Seewölfe - Piraten der Weltmeere 330

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 330
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-727-3

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Aufbruch in die Karibik

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Nathaniel Plymson schwitzte. Er nahm das feuchte Spültuch vom Tresen, lüftete die Lockenperücke, wischte sich den Schweiß von Stirn und Schädel und genehmigte sich einen ausgiebigen Schluck Bier, der ihm innerliche Kühlung verschaffte. Mit einem Laut des Wohlbehagens setzte er den Krug ab und wischte sich den Schaum von den Lippen.

Es war weit nach Mitternacht. Die letzten Saufbolde hatten den Schankraum der „Bloody Mary“ verlassen. Watschelnd schleppte Plymson seine Leibesfülle zur Tür. Tief atmete er die frische Nachtluft ein, die nun endgültig den letzten Schweiß von seinem feisten Gesicht löschte. Er schloß die beiden Fensterläden, legte die Eisenstangen vor und begab sich zurück zum Eingang seiner Schenke.

Das Geräusch von Schritten hörte er nicht. Nur die plötzliche Bewegung hinter seinem Rücken spürte er. Eisiger Schreck durchzuckte ihn, und er warf sich herum, so schnell es sein Körpergewicht erlaubte.

Die Gestalten waren wie aus dem Nichts aufgetaucht, von der Schwärze der Nacht ausgespuckt, und ihre Mienen verhießen nichts Gutes. Drei Kerle von der Sorte, der ein anständiger Bürger selbst bei hellem Tageslicht tunlichst aus dem Weg ging.

Plymson sah ihr höhnisches Grinsen und ihre funkelnden Blicke, die ihn als sicheres Opfer geringschätzig abtasteten. Entsetzt hob er die Arme und wich mit unsicheren Schritten bis zur Tür zurück. Erst jetzt bemerkte er einen vierten Mann, der am Rand jenes schwachen Lichtkreises stand, der von der Laterne über dem Eingang der „Bloody Mary“ ausgestrahlt wurde. Die Kleidung dieses Mannes war wie gelackt, sein vornehmes Gesicht gepudert. Rein äußerlich trennten ihn Welten von den drei Galgenstricken.

„Was wollt ihr von mir?“ keuchte Plymson. „Die Schenke ist geschlossen. Aber wenn es unbedingt sein muß, kann ich eine Ausnahme machen und …“

„Halt ’s Maul, Dicker“, sagte einer der Kerle, ein schwarzbärtiger Riese mit ausladenden Schultern.

„Du redest sowieso zuviel“, sagte der zweite grinsend, ein rothaariger Schrank, dessen Gesicht aus Narben und Sommersprossen bestand.

„Dafür bist du bekannt, Fettsack“, fügte der dritte hinzu. Er hatte ein verschlagenes langes Gesicht und eine schwarze Mähne bis auf die Schultern. „Du wirst jetzt die Klappe halten. In deinen Dreckstall wollen wir nicht. Wir unternehmen zusammen einen kleinen Spaziergang, kapiert?“

Nathaniel Plymson erschrak von neuem. Erst jetzt wurde ihm bewußt, in welcher Gefahr er schwebte. Um Himmels willen, diese Schlagetots wollten ihn entführen! Und was, in aller Welt hatte der Lackaffe im Hintergrund damit zu tun? Die aufwallende Angst ließ den Schankwirt alle Beherrschung vergessen.

„Nein!“ schrie er schrill und streckte die Arme aus, als könnte er die Kerle damit von sich fernhalten. „Hilfe! Zu Hilfe! So helft mir …“

Ein Knüppel wirbelte plötzlich durch die Luft, und der trockene Schlag ließ Plymsons Stimme in einem Gurgeln ersterben. Der Schwarzbärtige ließ den Knüppel unter seinem zerlumpten Umhang verschwinden, während seine Kumpane den bewußtlosen Plymson packten, bevor er zu Boden sinken konnte.

„Beeilt euch!“ zischte der elegant gekleidete Mann. Sichernd sah er sich nach allen Seiten um. Aber nirgendwo war eine Menschenseele zu erblicken. Auch auf den Schiffen in der nachtdunklen Mill Bay war längst Ruhe eingekehrt.

„Ob die ihn tothauen, Leslie?“

„Glaube ich nicht, Jamie. Das hätten sie doch gleich hier erledigt.“

„Hm. Kann sein. Ist ja ziemlich anstrengend, den Dicken durch die Gegend zu schleifen.“

„Genau. Und wenn sie sich so anstrengen, dann haben sie bestimmt noch was mit ihm vor.“

Die beiden Jungen kicherten leise hinter der hohlen Hand. Sie kauerten zwischen leeren Trinkwasserfässern und Proviantkisten am Kai und beobachteten, was sich drüben vor dem Eingang der „Bloody Mary“ abspielte. Leslie und Jamie wußten, daß sie sich von der Stadtgarde nicht erwischen lassen durften. Zu so später Stunde hatten sie auf der Straße nichts mehr verloren. Aber das Zuhause, das ihnen Wärme und Geborgenheit gegeben hätte, existierte nicht.

Die beiden halbwüchsigen Jungen hatten so etwas wie eine Interessengemeinschaft gegründet. Ihre Väter waren Tagediebe, die das bißchen Geld, das sie bei Gelegenheitsarbeiten verdienten, sogleich in die nächstbeste Schenke trugen. Und aus Kummer hatten ihre Mütter ebenfalls begonnen, mit Hilfe von billigstem Absinth Vergessen zu suchen.

Nein, wenn es für Leslie und Jamie ein Zuhause gab, dann schon eher die Straße. Und lieber liefen sie dann und wann vor der Stadtgarde davon, als dauernd von betrunkenen Eltern Prügel zu beziehen.

Gespannt beobachteten sie, wie die drei Galgenstricke den bewußtlosen Nathaniel Plymson in die Dunkelheit der St. Mary Street schleiften. Nur undeutlich waren dort die Umrisse einer einspännigen Kutsche zu erkennen.

Der elegant gekleidete Gentleman folgte seinen Schergen mit einigen Schritten Abstand, wobei er sich immer wieder nach allen Seiten umsah. Es kostete die Kerle einige Mühe, den schwergewichtigen Schankwirt in die Kutsche zu verfrachten.

„Was ist?“ zischte Leslie. „Sehen wir uns das an?“

„Klar doch“, antwortete Jamie halblaut, „stell dir vor, wenn wir dem Dicken das Leben retten. Ist doch aufregend, was?“

Leslie schnaufte nur. Sein Freund hatte recht. Ein richtiger Nervenkitzel war das. Aber der dicke Plymson war auch kein schlechter Kerl, obwohl er manches Mal geflucht und sie mit einem Tritt in den Hintern davongescheucht hatte. Doch das war ja auch sein Recht, wenn sie immer wieder aufkreuzten, um auf Pump eine Kanne Bier für die versoffenen Eltern zu holen. Aber Plymson drückte auch oft beide Augen zu, wenn er tage- oder wochenlang auf sein Geld wartete.

Als die Kutsche in der St. Mary Street anrollte, verließen die zerlumpt gekleideten, barfüßigen Jungen ihr Versteck. Lautlos nahmen sie die Verfolgung auf. Sie kannten jeden Winkel im Hafengebiet von Plymouth, und so war es ihnen ein leichtes, immer wieder dann in eine Mauernische oder einen Torweg zu schlüpfen, wenn der elegante Gentleman, der neben einem der Galgenstricke auf dem Kutschbock saß, einen besorgten Blick nach hinten warf.

Die Fahrt dauerte nicht sehr lange. Am nordwestlichen Stadtrand hielt die Kutsche auf dem düsteren Grundstück eines ehemaligen Sägewerks.

Plymson war wieder bei Bewußtsein, als sie ihn in einen halbwegs intakten Schuppen bugsierten. Aber er riskierte nicht, den Mund zu öffnen. Vielleicht begriff er auch, daß es hier, in dieser menschenleeren Gegend, ohnehin keinen Sinn hatte, zu schreien.

Vorsichtig pirschten sich Leslie und Jamie auf dem von Gerümpel übersäten Gelände voran. Dabei schlugen sie einen weiten Bogen, um die Rückseite des Schuppens zu erreichen. Denn wenn das Kutschpferd rebellisch wurde, konnte das für sie gefährlich werden.

Doch es gelang ihnen, unbemerkt bis zu der rissigen Bretterwand vorzudringen. Und dann hielten sie den Atem an. Denn sie konnten jedes Wort verstehen, das drinnen gesprochen wurde.

Plymson schrie auf, als sie ihn in einen Haufen halbvermoderten, feuchten Sägemehls stießen. Aber er wagte nicht, sich wieder aufzurappeln, denn er fürchtete, daß die Galgenstricke sofort von neuem über ihn herfallen würden.

„Reg dich nicht künstlich auf, Dicker“, sagte der Schwarzbärtige glucksend, „weicher konntest du gar nicht fallen. Merkst du nicht, wie gut wir dich behandeln?“

„Zur Seite jetzt!“ befahl George Snyders herrisch.

Seine drei Handlanger wichen bereitwillig an die Schuppenwand zur Rechten zurück.

Snyders baute sich breitbeinig vor dem in den Sägespänen hockenden Schankwirt auf. Er spürte die Gedankenanstrengung in Plymsons Augen, die hinter aufgeschwemmten Wangenfalten ruhten. Möglich, daß der Dicke ihn schon einmal gesehen hatte – vielleicht, als sie die Ramsgate-Werft inspiziert hatten. Oder bei einem der kurzen Aufenthalte in der Stadt. Doch es war nicht von Belang. Plymson konnte ohnehin keinen Schaden mehr anrichten.

George Snyders, Offizier für Sonderaufgaben an Bord der „Glorious“, schätzte sich in diesen Minuten Glücklich, daß sein Vorhaben soweit gelungen war. Plymson in seine Gewalt gebracht zu haben konnte eine Menge für ihn bedeuten, möglicherweise hing sogar seine ganze Zukunft davon ab.

Nach dem Auslaufen des Flaggschiffs „Glorious“ und der drei anderen Schiffe hatte Snyders den Ersten Offizier händeringend bekniet, ihn sogleich wieder an Land zu setzen. Natürlich mußte das außerhalb von Plymouth geschehen, und zwar so, daß es keine Zeugen gab. Nach der Gefangennahme von Sir Andrew und Marquess Henry waren die Dinge sowieso völlig durcheinandergeraten. Und vielleicht war der Erste froh gewesen, Snyders mit seinem halsstarrigen Ansinnen loszuwerden.

 

Nun, George Snyders hatte seine Chance zur Rehabilitation gefunden. Diese Chance hieß Nathaniel Plymson. Zwar war sich Snyders nach wie vor keiner Schuld bewußt, aber Sir Andrew hielt ihn für denjenigen, der dafür verantwortlich war, daß Ramsgate und Ribault aus der Gefangenschaft auf der „Glorious“ befreit werden konnten.

Snyders war überzeugt, daß ihm der Bastard Killigrew einen üblen Streich gespielt hatte. Denn die zurückgebliebenen Spuren sahen so aus, als hätte er, Snyders, in seiner Kammer vergessen, das Schott zur Heckgalerie zu schließen, und dem Seewolf und seinen Männern dadurch ermöglicht, zu den Gefangenen vorzudringen.

Snyders wußte, daß ihn keine Verantwortung dafür traf. Aber es gab nichts, womit er Sir Andrew das beweisen konnte. Blieb also nur der Versuch mit dem dicken Plymson.

Zuträger aus Plymouth hatten Sir Andrew berichtet, daß Nathaniel Plymson nach der Besetzung der Ramsgate-Werft schnurstracks zur „Isabella“ geeilt war, um Killigrew brühwarm zu berichten, was sich dort draußen auf Rame Head ereignet hatte. Also war in erster Linie Plymson schuld daran, daß Ramsgate und Ribault in einer Blitzaktion befreit werden konnten. Snyders würde ihn dafür seinem Vorgesetzten, Sir Andrew, auf einem Silbertablett servieren. Ohne Zweifel würde das den Earl of Cumberland besänftigen. Natürlich mußte er erst einmal wieder auf freiem Fuß sein. Aber das hielt Snyders nur für eine Frage der Zeit.

„Dein Name ist Nathaniel Plymson“, sagte Snyders schnarrend und von oben herab, „du bist der Inhaber der Schenke ‚Bloody Mary‘. Richtig?“ Er rümpfte die Nase, während er es aussprach.

„Sie wissen es doch schon, Sir“, ächzte Plymson, „warum fragen Sie dann noch?“

„Dieses Verhör muß seine Richtigkeit haben“, sagte Snyders verächtlich und kopfschüttelnd über so viel Unverstand. „Ich muß sicher sein, daß ich den richtigen Mann verhöre. Du gibst also zu, Plymson zu sein?“

„Ja, Sir“, hauchte der Schankwirt erschrocken. „Ist das ein Verbrechen?“

Snyders schickte einen Blick zur Decke und seufzte.

„Hör gut zu, Freundchen“, sagte er warnend, „ich wünsche nicht, daß du noch länger mit Gegenfragen antwortest. Ist das klar?“

„Jawohl, Sir.“

„Gut. Dann zur nächsten Frage: Dir ist bekannt, daß die Ramsgate-Werft auf Rame Head von Sir Andrew Clifford, Earl of Cumberland, per Order Ihrer Majestät, Königin Elizabeths, besetzt wurde?“

„Jawohl, Sir.“

„Wodurch wurde dir das bekannt?“

„Werftarbeiter haben es mir berichtet. Sie suchten mein gastliches Haus auf und waren total fertig.“

Innerlich frohlockte Snyders. Plymson war ein Trottel, so bereitwillig alles zuzugeben, woraus Sir Andrew ihm garantiert einen Strick drehen würde.

„Was haben die Arbeiter noch berichtet?“ fuhr Snyders fort.

„Alles, was sich abgespielt hat, Sir.“

„Auch, daß Ramsgate und dieser Franzose, Ribault, an Bord der ‚Glorious‘ gebracht wurden?“

„Jawohl, Sir, auch das.“

„Und dann bist du zur ‚Isabella‘ gerannt und hast alles Killigrew weitererzählt.“

„Nicht alle Einzelheiten, Sir. Hauptsächlich handelte es sich darum, daß der Seewolf wegen Ramsgate und Ribault Bescheid wissen mußte.“

„Das genügt“, sagte Snyders zufrieden. Er wandte sich ab und winkte den Schwarzbärtigen zu sich, während er bereits auf die Schuppentür zuging. „Ihr seid mir dafür verantwortlich, daß Plymson in sicherem Gewahrsam bleibt, bis ich wieder von mir hören lasse. Verstanden?“ Er drückte dem Galgenstrick ein Ledersäckchen in die Hand.

Der Schwarzbärtige verbeugte sich tief.

„Sie können sich auf uns verlassen, Sir, bei unserem Leben.“

„Darauf würde es auch hinauslaufen, wenn ihr nicht pariert“, entgegnete Snyders mit hartem Grinsen. Dann verschwand er in der Dunkelheit.

Der Hufschlag und das mahlende Geräusch der Kutschenräder waren schon bald nicht mehr zu hören.

Der Schwarzbärtige spähte noch einmal prüfend ins Freie. Doch er sah und hörte nichts, was seinen Verdacht erweckt hätte.

2.

Der Morgen des 4. Juni Anno 1593 begann auf eine freundlichere Art und Weise. Endlich strahlte eine schon recht warme Frühsommersonne auf Plymouth nieder, und am blaßblauen Himmel zogen nur wenige weiße Wolken ihre träge Bahn.

Bei der Werft auf Rame Head hatte bereits in der ersten Helligkeit ein beträchtlicher Lärm eingesetzt. Hesekiel Ramsgate und seine Männer schufteten vom frühen Morgen bis zum späten Abend und dann sogar bei Fackel- und Laternenschein. Sie hatten es sich zum Ziel gesetzt, die restlichen Arbeiten an Bord der beiden Neubauten in möglichst kurzer Zeit zu bewältigen. Denn eben die Zeit brannte ihnen unter den Nägeln.

Wie der Seewolf wußten sie alle, daß ihnen jeder zusätzliche Tag, den sie in England blieben, weiteren Ärger einbringen konnte. Seit die „Crown“ durch das voreilige Handeln Thorfin Njals versenkt worden war, gab es darüber keinen Zweifel. Es galt, so bald wie möglich alle Brücken hinter sich abzubrechen, wollte man sich nicht immer größere Schwierigkeiten einhandeln.

Auf den beiden Neubauten, die am Ausrüstungskai lagen, herrschte rege Betriebsamkeit. Knappe Kommandos wurden gebrüllt, Hammerschläge dröhnten, und Sägen kreischten in schnellem Rhythmus. Seit dem Stapellauf und der Taufe der „Le Vengeur III.“ und der „Tortuga“ gönnten sich Hesekiel Ramsgate und seine Leute kam noch Verschnaufpausen.

Die „Isabella“, der Schwarze Segler, „Roter Drache“ und die „Wappen von Kolberg“ ankerten unweit des Ausrüstungskais. Noch während der ersten Sonnenstrahlen begaben sich Hasard und Jean Ribault hinüber, und sie trafen den weißbärtigen Schiffbaumeister an Bord der „Le Vengeur III.“, wo er die Arbeiten besonders sorgfältig überwachte und immer wieder selbst mit Hand anlegte.

Ramsgate deutete zum Werftgelände, wo ein Teil seiner Männer dabei war, Ausrüstungsgegenstände und Werkzeuge in Kisten zu packen und diese zum Kai zu transportieren.

„Ich habe einen Zeitplan aufgestellt. In drei bis vier Tagen, denke ich, werden wir mit allem fertig sein.“

Jean Ribault lehnte sich an die Achterdecksbalustrade seines stolzen neuen Schiffes. Er warf einen Blick zum Hauptdeck und zur Back. Etwa ein Dutzend Arbeiter waren auf der „Le Vengeur III.“ beschäftigt. Die Masten waren bereits aufgeriggt und auch das laufende und stehende Gut eingeschoren. Nur noch Kleinigkeiten waren jetzt zu erledigen, Zimmermannsarbeiten, die dem schmucken Neubau den letzten Schliff gaben. Ribault wandte sich wieder um und sah Ramsgate zweifelnd an.

„Hier an Bord sehe ich keine Probleme, Hesekiel. Auch auf der ‚Tortuga‘ nicht. Aber wie wollt ihr es in der kurzen Zeit schaffen, die komplette Werftausstattung zu verladen?“

„Hesekiels Leute sind nicht allein“, sagte der Seewolf, „wir haben vier Crews, die mit anpacken können, wenn die Zeit wirklich knapp wird.“ Er deutete mit einer Kopfbewegung zu den vor Anker liegenden Galeonen.

Ramsgate schüttelte den Kopf.

„Das wird nicht nötig sein. Meine Männer wissen, was sie brauchen, und sie werden es so ordnen, daß es kein großes Durcheinander gibt, wenn wir in der Karibik unsere neue Werft aufbauen. Nichts gegen eure Crews, aber sie würden unsere Sachen nur durcheinanderbringen.“

Hasard wechselte einen Blick mit Jean und lächelte. Der alte Ramsgate war nicht umsonst für seine Perfektion bekannt. Seine außergewöhnlichen Leistungen im Schiffbau beruhten nicht zuletzt auch auf der ungeheuren Präzision, die er bei seiner Arbeit walten ließ. Wenn auf der Ramsgate-Werft ein Arbeitstag zu Ende ging, lag alles auf seinem Platz – von der größten Axt bis zum kleinsten Nagel.

Hasard sah den erfahrenen Mann forschend an. Freundschaftlich verbunden waren sie seit vielen Jahren, und so war ihm sicher nicht schwergefallen, den Entschluß zum Aufbruch zu fassen. Dennoch glaubte Hasard aber, einen Hauch von Wehmut in den Augen des alten Mannes zu erkennen.

Hasard legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Es wird nicht leicht für dich sein, alles zurückzulassen. Jetzt, da es ernst wird, wird dir das erst richtig bewußt.“

„Von was redest du?“ entgegnete der Schiffbaumeister lachend. „Ich lasse nichts zurück. Ich nehme alles mit. Sogar die meisten meiner Männer. Jedenfalls die, die unverheiratet und ungebunden sind.“

„Du weißt genau, daß ich das nicht meine“, entgegnete der Seewolf. „Du läßt einen Teil deines Lebens zurück.“

Hesekiel Ramsgate wurde ernst.

„Darüber brauchst du dir nicht den Kopf zu zerbrechen. Mir wird nichts leid tun, gar nichts. In einem Land, in dem Halunken wie dieser Sir Andrew Clifford schalten und walten können, hält mich nichts mehr. Es steht schlimm um England, wenn die Krone nicht mehr die Macht hat, solchen Verbrechern auf die Finger zu klopfen.“

„Daran wird sich nie etwas ändern“, sagte Jean Ribault, „aber es ist nicht nur in England so. In Frankreich und Spanien und in allen möglichen anderen Ländern ist es die gleiche Leier. Überall, wo sich Leute ihr Stück aus dem Kuchen der Macht schneiden wollen, gibt es Intrigen und Verbrechen. Ehrliche Leute sind dagegen hilflos, weil sie nur geradeaus denken, weil sie nicht mit den Waffen kämpfen, die da heißen: List, Heimtücke, Niedertracht und was weiß ich.“

„Du hast deinen Beruf verfehlt“, sagte Hasard. „Mit solchen schönen Worten kannst du dich glatt als Prediger auf eine Kanzel stellen.“

Der schlanke, dunkelhaarige Franzose grinste.

„Wie wäre es“, sagte Ramsgate, „wenn ihr euch wieder den irdischen Dingen zuwendetet? Da wäre beispielsweise noch die Frage, wie die beiden Neubauten bemannt werden sollen.“

„Richtig“, entgegnete der Seewolf und nickte, „ich habe meine Vorstellungen darüber, und auch Jean hat seine Überlegungen angestellt. Aber es wäre gut, wenn wir diesen Punkt alle gemeinsam besprächen.“

Hesekiel Ramsgate war einverstanden. Mit den beiden Männern enterte er in die kleine Jolle ab, und sie pullten hinüber zur „Isabella“. Aus der Kombüse wehte der Duft von gebratenem Speck. Die Männer befanden sich im Logis und widmeten sich der vom Kutscher und Mac Pellew zubereiteten morgendlichen Mahlzeit. Hasard veranlaßte Luke Morgan, der als Deckswache eingeteilt war, zu den drei anderen Schiffen zu signalisieren.

Oliver O’Brien befand sich bereits an Bord der „Isabella“. Gemeinsam mit Ben Brighton verließ der stämmige grauäugige Mann das Achterdeck, als Hasard ihnen zuwinkte. Kurze Zeit später enterte Arne von Manteuffel als erster über die Jakobsleiter auf. Hesekiel Ramsgate war aufs neue verblüfft, wie sehr dieser Mann seinem Vetter, dem Seewolf, ähnelte.

Arne war breitschultrig und nur um eine Idee kleiner als Hasard. Besonders hervorstechende Merkmale waren sein blondes Haar, die eisblauen Augen und das scharfgeschnittene Gesicht. Die Ähnlichkeit war so frappierend, daß man ihn für Hasards Bruder halten konnte.

Wenig später folgten der Wikinger und Siri-Tong, die Rote Korsarin. Hesekiel Ramsgate war fasziniert von der jungen Frau, die berückende Weiblichkeit und zugleich unbeugsame Härte ausstrahlte.

Die Vorstellung, daß eine Frau eine wildverwegene Crew von Rauhbeinen anführte, mochte für manchen Seemann absurd sein. Doch schon bei seiner ersten Begegnung mit der Roten Korsarin war dem alten Ramsgate dank seiner Menschenkenntnis auf Anhieb klar gewesen: Wenn es eine Frau gab, die als Kapitän eines Seglers mit beiden Beinen fest auf den Decksplanken stand, dann war das Siri-Tong.

Sie versammelten sich in der Kapitänskammer der „Isabella“.

„In drei bis vier Tagen werden alle Arbeiten beendet sein“, sagte der Seewolf, „uns bleibt also nicht mehr viel Zeit, die letzten Einzelheiten zu regeln. Es geht jetzt um die Besatzung der beiden Neubauten. Jean wird selbstverständlich die ‚Le Vengeur‘ als Kapitän übernehmen. Soviel steht fest.“ Er wandte sich dem Schiffbaumeister zu. „Wie viele Männer werden sich uns von der Werft anschließen?“

„Fünfzehn haben fest zugesagt“, erwiderte Ramsgate, „mit fünf weiteren verhandele ich noch. Ich will die Männer nicht überreden, aber es sieht so aus, als ob sie sich auch entschließen werden mitzugehen.“

 

„Was Besseres können die Torfköppe nicht tun“, sagte der Wikinger dröhnend und hieb mit der flachen Hand auf den Tisch. „Hast du ihnen das nicht verklart, Mister Ramsgate?“

„Natürlich habe ich das“, erwiderte der weißbärtige Mann und lächelte. „Aber ich gebe jedem genug Zeit zum Überlegen. Bei einer so wichtigen Entscheidung darf man nicht ungeduldig sein.“

Thorfin Njal verschränkte die Arme vor der mächtigen Brust und prustete.

„Ihr Engländer seid doch ein merkwürdiges Volk. Jedes Ding dreht ihr dreimal um, bevor ihr es richtig anfaßt.“

„Du vergißt eine wichtige Tatsache“, sagte Oliver O’Brien.

Der Wikinger ruckte herum.

„Tatsache? Was soll das denn heißen? Ich rede doch nur von Tatsachen, Mann.“

„Ebendrum“, fuhr O’Brien beharrlich fort. „Wir Iren und die Engländer können uns zwar meistens nicht riechen, aber wir haben doch eins gemeinsam: Über England sind deine Wikinger-Vorfahren genauso hergefallen wie über Irland. Und du kannst sicher sein, Mister Thorfin Njal, daß es eine verdammte Menge Engländer und Iren gibt, in denen Nordmannsblut fließt.“

„Teufel auch“, brummte Thorfin Njal, „dann haben sie sich aber nicht besonders angestrengt, die alten Ahnen.“ Er hob die rechte Hand zum Helm, ließ sie aber schon auf halbem Weg wieder sinken. Ein schuldbewußter Ausdruck trat in sein Gesicht, und beinahe verstohlen blickte er in die Runde, ob jemand etwas mitgekriegt hatte.

Die anderen taten unbeteiligt und verkniffen sich ihr Grinsen. Denn sie alle wußten längst, wie sehr sich der poltrige Wikinger die kleinen Wünsche seiner Gotlinde zu Herzen nahm. Seit sie es für dummes Zeug erklärt hatte, daß sich ein ausgewachsener Mann am Helm kratzte, versuchte er krampfhaft, diese alte Gewohnheit zu unterdrücken – jetzt sogar schon, wenn seine bessere Hälfte nicht einmal in der Nähe war.

Der Seewolf brachte die Dinge zum Kern der Sache zurück.

„Wie auch immer, wir haben im günstigsten Fall zwanzig Mann von der Werft. Wenn wir sie zusammen mit Hesekiel alle auf der ‚Le Vengeur‘ unterbringen, ist die ‚Tortuga‘ damit immer noch nicht bemannt.“ Er blickte die Rote Korsarin an. „Wie sieht es bei dir aus? Ich denke, du hättest am besten die Möglichkeit, mit ein paar Männern auszuhelfen.“

„Das habe ich erwartet“, entgegnete die Rote Korsarin lächelnd, „aber du hast recht. Ich könnte zehn Männer entbehren, mehr allerdings beim besten Willen nicht.“

„In Ordnung“, sagte Hasard und nickte, „damit ist uns schon sehr viel geholfen. Ich stelle es mir so vor, daß die Leute von der Werft je zur Hälfte auf die beiden Neubauten verteilt werden. Natürlich nur, wenn ihr damit einverstanden seid.“ Er blickte Jean Ribault und Hesekiel Ramsgate fragend an.

„Ich halte das für einen guten Vorschlag“, sagte Jean spontan. „Bestimmt ist es ein Vorteil, wenn auf der Jungfernfahrt auf jedem Schiff die Leute dabei sind, die es gebaut haben.“

„Das finde ich auch“, sagte der alte Ramsgate, „aber damit sind wir immer noch nicht komplett. Zehn Männer aus Siri-Tongs Crew, zehn Männer von der Werft und Jean Ribault als Kapitän der ‚Le Vengeur‘, das würde reichen. Ich bin zwar gern bereit, mit den zehn anderen Männern von der Werft auf die ‚Tortuga‘ zu gehen, aber wenn ich ehrlich bin, werde ich kaum ein sehr guter Kapitän sein.“

„Ich bin auch noch da“, meldete sich Oliver O’Brien zu Wort.

Hasard lächelte, tauschte einen Blick mit Arne und wandte sich dann dem Iren zu.

„Für dich haben wir eine besondere Aufgabe vorgesehen, Oliver. Aber darüber reden wir noch.“ Er lehnte sich zurück. „Ich habe mich an jemanden erinnert, der den meisten von uns bekannt ist. Es handelt sich um Jerry Reeves, der damals vor der Bretagne die ‚Fidelity‘ von Easton Terry übernahm.“

„Guter Mann“, sagte Thorfin Njal dröhnend, „und seine Leute waren auch in Ordnung. Wenn wir uns den an Land ziehen könnten, hätten wir genau das, was wir für die ‚Tortuga‘ brauchen.“

„Reeves ist mit seinen Leuten nach Bristol gegangen, wenn ich nicht irre“, sagte Ben Brighton.

„Richtig.“ Hasard preßte die Fingerspitzen gegeneinander. „Das war vor dem Stapellauf der ‚Isabella‘. Wenn wir Glück haben, können wir Jerry aufstöbern. Vielleicht hält er sich noch in Bristol auf. Schließlich ist es erst ein halbes Jahr her, daß er sich um ein neues Schiff kümmern wollte. Ich halte ihn nicht für den Typ, der sich für den erstbesten Kahn entscheidet.“

„Also holen wir ihn, wenn wir ihn kriegen können“, sagte Jean Ribault, „soviel Zeit haben wir doch noch, oder?“

„Es läßt sich einrichten“, entgegnete Hasard. „Also: Wer ist einverstanden?“

Es gab keine einzige Gegenstimme.

Nachdem sich die kleine Versammlung aufgelöst hatte, beauftragte der Seewolf sofort Dan O’Flynn und Stenmark, als Kuriere nach Bristol aufzubrechen.

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