Geschichte meines Lebens

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Achtunddreißigster Brief.

Köln, 26. Prairial, Jahr VII. (Juni 99).

„Du bist traurig, meine gute Mutter, ich bin es auch und zwar über Deinen Schmerz; denn was mich betrifft, ich habe Muth und habe mir immer gesagt, daß ich über die Liebe meine Pflicht nicht vergessen dürfte. Aber gegen Deine Leiden habe ich keine Stärke! ich sehe, daß Dein Dasein durch unaufhörliche und übermäßige Besorgniß vergiftet ist. Mein Gott! Du bereitest Dir selbst die schrecklichsten Wahnbilder. Oeffne doch die Augen, liebe Mutter, und überzeuge Dich, daß das Alles nicht so düster ist. Was geschieht denn auch? Ich reise nach Thionville, einer Stadt im Innern des Landes, wo es so ruhig wie möglich ist; die Zuneigung und der Schutz meines Generals folgen mir und er empfiehlt mich dem Eskadron-Chef. Ich kann mich von dort nur auf seinen Befehl entfernen und habe also gar nicht die Freiheit jene Zufälle herauszufordern, welche Du für mich fürchtest [Er betrog sie und mußte sie betrügen.]. Könnte ich Dich doch auf einige Zeit in einen Husaren verwandeln, damit Du sähest, wie leicht das ist, und welche Fülle von Sorglosigkeit dieser Kleidung angehört. Weißt Du, wie ich Köln verlassen werde? In Thränen vielleicht? Nein, die muß ich verschlucken, um mich in den Lärm eines Festes zu stürzen. Als ich den Freunden meine nahe Abreise anzeigte, riefen sie Alle: „Wir wollen ihm ein Ehrengeleit geben; in seinem ersten Quartier wollen wir uns betrinken, um uns im Rausche von einander zu trennen, denn mit vollem Bewußtsein fiele uns das zu schwer.“ Um dies in's Werk zu setzen, werden drei Kabriolets, zwei andere Wagen und fünf Sattelpferde ausgerüstet, die mich nach Bonn begleiten sollen. Ich werde nicht allein durch unsere Tischgesellschaft escortirt, auch ein junger Offizier der leichten Infanterie, ein liebenswürdiger Pariser, der eine ausgezeichnete Erziehung genossen hat. Maulnoir, die Sekretaire des Generals, ein Magazin-Aufseher und ein junger Adjutant des Platz-Kommandanten begleiten uns; letzterer wird der fröhlichen Gesellschaft einiges Ansehen verleihen und wird sie bei dem Lärm, den sie zu machen gedenkt, vor Arretirungen sichern. Es ist doch wirklich sehr angenehm beliebt zu sein, und Du siehst wohl, daß Reichthum und Rang nichts dazu thun. Die Zuneigung beachtet so etwas nicht, besonders in der Jugend, welche die Zeit wirklicher Gleichheit und brüderlicher Freundschaft ist. „Bis jetzt beläuft sich meine Gesellschaft auf etwa zwanzig Personen; aber mein Gefolge vermehrt sich mit jedem Augenblick durch neue Gäste. Diese Stadt ist der Vereinigungspunkt aller Beamten des linken Flügels der Donau-Armee, unter denen sich eine Menge liebenswürdiger junger Leute befinden. Ich bin mit Allen bekannt. Wir schwimmen miteinander, wir fechten, wir spielen Ball, und da ich der Gefährte ihrer Freuden bin, wollen sie nicht, daß ich sie ohne feierliches Lebewohl verlasse. Der Postmeister sogar, ein junger, liebenswürdiger Mann, will sich dabei betheiligen und uns umsonst Wagen und Kabriolets liefern. Ich werde würdevoll zu Pferde sitzen — und wenn Alexander einen ruhmvollen Einzug in Babylon hielt, so glaube ich, daß ich in Bonn einen fröhlichen halten werde.“

Zehntes Kapitel.
Fortsetzung der Briefe. — Das Geleit. — Thionville. — Die Ankunft beim Depot. — Wohlwollen der Offiziere. — Der Fourier als Lehrer feiner Sitten. — Der erste Grad. — Eine fromme Lüge.
Neununddreißigster Brief.

2. Messidor. Jahr VII. (Juni 99).

„Meine liebe Mutter! ich habe Köln verlassen, wie ich es Dir vorhergesagt hatte, in Begleitung von Wagen und Pferden, die eine lärmende, ausgelassene Jugend trugen. Der Zug wurde durch Maulnoir und Leroy, Adjutanten des Generals angeführt. Ich ritt zwischen ihnen, Patrontasche und Karabiner auf dem Rücken und mein ungarisches Roß war nach Husarenweise aufgezäumt. Wo wir vorüberkamen, traten die Wachen unter's Gewehr und wer diese Federbüsche im Winde wehen, diese Wagen dahinrollen sah, dachte gewiß nicht, daß es sich um das Geleit eines gewöhnlichen Soldaten handelte.

„Statt nach Bonn zu gehen, wie wir uns erst vorgenommen hatten, verließen wir die Straße und wendeten uns nach Brühl, einem prächtigen Schlosse, das früher die gewöhnliche Residenz des Kurfürsten war. Dieser Ort war zur Feier des Abschiedes viel passender als Bonn. Erst frühstückte die lustige Bande und dann wurde das Schloß besehen. Es ist eine Nachahmung von Versailles; in den verfallenden Gemächern befinden sich noch schöne, mit Fresken verzierte Plafonds; die Treppe ist breit und hell, wird durch Kariatiden getragen und ist mit Bas-Reliefs geschmückt. Aber trotz aller Pracht trägt das Ganze den unauslöschlichen Stempel des schlechten deutschen Geschmacks. Wenn sie uns copiren, können sie das Uebertreiben nicht lassen, und beschränken sie sich darauf nur nachzuahmen, so wird es eine Nachäfferei. Ich habe mich lange mit dem Jägeroffizier, der so wie ich für die Künste schwärmt, in dem Palast herumgetrieben.

„Nachher haben wir uns mit der Gesellschaft im Parke vereinigt und nachdem dieser in allen Richtungen durchstreift war, entschlossen wir uns Ball zu schlagen. Wir waren auf einem schönen Rasenplatze von einer prächtigen Hecke umgeben und das Wetter war köstlich. Jeder warf den Rock ab, streckte die Nase in die Luft, verfolgte den Ballon mit den Augen und mühte sich ab nach Herzenslust, bis sich, am Ende einer dunkeln Allee, die Vorbereitungen zum Bankett sehen ließen. Nun wurde das Spiel verlassen. — Alle liefen so schnell sie konnten dem Tische zu und die kleinen Pastetchen wurden verschlungen, noch ehe sie aufgetragen werden konnten. Nach dem Essen, das von Zärtlichkeiten und Thorheiten begleitet war, mußte ich in die Rinde eines großen Baumes, der unsere Mahlzeit beschattet hatte, ein Jagdhorn, einen Säbel und die Anfangsbuchstaben meines Namens einschneiden. Kaum war ich damit fertig, als die Andern ihre Namen ringsumher einschnitten mit der Devise:, unsere Sehnsucht folgt ihm.“ Dann wurde ein Kreis um den Baum gebildet, man begoß ihn mit Wein, man trank in der Runde aus meinem Tschako, den man „die Schale der Freundschaft“ nannte. Als es spät wurde, führten sie mir mein Pferd zu, umarmten mich, ehe ich dasselbe bestieg, umarmten mich abermals, als ich darauf saß, und so verließen wir uns mit thränenden Augen. Ich ritt schnell von dannen und hatte die Kameraden bald aus den Augen verloren.

„Und nun bin ich allein und reite traurig vorwärts auf der Straße nach Bonn; habe mit einem Schlage meine Freunde und meine Geliebte verloren und finde das Ende des Tages ebenso düster, als sein Anfang glänzend gewesen war. Sicherlich ist dies Abschiednehmen in der Betäubung, der Lustigkeit das Schmerzlichste von Allem. Man waffnet sich nicht mit Muth, die Betrachtungen, die uns Kraft und Muth einflößen könnten, werden zurückgedrängt; man setzt sich zu einem Gastmahl nieder, das ein Bild dauernder Vereinigung ist — und plötzlich findet man sich allein und niedergeschlagen, wie beim Erwachen aus einem Traume ...

„Lebe wohl, meine geliebte Mutter, ich umarme Dich und setze meine Reise fort.“

Vierzigster Brief.

Thionville, den 14. Mezzidor, Jahr VII. (Juli 1799).

„Oh, meine gute Mutter, höre doch endlich und für immer auf Dich zu ängstigen — ich bin ja glücklich! Hier wie überall gestaltet sich für mich Alles nach Wunsch. Als ich die Stadt betrat, fing ich damit an, in den Laden eines Friseurs zu fallen. Mein Pferd lag vor der Thür und ich lag im Hause, hatte mir aber, wie gewöhnlich, nicht den geringsten Schaden gethan und stand noch schneller auf als mein Pferd. So betrachtete ich denn dies Ereigniß als eine gute Vorbedeutung und stieg wieder auf mein Roß, das auch nicht den geringsten Schaden gelitten hatte.

„Ich komme in's Quartier und begebe mich zum Quartiermeister Boursier, der mich mit seiner gewöhnlichen Lustigkeit und Freimüthigkeit empfängt und umarmt. Er sagt mir, daß die Briefe des Generals noch nicht angelangt sind, aber daß ich mich ganz dazu eigne, mich selbst vorzustellen und zu empfehlen, und darauf führt er mich zum Kommandanten des Depots, der Dupré heißt. Er ist ein Offizier des alten Régime und erinnert mich an unsern Freund la Dominière. Ich sage ihm, wer ich bin und woher ich komme; er umarmt mich ebenfalls, ladet mich zum Abendessen ein, erlaubt mir nicht in der Kaserne zu schlafen und sagt: er hoffe, ich würde mit den Offizieren leben. Und so esse ich denn auch wirklich alle Tage in ihrer und des Kommandanten Gesellschaft.

Meine Tage bringe ich bei dem Quartiermeister zu und schreibe Dir jetzt in seinem Büreau. An unserm Tische haben wir einen andern jungen Rekruten, der so wie ich, gemeiner Jäger ist; er gehört zu einer der ersten Familien in Lüttich; er spielt die Geige wie Gumino oder Maëstrino, ist überdies klug und liebenswürdig, und der Kommandant, der selbst die Flöte spielt und für Musik schwärmt, liebt ihn sehr, denn er schätzt Talente und gute Erziehung. Ich glaube, daß diese Art von Auszeichnung am meisten zur Vernichtung der Privilegien beitragen wird, die mit vollem Rechte abgeschafft sind und daß die Gleichheit, die unsere Philosophen erträumen, erst dann möglich wird, wenn alle Menschen so viel Bildung erhalten haben, daß sie für einander umgänglich und angenehm sind. Du erschrakst bei dem Gedanken mich als Soldat zu sehen, weil Du meintest, daß ich mich gezwungen sehen würde mit ungebildeten Leuten zu leben.

„Aber glaube nur, es giebt nicht so viele ungebildete Leute, als man sich gewöhnlich denkt; es kommt viel auf die Anlagen an und die beste Erziehung kann oft die von Natur rohen und ungefälligen Menschen nicht umgestalten. Ich glaube sogar, daß der äußere Anstrich von Politur solchen Charakteren nur dazu dient noch verletzender zu werden, weil sie nicht auf die Entschuldigung fehlender Erziehung Anspruch machen können. So würde ich lieber mit einigen Rekruten zusammenleben, die eben vom Pfluge kommen, als mit Herrn von Caulaincourt und das Benehmen unserer Berry'schen Bauern gefällt mir besser, als das gewisser deutscher Freiherrn. Die Albernheit ist überall unerträglich, der Gutmüthigkeit dagegen kann man Alles verzeihen. Aber ich gestehe, daß ich mich im Umgange mit ungebildeten Menschen nicht lange wohl fühle. Der Gedankenmangel bei Anderen erweckt in mir ein solches Verlangen darnach, daß ich krank davon werden könnte. In dieser Beziehung hast Du mich verwöhnt und wenn ich nicht das Rettungsmittel der Musik gehabt hätte, die mich immer so entzückt, daß ich Alles darüber vergesse, so wäre ich in einigen unvermeidlichen Gesellschaften vor Langerweile gestorben. Was nun Deinen Kummer betrifft, so siehst Du wohl, daß er nicht gegründet ist und daß ich überall liebenswürdige Menschen finde, die mir freundlich entgegenkommen und die mit Deinem Soldaten auf dem vertraulichsten Fuße leben. Der Name eines Enkels vom Marschall von Sachsen, dessen ich mich nie rühme, unter welchem ich aber überall angekündigt und empfohlen werde, ist sicherlich zu meinen Gunsten und ebnet meinen Weg. Er legt mir aber auch eine gewisse Verantwortlichkeit auf und wäre ich ein Tropf oder ein unverschämter Mensch, so würde mich meine Geburt nicht entschuldigen, sondern mich noch unausstehlicher und verdammungswürdiger erscheinen lassen.

 

„Unser Werth liegt also in uns selbst, oder vielmehr in den Grundsätzen, welche uns die Erziehung gegeben hat. Und wenn ich etwas werth bin, wenn ich einige Zuneigung einflöße, so kommt es daher, daß Du, meine gute Mutter, Dir so viel Mühe gegeben hast, damit ich Deiner würdig sein möchte.

„Füge nun noch hinzu, daß mein Glücksstern mich unter die liebenswürdigsten Menschen geführt hat; — das Dragoner-Regiment Schomberg zum Beispiel, das jetzt auch hier ist, gleicht dem meinigen nicht im Geringsten. Seine Offiziere sind sehr hochmüthig und halten auch die gebildetsten jungen Leute in gewisser Entfernung, sobald sie nicht Offiziersrang haben. Bei uns findet gerade das Gegentheil statt; wenn wir unseren Offizieren gefallen, sind sie unsere Kameraden und Genossen; wir gehen Arm in Arm mit ihnen; sie trinken mit uns Bier — und sobald sie und wir in unserm Berufe thätig sind, finden sie uns um so gehorsamer und ehrfurchtsvoller.

.„Mein Brigadier und mein Wachtmeister erweisen mir hundert Aufmerksamkeiten und hätscheln mich, als ob ich ihr Vorgesetzter wäre — obgleich gerade das Gegentheil stattfindet. Sie haben das Recht mir zu befehlen und mich in Arrest zu schicken und doch bedienen sie mich, als ob sie meine Reitknechte wären. Bei den Uebungen habe ich immer das beste Pferd und diese guten Leute führen es mir gezäumt und gesattelt zu, es fehlt nicht viel, so hielten sie mir auch den Steigbügel. Sobald das Exerzieren vorüber ist, nehmen sie mir das Pferd wieder ab und wollen nicht, daß ich mich weiter darum kümmere; dabei sind sie so drollig, daß ich mit ihnen lache wie ein Buckliger. Mein Fourier ist ein Mann von strengen Erziehungsgrundsätzen, der bei seinen Rekruten den Deschartres spielt. Es sind gute Bauerssöhne, denen er mit Gewalt feine Sitten beibringen will. Er erlaubt ihnen nicht mit Steinen Beilke zu spielen, „weil das zu sehr nach dem Dorfe schmeckt;“ auch bekümmert er sich um ihre Sprache. Gestern kam Einer und meldete: „die Pferde sind alle mitsammen gesattelt.“ — „Wie,“ sagte er mit zornigem Tone, „habe ich Euch nicht hundertmal gesagt, daß es nicht mitsammen heißt? Man sagt ganz einfach: Fourier, wir sein fertig! übrigens thue ich schonst selber nachsehen,“ und mit dieser guten Lehre ging er von dannen.“

Zweiundvierzigster Brief.

Thionville, den 20. Messidor. Jahr VII. (Juli 1799).

„Wenn ich lesen könnte, sagt Montauciel, so wäre ich seit zehn Jahren Brigadier. Aber ich, meine gute Mutter, der ich lesen und schreiben kann, bin auf Befehl des Generals zu dieser Würde befördert; und so bin ich thätig in meinem Berufe an der Spitze meiner Compagnie, die sich mit gezogenem Säbel aufstellen mußte, um zu vernehmen, daß sie mir in Allem, was ich befehlen würde, zu gehorchen hätte. Seit diesem ruhmvollen Tage trage ich zwei Tressen auf meinem Aermel und bin Anführer einer Rotte, das heißt von vierundzwanzig Mann, deren Haltung und Frisur ich zu überwachen habe. Dafür habe ich nun aber auch keinen Augenblick für mich; von 6 Uhr Morgens bis sechs Uhr Abends bleibt mir nicht Zeit zum Niesen.

„Unsere Trennung ist schmerzlich, aber ich war es mir selber schuldig eine Anstrengung zu machen, um mich diesem an Freuden reichen Leben zu entreißen, in welchem ich durch meine Sorglosigkeit und meine natürliche Trägheit ganz zum Egoisten geworden wäre. Du liebtest mich so sehr, daß Du es vielleicht nicht bemerkt hättest — und während ich nur das Glück hinnahm, das Deine Güte mir bereitet hatte, glaubtest Du, daß Dein Glück mein Werk wäre, und so wäre ich undankbar geworden, ohne es zu wissen und zu bemerken. Aber ich mußte meiner Nichtigkeit, durch mächtige äußere Verhältnisse entrissen werden — worin gewiß etwas Fatalistisches liegt. Dies Verhängniß, das schwache und furchtsame Seelen niederschlägt, ist das Heil Derer, die sich ihm fügen. Christine von Schweden hatte den Wahlspruch: “Fata viam inveniunt“ (das Schicksal bereitet mir den Weg) — ich ziehe Rabelais' Motto vor: „Ducunt volentem fata, nolentum trahunt!“ (das Schicksal leitet die Willigen und reißt die Widerstrebenden fort). Du sollst sehen, daß ich meinen Beruf gefunden habe. In Revolutionszeiten ist's immer das Schwert, das die Schwierigkeiten löst, und wir sind jetzt im Kampfe mit den Feinden, um unsere geistigen Eroberungen zu vertheidigen. Unsere Säbel werden Recht behalten und Deine Freunde, liebe Mutter, Voltaire und Rousseau sind jetzt beweinenswerth. Wer hatte meinem Vater vorausgesagt, als er mit Jean Jacques plauderte, daß er einen Sohn haben würde, der weder General-Pächter, noch General-Einnehmer, weder reich, noch schöngeistig, nicht einmal sehr philosophisch sein, aber halb gezwungen, halb freiwillig als Soldat im Dienst einer Republik stehen würde und daß diese Republik Frankreich wäre? So werden die Ideen zu Thatsachen und führen weiter, als man vermuthet.

„Leb' wohl, meine liebe Mutter; nach diesen schönen Betrachtungen werde ich den Pferden Hafer geben oder das entfernen lassen, was er hervorbringt.

Vierundvierzigster Brief.

Thionville, den 13. Fructidor, Jahr VII. (Sept. 99).

„Noch immer in Thionville, meine liebe Mutter! von vier Uhr Morgens bis acht Uhr Abends findest Du mich zu Fuße und zu Pferd exerzierend und in meiner Eigenschaft als Brigadier muß ich bei allen diesen Uebungen als Hintermann dienen. Wenn ich Abends heimkehre, bin ich ganz ermüdet und habe tagsüber den Musen, den Spielen und den Freuden nicht einen Augenblick schenken können. Die hübschesten Partien muß ich versäumen, die hübschesten Frauen vernachlässigen — die Musik ruht fast ganz ... ich bin Brigadier im vollen Sinne des Wortes; ich versenke mich in die Taktik, ich bin ganz erstarrt, mich als ein Muster von Pünktlichkeit und Thätigkeit zu sehen und das Drolligste bei der Geschichte ist, daß ich Geschmack daran finde und mich nach meinem freien, leichten Leben nicht zurücksehne.

„Wie gut Du bist so für das kleine Haus zu sorgen. Ach! wenn Dir alle Mütter glichen, wäre ein undankbarer Sohn nur ein erdachtes Ungeheuer.

„Das Geld habe ich bekommen und habe Alles bezahlt; meine Angelegenheiten sind vollständig in Ordnung, das heißt, ich habe keinen Sou mehr, aber ich bin auch Niemandem etwas schuldig. Du brauchst mir also vor Ende des Monats nichts zu schicken; ich habe hier überall Kredit und es fehlt mir an Nichts. Lebe wohl, meine gute Mutter; ich liebe Dich von ganzer Seele und umarme Dich, wie ich Dich liebe. Meine Grüße an Vater Deschartres und an meine Bonne.“

Dieser letzte Brief, der von Thionville aus datirt ist, wurde in Colmar geschrieben. Den Grund dieser frommen Lüge wird der folgende Brief erklären.

Elftes Kapitel.
Fortsetzung der Briefe. — Erste Betheiligung am Feldzuge. — Der erste Kanonenschuß. — Uebergang über die Linth. — Das Schlachtfeld. — Eine gute That. — Glarus. — Zusammentreffen mit Herrn von Latour d'Auvergne am Bodensee. *) — Ordener. — Brief meiner Großmutter an ihren Sohn. — Das Rheinwaldthal. —

*) [Wahrscheinlich ein Irrthum der Verfasserin. Richterswyl liegt am Züricher-See. Anmerk. d. Uebers.]

Fünfundvierzigster Brief.

Weinfelden, Kanton Thurgau, den 20. Vendémiaire, Jahr VII (Oct. 1799).

„Heute kann ich von großen und glücklichen Erfolgen erzählen, von einem Haufen Lorbeern, von Ruhm und Siegen! Die Russen sind innerhalb zwanzig Tagen aus der Schweiz vertrieben; unsere Heere sind im Begriff, in Italien einzudringen; die Oestreicher sind auf das andere Rheinufer zurückgedrängt. Und Dein Sohn, meine gute Mutter, hat Theil an diesem Ruhme und hat in der Zeit von vierzehn Tagen drei Schlachten mitgemacht. Er trinkt, er lacht, er singt und springt drei Fuß hoch vor Freude, wenn er bedenkt, daß er Dich im künftigen Januar in Nohant umarmen, und den kleinen Lorbeerzweig, den er verdient haben könnte, in Deinem kleinen Stübchen, zu Deinen Füßen niederlegen wird.

„Ich sehe Dich erstaunt, verwirrt über diese Sprache und Du hast hundert Fragen an mich zu richten, tausend Erklärungen zu verlangen: Du willst wissen, auf welche Art ich in die Schweiz gekommen bin und warum ich Thionville verlassen habe. Ich werde dies Alles beantworten und Dir die Verhältnisse und Gründe auseinandersetzen, die meine Schritte geleitet haben. Nur die Furcht, Dich unnöthig zu beunruhigen, hat mich verhindert, Dich früher von Allem zu unterrichten.

„Ich bin nun einmal Soldat und will diese Laufbahn verfolgen. Mein guter Stern, mein Name, die Art und Weise, wie ich mich eingeführt habe, Deine Ehre und die meinige — Alles verlangt, daß ich mich gut aufführe und die Protection, die mir zu Theil wird, zu verdienen suche. Du wünschest vor Allem, daß ich nicht in der Menge verborgen bleibe, sondern Offizier werde. Nun wohl! meine gute Mutter, es ist jetzt eben so unmöglich, im französischen Heere Offizier zu werden, ohne im Kriege gewesen zu sein, als es im 15. Jahrhundert unmöglich gewesen wäre, einen Türken zum Bischof zu machen, ohne ihn zu taufen. Diese Ueberzeugung mußt Du durchaus gewinnen! Wer jetzt als Offizier zu irgend einem Corps käme, ohne das Feuer der Batterien gesehen zu haben, würde, er möchte sein, wer er wollte, zum Stichblatt und zur Zielscheibe des Spottes werden; und wenn ihn seine Kameraden aus Rücksicht auf seine Talente verschonten, würden ihn seine Soldaten, die keine Begabung als den physischen Muth zu schätzen wissen, um so mehr verhöhnen. Ueberzeugt also, daß man den Krieg mitmachen muß, einestheils um Offizier zu werden, und anderntheils um mit Ehren Offizier zu sein, sagte ich mir gleich zu Anfang, daß ich mich so bald als möglich am Feldzuge betheiligen müßte. Oder glaubtest Du etwa, ich hätte Nohant verlassen, um in den Garnisonen den Liebenswürdigen und im Hauptquartier den Beschäftigten zu spielen? Nein, ich habe sicherlich immer vom Kriege geträumt, und wenn ich Dir in dieser Beziehung etwas vorgelogen habe, so verzeihe mir, meine gute Mutter! Du selbst hast mich durch Deine zärtlichen Sorgen dazu gezwungen.

„Sobald die Feindseligkeiten wieder begannen und ehe mir der General vorschlug, ihn zu verlassen, hatte ich ihn um die Erlaubniß gebeten, mich zu dem Kriegsheere begeben zu dürfen. Zuerst nahm er diesen Vorschlag mit Freuden an; aber später hatten ihn Deine Briefe gerührt und er fürchtete, Dir zu mißfallen, indem er so die Verantwortlichkeit für mein Geschick übernähme; er ließ mich also zurückkommen und gab mir den Befehl, in's Hauptquartier zu gehen, weil Du nicht wünschtest, daß ich den Krieg mitmache. Aber als ich ihm vorstellte, daß alle Mütter in dieser Beziehung mehr oder weniger Dir ähnlich wären, und daß in diesem einzigen Falle der Ungehorsam erlaubt, ja sogar Pflicht wäre, gab er mir Recht.

„Gehen Sie in's Hauptquartier, sagte er mir; von dort aus mögen Sie sich dann dem ersten Detachement anschließen, das zur Kriegsarmee abgeht. Ihre Frau Mutter wird mir dann keine Vorwürfe zu machen haben, denn Sie werden Ihrer eignen Eingebung folgen.

 

„Sobald ich nach Thionville komme, ist nun meine erste Sorge, danach zu fragen: ob nicht bald ein Detachement abgeht; ich konnte meine lebhafte Ungeduld, zur Armee zu stoßen, nicht verbergen und warte in großer Angst einen Monat lang. Endlich wird ein Detachement gebildet; ich gehöre dazu und exerziere alle Tage mit demselben. Mit den ältesten Jägern spreche ich vom Kriege; sie sehen, wie sehr ich verlange, ihre Anstrengungen, ihre Arbeiten und ihren Ruhm zu theilen — und darin, meine gute Mutter, liegt vielmehr das Geheimniß ihrer Zuneigung für mich, als in dem Bewillkommnungstrunke, den ich für sie bezahlt habe. Endlich war der Tag des Abzugs bestimmt — wir hatten nur noch acht Tage zu warten. — Dir schrieb ich allerhand Possen, aber konntest Du glauben, daß ich mich für die Wartung und Fütterung der Pferde interessiren würde, wenn ich nicht die Absicht gehabt hätte, in den Krieg zu ziehen?

„Aber im Augenblick, als ich es am wenigsten erwartete, erhielt ich einen Brief vom General, worin er mir — in sehr freundlichen, aber doch sehr bestimmten Worten sagt — er wolle, daß ich bis auf wettern Befehl im Hauptquartier bleibe. Nun sieh, welche häßliche Rolle er mich spielen ließ! wie sollte ich dem ganzen Regimente erklären und beweisen, daß mein Zurückbleiben nicht meine Schuld war? Ich war in Verzweiflung und zeigte den unheilvollen Brief allen meinen Freunden. Die Offiziere sahen wohl meine Knechtschaft und meinen Schmerz — aber der Soldat, der nicht lesen kann und nicht viel nachdenkt, glaubte nicht daran. Hinter meinem Rücken hörte ich sagen: „„ich wußte wohl, daß er nicht mitziehen würde; die Kinder vornehmer Häuser fürchten sich und wer Protectionen hat, geht nie in den Krieg.““ Der Schweiß lief mir von der Stirn, ich betrachtete mich als entehrt; trotz der Anstrengung des Dienstes schlief ich nicht mehr; ich war zum Tode betrübt und schrieb Dir nur selten, wie Du bemerkt haben wirst. Wie sollte ich Dir dies Alles sagen? — Du hättest doch nicht daran geglaubt.

„In meiner Verzweiflung ging ich endlich zum Commandanten Dupré. Ich zeigte ihm den verdammten Brief und kündigte ihm an, daß ich entschlossen wäre, dem General ungehorsam zu sein; daß ich, wenn es nöthig wäre, vom Regiment desertiren wollte, um mich als Freiwilliger dem ersten besten Corps anzuschließen, daß ich meinen Rang als Brigadier verlieren wolle u.s.w., ich war wie verrückt. Der Kommandant umarmt mich und giebt mir Recht. Er hatte mich dem Brigadechef und mehreren Offizieren des Regimentes angekündigt und empfohlen und er sah wohl ein, daß, wenn ich nicht die Gelegenheit benutzte, mich in diesem Feldzuge auszuzeichnen, mein Fortkommen verzögert, vielleicht gestört sein würde. Er sagte mir, daß er es übernähme, mein Fortgehen beim General zu entschuldigen, und daß ich auch auf die Gefahr, seine Gunst zu verlieren — was übrigens nicht zu erwarten wäre — nicht zögern dürfte. Entzückt über diesen Beschluß, stieg ich am Morgen des Fortziehens mit dem Detachement zu Pferde; alle Offiziere umarmten mich und zur großen Verwunderung der Soldaten, begab ich mich mit ihnen auf den Weg in die Schweiz. Da ich Dir meinen Entschluß erst mittheilen wollte, wenn er durch die Bluttaufe des ersten Zusammentreffens mit dem Feinde geweiht wäre, schrieb ich Dir in Colmar, datirte den Brief jedoch aus Thionville und schickte ihn dem Virtuosen Hardy, der ihn auf die Post geben sollte. Unsere Reise dauerte zwanzig Tage, und nachdem wir den Kanton Basel durchstreift hatten, trafen wir im Kanton Glarus mit unserm Regimente zusammen. Hier sieht man jene spitzigen Berge, die von Tannenwäldern bedeckt sind, ihre Häupter tragen ewigen Schnee und ragen in die Wolken; man hört das Tosen der Waldströme, die sich von den Felsen herabstürzen und das Pfeifen des Windes in den Wäldern. Aber Hirtengesänge und Heerdengebrüll war nicht mehr zu finden. Alle Sennhütten waren schleunig verlassen — Alles war bei unserm Anblick entflohen und die Einwohner hatten sich mit ihren Heerden in's Innere des Gebirges zurückgezogen. In den Dörfern war kein lebendes Wesen, der ganze Kanton war ein Bild der Verödung; keine Frucht, kein Glas Milch war zu haben. Zehn Tage lang haben wir von dem schlechten Brote und dem noch schlechtern Fleisch gelebt, welches die Regierung liefert und die übrigen zehn Tage unseres Marsches haben wir uns von halb rohen Kartoffeln genährt — wir hatten nicht Zeit, sie gehörig zu kochen — und wenn wir's haben konnten, von etwas Branntwein.

„Am 3. Vendémiaire begannen die Feindseligkeiten; wir griffen den Feind, der sich hinter die Limmat und die Linth zurückgezogen hatte, auf allen Punkten an. Um drei Uhr Morgens wurde zum Angriff commandirt — ich hatte so viel vom Eindruck des ersten Kanonenschusses gehört! Ein Jeder spricht davon und keiner vermag die Wirkung zu beschreiben, aber ich habe mir von meinem Eindruck Rechenschaft gegeben und ich versichere Dich, daß er nichts Peinliches hatte, daß er im Gegentheil angenehm war.

„Denke Dir einen Augenblick feierlicher Erwartung und dann ein plötzliches, herrliches Losbrechen. Es ist der erste Bogenstrich, nachdem wir uns andächtig gesammelt haben, um die Ouvertüre zu hören. Und welche schöne Ouvertüre ist solche regelrechte Kanonade! Dieser Kanonendonner, diese Gewehrsalven, bei Nacht und inmitten von Felsen, die das Getöse verzehnfachen (Du weißt, ich liebe das Getöse), waren von zauberischer Wirkung! Und als die Sonne den Schauplatz erleuchtete und die Rauchwolken vergoldete, war es schöner, als in allen Opern der Welt.

„Beim Tagesanbruch verließ der Feind seine Stellung zur Linken und zog seine Kräfte zur Rechten bei Uznach zusammen. Wir wendeten uns dorthin. Die Cavalerie blieb in Schlachtordnung hinter der Infanterie, welche sich anschickte, den Fluß zu überschreiten, der uns vom Feinde trennte; unter seinem Feuer wurde eine Brücke geschlagen — es waren Russen, mit denen wir zu thun hatten und diese Leute schlagen sich wahrlich gut. Als die Brücke fertig war, rückten drei Bataillone vor, um sie zu überschreiten; aber kaum warm sie auf dem andern Ufer angelangt, als der Feind mit bedeutenden, uns weit überlegenen Kräften anrückte. Die Truppen, welche die Brücke überschritten hatten, warfen sich in Unordnung darauf zurück; die Hälfte war bereits wieder an das linke Ufer gelangt, als die Brücke, die zu sehr belastet war, zerbrach. Alle, die noch auf dem rechten Ufer waren, suchten nun, als sie die Brücke zerbrochen sahen, ihr Heil in einer verzweifelten Anstrengung: sie ließen die Russen bis auf zwanzig Schritt herankommen und richteten ein fürchterliches Blutbad unter ihnen an. Ich gestehe, daß ich trotz der Bewunderung, die mir die heldenmüthige Vertheidigung unserer Bataillone einflößte, geschaudert habe, als ich so viele Männer fallen sah. Ein Zwölfpfünder, den wir auf der Anhöhe hatten, unterstützte sie mit Erfolg. Die Brücke wurde schleunig wieder hergestellt, man eilte unsern tapfern Soldaten zu Hülfe und das Treffen war entschieden. Wenn die Brücke nicht gebrochen wäre, so hätte der Feind unsere Verwirrung benutzt und die Schlacht wäre verloren gewesen. Da ein sumpfiger Boden der Cavalerie nicht vorzuschreiten erlaubte, haben wir auf dem Schlachtfelde bivouakiren müssen. Um das Feldlazareth zu erreichen, mußten die Verwundeten durch unser Lager getragen werden und die großen Feuer, die wir angezündet hatten, verbreiteten eine Tageshelle. Hier hätte ich, nur für eine Stunde, die höchsten Beherrscher der Nationen neben mir sehen mögen — diejenigen, welche Krieg und Frieden in den Händen halten und sich nicht durch heilige Beweggründe, sondern durch feige persönliche Ursache zum Kriege bestimmen lassen, sollten dies Schauspiel zu ihrer Strafe immer vor Augen haben. Es ist fürchterlich und ich habe nicht geahnt, daß es mir so schmerzlich sein würde.