Tax Compliance

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1. Allgemeines

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Zur Thematik gehören v. der vorbereitenden Führung der Buchhaltung des Unternehmens (§§ 140 ff. AO) neben der Beachtung der gesamten steuerlichen Mitwirkungspflichten (insb. § 90 AO) bis zur Erstellung v. Steuererklärungen (§§ 149 ff. AO), die gesamte Organisation der Fristenprüfung und -einhaltung sowie der Organisation und Durchführung v. steuerlichen Prüfungen, wie Betriebsprüfungen. V.a. im ersten Abschn. dieser beiden Verfahrensstadien des Besteuerungsverfahrens im engeren Sinne werden oftmals entscheidende Fehler in Unternehmen begangen, die im schlechtesten Falle zu teuren steuerlichen Änderungen und häufig auch Steuerhinterziehungstatbeständen führen. Dabei muss man wissen, dass die Abgabe falscher Steuererklärungen, zumeist infolge v. Informationsdefiziten über die Abteilungen des Unternehmens hinweg, z.B. v. Einkauf/Vertrieb zur Buchhaltung oder Steuerabteilung, in deutschen Unternehmen an der Tagesordnung ist.[1] Aber: Bereits mit der Abgabe der Steuererklärung ist für die handelnden Personen im Unternehmen bei Mängeln u.U. steuerstrafrechtlich das Versuchsstadium erreicht, mit einem falschen Steuerbescheid eine vollendete Steuerhinterziehung. Zumindest sind die Unternehmen bei Erkennen eines Fehlers steuerlich selbstständig zur Korrektur verpflichtet (§ 153 AO). Das Besteuerungsverfahren im engeren Sinne ist somit eine zentrale „Baustelle“ der Organisation einer Tax Compliance im Unternehmen. Dabei liegt der Schwerpunkt des Kapitels auf der legalen „Gestaltung“ und Beeinflussung des Ermittlungsverfahrens sowie von steuerlichen Prüfungen i.S.d. Unternehmens.

2. Sinn und Zweck einer Tax Compliance-Regelung im Besteuerungsverfahren/Reichweite

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Nicht erst jetzt, aber jetzt erst Recht, nachdem die Finanzverwaltung im Mai 2016 im Anwendungserlass zur AO (AEAO) als eigener, selbstbindender Richtlinie der Verwaltung zu § 153 AO Tz. 2.6,[2] zwar zurückhaltend, aber doch deutlich erkennbar davon spricht, dass „ein innerbetriebliches Kontrollsystem, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient“, ggf. „gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder Leichtfertigkeit sprechen kann“, ist die Implementierung eines Tax Compliance-Systems, gerade im zentralen Bereich des Besteuerungsverfahrens im engeren Sinne, zumindest für mittlere und größere Unternehmen nahezu unabdingbar. Dies gilt ganz besonders, nachdem die „Tax Compliance“ bisher ein eher stiefmütterliches Dasein gegenüber anderen Compliance-Bereichen geführt hat.

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Angesprochen v. Thema Tax Compliance sind damit aber nicht nur die großen Kapitalgesellschaften, für die der ursprüngliche Begriff der „Corporate Compliance“ v. vornherein galt, sondern auch Personengesellschaften, Einzelunternehmen aller Branchen, freiberufliche Unternehmer, unter Umständen sogar die Land- und Fortwirtschaft und insbesondere die Betriebe gewerblicher Art der öffentlichen Hand. Hinzuweisen ist darauf, dass zum Besteuerungsverfahren auch der Bereich der „Zölle“ gehört, da diese gem. § 3 Abs. 3 AO i.V.m. Art. 4 Nr. 10 und 11 des Zollkodexes „Steuern“ i.S.d. AO sind.

3. Konkrete Ziele einer Tax Compliance-Regelung im Besteuerungsverfahren im engeren Sinne in Kurzform

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Neben der allgemeinen, in der Implementierung eines Compliance-Systems zum Ausdruck kommenden Wertentscheidung, die steuerlichen Vorgaben und Gesetze im Unternehmen befolgen zu wollen, dient die Errichtung eines „Tax Compliance-Systems“ in diesem Kernbereich des Besteuerungsverfahrens zudem in erster Linie den folgenden Zielen:[3]


Der Vermeidung v. Steuer-Haftungsrisiken für das Unternehmen und/oder die Unternehmensleitung i.S.d. §§ 69 ff. AO, d.h. der Sekundärhaftung für die Steuern Dritter, z.B. im Rahmen einer Unternehmensübernahme/-kaufes oder einer Insolvenz.
Der Vermeidung v. steuerstrafrechtlichen Risiken in Form des Vorwurfes einer Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder einer leichtfertigen Steuerverkürzung (gem. § 378 AO).
Zur Tax Compliance gehört aber auch die „Steueroptimierung“ des Unternehmens im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten bzw. des natürlichen Interessengegensatzes zwischen Fiskus und Unternehmen, d.h. die Vermeidung unnötiger Steuerzahlungen im Rahmen der Gesetze. Tax Compliance dient nicht der Steigerung der Effektivität des Gesetzesvollzuges, sondern den steuerlichen Interessen des Unternehmens und seiner Mitarbeiter sowie Kapitalgeber.

II. Gesetzliche Adressaten der steuerlichen Pflichten im Unternehmen (§§ 33–36 AO)

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Die vielfältigen steuerlichen Verpflichtungen treffen nach dem Gesetz in den unterschiedlichsten Unternehmen und Branchen gem. §§ 33 ff. AO die folgenden Personen:


Primär den Steuerpflichtigen gem. § 33 Abs. 1 AO, also je nach Einzelfall, z.B. natürliche Personen bei der Einkommensteuer, d.h. den Einzelunternehmer direkt (betrifft nicht nur den Handwerksbetrieb, sondern häufig sehr respektable Handels- und Produktionsbetriebe, die in der Rechtsform des Einzelunternehmens geführt werden) oder aber den Freiberufler, bei der Gewerbesteuer auch die Personengesellschaften selbst wie OHG oder KG, und bei der Körperschaftsteuer, die in § 1 Abs. 1 KStG genannten juristischen Personen, Personenvereinigungen und Vermögensmassen.
Im Rahmen der zuletzt genannten Unternehmen, der Kapitalgesellschaften, treffen die steuerlichen Pflichten damit wiederum zunächst die gesetzlichen Vertreter der juristischen Personen, somit also den Vorstand der AG (§ 78 Abs. 1 AktG), den Vorstand der Genossenschaft (§ 24 Abs. 1 GenG) sowie der rechtsfähigen Stiftung (§§ 86 S. 1, 26 Abs. 2 BGB), den Geschäftsführer der GmbH (§ 35 Abs. 1 GmbHG) sowie die Geschäftsführer nicht rechtsfähiger Personenvereinigungen und Vermögensmassen, z.B. der GbR (§§ 710 ff. BGB), OHG, KG (§§ 114, 115, 125, 161 Abs. 2, 170 HGB). All diese Personen haben gem. § 34 Abs. 1 S. 1 AO die steuerlichen Pflichten der v. ihnen vertretenen Unternehmungen zu erfüllen. Jeder Beteiligte kann sich im gesamten Besteuerungsverfahren auch durch einen externen Bevollmächtigten, wie Steuerberater oder Steueranwalt, vertreten lassen (§ 80 Abs. 1 S. 1 AO), dessen Handlungen gegenüber der Finanzbehörde steuerlich unmittelbar für und gegen den Vertretenen wirken.


Steuerschuldner i.S.d. § 33 Abs. 1 AO ist dabei auch, wer kraft Gesetzes für eine fremde Steuerschuld mit seinem eigenen Vermögen einzustehen hat, also der Haftungsschuldner. Die Vermeidung einer Haftung für das Unternehmen und die Unternehmensleitung, insbesondere nach den §§ 69–76 AO, ist allerdings gerade eines der Hauptanliegen der Implementierung einer Tax Compliance-Struktur im Unternehmen.

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Die Problematik in der Praxis liegt darin, dass bei größeren Unternehmen, wie etwa AG, auch größeren GmbHs oder kapitalisierten Personengesellschaften, die Vorstände und Geschäftsführer als gesetzliche Adressaten tatsächlich nie oder jedenfalls nicht mehr mit steuerlichen Fragestellungen befasst waren und sind. Letztlich sind sie auf die Informationen und Handlungen ihrer Steuer- und Rechtsabteilungen oder v. externen Beratern angewiesen, die häufig v. den weiteren, wertschöpfenden operativen Abteilungen wie Einkauf, Produktion und Vertrieb im Informationsfluss noch weiter entfernt sind. Dennoch ist a.E. des Tages der Vorstand/Geschäftsführer gegenüber dem Finanzamt gesetzlich verantwortlich. Auch dies spricht für die Installation einer Tax Compliance im Unternehmen, nicht nur für das Besteuerungsverfahren im engeren Sinne.

Teil 1 Tax Compliance und Unternehmen › 9. Kapitel Unternehmensvertretung im Besteuerungsverfahren und in steuerlichen Prüfungen › B. Steuerliche Hauptpflichten im Rahmen des Ermittlungsverfahrens

 

B. Steuerliche Hauptpflichten im Rahmen des Ermittlungsverfahrens

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Das für das Unternehmen zuständige Finanzamt hat gem. § 88 Abs. 1 AO den Sachverhalt und die Besteuerungsgrundlagen (vgl. Legaldefinition in § 199 Abs. 1 AO) v. Amts wegen zu ermitteln (Amtsermittlungs- oder Untersuchungsgrundsatz). Dabei hat die Finanzbehörde – ähnlich wie eine Staatsanwaltschaft – alle bedeutsamen, auch die für das Unternehmen günstigen Umstände, zu berücksichtigen (§ 88 Abs. 2 AO, Grundsatz der Objektivität). Auf der Grundlage dieser Ermittlungen hat das Finanzamt anschließend gem. § 85 S. 1 AO die Steuern nach Maßgabe der steuerlichen Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben. Nach § 85 S. 2 AO hat das Finanzamt dabei auch den Auftrag, sicherzustellen, dass keine Steuern verkürzt werden.

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Diesem Pflichtenkatalog für das Finanzamt stehen weitreichende Mitwirkungspflichten des steuerpflichtigen Unternehmens gegenüber, die im Hinblick auf die Vielzahl der steuerlichen Verpflichtungen im vorliegenden Zusammenhang nur beispielhaft bzgl. der besonders relevanten sowie risikobehafteten Bereiche und Problemfelder angesprochen werden können. Auf diesen Mitwirkungspflichten des Unternehmens liegt nachfolgend der Schwerpunkt des Kap.. Die relevanten Pflichten werden zunächst im Einzelnen angesprochen und erörtert hinsichtlich Inhalt und der alltäglichen Gefahr ihrer Verletzung sowie daraus etwaig resultierender steuerlicher und steuerstrafrechtlicher Konsequenzen. Anschließend werden jeweils Wege zur Vermeidung derartiger Fehler und Konsequenzen sowie vorangehend schon ihrer Entstehung diskutiert und aufgezeigt.

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Begonnen wird mit den allgemeinen steuerlichen Mitwirkungspflichten. Nachfolgend, entspr. der Systematik des Gesetzes, nach Erörterung der speziellen Mitwirkungspflichten im Ermittlungsverfahren, werden die „besonderen Spielarten“ des Ermittlungsverfahrens wie die Betriebsprüfung etc. erörtert sowie anschließend in einem weiteren Abschn. das Festsetzungsverfahren sowie seine (manchmal nur vorläufige) Beendigung.

I. Die allgemeinen Mitwirkungspflichten gem. § 90 Abs. 1 AO

1. Inhalte der allgemeinen Pflicht zur Mitwirkung im Besteuerungsverfahren

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Ganz allgemein und grundlegend normiert sind die Mitwirkungspflichten des Unternehmens im Besteuerungsverfahren als „Beteiligter“ zunächst in § 90 Abs. 1 AO. Danach sind die „Beteiligten“ i.S.d. § 78 AO allgemein verpflichtet, bei der Ermittlung des Sachverhaltes durch die Finanzbehörde (§ 88 Abs. 1 AO) mit dem Ziel der Festsetzung der zutreffenden Steuer mitzuwirken. Wörtlich heißt es hierzu in § 90 Abs. 1 AO als zentraler Norm für die Mitwirkungspflichten im Besteuerungsverfahren insoweit:

„Die Beteiligten sind zur Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhaltes verpflichtet. Sie kommen der Mitwirkungspflicht insbesondere dadurch nach, dass sie die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenlegen und die ihnen bekannten Beweismittel angeben. Der Umfang dieser Pflichten richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles.“

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Wie das Unternehmen im jeweiligen Verfahren konkret diese Mitwirkungspflichten auszufüllen hat, richtet sich gem. dem Wortlaut des Gesetzes nach dem „Einzelfall“, d.h. nach dem konkreten Sachverhalt, z.B. Prüfung einer Rückstellung oder einer ausländischen Betriebsstätte, nach der Branche, der Größe, der Rechtsform des Unternehmens etc. Das Finanzamt bestimmt dabei im Rahmen einer sachgerechten Ermessensausübung Art und Umfang der Ermittlungen nach den Umständen des Einzelfalls. Es hat also die Verfahrensherrschaft, dabei aber den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit[5] zu beachten. D.h., die Ermittlungshandlungen dürfen zu dem angestrebten Erfolg nicht erkennbar außer Verhältnis stehen. Vielmehr sollen die Ermittlungshandlungen so gewählt werden, dass damit unter Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalles ein möglichst geringer Eingriff in die Rechtssphäre der Beteiligten oder gar Dritter verbunden ist.

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Darüber hinaus besteht gem. § 90 Abs. 1 S. 2 AO allgemein die Verpflichtung für das Unternehmen zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Auskunft über die Besteuerungsgrundlagen. Wichtig ist insoweit, dass § 90 Abs. 1 AO selbst keine eigene Rechtsgrundlage für das Verlangen beliebiger Beweisvorsorgepflichten, für besondere Aufbewahrungspflichten und/oder für besondere Beweisführungspflichten über die gesondert und dezidiert im Gesetz benannten Pflichten hinaus begründet[6]. Eine Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen bezieht sich nur auf die entscheidungserheblichen Tatsachen und Sachverhalte, wie ausgeführt, unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. D.h., das Mitwirkungsbegehren des Finanzamtes muss jeweils geeignet zur Sachaufklärung sein, erforderlich und angemessen, also erfüllbar und zumutbar nach den Verhältnissen des betroffenen Unternehmens und des Einzelfalles.

2. Überblick über wesentliche weitere und spezielle Mitwirkungspflichten des Unternehmens im Ermittlungsverfahren

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Aufgrund der im letzten Abschn. dargelegten Rechtslage formuliert die Abgabenordnung an anderer Stelle ausdrücklich weitere, im Folgenden näher erörterte, besondere Mitwirkungspflichten:


gesteigerte Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten (§ 90 Abs. 2 AO),
besondere Aufzeichnungspflichten i.R.v. internationalen Verrechnungspreissachverhalten (§ 90 Abs. 3 AO),
die Pflicht zur Auskunftserteilung (§§ 93 ff. AO),
Anzeigepflichten (§§ 134 ff. AO),
die Pflicht zur Führung von Büchern und Aufzeichnungen (§§ 140 ff. AO),
die Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen (§§ 149 ff. AO),
die Pflicht zur Berichtigung v. fehlerhaften Erklärungen (§ 153 AO),
die Pflicht zur Mitwirkung bei Außenprüfungen (§ 200 AO).

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Teilweise sind diese Mitwirkungspflichten erst nach besonderer Aufforderung durch die Finanzverwaltung zu erfüllen (Verwaltungsakt, § 118 AO), z.B. die Aufforderung zur Mitteilung/Übersendung weiterer Beweismittel auf Anforderung des Finanzamtes.[7] Eine solche Aufforderung hat ihre Rechtsgrundlage in § 92 AO i.V.m. §§ 93 ff. AO. Wichtig ist, dass insoweit der Grundsatz des Vorrangs der Beteiligten-Auskunft (§ 93 Abs. 1 S. 3 AO) gilt. D.h., das beteiligte Unternehmen ist zuerst zu befragen. Erst wenn diese Maßnahme i.S.d. Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und einem damit durch das Gesetz eingeschränkten Ermessen des Finanzamtes nicht zum Ziel führt oder von vornherein keinen Erfolg verspricht, dürfen Dritte, wie Lieferanten oder Kunden des Unternehmens, vom Finanzamt angesprochen und befragt werden. Dies hat seinen Hintergrund darin, dass sich solche Befragungen/Aufforderungen regelmäßig geschäftsschädigend für das Unternehmen auswirken. Letztlich hat es das Unternehmen damit quasi aber auch selbst in der Hand: Es kann durch die Mitteilung entscheidungserheblicher Tatsachen, v.a. auch derjenigen, die nur dem Unternehmen selbst bekannt sind, wie z.B. Geschäftsmodell, Strategien/taktisches Vorgehen, unter Einschränkungen auch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse (geschützt durch das Steuergeheimnis), wertaufhellende Tatsachen etc., auf die Sachverhaltsaufklärung des Finanzamtes einwirken und damit bewirken, dass das Verfahren sich auf seine eigene Sphäre beschränkt (s.o. § 93 Abs. 1 S. 3 AO) und Dritte vom Finanzamt nicht befragt werden bzw. nicht in das Verfahren involviert werden dürfen.

3. Korrespondierende Mitwirkungsrechte des Unternehmens im Besteuerungsverfahren

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Der letzte Abschn. zeigt bereits, dass den vielfältigen Mitwirkungspflichten des Unternehmens im Besteuerungsverfahren auch Mitwirkungsrechte gegenüberstehen. Insbesondere ein Recht auf Informationsteilhabe und auf -beschaffung (als Ausfluss des rechtlichen Gehörs), das das beteiligte Unternehmen als Verfahrenssubjekt im konkreten Steuerrechtsverhältnis ausweist, wie z.B. § 93 Abs. 1 S. 3 AO belegt. SEER spricht insoweit zu Recht von einer „Doppelrolle“ des Steuerpflichtigen: Einerseits als Verpflichteter der hoheitlichen Sachaufklärung, andererseits als Berechtigter von „Grundrechten auf Verfahrensteilhabe“.[8] Diese Rechte gilt es seitens des Unternehmens und seiner Steuer-Verantwortlichen, aber auch seiner Compliance-Beauftragten im Verfahren zu wahren und wahrzunehmen.

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Das zeigt auch folgendes weiteres Beispiel: Bevor das Finanzamt einen für einen Beteiligten nachteiligen Verwaltungsakt erlässt, z.B. Einspruchsentscheidung (§ 367 Abs. 2 S. 2 AO), oder von dem in der Steuererklärung erklärten Sachverhalt zu dessen Nachteil abweicht, soll es i.S. eines durch das Gesetz eingeschränkten Verwaltungsermessens den Beteiligten anhören (§ 91 Abs. 1 AO). Für die Anhörung ist keine besondere Form vorgeschrieben. Eine Anhörung soll insbesondere erfolgen, wenn die Abweichungen aufgrund eines Dauersachverhaltes, wie z.B. der Bewertung eines Mietverhältnisses zwischen verbundenen Unternehmen, auch in die Zukunft wirken.

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Eine Verletzung dieses Rechtes auf rechtliches Gehör (vgl. Art. 103 Abs. 1 GG) liegt regelmäßig dann vor, wenn die Entscheidung des Finanzamtes auf einen Gesichtspunkt gestützt wird, zu dem sich der Verfahrensbeteiligte vorher nicht äußern konnte (Überraschungsentscheidung).[9] Unterbleibt die Anhörung, so liegt ein Verfahrensfehler i.S.d. § 127 AO vor, der den darauf beruhenden Steuerbescheid zunächst rechtswidrig macht. Allerdings ist eine Heilung gem. § 126 Abs. 1 Nr. 3 AO vorgesehen, wenn die erforderliche Anhörung des Unternehmens nachgeholt wird, was bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz, also i.d.R. der letzten mündlichen Verhandlung im finanzgerichtlichen Verfahren, möglich ist (§ 126 Abs. 2 AO).

4. Keine Mitwirkungsverweigerungsrechte für Beteiligte

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Eine Entbindung von den Mitwirkungspflichten oder ein Mitwirkungsverweigerungsrecht für Beteiligte sieht das Gesetz nicht vor. Die §§ 101, 103 AO beziehen sich nicht auf die Beteiligten, sondern ausdrücklich auf nicht am Besteuerungsverfahren beteiligte Personen. § 102 AO dient (nur) dem Schutz bestimmter Berufsgeheimnisse wie dem Beichtgeheimnis oder dem Mandatsgeheimnis bei Rechtsanwälten, Steuerberatern etc. Dieser Grundsatz gilt sogar für den Bereich des Steuerstrafverfahrens fort, in dem die Mitwirkungspflichten trotz des geltenden „Nemo-Tenetur-Grundsatzes“ (vgl. § 393 Abs. 1 AO) fortbestehen und nur nicht mit den Zwangsmitteln der §§ 328 ff AO erzwungen werden dürfen (vgl. dazu die nachfolgenden 10. und 11. Kap.). Die steuerlichen Mitwirkungspflichten bleiben also auch im Strafverfahren nach dem Gesetz bestehen. Das führt dazu, dass beispielsweise nach der Rspr. sowohl des BFH sowie des BGH trotz eingeleitetem Strafverfahren bei Betriebsprüfungen – mit Ausnahme des betroffenen Sachverhaltes – bis zu deren Abschluss mitgewirkt werden muss[10] und weiterhin die Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen – zumindest für nachfolgende, nicht eingeleitete Veranlagungszeiträume –, selbst bei Dauersachverhalten, fortbestehen soll,[11] und zwar strafbewehrt. Selbst eine Verletzung der Belehrungspflicht nach § 393 Abs. 1 S. 4 AO über das Selbstbelastungsverbot durch das Finanzamt, das letztlich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Art. 1 und 2 GG folgt, soll nach der Rspr. des BFH nicht zu einem steuerrechtlichen Verwertungsverbot führen.[12] Außerdem soll nach der Rspr. des BGHSt. der Dispens von Zwangsmitteln bei Verletzung der Mitwirkungspflichten nur für die Zeiträume gelten, für die bereits ein Strafverfahren eingeleitet worden ist.[13] Das zeigt, wie ernst die Rspr. die gesetzlichen Mitwirkungspflichten und ihre Durchsetzung nimmt.