Geschichte meines Lebens

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Ich sage der falschen Tugenden und falschen Pflichten, weil nicht allein die wahrhaft reinen Frauen, die wahrhaft ehrwürdigen Matronen über den Werth ihrer verirrten Schwestern zu urtheilen haben. Es ist kein Verein würdiger Menschen, welcher die öffentliche Meinung beherrscht — das ist ein Traum. Die ungeheure Mehrzahl der Frauen in der Gesellschaft besteht aus gefallenen Frauen. Alle wissen es, Alle gestehen es und doch tadelt und schmäht Niemand diese schamlosen Weiber, wenn sie Andere tadeln und schmähen, die weniger strafbar sind, als sie selbst.

Als meine Großmutter ihren Sohn meine Mutter heirathen sah, war sie in Verzweiflung und hätte mit ihren Thränen den Ehecontrakt auslöschen mögen, der diese Verbindung besiegelte. Aber es war nicht ihre Vernunft, welche kalt diese Ehe mißbilligte, es war ihr mütterliches Herz, das vor den Folgen derselben zitterte. Sie fürchtete auch, daß ihn der Tadel einer gewissen Klasse der Gesellschaft treffen würde; sie litt in dem Gefühl sittlichen Stolzes, zu welchem ein vorwurfsfreies Leben sie berechtigte, aber sie bedurfte keiner langen Zelt, um einzusehen, daß ein bevorzugtes Wesen leicht seine Schwingen ausbreiten und seinen Flug erheben kann, sobald ihm Raum gegeben wird; darum war sie gut und liebevoll gegen die Frau ihres Sohnes — aber die mütterliche Eifersucht blieb und kam selten zur Ruhe, und wenn diese zärtliche Eifersucht eine Sünde war, so darf doch nur Gott sie richten, denn sie entzieht sich dem Urtheil der Menschen, besonders dem Urtheil der Frauen.

Vom Aufenthalt zu Azola, das heißt, vom Ende des Jahres 1800 bis zu meiner Geburt 1804 mußte auch mein Vater durch die Theilung seiner Seele zwischen einer geliebten Mutter und einer glühend angebeteten Frau furchtbar leiden. 1804 fand er endlich mehr Ruhe und Kraft im Bewußtsein einer erfüllten Pflicht, als er die Frau geheirathet hatte, die er mehrere Male im Begriff gewesen war, seiner Mutter zu opfern.

Ehe ich ihm nun, voll Bedauern und Bewunderung in diese innern Kämpfe folge, werde ich ihn wieder in Azola aufsuchen, von wo aus er seiner Mutter den zuletzt mitgetheilten Brief vom 29. Frimaire geschrieben hatte. Diese Zeit weist auf ein großes kriegerisches Ereigniß, den Uebergang über den Mincio hin.

Herr von Cobenzl war noch in Lüneville, um mit Joseph Bonaparte zu unterhandeln, und zu derselben Zeit wollte der erste Consul durch einen kühnen, entscheidenden Streich der Unentschlossenheit Oestreichs ein Ende machen. Er ließ die Rheinarmee, welche Moreau befehligte, den Inn überschreiten und die italienische Armee, die unter Brune's Anführung stand, den Mincio passiren. Innerhalb weniger Tage wurden diese beiden Stellungen gewonnen. Moreau war Sieger in der Schlacht von Hohenlinden und die italienische Armee, der es ebenfalls nicht an guten Offizieren und guten Soldaten fehlte, trieb die Oestreicher zurück und beendigte den Krieg, indem sie die Feinde zwang, die Halbinsel zu räumen.

Aber wenn hier wie überall das Verhalten der Armee heldenmüthig war, wenn der Eifer und die persönliche Begeisterung mehrerer Offiziere die Fehler des Anführers wieder gut machten, so ist doch nicht zu leugnen, daß Brune das ganze Unternehmen auf eine unverantwortliche Weise leitete. Indessen schreibe ich hier keine offizielle Geschichte und verweise meine Leser auf Thiers' Erzählung. Er ist ein ausgezeichneter Berichterstatter der kriegerischen Ereignisse, immer klar, übersichtlich, fesselnd und genau — und er mag die Anschuldigungen verbürgen, die mein Vater gegen den General ausspricht, der bei dieser Gelegenheit nicht einen Fehler beging, sondern ein Verbrechen. Er ließ einen Theil seines Heeres allein, ohne Hülfe im Kampf mit einem übermächtigen Feinde, und seine Unthätigkeit war durch die entsetzliche Hartnäckigkeit seiner Selbstsucht veranlaßt. Er war unzufrieden mit dem Eifer, welcher den General Dupont veranlaßt hatte, den Fluß mit 10,000 Mann zu überschreiten; er verbot Suchet demselben die nöthige Hülfe zu senden und hätte dieser — als er Dupont's Heer mit 30,000 Oestreichern im Gefecht und in Gefahr sah, trotz der heldenmüthigen Vertheidigung aufgerieben zu werden — nicht den Befehlen Brune's zuwider gehandelt, indem er auf seine Verantwortung den Rest der Division Gazan diesen Tapfern zu Hülfe schickte, so war unser rechter Flügel verloren. Diese Grausamkeit oder dieser Unverstand des Oberbefehlshabers kostete mehreren Tausend tapferer Soldaten das Leben und meinem Vater die Freiheit. Er hatte sich durch seine Tapferkeit und das Vertrauen auf seinen Glücksstern zu weit fortreißen lassen (das war der Aberglaube jener Zeit und wer auch nicht daran dachte, Bonaparte zu gleichen, meinte doch, so wie dieser vom Schicksal behütet zu werden); er wurde durch die Oestreicher gefangen genommen und dies war ein gefürchteteres Ereigniß als bedeutende Verwundungen und war fast betrübender als der Tod für junge Leute, die sich in Thatendurst und Ruhmbegierde berauschten.

Das war ein schmerzliches Erwachen nach einem Morgen voll heftiger Gemüthsbewegungen, dem eine Nacht voll Ungeduld und Entzücken vorangegangen war. Während dieser Nachtwache hatte er in glühender Erregung an seine Mutter geschrieben: „Wie süß ist es, geliebt zu sein! eine gute Mutter, treffliche Freunde, eine schöne Geliebte zu haben, ein wenig Ruhm und schöne Pferde und Feinde, die wir bekämpfen!“ Er hatte ihr aber nicht gesagt, daß er denselben Tag, denselben Augenblick zum Kampfe mit den Feinden ging, deren Gegenwart zu seinem Glück gehörte. Er versiegelte den Brief, in welchem er eben ein zärtliches Lebewohl ausgesprochen hatte, das vielleicht sein letztes Abschiedswort war, aber er ließ die Mutter im Glauben, daß er nur sein Pferd besteigen wolle, um zu recognosciren. Er gehörte ganz der Liebe und dem Kriege und hatte, obwohl er von Anstrengung erschöpft war, nicht daran gedacht, eine Stunde zu schlafen. Für ihn, wie für Alle war das Leben in jenem Augenblicke so voll und so warm! In derselben Nacht hatte er auch seinem Neffen René von Villeneuve einen Brief geschrieben, in welchem er sich deutlicher aussprach. Dieser Brief verräth eine Freiheit des Geistes, die uns angenehm berührt und die uns in Erstaunen setzen müßte, wäre sie in der Geschichte jener Zeit als etwas Besonderes anzusehen. Anfangs erzählt er ziemlich ausführlich von einer Camée, die er für René gekauft hatte und die von einem ungeschickten Arbeiter, der sie fassen sollte, zerbrochen wurde. Dann kündigt er ihm die Ankunft anderer Kunstgegenstände derselben Art an, welche der Kardinal Gonsalvi zu befördern versprochen hatte: „Denn Du mußt wissen — sagt er — daß ich mich mit Sr. Eminenz vortrefflich stehe und noch besser mit dem Papste.“ Endlich schildert er ihm seine Lage und die des Heeres: Es ist zwei Uhr Morgens; in zwei Stunden steigen wir zu Pferde. Den ganzen Tag haben wir damit zugebracht, die Truppen aufzustellen, alle unsere Artillerie hat vorrücken müssen und mit Anbruch des Tages werden wir uns klopfen. Wahrscheinlich wirst Du vom 29. d. M. reden hören, denn es wird ein allgemeiner Angriff der ganzen Armee stattfinden.“

„Die Pferde des Generals werden schon gesattelt, ich höre sie im Hofe, und wenn ich noch ein Paar Worte an meine Mutter geschrieben habe, lasse ich auch die meinigen satteln. Ich verlasse Dich also, mein lieber Freund, um mich mit den Herren Croaten, Walachen, Dalmatiern, Ungarn und Andern, die uns erwarten, herumzuschlagen. Es wird ein wahrer Hexensabbath werden! wir haben acht Zwölfpfünder aufgestellt — wie leid thut es mir, daß Du nicht hier bist, um den Lärm zu hören, den wir machen werden! ich bin überzeugt, daß Dich das amüsiren würde.“

Am folgenden Tage war er in den Händen des Feindes. — Der Schauplatz des Krieges, die siegreiche Armee, seine Freunde, die im Begriff waren nach Frankreich zurückzukehren, um ihre Mütter, ihre Verwandten zu umarmen, blieben hinter ihm zurück — und er ging zu Fuß in eine lange und schwere Verbannung. Dies Ereigniß, das ihn von dem geliebten Weibe trennte und meine arme Großmutter in eine furchtbare Verzweiflung stürzte, erstreckte seinen Einfluß auf das ganze Leben dieses jungen Mannes, der seit 1794 vergessen hatte, was Leiden, Einsamkeit, Zwang und Reflexionen sind. Vielleicht ging eine gänzliche Umwandlung in ihm vor, denn von dieser Zeit an war er, wenn auch nicht weniger heiter in äußerem Benehmen, doch vorsichtiger und ernster im Grunde der Seele. In dem Geräusch, in der Trunkenheit des Krieges hätte er Victorie vielleicht vergessen, aber in der traurigen Geistesöde der Verbannung und der Gefangenschaft war ihr Bild auf verhängnißvolle Weise in seine Gedanken verwebt. Nichts macht uns für eine große Leidenschaft so empfänglich, als ein großes Leid.

Vierzehnter Brief.

Padua, den 15. Nivose Jahr IX. (Januar 1801)

„Sei nicht in Sorgen um mich, meine gute Mutter! ich habe Morin gebeten Dir zu schreiben, also weißt Du sicherlich schon, daß ich gefangen bin; ich bin jetzt in Padua und auf dem Wege nach Gratz, hoffe aber bald ausgewechselt zu werden, da mich der General Dupont am Tage meiner Gefangennehmung von Herrn von Bellegarde zurück verlangt hat. Ich kann Dir jetzt nichts weiter sagen, aber ich hoffe Dir bald meine Rückkehr anzeigen zu können. Lebe wohl! ich umarme Dich aus voller Seele; ich umarme auch Vater Deschartres und meine Bonne.“

Diese wenigen Worte sollten die arme Mutter beruhigen — aber die Gefangenschaft war härter und langwieriger, als dieser Brief vermuthen ließ. Zwei Monate lang erhielt meine Großmutter gar keine Nachrichten von ihrem Sohne und war in jene dumpfe Verzweiflung versunken, welche die Männer nicht kennen und welche sie nicht zu überleben vermöchten. Die Organisation des Weibes ist ein Wunder in dieser Beziehung, denn begreifen läßt sich diese Gewalt des Schmerzes und diese Kraft des Widerstandes nicht. Die arme Mutter hatte keinen Augenblick des Schlafes und lebte nur von kaltem Wasser. Beim Anblick der Speisen, die man ihr reichte, schluchzte sie laut: „Mein Sohn stirbt vor Hunger!“ rief sie in Verzweiflung: „vielleicht verschmachtet er in diesem Augenblicke und ihr wollt, daß ich esse!“ Sie wollte sich auch nicht niederlegen: „Mein Sohn schläft auf der Erde“, sagte sie, „man giebt ihm vielleicht keine Hand voll Stroh, um sich darauf zu legen; vielleicht war er verwundet, als sie ihn gefangen nahmen [Sie irrte sich nicht, aber sie erfuhr dies niemals.] und er hat kein Stückchen Leinwand, um seine Wunden zu bedecken.“ Der Anblick ihres Zimmers, ihres Sessels, ihres Feuers, aller Bequemlichkeiten ihres Lebens, trieb sie zu den bittersten Vergleichen. Ihre Einbildungskraft vergrößerte die Entbehrungen und Leiden, die ihr theueres Kind zu tragen hatte: sie sah ihn gebunden in einem Kerker liegen; sie sah ihn von unwürdigen Händen geschlagen, vor Ermüdung und Hunger am Wege nieder sinken, aber durch den Stock des östreichischen Feldwebels gezwungen wieder aufzustehen, um sich weiter zu schleppen.

 

Der arme Deschartres bemühte sich umsonst sie zu zerstreuen; er verstand sich einmal nicht darauf, war selbst von sehr ängstlicher Gemüthsart und wurde durch meines Vaters Schicksal so ergriffen, daß es ein wahrer Jammer war zu sehen, wie die Beiden jeden Abend ihre Karten mischten und vertauschten, ohne recht zu wissen, was sie thaten, und ohne zu beachten, wer das Spiel gewonnen oder verloren hatte.

Endlich zu Ende des Ventose kam Saint-Jean im Galopp von la Châtre zurück; es war vielleicht das einzige Mal im Leben, daß er vergaß auf seinem Postwege im Wirthshaus einzukehren und vielleicht war es auch das einzige Mal, daß es ihm gelang mit seinem silbernen Sporn das friedfertige weiße Roß in Galopp zu bringen, das fast eben so lange gelebt hat, als er selbst. Bei dem ungewöhnlichen Geräusch seines Triumphmarsches erbebte meine Großmutter, lief ihm entgegen und erhielt folgenden Brief.

Fünfzehnter Brief.

Conegliano, den 6. Ventose, Jahr IX. (Februar 1801.)

„Endlich bin ich ihren Händen entgangen! ich athme wieder auf — dieser Tag ist für mich ein Tag des Glückes und der Freiheit! ich darf hoffen Dich binnen kurzer Zeit zu sehen, zu umarmen, und nun ist Alles vergessen, was ich gelitten habe. Von diesem Augenblick an sollen alle meine Schritte, alle meine Bemühungen darauf gerichtet sein, meine Rückkehr zu Dir möglich zu machen. Ein weitläufiger Bericht über mein Unglück würde zu lange dauern, ich will Dir nur sagen, daß ich, nachdem ich zwei Monate lang in Feindeshänden gewesen war, nachdem ich die Wüsten von Kärnthen und Krain durchwandert, die Grenzen von Bosnien und Kroatien erreicht hatte und im Begriff war in Nieder-Ungarn, einzumarschiren, durch den glücklichsten Zufall der Welt wieder Kehrt machen mußte, und daß ich, obwohl einer der zuletzt Gefangenen, doch einer der zuerst Ausgelieferten bin. Ich bin jetzt auf dem zweiten französischen Posten, wo ich ein Bett gefunden habe, ein Meubel, dessen ich mich seit etwa drei Monaten nicht mehr bediente, denn schon einen Monat vor meiner Gefangennehmung pflegte ich in voller Kleidung zu schlafen und seitdem habe ich kein anderes Lager gehabt, als Stroh. Ich hoffte nun bei meiner Rückkehr zur Armee den General Dupont und meine Kameraden zu finden; aber ich höre, daß er zurückberufen ist, weil er durch sein kühnes Ueberschreiten des Mincio die Eifersucht eines Mannes erregt hat, dessen Unfähigkeit man gewiß bald erkennen wird.

„Ich setze voraus, daß der General Dupont meine Pferde und mein Gepäck mitgenommen hat und so bleibt mir nichts übrig, als mich an den General Mounier zu wenden, der auch zu seiner Division gehört. Ich bezweifle nicht, daß er mich mit den nöthigen Mitteln zur Rückkehr zu Dir versehen wird und werde mich gleich nach Bologna wenden, wo er sich jetzt aufhält. Da ich auf Ehrenwort entlassen bin, kann ich bis zu meiner Auswechselung nicht mehr dienen.

„Ich empfinde eine große Freude frei zu sein und zu Dir zurückkehren zu dürfen, ohne daß mich ein Vorwurf treffen kann! Ich bin voller Jubel und doch habe ich gleichsam die Gewohnheit der Trauer, und diese hindert mich noch mein Glück vollständig zu fassen. Ich gehe morgen nach Treviso, wo die Erkundigungen, die ich einziehe, über meinen Weg entscheiden sollen. Lebe wohl, meine liebe Mutter, keine Sorgen mehr, keinen Kummer! Ich umarme Dich und strebe nur nach dem Augenblick des Wiedersehens. Ich umarme Freund Deschartres und meine Bonne — diesen guten Deschartres! wie lange habe ich ihn nicht gesehen!“

Sechszehnter Brief.

Paris, 25. Germinal, Jahr IX. (April 1801.)

„Mancherlei Quälereien und Geschäfte haben mich in Ferrara und in Mailand zurückgehalten, wo ich den General Watrin, einen meiner besten Freunde, vom rechten Flügel, getroffen habe. Dieser hat mir endlich, nicht ohne Mühe, meinen rückständigen Sold verschafft und darauf habe ich mich mit Georg Lafayette auf den Weg gemacht. Wir haben vier Mal umgeworfen, aber trotz der schlechten Wege, der schlechten Pferde, der schlechten Wagen und der Räuber [Es war zu der Zeit, als die Wege in Frankreich durch alle Arten von Raubgesindel unsicher gemacht wurden; durch Chauffeurs und Chouans, die aus allen möglichen Parteien desertirt waren, aber größtentheils aus Royalisten bestand.] sind wir gestern Morgen frisch und gesund in Paris angelangt. Ich habe schon meine Neffen, meinen Onkel und meinen General gesehen und Alle haben mich mit dem lebhaftesten Entzücken begrüßt. Aber meine Freude war nicht rein, denn Du fehltest zu meinem Glücke. Als ich durch die Straße Ville-L'évèque ging, habe ich traurig das Haus betrachtet, in welchem Du nicht mehr bist und mein Herz wurde recht schwer. Es ist mir noch wie ein Traum, daß ich meinem Vaterlande, meiner Mutter und meinen Freunden wiedergegeben bin — ich bin traurig, trotz meines Glücks! Warum ich traurig bin? ich weiß es nicht! Es giebt Empfindungen, die nicht zu erklären sind — aber wahrscheinlich ist es das Verlangen Dich zu sehen.

„Am Morgen meiner Ankunft begab ich mich zum General Dupont; er war nicht zu Hause. Um fünf Uhr ging ich abermals zu ihm und fand ihn mit mehreren andern Generälen bei Tische. Als er mich eintreten sah, stand er auf, um mich zu umarmen, und wir haben uns mit der lebhaftesten Zärtlichkeit und mit Freudenthränen in den Augen an's Herz gedrückt; Morin war außer sich vor Freude. Während des Essens hat sich der General ein Vergnügen daraus gemacht, einige für mich ehrenvolle Begebenheiten mitzutheilen und mein Lob zu verkündigen. Als wir in den Salon zurückkehrten, haben wir uns abermals umarmt — nach soviel Anstrengungen und Gefahren war dieser freundschaftliche Empfang sehr wohlthuend; ich war sprachlos vor Rührung. Zwischen den Waffengefährten besteht doch eine innige Verbindung; man hat tausendmal miteinander dem Tode getrotzt; man hat ihr Blut fließen sehen; man ist ihres Muthes eben so gewiß, als ihrer Freundschaft. Sie sind in Wahrheit unsere Brüder und der Ruhm ist unsere Mutter. Aber es giebt noch eine zärtlichere, gefühlvollere Mutter, die ich noch inniger liebe. Zu ihr wenden sich alle meine Wünsche und ich denke an sie, wenn mein General und meine Freunde sagen, daß sie zufrieden mit mir sind.

„Ich wollte gleich zu Dir eilen, um Dich zu umarmen, aber Beaumont sagte, Du würdest hierher kommen; Pernon hat für Dich eine andere Wohnung, Rue Ville-L'évèque, gefunden, und Pons sagt, daß der Zustand Deiner Finanzen Dir die Reise erlaubt. Aber komm nun schnell, meine liebe Mutter, sonst muß ich Dich holen. Der General will mich übrigens zurückhalten, um mich allen unsern Größen vorzustellen — und nun weiß ich nicht, auf wen ich hören soll. Wenn Du gleich kommen könntest, gingen Glück und Geschäfte Hand in Hand. Antworte mir also gleich, sonst reise ich ab. Wie köstlich ist der Augenblick, in dem wir Alles wiederfinden, was uns theuer ist — Vaterland, Mutter und Freunde! Man glaubt es nicht, man kann es nicht begreifen, wie ich mein Vaterland liebe! So wie man den Werth der Freiheit erst erkennt, wenn man sie verloren hat, so fühlt man die Liebe zum Vaterlande erst, nachdem man fern von ihm gewesen ist. Alle diese Leute in Paris begreifen solche Rede nicht — sie kennen nur die Liebe zum Leben und die Liebe zum Gelde. Ich erkenne den Werth des Lebens, aber nur um Deinetwillen — ich habe so viele Männer an meiner Seite fallen sehen, fast ohne es zu beachten, daß ich den Uebergang vom Leben zum Tode an und für sich als etwas sehr Geringfügiges betrachte. Aber trotz der geringen Sorgfalt, die ich darauf verwendete, habe ich dies Leben erhalten, und wenn ich noch einige Jahre dasselbe dem Dienste Frankreichs gewidmet habe, will ich es Dir vollständig weihen.

„Ich will jetzt die Wohnung besehen, die Pernon für Dich aufgefunden hat, und will sie zu Deiner Ankunft einrichten lassen; ich denke nur an dies! und ich umarme Dich auf das Herzlichste.“

Siebenzehnter Brief.

An Madame …

(Ohne Datum oder Ortsbezeichnung.)

„Ach! wie bin ich zugleich so glücklich und so unglücklich! ich weiß nichts zu thun und weiß Dir nichts zu sagen, meine theuere Victoria! ich weiß nur, daß ich Dich leidenschaftlich liebe — und das ist Alles! Aber ich sehe, daß Du in einer glänzenden Stellung bist, und daß mich armen Offizier eine Kugel fortreißen kann, ehe ich mein Glück im Kriege gemacht habe. Meine Mutter ist durch die Revolution zu Grunde gerichtet und es wird ihr sehr schwer, für meinen Unterhalt zu sorgen; und jetzt, wo ich aus den Händen des Feindes komme und kaum die nöthigsten Kleidungsstücke besitze, sehe ich mehr einem Menschen ähnlich, der vor Hunger stirbt, als dem Sohn eines angesehenen Hauses. Und doch hast Du mich so geliebt, meine theure, liebenswürdige Freundin, und mit einer seltenen Aufopferung hast Du Deine Börse zu meiner Verfügung gestellt. Was hast Du gethan? was habe ich selbst gethan, indem ich diese Hülfe annahm.

„Und Du liebst mich! und Du willst mir folgen! Du willst eine gesicherte, glückliche Stellung aufgeben, um alle Zufälle meines geringen Glückes zu theilen. O, ich weiß, daß Du das stolzeste, unabhängigste, anbetungswürdigste Wesen bist, und daß ich Dich anbete! aber ich kann mich noch zu nichts entschließen. Ich kann ein so großes Opfer nicht annehmen — ich kann Dich vielleicht niemals dafür entschädigen. Und meine Mutter! meine Mutter ruft mich und ich brenne vor Verlangen sie zu sehen, während der Gedanke Dich zu verlieren, mir den Sinn verwirrt. Und doch muß ich mich jetzt zu irgend etwas entschließen! So höre denn, was ich bitte: übereile nichts, ergreife keine Gewaltmaßregeln, die nicht wieder rückgängig zu machen wären. Ich werde einige Zeit bei meiner Mutter zubringen und Dir umgehend wiederschicken, was Du mir geliehen hast. Sei nicht böse — dies ist die erste Schuld, die ich bezahlen will. Wenn Du auf Deinem Vorhaben bestehst, werden wir uns in Paris wiederfinden. Aber bis dahin prüfe Dich wohl und vor allen Dingen ziehe mich nicht zu Rathe. Lebe wohl, ich liebe Dich bis zum Wahnsinn und ich bin so traurig, daß ich mich fast nach den Zeiten zurücksehne, als ich in den Wüsten von Kroatien hoffnungslos an Dich dachte.“