Tax Compliance

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

[96]

Zu diesem „Dilemma“ vgl. Erdbrügger npoR 2016, 206–209.

Teil 1 Tax Compliance und Unternehmen › 2. Kapitel Allgemeine Rechtsgrundlagen der Tax Compliance

2. Kapitel Allgemeine Rechtsgrundlagen der Tax Compliance

Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Steuerlicher Pflichtenkatalog

III. Straf- und bußgeldrechtlicher „Sanktionenkatalog“ bei Verstößen gegen steuerliche Pflichten

IV. Allgemeine Rechtsgrundlagen der Tax Compliance

V. Fazit

Literatur:

Immenga Compliance als Rechtspflicht nach Aktienrecht und Sarbanes-Oxley-Act, in: Unternehmensrecht zu Beginn des 21. Jahrhunderts, FS Eberhard Schwark; Loose Tax Management der kapitalmarktorientierten Internationalen Unternehmung; Pietrek Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Betriebsinhabers aus Compliance-Pflichten, 2012; Streck/Mack/Schwedhelm Tax Compliance, 2. Aufl., 2016; Wecker/van Laak Compliance in der Unternehmerpraxis, 2008.

Teil 1 Tax Compliance und Unternehmen › 2. Kapitel Allgemeine Rechtsgrundlagen der Tax Compliance › I. Einleitung

I. Einleitung

1

Die Anforderungen, die ein Tax Compliance Management System erfüllen muss, ergeben sich unmittelbar aus dem Gesetz und zwar insbesondere aus dem steuerlichen „Pflichtenkatalog“ der Abgabenordnung und der Einzelsteuergesetze. Diese Pflichten sind so vielschichtig wie komplex. Noch dazu nimmt der Gesetzgeber laufend Änderungen vor, die eine ständige Weiterbildung der mit der Pflichtenerfüllung betrauten Personen unabdingbar machen. Es liegt auf der Hand, dass ohne eine systematische Herangehensweise die Einhaltung dieses Pflichtenkatalogs – bereits in kleineren bis mittelgroßen Unternehmen – nicht sichergestellt werden kann. Dies gilt umso mehr, da viele der Pflichten aus dem steuerlichen Pflichtenkatalog sanktionsbewehrt sind. Der „Sanktionenkatalog“ beschränkt sich nicht auf die handelnden natürlichen Personen, sondern sieht unter bestimmten Voraussetzungen auch eine Ahndung des Unternehmens selbst vor (vor allem in Form der Verbandsgeldbuße gem. § 30 OWiG). Aus dem Zusammenspiel des Bündels steuerlicher Pflichten und den erheblichen, u.U. existenzbedrohenden Risiken bei Verstößen gegen diese Pflichten besteht zweifelsohne eine praktische Notwendigkeit zur Schaffung systematischer Strukturen.

2

Unabhängig davon stellt sich jedoch die Frage, ob es darüber hinausgehend sogar eine aus gesetzlichen Vorschriften herzuleitende Rechtspflicht zur Einrichtung eines Tax Compliance Management Systems gibt.

3

Mit eben dieser Frage, nämlich ob sich eine Rechtspflicht zur Einrichtung eines Tax Compliance Management Systems aus gesetzlichen Vorschriften herleiten lässt, beschäftigen wir uns ausführlich unter Rn. 66 ff. dieses Kapitels. Dieser Betrachtung vorangestellt haben wir einen Überblick über die aus unserer Sicht wichtigsten Anforderungen aus dem steuerlichen Pflichtenkatalog, deren Einhaltung und Überwachung Gegenstand einer etwaigen Pflicht ist (Rn. 4 ff.) und über den „Sanktionenkatalog“, der im Falle der Nichteinhaltung steuerlicher Pflichten Anwendung findet (Rn. 39 ff.).

Teil 1 Tax Compliance und Unternehmen › 2. Kapitel Allgemeine Rechtsgrundlagen der Tax Compliance › II. Steuerlicher Pflichtenkatalog

II. Steuerlicher Pflichtenkatalog

4

Die den Gegenstand der Tax Compliance bildenden steuerlichen Pflichten ergeben sich insbesondere aus der Abgabenordnung und den Einzelsteuergesetzen. Adressat des steuerlichen Pflichtenkatalogs ist der Steuerpflichtige i.S.d. § 33 Abs. 1 AO. „Steuerpflichtiger“ ist danach, wer eine Steuer schuldet, für eine Steuer haftet, eine Steuer für Rechnung eines Dritten einzubehalten und abzuführen hat, wer eine Steuererklärung abzugeben, Sicherheit zu leisten, Bücher und Aufzeichnungen zu führen oder andere ihm durch die Steuergesetze auferlegte Verpflichtungen zu erfüllen hat.

5

Zusammenfassend ist „Steuerpflichtiger“ also derjenige, der ihm durch die Steuergesetze auferlegte Verpflichtungen zu erfüllen hat.[1] Der das Unternehmen als Steuerpflichtigen treffende steuerliche Pflichtenkatalog ist daher Ausgangspunkt aller Tax Compliance-Überlegungen.

6

Einige der wichtigsten steuerlichen Pflichten,[2] deren Einhaltung und Erfüllung Gegenstand der Tax Compliance ist, sollen im Folgenden dargestellt werden:

1. Steuererklärungspflichten

7

Zu den grundlegenden Pflichten des Steuerpflichtigen zählen die Steuererklärungspflichten (vgl. §§ 149 ff. AO).

8

Was eine Steuererklärung ist, ist nicht gesetzlich definiert; die Rechtsprechung versteht darunter eine formalisierte Auskunft des Steuerpflichtigen oder seines Vertreters, die der Finanzbehörde die Festsetzung der Steuer oder die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen ermöglichen soll und in der Regel zum Erlass eines Steuerbescheids führt.[3] Ein Sonderfall der Steuererklärung ist die Steueranmeldung, in welcher der Steuerpflichtige die Steuer selbst zu errechnen hat (§ 150 Abs. 1 S. 3 AO).[4]

a) Abgabe von Steuererklärungen

9

Wer zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet ist, bestimmen die Einzelsteuergesetze (§ 149 Abs. 1 S. 1 AO).[5]

10

Zu den im unternehmerischen Bereich bedeutsamsten Steuererklärungspflichten zählen § 31 KStG (Körperschaftsteuererklärung), § 14a (Gewerbesteuererklärung), § 18 Abs. 1 und Abs. 3 UStG (Umsatzsteuervoranmeldung und Umsatzsteuerjahreserklärung), § 41a Abs. 1 EStG (Lohnsteueranmeldung), § 45a Abs. 1 EStG (Kapitalertragsteueranmeldung), § 25 Abs. 3 EStG (Einkommensteuererklärung). Aus der Abgabenordnung selbst ergibt sich die Pflicht zur Abgabe der Erklärung zur einheitlichen und gesonderten Feststellung (§ 181 Abs. 2 AO), die insbesondere für den Bereich der Gewinnfeststellung von Personengesellschaften von Bedeutung ist (§§ 181 Abs. 2 S. 2 Nr. 1, 180 Abs. 2 Nr. 1 lit. a AO).

11

Adressat der Erklärungspflicht ist in der Regel der Steuerpflichtige, der auch die Steuer schuldet. Im Falle von juristischen Personen ist dies grundsätzlich die juristische Person selbst. Für die Abgabe von Körperschaftsteuererklärungen einer Kapitalgesellschaft ergibt sich dies bspw. aus §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 31 Abs. 1 S. 1 KStG i.V.m. § 25 Abs. 3 EStG.

12

Davon zu unterscheiden ist die Frage, durch wen die Steuererklärungspflichten „physisch“ wahrzunehmen sind.[6] Die Erfüllung der Erklärungspflicht setzt Handlungsfähigkeit voraus (§ 79 AO)[7], die bei Kapitalgesellschaften sowie Personengesellschaften, soweit diese selbst Adressat von Erklärungspflichten sind (Gewerbesteuer, Umsatzsteuer), nicht gegeben ist. Die zentrale öffentlich-rechtliche Vorschrift ist § 34 AO. Danach haben die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Bei Kapitalgesellschaften sind deren vertretungsberechtigte Organe verpflichtet. Von dem Begriff der nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen[8] sind insbesondere auch Personengesellschaften umfasst, die am Rechtsverkehr teilnehmen und Rechte erwerben bzw. Verpflichtungen eingehen können (z.B. OHG, KG oder GbR).[9] Verantwortliche i.S.d. § 34 AO bei Personengesellschaften sind deren „Geschäftsführer“. Der Begriff des „Geschäftsführers“ ist insoweit untechnisch zu verstehen. Unabhängig von der Bezeichnung umfasst er alle Personen, die dazu berufen sind, die Geschäfte von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen führen.[10] Wer diese Personen sind, ergibt sich bei Personengesellschaften in erster Linie aus dem Gesellschaftsvertrag. Auch wenn gesetzliche Vertreter von Personengesellschaften nach der gesetzlichen Konzeption grundsätzlich die Gesellschafter sind, kann auch ein Dritter, der mit Geschäftsführungsaufgaben betraut ist und dem umfassende Vollmacht erteilt wurde, Geschäftsführer einer Personengesellschaft i.S.d. § 34 AO sein.[11]

 

13

Steuererklärungen sind grundsätzlich nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck abzugeben (§ 150 Abs. 1 S. 1 AO), wenn keine elektronische Steuererklärung vorgeschrieben ist (Nr. 1)[12] oder nicht freiwillig eine zulässige elektronische Steuererklärung abgegeben wird (Nr. 2).

14

Ein Sonderfall ist die Pflicht zur Anmeldung (und Einbehaltung sowie Abführung) von Steuern für Dritte, insbesondere im Bereich der Kapitalertragsteuer sowie der Lohnsteuer. Auch insoweit ist das Unternehmen als Steuerpflichtiger verpflichtet. Dieser Bereich ist insoweit risikobehaftet, als dass Verstöße gegen die Einbehaltungs- und Abführungspflicht mit einer Haftung für Steuern eines Dritten für das einbehaltungspflichtige Unternehmen verbunden sein können. Im Bereich der Lohnsteuer haftet das Unternehmen nach § 42d EStG als Arbeitgeber, im Bereich der Kapitalertragsteuer als Einbehaltungspflichtiger nach § 44 Abs. 5 EStG. Während die Arbeitgeberhaftung verschuldensunabhängig ausgestaltet ist,[13] setzt die Haftung für zu Unrecht nicht einbehaltene Kapitalertragsteuer eine grob fahrlässige oder vorsätzliche Pflichtverletzung voraus.

b) Abgabefristen für Steuererklärungen

15

Steuererklärungen sind innerhalb der gesetzlichen Fristen abzugeben. Soweit in dem jeweiligen Steuergesetz nichts anderes bestimmt ist,[14] sind (Jahres)Steuererklärungen gem. § 149 Abs. 2 S. 1 AO spätestens bis zum 31.5. des jeweiligen Folgejahres abzugeben.[15]

16

Diese allgemeine Abgabefrist kann gem. § 109 Abs. 1 S. 1 AO von der Finanzbehörde verlängert werden.[16] Grundsätzlich erfolgen Fristverlängerungen auf Antrag des Steuerpflichtigen, die Entscheidung über den Antrag ist ein Verwaltungsakt, der im Ermessen der Finanzbehörde liegt.[17] Von Bedeutung ist dabei, dass bei der Entscheidung über die Fristverlängerung im Rahmen der Ermessensausübung auch das Vorverhalten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden darf.[18] Sofern in der Vergangenheit Steuererklärungen stets fristgerecht abgegeben wurden, ist u.E. eine beantragte Fristverlängerung in einem angemessenen zeitlichen Rahmen regelmäßig zu gewähren.

17

Nach den jährlich veröffentlichten gleichlautenden Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder gilt die Frist für durch einen Vertreter der steuerberatenden Berufe steuerlich beratene Steuerpflichtige „automatisch“ bis zum 31.12. des Folgejahres als verlängert.[19]

18

Die allgemeinen Fristen gem. § 149 Abs. 2 AO gelten insbesondere nicht im Bereich der Umsatzsteuer. Hier hat der Unternehmer gem. § 18 Abs. 1 S. 1 UStG grundsätzlich bis zum 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums (vierteljährlich oder monatlich, § 18 Abs. 2 UStG) eine Umsatzsteuervoranmeldung abzugeben.[20]

Als abgabenordnungsrechtliche Sanktion sieht § 152 Abs. 1 AO die Festsetzung von Verspätungszuschlägen vor. Die Festsetzung steht sowohl dem Grunde nach (Abs. 1: „kann“) als auch der Höhe nach (Abs. 2: maximal 10 % der festgesetzten Steuer, aber nicht mehr als 25 000 EUR) im Ermessen der Finanzbehörde.

c) Wahrheits- und Berichtigungspflicht

19

Die nach den Einzelsteuergesetzen bestehenden Steuererklärungspflichten werden konkretisiert durch die §§ 149 ff. AO. Zu den wichtigsten dieser Vorschriften gehört die Pflicht zur Abgabe vollständiger und richtiger Steuererklärungen (vgl. §§ 150 Abs. 2, 153 Abs. 1 S. 1 AO). § 150 Abs. 2 AO verlangt, dass die Angaben in den Steuererklärungen „wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen zu machen“ sind.[21]

20

Die Wahrheitspflicht bei Abgabe von Steuererklärungen wird ergänzt durch die Korrekturpflicht nach § 153 Abs. 1 AO.[22] Erkennt der Steuerpflichtige nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist, so ist er verpflichtet, dies bei dem für ihn zuständigen Finanzamt unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen.

21

Der Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO kommt im unternehmerischen Bereich eine wichtige, in den letzten Jahren stetig gestiegene, Bedeutung zu.[23] Aus dieser Verpflichtung ergeben sich erhebliche Anforderungen, die bei der Ausgestaltung eines wirksamen Tax Compliance Management Systems zu beachten sind.[24] Dies resultiert nicht zuletzt daraus, dass Verstöße gegen eine entstandene Anzeigepflicht nach § 153 Abs. 1 AO als Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) bzw. als leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 Abs. 1 AO) zu ahnden sein können[25] und dass als „Berichtigung nach § 153 AO“ bezeichnete Korrekturerklärungen regelmäßig an die Straf- und Bußgeldsachenstellen zur Prüfung weitergeleitet werden.[26]

22

Wurde eine unrichtige oder unvollständige Erklärung abgegeben, trifft den Steuerpflichtigen eine Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO. Die Voraussetzungen für die Berichtigungspflicht nach § 153 AO sind im Einzelnen:


Abgabe einer unrichtigen oder unvollständigen Erklärung,
kausale Steuerverkürzung (dabei reicht aus, dass es „dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann“),
nachträgliches Erkennen der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit, d.h. nach Abgabe der Steuererklärung; ein bloßes „Erkennenkönnen“ oder „Erkennenmüssen“ reicht nicht aus, wie Tz. 2.4 AEAO zu § 153 AO ausdrücklich klarstellt,
vor Ablauf der Festsetzungsfrist.

23

Liegen die Voraussetzungen vor, ist der Steuerpflichtige zur unverzüglichen (d.h. ohne schuldhaftes Zögern[27]) Anzeige der Unrichtigkeit der Erklärung verpflichtet. Wann eine Anzeige noch unverzüglich in diesem Sinne erfolgt, hängt jeweils von allen Umständen des Einzelfalls ab. Nach § 153 Abs. 1 S. 2 AO trifft die Verpflichtung auch den Rechtsnachfolger, also insbesondere die Erben (relevant in Einzelunternehmen) und z.B. bei Umwandlungsvorgängen.

24

Sowohl im Rahmen der bei Abgabe von Steuererklärungen geltenden Wahrheitspflicht als auch bei der Frage, ob eine abgegebene Steuererklärung gem. § 153 Abs. 1 AO zu korrigieren ist, ist von zentraler Bedeutung, wann eine Erklärung „unrichtig“ ist. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die den Steuerpflichtigen treffende Wahrheitspflicht (vgl. § 150 Abs. 2 S. 1 AO) sich nur auf Tatsachen, nicht jedoch auf rechtliche Schlussfolgerungen erstreckt. Die Steuererklärungen sehen grundsätzlich selbst keine Sachverhaltsangaben vor, sondern verlangen Zahlenangaben, die ihrerseits das Ergebnis einer steuerrechtlichen Beurteilung sind, bei der vom Steuerpflichtigen zwischen rechtlich erheblichen und rechtlich unerheblichen Tatsachen unterschieden werden muss.[28] Gleichwohl wird die Tatsachenbasis immer zugleich von der zugrunde gelegten Rechtsauffassung mit bestimmt.[29]

25

Grundsätzlich darf der Steuerpflichtige seiner Steuererklärung jede vertretbare Rechtsauffassung zugrunde legen.[30] Insbesondere ist er darin frei, eine von der Rechtsprechung und/oder herrschenden Verwaltungsauffassung abweichende Meinung zu vertreten.[31] Jedoch besteht nach der Rechtsprechung des BGH zumindest eine Offenbarungspflicht für diejenigen Sachverhaltselemente, deren rechtliche Relevanz objektiv zweifelhaft ist.[32] Dies ist nach Auffassung des BGH insbesondere dann der Fall, wenn die von dem Steuerpflichtigen vertretene Auffassung über die Auslegung von Rechtsbegriffen oder die Subsumtion bestimmter Tatsachen von der Rechtsprechung, Richtlinien der Finanzverwaltung oder der regelmäßigen Veranlagungspraxis abweicht. Der Steuerpflichtige darf der Finanzbehörde keine Tatsachen verschweigen, die nach dem Empfängerhorizont der Finanzbehörde entscheidungserheblich sind.[33] Maßgeblicher Empfängerhorizont der Finanzbehörde ist die Verwaltungsauffassung, die in Verwaltungsvorschriften und im Bundessteuerblatt veröffentlicht wird, also die nach außen erkennbare Verwaltungsauffassung.[34] Daran orientiert muss der Steuerpflichtige die tatsächlichen Angaben machen, die für die rechtliche Beurteilung von Bedeutung sind oder von Bedeutung sein können.[35]

26

Maßgeblich ist der Empfängerhorizont bei Abgabe der Erklärung. Eine Änderung in der Rechtsprechung und/oder Verwaltungsauffassung macht deshalb eine ursprünglich richtige Steuererklärung nicht unrichtig.[36]

2. Steuerentrichtungspflichten

27

Zu den steuerlichen Pflichten gehören ferner die Steuerentrichtungspflichten. Steuern sind grundsätzlich mit Fälligkeit zu entrichten, wobei den Fälligkeitszeitpunkt wiederum die Einzelsteuergesetze bestimmen (§ 220 AO). Bei Festsetzungssteuern enthalten die Steuerbescheide grundsätzlich ein mit einer Zahlungsfrist (i.d.R. ein Monat nach Bekanntgabe) verbundenes Leistungsgebot (§ 254 AO). Anmeldesteuern, wie die Umsatzsteuer oder die Lohnsteuer setzen ein solches nicht voraus. Umsatzsteuervorauszahlungen werden am 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums fällig (§ 18 Abs. 1 S. 4 UStG).

28

Mit Überschreiten des Fälligkeitszeitpunkts sind nach § 240 Abs. 1 AO Säumniszuschläge i.H.v. 1 % je angefangenen rückständigen Monat festzusetzen. Unabhängig von der Frage der Verantwortung für den in der Nichtentrichtung liegenden Pflichtverstoß[37] werden diese gegen den Steuerpflichtigen als Schuldner der Steuer festgesetzt.

29

Rechtsbehelfe (Einspruch oder Klage) haben keinen Suspensiveffekt, d.h. die Fälligkeit bleibt von der Einlegung eines Rechtsbehelfs unbetroffen (§ 361 Abs. 1 S. 1 AO, § 69 Abs. 1 S. 1 FGO). Die Steuerentrichtungspflicht wird jedoch durch Gewährung der Aussetzung der Vollziehung gem. § 361 Abs. 2 AO bzw. § 69 Abs. 3 FGO oder einer Stundung nach § 222 AO bzw. von Vollstreckungsaufschub (§ 258 AO) suspendiert. Kann eine festgesetzte Steuerforderung nicht zum gesetzlichen oder per Leistungsgebot bestimmten Fälligkeitszeitpunkt geleistet werden, kann es geboten sein, einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung oder (ggf. hilfsweise) Stundung zu stellen.[38]

30

Dies gilt insbesondere im Hinblick auf eine mögliche Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 InsO, deren Verletzung gem. § 15a Abs. 4 InsO strafbewehrt ist. Steuerschulden können sowohl den Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) als auch den der Überschuldung (§ 19 InsO auslösen.[39] Eine (auf Antrag) gewährte Aussetzung der Vollziehung oder Stundung führt dazu, dass die ausgesetzten oder gestundeten Steuern bei der Prüfung der Zahlungsfähigkeit nicht in Ansatz zu bringen sind.[40] Insoweit ist jedoch zu beachten, dass der bloße Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, Stundung oder Vollstreckungsaufschub weder den Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) noch der Überschuldung (§ 19 InsO) beseitigt. Dies geschieht erst durch die positive Entscheidung der Finanzverwaltung bzw. des Finanzgerichts.[41]

31

Zu den Voraussetzungen einer Haftung für Steuerschulden gem. § 69 AO sei auf das 15. Kap. Rn. 6 ff. verwiesen.

3. Mitwirkungspflichten

32

Zu den weiteren originären steuerlichen Pflichten zählen die steuerlichen Mitwirkungspflichten. Dazu gehört zunächst die allgemeine Mitwirkungspflicht. Nach § 90 Abs. 1 AO ist der Steuerpflichtige zur Mitwirkung an der Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet. Zwar ermittelt die Finanzbehörde den Sachverhalt grundsätzlich von Amts wegen (§§ 88 Abs. 1 AO). Die Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen ist jedoch als „sphärenorientierte Mitverantwortung“ für die Aufklärung des Sachverhalts zu verstehen. Insbesondere wird durch § 90 Abs. 1 AO keine allgemeine Beweisvorsorgepflicht und keine subjektive Beweislast des Steuerpflichtigen begründet.[42]

 

33

Auch wenn der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflicht verletzt, führt dies noch nicht dazu, dass den Steuerpflichtigen automatisch die objektive Feststellungslast trifft. Vorrangig sind andere Mittel der Sachverhaltsaufklärung auszuschöpfen; der Amtsermittlungsgrundsatz gilt weiterhin. Allerdings können aus der Verletzung der Mitwirkungspflicht im Rahmen der freien Beweiswürdigung für den Steuerpflichtigen negative Schlüsse gezogen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel aus dem alleinigen Verantwortungsbereich des Steuerpflichtigen betroffen sind.[43]

34

Von den speziellen Mitwirkungspflichten sind insbesondere die Vorschriften über erweiterte Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten von Bedeutung. Ein Grund dafür ist, dass „insbesondere“ die Verletzung der erweiterten Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO der Finanzbehörde gem. § 162 Abs. 2 AO eine Schätzungsbefugnis eröffnet. Ist ein Sachverhalt zu ermitteln und steuerrechtlich zu beurteilen, der sich auf Vorgänge im Ausland bezieht, so haben die Beteiligten nach § 90 Abs. 2 AO diesen Sachverhalt aufzuklären und die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen. Der mitwirkungsverpflichtete Beteiligte hat alle rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten zur Beweismittelbeschaffung auszuschöpfen (§ 90 Abs. 2 S. 2 AO) und, soweit ihm dies möglich ist, bei der Gestaltung seiner Verhältnisse Beweisvorsorge zu treffen (§ 90 Abs. 2 S. 4 AO). Im Ausland ansässige Auskunftspersonen und Zeugen („Auslandszeugen“) muss der Steuerpflichtige „stellen“. Anders als bei im Inland ansässigen Zeugen reicht die bloße Benennung nicht aus.[44] Bei Zahlungen an vermeintliche „Domizilgesellschaften“ muss sich der Steuerpflichtige über die hinter der Gesellschaft stehenden tatsächlichen Zahlungsempfänger vergewissern.[45]

35

Erhöhte Mitwirkungspflichten gelten nach § 90 Abs. 2 S. 3 AO auch bei Beziehungen zu Finanzinstituten in sog. kooperationsunwilligen Staaten. Voraussetzung ist, dass „objektiv erkennbare Anhaltspunkte“ für Geschäftsbeziehungen zu Finanzinstituten in solchen Staaten bestehen und die Finanzbehörde den Steuerpflichtigen ausdrücklich zur Mitwirkung aufgefordert hat.

36

Relevant sind ferner die speziellen Mitwirkungspflichten im Rahmen von Außenprüfungen (§ 200 AO). Insbesondere hat der Steuerpflichtige im Rahmen von Außenprüfungen Auskünfte zu erteilen und Aufzeichnungen, Bücher, Geschäftspapiere und andere Urkunden zur Einsicht und Prüfung vorzulegen.