Geschichte meines Lebens

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Fortsetzung der Geschichte meines Vaters.

Ich habe meinen jungen Soldaten verlassen, als er von dem Fort Bard hinwegzog und um seine Lage dem Leser in's Gedächtnis, zurückzurufen, werde ich einige Bruchstücke eines Briefes mittheilen, den er aus Ivrea an seinen Neffen, René von Villeneuve, über die letzten Erlebnisse schrieb.

Aber erst muß ich sagen, wie mein Vater im Alter von einundzwanzig Jahren zu einem Neffen kam, der ein oder zwei Jahre älter als er und sein Freund und Waffenbruder war. Dupin von Francueil war sechszig Jahr alt, als er meine Großmutter heirathete. Er war erst mit einem Fräulein Bouillond verheirathet und hatte aus dieser Ehe eine Tochter, die sich mit Herrn von Villeneuve, dem Neffen der Frau Dupin von Chenonceaux vermählte und diese Frau von Villeneuve hatte zwei Söhne, René und August, die mein Vater immer wie seine Brüder liebte. Es läßt sich denken, daß sie ihn mit seiner Oheimswürde neckten, und daß er ihnen die Ehrfurcht erließ, auf die er als Onkel Anspruch machen konnte. Einst hatte eine Erbschaft Anlaß zu Streitigkeiten zwischen ihren Geschäftsführern gegeben und mein Vetter René erklärt mir jetzt die Sache folgendermaßen: „Die Advocaten riethen uns zum Proceß, den sie durch ihre Spitzfindigkeiten zu gewinnen glaubten. Es handelte sich um ein Haus und um 30,000 Franks, welche Herr von Rochefort, Enkel der Frau Dupin von Chenonceaux unserm lieben Moritz vermacht hatte. Aber Moritz, mein Bruder und ich antworteten den Herren: daß wir uns zu sehr liebten, um uns über irgend etwas zu streiten, daß wir ihnen jedoch, wenn ihnen etwas darauf ankäme, die Erlaubniß gäben, sich zu schlagen. Ich weiß nicht, ob sie sich diese Erlaubniß zu Nutze machten, aber unsere Familien-Zerwürfnisse waren damit beendigt.“

Diese drei jungen Männer waren jedenfalls gut und uneigennützig, aber ihre Zeit war auch besser als die, in welcher wir leben. Trotz der Gebrechen des Directoriums, trotz der Verwirrung der Ideen, war aus den Stürmen der Revolution etwas Ritterliches in den Gemüthern geblieben. Man hatte gelitten, man hatte sich daran gewöhnt sein Vermögen ohne feigen Jammer zu verlieren, es ohne die Freude des Geizigen wiederzugewinnen, und es ist gewiß, daß Unglück und Gefahr heilsame Prüfungen sind. Die Menschheit ist noch nicht so rein, daß sie Ruhe und materiellen Genuß ertragen könnte, ohne in das Laster der Eigensucht zu verfallen. Man würde jetzt nur wenige Familien finden, in denen die Seiten Verwandten, die auf eine zweifelhafte Erbschaft Anspruch machen, ihren Zwist beendigen, indem sie sich lachend, Angesichts ihrer Advocaten umarmen.

In dem Briefe, den mein Vater aus Ivrea an den ältesten seiner Neffen schrieb, schildert er wieder den Uebergang über den großen Bernhard und den Angriff auf die Festung Bard. Die Fragmente, die ich daraus mittheilen werde, beweisen, wie fröhlich und wie ganz ohne Eitelkeit man in jenem schönen Momente unserer Geschichte zu Werke ging.

„Ich komme an den Fuß eines Felsens, neben einen Abgrund, wo sich der Generalstab niedergelassen hatte. Ich stelle mich dem General vor, er empfängt mich, ich richte mich ein und bezeuge Bonaparte meine Hochachtung. Dieselbe Nacht bestehlt er den Angriff der Festung Bard. Ich befinde mich beim Stürmen, mit meinem General. [Dies „ich befand mich“ ist sehr hübsch. Wir haben gesehen, daß er ohne Pferd, ohne Befehl, des Vergnügens wegen dabei war.] Kugeln, Bomben, Granaten, Haubitzenkugeln sausen, rollen, donnern und platzen überall ... wir sind geschlagen, aber ich bin nicht verwundet.

„Wir umgehen nun die Festung und klettern über Felsen und Abgründe. Bonaparte klettert mit uns; mehrere Menschen fallen in die Schluchten; endlich steigen wir in die Ebene hinab, wo der Kampf im vollen Gange war. Ein Husar hatte ein schönes Pferd erbeutet, ich halte ihn an — und nun bin ich beritten, was im Kriege ziemlich nothwendig ist. Heute früh bringe ich einen Befehl an die Vorposten und finde die Wege mit Leichen besäet. Morgen oder diese Nacht giebt es eine geordnete Schlacht. Bonaparte ist nicht gedultig, er will durchaus vorwärts und wir Alle haben große Lust dazu.

„Wir verwüsten ein herrliches Land. Blutvergießen, Gemetzel, Entsetzen folgen unserer Spur und bezeichnen unseren Weg mit Leichen und Ruinen. Wir mögen uns noch so sehr vornehmen die Einwohner zu schonen, die Hartnäckigkeit der Oestreicher zwingt uns Alles niederzuschießen. Ich bin gewiß der Erste, der dies bejammert — und doch auch wieder der Erste, den diese verdammte Leidenschaft der Eroberungen und des Ruhmes erfaßt, so daß ich wünsche, wie möchten uns schlagen und vorwärts gehen.“

Erster Brief.

(Von Moritz an seine Mutter.)

Stradella, 21. prairial.

„Wir gehen vorwärts wie Teufel! gestern haben wir den Po überschritten und den Feind abgeprügelt. Ich bin sehr ermüdet ... und war immer zu Pferde, mit schwierigen und mißlichen Aufträgen belastet, habe mich aber ziemlich gut heraus zu ziehen gewußt. Sobald ich mehr Zeit habe, werde ich Dir die Einzelheiten mittheilen. Diesen Abend kann ich Dich nur noch umarmen und Dir sagen, daß ich Dich liebe.“

Zweiter Brief.

Im Hauptquartier zu Torre di Garofolo,

27. prairial VIII.

„Geschichtsschreiber, schneidet Eure Federn; Dichter, besteigt den Pegasus; Maler, nehmt die Pinsel zur Hand, Zeitungsschreiber, lügt nach Herzenslust niemals ist Euch schönerer Stoff geboten! Was mich betrifft, meine liebe Mutter, so will ich Dir die Dinge erzählen, wie ich sie gesehen habe, wie sie gewesen sind.

„Nach der ruhmvollen Affaire von Montebello kommen wir am 23. nach Voghera. Am folgenden Morgen um zehn Uhr brechen wir wieder auf, geführt von unserm Helden und gelangen um vier Uhr Nachmittags in die Ebene von San-Giuliano. Hier treffen wir den Feind, greifen ihn an, schlagen ihn und treiben ihn nach Bormida unter die Mauern von Alessandria. Die Nacht trennt die Kämpfenden. Der erste Consul und der General-en-chef quartieren sich in einem Pächterhofe zu Torre di Garofolo ein; wir strecken uns ohne Abendessen auf die Erde hin und schlafen. Am folgenden Morgen greift uns der Feind an; wir begeben uns auf das Schlachfeld und finden den Kampf im vollen Gange. Die Schlachtlinie zog sich wohl zwei Stunden lang hin. Das war ein Kanonendonner und Flintenkrachen, um taub zu werden! Die ältesten Krieger sagten, daß man den Feind noch nie mit solcher Artillerie gesehen hätte. Gegen neun Uhr wurde das Blutbad so arg, daß sich auf der Straße von Marengo nach Torre di Garofolo zwei Colonnen gebildet hatten, welche die Verwundeten fortschafften. Schon waren unsere Bataillone von Marengo zurückgeschlagen! der rechte Flügel war vom Feinde umgangen, dessen Artillerie ein Kreuzfeuer mit dem Centrum unterhielt. Die Kugeln regneten von allen Seiten nieder. Der Generalstab war gerade versammelt; unter dem Bauche des Pferdes, das der Adjutant des Generals Dupont ritt, flog eine Kugel durch; eine andere streifte die Croupe meines Pferdes; eine Haubitzengranate fiel zwischen uns nieder, platzte, aber verletzte Niemand. Inzwischen wurde berathen, was zu thun sei. Der Oberbefehlshaber schickte einen Adjutanten, Namens Laborde, mit dem ich ziemlich befreundet bin, nach dem linken Flügel, aber er war noch nicht hundert Schritte weit, als sein Pferd erschossen wurde; der General«-Adjutant Stabenrath und ich übernahmen nun seine Misston. Unterwegs treffen wir ein Peloton des 1. Dragoner-Regiments; der Anführer kommt uns traurig entgegen, zeigt uns die zwölf Mann, die ihm folgen und von den fünfzig Soldaten, die am Morgen sein Peloton bildeten, allein übrig sind. Während er spricht, fliegt eine Kugel unter der Nase meines Pferdes durch und erschreckt es dermaßen, daß es sich überstürzt und wie todt daliegt. Ich arbeitete mich so schnell als möglich darunter hervor, hielt es für todt und war sehr erstaunt, als es sich wieder aufrichtete und nicht den geringsten Schaden genommen hatte. Ich besteige es wieder und der General-Adjutant und ich begeben uns nach dem linken Flügel, den wir zurückweichend finden. Wir thun unser Möglichstes, um das eine Bataillon zum Stehen zu bringen, aber kaum ist uns das gelungen, als wir noch weiter links eine ganze Colonne von Flüchtigen im vollen Lauf erblicken. Der General sendet mich nach, sie zurückzuhalten, aber das war ein Ding der Unmöglichkeit. Ich fand Infanterie und Cavalerie, Bagagewagen und Handpferde untereinander; die Verwundeten lagen verlassen auf dem Wege und wurden durch die Munitionswagen zermalt. Ueberall ein fürchterliches Geschrei — ein Staub, daß man nicht zwei Schritte weit sehen konnte. In dieser äußersten Noth sprenge ich vom Wege ab, eile vorwärts und rufe: „halt! halt! da vorn!“ — ich sprenge immer weiter, da war kein Chef, kein Offizier. Caulaincourt, der jüngere, kommt an mir vorüber; er war am Kopfe verwundet und sein Pferd trug ihn mit den Flüchtigen fort. Endlich begegnet mir ein Adjutant; wir vereinigen unsere Anstrengungen, um der Unordnung Einhalt zu thun; wir geben den Einen Hiebe mit der flachen Klinge, den Andern ertheilen wir Lobsprüche, denn unter den Verzweifelnden gab es noch manchen Braven. Ich steige dann vom Pferde, lasse ein Geschütz richten und bilde ein Peloton. Darauf will ich ein zweites herstellen, aber kaum habe ich damit begonnen, als das erste schon wieder zerstreut ist. So geben wir den Versuch endlich auf, kehren zum Oberbefehlshaber zurück und sehen, daß Bonaparte zum Rückzuge trommeln läßt.

„Es war zwei Uhr; wir hatten schon zwölf Kanonen verloren, die theils demontirt, theils vom Feinde weggenommen waren. Die Bestürzung war allgemein; Menschen und Pferde waren von Anstrengung erschöpft und die Verwundeten versperrten die Straßen. Im Geiste sah ich uns schon über den Po zurückgehen und Tessin durcheilen, ein Land, dessen Einwohner uns sämmtlich feindlich gesinnt sind — als inmitten dieser traurigen Betrachtungen ein tröstendes Getöse unsern Muth wieder belebte. Die Division Desaix und Kellermann erschien mit dreizehn Geschützen. Nun kehren die Kräfte zurück, die Fliehenden werden zum Stehen gebracht. Die Divisionen rücken an; es wird zum Angriff getrommelt, wir kehren zurück, wir durchbrechen den Feind und schlagen ihn in die Flucht. Die Begeisterung erreicht ihren Höhepunkt; lachend werden die Gewehre geladen; wir erbeuten acht Fahnen, zwanzig Geschütze und nehmen sechstausend Mann und zwei Generäle gefangen — die Nacht allein rettet die Uebrigen vor unserer Wuth.

 

„Am folgenden Morgen sendet der General Melas einen Parlamentair; es war ein General. Man empfängt ihn im Hofe der Pachtung mit voller Musik; die Consular-Garde war in Parade aufmarschirt. Man macht uns die annehmbarsten Anträge: Genua, Mailand, Tortona, Alessandria, Acqui, Pizzighetone, das heißt, die Lombardei und ein Theil von Italien werden uns überlassen. Sie gestehen, daß sie besiegt sind! Heute werden wir in Alessandria mit ihnen speisen. Der Waffenstillstand ist abgeschlossen. Jetzt befehlen wir im Palaste des General Melas; die östreichischen Offiziere bitten mich, beim General Dupont für sie zu sprechen; das ist in Wahrheit gar zu lustig! Heute bilden die französische und östreichische Armee nur ein Heer. Die kaiserlichen Offiziere sind wüthend, daß sie sich in dieser Weise Gesetze geben lassen müssen — aber sie mögen noch so wüthend sein, sie sind geschlagen — vae victis!

„Der General Stabenrath, bei welchem ich mich am Morgen der Schlacht befand, ist zum Vollstrecker der Vertragsartikel ernannt; er drückte mir diesen Abend die Hand und sagte, daß er mit mir zufrieden wäre, daß ich mich wie ein wahrer Teufel gezeigt hätte und daß der General Dupont davon unterrichtet wäre. Und wirklich darf ich Dir, meine liebe Mutter, sagen, daß ich standhaft gewesen bin und mich den ganzen Tag im Feuer befunden habe. Wir haben eine ungeheuere Menge von Blessirten, und da sie fast Alle durch Kanonenkugeln verwundet sind, werden nur wenige von ihnen mit dem Leben davon kommen. Man brachte sie gestern zu Hunderten in's Hauptquartier und heute Morgen war der Hof voller Leichen. Die Ebene von Marengo ist in einem Umfange von zwei Stunden mit Todten bedeckt. Die Luft ist verpestet und die Hitze ist erstickend. Morgen gehen wir nach Tortona, das freut mich sehr, denn außer, daß man hier vor Hunger stirbt, wird der Geruch so arg, daß man es in zwei Tagen nicht mehr auszuhalten vermöchte. Und welch' ein Anblick! daran gewöhnt man sich nicht.

„Uebrigens sind wir Alle sehr guter Laune; so geht's im Kriege! — Der General hat sehr liebenswürdige Adjutanten, die mir viel Freundlichkeit erweisen. Und Du, mein Mütterchen, ängstige Dich nicht mehr — der Frieden ist da! schlafe nun ungestört; bald haben wir nichts mehr zu thun, als auf unseren Lorbeeren auszuruhen. Der General Dupont wird mich zum Lieutenant ernennen. Das hätte ich doch wahrhaftig beinah zu sagen vergessen — so sehr habe ich mich selbst seit einigen Tagen aus den Augen verloren! Da der Adjutant des Generals verwundet ist, versehe ich provisorisch dessen Dienst. Lebe wohl, meine liebe Mutter, ich bin ganz erschöpft und werde mich auf ein Bund Stroh legen. Ich umarme Dich aus voller Seele. Aus Mailand, wohin wir uns in diesen Tagen begeben, schreibe ich Dir mehr und werde auch einen Brief an meinen Onkel Beaumont schicken.“

Dritter Brief.

An den Bürger Beaumont, Hotel de Bouillon, quai Malaquais, Paris.

Turin im Messidor, Jahr VIII. (Juni oder Juli 1800.)

»Pim. Pam, Puff! Patatra! Vorwärts! Blast zum Angriff! zum Rückzug! vorwärts zum Geschütz! Wir sind verloren! Victoria! Rette sich wer kann! Eilt zum rechten Flügel, zum linken, in's Centrum! kommt zurück, bleibt, geht fort — laßt uns eilen! Gebt Acht auf die Granate! zum Galopp! Bückt Euch, da kommt ein Prellschuß! ... Todte, Verwundete, zerschossene Beine, zerschmetterte Arme, Gefangene, Bagagewagen, Pferde, Maulthiere, Wuthgebrüll, Triumphgeschrei, Schmerzenslaute, ein verteufelter Staub, eine höllische Hitze, unaussprechliche Flüche ... Lärm, Verwirrung, ein prächtiges Getümmel ... das, mein lieber, gütiger Onkel, ist in wenigen Worten eine klare und deutliche Beschreibung der Schlacht von Marengo, in welcher Ihr Neffe nicht den geringsten Schaden genommen hat, obwohl sein Pferd, vor einer Kugel erschreckend, sich mit ihm überschlagen hat und obwohl ihn die Oestreicher 15 Stunden lang mit dem Feuer von dreißig Kanonen, zwanzig Mörsern und dreißigtausend Gewehren traktirt haben. Indessen ist nicht Alles so schlimm! der Oberbefehlshaber war mit meiner Kaltblütigkeit zufrieden und mit der Art und Weise, wie ich die Flüchtigen zusammenbrachte, um sie in den Kampf zurückzuführen, und er hat mich auf dem Gefechtfelde von Marengo zum Lieutenant gemacht; ich habe also meine Epauletten! Jetzt sind wir nun mit Lorbeeren und mit Ruhm bedeckt; wir haben beim Papa Melas gespeist, haben ihm, in seinem Palast von Alessandria, unsere Befehle gegeben und sind dann nach Turin zurückgekehrt. Mein General ist zum außerordentlichen Gesandten der französischen Regierung ernannt; und so geben wir in Piemont Gesetze, wohnen im Palaste des Herzogs von Aosta, haben Pferde, Wagen, Schauspiel, einen guten Tisch u.s.w. Der General Dupont hat kluger Weise seinen ganzen Generalstab verabschiedet und hat nur seine zwei Adjutanten und mich bei sich behalten, und so bin ich nun der einzige Adjunct des Gesandten. Da ich nun nicht viel von den Geschäften verstehe, gebe ich meine Audienzen nur im Eßsaale, weil ich grundsätzlich nie besser spreche, als wenn ich mich behaglich fühle. [„Quand je suis dans mon assiette“ nicht zu übersetzendes Wortspiel.] Mit solchen Grundsätzen wird ein Reich auf's Weiseste regiert. Unglücklicherweise ist nun aber der Krieg zu Ende ... desto schlimmer! denn noch drei oder vier Purzelbäume auf dem Schlachtfelde und ich war General. Indessen will ich den Muth nicht verlieren. Eines schönen Morgens werden sich die Angelegenheiten wohl einmal wieder verwirren und dann wollen wir die verlorene Zeit wieder einbringen, indem wir über neue Feinde herfallen.

„Zürnen Sie nicht, lieber Onkel, daß ich Ihnen so lange nicht geschrieben habe. Aber unsere Wünsche, unsere Eroberungen, unsere Siege haben alle meine Augenblicke in Anspruch genommen. Fortan will ich pünktlicher sein und das wird mir keine Anstrengung kosten, denn ich brauche nur den Regungen meines Herzens zu folgen; es führt mich immer zu meinem guten Onkel zurück, den ich mit voller Seele umarme. Ich bitte Herrn von Bouillon meine Ehrfurcht zu bezeugen.

Moritz.“

Ein dritter Brief über die Schlacht von Marengo ist an die beiden Villeneuve's gerichtet und beginnt: „So hört denn, meine theueren Neffen!“ In diesem Schreiben erwähnt mein Vater einige Umstände, die er in den anderen Briefen absichtlich weggelassen hatte.

„Euer ehrwürdiger Onkel wurde von einer Kugel gestreift, von einer anderen mit seinem Pferde umgeworfen und erhielt einen Kolbenschlag auf die Brust, der ihm ein kleines Blutspeien verursachte, das wohl eine Stunde anhielt. Aber er befreite sich davon, indem er den ganzen Tag im Trott und Galopp unterwegs blieb u.sw.c... Uebrigens, meine lieben Freunde, ist's nicht meine Schuld, daß ich nicht getödtet bin. ...

„Die Beschreibung aller unserer Entbehrungen würde zu lange dauern, aber bedenkt, was es heißt, ohne Nahrung drei Tage lang in einer glühenden Ebene zu sein. In Torre di Garofolo hatten wir zur Erquickung für 1400 Mann nur einen Brunnen.“

Er schließt mit den Worten:

„Jeder von Euch, meine lieben Freunde, empfange hiermit dreiundzwanzig Küsse! Sagt Eueren Damen meine achtungsvollen Grüße.“

Vierter Brief.

Mailand im Fructidor, Jahr VIII. (Sept. 1800.)

„Ich habe Dir sehr lange nicht geschrieben, meine gute Mutter; aber die letzte Zeit unseres Aufenthaltes in Turin war so sehr in Anspruch genommen; wir hatten so viel zu thun, um die letzten Geschäfte unseres Ministeriums zu ordnen — und als wir nach Mailand gekommen waren, mußten wir so zahlreiche Besuche mit dem General Dupont machen, daß ich bis jetzt nicht dazu gekommen bin, Dir Nachrichten über mich zu geben. Der General fährt fort mir viel Theilnahme zu beweisen, wozu sicherlich Deine Briefe nicht wenig beigetragen haben. Ich begleite ihn auf seinen Reisen und nehme Theil an seinen Erholungen. Decouchy und Merlin hat er in Turin zurückgelassen.

„Unsere Zeit bringen wir hier mit Ausfahren und bei Gastmählern zu. Die besten giebt Petiet, der französische Gesandte. Abends gehen wir nach dem Corso oder ins Theater, welches vorzüglich ist. Die erste Sängerin und der Tenor sind bewunderungswürdig. Das Ballet wird schecht getanzt, aber die Decorationen sind prächtig. Mit einem Worte: da ich mich jetzt auf Befehl amüsiren muß, ziehe ich's vor, mich im vollen Ernst zu amüsiren. Mailand ist sehr angenehm, aber doch bin ich froh, daß wir fortgehen; denn wenn dies Alles auch recht gut und schön ist, so bringen uns doch zwei Monate, die wir in Lustbarkeiten verleben, ebensowenig vorwärts, als wenn wir sie verschlafen hätten — aber zwei Monate im Felde können mich zum Hauptmann machen Und überdies muß man reisen und sich bewegen, wenn man jung ist — das ist so der Brauch seit Telemach's Zeiten. Leb' wohl, meine liebe Mutter, ich muß nun meinen Mantelsack packen; ich umarme Dich mit herzlicher Liebe.“

Siebenter Brief.

Bologna, den 27. Fructidor.

„Ach! mein Mütterchen, wie klug Du bist! ohne daß ich Dir ein Wort gesagt habe, hast Du's errathen, daß ich in jenem verdammten Capua unter der Herrschaft einer heftigen Neigung stand. Frage mich nicht weiter, ich bitte Dich! es giebt Dinge, die man lieber erzählt, als schreibt. Bedenke, daß ich im Alter der lebhaften Empfindungen stehe — ich bin nicht dafür verantwortlich zu machen, wenn ich leidenschaftlich empfinde. Ich war berauscht, aber ich habe auch gelitten — also verzeihe mir und erinnere Dich, daß ich Mailand mit Freuden verlassen habe, mit dem festen Willen, mich den Pflichten meines Berufs zu widmen. Später werde ich Dir Alles kaltblütig erzählen; schon jetzt habe ich in den Aufregungen meines Berufes die Ruhe des Geistes wiedergefunden. Den Auftrag des Generals habe ich nach besten Kräften ausgerichtet. Die ganze Operationslinie habe ich in drei Tagen durcheilt. Gestern bin ich angekommen und denselben Abend habe ich die Genugthuung gehabt, meinen Rapport, mit welchem der General sehr zufrieden war, dem Oberbefehlshaber zusenden zu sehen. Auf solche Art dient man doch nicht als Maschine und ich liebe den Krieg, sobald ich seine Thätigkeit und seinen Grundgedanken begreife. Er ist für mich wie eine schöne Schachpartie, für den armen Soldaten dagegen ist es nur ein gemeines Hasardspiel. Es ist wahr, daß viele Männer, die mir in mancher Beziehung überlegen sind, ihr Leben in untergeordneten Anstrengungen zubringen müssen, welche niemals durch die Freude zu wissen und zu begreifen verschönert werden. Ich bedaure sie und ich würde ihre Leiden theilen, wenn ich sie dadurch zu mildern im Stande wäre. Aber das ist unmöglich — und da mir die Erziehung einiges Licht gegeben hat, muß ich doch meinem Vaterlande, dessen Vetheidigung ich mich mit Eifer gewidmet habe, ebensogut mit den geringen Fähigkeiten meines Verstandes, als mit der Thätigkeit meiner Glieder dienen! Herr von Latour d'Auvergne, dieser Held, den ich beweine, war meiner Ansicht, als ich ihm dies sagte und er fand, daß ich trotz meines keimenden Ehrgeizes und trotz Deiner mütterlichen Sorge, ein ebenso guter Patriot wäre, als er selbst. Seine Bescheidenheit hat mir vor allem Andern einen unauslöschlichen Eindruck gemacht — ich werde ihn nie vergessen und mein Leben lang wird er mein Vorbild sein. Eitelkeit befleckt das Verdienst der schönsten Thaten, aber ein einfaches Wesen, ein bescheidenes Stillschweigen über sich selbst erhöht deren Werth und sichert denen, die wir bewundern, unsere Liebe. Ach! Er ist nicht mehr. Er hat einen ruhmvollen Tod gefunden, der seiner würdig war. Du verdammst ihn jetzt nicht mehr — und Du wirst ihn mit mir beweinen!

„Uebrigens beharrst Du in Deiner Abneigung gegen alle Helden. Da ich nun noch keiner bin, habe ich für den Augenblick nichts zu fürchten — aber verbietest Du mir vielleicht auch nach dem Heldenruhme zu streben? ich wäre im Stande darauf zu verzichten, wenn Du mich mit dem Aufhören Deiner Liebe bedrohtest; und statt der Lorbeeren würde ich auf Deinen Gartenbeeten Kohl pflanzen. Uebrigens hoffe ich noch immer, daß Du Dich an meinen Ehrgeiz gewöhnst und daß es mir gelingen wird, Verzeihung dafür zu erlangen.

 

„Ich habe die Staaten des Herzogs von Parma durchreist und glaubte mich in das Jahr 1788 zurückversetzt. Lilien, Wappen, Livreen, Claque-Hüte und rothe Absätze, das ist doch, meiner Treu, für unsere Zeit sehr lächerlich! In den Straßen betrachteten sie uns wie Wunderthiere, und in den Blicken der Leute war ein Gemisch von Schrecken, Abscheu und Hohn, das sich ganz komisch ausnahm; sie haben die Dummheit, die Feigheit und alle Vorurtheile unserer pariser Royalisten. Unser Kriegscommissair, ein sehr liebenswürdiger junger Mann, verlebte den Abend in einem der vornehmen Häuser des Ortes. Er erzählte uns, daß sich alle Gespräche um den Stammbaum jeder Familie in des Herzogs Staaten gedreht hätten. Um sich zu amüsiren, erzählte er ihnen, daß sich in der Stadt ein Enkel des Marschalls von Sachsen befände, und daß derselbe im Dienst der Republik stehe. Dies verursachte in der Gesellschaft einen lauten Schrei der Entrüstung und des Erstaunens; man konnte sich gar nicht darüber beruhigen und doch wagte man nicht, in Gegenwart dieses jungen Mannes Alles zu sagen, was man über diese Schändlichkeit dachte. Ich habe sehr darüber gelacht.

„In dieser guten Stadt Parma habe ich die Malerakademie und das ungeheure Theater besucht, das Farnese nach dem Muster eines allen Cirkus gebaut hat. Seit zwei Jahrhunderten wird nicht mehr darin gespielt; es zerfällt in Ruinen, aber es ist noch immer der Bewunderung werth. In Bologna habe ich die Gallerie San-Pietri, eine der schönsten Gemäldesammlungen in Italien, gesehen. Sie enthält die schönsten Werke Raphael's, Guido Reni's, Guercino's und der Carracci's.

„Lebe wohl, meine theure Mutter, liebe mich, zanke mit mir — aber laß Deine Briefe recht lang sein, denn ich habe niemals genug daran.“