Seewölfe - Piraten der Weltmeere 79

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 79
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2014 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-396-1

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1.

Kapitel 2.

Kapitel 3.

Kapitel 4.

Kapitel 5.

Kapitel 6.

Kapitel 7.

Kapitel 8.

Kapitel 9.

Kapitel 10.

1.

Wie ein riesiges, totes Ungeheuer sah der Berg aus Holz, Planken, Rahen, Spieren und zerfetzten Segeln aus, der auf dem Höllenriff lag und nun die Ausfahrt versperrte.

Dieser monströse Leichnam war der klägliche Überrest der stolzen Galeone „Sevilla“, die unter der Führung Kapitän Rocas versucht hatte, gewaltsam die Passage der Schlangen-Insel zu durchsegeln, und es dann doch nicht geschafft hatte.

Kein Wunder, wenn man diese Passage nicht ganz genau kannte, dachte der Seewolf grimmig. Zusammen mit Ferris Tucker, Big Old Shane, Ben Brighton und dem Waffenmeister Al Conroy, stand er auf der Kuhl der „Isabella VIII.“.

„Abbrennen“, sagte der rothaarige Schiffszimmermann lakonisch und deutete mit der Hand auf das hölzerne Ungetüm, das behäbig und schwerfällig wie hundert tote Elefanten im Fahrwasser lag.

„Das Oberdeck könnte man schon abbrennen“, meinte der Seewolf, „aber wie sieht es mit dem Rest aus? Die Galeone ist aus gutem, starkem Holz gebaut, die brennt nicht einmal bis zur Wasseroberfläche ab. Am besten, wir fahren einmal hinüber und sehen uns das Wrack genauer an. Kommt ihr mit?“

Die Männer, die auf der Kuhl standen, nickten. Natürlich, dieses Wrack war zu einem echten Problem geworden, und nicht nur dieses Wrack. Es gab da noch ein anderes Problem.

Eine der spanischen Karavellen war nach dem heftigen Kampf vor der Schlangen-Insel entwischt und befand sich längst wieder auf der Rückfahrt zu ihrem Stützpunkt. Und weil die bloße Erwähnung von Hasards Namen bei den Spaniern Zustände auslöste, würden sie mit einer Übermacht zurückfahren, der die Seewölfe nichts entgegenzusetzen hatten.

Nein, sie mußten weg, so schnell, wie es ging, mußten sie verschwinden, denn die Dons konnten schon morgen aufkreuzen, um es dem verhaßten Seewolf zu besorgen, der ihnen eine Schlappe nach der anderen zugefügt hatte.

Das waren schon seit gestern Hasards Überlegungen, und jetzt sollten sie in die Tat umgesetzt werden, jetzt, nachdem auch der schwarze Segler aufgeriggt war.

Aber zuerst mußte das Wrack verschwinden, das war das allererste Problem. Wenn das Wrack nicht beseitigt wurde, gab es vor den Dons kein Entkommen mehr.

Als die Männer in das Boot stiegen, ging über dem Meer goldgelb die Sonne auf. Goldene Strahlen tanzten auf dem Wasser und schimmerten durch die Passage bis in die Bucht. Es versprach wieder einmal, ein heißer Tag zu werden.

Das Wrack der Galeone schien in den Himmel zu wachsen und immer größer zu werden, als sie sich näherten. Von weitem war es schon groß und gewaltig genug, aber aus dieser unmittelbaren Nähe wirkte es direkt beängstigend.

„Bei allen Meergeistern“, stöhnte Al Conroy, „das verdammte Ding wird ja immer größer. Seht euch nur den Achtersteven an! Allein dafür hat man mehr als hundert Bäume benötigt.“

„Jetzt halt mal die Luft an, Al“, sagte Ferris, „das werden wir schon schaffen. Wie gesagt, ein kleines Feuerchen, und der größte Teil ist verschwunden.“

Hasard, Old Shane und Tucker betrachteten das Wrack fachmännisch. Es saß unverrückbar fest, und zwar auf jener kritischen Stelle, der man den Namen Höllenriff gegeben hatte. Auf dem Riff konnte man bequem stehen, es zog sich von der rechten Felsenwand zur linken, ohne die kleinste Lücke. Vor und hinter der schmalen Passage fiel es jedoch steil ab. Dort hausten auch die Kalmare in ihren dunklen Höhlen, die den Seewölfen schon mehr als einmal Kummer bereitet hatten.

Das Boot stieß an den zersplitterten Rumpf der Galeone. Tucker fing es mit den Händen ab und schlang ein Tau um eine zerfetzte Planke, die aus dem Schanzkleid ragte.

Die Männer enterten auf und sahen sich kopfschüttelnd um.

„Ich habe noch nie ein Schiff gesehen, das schlimmer aussieht als dieses“, versicherte Tucker. „An dem Kahn ist nichts, aber auch gar nichts heil geblieben. Ein Wunder, daß es nicht total auseinandergefallen ist.“

Das stehende Gut, Stagen, Wanten und Pardunen, lag kreuz und quer auf dem Deck herum. Dazwischen befanden sich Fallen und Schoten, Blöcke, zerrissenes Tauwerk und Teile der Nagelbank. Das Deck selbst war so zerfetzt, daß man kaum darauf laufen konnte. Überall stachen Planken spitz in die Luft. Das alles war von Tauen, Segeln und der riesigen Gaffelrute des Lateinersegels teilweise bedeckt. Auch ein paar tote Spanier befanden sich noch an Bord, entsetzlich verstümmelt und durch die herabgefallenen Masten bis zur Unkenntlichkeit zerquetscht.

Die Galeone knisterte, brach und stöhnte in allen Fugen. Die Geräusche rissen nicht ab. Das Schiff schien sich gegen den Todeskampf zu wehren, dabei war es längst tot. Selbst die besten Baumeister hätten kein neues Leben mehr hineinzaubern können.

„Ein wüster Trümmerhaufen, mehr ist es nicht“, sagte Ferris Tukker. „Und die Räume stehen alle unter Wasser. Am besten, wir brennen es ab“, wiederholte er noch einmal.

Hasard nickte nur versunken. In Gedanken sah er noch einmal die stolze Galeone hier eindringen. Er hörte das Krachen und Bersten, sah das Schiff, wie es in die Felswände prallte, wie es von einer Seite zur anderen flog, sich dann steil aufrichtete, und hörte, wie die Masten an Deck fielen und die Todesschreie der Spanier ertönten. Und überall flogen Planken, Splitter und Holzteile durch die Luft. Das war jetzt vorbei. Die „Sevilla“ hatte sich auf dem Höllenriff zur letzten Ruhe gesetzt.

„Seht nach, ob noch brauchbares Pulver an Bord ist“, sagte der Seewolf. „Dann stecken wir es gleich an.“

Sie durchsuchten die Räume.

Tucker und Shane kehrten mit Pulver und Lunten zurück, genug Pulver, um drei Schiffe in die Luft zu blasen. Größtenteils waren die Fässer noch trocken. Auch ranziges Olivenöl fanden sie in großen Mengen.

Während Ferris das Pulver auf dem Deck verschüttete, goß Big Old Shane das übelriechende Öl auf die Planken. Er verzog angewidert die Nase.

„Wenn der Kutscher in diesem Drecköl etwas backen würde, dann würden ihm die Männer das Fell über die Ohren ziehen“, sagte er. „Das stinkt ja zum Gotterbarmen, das Dreckzeug.“

„Die Dons fressen sogar Kastanien“, sagte Tucker, „und abgezogene Igel hauen sie sich auch in die Pfanne. Vielleicht backen sie die in diesem stinkenden Öl.“

Vier Fässer Pulver waren ausgestreut, der Rest war feucht und würde nicht brennen. Tucker schlug mit Stahl und Flintstein Funken, bis die Lunte zu glimmen begann. Dann blies er kräftig, bis hellrote Glut entstand.

„Zurück ins Boot“, mahnte Hasard. „Das Oberdeck ist knochentrocken und brennt gleich wie Zunder. Los, Al!“ wandte er sich an den Waffen- und Stückmeister, der sich die bronzenen Kanonenrohre noch einmal ansah. „Beeil dich, die Kanonen können wir nicht gebrauchen, wir haben bessere.“

Im Boot blies Tucker noch einmal auf die Lunte, und während sie ablegten, warf er die glimmende Lunte in einem hohen Bogen auf das Deck des zerstörten Spaniers.

Augenblicklich schoß eine Stichflamme hoch, die sich in rasender Eile über das Deck fraß. Kreuz und quer zuckte sie darüber hin, bis sie endlich erlosch.

Das helle Lohen verschwand, aber das kurze, heiße Feuer hatte ausgereicht, das Holz in Brand zu setzen.

Fünfzig Yards weiter züngelten die ersten Flammen hoch, und danach ging es sehr schnell. Die trockenen Segel brannten, gleich darauf begann es zu prasseln und zu knistern. Rauch stieg aus der Galeone auf und kräuselte sich in den wolkenlosen Himmel.

Immer heller brannte das Feuer und fraß sich jetzt in rasender Eile über das ganze Schiff.

Als der Seewolf mit seinen Männern wieder bei der „Isabella“ angelangt war, glich die „Sevilla“ einer brennenden Riesenfackel.

Pechschwarz quoll der Rauch in einer gewaltigen Wolke steil nach oben, wo er wie ein Pilz auseinanderstrebte.

„Die brennen prächtig, die spanischen Kisten“, lobte Ferris Tucker das prasselnde Feuer.

Ed Carberry, der neben ihm stand, nickte bedächtig. „Das kannst du laut sagen, Ferris. Es ist nicht die erste, die wir in Brand gesetzt haben.“

Oben in den Felsen stand Dan O’Flynn als Posten. Er hatte die schärfsten Augen an Bord, und deshalb hatte der Seewolf ihn da oben placiert, damit er Zeichen gab, wenn sich fremde Schiffe der Insel näherten. Dan stand da und hielt den Daumen nach oben in die Luft gereckt, zum Zeichen, daß alles klar war. Niemand würde den gewaltigen Qualm sehen, und bis jemand auftauchte, war das Feuer längst erloschen.

Jetzt schlugen auch die Flammen an den Seiten hervor, leckten am zersplitterten Schanzkleid und tobten weiter, zum Achterkastell, wo ebenfalls sofort alles in hellen Flammen stand.

 

Smoky, der Decksälteste, gesellte sich zu den Männern.

„Warum brennt das Schiff?“ fragte er.

„Weil wir es in Brand gesteckt haben“, erwiderte Ferris Tucker freundlich. „Sag mal, Smoky, bist du nun wirklich bescheuert, oder vergeht das demnächst?“

Smoky verzog schmerzhaft das Gesicht. Seit er bei dem vorangegangenen Kampf eins auf den Schädel gekriegt hatte, fehlte ihm der nötige Durchblick. Mitunter stand er eine geschlagene Stunde lang an Deck herum und fragte sich, was er hier eigentlich wolle.

Der Kutscher und Feldscher, der bei Sir Freemont gedient hatte, hatte noch gestern etwas von temporärem Gedächtnisschwund gemurmelt. Das würde die Zeit heilen, hatte er gesagt. Seither spazierte Smoky mit temporärem Gedächtnisschwund herum, und erzählte jedem von seiner eigenartigen Krankheit. Aber alle paar Minuten rannte er zum Kutscher, um sich den Ausdruck wiederholen zu lassen, denn er vergaß ihn sofort wieder. Und dabei hörte sich das doch so gut an, fand er.

„Laß mich bloß in Ruhe, du rothaariger Decksaffe“, sagte Smoky. „Sei froh, daß du keinen – äh – tempo – äh – Schwund hast! Woher kommt das verdammte Wrack eigentlich? Es liegt genau in der Fahrrinne drin.“

„Das war doch der Kampf vor zwei Tagen, du Roß!“ brüllte Ferris, der langsam die Geduld verlor. „Die spanische Galeone ist hier gewaltsam eingedrungen, zersplittert und sitzt nun fest auf dem Riff. Geht das endlich in deinen Kasten?“

Smoky blickte ihn nachdenklich an, und wieder verzog sich sein Gesicht zu einer Grimasse.

„Komisch“, sann er laut, „was zum Teufel, wollten die Spanier denn hier auf der Schlangen-Insel?“

Tucker raufte sich in einem neuerlichen Anfall die roten Haare.

„Himmel, Arsch und Seemannsgarn!“ schrie er. „Schafft mir diesen Kerl vom Hals! Der spinnt ja wirklich, oder willst du mich bloß verarschen?“ fragte er mit erzwungener Ruhe.

Smoky starrte verbiestert auf die Decksplanken.

„Ich weiß gar nicht, was du willst, du Büffel. Ich habe dich anständig was gefragt, und du fängst an zu schreien. Ich hab den Kahn jedenfalls nicht einlaufen sehen, vielleicht war es gerade Nacht, und ich habe geschlafen.“

Ehe Tucker explodieren konnte, ging der Seewolf dazwischen.

„Laß ihn in Ruhe, Ferris. Das wird sich bald wieder legen, ich habe den gleichen Zustand auch schon einmal erlebt. Da fehlt einem wirklich teilweise die Erinnerung. Sie kehrt nur bruchstückhaft zurück, und dabei hast du das Gefühl, als wäre in deinem Schädel eine gähnende Leere.“

„Na ja, wenn das so ist. Ich dachte immer, der Kerl verstellt sich nur, und will mich auf den Arm nehmen. Ausgerechnet mich fragt er nämlich immer.“

Während Tucker dem Decksältesten noch einen zweifelnden Blick zuwarf, brannte weiter drüben die Galeone ab. Das Feuer fraß sich mit höllischem Eifer durch das Holz, bis es den unteren Rand erreichte, die Wasserlinie. Dort wurden die Flammen jetzt immer spärlicher und kleiner, und schließlich zischte es nur noch leise. Schwarzverkohlte Trümmer fielen ins Wasser und zischten noch einmal kurz auf, ehe sie verlöschten und untergingen. Immer mehr fiel das Wrack in sich zusammen. Schließlich war es nur noch ein kleiner Rest, der aus dem Wasser ragte, ein schwarzer Stumpf, an manchen Stellen noch leicht glühend.

Die Seewölfe sahen schweigend zu, wie die „Sevilla“ sich in ihre Bestandteile auflöste.

„Damit sind wir das Problem noch immer nicht los“, sagte Hasard. „Wir müssen den Rest mit der Hand abwracken, wenn wir hier jemals wieder herauswollen.“

Gesichter verzogen sich angewidert. Jedem war deutlich anzusehen, was er empfand. Das Wrack zertrümmern und zerschlagen war eine Arbeit, wie sie sie lange nicht verrichtet hatten. Eine verdammte Schufterei würde das werden.

Aber es blieb ihnen nichts anderes übrig.

Tucker seufzte abgrundtief. Er, der immer tüftelte und überlegte, sann verzweifelt nach einer anderen Möglichkeit. Hasard sah ihm an, wie es hinter seiner Stirn arbeitete.

„Hast du einen besseren Vorschlag?“ fragte er.

Tucker kratzte sich das stoppelige Kinn.

„Hm, mir fällt da etwas ein“, murmelte er zögernd. „Wir könnten dem Bock ein paar Siebzehnpfünder unter die Wasserlinie ballern, und das Schiff so weiter in Trümmer schießen. Dann fällt das Abwracken nicht so schwer.“

Carberrys Riesenpranke krachte dem Schiffszimmermann auf die Schulter, und sein dröhnendes Organ hallte über die ganze Insel.

„Wenn wir dich nicht hätten und die gekochten Bohnen, Mann, dann müßten wir die ganze Woche rohe Bohnen fressen. Ist das eine Idee, Leute?“ wandte er sich fragend an die anderen.

Alles stimmte begeistert mit ein. Warum sollte man sich mühsam einen ganzen Tag lang abrackern, wenn es auch anders ging? Was würde der Seewolf dazu sagen?

Hasard nickte, seine Lippen verzogen sich zu einem Grinsen.

„Ein guter Vorschlag, Ferris“, lobte er den Riesen. „Wir werden ihn sofort in die Tat umsetzen. Dabei kann jeder gleich einmal seine Schießkünste beweisen. Also ladet die Kanonen, dreht das Schiff herum. Kugeln und Pulver haben wir zur Genüge. Wir ersparen uns damit wirklich einen ganzen Tag harter Arbeit.“

Mit Begeisterung wurden die schweren Culverinen geladen. Die Siebzehnpfünder würden den Seewölfen einen großen Teil ihrer Arbeit abnehmen.

Auf dem schwarzen Schiff wurde es jetzt ebenfalls lebendig. Der Wikinger Thorfin Njal erschien an Deck, und neben ihm standen seine Mannen: Arne, Oleg, Eike und der Stör. Der Kupferhelm des Wikingers glänzte hell in der Sonne, als er den Kopf bewegte. Ein Grund für den Profos, mißtrauisch hinüberzublinzeln.

„Ich wette, er schläft mit diesem Nachttopf“, sagte er. „Oder er züchtet Riesenläuse darunter. Die Biester müssen es verdammt warm haben.“

Grinsende Gesichter sahen ihn an, und sofort wurde der Gedanke an den „Nachttopf“ dankbar aufgegriffen und gründlich ausgeschlachtet, wie es bei den Seewölfen üblich war.

Dem Wikinger wäre angst und bange geworden, wenn er die Theorien alle vernommen hätte, die die Männer vom Stapel ließen. Und diese Theorien wurden immer deftiger und verwegener, und bald bogen sich die Männer auf dem Deck vor Lachen.

Die Neugier ließ dem Wikinger schließlich keine Ruhe mehr. Er wußte nicht, was auf der „Isabella“ vorging. Er sah nur, daß die Galeone ausgebrannt war und man sich jetzt anschickte, die Culverinen zu laden.

„Ist das nicht dieser komische Wikinger?“ fragte Smoky stirnrunzelnd und wandte sich dabei wieder an Tucker.

Dem Schiffszimmermann standen die Haare jetzt buchstäblich senkrecht zu Berge. Gereizt fuhr er zu Smoky herum.

„Treibe mich nicht zum Wahnsinn, Kerl!“ schrie er den verblüfften Smoky wild an. „Du mit deinem verlausten Tempodingsda. Willst du etwa sagen, daß du den Burschen nicht mehr kennst?“

„Ich frag mal den Kutscher, wie das Wort heißt“, sagte Smoky, ohne auf Tucker einzugehen. Damit zog er ab, und ließ einen total verdatterten Ferris Tucker zurück, der sich wild die Bartstoppeln kratzte.

„Wenn das mit dem so weitergeht, werde ich auch noch verrückt“, beklagte sich Tucker lautstark. „Das kommt noch so weit, daß er nicht einmal weiß, daß er der Decksälteste ist.“

„Hört mit dem Geschrei auf“, sagte Ben Brighton. „Einige von uns haben etwas abgekriegt, du hättest genausogut das Ding an den Schädel kriegen können, Ferris.“

Brighton trug den Arm in der Schlinge. Er verspürte noch Schmerzen darin, sobald er ihn bewegte. Und er war auch nicht der einzige. Grey hatte eine Fleischwunde im Rücken und Dan den Stich in den Rippen. Und Bill the Deadhead, den Piraten aus Siri-Tongs Crew, hatte es am jämmerlichsten von allen erwischt. Der lief mit einem Schuß im Achtersteven herum und konnte nicht mehr sitzen.

Es gab also ständig Anlaß zu neuen Heiterkeitsausbrüchen.

Siri-Tong, der Wikinger und der Stör pullten jetzt im Boot herüber und legten gleich darauf bei der „Isabella“ an.

„Einen fröhlichen guten Morgen“, dröhnte Thorfins Stimme über Deck. Er zog die Rote Korsarin mit an Bord, nach der sich sofort alle Kerle wieder umdrehten.

Der Gruß wurde von allen Seiten erwidert.

Thorfin Njal sah sich verwundert um, und auch die Rote Korsarin sah die Hektik an Deck. Da standen die Männer mit glimmenden Lunten neben den feuerbereiten Culverinen, da waren Kugeln an Deck gemannt worden, Pulverfässer standen herum, Wischer lagen bereit.

„Was geht denn hier vor?“ fragte der Wikinger erstaunt.

Der Profos grinste ihn an, doch dann wurde sein Gesicht schlagartig ernst und verkniffen, als er sah, daß der Wikinger sich den Schädel kratzte. Dem Profos traten die Augen aus den Höhlen.

Der Wikinger kratzte weiter, allerdings befand sich zwischen seinem kratzenden Finger und der Kopfhaut noch der Helm, aber das schien ihn nicht zu stören. Ausgiebig kratzte er den Helm weiter, und der Profos bezweifelte ganz entschieden den Erfolg, falls es den Wikinger jucken sollte. Und es ärgerte ihn auch, daß einer seinen Helm kratzte, wenn ihn der Schädel juckte. „Das gab es doch gar nicht, verdammt noch mal“, sagte er.

„Wir haben gerade beschlossen, deinen aufgeriggten Kahn unter Feuer zu nehmen“, erklärte er todernst, und es wurmte ihn mächtig, als der Wikinger schon wieder seinen Helm kratzte, wo der doch, verdammt noch mal, gar nicht jucken konnte. „Das heißt, wir wollen nur eine Breitseite darauf abfeuern, um herauszufinden, wie stark das Holz wirklich ist.“

Thorfin Njal stierte ihn ungläubig an. Die grinsenden Gesichter sah er nicht.

„Das neue Schiff?“ murmelte er fassungslos. „Das kann doch nicht euer Ernst sein.“

Hilflos wandte er sich an den Seewolf, der ebenso ernst daneben stand und nicht einmal das Gesicht verzog.

Thorfins Blick kehrte ungläubig zu Siri-Tong zurück. Dann tippte er mit dem Finger nachdrücklich gegen die Stirn.

„Das könnt ihr mir nicht antun“, ächzte er.

Und der Stör brummte etwas dazu, was kein Mensch verstand, das aber so viel heißen mochte, daß auch ihm das keiner antun könne.

„Schluß jetzt mit dem Grinsen“, sagte Hasard. „Einmal ist der Spaß zu Ende, sonst glaubt Thorfin tatsächlich noch, wir wollten sein Schiff unter Feuer nehmen.“

„Dann schießen wir eben auf das andere“, murrte der Profos.

Der Wikinger ließ sein dröhnendes Lachen hören und konnte sich kaum beruhigen.

Der Seewolf nahm die beiden beiseite.

„Ihr habt gesehen, daß wir das Wrack abgebrannt haben. Die Fahrrinne muß so schnell wie möglich frei werden, und daher haben wir heute in aller Frühe damit angefangen. Schon morgen können die ersten Spanier hier auftauchen, und dann sitzen wir in der Falle. Um die Arbeit zu erleichtern, haben wir beschlossen, die Überreste der Galeone mit den Culverinen zu befeuern. Was danach noch übrigbleibt, werden wir von Hand abwracken. Dazu brauche ich jeden Mann, denn es ist eine Knochenarbeit, die uns verdammt lange aufhalten wird. Wir haben gestern ja schon darüber gesprochen.“

„Selbstverständlich schicken wir alle Männer herüber“, versprach Siri-Tong sofort.

Thorfin nickte nur, das war für ihn ebenso selbstverständlich, denn schließlich wollten sie ja auch die Schlangen-Insel wieder verlassen.

Die Korsarin sah den Seewolf wieder mit einem ihrer unergründlichen Blicke an, die Hasard immer eine leichte Gänsehaut über den Rücken jagten.

„Was ist mit den Schätzen?“ fragte sie. „Wenn früher oder später einmal Spanier auf die Insel gelangen, kann der Zufall sie zum Schlangentempel führen. Es wäre nicht auszudenken, wenn sie das viele Gold und Silber fänden.“

Hasard lachte stoßartig auf. „Mehr wäre den Dons wirklich nicht zu gönnen. Kampflos hätten sie ihre Schätze zurück, die wir ihnen so mühsam abgejagt hatten. Nein, wir müssen ein anderes Versteck suchen, eins, das nicht entdeckt werden kann, denn unsere Reise wird lange dauern.“

„Du gehst nicht von diesem Gedanken ab, das fremde Land zu suchen, Hasard?“ fragte sie.

Sie sah es schon an seinen Augen, daß er dieses Vorhaben nicht mehr aufgeben würde.

„Nein“, sagte er hart, „ich suche es und ich werde es auch finden, selbst wenn du mir nicht dabei hilfst.“

„Ich habe dich oft genug davor gewarnt, Seewolf“, sagte sie leise.

„Ich weiß! Aber was ich mir einmal in den Kopf gesetzt habe, das führe ich auch durch.“

„Ja, so bist du!“ Sie seufzte und wechselte wieder abrupt das Thema, wie es ihre Art war.

 

„Ich kenne hier noch ein Versteck“, sagte sie. „Es liegt auf der anderen Seite in den Felsen, und es ist ein beschwerlicher Weg dorthin. Dort wären die Schätze aber einigermaßen in Sicherheit.“

„Einigermaßen hilft uns nicht viel. Sie müssen absolut sicher vor jedem fremden Zugriff sein.“

Hasard sah die Männer an, die darauf warteten, daß er endlich den Befehl zum Feuern erteilte. Er drehte sich um.

„Ich werde nachher in den Schlangentempel gehen“, sagte er. „Dort muß ich mir erst einen Überblick verschaffen, wie groß die Beute genau ist. Selbst wenn alle mit anpakken, werden wir es nicht in einem Tag schaffen, schon gar nicht über die Felsen auf die andere Seite.“

„Darf ich mitkommen?“ fragte sie zaghaft.

Unbewußt blickte er in ihre rote Bluse, die am Hals zwei Knöpfe offenstand und in ein Tal mit zwei sanften Hügeln wies. Er nickte, zuckte dann aber zusammen, denn die Stimme des Profos ging ihm durch Mark und Bein.

„Hoffentlich bist du Läuseknacker gleich von den Kanonen verschwunden!“ schrie der Profos. „Nun seht euch diesen kleinen Affenarsch an! Steht da mit glimmender Lunte bei der Culverine und lauert darauf, sie abzufeuern.“

Der „Läuseknacker“ war kein anderer als Bill, der schmächtige Schiffsjunge mit dem pfiffigen Gesicht. Er hatte tatsächlich eine glimmende Lunte in der Hand und stand neben der Culverine, die auf das Wrack ausgerichtet war.

Beim Klang der Donnerstimme zuckte er zusammen. Sein Gesicht lief knallrot an.

„Ich dachte doch nur, Sir …“ stammelte er kläglich. „Schließlich bin ich doch …“

„Ein Affenarsch bist du, ein ganz …“

„Profos“, mahnte der Seewolf sanft, „wir haben eine Lady an Bord. Ich bitte um Mäßigung.“

„Aye, aye, Sir, wir haben eine Lady an Bord“, stotterte der Profos verwirrt.

Aber er sah Hasard lächeln, und außerdem nahm die Rote Korsarin solche Worte nicht weiter krumm. Ihre Kerle nahmen erst recht kein Blatt vor den Mund, im Gegensatz zu ihnen wirkten die Seewölfe wie anständige Chorknaben.

„Und außerdem“, sagte Hasard ebenso sanft, „weshalb sollte unser Kleiner nicht auch einmal eine Kanone abfeuern? Hier kann er keinen Schaden anrichten, aber er lernt damit umzugehen. Und du kennst ja meinen Grundsatz, Ed: Man kann nie genug lernen, und man kann nie früh genug damit anfangen. Also zeige es ihm, und laß ihn auch mal feuern! Ihr könnt anfangen!“

„Aye, aye, Sir!“ sagte der Profos.

Er nahm den Bengel am Kragen und baute ihn vor der Culverine auf. Seine Stimme war sehr leise, und immer wieder drehte er sich verstohlen nach dem Seewolf um.

„Hör zu, du lausiger Affenarsch“, flüsterte er. „Wenn ich deinetwegen noch mal einen Anschiß kriege, dann, dann werde ich dir die Haut von deinem Affenarsch in Streifen abziehen und sie im Großmars zum Trocknen aufhängen. Hast du das kapiert, du Laus?“

„Aye, Sir“, schluckte der Bengel, der Bill hieß. Dann raffte er seinen ganzen Mut zusammen und sah den riesengroßen Profos treuherzig an.

„Sir, ich habe mal gehört, daß Sie das nicht immer so meinen, wie Sie das sagen. Ich meine mit dem Affenarsch und so. Die anderen sagen immer, Sie hätten in Wirklichkeit ein weiches Herz.“

Dem Profos verschlug es heute zum wiederholten Mal schlichtweg die Sprache.

Er stemmte die mächtigen Arme in die Hüften, schob sein gewaltiges Rammkinn vor und sah den Bengel drohend an.

„Da hast du dich aber gewaltig verhört, du Rotznase. In Wirklichkeit habe ich ein Herz aus Eisen, so hart wie ein Anker. Und wenn du jetzt vorbeischießt und das Wrack nicht triffst, dann werde ich dir deinen lausigen … Ach was, der Teufel holt dich dann von ganz allein. So, und jetzt ’raus damit! Halt die Lunte an das Zündloch, du Spund! Tiefer!“ brüllte er. „Und hast du dich auch verdammt noch mal überzeugt, daß die Kanone richtig ausgerichtet ist, was, wie?“

„Ja, Sir, das habe ich.“

Mit stolzgeschwellter Brust hielt der Bengel die Lunte an das Zündloch, bis der Funke sich auf das Zündkraut fraß.

Das Pulver ging hoch, vor das Rohr legte sich eine dichte Wolke, und die schwere Culverine ruckte auf ihren Holzrädern zurück, bis sie von den Brooktauen aufgefangen wurde.

„Treffer!“ schrie der Bengel begeistert. „Ich hab getroffen, Mann, ich hab getroffen!“

Seine Augen leuchteten, seine magere Brust hob sich stolzgeschwellt, und er sah sich nach allen Seiten um.

„Dein Glück“, sagte der Profos nur. „Ich habe es auch nicht anders erwartet.“

Unter der Wasserlinie des Wracks schlug es noch mehrmals ein. Das Holz knirschte, zerfetzte, Trümmer flogen durch das Wasser. Ein Siebzehnpfünder nach dem anderen haute den Rest des Wracks zusammen und verwandelte es in Kleinholz.

Für die Seewölfe war das nichts weiter als eine Spielerei, die ihnen später eine Menge Zeit ersparen würde. Aber für den Bengel war es eine Heldentat. Er ganz allein hatte die Culverine geladen und abgefeuert. Und er hatte getroffen. Das erfüllte ihn mit einem niegekannten Stolz.

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