oder unberechtigter Steuerausweis nach § 14c UStG vorliegt, scheidet eine Haftung nach § 25d UStG jedoch aus, da kein zum Vorsteuerabzug berechtigender Umsatz stattgefunden hat.[43]

Mögliches Vorgehen im Rahmen einer Investigation aus der Perspektive des B

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Im Rahmen einer Investigation würde zunächst geklärt werden, ob die bestehenden Hinweise dem tatsächlichen Sachverhalt entsprechen. Käme man zu dem Ergebnis, dass sich der Sachverhalt, wie in dem Beispiel dargestellt, ereignet hat, wären die relevanten Sachverhalte genau zu dokumentieren. In diesem Zusammenhang wäre zu untersuchen, ob weitere ähnlich gelagerte Fälle möglich wären.

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Um eine bestmögliche Verteidigungsstrategie entwerfen zu können, ist es darüber hinaus von großer Bedeutung zu wissen, ob Organe oder Mitarbeiter der B bewusst in das Umsatzsteuerkarussell eingebunden waren. Sofern davon auszugehen ist, dass eine Einbindung in das Umsatzsteuerkarussell unwissentlich durch B erfolgte, wird zu untersuchen sein, ob Mängel in den Prozessen bzw. die Nichtbeachtung von internen Vorgaben die Teilnahme am Umsatzsteuerkarussell ermöglicht oder zumindest erleichtert haben bzw. ob man die Teilnahme hätte erkennen können.

Maßnahmen zur Aufklärung

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Im Großhandel ist es üblich, bei neuen Kundenkontakten bestimmte Untersuchungen dahingehend durchzuführen ob man es mit einem voraussichtlich „liquiden“ und „soliden“ Kunden zu tun hat. Dies erfolgt zum einen vor dem Hintergrund notwendiger Bonitätsprüfungen, um Forderungsausfallrisiken zu vermeiden, zum anderen aber auch in Hinblick auf das Geldwäschegesetz, unter das Großhändler als Verpflichtete nach § 2 Abs. 1 Nr. 13 GWG regelmäßig fallen werden. Da bei der Begründung einer auf eine gewisse Dauer ausgelegten Geschäftsbeziehung nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 GwG eine Identifizierung des Vertragspartners stattzufinden hat, werden Großhändler typischerweise standardisierte Prozessabläufe zur Identifizierung neuer Geschäftspartner implementieren, auf die im Rahmen der Investigation zurückgegriffen werden kann. Hierzu können verschiedene Prüfroutinen vorgesehen sein, die auch grundlegende Informationen wie Handelsregisterauszug, Gesellschafterlisten, öffentlich zugängliche Jahresabschlüsse umfassen können. So kann im Rahmen der Investigation geprüft werden, ob die im Rahmen der Prüfroutinen vorgesehenen Informationen über den Lieferanten A und den Kunden C eingeholt wurden und wenn ja, ob die Schlussfolgerungen hieraus nachvollziehbar sind. Das – nicht nachvollziehbare – Abweichen von diesen Prüfroutinen wie z.B. das Nichteinholen eines aktuellen Handelsregisterauszuges kann Hinweise auf mögliche Unregelmäßigkeiten geben. Dies gilt aber beispielsweise auch, wenn zwar ein aktueller Handelsregisterauszug eingeholt wurde, aber trotz möglicher Anhaltspunkte keine Risiken identifiziert und beurteilt wurden. Risiken, die im Rahmen einer Durchsicht eines aktuellen Handelsregisterauszuges identifiziert werden könnten wären beispielsweise:

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Gründung der Gesellschaft (wie lange existiert der potentielle Geschäftspartner schon?),
Alter der Geschäftsführer (besonders junge oder besonders alte Geschäftsführer dürften als ungewöhnlich eingestuft werden),
Wohnsitz der Geschäftsführer in weit vom Sitz der Gesellschaft entfernten Regionen.

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Wichtige Hinweise könnten sich im Rahmen der Investigation auch ergeben, wenn zwar solche Risikoindikatoren identifiziert wurden, jedoch das zuständige Management der B im Rahmen einer Einzelfallentscheidung veranlasst hat, dass diesen Risikoindikatoren nicht weiter nachgegangen werden soll.

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Über die Nutzung der im Unternehmen vorhandenen Information hinaus empfiehlt sich außerdem die Durchführung einer Hintergrundrecherche über den Lieferanten A und den Kunden C, um über den Handelsregisterauszug hinausgehende Informationen in Erfahrung zu bringen, z.B. wesentliche Kennzahlen zur Vermögens-, Finanz- und Ertragslage und mögliche negative Pressemeldungen, falls über den A oder C bzw. deren Geschäftsführer oder Gesellschafter bereits in der Vergangenheit im Zusammenhang mit Wirtschaftskriminalität berichtet wurde. Außerdem könnte mit Hilfe einer Hintergrundrecherche eine potenzielle direkte oder indirekte Beziehung zwischen dem A und dem C aufgedeckt werden. Ferner könnte festgestellt werden, ob einzelne Mitarbeiter des B direkte oder indirekte Beziehungen mit Mitarbeitern des A und/oder B unterhielten.