Tinnitus. Kompakt-Ratgeber

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Tinnitus. Kompakt-Ratgeber
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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dr. med. Eberhard J. Wormer

Tinnitus

Erste Hilfe bei Ohrgeräuschen

Kompakt-Ratgeber

E-Book (epub): ISBN 978-3-86374-277-5

(Druckausgabe: ISBN 978-3-86374-275-1, 1. Auflage 2016)

Mankau Verlag GmbH

Postfach 13 22, D-82413 Murnau a. Staffelsee

Im Netz: www.mankau-verlag.de

Internetforum: www.mankau-verlag.de/forum

Redaktion: Julia Feldbaum, Augsburg

Endkorrektorat: Susanne Langer M. A., Traunstein

Cover/Umschlag: Andrea Barth, Guter Punkt GmbH & Co. KG, München

Layout: X-Design, München

Satz und Gestaltung: Lydia Kühn, Aix-en-Provence, Frankreich

Energ. Beratung: Gerhard Albustin, Raum & Form, Winhöring

Abbildungen/Fotos: apfelweile - Fotolia.com (4, 5, 10/11); tashatuvango - Fotolia.com (5, 64/65); Laurent Hamels - Fotolia.com (7); DOC RABE Media - Fotolia.com (8); Hieronymus Bosch / Wikimedia Commons / Public Domain (13); bilderzwerg - Fotolia.com (15, 25); en-user Oarih / CC-BY-SA-3.0 (21); RAM - Fotolia.com (23); womue - Fotolia.com (29); Alexander Raths - Fotolia. com (49); rdnzl - Fotolia.com (74); aerogondo - Fotolia.com (92); blende40 - Fotolia.com (107)

eBook-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

Hinweis für die Leser:

Der Autor hat bei der Erstellung dieses Buches Informationen und Ratschläge mit Sorgfalt recherchiert und geprüft, dennoch erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Verlag und Autor können keinerlei Haftung für etwaige Schäden oder Nachteile übernehmen, die sich aus der praktischen Umsetzung der in diesem Buch vorgestellten Anwendungen ergeben. Bitte respektieren Sie die Grenzen der Selbstbehandlung und suchen Sie bei Erkrankungen einen erfahrenen Arzt oder Heilpraktiker auf.

Vorwort

Tinnitus aurium kann akut oder chronisch auftreten. Er zeigt sich auf verschiedene Arten – quietschend, pfeifend, klopfend oder rauschend, laut oder leise – und wird in der Regel rein subjektiv empfunden. Ohrgeräusche können den Alltag enorm beeinflussen und Betroffene an den Rand der Verzweiflung bringen.

Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten, dem nervtötenden »Mann im Ohr« zu begegnen und ihn in seine Schranken zu weisen. Neben medizinischer Hilfe und verschiedenen Therapieansätzen sind es Geduld und der Glaube an die eigene Kraft, die es zu stärken gilt. Gehen Sie Ihr Problem an, und lassen Sie sich nicht entmutigen!

Dr. med. Eberhard J. Wormer

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Was ist das, Tinnitus?

Weltmusik

Ohr und Gehör

Der periphere Hörapparat

Außenohr

Mittelohr

Innenohr

Die zentrale Hörbahn

Stammhirn

Mittelhirn

Großhirn

Tinnitus-Spurensuche

Was versteht man unter Tinnitus?

Objektive Ohrgeräusche

Subjektive Ohrgeräusche

Tinnitus und Hörminderung

Akuter und chronischer Tinnitus

Tinnitus-Belastung

Wer ist von Tinnitus betroffen?

Tinnitus-Ursachen

Ursache: Außenohr

Ursache: Mittelohr

Ursache: Innenohr

Ursache: zentrale Hörbahn

Ursache: Stress

Ursache: Halswirbelsäule und Kiefergelenk

Begleitsymptom Tinnitus

Nebenwirkung Tinnitus

Tinnitus-Diagnostik

Krankengeschichte

HNO-Untersuchung

Mittelohrprüfung

Subjektive Hörprüfung

Stimmgabel

Tonaudiogramm

Tinnitus-Prüfung

Hyperakusis-Prüfung

Psychoakustische Prüfung

Objektive Hörprüfung

Frühe akustisch evozierte Potenziale

Transitorisch evozierte otoakustische Emissionen

Distorsiv produzierte otoakustische Emissionen

Bildgebung

Halswirbelsäule und Kiefergelenk

Psychodiagnostik

Psychosomatik

Psychologie

Was tun gegen den Tinnitus?

Therapie bei akutem Tinnitus

Akuter objektiver Tinnitus

 

Akuter subjektiver Tinnitus

Infusion von Plasmaersatzmitteln

Infusion zur Verbesserung der Durchblutung

Weitere Medikamente zur Infusion

Hyperbare Sauerstofftherapie

Was bringt die Akutbehandlung des Tinnitus?

Therapie bei chronischem Tinnitus

Medikamente

Glutamatantagonisten

Lidocain

»Durchblutungsförderer«

Hyperbare Sauerstofftherapie

Transkranielle Magnetstimulation

Gewöhnungstherapien

Tinnitus-Retraining-Therapie (TRT)

Bewältigungstherapie (Kognitive Verhaltenstherapie)

Neurootologisch-psychosomatische Therapie (NPT)

Akustische Gerätetherapie

Hörgeräte

Implantierbare Hörhilfen

Tinnitus-Gerätetherapie

Muskel-Gelenk-Therapie

Tinnitus-Auslöser

Tinnitus-Diagnostik Kopf-Hals

Therapie bei Kopf-Hals-Problemen

Ganzheitliche Therapie

Erholsamer Schlaf

Gesunde Ernährung

Entspannungsverfahren

Bewegungstherapien

Homöopathie

Akupunktur

Tinnitus-Atemtherapie

Hilfe zur Selbsthilfe

Register

Einleitung

Sie sind penetrant und meist unerträglich. Die Rede ist von Störgeräuschen im Ohr, die Sie auf Schritt und Tritt als lästige, ermüdende und einfallslose Klanginstallation im Kopf ertragen müssen. Die Diagnose lautet: Tinnitus. Er ist urplötzlich aufgetreten und nistet sich dann hartnäckig im Kopf ein. So ergeht es vielen Menschen. Tinnitus hat sich offenbar in den letzten Jahrzehnten in epidemischem Maßstab ausgebreitet, in Industrie- und Schwellenländern gleichermaßen, weltweit.

Ist Tinnitus eine Art »Globalisierungserkrankung«? Oder die unüberhörbare Antwort der gestressten Seele auf allgegenwärtigen Lärm, auf den Verlust von Sicherheit, Geborgenheit und Sinnlichkeit, auf die überzogenen Leistungsanforderungen der technisierten Welt? Ist Tinnitus die verzweifelte Reaktion des menschlichen Körpers auf das ständige Gefühl der Bedrohung und Hilflosigkeit, die er in der Regel wehrlos und ohnmächtig hinnehmen muss?

Ohrgeräusche sind zwar nur ein Symptom, können den Menschen aber auf Dauer durchaus krank machen. Viele Betroffene »arrangieren« sich mit ihrer inneren »Hintergrundmusik«. Andere geraten in den Zustand nackter Verzweiflung oder werden an den Rand des Wahnsinns getrieben. Sie stecken fest im Teufelskreis von Tinnitus, Resignation und Depression. Die Lage erscheint hoffnungslos.

Was ist da los im Kopf? Woher kommen Ohrgeräusche? Wie entsteht Tinnitus? Bekommt man ihn wieder weg oder muss man damit leben? Gibt es wirksame Mittel gegen chronische Ohrgeräusche? Alles ungelöste Fragen, leider. Erschwerend kommt hinzu, dass nur Sie selbst als Betroffener den Tinnitus wahrnehmen, niemand sonst. Glaubt man Ihnen wirklich, dass Sie unter den Dauergeräuschen im Ohr schwer leiden? Oft wird daran gezweifelt, und Ihr Leidensdruck wächst weiter. Am Ende heißt es dann: Da kann man nichts machen. Falsch! Sie können sehr viel tun, um Ihr Leiden in den Griff zu bekommen. Davon handelt dieses Buch.

Das Ohr ist ein kompliziertes Sinnesorgan und der Hörprozess ist noch weitaus komplexer. Das Gehör ist immer eingeschaltet, vom Anfang bis zum Ende des

Leider lassen sich die Ohrgeräusche im Kopf nicht aussperren.


Lebens. Alles, was Sie hören, wird in der Hörschnecke in Nervensignale umgewandelt. Anschließend werden diese Audiosignale zusammen mit den Signalen anderer Sinnesorgane durch hochgradig vernetzte Hirnzentren zur sinnlichen Erfahrung der Welt integriert.

Jenseits der Hörschnecke gibt es keine explizite medizinische Therapie des Tinnitus. Andererseits ist vor allem das unbegrenzte Lernvermögen des Gehirns der Schlüssel zur Lösung des Problems.

Man hat erkannt, dass es darum geht, die Bewertung des Tinnitus zu verändern. Ungewohnte Geräusche werden naturgemäß als bedrohlich empfunden und ziehen Aufmerksamkeit auf sich. Je mehr Aufmerksamkeit Geräusche bekommen, umso größer ist die Gefahr, dass sie sich als »Tinnitus-Gedächtnis« im Kopf dauerhaft einnisten. Aus diesem Grund besteht die erfolgreichste Strategie darin, sich gewissermaßen an die Ohrgeräusche »zu gewöhnen«. So versuchen Sie, die Bedrohlichkeit und negativen Assoziationen des Tinnitus zu beseitigen. Sie lenken Ihre Aufmerksamkeit vom Ohrgeräusch ab und geben ihm den Status vollkommener Bedeutungslosigkeit. Viele Betroffene profitieren davon, dass sie mit Geduld und Zuversicht ihr Gehirn so »umprogrammiert« haben, dass der Tinnitus keine Rolle mehr spielt, keine Macht mehr über die seelische Verfassung hat – oder sogar verschwindet. In jedem Fall erreichen Sie wieder eine Lebensqualität, die Sie schon verloren glaubten. Erfolgreiche Tinnitus-Therapie bezieht den ganzen Menschen ein: Körper, Psyche und Seele. Sie werden sehen, es lohnt sich, diesen Weg zu gehen.

Die Diagnose Tinnitus hinterlässt oft ein großes Fragezeichen bei Betroffenen.


Der vorliegende kompakte Ratgeber stellt den Tinnitus kurz und knapp und dabei so umfassend und aktuell wie möglich vor. Informationen über die Funktionen des Ohrs und des Gehörs, über das Wesen, die vielseitigen Ursachen, die Diagnose und die Behandlungsoptionen von Ohrgeräuschen sind der erste und wichtigste Schritt zur Bewältigung des Tinnitus-Problems.

Gehen Sie davon aus, dass Sie zu einem neuen, positiven Lebensgefühl zurückfinden und die Lust am Leben wiederentdecken, wenn Sie erleben, dass Sie die Macht besitzen, etwas zu verändern. Es spricht nichts dagegen! Sie können nur gewinnen.


Was ist das, Tinnitus?

Tinnitus ist das Symptom einer veränderten oder gestörten Hörempfindung. Die lästigen Ohrgeräusche werden nur von den Betroffenen wahrgenommen: Brummen, Pfeifen, Zischen, Rauschen, Knacken, Klopfen … Einen Bezug zu einer äußeren Schallquelle gibt es nicht. Setzen sich die Geräusche dauerhaft im Kopf fest, steigt der Leidensdruck.

Weltmusik

Das Auge führt den Menschen in die Welt – das Ohr bringt die Welt in den Menschen. In Zeiten der modernen digitalen Bilderflut gerät die Geräuschkulisse unserer Lebenswelt allzu leicht ins Abseits. Bilder dominieren. Geräusche und Klänge werden nur noch unterschwellig wahrgenommen. Das bedeutet aber keineswegs, dass Schallempfindungen wirkungslos bleiben. Im Gegenteil! Alles, was wir hören, wird in einem komplizierten Klangverarbeitungsprozess im Gehirn aufbereitet, bewertet und mit passenden Gefühlen versehen. Geräusch und Klang sind Sinnlichkeit pur – eigentlich. Wären da nicht Lärmemissionen, die einen permanenten körperlichen Alarmzustand verursachen.

Wir schließen die Augen, und die äußere Bilderwelt verschwindet. In der Nacht erholt sich das Auge von der optischen Reizüberflutung tagsüber. Aber das Ohr schläft nie! Es ist immer in Betrieb, 24 Stunden, rund um die Uhr, Tag und Nacht, lebenslang. Das Ohr ist das erste und wichtigste Sinnesorgan des Menschen: Es funktioniert bereits vor der Geburt, und es schließt die Pforten der Wahrnehmung ganz zuletzt, wenn das Leben erlischt. Ja sicher, Lärm ist Leben. Lärm ist aber auch Stör- und Stressfaktor Nummer eins. Darauf weist die Tatsache hin, dass immer mehr Menschen von den hartnäckigen SOS-Morsezeichen eines Tinnitus oder dem Absturz des Gehörs betroffen sind. Wenn sich lästige Geräusche im Kopf festsetzen, wird man sie kaum wieder los. Sind unsere Ohren diesem anflutenden Schall-Tsunami gewachsen? Eher nicht. Wenn die äußere Klangwelt chaotisch, laut und lärmend ist, entsteht dann nicht eine ebensolche irritierende innere Klangwelt – ein Leben latenter Beunruhigung? Das klingt wahrscheinlich, oder? Vielleicht sollten wir uns mehr Zeit nehmen, genauer hinzuhören.

Tinnitus ist keine Erfindung der modernen Zivilisation. Es hat ihn schon immer gegeben. Das belegen zahlreiche Beschreibungen von Ohrgeräuschen in literarischen, künstlerischen, medizinischen und wissenschaftlichen Werken der vergangenen Jahrhunderte.

Das gepeinigte Ohr in der Hölle, Hieronymus Bosch (1480–1505).


Ohr und Gehör

Das Ohr ist ein faszinierendes Sinnesorgan. Es verwandelt Schallwellen in komplexe Hörempfindungen. Wir können uns im Raum orientieren und verlieren nicht die Balance, weil das Ohr an das Gleichgewichtsorgan gekoppelt ist. Wir können die Richtung und Entfernung von Schallquellen bestimmen, da wir zwei Ohren haben, die den Schall mit Laufzeitdifferenz aufnehmen. Wir können hochaufgelöst Töne und Geräusche wahrnehmen, laut und leise, von sehr tiefen (20 Hz) bis zu sehr hohen Tönen (maximal 20.000 Hz), und wir können uns von der Macht der Musik verzaubern lassen.

Das Ohr besteht aus verschiedenen Komponenten, die Schall aufnehmen, weiterleiten und auf Nervenzellen übertragen. Nach der Umwandlung in elektrische Signale gelangen diese über den Hörnerv zum Gehirn, wo sie in der zentralen Hörbahn in Klangempfindungen verwandelt werden. Der Weg des Schalls verläuft über die Ohrmuschel, den Gehörgang, das Trommelfell, die Gehörknöchelchen, die Hörschnecke und den Hörnerv.

Der periphere Hörapparat

Die Ohren sind die Schallaufnehmer, die »Mikrofone« des Körpers. Jedes Ohr besteht aus dem äußeren Ohr, dem Mittel- und Innenohr. Im Innenohr befindet sich die Hörschnecke, der körpereigene »Tonabnehmer«, in engster Nachbarschaft zum Gleichgewichtsorgan.


Das menschliche Gehör

 

Außenohr

Das äußere Ohr umfasst die sichtbare Ohrmuschel, das Ohrläppchen und den äußeren Gehörgang. Das Trommelfell ist die Grenze zwischen Außen- und Mittel-/Innenohr. Da die Ohren rechts und links am Kopf mit räumlichem Abstand angebracht sind, erreicht der Schall die Ohren mit zeitlicher Verzögerung. So kann man durch das Gehör beurteilen, ob der Schall von vorne, hinten, oben oder unten kommt. Das ist eine bedeutende Entwicklung der Evolution, die einen Überlebensvorteil verschafft.

Der Gehörgang dient der Weiterleitung des Schalls. Er ist mit feinen Flimmerhärchen ausgestattet, die Fremdkörper herausfiltern. Damit der Schall möglichst ungestört das Trommelfell erreichen kann, wird der Gehörgang von glättendem Ohrenschmalz eingefettet (Cerumen). Ohrenschmalz wird im äußeren Gehörgang produziert und von dort immer nach außen transportiert. Es wirkt zudem antibakteriell und schützt vor Entzündungen und Ohrekzemen.

In der Nachbarschaft des Gehörgangs befinden sich vorne das Kiefergelenk und unten der erste Wirbel (Atlas) der Halswirbelsäule. Da diese ohrnahen Regionen mit Nerven stark quervernetzt sind, können hier Ursachen von Ohrenschmerzen oder Tinnitus liegen.

Mittelohr

Das Trommelfell ist die Begrenzung von Außen- und Mittelohr, eine feine Membran, die durch Schallwellen in Schwingung versetzt wird. Das Mittelohr ist der knöcherne Hohlraum zwischen Trommelfell und dem ovalen Fenster des Innenohrs. Über die gelenkig verketteten Gehörknöchelchen – Hammer (Malleus), Amboss (Incus) und Steigbügel (Stapes) – werden Schwingungen zum Innenohr weitergeleitet. Die Gehörknöchelchen sind durch feine Bänder und Muskeln beweglich aufgehängt. Es handelt sich um ein mechanisches »Vorverstärkungssystem« für Schallereignisse. Die Signalverstärkung wird durch die Hebelwirkung der Gehörknöchelchen und die größere Trommelfellfläche (im Vergleich zum ovalen Fenster) erreicht.

Die Mittelohrmuskeln schützen das Innenohr auch vor Schäden durch plötzlichen hohen Schalldruck. Der Steigbügel als letztes Vorverstärkerglied verfügt über einen Reflexmechanismus (Stapediusreflex), der bei lautem Schall, etwa 70 bis 95 dB (Dezibel), ausgelöst wird. Er zieht sich dann ruckartig zusammen und verhindert die Schallübertragung auf das Innenohr. Wenn die Mittelohrmuskeln aber ein zuckendes »Eigenleben« entwickeln, kann das zum Tinnitus mit Tick-Tick-Tick-Geräusch führen.

Da das Mittelohr ein luftgefüllter Hohlraum ist, muss es die Möglichkeit des Luftdruckausgleichs nach außen geben. Andernfalls würden Druckveränderungen die normale Funktion der Gehörknöchelchen stören. Solche Druckveränderungen treten etwa beim Tauchen oder in großen Höhen auf (Bergsteigen, Flugreisen). Diesen Druckausgleich ermöglicht die Ohrtrompete (Tuba Eustachii), die eine Verbindung zwischen Mittelohr und Rachenhöhle herstellt. Bei jedem Schluckvorgang öffnet sich die Röhre durch Muskelbewegung, und es kommt zum Druckausgleich. Fehlt der Druckausgleich, können Ohrenschmerzen und Schwerhörigkeit auftreten. Die Ohrtrompete dient auch der Ableitung von Ohrsekreten. Mittelohrentzündungen, vor allem bei Kindern, hängen häufig mit Störungen der Funktion der Ohrtrompete zusammen.

Hörakustik

Der Hörnerv besteht aus 30.000 Nervenfasern. Das Ohr kann mit Bezug auf Frequenz und Intensität etwa 340.000 Einzeltöne unterscheiden. Das Ohr erkennt Tonfrequenzen von 20 bis 20.000 Hz. Die größte Lautstärkeempfindlichkeit liegt bei 1.000 – 4.000 Hz.

Empfindlichkeit

Am Mischpult kann man die Eingangsempfindlichkeit des Mikrofons aussteuern. Einen solchen Mechanismus gibt es auch im Ohr. Wenn man auf einem Rockkonzert laut beschallt wird, wird die Eingangsempfindlichkeit des Ohrs abgesenkt. Nach dem Konzert ist das Ohr noch einige Zeit gedämpft, normalisiert dann aber rasch wieder seine Aufnahmeempfindlichkeit. Achtung: Alkohol erhöht die Eingangsempfindlichkeit des Ohrs!

Frequenz/Tonhöhe

Der Begriff Frequenz kennzeichnet physikalische Schwingungen in der Luft (oder einem anderen Medium) bezogen auf eine Zeiteinheit. Die übliche Einheit dieser Größe ist Schwingungen pro Sekunde = Hertz (Hz). Der Begriff Tonhöhe kennzeichnet die subjektive Empfindung einer Tonfrequenz: z. B. a1 auf dem Klavier = ca. 440 Hz.

Lautstärke/Schalldruck

Die Lautstärke (Lautheit) eines Schallereignisses gibt an, wie (subjektiv) laut ein Mensch ein gehörtes Geräusch empfindet. Der Schalldruck (Schalldruckpegel) entspricht der physikalischen Energie eines Geräusches. Das Trommelfell ist der Sensor für Druckschwankungen in der Luft. Es überträgt Schwingungen, die bis zu einem Milliardstel Zentimeter klein sind. Die Beziehung zwischen Lautheit und Schalldruckpegel ist annähernd logarithmisch. Die Einheit des Schalldruckpegels ist Dezibel (dB). Wegen der logarithmischen Beziehung führt bei niedrigen Lautstärken eine Lautstärkeerhöhung von weniger als 10 dB zu dem Gefühl der Verdoppelung der Lautheit.

Innenohr

Das Innenohr enthält unter anderem den körpereigenen »Tonabnehmer« (Hörschnecke, Cochlea) und das Gleichgewichtsorgan – insgesamt mehr als eine Million mechanische Teile! Es ist ein komplex geformter knöcherner Hohlraum im Felsenbein (knöchernes Labyrinth). Dieser Hohlraum ist mit einer Flüssigkeit gefüllt (Perilymphe). Darin ist ein häutiges Labyrinth eingespannt, das gleichfalls mit Flüssigkeit gefüllt ist (Endolymphe). Nach der mechanischen Vorverstärkung über die Gehörknöchelchen erreichen Schallschwingungen über die Fußplatte des Steigbügels das ovale Fenster, die Abgrenzung zum Innenohr. Von dort tragen Wellenbewegungen der Flüssigkeit die Schallinformation weiter (Wanderwellen).

Das Tonabnehmersystem befindet sich in der Hörschnecke (Cochlea). Sie ist von superhartem Knochen umgeben und macht zweieinhalb Windungen. In der Hörschnecke werden Wellenbewegungen in elektrische Signale verwandelt. Dies geschieht im Corti-Organ, das mit 48.000 winzigen Tonabnehmern ausgestattet ist, den sogenannten Haarzellen – sie haben haarförmige Fortsätze, die in der Flüssigkeit des Schneckengangs beweglich sind. Haarzellen sind in vier Reihen angeordnet: Drei Reihen dienen als akustischer Filter und eine Reihe übernimmt die Umwandlung der mechanischen Schwingungen in Nervensignale (Transduktion).

Die Tonabnehmer sind wie beim Klavier in Reihen angeordnet: tiefe Töne unten, hohe Töne oben. In der Hörschnecke werden hohe Töne zuerst erfasst, tiefe Töne am Ende des Schneckengangs. Je mehr Nervensignale an einem Tonabnehmer erzeugt werden, desto lauter wird das Schallsignal empfunden. Der gesunde Mensch kann Frequenzen von maximal 20 bis 20.000 Hz (Hertz = Schwingung pro Sekunde) wahrnehmen, mit einem Unterscheidungsvermögen für Frequenzen von 3 Hz (Tonauflösung). Insbesondere Klavierstimmer sind gut trainiert, um geringe Frequenzunterschiede wahrzunehmen. Mit zunehmendem Alter verringert sich das wahrnehmbare Frequenzspektrum.


Querschnitt durch die Hörschnecke

Schallübertragung

Erreichen Schallwellen über das Mittelohr die Steigbügelplatte am ovalen Fenster, entstehen in der Flüssigkeit des Innenohrs Wanderwellen, die sich bis in die Hörschnecke ausbreiten. Die Flüssigkeitsbewegung führt zur Auslenkung der Fortsätze der Haarzellen. Dadurch wird eine Aufladung der Zelle durch Ionenströme in Gang gesetzt und eine elektrische Erregung erzeugt. Anschließend zieht sich die Sensorzelle ruckartig zusammen.

Dies wird »Motormechanismus der Haarzelle« genannt, führt zur Signalverstärkung und ermöglicht präzises Hören.

Mithilfe chemischer Botenstoffe der Zelle wird die Erregungsinformation über eine »Schnittstelle« (Synapse) auf den Hörnerv übertragen und zum Gehirn weitergeleitet. Aus der mechanischen Schallwelle ist nun elektrophysiologische Klanginformation geworden.

INFO

TINNITUS-URSACHEN IM INNENOHR

Ausfall der Härchen der Hörsinneszellen

Chronischer Lärm und Knalltraumen können Haarzellen direkt schädigen. Betroffene Frequenzen werden dann nicht mehr wahrgenommen. Haarzellenschäden durch Lärm gehören zu den häufigsten Ursachen für akute oder chronische Ohrgeräusche.

Störung des Ladungs-/Erregungsmechanismus der Haarzellen

Verändert sich die Funktion der Ionenströme, können Überreaktionen auftreten, die Tinnitus erzeugen. Bekannt ist, dass Medikamente wie Acetylsalicylsäure oder manche Antibiotika in hoher Dosierung solche Störungen verursachen. Auch die sogenannten Ionenpumpen der Haarzelle reagieren empfindlich auf Zellgifte (z. B. Genussgifte wie Nikotin).

Störung des Motormechanismus der Haarzellen

Die Kontraktion der Haarzelle verstärkt und präzisiert die Frequenzinformation – damit wir einzelne Instrumente eines Symphonieorchesters heraushören können. Störungen können den sogenannten »Motor-Tinnitus« verursachen, unkontrollierte und unkoordinierte Kontraktionen der Haarzelle. Das Besondere an diesem Tinnitus ist, dass er durch äußere Schalleinwirkung verschwinden kann: Geräusche von Elektrogeräten, Musikinstrumenten oder Fahrgeräusche. Man nennt dieses Phänomen Residuale Inhibition. Ein HNO-Arzt kann diese Störung feststellen. Der Motor-Tinnitus lässt sich erfolgreich mit Tinnitus-Maskern, die Dauertöne oder Rauschen erzeugen, behandeln.


Störung der Signaltransduktion an der Synapse

Dies ist ein wichtiges Forschungsgebiet, bei dem es um Nervenbotenstoffe geht, die für Depressionen, Hirnleistungsstörungen, chronischen Schmerz und Tinnitus eine Rolle spielen. Man erhofft sich hier Fortschritte für die Behandlung dieser Störungen durch positive Beeinflussung des synaptischen Funktionssystems.

Die zentrale Hörbahn

Damit akustische Informationen zu Hörempfindungen werden, bedarf es weiterer Verarbeitungsschritte, die von einem Netzwerk verschiedener Hirnzentren durchgeführt werden. Man nennt dies zentrales Hören (zentrale Hörbahn). Im Heimstudiovergleich wäre dies die auf einem Computer installierte Software. Damit wird Audiomaterial am digitalen Mischpult mit Filtern, Effekten und Equalizern bearbeitet. Am Ende steht der finale Audiomix eines Musikstücks.

Stammhirn

Zunächst gelangen Nervensignale der Sinneszellen im Innenohr über den Hörnerv zu den Schneckenkernen (Nuclei cochleares), die im Stammhirn (Medulla oblongata) liegen. Dort wird blitzschnell entschieden, ob die akustischen Informationen als wichtig/unwichtig, bekannt/unbekannt oder ungefährlich/gefährlich zu bewerten sind. Das Stammhirn kontrolliert lebenswichtige Grundfunktionen wie Atmung und Herzschlag. »Unwichtige« Geräusche wie das eigene Schluckgeräusch oder ein rauschender Ventilator werden ausgefiltert. Plötzliche oder unbekannte Geräusche können aber sehr schnell eine Alarmreaktion auslösen, die das vegetative Nervensystem aktiviert: Der Blutdruck steigt; Stresshormone wie Adrenalin werden ausgeschüttet; der Körper macht sich bereit für »Flucht oder Kampf«. Die enge Verbindung des Gehörs mit Stammhirnfunktionen führt zum Überlebensvorteil (z. B. auditive Reflexe). Man denke an den Schlaf, der bei Wahrnehmung ungewöhnlicher Geräusche rasch unterbrochen wird (»Ammenschlaf«). Klangverarbeitung im Stammhirn funktioniert unbewusst.


Anatomie der Hörbahn (Auditives System)

Auch die Ohrgeräusche bei Tinnitus können eine Alarmreaktion auslösen, wenn ihre Herkunft unbekannt ist und sie demnach nicht einzuordnen sind. Es besteht die Gefahr, dass dem Geräusch besondere Aufmerksamkeit geschenkt, dass das Geräusch mit den Qualitäten »wichtig, gefährlich und störend« ausgestattet wird – und dass am Ende die Wahrnehmung des Tinnitus »gelernt« bzw. chronisch wird. Das Stammhirn ist der Ausgangspunkt eines späteren Tinnitus-Gedächtnisses.

Mittelhirn

Die zweite Station der akustischen Informationen ist das Mittelhirn (Colliculus inferior). Hier werden beispielsweise Laufzeit- und Intensitätsunterschiede der Hörinformationen beider Ohren ausgewertet. Das ermöglicht die Ortung einer Schallquelle im Raum. Gehörtes wird mit emotionalen Qualitäten versehen (positiv/negativ) und das Gehirn sucht in der eigenen Klangbibliothek nach bereits vorhandenen, vergleichbaren Hörerfahrungen. Das Mittelhirn ist der Ort, wo »Ohrwürmer« entstehen oder Musikvorlieben (Fankultur) geprägt werden, wo sympathische oder unsympathische Stimmen definiert sind. Taucht das akustische Ereignis erneut auf, wird auch das dem Klang zugeordnete emotionale Prädikat (positiv/negativ) aufgerufen. Klangverarbeitung im Mittelhirn funktioniert unbewusst.

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