Geschichte meines Lebens

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Achtzehntes Kapitel.
Aufenthalt in Nohant. Rückkehr nach Paris und Abreise nach Charleville. — Bonaparte in Sédan. — Das Lager bei Boulogne. — Kanonade mit den Engländern. — Der General Bertrand. — Adresse der Armee an Bonaparte, um ihn zu bitten, die Kaiserkrone anzunehmen. — Meine Mutter im Lager von Montreuil; Rückkehr nach Paris. — Heirath meines Vaters. — Meine Geburt.

Nachdem mein Vater drei Monate bei seiner Mutter verlebt hatte und mit ihr in's Bad von Vichy gereist war, wurde er durch eine Verfügung der Consuln zurückberufen, die allen Generälen befahl, ihre Untergebenen um sich zu versammeln. Er kehrte nach Paris zurück, als man begann von der englischen Expedition zu reden, und schrieb an seine Mutter:

„Was meine Geldgeschäfte betrifft, so will ich nicht, daß Du davon redest oder mich in irgend welcher Art um Rath fragst. Ich betrachte das Geld als ein Mittel, niemals als einen Zweck; und Alles, was Du thust, wird in meinen Augen immer weise, recht und vortrefflich sein. Ich weiß wohl, daß Du mir um so mehr geben wirst, je mehr Du besitzest. Dies ist eine Wahrheit, die Du mir täglich zur Erkenntniß bringst, aber ich will nicht, daß Du Dir wegen einiger Morgen Land mehr oder weniger irgend etwas entziehst. Der Gedanke, Dich zu beerben, macht mich schaudern. — Nach Deinem Tode kann ich mich um nichts mehr kümmern, denn für mich giebt es dann nur noch Schmerz und Einsamkeit. Der Himmel behüte mich Pläne zu machen für eine Zeit, die ich nicht vorhersehen mag und an die ich mich selbst in Gedanken nicht gewöhne.“

Vom 10. Thermidor.

»... Jetzt reise ich nach Sédan, wo Bonaparte durchkommen wird und wo wir ihm am 18. oder 20. entgegen gehen müssen.“

Vom 15. Thermidor, aus Charleville (August 1803).

„Gestern bin ich angekommen und habe Dupont sehr mürrisch und durch mein Fieber sehr wenig gerührt gefunden. Wir erwarten Bonaparte von einem Augenblick zum andern und nichts ist lustiger, als das Treiben, das hier herrscht. Die Soldaten bereiten sich vor auf die große Revue: die Civilbeamten setzen ihre Reden auf; die jungen Bürger equipiren sich und bilden eine Ehrenwache, die Arbeiter bringen überall Verzierungen an und das Volk hat Maulaffen feil. In Sédan haben wir drei Cavalerie-Regimenter und vier halbe Brigaden vereinigt; wir exerzieren mit Feuerwaffen und manövriren in der Ebene. Dies ist aber auch das Einzige, was schön sein wird, alles Uebrige ist kleinlich und ohne Geschmack angeordnet. Die Illumination des ersten Tages wird alles Fett, alle Lichte der Stadt verzehren. Zum Glück für den folgenden Tag ist Mondenschein!

„Ich werde die Gelegenheit benutzen, um durch Dupont eine Lieutenantsstelle für mich in der Garde erbitten zu lassen. Da er noch nie etwas für mich begehrt hat, wird er sich wohl dazu verstehen. Aber ich mache mir keine Hoffnungen; das Glück in Paris zu leben und Dich mit dorthin zu nehmen, ist ein zu schöner Traum, und ich bin nicht dazu geeignet, in Friedenszeiten etwas zu erlangen. Ich tauge nur dazu, Hiebe auszutheilen und zu empfangen. Bittschriften überreichen und Gunstbezeugungen erhalten ist nicht meine Sache. Dupont schwärmt durchaus nicht für den Gedanken einer Landung in England. Ob aus Laune oder aus Mißtrauen, er hat nicht den Wunsch, sich daran zu betheiligen. Am Tage nach meiner Abreise von Paris habe ich Masséna in Ruel gesehen und er hat mir fast versprochen, daß wir, im Fall der Landung, die Ueberfahrt zusammen machen würden. In Paris bleiben oder in den Krieg ziehen, das ist mein Plan, denn das Leben in den Garnisonen ist mir verhaßt.

„Ich fürchte, meine gute Mutter, daß Dir diese trockne Witterung Leiden verursacht. Du bist so gütig, daß Du in Deinem Briefe nur von mir sprichst — und nun weiß ich nicht, wie Du Dich befindest.“

Paris, den 8. Fructidor, Jahr XI.

„Dupont hatte mir die schönsten Versprechungen gemacht; er hat sie nicht gehalten. Während der acht Tage, die er mit dem ersten Consul verlebt hat, hat er nicht einen Augenblick Zeit gefunden, von mir zu sprechen. Caulaincourt, der Bonaparte nach Sédan begleitete und mir viel Freundschaft bewies, sagte mir bei der Ankunft:, Nun, das ist ja eine herrliche Gelegenheit, sich durch Ihren General vorschlagen zu lassen!“ und bei der Abreise ist er über Dupont's Gleichgültigkeit gegen uns Alle ganz erstaunt gewesen. Dann hat er sich auch über den Wechsel in den Ansichten des ersten Consuls gegen mich ausgesprochen. Nämlich, als er für mich diesen Winter um eine Lieutenantsstelle in der Garde gebeten und mich als den Enkel des Marschalls von Sachsen empfohlen hat, antwortete ihm Bonaparte: „Nichts! nichts da! ich brauche solche Leute nicht!“ — aber es scheint, als würde mir dieser Name jetzt mehr nützen als schaden, weil der erste Consul seine Ansichten schon geändert hat.“

Moritz, der, wie wir gesehen haben, seiner Stellung im Generalstabe müde war, thut zu Anfang des Jahres XII die ernstlichsten Schritte, um in die Linie zurückzutreten. Dupont bereut, ihn verletzt zu haben und reicht ein Gesuch ein, in welchem er sein Avancement zum Rittmeister bevorwortet. Lacuée unterstützt dies Gesuch. Caulaincourt, der General Berthier, Herr von Ségur, der Schwiegervater August's von Villeneuve, thun Schritte zur Förderung des neuen Unternehmens, das jetzt wirklich ein triftiger Grund für Moritz' verlängerten Aufenthalt in Paris ist. Er schreibt immer fleißig an seine Mutter, aber in seinen Briefen ist so viel Spott gegen gewisse Personen, welche das Metier des Höflings mit einer seltnen Vollendung betreiben, daß ich dieselben nicht mittheilen könnte, ohne viele Menschen zu verletzen — und dies ist nicht meine Absicht.

Mein Vater erreichte nichts und seine Mutter wünschte in diesem Augenblicke, daß er dem Dienst entsagen möchte. Aber die unerbittliche Stimme der Ehre verbot ihm, sich in einem Augenblicke zurückzuziehen, wo der Krieg, wenn nicht unvermeidlich, so doch möglich war. Aber er verlebte die ersten Monate des Jahres XII (die letzten des Jahres 1803) bei seiner Mutter; und da der Plan einer Landung in England mit jedem Tage ernsthafter wurde, und da man leicht an das glaubt, was man wünscht, so hoffte Moritz England mit zu erobern und in London einzuziehen, wie er in Florenz eingezogen war.

In den ersten Tagen des Frimaire folgte er Dupont und schrieb, als er Paris verließ, wie gewöhnlich an seine Mutter: daß an Gefahr nicht zu denken wäre, und daß es wahrscheinlich nicht zum Kriege käme. „Ich bitte Dich, ängstige Dich nicht wegen meiner Reise nach der Küste,“ schrieb er; „ich werde wahrscheinlich keine andere Waffe gebrauchen, als das Fernglas.“ So war es in der That und es ist bekannt, warum Napoleon ein Unternehmen aufgeben mußte, welches so viel Geld und so viel Zeit in Anspruch genommen hatte.

Erster Brief.

Aus dem Lager von Ostrohow, 30. Frimaire Jahr XII. (Oct. 1803.)

„Da schreibe ich Dir einmal wieder von einem Meierhofe oder Lehensgute, das ich, in Erwartung des Generals Dupont, für den Generalstab eingerichtet habe. Ostrohow ist ein reizendes Dorf und liegt auf einer Anhöhe, welche Boulogne und das Meer beherrscht. Unser Lager ist auf Römerweise abgesteckt, es ist ein vollkommenes Quadrat. Heute Morgen habe ich eine Skizze davon entworfen, sowie von den andern Divisionen, welche am Meere liegen, und habe das Ganze in einem Briefe dem Seigneur Dupont geschickt. Wir sind hier im Schmutz bis an die Ohren. Hier giebt es weder gute Betten, um auszuruhen, noch gute Feuer, um sich zu trocknen, noch große Sessel, um sich darin zu dehnen, noch eine gute Mutter von übermäßiger Sorgfalt, noch eine feine Kost. Den ganzen Tag umherlaufen, um die Truppen unterzubringen, die ankommen und deren Hütten noch nicht aufgeschlagen sind, sich beschmutzen, sich durchnässen, die Küste im Lauf des Tages hundert Mal hinauf- und hinabsteigen, das ist unsere Arbeit. Es ist das Mißgeschick des Krieges, aber eines Krieges, dem aller Reiz geraubt ist, da wir uns nicht vom Flecke bewegen und nicht einen Schuß abfeuern können, um uns das Warten auf die große Expedition zu erleichtern, von der hier so wenig die Rede ist, als ob sie niemals stattfinden sollte. Aengstige Dich also nicht, liebe Mutter, nichts ist bereit, und es dauert vielleicht noch über ein Jahr, ehe wir uns englische Pferde holen.“

Dritter Brief.

Vom 7. Pluviose des Jahres XII (Januar 1803). Im Lager von Ostrohow.

„Es giebt Augenblicke des Glücks, welche alle Leiden auslöschen! Eben habe ich Deinen Brief vom 26. erhalten — Ach, meine liebe Mutter, kaum vermag mein Herz die Gefühle zu fassen, die es durchdringen, meine Augen füllen sich mit Thränen, die mich zu ersticken drohen. Bei jedem Ausdrucke Deiner Liebe oder Deiner Güte muß ich weinen wie ein zehnjähriger Knabe — und ich weiß nicht, ob vor Schmerz oder vor Freude! O, meine gute Mutter, meine vortreffliche Mutter, wie soll ich Dir den Schmerz beschreiben, den mir Dein Kummer, Deine Unzufriedenheit bereitet haben. Ach! Du weißt es wohl, daß die Absicht Dich zu betrüben nie in meiner Seele Raum finden kann, und daß von allen Leiden, die ich zu tragen habe, das Bitterste ist, wenn ich Dir Thränen erpresse. Dein letzter Brief hatte mir das Herz zerrissen, der heutige giebt mir Frieden und Freude wieder. Ich finde darin endlich die Sprache und das Herz meiner Mutter wieder; sie sieht es ein, daß ich kein schlechter Sohn bin, und daß ich nicht verdiente, so viel zu leiden. Ich versöhne mich wieder mit mir selbst; denn wenn Du mir sagst, daß ich schuldig bin, suche ich mich zu überreden, daß Du Recht haben mußt, auch wenn mein Gewissen mir nichts vorwirft. Und ehe ich Dir widerspreche, will ich mich lieber aller Verbrechen schuldig bekennen.

 

„Ich weiß nicht, wer Dir gesagt haben mag, daß ich mich in's Meer stürzen wollte. Ich habe diesen Gedanken nie gehabt, denn dadurch würde ich mich gegen Dich zu versündigen glauben, die Du mich so innig liebst. Wenn ich mich mehrere Male dem Tode in den Fluthen ausgesetzt habe, so geschah es ohne zu bedenken, was ich that. Ich mißfiel mir in Wahrheit so sehr auf der Erde, daß ich mich auf den Wogen behaglicher fühlte; das Toben des Windes, die heftigen Stöße der Barke, paßten besser als alles Uebrige zu dem, was in mir vorging, und inmitten dieser Bewegung fühle ich mich gleichsam in meinem Elemente.

„Lebe wohl, meine geliebte Mutter; bewahre die Feder, mit welcher Du mir den letzten Brief geschrieben hast, und bediene Dich nie einer andern, um an Deinen Sohn zu schreiben, dessen Liebe für Dich Deiner Güte gleichkommt, und der Dich so zärtlich umarmt, wie er Dich liebt.

„Ich möchte wohl Cato-Deschartres hier haben, um das hübsche Gesicht zu sehen, das er beim Schwanken des Schiffes und dem Tosen des Meeres machen würde.“

Vierter Brief,

Hauptquartier zu Ostrohow, den 30. Pluviose, Jahr XII.

„Der Divisions-General Dupont, Kommandeur der 1. Division des Lagers von Montnui! [Dies war ein gedruckter Briefanfang.] ... hat mich in diesen Tagen so sehr in Anspruch genommen, mich bald an die Küste, bald auf das Meer geschickt, daß ich nicht einen Augenblick finden konnte, um Dir zu schreiben. Vorgestern, als ich eben einen Brief für Dich begann, wurde ich durch ein Dutzend Kanonenschüsse unterbrochen. Es war das Vorspiel einer Kanonade, welche den ganzen Tag zwischen unsern Batterien und der englischen Flotte stattgefunden hat. Wir haben uns natürlich sofort an die Küste begeben und haben dort sieben Stunden lang das interessanteste und angenehmste Schauspiel gehabt, denn die ganze Küste war ein Feuer, die ganze Rhede war mit Schiffen bedeckt und trotz der zweitausend Schüsse, die von beiden Seiten abgefeuert sind, haben wir nicht einen Mann verloren. Die feindlichen Kugeln flogen über unsre Köpfe weg und verloren sich, ohne irgend Jemand Schaden zu thun, im Felde.

„Nachdem ich den General Bertrand wenigstens sechs Mal vergebens aufgesucht hatte, habe ich ihn endlich hier gesehen. Er kam zum General Dupont, um mit ihm zu speisen, und ich bin von ihm entzückt. Er hat ein offnes, liebenswürdiges, freundschaftliches Wesen, ohne „feinen Ton“, ohne Ansprüche. Wir haben vom Berry gesprochen, mit der Freude zweier Landsleute, die sich fern von ihrer Heimath begegnen und die sich von allem Interessanten und Fesselnden unterhalten, was sie dort zurückgelassen haben, von ihren Müttern besonders.“

Fünfter Brief.

Vom Fayel, den 12. Prairial.

„Wir sind hier sehr beschäftigt. Seit vier Tagen haben wir ungeheure Touren machen müssen, „zu dem Zwecke“, uns über die Fassung der Adresse zu vereinigen, die wir gezwungnermaßen dem ersten Consul überreichen werden „zu dem Zwecke“, ihn zur Annahme der Kaiserkrone und des Thrones der Cäsaren dringend aufzufordern.“

Während Moritz dies an seine Mutter schrieb, war Victorie (oder Sophie, wie er sich gewöhnt hatte sie zu nennen) zu ihm nach Fayel gekommen. Sie war ihrer Niederkunft nahe und so war ich also auch im Lager von Boulogne, freilich bewußtlos, wie Jeder denken kann, und bald darauf erblickte ich das Licht der Welt, ohne mehr Bewußtsein zu haben. Das Ereigniß meiner Geburt fand in Paris statt, am 16. Messidor des Jahres XII, gerade einen Monat nach dem Tage, an welchem sich meine Eltern unauflöslich mit einander verbanden. Da meine Mutter ihre Stunde nahen fühlte, wollte sie nach Paris zurückkehren, und mein Vater folgte ihr am 12. Prairial. Am 16. begaben sie sich im Geheimen nach der Mairie des 2. Arrondissements und denselben Tag schrieb mein Vater an meine Großmutter:

Paris, den 16. Prairial, Jahr XII.

„Ich habe die Gelegenheit benutzt, nach Paris zu gehen, und bin nun da. Dupont hat seine Einwilligung dazu gegeben, weil ich jetzt, da ich vier Jahre lang als Lieutenant gedient habe, ein Recht auf den Rang eines Rittmeisters habe und mich dazu melden will. Ich wollte Dich in Nohant überraschen, aber heute früh erhielt ich einen Brief von Dupont, in welchem er mir ein eigenhändiges Gesuch schickt, das die erste offne Stelle für mich vom Minister verlangt und nun werde ich dadurch für einige Tage zurückgehalten. Wenn ich diesmal nichts erlange, werde ich Mönch. Vitrolles, der das Gut Ville-Dieu zu kaufen beabsichtigt, wird mit mir nach dem Berry gehen. Herr von Ségur unterstützt mein Gesuch. Ich hoffe Dich endlich und zwar bald zu sehen. Deinen letzten Brief, der mir von Boulogne nachgeschickt ist, habe ich erhalten ... wie gut ist er! — Nun, ich hoffe Dich wo möglich Mittwoch zu umarmen, und das wird ein glücklicher Tag für mich sein. Es giebt deren so einige im Leben, die uns für alle andern trösten. Meine geliebte Mutter, ich umarme Dich!“

Mein Vater war an diesem Tage zugleich glücklich und zum Tode betrübt. Er hatte nun seine Pflicht gegen eine Frau erfüllt, die ihn aufrichtig geliebt hatte und durch welche er bald Vater werden sollte. Er hatte seine Liebe durch eine unauflösliche Verbindung heiligen wollen, aber wenn er sich glücklich und stolz fühlte, dieser Liebe gehorcht zu haben, die mit seinem Gewissen eins geworden war, so hatte er doch den Schmerz seiner Mutter zu täuschen und ihr ungehorsam zu sein, wie unterdrückte, mißhandelte Kinder zu thun pflegen. Und das war sein einziges Vergehen; denn weit entfernt, unterdrückt und mißhandelt zu sein, hätte er von der unerschöpflichen Zärtlichkeit dieser guten Mutter Alles erlangt, wenn er den entschiedenen Schritt gewagt hätte, ihr die Wahrheit zu sagen.

Er hatte nicht den Muth dazu und es war gewiß kein Mangel an Aufrichtigkeit, aber es handelte sich um einen jener Kämpfe, in denen er immer besiegt wurde. Er mußte herzzerreißende Klagen anhören, mußte Thränen sehen, deren Vorstellung schon im Stande war, ihm die Ruhe zu rauben. In diesem Punkte fühlte er sich schwach, und wer dürfte ihm deswegen einen ernstlichen Vorwurf machen? — Seit zwei Jahren schon war er entschlossen, meine Mutter zu heirathen; jeden Tag ließ er sie schwören, daß sie ihre Einwilligung dazu geben würde, und seit zwei Jahren war er immer vor dem Augenblick zurückgewichen, das Versprechen zu erfüllen, das er vor Gott abgelegt hatte, weil ihn die glühende Zuneigung und die eifersüchtige Verzweiflung zurückschreckte, die er im Herzen seiner Mutter gefunden hatte. Er hatte sie im Laufe dieser zwei Jahre, während unaufhörliche Abwesenheiten ihr immer neue Qualen bereiteten, nur dadurch beruhigen können, daß er ihr die Kraft seiner Liebe verbarg und ihr verhehlte, welche Zukunft ihm seine Treue schaffen sollte. Wie mußte er an jenem Tage leiden, als er, ohne seinen Verwandten und seinen besten Freunden etwas zu vertrauen, den Namen seiner Mutter auf eine Frau übertrug, welche durch ihre Liebe zwar verdiente ihn zu führen, aber mit welcher diesen Namen zu theilen, seine Mutter sich jedenfalls nur schwer gewöhnen konnte. Aber er that es trotz alledem; er war traurig, angstvoll, doch er zögerte nicht. Im letzten Augenblicke, als Sophie schon in ihr einfaches Kleidchen von Bafin gehüllt war und einen schmalen Goldreif am Finger trug — denn der Zustand ihrer Finanzen erlaubte ihnen erst nach einigen Tagen einen wirklichen Trauring für sechs Franks zu kaufen — im letzten Augenblicke noch, schlug ihm die glückliche, zitternde, für ihre Zukunft immer unbesorgte Sophie vor, auf die Weihe der Ehe zu verzichten, die, wie sie sagte, ihre Liebe nicht zu erhöhen vermochte. Er bestand jedoch ernstlich darauf, und als sie mit ihm von der Mairie zurückgekommen war, legte er den Kopf in die Hände und überließ sich für eine Stunde dem Schmerze, der besten Mutter ungehorsam gewesen zu sein. Er versuchte ihr zu schreiben, aber er konnte ihr nur die wenigen Zeilen schicken, die ich oben mitgetheilt habe und in welchen er, trotz seiner Anstrengungen, seine Furcht und seine Reue verräth. Und dann schickte er den Brief ab und bat seine Frau um Verzeihung, wegen dieses Augenblicks, den er der angebornen Zuneigung geschenkt hatte, nahm meine Schwester Caroline, das Kind einer andern Verbindung, in seine Arme, betheuerte, daß er sie ebenso lieben wollte, als das Kind, dessen Geburt sie erwarteten, und dann bereitete er sich zur Abreise nach Nohant vor, wo er acht Tage zu bleiben beschlossen hatte, in der Hoffnung Alles gestehen zu können und Alles gut aufgenommen zu sehen.

Aber es war eine vergebliche Hoffnung. Er sprach zuerst von Sophiens Zustande, und indem er den Kopf meines Bruders Hippolyt, des Kindes aus dem kleinen Häuschen, liebkoste, deutete er darauf hin, wie schmerzlich ihm die Geburt dieses Knaben gewesen wäre, dessen Mutter ihm gezwungnerweise fremd geworden war. Er sprach von den Pflichten, welche die unbedingte Liebe einer Frau dem rechtschaffenen Manne auferlegt, und von der Schändlichkeit, eine solche Frau zu verlassen, nachdem man die Beweise der größten Hingebung von ihr empfangen hat. Aber schon bei den ersten Worten brach meine Großmutter in Thränen aus und ohne auf irgend etwas zu hören, ohne auf irgend einen Streit einzugehen, bediente sie sich ihrer gewöhnlichen Beweisgründe, jener Beweisgründe, welche voll zärtlicher Perfidie und rührender Eigensucht waren. „Du liebst eine Frau mehr als mich“, sagte sie; „also liebst Du mich nicht mehr! Wo sind die Tage von Passy geblieben, wo sind die Gefühle, die ausschließlich Deiner Mutter geweiht waren? Wie sehne Ich mich nach der Zeit zurück, als Du mir schriebst: Wenn Du mir zurückgegeben sein wirst, will ich Dich keinen Tag, keine Stunde mehr verlassen! Warum bin ich nicht wie so viele Andere 1793 gestorben! dann würdest Du mich so in Deinem Herzen bewahrt haben, wie Du mich damals darin trugst, und ich hätte nie eine Nebenbuhlerin gehabt!“

Was konnte er einer so leidenschaftlichen Liebe erwiedern? Moritz weinte, antwortete nichts, und verschloß sein Geheimniß in seiner Seele.

Er kehrte nach Paris zurück, ohne sich entdeckt zu haben und lebte ruhig und zurückgezogen in seiner einfachen Häuslichkeit. Meine gute Tante Lucie war im Begriff, sich mit einem Offizier, einem Freunde meines Vaters zu verheirathen, und sie pflegten sich zu kleinen Familienfesten mit einigen Freunden zu vereinigen. Eines Tages hatten sie einige Quadrillen getanzt; meine Mutter trug gerade ein hübsches rosenfarbnes Kleid und mein Vater spielte auf seiner treuen Cremoneser Geige eine Tanzmelodie eigner Erfindung. Meine Mutter war ein bischen leidend, verließ die Tanzenden und ging in ihr Zimmer. Da ihr Gesicht nicht entstellt war, und da sie sich in größter Ruhe fortbegeben hatte, wurden die Contretänze fortgesetzt. Bei dem letzten Chassez-huit begab sich meine Tante Lucie in das Zimmer meiner Mutter und rief in demselben Augenblicke: Kommen Sie, kommen Sie, Moritz! Sie haben eine Tochter!

„Sie soll Aurora heißen, wie meine gute Mutter, die nicht hier ist, um sie zu segnen, aber die sie eines Tages segnen wird,“ sagte mein Vater, indem er mich in seine Arme nahm.

Es war der 5. Juli 1804, im letzten Jahre der Republik und im ersten des Kaiserreichs.

„Ihre Geburt war von Musik und Rosenroth umgeben, sie wird glücklich sein!“ rief meine Tante.