Geschichte meines Lebens

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Zehnter Brief.

Florenz, 26. vendémiaire IX (Okt. 1800).

„Wir haben einen schönen Streich ausgeführt. Wir haben als lustige Jungen den Waffenstillstand gebrochen. Binnen drei Tagen setzten wir uns in Besitz des ganzen Toskana und der schönen, prächtigen Stadt Florenz. Herr von Sommariva, seine berühmten Truppen, seine schrecklichen, bewaffneten Bauern, Alles ist bei unserer Annäherung geflohen und wir hatten nur offne Thüren einzuschlagen.

„Mit General Dupont, dem Kommandanten der Expedition, überschritten wir an der Spitze der Avantgarde die Apenninen und halten jetzt eine köstliche Rast unter den Oliven-, Orangen-, Citronen- und Palmenbäumen, welche die Ufer des Arno beschatten. Die toskanischen Insurgenten haben sich in Arezzo verschanzt und halten einen General unsrer Division, General Mounier in Schach; aber wir haben so eben Kanonen hingeschickt und morgen wird Alles zu Ende sein.

„Es giebt nichts Komischeres, als unsern Einzug in Florenz. Herr von Sommariva hatte uns einige Parlementaire entgegengeschickt, die beauftragt waren, uns zu sagen, daß er die Bauern, die er eben zur Erhebung aufgerufen hatte, entwaffne, daß er uns bitte, Halt zu machen, daß er aber, wenn wir darauf beständen, in Florenz einzuziehen, sich auf den Wällen tödten lassen würde. Das war gut gesprochen — aber wir verachteten seine Versprechungen und Drohungen und setzten unsern Marsch fort. Einige Meilen vor Florenz angekommen, sandte der General Dupont den General Jablonowski mit einer Eskadron Jäger ab, um zu sehen, ob der Feind wirklich den Platz vertheidige, und da ich eben unbeschäftigt war, folgte ich dem General Jablonowski. Wir kamen nach militärischer Regel zu Vieren, den Säbel in der Hand, in schnellem Trott an. Durchaus kein Widerstand. Wir drangen in die Stadt ein. Niemand hielt uns auf. An der Ecke einer Straße sahen wir uns plötzlich Auge in Auge mit einem Detachement östreichischer Kürassiere. Unsere Jäger wollten auf sie einhauen, aber der östreichische Offizier kam mit abgezogenem Hute auf uns zu, um uns zu sagen, daß sein Piquet die Polizeiwache bilde und sich deshalb erst zuletzt zurückziehen dürfe. Ein so guter Grund entwaffnete uns und wir baten ihn sehr höflich, so schnell als möglich der östreichischen und toskanischen Armee nachzueilen, die sich nach Arezzo zurückzog. Wir kommen endlich auf dem großen Platze an, wo die Abgeordneten des Gouvernements uns empfangen. Ich nehme das schönste Palais im schönsten Viertel der Stadt für den General und den Generalstab in Besitz; kehre dann zu General Dupont zurück; wir ziehen im Triumph ein — und die Stadt ist genommen.

„An demselben Abende wurde das große Opernhaus illuminirt—man hatte uns die schönsten Logen aufgehoben, schickte hübsche Wagen, um uns hinzufahren — kurz, wir sind als Herren anerkannt. Für den andern Tag blieben uns zwei Forts zu nehmen, wovon jedes mit achtzehn Kanonen und einer Haubitze versehen war. Wir ließen den beiden Kommandanten sagen, daß wir bereit seien, ihnen die nöthigen Wagen zur Räumung ihrer Garnison zu liefern. Erschreckt von dieser fürchterlichen Aufforderung ergaben sie sich auf der Stelle und wir sind Herren von zwei Forts. Diese Capitulation hat uns so viel zu lachen gegeben, daß wir versucht waren, zu glauben, die Oestreicher wären im Einverständnisse mit uns. Es scheint indessen, als wäre dies nicht der Fall.

„Sie haben die berühmte Venus und die zwei schönen Töchter der Niobe mitgenommen und in Livorno eingeschifft. Diesen Morgen bin ich in der Galerie gewesen. Sie enthält eine ungeheure Menge antiker Statuen, die fast alle ausgezeichnet sind. Ich habe den berühmten Torso gesehen, den Faun, Merkur und eine große Anzahl römischer Kaiser und Kaiserinnen. Diese Stadt hat einen Ueberfluß an schönen Bauwerken und strotzt von Kunstwerken. Die Brücken, die Quais, die Promenaden zeigen eine entfernte Aehnlichkeit mit denen in Paris, aber die Stadt hat den Vorzug in einem fruchtbaren Thale zu liegen, das den herrlichsten Anblick gewährt. Ueberall reizende Landhäuser, Alleen von Citronenbäumen, Olivenwälder — denke Dir, wie schön uns, die wir eben aus den Apenninen kommen, dies Alles erscheint.

„Alles würde gut sein, wenn es nur lange dauerte, aber ich fürchte, daß wir, wenn die Feindseligkeiten mit den Oestreichern wieder beginnen, nach Ferrara zu marschiren, und die schöne Gegend verlassen, um nach den dürren Ufern des Po zurückzukehren.

„Du siehst, meine liebe Mutter, daß es mir nicht an Bewegung fehlt. — Ich will den General Dupont nicht verlassen, denn er hat es gut mit mir im Sinne und ich genieße hier die Freundschaft und Achtung derer, mit denen ich lebe. Der General hat drei Adjutanten, der dritte ist der Sohn des Direktors Merlin — er war Adjutant Bonaparte's und hat den Feldzug nach Aegypten mitgemacht, jetzt ist er Hauptmann in meinem Regimente. Seine Schwester hatte unsern Obersten, kurz vorher ehe er fiel, geheirathet. Bonaparte, der nur noch Brigadechefs zu Adjutanten behält, sandte uns Merlin, nachdem die Reserve-Armee aus dem Feldzuge zurückgekommen war. — Er ist ein sehr guter Kerl. — Ich besorge die Correspondenz, bin in der unmittelbaren Nähe des Generals, wohne und lebe mit ihm und alle mißlichen und eiligen Missionen werden mir anvertraut. Unser Generalstab ist aus mehreren Offizieren zusammengesetzt, aber sie leben nicht alle mit uns. Unsere Gesellschaft besteht aus Merlin, Morin, Decouchy, Barthélemy, Bruder des Direktors — Georg Lafayette und mir. Mit Georg Lafayette bin ich am engsten befreundet, denn er ist ein allerliebster junger Mann, voll Geist, Freimüthigkeit und Gemüth. Er steht als Seconde-Lieutenant beim II. Husarenregiment und kommandirt dreißig Husaren von unsrer Eskorte. Wir sind das, was man eine lustige Bande nennt. — Madame von Lafayette und ihre Tochter sind jetzt in Chenonceaux und unsere Freundschaft wächst natürlich durch die Freundschaft unsrer Verwandten. — Du solltest auch einmal nach Chenonceaux gehen — die Reise würde Dich zerstreuen und das wäre Dir sehr nöthig, meine arme Mutter. Der Aufenthalt in Nohant scheint Dir düster, seit ich nicht mehr dort bin. Der Gedanke betrübt mich und ich würde der glücklichste Mensch auf der Welt sein, wenn ich wüßte, daß Du Dich nicht mehr langweiltest. Lafayette und ich, wir machen die schönsten Pläne, zusammen zu leben, wenn der Krieg zu Ende ist — wir sehen uns im Geiste schon mit unsern guten Müttern in Chenonceaux, wo wir keine andere Sorge haben wollen, als die, sie zu erfreuen und sie für die Unruhe zu entschädigen, die wir ihnen bereitet haben. Du siehst, daß wir trotz des Krieges und Blutvergießens doch noch menschliche Gedanken und Gefühle bewahren. Ich spreche mit Georg oft von Dir und er erzählt mir von seiner Mutter — aber so gut sie auch sein mag, Du bist doch noch besser und stehst überhaupt über jedem Vergleiche. — Was Vater Deschartres betrifft, so ist er in jeder Beziehung unvergleichlich, und da er jetzt Maire von Nohant ist, so mache ich ihm ein Kompliment bis zur Erde und umarme ihn von ganzem Herzen.

Moritz.“

Vierzehntes Kapitel.
Rom, — Zusammenkunft mit dem Papste. — Ein fingirter Mordversuch. — Monsignor Gonsalvi. — Azola. — Die erste Liebe. — Der Tag vor der Schlacht. — Uebergang über den Mincio. — Moritz als Gefangener. — Die Befreiung. — Liebesbriefe. — Eifersucht und Groll zwischen Brune und Dupont. — Abreise nach Nohant.
Elfter Brief.

Rom, 2. frimaire IX (Novbr. 1800).

„Zwei Tage nach meinem letzten Briefe (den ich Dir nach unsrer zweiten Rückkehr nach Florenz schrieb), schickte mich General Dupont mit wichtigen Depeschen nach Rom zum Papst und zu dem Oberbefehlshaber der neapolitanischen Streitkräfte. Ich reiste mit einem Kameraden, Charles His, der ein Pariser, ein geistreicher Mann und Freund des Generals Dupont ist. Trotzdem man versucht hatte, uns vor der Wuth des Volks gegen die Franzosen Furcht einzustoßen, kamen wir nach sechsunddreißigstündigem Marsche in Rom an und fanden die Leute nur sehr erstaunt, zwei Franzosen in Uniform allein unter einer feindlich gesinnten Nation ankommen zu sehen. Unser Einzug in die Stadt war außerordentlich komisch — denn das Volk folgte uns in Masse und wenn wir uns während unsres Aufenthaltes hätten für Geld sehen lassen wollen, würden wir gute Geschäfte gemacht haben. Die Neugier war so arg, daß man in den Straßen hinter uns herlief. — Wir sind überzeugt, daß die Römer die besten Leute von der Welt sind und daß nur die Erpressungen gewisser Verschwender uns ihre Abneigung zugezogen haben. — Wir können ihr Betragen gegen uns nur loben. — Der heilige Vater empfing uns mit den unzweideutigsten Zeichen der Freundschaft und Achtung, und wir gehen diesen Morgen, außerordentlich befriedigt von unsrer Reise, zur Armee zurück. Wir haben alles Antike und Moderne gesehen, was Bewunderung verdient. Da ich immer viel Geschmack am Klettern fand, habe ich mir das Vergnügen gemacht, den Knopf auf der Kuppel der St. Peterskirche von außen zu erklimmen. Nachdem ich wieder heruntergeklettert war, sagte man mir, daß fast alle Engländer, die nach Rom kommen, die Kuppel auf diese Weise besteigen, und dies hat mich nur noch mehr von der Vernünftigkeit meines Unternehmens überzeugt. Adieu, meine gute Mutter, man ruft mich, um in den Reisewagen zu steigen. Adieu Rom! Ich umarme Dich herzlich!“

Zwölfter Brief.

Bologna, den 15. frimaire IX (Novbr. 1800).

„An dem vorsichtigen Style meines letzten Briefes konntest Du sehen, meine liebe Mutter, daß ich ihn in der Ueberzeugung schrieb, er würde eine halbe Stunde später von dem Staatssekretair Monsignor Gonsalvi gelesen werden, der unter der Maske des Vertrauens und der Freundschaft nicht müde wird, uns nachzuspüren, so viel er kann. Wir waren indessen zu keinem andern Zwecke in Rom, all um zwei Briefe hinzubringen: den einen an den Papst, um von ihm die Freilassung mehrerer Personen zu verlangen, die ihrer politischen Meinung wegen gefangen gehalten wurden; den andern an den neapolitanischen Oberbefehlshaber, damit er seiner Regierung die Notiz zugehen lassen sollte, daß wir den General Dumas [Der Vater von Alexandre Dumas.] und Herrn Dolomieu zurückforderten, und daß, falls man die Erfüllung dieser Forderung verweigere, die französischen Bayonette bereit wären, ihre Schuldigkeit zu thun. Obgleich wir nur Ueberbringer dieser Depeschen waren, glaubte man doch, wir seien gesandt, um eint Insurrektion und Bewaffnung der Jacobiner in's Werk zu setzen und in dieser schönen Ueberzeugung lud man uns zwei neapolitanische Offiziere auf den Rücken, die, unter dem Vorwande uns zur Ehrenwache zu dienen, uns ebensowenig verließen wie unsere Schatten. Man umringte uns mit Fallstricken und Spionen, verstärkte die Garnison und unter dem Volke ging das Gerücht, die Franzosen seien im Anzuge. Es war ein Teufelslärm. Der König von Sardinien, der sich in Neapel befand, flüchtete sich sogleich nach Sicilien. Der Staatssekretair zitterte, uns in Rom zu sehen, und wiederholte, um uns Furcht zu machen, ohne Aufhören, daß er fürchtete, man würde uns ermorden, und daß es klug sein würde, wenn wir die französische Uniform ablegten. Wir antworteten ihm, daß keine Befürchtung, welche sie auch sei, uns vermögen könnte, die Kleider zu wechseln, und was die Mörder betreffe, so wären wir schlimmer als sie, und der erste, der uns zu nahe käme, würde ein todter Mann sein. Um uns noch mehr zu erschrecken, ließ man Abends mit vielem Aufsehen an unsrer Thür Leute verhaften, die mit großen ungeschickten Dolchen bewaffnet waren. Wir sahen wohl, daß man nur Komödie spielte und erwarteten in aller Ruhe die Antwort des Königs von Neapel, die, wie der General Damas uns sagte, umgehend ankommen sollte. Zwölf Tage mußten wir warten und gewannen während dieser Zeit sowohl durch unser Betragen als durch unsere Manieren das allgemeinste Wohlwollen. Wir empfingen alle Gesandte und machten ihnen Gegenbesuche. Bei der Visite, die wir Nachmittags beim Papste abstatteten, machte meine große Uniform, sowie die meines Kameraden, der ebenfalls bei den Husaren steht, den besten Effekt. Als wir eintraten, erhob sich der Papst von seinem Sitze, drückte uns die Hand, ließ uns zu seiner Rechten und Linken niedersitzen und dann hatten wir eine sehr ernste und interessante Unterredung mit ihm, über den Regen und das schöne Wetter. Nach Verlauf einer Viertelstunde, und nachdem er sich sehr genau nach unserm Alter, Namen und Stande erkundigt hatte, empfahlen wir uns; er drückte uns wieder die Hände, indem er um unsere Freundschaft bat, die wir ihm gütig zusicherten und dann gingen wir, der Eine mit dem Andern sehr zufrieden auseinander. Es war Zeit, denn ich fing an, vor Lachen zu ersticken, meinen Kameraden und mich, zwei Taugenichtse von Husaren, majestätisch zur Rechten und Linken des Papstes sitzen zu sehen. Es winde ein wahrer Calvarienberg gewesen sein, wenn ein rechter Schächer dabei gewesen wäre.

 

„Den andern Tag wurden wir der Herzogin Lanti vorgestellt. Es war dort eine sehr große Gesellschaft. Ich traf den alten Chevalier von Bernis und den jungen Talleyrand, der Adjutant bei dem General Damas ist. Die Bekanntschaft mit Herrn von Bernis war bald erneuert und ich plauderte mit ihm von Paris und der ganzen Welt. Meine Bekanntschaft mit diesen zwei Personen machte den größten Eindruck auf die Geister der Römer und Römerinnen und von diesem Augenblicke an erkannten sie, daß wir keine Räuber wären, die kämen, um die ewige Stadt an allen vier Ecken in Brand zu stecken.

„Auch unsere Art zu leben gab ihnen einen großen Begriff von unsern Verdiensten. Der General Dupont hatte uns nämlich viel Geld gegeben, um die französische Nation würdig repräsentiren zu können, und wir haben diese Aufgabe auf das Beste gelöst. Wir hielten uns Wagen, Logen, Pferde; gaben Conzerte und feine Diners. Es war sehr unterhaltend und wir haben es so gut zu machen gewußt, daß wir ohne einen Sou zurückkehren. Diesmal war es sehr leicht, dem Vaterlande zu dienen, aber wir hinterlassen den Römern eine große Bewunderung für unsre Prachtliebe und den Armen eine große Erkenntlichkeit für unsere Freigebigkeit. Die letztere ist ein fürstliches Vergnügen und gewiß das süßeste.

„Der Staatssekretair trieb die Gefälligkeit so weit, uns den unterrichtetsten Alterthumskenner Roms zu schicken, der uns alle Wunderwerke zeigen sollte. Ich habe so viel gesehen, daß ich ganz dumm davon geworden bin. Alle Originale unsrer schönen Arbeiten und dann alles alte Gemäuer, von dem entzückt zu sein, zum guten Ton gehört; ich gestehe, daß sie mich sehr gelangweilt haben, und daß ich, dem Enthusiasmus für die alten Römer zum Trotz, die St. Peterskirche zu Rom allen diesen Haufen alter Ziegel vorziehe. Indessen habe ich mit Interesse die Grotte der Nymphe Egeria und die Ueberreste der Brücke gesehen, auf der sich Horatius Cocles schlug — ein braver Husaren-Offizier seiner Zeit.

„Die Nachricht von dem Wiederbeginnen der Feindseligkeiten machte endlich unsrer Größe ein Ende. Wir schrieben an Herrn von Damas, daß der Wunsch, wieder zu unsern Fahnen zurückzukehren, uns nicht erlaube, länger auf die Antwort des Königs von Neapel zu warten, und reisten ab, begleitet von unsern Wächtern, den zwei neapolitanischen Offizieren, die uns erst bei unsern Vorposten verließen. Herr von Damas nahm auf die liebenswürdigste Weise Abschied von uns, und dankte uns für unser Betragen.

„Nach einer Reise von drei Tagen und drei Nächten sind wir eben in Bologna angekommen, und ich benutze die Zeit, während man unsere Pferde anspannt, um mich mit Dir zu unterhalten. Der General Dupont steht jenseit des Po — morgen werde ich bei ihm sein. Ich hoffe jetzt, daß wir nach Venedig gehen — es wird von unsern Erfolgen abhängen. Ich meinestheils habe die Ueberzeugung, daß wir den Feind überall schlagen. Seit der Schlacht von Marengo wird unser Name von Schrecken begleitet. Man spricht jedoch von einem neuen Waffenstillstande und die Armeen haben bis jetzt keine entschieden feindlichen Bewegungen gemacht.

„Wie bedauere ich, meine gute Mutter, daß wir Rom nicht gemeinschaftlich gesehen haben. Du weißt, daß wir in meiner Kindheit oft davon träumten! Bei allem Schönen, das ich sah, dachte ich an Dich und meine Freude wurde durch den Gedanken vermindert, daß Du sie nicht theiltest. Adieu, ich liebe und umarme Dich von ganzem Herzen. Man ruft zur Abreise — ich möchte immer mit Dir plaudern und werde an nichts, als an Dich denken von Bologna bis nach Casale-Maggiore.

„Ich umarme Freund Deschartres. Sage ihm, daß ich die Ruinen der Häuser von Horaz und Virgil und die Büste Cicero's gesehen und den berühmten Schatten gesagt habe: Meine Herren, ich habe Sie mit meinem Freunde Deschartres übersetzt, und Ihre erhabenen Werke haben mir mehr als ein: „Arbeiten Sie doch! Sie träumen!“ eingetragen.

„Ein ungeheurer botanischer Garten erinnerte mich ebenfalls an meinen theuern Lehrer, und wenn ich, als Dummkopf der ich bin, nichts Interessantes von Blättern, Stengeln und Staubgefäßen gefunden habe, so fand ich dort wenigstens die Erinnerung an meinen alten und aufrichtigen Freund. Pflanzt er noch immer viel Kohl? Ich zause meine Bonne und umarme sie herzlich.“

Dreizehnter Brief.

Azola, 29. frimaire IX (Decbr.1800).

„Es ist lange her, meine liebe Mutter, daß ich nicht das Vergnügen gehabt habe, mich mit Dir zu unterhalten. Wessen Schuld ist das? wirst Du fragen, aber in Wahrheit, es ist nicht ganz die meinige. Seit wir in Azola sind, thun wir nichts als hin- und herlaufen, um die feindlichen Posten zu beobachten, und wenn wir nach Hause kommen, finden wir eine lärmende, lustige Gesellschaft, und Tanz und Lachen währt oft spät bis in die Nacht. Man legt sich übermüdet nieder und fängt den andern Tag dasselbe Leben von Neuem an. — Du wirst schelten und sagen, daß es vernünftig wäre, mich früh zur Ruhe zu begeben — aber wenn Du Soldat wärest, würdest Du wissen, daß die Ermüdung Aufregung verursacht und unser Handwerk nur im Augenblicke der Gefahr Kaltblütigkeit mit sich bringt. Unter allen Umständen sind wir Narren und wir haben nöthig, es zu sein. — Und nun habe ich Dir noch eine Neuigkeit mitzutheilen, von der ich eben erst Gewißheit erhielt. Morin hatte sie mir als etwas nahe Bevorstehendes angezeigt und der General bestätigte sie, indem er mir ein Geschenk mit dem Adjutanten-Patent, einem gelben Federbusch und einer schönen, rothen Schärpe mit goldnen Franzen machte.

„So bin ich also Adjutant des General-Lieutenant Dupont, und so mußt Du mich künftig in der Adresse der Briefe tituliren, damit sie schneller ankommen. Das neue Reglement gestattet dem General drei Adjutanten und so habe ich endlich einen prächtigen Posten, bin angesehen, geachtet und geliebt … Ja! geliebt von einer reizenden und liebenswürdigen Frau, und es fehlt mir nichts, um vollkommen glücklich zu sein, als Deine Gegenwart ... das ist allerdings viel!

„Du wirst wohl wissen, daß, seit das Corps Dupont's und die Division Watrin hier zusammengekommen sind, wir alle Abende Reunions haben, in denen Mde. Watrin im Glanze ihrer Jugend und Schönheit strahlt wie ein Stern —aber sie ist es nicht; es ist ein Stern von sanfterem Glanze, der mir leuchtet.

„Du weißt, daß ich in Mailand verliebt war; Du hast es errathen, weil ich es Dir nicht sagte. — Manchmal glaubte ich mich geliebt und dann sah ich wieder, oder glaubte zu sehen, daß es nicht so war. Ich suchte mich zu zerstreuen — reiste ab und wollte nicht mehr an die Sache denken.

Diese reizende Frau ist jetzt hier und wir sprachen uns wenig, ja sahen uns kaum an. Ich fühlte eine Art Aerger, obgleich das eigentlich nicht in meiner Natur liegt und sie zeigte mir Stolz, obgleich sie ein zärtliches und gefühlvolles Herz hat. — Diesen Morgen während des Frühstücks hörten wir ferne Kanonenschüsse. Der General befahl mir zu Pferde zu steigen, um zu sehen, was es gebe. Ich stehe auf und springe mit zwei Sätzen zur Treppe hinunter über den Hof in den Stall. Als ich eben aufsteigen will, drehe ich mich um und sehe die theure Frau, die mir roth und verlegen einen langen Blick zuwirft, der zugleich Furcht, Interesse und Liebe ausdrückt ... Ich hätte ihr beinahe auf dies Alles dadurch geantwortet, daß ich ihr um den Hals fiel; aber das war mitten im Hofe nicht möglich und ich mußte mich begnügen, ihr zärtlich die Hand zu drücken, indem ich meinen edeln Renner bestieg, der, voll Feuer und Kühnheit, drei prächtige Caracolen machte und dann davonjagte. — Ich war bald bei dem Posten, von dem der Lärm ausging und fand, daß man mit den Oestreichern ein kleines Scharmützel gehabt und sie zurückgeschlagen hatte. — Als ich dem General die Nachricht brachte, war sie noch da. Ah! wie wurde ich empfangen! Wie heiter war das Mittagessen! Welche zarte Aufmerksamkeiten hatte sie für mich!

„Denselben Abend befand ich mich durch einen unverhofften Zufall mit ihr allein. Alle Andern halten sich, ermüdet durch die übermäßige Anstrengung des Tages, zur Ruhe gelegt. Ich säumte nicht, ihr zu sagen, wie sehr ich sie liebte und sie warf sich, in Thränen ausbrechend, in meine Arme. — Dann entschlüpfte sie mir und verschloß sich in ihr Zimmer — ich wollte ihr folgen, aber sie befahl, bat und beschwor mich, ich möchte sie allein lassen, und ich gehorchte als unterthäniger Liebhaber. — Da wir bei Tagesanbruch die Pferde besteigen, um zum Recognosciren anzureiten, so bin ich gleich wach geblieben, um mit meiner guten Mutter von den Aufregungen des Tages zu sprechen. Wie liebenswürdig ist Dein acht Seiten langer Brief! Wie viel Freude hat er mir gemacht! Wie süß ist es, geliebt zu sein! Eine gute Mutter, treffliche Freunde, eine schöne Geliebte zu haben, ein wenig Ruhm und schöne Pferde und Feinde, die wir bekämpfen! Ich habe alles das, alles das und auch das Beste, meine gute Mutter!

Moritz.“

Es giebt bei gewissen Naturen einen Moment, wo die Fähigkeiten des Glückes, des Vertrauens und des Genusses ihren Höhepunkt erreichen — und dann, als könnte unsere Seele dem nicht mehr genügen, breiten Zweifel und Trauer eine Wolke über uns aus, die uns für immer umhüllt. Oder ist es wirklich unser Schicksal, das sich verdüstert und sind wir verdammt, langsam den Abhang hinabzugehen, den wie mit kühner Freudigkeit erstiegen?

Der junge Mann fühlte zum ersten Male Anwandelungen einer dauernden Liebe. Diese Frau, von der er mit einem Gemisch von Enthusiasmus und Leichtfertigkeit spricht; diese anmuthige Liebelei, die er vielleicht vergessen zu können glaubte, wie er die Stiftsdame und Andere vergessen hatte, sollten sich seines ganzen Lebens bemächtigen und ihn in einen Kampf mit sich selbst bringen, der die Qual, das Glück, die Verzweiflung und die Größe seiner letzten acht Lebensjahre ausmachte. Von diesem Augenblicke an war dieses Herz, das gut und unbefangen bis dahin allen äußern Eindrücken offen stand, das ein unbeschränktes Wohlwollen, einen blinden Glauben an die Zukunft und einen Ehrgeiz besessen hatte, der nicht persönlich, sondern eins mit dem Ruhme des Vaterlandes war — dieses Herz, das eine einzige, beinahe leidenschaftliche Neigung, die kindliche Liebe erfüllt und in köstlicher Einheit erhalten hatte — dieses Herz war jetzt getheilt, man möchte sagen zerrissen von zwei beinahe unvereinbaren Gefühlen. Die glückliche und stolze Mutter, die nur von dieser Liebe lebte, wurde von einer, dem Herzen des Weibes eigenthümlichen Eifersucht gequält und gepeinigt, die sie um so mehr schmerzte und beunruhigte, da die Mutterliebe die einzige Leidenschaft ihres Lebens gewesen war. Diese innerliche Angst, welche sie niemals gestand, die aber nur zu gewiß existirte und auch von jeder andern Frau in ihr hervorgerufen worden wäre, gesellte sich zu der Bitterkeit verletzter Vorurtheile, achtungswerther Vorurtheile, die ich erklären will, ehe ich weiter gehe.

 

Aber vorher muß ich sagen, daß diese reizende Frau, von welcher der junge Mann in Mailand geträumt, die er in Azola erobert hatte; diese Französin, die sich mit meiner Großmutter zu gleicher Zeit im Gefängnisse im Kloster des Anglaises befunden hatte, keine andere war, als meine Mutter Sophie Victorie Antoinette Delaborde. — Ich nenne diese drei Taufnamen meiner Mutter, weil sie in ihrem bewegten Leben einen nach dem andern führte, und diese drei Namen selbst ein Symbol des Zeitgeistes sind. In ihrer Jugend zog man wahrscheinlich den Namen Antoinette, als den der Königin von Frankreich vor — während der Eroberungen der Kaiserzeit galt natürlich Victorie mehr — und von ihrer Verheirathung an nannte mein Vater sie immer Sophie.

Alles ist bezeichnend und sinnbildlich (und das ist ganz natürlich) in den Einzelnheiten des menschlichen Lebens, wenn sie auch noch so zufällig scheinen.

Ohne Zweifel hätte meine Großmutter meinem Vater eine Lebensgefährtin seines Standes gewünscht, aber sie hat es gesagt und selbst geschrieben, daß sie sich nicht besonders über das betrübt haben würde, was man zu ihrer Zeit und in ihrer Gesellschaft eine Mesalliance nannte. Sie legte der Geburt keine größere Wichtigkeit bei, als ihr gebührt und auch den Mangel an Vermögen würde sie übersehen haben, denn sie wußte durch ihre Sparsamkeit und durch eigene Entbehrungen die Mittel zur Bestreitung der Ausgaben aufzubringen, welche der mehr glänzende als einträgliche Beruf ihres Sohnes nöthig machte — aber sie konnte sich nur schwer entschließen, eine Schwiegertochter aufzunehmen, deren Jugend, durch die Gewalt der Umstände, den erschreckendsten Zufälligkeiten preisgegeben war. Dieser zarte Punkt mußte überwunden werden und die Liebe, die in ihrer Wahrheit und Tiefe die höchste Weisheit und die höchste Seelengröße ist, überwand ihn in der Seele meines Vaters mit Entschiedenheit. Und endlich kam auch der Tag, an dem sich meine Großmutter ergab. Aber da sind wir noch nicht, und ich habe noch von vielen Schmerzen zu erzählen, ehe ich zu diesem Zeitpunkte komme.

Von dem Leben meiner Mutter vor ihrer Heirath habe ich nur unvollständige Nachrichten. Später werde ich erzählen, wie gewisse Personen es für angemessen und vortheilhaft hielten, mir Dinge mitzutheilen, die ich besser nicht erfahren hätte und deren Glaubwürdigkeit durch Nichts erwiesen ist. Doch mögen sie auch alle wahr sein — eine Thatsache steht fest vor Gott: sie wurde von meinem Vater geliebt und mußte dieser Liebe wohl werth sein, denn ihre Trauer um ihn endigte erst mit ihrem Leben.

Aber das Wesen der Aristokratie ist dermaßen in das menschliche Herz eingedrungen, daß es trotz unserer Revolutionen noch immer in jeder Gestalt besteht, und daß es noch langer Zeit bedürfen wird, ehe der christliche Grundsatz der moralischen und socialen Gleichheit die Gesetze und den Geist der Gesellschaft beherrscht. Und doch ist das Dogma der Erlösung ein Symbol der Buße und Reinigung. Unsere Gesellschaft bekennt sich zu dieser Lehre in religiösen Theorien, aber nicht in der Praxis — denn diese Lehre ist für sie zu schön, zu groß — und doch werden wir durch etwas Göttliches, das im Grunde unsrer Seele liegt, angetrieben in unserm individuellen Leben die strengen Vorschriften der sittlichen Aristokratie zu brechen und unser Herz, das brüderlicher, mehr zur Gleichheit geneigt, barmherziger, also gerechter und christlicher ist, als unser Geist, läßt uns oft die Wesen lieben, welche die Gesellschaft als unwürdig und verderbt verwirft.

Wir fühlen nämlich, daß dieses Verdammungsurtheil widersinnig ist, und daß Gott es verabscheut, um so mehr, da die Welt, die es ausspricht, eine Heuchlerin ist, der es durchaus nicht auf das Grundgesetz des Guten und Bösen ankommt. Der große Revolutionär Jesus hat einst das erhabene Wort gesprochen, daß im Himmel mehr Freude sein würde über die Rückkehr eines Sünders, als über hundert Gerechte—-und ich glaube, daß auch die Geschichte vom verlorenen Sohne keine müßige Fabel ist. Dennoch giebt es noch immer eine sogenannte Aristokratie der Tugend, die stolz auf ihre Privilegien nicht zugestehen will, daß die Verirrungen der Jugend gesühnt werden können. Eine Frau, die im Wohlstande geboren, die mit Sorgfalt, entweder im Kloster oder unter der Aufsicht ehrwürdiger Matronen erzogen ist; die sich bei ihrem Eintritt in die Welt von allen Bedingungen des Wohlbefindens, der Ruhe, der Zufriedenheit umgeben sieht, die im Gefühl der Selbstachtung und in der Furcht vor der Ueberwachung Anderer genährt ist, eine solche Frau hat keine große Mühe und vielleicht kein großes Verdienst, ein tugendhaftes, geordnetes Leben zu führen, ein gutes Beispiel zu geben, strengen Grundsätzen zu folgen. Aber ich irre mich! denn wenn ihr die Natur eine glühende Seele gegeben hat, wird sie inmitten einer Gesellschaft, welche die Aeußerungen ihrer Gefühle und Fähigkeiten nicht gestattet, einer großen Anstrengung bedürfen, um diese Gesellschaft nicht zu verletzen — und in dieser Anstrengung liegt ihr Verdienst. Um wie viel mehr ist nun aber das arme verlassene Mädchen freizusprechen, dessen einzige Erbschaft in der Welt die Schönheit ausmacht, wenn ihre Jugend in Verirrungen geräth und ihre Unerfahrenheit den Fallstricken nicht zu entgehen weiß. Ich glaube, daß es die Aufgabe der erfahrenen Matrone wäre, der Verirrten die Arme entgegenzustrecken, sie zu trösten, zu läutern und mit sich selbst zu versöhnen — denn wozu nützt es, besser zu sein als Andere, wenn wir die Güte nicht fruchtbar machen, die Tugend nicht auf Andere zu übertragen suchen. Und doch ist es nicht so, denn die Welt verbietet der geachteten Frau, ihre Hand derjenigen zu reichen, die verachtet wird, und sie an ihrer Seite ruhen zu lassen. Die Gesellschaft ist ein ungerechter Richter! das lügnerische, gottlose Gesetz eines sogenannten Anstandes und einer sogenannten Sittlichkeit! diese Gesellschaft verlangt, daß sich die tugendhafte Frau von der Sünderin abwende und öffnet sie derselben ihre Arme, so wird die Gesellschaft, der Areopag falscher Tugenden und falscher Pflichten, sich von ihr lossagen.